Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. November 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Die 1977 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern (16 und 9 Jahre alt) und bezieht Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Ihre letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist im Versicherungsverlauf für den Februar 2004 vermerkt.
Durch einen Messerangriff ihres ehemaligen Lebensgefährten am 15.09.2017 erlitt die Klägerin multiple Schnitt- und Stichverletzungen im Bereich des Gesichts und des Halses, des Thorax und der rechten Hand. Der Täter wurde am 16.04.2018 vom Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 04.02.2019 beantragte die Klägerin unter Vorlage diverser Befundberichte (u.a. Notfallschein des Universitätsklinikums M vom 15.09.2017: multiple Schnittwunden über die Folgen der obigen Tat; Arztberichte K-O-Krankenhaus vom 19.10.2017 und 30.11.2017, Diagnosen: V.a. stattgehabte Strecksehnenverletzung über dem DIP Gelenk D2 sowie der Extensor digitorum communis Sehnen über dem Handgelenk, V.a. Läsion des Ramus superficialis Astes D2 nach Messerangriff sowie Erstversorgung im Klinikum M, Vorerkrankung: Fibromyalgie; Arztbrief des G vom 17.10.2017, Diagnose: akute Belastungsreaktion) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch B. Diese führte im Gutachten vom 01.04.2019 aus, die Klägerin beklage Schmerzen des Halte- und Bewegungsapparats, zudem auch unspezifische Ängste und depressive Verstimmungen. Sie stellte die Diagnosen Angst und depressive Störung, gemischt (ICD 10 F.41.2G) sowie Fibromyalgie (ICD 10 M79.70G); Symptome, die das Ausmaß einer depressiven Störung nach ICD 10 erreichten, hätten sich nicht nachweisen lassen, ebenso keine, die die Diagnose Angststörung bedingten. Durch eine Messerattacke habe die Klägerin Verletzungen an der rechten Hand erlitten. Neurologisch bestünden aber keine Ausfälle und auch keine relevanten Paresen, die Handmuskulatur sei unauffällig. Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) lägen nicht vor. Die Klägerin schildere eine angemessene Teilhabe, sie sei in der Lage, ihren Haushalt und die Kinder zu versorgen. Eine fachärztliche psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung werde nicht in Anspruch genommen. Die Klägerin nehme auch keine Medikamente ein, allenfalls selten ein Ibuprofen. Sie gebe an, dass sie sich eigentlich für gesund erachte, außer dass die rechte Hand nicht mehr so belastbar sei und sie weiterhin an Fibromyalgie leide. Aus nervenärztlicher Sicht seien der Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung und bei Beachtung sonstiger qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar.
Mit Bescheid vom 10.04.2019 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Einschränkungen, die sich aus den bei der Klägerin vorliegenden Krankheiten und Behinderungen ergäben, nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung führten. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein.
Mit dem dagegen am 07.05.2019 erhobenen Widerspruch legte die Klägerin weitere fachärztliche Bescheinigungen des G vom 04.06.2019 und vom 22.07.2019 sowie des R vom 08.07.2019 vor. G stellte die Verdachtsdiagnose Angstdepression und führte aus, dass die Klägerin nunmehr verzweifelt sei und an Schlafstörungen, Weinneigung, Existenzangst sowie Niedergeschlagenheit leide. Wegen ihrer Gesichtsnarben könne sie sich nirgendwo mehr vorstellen und sehen lassen. Sie sei voller Angst, zumal wenn der Täter aus dem Gefängnis entlassen werde. R beschrieb eine psychiatrisch-psychotherapeutische Mitversorgung und diagnostizierte als weitere Gesundheitsstörungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sowie Hashimoto-Thyreoiditis.
Gestützt auf die sozialmedizinische Stellungnahme der H vom 16.08.2019 (Klägerin nur gering psychiatrisch beeinträchtigt) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2019 zurück.
Am 24.09.2019 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben mit der Begründung, sie habe schwerwiegende gesundheitliche, insbesondere psychische Beschwerden. Sie leide an Depressionen und könne nachts nicht schlafen. Außerdem sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. G hat unter dem 19.11.2019 mitgeteilt, die Klägerin leide unter einer PTBS und hat zum Behandlungsverlauf seit der Gewalteinwirkung weitere Unterlagen, unter anderem Befundberichte der Traumaambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums E vom 15.11.2017, 03.01.2018 und 25.06.2018 über durchgeführte probatorische Sitzungen (Diagnosen: PTBS ICD 10 F 43.1, V.a. akzentuierte Persönlichkeitsanteile, anamnestisch ADHS in der Kindheit) vorgelegt. R hat unter dem 26.11.2019 angegeben, bei der Klägerin bestehe internistisch eine Schilddrüsenunterfunktion, die medikamentös substituiert werde. Zudem bestünden seit dem tätlichen Angriff entstellende Hautnarben, ferner habe die Klägerin durch den Angriff mehrere Verletzungen der linken Hand im Sinne von Sehnen- und Nervenverletzungen, worauf sie eine deutlich reaktive Depression erlitten habe. Die Behandlung habe im September 2019 geendet, nachdem die Klägerin von Stuttgart weggezogen sei.
Die Beklagte ist der Klage unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des V und des W vom 23.12.2019 entgegengetreten. Es ergäben sich unter Würdigung der Zeugenangaben und der Befundberichte keine neuen leistungsrelevanten medizinischen Aspekte.
Unter dem 18.05.2020 hat das SG F mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Eine Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung ist nicht zustande gekommen. F hat unter dem 06.07.2021 mitgeteilt, dass die Klägerin auch den zweiten anberaumten Untersuchungstermin nicht wahrgenommen habe. Bei ihrem ersten Termin am 08.12.2020 habe sie telefonisch mitgeteilt, dass sie wegen Brechdurchfall zum Hausarzt müsse und daher den Termin nicht wahrnehmen könne. Am Morgen des zweiten Termins am 05.07.2021 habe sie angerufen und mitgeteilt, dass sie erneut krank sei. Sie habe wieder Brechdurchfall, habe Fieber. Ferner sei sie an Ostern an „Corona" erkrankt gewesen. Sie habe keinen PCR-Test gemacht und werde auch keinen machen, denn sie „lasse [sich] nichts in die Nase stecken". Sie habe eine Kieferoperation gehabt und immer noch Schmerzen. Einen Corona-Antigentest habe sie aufgrund ihrer Erkrankung noch nicht durchführen lassen können. Nach anderthalb Stunden habe sie sich erneut gemeldet und mitgeteilt, dass sie notfalls auch krank ohne gültigen Test mit Mundschutz in die Praxis komme. Den neuen Termin möge man ihr möglichst in den Sommerferien anbieten, denn sie habe eine schulpflichtige Tochter, die alle Krankheiten mit nach Hause bringe, diese sei sehr oft krank und stecke sie ständig an. Sie habe Schmerzen in sämtlichen Gliedern und vermute, dass sie Multiple Sklerose habe, sie gehe aber nicht mit Mundschutz „in die Röhre". Sie habe aufgewühlt, aufgebracht und weinerlich gewirkt. Unter dem 13.07.2021 hat das SG den Sachverständigen von dem Gutachtensauftrag entbunden.
Mit Urteil vom 16.11.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei noch weiterhin in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (Einschränkungen für Tätigkeiten mit Gebrauchsfähigkeit der Hände, häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Gang- und Standsicherheit sowie Tätigkeiten in Zwangshaltungen, Tätigkeiten mit besonderen Einflüssen von Nässe, Zugluft, extrem schwankenden Temperaturen, inhalative Belastungen, Allergene, Lärm, Erschütterungen, Vibrationen, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr sowie häufig wechselnden Arbeitszeiten) sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Das Gericht stütze sich insbesondere auf das im Rentenverfahren eingeholte Gutachten der B. B habe schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin wegen ihrer Beschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet nicht erwerbsgemindert sei. Die Gutachterin habe als Gesundheitsstörungen Angst und depressive Störung, gemischt sowie Fibromyalgie erhoben. Symptome, die das Ausmaß einer depressiven Störung erreichten, hätten sich während der Begutachtung nicht nachweisen lassen, ebenso wenig solche, die die Diagnose Angststörung bedingten. Durch die Messerattacke habe die Klägerin unter anderem Verletzungen an der rechten Hand erlitten, neurologisch bestünden hier weder Ausfälle noch Paresen, die Handmuskulatur sei unauffällig gewesen. Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung habe die Gutachterin nicht feststellen können. Die Klägerin habe gegenüber B eine angemessene Teilhabe geschildert, sie führe ihren Haushalt und versorge die beiden Kinder. Eine fachärztliche psychiatrische Behandlung werde derzeit ebenso wenig in Anspruch genommen wie eine psychotherapeutische Behandlung. Eine Traumatherapie habe sie von sich aus bewältigt und gegenüber der Gutachterin angegeben, dass sie den erlittenen Messerangriff („das") bewältigt habe. Sie habe angegeben, keine Medikamente einzunehmen, allenfalls selten Ibuprofen. Nach eigenen Angaben erachte sich die Klägerin selbst als gesund und habe angegeben, selbst keine relevanten Beeinträchtigungen zu erleben. Lediglich die rechte Hand sei nicht mehr so belastbar wie vor dem Angriff. Zudem leide sie an Fibromyalgie. Das Gericht könne sich der Einschätzung des G sowie des R nicht anschließen. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen bedingten lediglich die aufgeführten qualitativen Einschränkungen, keine quantitativen. Dies decke sich mit der Bewertung des beruflichen Leistungsvermögens durch H und V in deren Stellungnahmen vom 16.08.2019 bzw. vom 23.12.2019. Gesundheitsstörungen auf anderen Fachgebieten mit rentenrechtlicher Relevanz seien nicht ersichtlich. Zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen habe sich das Gericht nicht gedrängt fühlen müssen. Insbesondere sei es nicht gehalten, die Klägerin nervenärztlich begutachten zu lassen. Es könne dahingestellt bleiben, ob in dem von F unter dem 06.07.2021 geschilderten Verhalten der Klägerin bereits die Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit zu sehen sei. Denn nach nochmaliger Prüfung sei das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegenden Auskünfte, Befunde und Stellungnahmen sowie das Gutachten der B im Rentenverfahren als Entscheidungsgrundlage ausreichend seien.
Gegen das ihrem früheren Prozessbevollmächtigten am 22.11.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.11.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen-neurologischen Gutachtens bei B1, M. Dieser hat im Gutachten vom 08.04.2022 berichtet, nach mehrstündigem gutachterlichen Untersuchungsgang, währenddessen die Klägerin lebendigst im Gespräch und Redefluss samt lebendiger Begleitgestik Angaben gemacht habe, habe sie sich wirklich munter verabschiedet, ohne auch jetzt Erschöpfung oder Ermüdung zu zeigen (wobei ein dichter Untersuchungsgang doch zwangsläufig für jeden Probanden eine überdurchschnittliche Anstrengung darstelle), während der Referent selbst hingegen fast ein wenig „erschlagen" gewesen sei angesichts des skizzierten Kommunikationsmusters. Auch Gedächtnis und Aufmerksamkeit der Klägerin seien im mehrstündigen Untersuchungsgang bis zuletzt ungestört gewesen, es hätten sich keine Hinweise für eine hirnorganische Leistungsstörung ergeben, ebenso kein Anhalt für anders begründete kognitive Störungen. Die Klägerin habe angegeben, sie sei psychisch gesund, habe „keinen weg“ aufgrund des Ereignisses von 2017. Auch dieses Thema habe sie bei (zu allem gerne lebendigsten Schilderungen) genauso wenig gemieden, sondern ebenfalls ausführlich angesprochen und noch einmal geschildert. Auch insoweit sei die affektive wie inhaltliche Auslenkbarkeit lebendigst erhalten gewesen - und die Klägerin keineswegs in diesem Kontext etwa psychisch „alteriert". Insofern sei mit dem Ereignis von 2017 sicher keine posttraumatische Belastungsstörung abzubilden. Die Klägerin habe angegeben, aufgrund dieses Ereignisses immer noch Schmerzen im ganzen Kiefer zu haben. Bei geschilderter Messerverletzung im Bereich der rechten Hand und damals erfolgten Sehnennähten sei die Fingerstreckung regelgerecht, auch der Faustschluss durchaus kräftig möglich, dabei verbleibe nur für den Zeigefinger ein Kuppen-Hohlhandabstand von 3 Millimeter, der mit der stattgehabten Sehnen-OP begründet sei. Es bestehe keine neurogene Parese, auch keine erkennbare Einschränkung der Feingeschicklichkeit. Die gesamten Angaben der Klägerin ließen nicht auf (sei es körperlich, sei es psychisch begründete) Funktionsstörungen schließen, die überdauernde, etwa quantitative Leistungseinschränkungen irgendwie plausibel machen würden. Insgesamt ergebe sich auch ein deutliches Missverhältnis aus etwa den Rentenantrag begründenden Beschwerden (sei es zunächst einmal subjektiv psychisch, sei es körperlich erklärt) und nicht korrespondierender Behandlung. So wie auch in der Zusammenschau ein Missverhältnis zwischen reklamierten Beschwerden und nicht erkennbarem Interesse an Abklärung aufgefallen sei.
B1 hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Latentes oder blandes unbehandeltes Karpaltunnelsyndrom beidseits, seit Messerattacke 2017 angegebene Sensibilitätsstörungen im Bereich der rechten Hand, sicherlich keine weiterreichende Funktionsstörungen begründend; die angesichts akzentuiertem Kommunikationsmuster nur begrenzt verbindlich eingrenzbare sensible Störung gehe auch nicht mit motorischen Ausfällen einher; auch die ganz diskrete orthopädisch (Zustand nach Sehnennaht) zu beurteilende Bewegungseinschränkung sei funktionell kompensiert und kaum relevant. Dieser Part der Beschwerden sei im orthopädischen Fachgebiet zu beurteilen, werde zweifellos aber auch dort keine weiterreichenden, geschweige denn quantitativen Leistungseinschränkungen begründen.
2. Schmerzhaft angegebene Schultergelenksaffektion rechts beziehungsweise Schulter-Arm-Beschwerden rechts, auch mit beklagten Daumengelenksbeschwerden rechts bei (auch hier) über die Exploration angesichts akzentuiertem Kommunikationsmuster nur begrenzt verbindlich eingrenzbarem Beschwerdebild wohl im Wesentlichen erst seit Weihnachten 2021 bestehend, aber auch dort sicherlich keine überdauernden und insbesondere etwa quantitativen Leistungseinschränkungen begründend.
3. Adipositas (115 kg bei 163 Zentimeter Köpergröße).
4. Vielschichtige von jeher vorbestehende Persönlichkeitsakzentuierungen: rezidivierende "Schwächeschübe", orientiert an berichteter "Semiologie" und auch auslösenden Situationen als funktionelle Störung zu bewerten nach Art von Panikattacken ohne nähere Abklärung, kein richtungsweisendes Vermeidungsverhalten begründend, sicherlich keine quantitativen Leistungseinschränkungen begründend. Ferner als Fibromyalgie reklamierte Schmerzen allseits im Bereich des Bewegungsapparats, nervenärztlich zu fassen als somatoforme Schmerzstörung mit deutlich konversionsneurotischer Färbung, auch unbehandelt keine Funktionsstörungen begründend, die etwa bereits weiterreichende, geschweige denn quantitative Leistungseinschränkungen herleiten ließen. Die psychischen Störungen begründeten allerdings qualitative Einschränkungen, die zu bessern seien, wenn adäquate Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere eine adäquate ambulante Psychotherapie wahrgenommen würden.
Aus nervenärztlicher Sicht seien körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten möglich, dabei nur zu ebener Erde, nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen; ohne besonderen Zeitdruck, ohne regelmäßige nervöse Anspannung, insbesondere aber auch ohne besondere Anforderung an die Konfliktfähigkeit, ohne fordernde soziale Interaktionen, auch ohne andere Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht, nicht im direkten Publikumsverkehr. Mit qualitativen Leistungseinschränkungen, die sicher noch zu bessern seien, wenn adäquate Behandlungen, insbesondere eine konsequente ambulante Psychotherapie in Anspruch genommen würden, bestehe aus nervenärztlicher Sicht ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Betriebsunübliche Pausen seien nervenärztlich nicht zu fordern, auch nicht zusätzlich besondere Arbeitsbedingungen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. November 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. August 2019 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2019 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes mit dem Vorsitzenden am 17.05.2022 ist die Klägerin unentschuldigt nicht erschienen und hat sich auch im Nachgang nicht mehr geäußert.
Im Termin, dessen Niederschrift der Klägerin am 22.06.2022 zugestellt worden ist, sind die Beteiligten auf die beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Auch hierauf ist keine Reaktion seitens der Klägerin erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG vom 16.11.2021 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.08.2019 sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für eine Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]) dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich für zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe im Wesentlichen ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen durch den Senat haben das bisherige Beweisergebnis bestätigt. B1 hat im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 08.04.2022 – wie zuvor im Verwaltungsverfahren B in ihrem psychiatrischen Gutachten, welches urkundsbeweislich verwertet wird – aufgrund gründlicher Untersuchung und Befunderhebung schlüssig begründet die Auffassung geteilt, dass bei der Klägerin bei Beachtung qualitativer, bei adäquater Behandlung zudem verbesserbarer Einschränkungen auf nervenärztlichem Gebiet ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten besteht. Diese Einschätzung ist überzeugend angesichts der vom Gutachter gestellten, eher leichtgradigen Diagnosen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet (vielschichtige von jeher vorbestehende Persönlichkeitsakzentuierungen, kein richtungweisendes Vermeidungsverhalten im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung begründend, als Fibromyalgie reklamierte Schmerzen allseits im Bereich des Bewegungsapparats, nervenärztlich zu fassen als somatoforme Schmerzstörung mit deutlich konversionsneurotischer Färbung, ebenso wie die anderen Diagnosen auch unbehandelt keine Paresen oder sonstige Funktionsstörungen begründend). Für rentenrelevante funktionelle Einschränkungen auf anderen medizinischen Fachgebieten ist ebenfalls nichts ersichtlich.
Zu weiteren Ermittlungen sah sich der Senat vor diesem Hintergrund nicht veranlasst. Zwar ist der Senat der Auffassung, dass eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung bereits dann auf eine psychiatrische Erkrankung gestützt werden kann, solange nicht alle zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten versucht bzw. wie vorliegend noch nicht ausgeschöpft worden sind. Die Frage der Behandelbarkeit einer psychischen Erkrankung ist zur Überzeugung des Senats für die Frage, ob eine quantitative Leistungsreduzierung tatsächlich vorliegt, nicht maßgeblich, sondern allein für die Befristung und Dauer einer Rente von Bedeutung (Senatsurteil vom 23.06.2020 - L 9 R 1194/19 -, Juris). Allerdings liegen bei der Klägerin, die sich - wie B1 in der Anamnese erhoben hat - offenbar aktuell in keiner fachpsychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychopharmakologischen Behandlung befindet, bereits unbehandelt keine Befunde mit Krankheitswert vor, die funktionelle rentenrelevante Leistungseinschränkungen begründen könnten. Ebenso bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer spezifischen Leistungseinschränkung oder der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die der Ausführung jedenfalls leichter Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegenstehen könnten.
Anderes folgt auch nicht aus der Feststellung einer Schwerbehinderung bei der Klägerin. Denn die Beurteilung des Grads der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht hat für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung, da sich die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grads der Behinderung maßgeblich von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung unterscheiden (vgl. BSG, Beschluss vom 10.07.2018 - B 13 R 64/18 B -, Juris; ebenso zur Feststellung des Pflegegrads, Senatsurteil vom 21.09.2021 - L 9 R 3676/20 -, n.v.).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 3081/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3673/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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