L 9 R 2007/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 3296/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2007/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
           
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1972 geborene Kläger war zuletzt bis Mai 2003 als Maschinenbediener bzw. -einrichter und Servicetechniker versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er arbeitsunfähig erkrankt und ab Juli 2003, abgesehen von einer viermonatigen versicherungspflichtigen Beschäftigung von Juni bis September 2006 und einer Lücke im Versicherungsverlauf von Januar bis Mitte Juni 2007 durchgehend arbeitslos mit Bezug von Arbeitslosengeld I bzw. Arbeitslosengeld II (Versicherungsverlauf vom 03.03.2021, Bl. 33 SG-Akte).

Einen ersten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung vom 20.08.2013 lehnte die Beklagte nach Einholung von Gutachten bei H-Z und B mit Bescheid vom 12.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2014 ab, die hiergegen gerichtete Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) wurde nach schriftlicher Befragung des B1 und R als sachverständige Zeugen und Einholung von Gutachten des R1 sowie des R2 mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2016 (S 15 R 1531/14) abgewiesen, die Berufung hiergegen durch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nach Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei H mit Urteil vom 15.08.2017 (L 4 R 210/16) zurückgewiesen und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zum Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 22.03.2018 (B 5 R 291/17 B) verworfen.

Am 12.12.2018 stellte der Kläger bei der Beklagten einen erneuten Rentenantrag und begehrte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.10.2018. Er verwies vollständig auf das Vorbringen im vorherigen Rentenverfahren und teilte mit, dass zwischenzeitlich eine Verschlechterung eingetreten sei aufgrund eines schweren Bandscheibenvorfalls der Halswirbelsäule (HWS). Deswegen seien ihm keine Arbeiten mehr möglich. Er leide unter Erschöpfung, Schmerzen, Darmbeschwerden, Schlafstörungen, Bluthochdruck, seinen extremen Bandscheibenvorfällen, einer chronischen Blasenentzündung und einer Depression. Er sei seit März 2016 krankgeschrieben, bei ihm sei seit 2009 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt und er konsumiere mit der entsprechenden Genehmigung aus medizinischen Gründen Cannabis mit der Pfeife. Er legte eine medizinische Stellungnahme des P der SLK Lungenklinik L vom 11.08.2016, den Bericht des K in L über eine Computertomographie des Abdomens und Beckens vom 22.11.2016, den Arztbrief der O vom 26.05.2017, den Arztbrief der B2 vom 07.07.2017, den Arztbrief des B1 vom 11.08.2017, den ambulanten Arztbrief des G und des E der Lungenklinik L vom 29.08.2017, das klinisch-verkehrspsychologische Gutachten zur Frage der Fahreignung des S vom 13.12.2017, den Bericht des E in L1 über eine MR-Tomographie der HWS vom 15.06.2018, den Arztbrief des K1 vom 22.06.2018, ein ärztliches Attest seines Hausarztes K2, vom 02.07.2018, den Arztbrief des H1 vom 16.08.2018 über eine Schlafüberwachung, Laborergebnisse vom 10.01.2019 und einen Medikationsplan vom 07.03.2019 vor.

Die Beklagte zog die Unterlagen aus dem früheren Rentenverfahren bei und veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch S1. In seinem Gutachten vom 24.04.2019 gelangte S1 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung, dass sich aus nervenärztlicher Sicht die Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben im Vergleich zum früheren Rentenantrag nicht entscheidend verändert habe. Es bestehe der Verdacht auf eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, anamnestisch bestünden zeitweise depressive Episoden, zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht gravierend ausgeprägt. Weiter leide der Kläger an einem Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich ohne gravierende neurologische Begleiterscheinungen. Er sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne gesteigerte Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit sechs Stunden am Tag und länger zu verrichten.

Dem folgend lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 01.07.2019 ab, da er die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht erfülle. Mit seinem Widerspruch hiergegen verwies der Kläger darauf, dass bei ihm eine erhebliche Somatisierungsstörung vorliege, die seine Umstellungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt massiv beeinträchtige. Daneben leide er unter einer ständig vorliegenden Depression, die teilweise zu schweren bis mittelschweren Verläufen führe, welche die Beeinträchtigung verstärke. Außerdem bestünden Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule (WS) v.a. durch mehrere Bandscheibenvorfälle im Bereich der HWS mit massiven Schmerzen und zunehmenden Beschwerden. Er sei zwischenzeitlich beim Diakonieklinikum S2 wegen der Probleme der WS gewesen. Im Oktober 2014 sei in B3 eine MRT erstellt worden. Am 01.10.2019 sei er erneut wegen ständiger Schmerzen ambulant zur schmerztherapeutischen Untersuchung in der Klinik L gewesen, eine stationäre Aufnahme für mindestens zwei Wochen sei für den 04.11.2019 geplant.

Die Beklagte holte den Befundbericht des K3 der Klinik L vom 21.04.2020 ein. In einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 15.05.2020 gelangte  E-D zu der Einschätzung, dass es auch unter Berücksichtigung des Befundberichts von K3 bei der bisherigen Leistungseinschätzung verbleibe. Hierauf wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2020 als unbegründet zurück.

Am 23.11.2020 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Die Beklagte habe seine körperlichen und psychischen Einschränkungen nicht ausreichend berücksichtigt. Er leide auf neurologischem Fachgebiet an Beeinträchtigungen durch den Bandscheibenvorfall, an Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule, einer Somatisierungsstörung vom Typ der Fibromyalgie und einer depressiven Erkrankung sowie Funktionsstörungen des Darms. Weiter bestehe eine Schlafapnoe, die mit CPAP-Gerät behandelt werden müsse. Außerdem bedürfe er einer Cannabis-Behandlung seines chronischen Schmerzsyndroms im Chronifizierungsstadium III nach Gerbershagen bzw. nach Kohlmann und Raspe. Deshalb stehe er in regelmäßigen Abständen in schmerztherapeutischer Behandlung bei K3 in der SLK Klinik L. Diese Schmerzerkrankung in Verbindung mit den übrigen Leiden bedinge erhebliche funktionelle Einschränkungen seines Leistungsvermögens, weshalb er nur noch unter sechs Stunden täglich leistungsfähig sei. Weiter stehe er in regelmäßiger neurologischer Behandlung bei W, K4 und B1. Das Gutachten des S1 sei unzureichend. Es berücksichtige auch die Feststellungen im fahrpsychologischen Gutachten des S nicht hinreichend, ebenso habe das LSG im Urteil vom 15.08.2017 dieses Gutachten nicht ausreichend berücksichtigt. S habe ausgeführt, dass durch die Kombination von Schlafapnoesyndrom und dem Rauchen von Medizin-Cannabis-Blüten eine Beeinträchtigung von Konzentration und körperlicher Leistungsfähigkeit auftreten könne, sofern hier kein konsequentes und strikt eingehaltenes Behandlungsregime erfolge. Überdies nehme er auch Tilidin ein. Zwar sei ihm die erforderliche Zuverlässigkeit für die Belassung des Führerscheins bescheinigt worden. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit würde aber zu einer erheblichen körperlichen und seelischen Beanspruchung führen, die das noch vorhandene Gleichgewicht gefährden und beeinträchtigen könne. Auch müsse insoweit von einer Einschränkung der Wegefähigkeit ausgegangen werden. Die Beklagte habe trotz der Widerspruchsbegründung keinen aktuellen Bericht des Diakonie-Klinikums S2 eingeholt, wo er im November 2019 stationär behandelt worden sei. Es sei eine deutliche Verschlechterung im Gesundheitszustand gegenüber dem Zustand zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG vom 15.08.2017 eingetreten. Hierzu müssten sämtliche behandelnde Ärzte aktuell als sachverständige Zeugen gehört werden.

Das SG hat die Akte des Berufungsverfahrens L 4 R 210/16 und den Versicherungsverlauf des Klägers vom 03.03.2021 beigezogen bzw. angefordert. Sodann hat es K3 und W schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

K3 hat unter dem 17.03.2021 über die schmerztherapeutische Behandlung des Klägers in der Klinik L seit 2014, meist jährlich, zuletzt im Oktober 2019 berichtet. Da der Kläger sich seither nicht mehr vorgestellt habe, könne er die Fragen insgesamt nicht aktuell beantworten. W hat über die Behandlung des Klägers seit August 2017 berichtet. Er habe die Kostenübernahme für Cannabionide bei der Krankenkasse veranlasst, welche im August 2017 genehmigt wurde. Unter dieser Behandlung habe sich die Schmerzsituation etwas stabilisiert. Ab Februar 2019 seien Panikattacken und Antriebsstörungen in den Vordergrund getreten. Er habe eine psychiatrische Mitbehandlung empfohlen, im Februar 2019 habe der Erstkontakt zu K5 stattgefunden. Ab 2018 hätten vermehrt Beschwerden der HWS bestanden, im Kernspin vom 15.06.2018 sei ein Bandscheibenvorfall HWK 4/5 mit erheblicher Spinalkanaleinengung und fraglicher Kompression des Rückenmarks gefunden worden. Vom 07.10.2019 bis 23.10.2019 sei der Kläger erneut stationär in der Schmerzklinik L gewesen. Dort sei ein Tilidin-Entzug durchgeführt und als schmerzdistanzierendes Antidepressivum Venlafaxin eindosiert worden. Subjektiv habe dies zu einer Zunahme von Angstzuständen geführt. Die Schmerzen hätten eher nicht mehr im Vordergrund gestanden, sondern die deutliche depressive Verstimmung. Bis Dezember 2019 habe sich die psychische Situation etwas gebessert. Nun habe der Kläger über verschiedene körperliche Phänomene berichtet wie Zittern, pelzige Füße, Muskelzucken, elektrisierendes Gefühl zwischen den Schulterblättern und über die Angst vor einer Erkrankung an amyotropher Lateralsklerose. Von Dezember 2019 bis Oktober 2020 sei die Behandlung überwiegend psychiatrisch erfolgt. Zuletzt habe sich der Kläger neurologisch zur Miteinschätzung der Spinalkanalstenose der HWS vorgestellt. Es hätten sich keine zentralnervösen Ausfälle, keine Gangstörung und keine neu aufgetretenen Blasenentleerungsstörungen gezeigt. Die Messungen der evozierten Potenziale, die die Leitungsfähigkeit des Rückenmarks miteinschließen, seien unauffällig gewesen. Die beruflichen Einschränkungen des Klägers bestünden im Wesentlichen auf psychiatrischem Fachgebiet. Neurologisch bestünden in Bezug auf Sensibilität, Motorik und Koordination keine Ausfälle. Die Schmerzen von wechselndem Ausmaß dürften allerdings körperlich schwere Arbeiten mit längerem Stehen, Tragen von Lasten über 10 kg und Arbeiten in größerer Höhe sowie auf Gerüsten mit Überkopfarbeit stark einschränken. Hierauf hat der Kläger die weitere Aufklärung seiner Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet durch Einholung eines Gutachtens beantragt.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.05.2021 abgewiesen. Hierzu hat es auf das Urteil des SG vom 04.01.2016 sowie des LSG Baden-Württemberg vom 15.08.2017 verwiesen und ausgeführt, dass sich das relevante Leistungsvermögen des Klägers seither nicht wesentlich verändert habe, was sich aus dem Gutachten des S1 ergebe. Aus den eingeholten Auskünften des K3 und des W ergebe sich nichts Abweichendes. Gleiches gelte für das verkehrspsychologische Gutachten des S, das sich zum Leistungsvermögen des Klägers für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verhalte. Der Kläger sei noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten, auch die rentenrelevante Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bestehe kein Anlass angesichts des vorliegenden überzeugenden Gutachtens von S1.

Hiergegen hat der Kläger am 11.06.2021 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe die vorliegenden medizinischen Unterlagen und Äußerungen der sachverständigen Zeugen nicht zutreffend berücksichtigt und bewertet und den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Er halte weiterhin eine weitere Sachaufklärung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet für erforderlich, zunächst durch Einholung einer sachverständigen Zeugenauskunft seiner behandelnden Ärztin K5, anschließend durch die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen. Das Gutachten des S1 belege gerade nicht, dass sich seit dem Urteil des LSG Baden-Württemberg im früheren Rentenverfahren vom 18.05.2017 keine wesentliche Änderung ergeben habe. Aus der Auskunft des K3 lasse sich jedenfalls bis Herbst 2019 eine Leistungseinschränkung entnehmen. Seit Februar 2019 befinde er sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei K5. Hierzu hat der Kläger das Attest der K5 vom 20.07.2021 vorgelegt, dessen Inhalt mitgeteilt und ausgeführt, sie bestätige, dass er nicht belastungsfähig sei. Weiter hat der Kläger den Entlassbericht der Dres. S3/K6/K7 und des Assistenzarztes Y der Orthopädischen Klinik M, Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, vom 02.03.2021 vorgelegt und ausgeführt, seine Belastungsfähigkeit habe nach der am 22.02.2021 erfolgten Operation im Bereich der HWS weiter abgenommen und seine Ängste hätten weiter zugenommen. Daher seien zum weiteren Heilungsverlauf und der nach der Operation verbliebenen körperlichen Belastbarkeit die behandelnden Ärzte der Klinik M, insbesondere der Chefarzt S3 sowie seine behandelnde Ärztin R und sein Hausarzt K2 als sachverständige Zeugen zu vernehmen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Mai 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2020 zu verurteilen, ihm bezogen auf seinen Rentenantrag vom 12. Dezember 2018 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf Ihren bisherigen Vortrag, die ergangenen Bescheide und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat die Akten der früheren Verfahren S 15 R 1531/14 und L 4 R 210/16 beigezogen und K2, K5 und R schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

K2 hat unter dem 27.10.2021 berichtet, Anfang 2018 sei die Mutter verstorben, was den Kläger sehr belastet habe. Der Kläger sei ein klassisch psychosomatischer Patient. Neben psychischen Beschwerden wie Depression, Zukunftsängsten, schwer fassbaren diffusen Schmerzen sammle der Kläger immer wieder schwere Erkrankungen wie Bandscheibenvorfälle, Divertikulitis mit Darmperforation etc. Neben den Erkrankungen Hypertonie, Schlafapnoe, Hypothyreose, die gut medikamentös einstellbar seien, gebe es noch die Depression und die chronischen Schmerzen, die chronische Müdigkeit und allgemeine Schwäche, die schwer zu fassen seien. Letztendlich bestehe eine chronische psychosomatische Erkrankung seit vielen Jahren mit einem ständigen Auf und Ab. Das ständige Kranksein habe sich bei dem Kläger so verfestigt, dass er gar nicht mehr da rauskomme. Die psychosomatische Erkrankung stehe im Vordergrund. Er hat Befundberichte und Arztbriefe aus dem Zeitraum seit 2008 vorgelegt. Hierzu wird auf Bl. 83 bis 120 der Senatsakte Bezug genommen.

R hat unter dem 09.11.2021 mitgeteilt, dass der Kläger sich nach Dezember 2018 nur im Juli und August 2019 sowie im November 2020 vorgestellt habe. Es sei eine Überweisung in die Klinik M mit der Fragestellung einer Operation erfolgt. Laut dem ihr vorliegenden Bericht sei eine Operation erfolgt, der Kläger habe sich aber nicht mehr bei ihr vorgestellt.

K5 hat unter dem 02.11.2021 berichtet, dass der Kläger sich bei ihr seit Februar 2019 in Behandlung befinde, wobei die Termine viermal jährlich stattfinden. Sie habe durchgehend eine gemischte Angststörung, u.a. mit Panikattacken, Zügen einer generalisierten Angststörung sowie auch phobischen Elementen, eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie rezidivierende Depressionen, die im Schweregrad unterschiedlich ausgeprägt seien, jedoch ohne beschwerdefreie Zeit, diagnostiziert. Im Herbst 2019 sei es durch den Aufenthalt in der Schmerzklinik und die Einstellung auf Venlafaxin zu einer gewissen psychischen Entlastung und nach langer Zeit tatsächlich mal zu Besserungstendenzen gekommen. Der Verlauf zeige sich trotzdem sehr schwankend mit Auf und Ab, und insbesondere das Funktionsniveau sei noch sehr niedrig. Der Kläger könne es aber etwas besser aushalten. Auf psychiatrischem Fachgebiet sehe sie erhebliche Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit. Es bestünden Einschränkungen der Alltagsbewältigung. Es gebe einzelne Tage oder auch Stunden mit deutlich besserer Leistungsfähigkeit. Zu anderen Zeiten sei er selbst mit dem Ausfüllen eines Fragebogens für 10 bis 15 Minuten überfordert. Aufgrund der Schmerzen werde er auch mit Cannabis behandelt. Hierdurch müsse man von einer zusätzlichen Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit ausgehen. Das psychische Befinden und die Schmerzwahrnehmung beeinflusse sich gegenseitig negativ. Sie hat weitere Unterlagen mitvorgelegt. Hierzu wird auf Bl. 123 bis 137 der Senatsakte Bezug genommen.

Am 29.03.2022 hat die Berichterstatterin des Senats mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt im Rahmen dessen der Kläger Gelegenheit hatte, persönliche Angaben zu machen und der Klägervertreter klargestellt hat, dass mit der Berufung die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer angestrebt werde, da angesichts des Geburtsjahrgangs des Klägers eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht kommt. Hierzu wird auf das Protokoll vom 29.03.2022 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 21.06.2022 hat der Kläger ein Attest der K5 vom 31.05.2022, einen Arztbrief der R vom 18.11.2021, einen Bericht des E1 vom Radiologischen Zentrum S2 vom 07.12.2021 sowie teilweise einen Bericht der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, plastische Operationen der SLK-Kliniken GmbH vom 05.07.2021 vorgelegt und sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hierzu wird auf Bl. 185 bis 191 der Senatsakte Bezug genommen. Mit Schreiben vom 22.06.2022 hat die Beklagte ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte und der beigezogenen Akten der Verfahren S 15 R 1531/14 und L 4 R 210/16 Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
 
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 19.05.2021 ist nicht zu beanstanden, das SG hat die Klage zurecht abgewiesen. Der Bescheid vom 01.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein können, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in KassKomm, Stand 117. EL Dezember 2021, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Vielmehr ist der Kläger unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten auch weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bei Beachtung qualitativer Einschränkung sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Dies folgt für den Senat insbesondere aus dem von der Beklagten veranlassten Gutachten von S1, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet und den im Klageverfahren vom SG eingeholten Auskünften der sachverständigen Zeugen K3 und W sowie den vom Senat eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften von K2 und R.

Danach leidet der Kläger auf orthopädisch-neurologischem Fachgebiet an Hüft- und Beckenschmerzen bei Impingement der Hüfte links, Schmerzen im Bereich der Knie beidseits und an chronischen WS-Beschwerden bei degenerativen Veränderungen in allen Wirbelsäulenabschnitten. Aufgrund eines großen verkalkten Bandscheibenvorfalls mit hochgradiger Spinalkanalstenosierung im Bereich C3-C5 erfolgte bei diskretem Myelopathiesignal sowie angegebener zunehmender Gangunsicherheit am 22.02.2021 eine dorsale Dekompressionsspondylodese C3-C7 mittels Fixateur interna mittels partieller Laminektomie C3 und C5 sowie Laminektomie C4. Dies ergibt sich für den Senat aus der sachverständigen Zeugenauskunft von R vom 09.11.2021 und dem von R mitvorgelegten endgültigen Entlassbericht der Orthopädischen Klinik M vom 02.03.2021 sowie dem vom Kläger zuletzt vorgelegten Arztbrief der R vom 18.11.2021 und dem Bericht über die Ganzkörper-Kernspintomographie vom 07.12.2021. Auch wenn der Kläger seinen erneuten Rentenantrag maßgeblich darauf gestützt hat, dass zu den ansonsten gegenüber dem ersten Rentenverfahren unveränderten Beschwerden neu der schwere Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich hinzugetreten sei, folgt hieraus lediglich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit der Operation, nicht aber eine mindestens sechs Monate andauernde rentenrelevante Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers. Denn weder im Zeitraum vor der Operation noch im Zeitraum nach der Operation lässt sich eine solche Einschränkung feststellen. Der sachverständigen Zeugenauskunft der R, die über Vorstellungen des Klägers bei ihr lediglich im Sommer 2019 und im November 2020 berichtet hat, lassen sich insoweit keine Befunde entnehmen. Aber dem endgültigen Entlassbericht der Klinik M vom 02.03.2021 ist zu entnehmen, dass der Kläger sich am 14.02.2021 erstmalig dort vorgestellt hat unter Angabe einer in den letzten Monaten zunehmenden Gangunsicherheit. Es zeigten sich bei der klinischen Untersuchung jedoch keine frischen Paresen oder Blasen-/Mastdarmentleerungsstörungen und ein zügiges Gangbild. Die erschwerten Gangvaria (Hacken/Zehenspitzenstand) konnten demonstriert werden. Alle Kennmuskeln waren entsprechend dem Kraftgrad 5/5 vollständig nach Janda ausgebildet. Es zeigten sich lediglich gesteigerte Reflexe der oberen und unteren Extremitäten seitengleich. Der gegenüber dem SG erteilten sachverständigen Zeugenauskunft des W lassen sich insoweit ebenfalls keine massiven Einschränkungen feststellen. Er hat über die Behandlung des Klägers bis 01.02.2021 berichtet mit einer zuletzt erfolgten neurologischen Vorstellung zur Miteinschätzung der Spinalkanalstenose an der HWS. Auch hier hatten sich keine zentralnervösen Ausfälle, keine Gangstörung und keine neu aufgetretenen Blasenentleerungsstörungen gezeigt. Die Messungen der evozierten Potentiale, die die Leitungsfähigkeit des Rückenmarks miteinschlossen, waren unauffällig. In Bezug auf Sensibilität, Motorik und Koordination bestanden keine Ausfälle. Auch für die Zeit nach der Operation sind keine wesentlichen Leistungseinschränkungen ersichtlich, insbesondere ist die vom Kläger vorgetragene Verschlechterung der Beschwerden nach der Operation nicht nachvollziehbar. Der postoperative Verlauf zeigte sich im Rahmen der primären Wundheilung komplikationslos, der Kläger wurde mit angelegter Orthese mobilisiert, die präoperativ geäußerten Beschwerden waren postoperativ langsam rückläufig. Die Röntgenkontrolle zeigte eine regelrechte Implantatlage, der neurologische Befund war ebenfalls regelrecht, wie sich insgesamt aus dem Entlassbericht vom 02.03.2021 ergibt. Bei weiter komplikationslosem Heilungsverlauf wurde erwartet, dass die Wiederaufnahme leichter körperlicher Arbeit nach sechs Wochen erfolgen könne, die Aufnahme körperlich schwerer Tätigkeiten erst nach knöcherner Konsolidierung, nicht vor Ablauf von drei Monaten nach der Operation. Eine fachärztliche Behandlung oder Verlaufskontrolle hat aber nach der Operation nicht stattgefunden. Zwar hat der Kläger im Termin vom 29.03.2022 angegeben, er habe sich nach der Operation im Jahr 2021 wieder bei R vorgestellt, dies ist angesichts der Auskunft der R vom 09.11.2021 erstmals wieder für den 18.11.2021 belegt. Dem Arztbrief der R von diesem Tag lässt sich aber entnehmen, dass der Kläger dabei über keine Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule geklagt hat, sondern sich wegen Beschwerden der Hüfte und beider Knie im Stehen an sie gewandt hatte. Anderweitige Behandler hat der Kläger in Bezug auf die Wirbelsäulenproblematik nicht benannt. Anhaltspunkte für etwaige Komplikationen im Heilungsverlauf nach der Operation und damit verbundene anhaltende rentenrelevante Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers auf orthopädischem oder neurologischem Fachgebiet sind damit weder konkret vorgetragen noch ersichtlich und damit ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen des Senats. Insbesondere lässt sich auch dem zuletzt vom Kläger eingereichten Bericht über die Ganzkörper-Kernspintomographie vom 07.12.2021 entnehmen, dass ein insoweit gutes postoperatives Ergebnis vorliegt.

Zu keinem anderen Ergebnis führt der Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 11.11.2021, neben R auch die behandelnden Ärzte der Klinik M, insbesondere den Chefarzt S3, als sachverständige Zeugen zu befragen. Diesen Antrag hat er zuletzt nicht mehr aufrechterhalten. Überdies ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass S3 den Kläger vor, während oder nach der Operation jemals behandelt oder untersucht hat und auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Kläger nach der Operation nochmals in der Klinik in M vorstellig geworden ist und damit über die bereits aus den vorliegenden Unterlagen sich ergebenen Angaben weitere Feststellungen mitgeteilt werden könnten. Gleiches gilt für die vage Angabe des Klägers im Termin vom 29.03.2022, dass er sich wiederholt bei verschiedenen Ärzten vorgestellt habe, auch mehrmals monatlich in einer Notfallpraxis, dass die Ärzte ihm aber nicht zuhörten und deren Berichte nicht der Realität entsprächen.

Damit ist der Senat der Überzeugung, dass den orthopädisch-neurologischen Erkrankungen des Klägers weiterhin mit den bereits im ersten Rentenverfahren von R2 in dessen orthopädisch-rheumatologischem Gutachten vom 18.05.2015 beschriebenen qualitativen Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden kann. Hiernach sind dem Kläger nur noch körperlich leichte Tätigkeiten möglich, wobei Arbeiten in Zwangshaltungen der Wirbelsäule wie z.B. Rumpfvorhaltungen, Beugebelastung der Hüfte und Knie wie häufiges Bücken und Knien, Zwangshaltungen der HWS, Arbeiten mit beiden Händen anhaltend über Schulterniveau, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und mit Absturzgefahr, Arbeiten in Nässe und Kälte ohne Schutzkleidung zu vermeiden sind und die noch möglichen Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, idealerweise mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperposition ausgeführt werden sollten. Hierbei stützt sich der Senat auf die Feststellungen des R2 und schließt sich seiner Leistungseinschätzung an. Diese ist anhand der von ihm erhobenen Befunde und Anamnese sowie der von ihm vorgenommenen Auswertung der vorliegenden Arztberichte widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Wie bereits oben ausgeführt, hat sich insoweit auch durch den großen Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS mit der erfolgten Operation keine überdauernde Verschlechterung ergeben, die zu einer weitergehenden qualitativen oder zu einer auch quantitativen Leistungseinschränkung führen würde. Eine solche Verschlechterung ergibt sich auch nicht aus den gegenüber R im November 2021 geklagten Beschwerden im Bereich der Knie und Hüfte und den bei der Ganzkörper-Kernspintomographie vom 06.12.2021 dokumentierten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule. Auch diesen kann weiterhin durch die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden.

Gleiches gilt für das internistische Fachgebiet. Der Kläger leidet an einem Schlafapnoesyndrom, einer Hypertonie, einer Hyperthyreose, bei Z.n. Divertikulitits mit Darmperforation an Darmbeschwerden und an Adipositas. Hierzu hat K2 angegeben, dass die Hypertonie, das Schlafapnoesyndrom und die Hypothyreose gut behandelbar sind und eine Leistungseinschränkung durch die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet nicht besteht. Dem schließt sich der Senat an. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit Einschränkungen bestehen, die über die Beschränkung der Arbeitsschwere auf leichte körperliche Tätigkeiten hinausgehen. Auch soweit der Kläger angegeben hat, dass er unter Darmbeschwerden leide, hat er dies im vorliegenden Verfahren weder konkretisiert noch hat K2 insoweit Beeinträchtigungen mitgeteilt noch findet eine anderweitige fachärztliche Behandlung statt. Die letzte Schlafüberwachung zur Kontrolle der Schlafapnoe zeigte laut Arztbrief des H1 vom 03.09.2021 ein akzeptables Ergebnis. Empfohlen wurde die regelmäßige Weiternutzung des CPAP-Gerätes und eine Gewichtsreduktion. Dem vom Kläger zuletzt vorgelegten Bericht über die am 23.06.2021 durchgeführte funktionelle Septorhinoplastik und Nasenmuschelreduktioin beidseits lässt sich ebenfalls keine überdauernde rentenrelevante Leistungseinschränkung entnehmen.

Auf psychiatrisch-psychosomatisch-schmerztherapeutischem Fachgebiet leidet der Kläger an einer undifferenzierten Somatisierungsstörung und rezidivierenden depressiven Störungen, die insgesamt kein solches Ausmaß erreichen, dass sie zu einer mindestens sechs Monate andauernden auch zeitlichen Leistungseinschränkung des Klägers führten bzw. führen. Insoweit folgt der Senat der diagnostischen Einordnung und der Leistungseinschätzung des S1. Er gelangt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde und Anamnese widerspruchsfrei und nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen zwar qualitative Leistungseinschränkungen dergestalt zu beachten hat, dass ihm Arbeiten in Nachtschicht und mit gesteigerten Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit nicht mehr zumutbar sind, dass sein Leistungsvermögen bei Beachtung dieser Einschränkungen aber nicht zeitlich auf unter sechs Stunden arbeitstäglich gesunken ist, sich gegenüber dem im vorhergehenden Rentenverfahren durch alle dort tätigen Sachverständigen festgestellten Zustand keine relevante Verschlechterung feststellen lässt. Dem schließt sich der Senat an. So zeigte sich bei der gutachtlichen Untersuchung durch S1 im psychopathologischen Befund nur eine leichtgradige Einengung der Schwingungsfähigkeit, aber keine manifeste Depressivität. Hinweise auf eine gravierende Schmerzsymptomatik ergaben sich im Untersuchungsverlauf nicht. Die mnestischen und intellektuellen Funktionen waren ausreichend. Eine Affektlabilität bestand nicht. Der Kläger gab einen geregelten Tagesablauf mit Haushaltsarbeiten, wenn auch mit Unterstützung durch Verwandte, mit Einkäufen und regelmäßigem Muskeltraining sowie einen kleinen Bekanntenkreis mit Kontakten, die über das Handy aufrechterhalten werden, an. Damit gelangte S1 nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass im nervenärztlichen Fachgebiet keine Funktionsstörungen belegt sind, die zu überdauernden quantitativen Leistungseinschränkungen führen würden.

Ob die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen auf psychiatrisch-psychosomatisch-schmerzmedizinischem Fachgebiet diagnostisch eher als anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ggf. im Sinne einer Fibromyalgie), Dysthymie und chronifizierte Schmerzstörung zu erfassen und außerdem eine Agoraphobie mit Panikstörung zu diagnostizieren sind, wie dies im ersten Rentenverfahren R1 in seinem Gutachten vom 08.06.2015 bzw. H in seinem Gutachten vom 01.09.2016 getan haben,
kann letztlich dahinstehen. Denn es kommt bei der Feststellung einer zur Rentengewährung führenden Erwerbsminderung nicht auf die Diagnosestellung oder Bezeichnung von Befunden an. Vielmehr ist die Beeinflussung des Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen zu prüfen (BSG, Beschluss vom 09.09.2019 – B 5 R 21/19 B -, Beck online, m. w. N.). Maßgeblich sind damit nicht die Diagnosen an sich, sondern Art und Ausmaß der mit den vorliegenden Erkrankungen verbundenen funktionellen Einschränkungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf das berufliche Leistungsvermögen. Insoweit gelangt S1 aber zu vergleichbaren Feststellungen und einer übereinstimmenden Leistungseinschätzung wie R1 und H.

Soweit sich der Kläger auf die Auskunft des K3 bezieht und hieraus eine erhebliche Leistungsminderung zumindest bis Oktober 2019 belegt sieht, kann der Senat dem nicht folgen. Eine Beeinträchtigung des zeitlichen Leistungsvermögens hat S1 auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen vielfältigen Beschwerden und Schmerzen gerade nicht feststellen können. Seit Oktober 2019 hat der Kläger die Behandlung durch K3 sogar aufgegeben. Dass diese Behandlung danach wieder aufgenommen oder eine anderweitige fachärztliche schmerzmedizinische Behandlung begonnen worden wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auch aus der sachverständigen Zeugenauskunft der K5 und ihrem Attest vom 31.05.2022 folgt für den Senat keine abweichende Leistungseinschätzung. Zwar teilt sie in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft mit, dass sie durchgehend eine gemischte Angststörung, u. a. mit Panikattacken, Zügen einer generalisierten Angststörung sowie auch phobischen Elementen, eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie rezidivierende Depressionen, die im Schweregrad unterschiedlich ausgeprägt sind, diagnostiziert hat und dass bei insgesamt schwankendem Verlauf aus ihrer Sicht bei dem Kläger erhebliche Beeinträchtigungen des beruflichen Leistungsvermögens auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegen. Diese Einschätzung steht aber zum einen im Widerspruch zu der Einschätzung des S1, der den Kläger im April 2019 und damit nach dem Beginn der Behandlung durch K5 im Februar 2019 untersucht hat. Insoweit beschreibt K5 auch keine wesentliche Verschlechterung im Behandlungsverlauf, sondern einen sehr schwankenden Verlauf mit einer aus ihrer Sicht gewissen Stabilisierung durch die stationäre schmerzmedizinische Behandlung mit Umstellung der Medikation im Herbst 2019. Zum anderen gründet K5 ihre Einschätzung auf einen Befund, der weitgehend die anamnestischen Angaben des Klägers unkritisch übernimmt. So nimmt K5 die ihr gegenüber geschilderten massiven Alltagseinschränkungen und die nach Angaben des Klägers nur an manchen Tagen nur stundenweise gegebene Leistungsfähigkeit ebenso wie seine weitgehende Angst und damit einhergehende Unfähigkeit, das Haus zu verlassen, unkritisch wieder. Dass der Kläger nach seinen Angaben im Termin vom 29.03.2022 aber zumindest bis zum Frühjahr 2021 regelmäßig mindestens einmal monatlich für mehrere Stunden seine Tochter besucht hat, findet keine Erwähnung. Auch steht der Umstand, dass der Kläger nach seinen Angaben im Termin vom 29.03.2022 im Januar dieses Jahres für eine Woche in die Türkei gereist ist und dies im Sommer dieses Jahres wiederholen möchte, im Widerspruch zu der gegenüber K5 geschilderten und von ihr aufgenommenen massiven Antriebs- und Angststörung. Teilweise wird bereits aus der Wortwahl der K5 ersichtlich, dass sie im Befund lediglich anamnestische Angaben des Klägers darstellt, so z.B. wenn sie im Befund zur Erstvorstellung ausführt: „Die Stimmung sei traurig bis leer, auf starke Anreize könne er sich aber freuen,…“. Außerdem setzt sie sich nicht mit den Widersprüchen zwischen den Angaben des Klägers und ihren Feststellungen auseinander. So beschreibt K5 im Befund zur Erstvorstellung des Klägers bei ihr, dass Konzentration und Gedächtnis „subjektiv“ eingeschränkt wären. Im Juli 2021 habe er angegeben, er könne nicht lange Fernsehen oder am PC sitzen, das strenge ihn an, da bekomme er Kopfschmerzen, es tue ihm nicht gut. Er kriege es dann doch nicht richtig mit, könne sich nicht richtig konzentrieren. Im Gespräch mit ihr sei die Konzentration aber nicht auffällig gewesen. Das Festhalten, dass Einschränkungen nur „subjektiv“ vorliegen bzw. die Differenzierung zwischen anamnestisch angegebenen Einschränkungen und deren tatsächlichen Fehlen im therapeutischen Gespräch impliziert aber gerade, dass eine Objektivierung der angegebenen Einschränkungen insoweit nicht stattgefunden hat. Damit kann aber auf diese Einschränkungen nicht nachvollziehbar eine Diagnose oder Leistungseinschätzung gestützt werden. Die weiter darauf aufbauende Vermutung, dass sich durch den Konsum von Cannabis eine noch weitergehende Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit ergeben dürfte, steht überdies im Widerspruch zu den Angaben von P im Bericht vom 11.08.2016, wonach der Konsum von Marihuana in der dem Kläger genehmigten kleinen begrenzten Menge nach aktuellen Studienunterlagen und vor allem abends keine wesentlicher Beeinträchtigung seiner Wahrnehmung und somit auch seiner Fahrtüchtigkeit darstellt und von S in dem vom Kläger vorgelegten klinisch-verkehrspsychologischen Gutachten vom 13.12.2017, wonach sich insgesamt keine systematischen Minderungen der psychophysischen Leistungstätigkeit ergaben, die es erforderlich machten, eine Limitierung der bestehenden Fahrerlaubnis vorzunehmen. Bei der testpsychologischen Untersuchung fanden sich dort im konzentrativen Leistungsbereich keine Einschränkungen. Auch bei der Begutachtung durch S1 war keine solche Beeinträchtigung festzustellen. Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Veränderung des schmerztherapeutischen Cannabiskonsums sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich. In ihrem aktuellen Attest vom 31.05.2022 gibt K5 an, dass der Zustand des Klägers gegenüber ihrem Bericht aus November 2021 unverändert sei, der Kläger weiterhin durch Angstzustände deutlich beeinträchtigt sei, er ausgesprochen vegetativ reagiere und zudem sehr empfindlich und sehr schnell zu irritieren sei, auch das Telefonieren falle ihm deutlich schwer. Damit lässt sich dem Attest ebenfalls kein Befund entnehmen, der die Feststellung einer mindestens sechs Monate andauernden relevanten Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens rechtfertigen würde, weder hinsichtlich des zeitlichen Leistungsvermögens noch hinsichtlich der Wegefähigkeit des Klägers. Zwar gibt K5 wieder, dass der Kläger andauernde Ängste angebe, das Haus zu verlassen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kläger aber Anfang des Jahres eine Reise in die Türkei unternommen hat und eine weitere Türkeireise im Sommer diesen Jahres plant, er im Erörterungstermin vom 29.03.2022 selbst geschildert hat, dass er weiterhin Fahrten mit seinem Pkw unternehme, ist der Senat der Auffassung, dass sich aus diesen Ängsten keine mindestens sechs Monate anhaltende unüberwindbare Einschränkung von solchem Ausmaß ergibt, dass daraus eine Einschränkung seiner zeitlichen Leistungsfähigkeit oder aber seiner Fähigkeit, einen Arbeitsplatz aufzusuchen, resultiert.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat den medizinischen Sachverhalt auch als ausreichend aufgeklärt an und keinen Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anlass auch nicht aus der Ankündigung des Klägers im Termin vom 29.03.2022, sich nochmals im Sommer 2022 in der Türkei ärztlich behandeln bzw. untersuchen zu lassen und hierüber weitere Erkenntnisse erlangen und mitteilen zu wollen. Diese vagen Ankündigungen lassen nicht erkennen, zu welchen Erkrankungen mit welchen funktionellen Einschränkungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf sein berufliches Leistungsvermögen insoweit weitere Erkenntnisse zu erlangen sein könnten.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Berichte, Auskünfte und Gutachten sowie des Vorbringens der Beteiligten kann der Senat sich damit nicht davon überzeugen, dass die Erkrankungen des Klägers für sich genommen sowie auch insgesamt betrachtet zu einer mindestens sechs Monate andauernden auch zeitlichen Leistungseinschränkung geführt haben. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen mit den beschriebenen Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keinen Zweifel an seiner weitgehend normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für körperlich und geistig leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Ein Rentenanspruch kann auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 - und zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Ausgehend hiervon liegt bei dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm zu beachtenden qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Insbesondere ist der Kläger noch in der Lage, viermal täglich eine Strecke von 500 m in einem Zeitaufwand von unter 20 min zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, wie S1 widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgeführt hat. Auch der sachverständigen Zeugenauskunft und dem vorgelegten Arztbrief der R und der sachverständigen Zeugenauskunft des K2 lassen sich keine Befunde entnehmen, die zu einer relevanten Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers führen würden. Dass sich durch den Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich und seiner Folgen einschließlich der deshalb stattgefundenen Operation auch unter Berücksichtigung der insgesamt vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule insoweit eine mehr als nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit begründende wesentliche Verschlechterung ergeben hätte, lässt sich den vorliegenden ärztlichen Berichten und Angaben nicht entnehmen. Überdies verfügt der Kläger laut seinen eigenen Angaben im Termin vom 29.03.2022 weiterhin über einen Pkw, den er auch noch selbst führt. Eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, die zu einer relevanten Einschränkung der Wegefähigkeit führen würde, ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Insbesondere ergibt sich eine solche auch nicht aus den vom Kläger gegenüber K5 angegebenen Ängsten, das Haus zu verlassen, wie bereits oben dargestellt.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt angesichts des Geburtsdatums des Klägers nach dem Stichtag des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht in Betracht.

Dem Kläger ist somit keine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Damit ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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