L 12 SB 2699/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 915/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SB 2699/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.07.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klagefrist gewahrt ist und ob bei der Klägerin weiterhin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorliegt.

Der Beklagte stellte bei der Klägerin zuletzt mit Abhilfebescheid vom 24.08.2016 einen GdB von 50 seit März 2015 fest.

Im Zuge der empfohlenen Nachprüfung von Amts wegen hob der Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2019 nach vorheriger Anhörung der Klägerin den Bescheid vom 24.08.2016 teilweise auf und stellte bei der Klägerin einen GdB von 40 ab dem 23.02.2019 fest.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020, der laut Aktenvermerk am 13.03.2020 zur Post ging, zurück. Dem Widerspruchsbescheid war folgende Rechtsbehelfsbelehrung angefügt:
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Sozialgericht Freiburg, Habsburger Str. 127, 79104 Freiburg erhoben werden. Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht zu erheben. Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 65a SGG). Eine Einlegung per E-Mail ist allerdings nicht zulässig. Wie Sie Klagen bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.“

Hiergegen hat die Klägerin am 18.03.2021 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2020 begehrt hat. Sie hat mit der Klageschrift den Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020 mit Eingangsstempel ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 18.03.2020 vorgelegt und zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, die Rechtsbehelfsbelehrung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Es fehle an der notwendigen Klarheit. Auf der angegebenen Internetseite würde keine genaue Angabe gemacht. Aufgrund dessen gelte vorliegend die Jahresfrist, da der Widerspruchsbescheid am 18.03.2020 bekannt gegeben worden sei, und die Klage sei zulässig und im Übrigen auch begründet. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Die dem Widerspruchsbescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthalte sämtliche geforderten Elemente, insbesondere sei auf die Einlegung in elektronischer Form im Sinne eines gleichwertigen 2. Regelwegs hingewiesen worden. Der gerügte Hinweis auf die offizielle Seite des Ministeriums der Justiz und für Migration in Baden-Württemberg (künftig: Ministerium der Justiz und für Migration) zur Einlegung des Rechtsbehelfs in elektronischer Form führe gerade dazu, die Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu überfrachten. Die einzelnen Schritte der Einlegung eines Rechtsbehelfs seien dort anschaulich und nachvollziehbar beschrieben.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.07.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei am 18.03.2021 nicht fristgerecht erhoben worden. Die Klagefrist gegen den ausweislich des Eingangsstempels der vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin spätestens am 18.03.2020 bekannt gegebenen Widerspruchsbescheid vom 12.03.2020 habe spätestens am 18.04.2020 geendet. Es sei vorliegend auch nicht die Jahresfrist aus § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuwenden. Denn die Klägerin sei durch die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides über die Art des möglichen Rechtsbehelfs, den Ort seiner Anbringung und die einzuhaltende Frist ordnungsgemäß im Sinne des § 66 SGG belehrt worden. Insbesondere habe der Beklagte die Klägerin hinreichend über die Möglichkeit einer elektronischen Einreichung der Klage nach § 65a SGG informiert.

Gegen den der Klägerin am 29.07.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 18.08.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, es werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass alleine der Verweis auf die Seite des Ministeriums der Justiz und für Migration nicht ausreichend sei, um im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung hinreichend auf die Möglichkeit einer elektronischen Einreichung der Klage im Sinne des § 65a SGG hinzuweisen. Es dürfte deshalb die Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 SGG gelten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.07.2021 sowie den Bescheid vom 20.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung vorgetragen, die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG greife nicht, denn die im angefochtenen Widerspruchsbescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung mit entsprechendem Link auf die offizielle Seite des Ministeriums der Justiz und für Migration informiere die Klägerin hinreichend über die Art des möglichen Rechtsbehelfs. Im Übrigen werde auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides verwiesen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.03.2022 und die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.03.2022 das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.

Streitgegenständlich ist vorliegend der Gerichtsbescheid des SG vom 22.07.2021, mit dem die Klage der Klägerin, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2020, als unzulässig abgewiesen worden ist. Der Gerichtsbescheid ist indes nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Die Einhaltung der Klagefrist ist Prozessvoraussetzung und daher von Amts wegen zu beachten. Die Klagefrist beträgt nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 Abs. 2 SGG). Eine förmliche Zustellung ist nicht erforderlich. Die Bekanntgabe durch einfachen Brief, wie hier, ist zulässig (§ 85 Abs. 3 SGG). Ausweislich des Eingangsstempels der für das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren Bevollmächtigten auf dem von der Klägerin vorgelegten Widerspruchsbescheid ist dieser am 18.03.2020 zugegangen. Dies wird von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen.

Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt die Frist mit dem Tage nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tage nach Eröffnung oder Verkündung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 64 Abs. 3 SGG). Die Klagefrist begann somit am 19.03.2020 und endete, da der 18.04.2020, ein Samstag war, am Montag, den 20.04.2020. Die erst am 18.03.2021 erhobene Klage ist verspätet.

Entgegen der Auffassung der Klägerin findet vorliegend auch nicht die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG Anwendung. Gemäß § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Rechtsbehelfsbelehrung soll dem Betroffenen aufzeigen,
mit welchem Mittel er sich wo und bei wem innerhalb welcher Frist gegen eine Entscheidung wehren kann (sog. Wegweiserfunktion der Rechtsbehelfsbelehrung, Müller in Ory/Weth, jurisPK-ERV Bd. 3, 1. Aufl., Stand: 13.12.2021, § 66 Rn. 11, m.w.N.). § 66 SGG dient der Ermöglichung der fristgerechten Rechtswahrnehmung und ist deshalb im Lichte des Gebots des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu betrachten und auszulegen. In Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes soll die Regelung in § 66 SGG verhüten helfen, dass jemand aus Unkenntnis den Rechtsweg nicht ausschöpft (BSG, Urteil vom 14.03.2013, B 13 R 19/12 R, juris, auch zum Nachfolgenden). Ziel einer jeden Rechtsbehelfsbelehrung muss es demnach sein, den Empfänger über den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Vorschriften zu unterrichten und es ihm so zu ermöglichen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs einzuleiten. Es genügt dabei, über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften zu informieren. Infolgedessen muss eine „richtige” Belehrung nicht stets allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen; es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt.

Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG über den Wortlaut des § 66 Abs. 1 SGG hinaus nach dessen Sinn und Zweck, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen, auch eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften geboten (BSG, a.a.O., m.w.N.). Ob hierzu auch die Belehrung über die – zum hier maßgeblichen Zeitpunkt bereits zugelassene, aber noch nicht für Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts und andere in § 65d SGG in der Fassung ab 01.01.2022 genannte vertretungsberechtigte Personen verbindliche (vergleiche hierzu § 65d SGG in der Fassung ab 01.01.2022) – Möglichkeit der elektronischen Übermittlung verfahrensbestimmender Schriftsätze gehört hat, ist umstritten. Das BSG hat im Urteil vom 14.03.2013 (a.a.O.) entschieden, die Rechtsmittelbelehrung sei nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht unrichtig im Sinne von 66 Abs. 2 Satz 1 SGG, wenn sie die Möglichkeit der Berufungseinlegung durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht erwähnt, obwohl für das betreffende LSG die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen ist. Denn allein die Einordnung der elektronischen Form als gleichrangige prozessuale Form führe, so das BSG (a.a.O.), nicht automatisch dazu, dass diese schon deshalb und schon jetzt als Regelweg im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG anzusehen sei. Das BSG hat dies mit der allenfalls beiläufigen Einbeziehung der elektronischen Form in die Grundnormen des SGG zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen (vgl. §§ 90, 151 Abs. 1 und 2, 145 Abs. 1 Satz 2, 164 Abs. 1 Satz 1, 173 Satz 1 und 2 SGG) begründet. Dies belege, dass der Gesetzgeber diese Form zwar grundsätzlich auch hierfür erlauben wollte, aber offenkundig noch keine Veranlassung gesehen habe, sie neben der Schriftform und der mündlichen Form als gleich gewichtige Form und weiteren Regelweg zu normieren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte es das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Postulat der Rechtsmittelklarheit erfordert, die elektronische Form auch in die einzelnen Bestimmungen über die formalen Anforderungen an die Einlegung der jeweiligen Rechtsbehelfe aufzunehmen, um den Rechtsuchenden den Weg zur gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung mit der gebotenen Klarheit vorzuzeichnen (BSG, a.a.O.).

Zwar vertritt die Kommentarliteratur überwiegend die Auffassung, diese Entscheidung des BSG habe sich überholt, denn mittlerweile sei die elektronische Kommunikation mit Behörden und Gerichten im Allgemeinen längst nicht mehr als außergewöhnlich zu bezeichnen und handle es sich bei der elek­tronischen Form um einen Regelweg, mit der Folge, dass ohne einen Hinweis hierauf die Wegweiserfunktion der Rechtsmittelbelehrung nicht erfüllt sei (Müller, a.a.O., § 66 Rn. 22; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2020, § 66 Rn. 10). Mit Beschluss vom 07.12.2017 (B 5 R 246/17 B, juris) hat aber das BSG in dem Umstand,
dass mittlerweile das besondere elektronische Anwaltspostfach zum Zwecke der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten eingeführt worden sei, noch kein ausreichend substantiiertes Vorbringen des dortigen Klägers im Hinblick darauf, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs in elektronischer Form zu einem weiteren Regelweg im Sinne des § 66 Absatz 1 SGG geworden sei, gesehen, aufgrund dessen trotz der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Gestalt des Urteils des BSG vom 14.03.2013 (a.a.O.) noch oder wieder Klärungsbedarf bestehen würde. Diese Entscheidung zur damaligen Rechtslage lässt durchaus Zweifel an der Auffassung der Literatur zu, wonach (jedenfalls aus Sicht des BSG) „wegen der diesbezüglichen Aktivitäten des Gesetzgebers“ (Keller, a.a.O.) und der mittlerweile zentralen Rolle des elektronischen Rechtsverkehrs inzwischen eine Belehrung über die Möglichkeit elektronischer Einlegung erforderlich sei.

Ob die zum 01.01.2018 in mehrfacher Hinsicht geänderte Rechtslage (§ 65a SGG in der Fassung vom 05.07.2017 sieht mit Wirkung ab 01.01.2018 nun bundeseinheitlich die Einreichung elektronischer Dokumente bei allen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vor; die Berufungseinlegung durch elektronisches Dokument wird zwar nicht in § 151 Abs. 1, nun aber in § 158 Satz 1 SGG genannt; an die Stelle des Begriffs „Niederschrift“ tritt nun im SGG – wie auch in den anderen Verfahrensordnungen – die Verwendung des Begriffs „Protokoll“, womit sprachlich verdeutlicht werden soll, dass „Niederschriften“ bei elektronischer Aktenführung auch in elektronischer Form erstellt werden können [vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/12203, S. 85 ff. in Verbindung mit BT-Drs. 18/9416, S. 59
]) eine abweichende Beurteilung dahingehend rechtfertigt, dass von einer zentralen Rolle des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und dem Erfordernis, in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der elektronischen Berufungseinlegung hinzuweisen, auszugehen ist (so Jung in beck-online.GROSSKOMMENTAR, GesamtHrsg: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, Stand: 01.02.2022, § 66 Rn. 18; Müller, a.a.O.) lässt der Senat dahingestellt. Denn die hier streitgegenständliche Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides genügt auch in diesem Fall den Anforderungen; sie enthält nicht nur die Belehrung über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist entsprechend den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG, sondern auch einen ausreichenden Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung mittels elektronischem Dokument.

Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält den Hinweis, dass die Klage gemäß § 65a SGG auch als elektronisches Dokument eingereicht werden kann. Zutreffend wird klargestellt, dass eine Einlegung per einfacher E-Mail nicht zulässig ist und es wird im Hinblick auf die konkrete technische Ausgestaltung der elektronischen Klageerhebung auf das Internetangebot des Ministeriums der Justiz und für Migration unter www.ejustice-bw.de verwiesen. Damit genügt die Rechtsbehelfsbelehrung der vom BSG geforderten Wegweiserfunktion; die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung wird aufgezeigt und zugleich klargestellt, dass die bloße Einlegung per E-Mail nicht genügt.
Nähere technische Ausführungen sind dagegen nicht geboten; denn es reicht aus, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG, a.a.O.). Diesbezüglich kann auf frei verfügbare Informationsangebote, wie beispielsweise die detaillierte Anleitung auf der Homepage des Ministeriums der Justiz und für Migration unter www.ejustice-bw.de, verwiesen werden (Müller, a.a.O.; Keller, a.a.O.). Es kann von den Beteiligten erwartet werden, dass sie sich selbst kundig machen, wenn sie eine derartige Übermittlungsart in Betracht ziehen (Müller, a.a.O., § 66 Rn. 22.2; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.06.2021, 18 A 4322/18, juris). Durch den Verweis auf das frei verfügbare Informationsangebot des Ministeriums der Justiz und für Migration trägt die streitgegenständliche Rechtsbehelfsbelehrung im Übrigen auch dem sogenannten Überfrachtungsverbot Rechnung (so auch Keller, a.a.O.; Müller, a.a.O.). Danach darf die Rechtsmittelbelehrung nicht so abgefasst sein, dass sie durch weitere Informationen inhaltlich überfrachtet wird und, statt Klarheit zu schaffen, wegen ihres Umfanges und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet (BSG, Beschluss vom 18.10.2007, B 3 P 24/07 B, juris). Sie soll deshalb so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Bereits die anschauliche und gut nachvollziehbare und dabei noch möglichst übersichtlich gehaltene Darstellung unter www.ejustice-bw.de kommt nicht ohne 4 Verlinkungen auf 4 weitere interne Seiten aus, die ihrerseits jeweils wieder bis zu 4 Links auf weitere interne Seiten aufweisen. Eine Darstellung über die technischen Voraussetzungen für die formgerechte elektronische Klageerhebung in der Rechtsbehelfsbelehrung würde demnach eine Vielzahl weiterer Seiten erfordern und wäre allein ihres Umfangs wegen geeignet, den weniger erfahrenen Rechtsuchenden zu verwirren oder von vornherein abzuschrecken. Eine solchermaßen überfrachtete Rechtsbehelfsbelehrung würde den mit § 66 SGG verfolgten Zweck, nämlich die Ermöglichung der fristgerechten Rechtswahrnehmung, ins Gegenteil verkehren.

Nach alledem entsprach die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2020 den Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG und war geeignet, die Monatsfrist für die Klageerhebung gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG in Gang zu setzen. Die knapp ein Jahr später erhobene Klage war damit verfristet. Gründe für die Wiedereinsetzung hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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