L 10 U 360/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 2980/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 360/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.12.2020 (S 13 U 2980/17) und der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 das Ereignis vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger für die Zeit vom 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 Verletztengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten Rechtszug zu einem Fünftel und im zweiten Rechtszug zu einem Viertel zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht im Wege des sog. Zugunstenverfahrens die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Verletztengeld im Streit.

Der 1958 geborene Kläger übte eine Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter aus, vertrieb in dieser Eigenschaft Luftbildaufnahmen und besuchte dabei - im Sinne einer „Kaltakquise“ - täglich ca. 30 bis 40 potenzielle Kunden, die er mit dem Pkw aufsuchte. Bei entsprechendem Interesse der Kunden holte er aus seinem Pkw einen - seinen eigenen Angaben nach - mindestens 20 kg wiegenden Musterkoffer, in dem sich verschiedene Bilder (ca. zehn Stück) in unterschiedlichen Größen (größtes Bild ca. 50 x 70 cm) sowie seine Auftragsmappe befanden. Zudem vermittelte er Solar-/Photovoltaikanlagen sowie Dach-/Fassadensanierungen und musste in diesem Zusammenhang - ebenfalls seinen eigenen Angaben nach - gelegentlich auf Leitern steigen, um zu prüfen, inwieweit die Dachziegel für eine entsprechende Sanierung geeignet waren. Ein Betreten des Daches war hierbei nicht erforderlich (s. Bl. 69 VA). Von 1996 bis zur Beendigung der freiwilligen Versicherung durch die Beklagte zum 01.07.2013 (Bescheid vom 14.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2013, welcher nach Rücknahme der Berufung im Verfahren L 9 U 2583/17 durch den Kläger bestandskräftig wurde, s. beigezogene LSG-Akte zum Verfahren L 9 U 2583/17) - und somit auch zum Zeitpunkt des vorliegend angeschuldigten Ereignisses - war er mit der Höchstversicherungssumme freiwillig bei der Beklagten versichert. In diesem Zeitraum meldete er bei der Beklagten 106 Arbeitsunfälle (s. Schriftsatz der Beklagten vom 25.03.2021) und bezog Verletztengeld in Höhe von über 390.000 €. Der Kläger ist im Übrigen bei der Techniker Krankenkasse mit Anspruch auf Krankengeld krankenversichert (s. Bl. 46 VA zum Unfall vom 27.12.2012).


Am 22.06.2013 stürzte der Kläger gegen 15.30 Uhr, als er nach dem Eingangskundengespräch mit dem Zeugen K (im Folgenden: der Zeuge) in der F Str.  in E beim Holen des Musterkoffers über eine Hausfassadeneinfassung stolperte und bei nach vorne ausgetrecktem Arm auf die rechte Seite fiel (s. Unfallanzeige, Bl. 37/RS VA; Angaben beim Durchgangsarzt - F1, Bl. 35 VA; Angaben des Zeugen Bl. 72 f. VA).

Er stellte sich anschließend gegen 16.20 Uhr in der Chirurgischen Ambulanz - DKB - in D bei dem F1 vor (Bl. 35 VA). F1 beschrieb folgenden Befund: Schmerzhaftigkeit im Ellenbogengelenk rechts, Gelenk passiv und aktiv frei beweglich, leichte Druckschmerzen über dem Spondylus humeri radialis, periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität intakt, leichte Schwellung über Ellenbogengelenk lateral; Schmerzhaftigkeit im rechten Schultergelenk, Gelenk passiv und aktiv frei beweglich, leichte Druckschmerzen über Humeruskopf, keine Druckschmerzen über Acromioclaviculargelenk, Nackengriff nicht möglich, Schürzengriff nicht möglich, in Ruhe keine Schmerzen, Schmerzen bei Überkopfarbeiten. Die gefertigten Röntgenaufnahmen ergaben im Bereich der rechten Schulter keine knöcherne Verletzung bei regelrechter Artikulation und auch im Bereich des rechten Ellbogen keine Fraktur und keine Luxation. F1 diagnostizierte eine Prellung der rechten Schulter und des rechten Oberarms, eine Prellung des rechten Ellenbogens sowie den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts, legte einen Salbenverband an, analgesierte und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis zum 26.06.2013 (Bl. 89 VA).

Am 24.06.2013 stellte sich der Kläger zur Nachuntersuchung bei dem S in W vor (Bl. 33 VA). S beschrieb folgenden Befund: schmerzhafte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, Abduktion über 90° schmerzhaft, Druckschmerz über dem AC-Gelenk, Innen- und Außenrotation gering schmerzhaft, ausgeprägter Druckschmerz über dem Epicondylus radialis mit endgradig schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit, Rotation gegen Widerstand gering schmerzhaft, schmerzhafte Extension des Mittelfingers gegen Widerstand, periphere Durchblutung und Sensibilität unauffällig, Olecranonspitze und Radiusköpfchen frei. Die durchgeführte Sonographie ergab eine intakte Rotatorenmanschette. Bizepssehne, Bursa subacromialis und AC-Gelenk zeigten sich unauffällig. S nahm eine lokale Infiltration mit Prednisolon/Carbostesin 1ml/1ml vor, legte einen Kompressionsstützverband an, verordnete 600 mg Ibuprofen, wies den Kläger in die eigenständige Übungsbehandlung ein und nahm eine Arbeitsunfähigkeit bis (voraussichtlich) 30.06.2013 an.

Am 25.06.2013 stellte sich der Kläger wegen fortbestehender Schmerzen und wegen Hypästhesien der Finger vier und fünf rechts im C-Krankenhaus M vor (Bl. 71 VA). Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung fand sich weder ein Erguss noch ein klinischer Hinweis auf einen Infekt bei Zustand nach Injektion. Es wurde eine Ellenbogenprellung rechts diagnostiziert und eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 08.07.2013 angenommen.

Auf Veranlassung der Beklagten stellte sich der Kläger sodann am 01.07.2013 in Anwesenheit des Reha-Managers B in der B1klinik L (BGU) bei G vor (Bl. 76 ff. VA). Im Rahmen des stattgefundenen Gesprächs ergänzte der Kläger seine Unfallschilderung dahingehend, dass er auf den gestreckten Arm gefallen sei. Außerdem räumte er ein, bereits am 26.06.2013 - der Reha-Manager versuchte an diesem Tage den Kläger erfolglos sowohl telefonisch als auch persönlich zu Hause zu erreichen (s. Bl. 63 VA) - für „verschiedene Fahrten“ bereits wieder selbstständig mit dem Pkw gefahren zu sein (Bl. 70 VA).

Im Rahmen der Untersuchung klagte der Kläger über Schmerzen im Bereich der Schulter und bei Belastung im Bereich des Ellenbogengelenkes. Die grob neurologische Untersuchung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität ergab keinen pathologischen Befund. Die Schulterbeweglichkeit war aktiv als auch passiv bis 110° möglich, anschließend reglementierte der Kläger wegen angegebener Schmerzen die weitere Beweglichkeit. Es kam indes zu keiner mechanischen Blockierung. Die Abduktion stelle sich ebenfalls bis 100° demonstrierbar dar, eine weitere Steigerung war wiederum im Hinblick auf die angegebenen Schmerzen nicht möglich. Sowohl der Schürzen- als auch der Nackengriff war - wenn auch verlangsamt - möglich. Es zeigte sich ein Schulterhochstand, klinisch jedoch keine Anzeichen einer Schulterluxation. Im Bereich des rechten Ellenbogengelenks ergab sich eine freie Beweglichkeit in Beugung, Streckung als auch in der Rotation des Unterarms in Pro-/Supination. Der Faustschluss war beidseits möglich. Die unterschiedlichen Griffvarianten, wie der Fein-, der Grob- und der Pinzettengriff, waren demonstrierbar. Es wurde eine Schulterprellung rechts diagnostiziert und zum Ausschluss unfallbedingter Verletzungen im Bereich der rechten Schulter eine MRT-Diagnostik empfohlen. Sollte sich hier keine Unfallfolge zeigen, empfahl G das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren spätestens dann abzuschließen.

Am 03.07.2013 wurde eine MRT der rechten Schulter durchgeführt (Befund: keine frischen posttraumatischen Veränderungen, mäßige AC-Gelenksarthrose mit Reizzustand im Gelenk und unter dem Gelenk entlang der Supraspinatussehne, Supraspinatussehne v.a. am Ansatz deutlich signalverändert und aufgetrieben, DD: Degeneration, keine größere Lücke oder Ruptur, Subscapularissehne und Infraspinatussehne intakt, Bizepssehne intakt und in Loco typico, kein relevanter Reizzustand, keine knorpelige oder knöcherne Bankart-Läsion, keine Frakturzeichen, kein Gelenkerguss, Bl. 100 VA).

Mit Bescheid vom 12.07.2013 lehnte die Beklagte (u.a.) die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall ab, da ein durch den Sturz verursachter Gesundheitserstschaden nicht im Vollbeweis habe gesichert werden können. Zwar sei im Rahmen der am Unfalltag bei F1 erfolgten Vorstellung eine Prellung der Schulter und des Oberarmes rechts, eine Prellung des Ellenbogens rechts sowie der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts diagnostiziert worden, im Rahmen der klinischen und röntgenologischen Untersuchung habe allerdings weder eine Prellmarke noch ein entsprechender Erguss bzw. eine knöcherne Verletzung festgestellt werden können. Auch sei der MRT-Befund vom 03.07.2013 in diesem Zusammenhang unauffällig gewesen. Bei der durchgeführten Funktionsprüfung des rechten Ellenbogen- und Schultergelenks habe sich sowohl passiv als auch aktiv eine freie Beweglichkeit gezeigt. Außer einer subjektiven Schmerzangabe und dadurch vorgetragener Bewegungseinschränkung hätten objektiv keinerlei unfallbedingte Gesundheitsschäden erhoben werden können. Ohnehin sei unter Berücksichtigung der Sturzschilderung eine Prellung des Ellenbogens sehr unwahrscheinlich. Außerdem sei nicht glaubhaft, dass beim Kläger wegen der geklagten Ellenbogen- und Schulterverletzung tatsächlich Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Ein Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit habe lediglich die Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die in die Beweiswürdigung mit einfließe. Die im Rahmen der am 01.07.2013 in der BGU erhobenen geringfügigen schmerzbedingten Einschränkungen der Beweglichkeit des rechten Ellenbogen- bzw. Schultergelenkes rechtfertigten in keiner Weise die Anerkennung einer Arbeitsunfähigkeit für die Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter. Auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Beschwerdesymptomatik sei das Führen eines Kfz aus medizinischer Sicht möglich gewesen, was der Kläger selbst eingeräumt habe. Auf Grund seiner eigenen Tätigkeitsbeschreibung sei nicht ersichtlich, dass er an der weiteren Ausübung der versicherten Tätigkeit maßgeblich gehindert gewesen sei und eine Arbeitsunfähigkeit objektiv bestanden habe. Deswegen sei namentlich auch die Gewährung von Verletztengeld abzulehnen, selbst wenn von einem Arbeitsunfall auszugehen sei. Den Widerspruch des Klägers, mit dem er die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Entschädigungsleistungen für die Zeit vom 22.06. bis 08.07.2013 begehrte (Bl. 105 VA), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2013 als unbegründet zurück.

Die hiergegen - in der Hauptsache allein - auf Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 22.06. bis 08.07.2013 gerichtete Klage wies das Sozialgericht Heilbronn (SG) mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2016 (S 13 U 3177/13) ab. Sie sei bereits unzulässig, da die Beklagte keine Entscheidung über die (Nicht-)Gewährung von Verletztengeld getroffen habe. Im anschließenden Berufungsverfahren beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 6 U 3102/16) schlossen die Beteiligten am 26.04.2017 zur Erledigung (u.a.) des Rechtsstreits L 6 U 3102/16 einen gerichtlichen Vergleich, mit dem sich die Beklagte verpflichtete („wird“), auf den (am selben Tag gestellten) Überprüfungsantrag des Klägers ihre Entscheidung über den Arbeitsunfall (u.a.) am 22.06.2013 nochmals zu überprüfen und hierüber eine rechtsmittelfähige Entscheidung im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu treffen, wobei sich die Beteiligten darüber einig waren, „dass Leistungsansprüche auch seit 2013 weiterhin Gegenstand der Überprüfungsbescheide sein können“.

Mit Bescheid vom 30.05.2017 lehnte die Beklagte sodann die Rücknahme des Bescheides vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20.08.2013 nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ab. Eine Überprüfung des Sachverhaltes habe ergeben, dass bei Erlass des Bescheides vom 12.07.2013 das Recht nicht unrichtig angewandt worden und namentlich die Gewährung von Verletztengeld weiter abzulehnen sei. Im Rahmen der klinischen und röntgenologischen Untersuchungen durch die aufgesuchten Ärzte hätten weder eine entsprechende Prellmarke bzw. ein Erguss, noch knöcherne Verletzungen festgestellt werden können. Auch sei der MRT-Befund vom 03.07.2013 sowie die entsprechenden Funktionsprüfungen unauffällig gewesen. Ein Körperschaden als zwingendes Tatbestandsmerkmal für die Anerkennung als Arbeitsunfall habe auch nach nochmaliger Überprüfung der Unterlagen nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad nachgewiesen werden können. Auch hätten sich weiterhin keinerlei Hinweise ergeben, anhand derer sich eine Arbeitsunfähigkeit habe objektivieren lassen.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2017 als unbegründet zurück. Hierin wies sie (u.a.) darauf hin, dass der Kläger seit 27.02.1996 bei ihr als Handelsvertreter mit der Höchstversicherungssumme freiwillig versichert sei. Seit dem Beginn der freiwilligen Versicherung habe er bereits über 100 Unfälle als zu entschädigende Versicherungsfälle angezeigt, die sich - den Meldungen entsprechend - alle auf dem Weg von und zu Hausbesuchen im Rahmen seiner Tätigkeit als Handelsvertreter zugetragen haben sollen und als Unfallhergang stets ein Ausrutschen, ein Sturz oder ein Umknicken mit dem rechten oberen Sprunggelenk angegeben worden sei. Zur Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit wegen der gemeldeten Ereignisse habe er sich bei 43 verschiedenen Durchgangsärzten in einem Umkreis bis zu 100 km von seinem Wohnort vorgestellt. Die durchschnittliche Dauer der attestierten Arbeitsunfähigkeit habe 20 Tage betragen. Im Übrigen habe die Überprüfung des Bescheides vom 12.07.2013 nach § 44 SGB X ergeben, dass weder das Unfallereignis noch ein entsprechender Körperschaden bzw. eine objektivierbare Arbeitsunfähigkeit im erforderlichen Beweisgrad nachzuweisen seien, weshalb weder ein Arbeitsunfall anzuerkennen noch Verletztengeld zu zahlen sei. 

Hiergegen hat der Kläger am 18.09.2017 Klage beim SG erhoben und geltend gemacht, dass er am 22.06.2013 gestürzt sei, was der Zeuge bestätigt habe. Es sei nicht zutreffend, dass im Anschluss an den Sturz keine Verletzung habe festgestellt werden können. Er habe wegen der durch den Sturz hervorgerufenen Schwellung von S in W eine Spritze bekommen. Auch sei seine auf dem Unfall basierende Arbeitsunfähigkeit vollumfänglich durchgangsärztlich durch F1, S und die Ärzte des C-Krankenhauses M festgestellt worden. Die Beklagte hat auf ihren bisherigen Vortrag und auf einen Eilbeschluss des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 18.12.2012 (L 2 U 4462/12 ER-B), in dem die Auszahlung von Verletztengeld nach einem vom Kläger geltend gemachten (anderen) Arbeitsunfall streitig war, verwiesen. Der 2. Senat führte im genannten Beschluss u.a. aus, dass er „angesichts der - im echten Wortsinne - unglaublichen Anzahl von Arbeitsunfällen des Antragstellers ganz grundsätzlich davon überzeugt sei, dass hier schlicht etwas nicht stimmen könne.“ Angesichts der großen Zahl von Arbeitsunfällen liege die Vermutung auf der Hand, dass es sich um ein „Geschäftsmodell der besonderen Art“ handele, in welchem regelmäßig über Jahre Einnahmen aus Verletztengeld erzielt werden sollten. 

Mit Urteil vom 15.12.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zwar stehe zur Überzeugung des Gerichts insbesondere durch die Bestätigung des Zeugen fest, dass der Kläger im Rahmen einer versicherten Tätigkeit gestürzt sei. Es fehle jedoch am Vollbeweis dafür, dass er hierdurch einen Gesundheitserstschaden erlitten habe. Auf Grund der Umstände, auf die bereits der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 18.12.2012 hingewiesen habe, sei eine besonders sorgfältige Prüfung angezeigt gewesen und es hätten nicht bloß gestellte Diagnosen übernommen werden können, sofern sich diese nicht auf objektive Befunde stützen ließen. Die Diagnosen im D-Arzt-Bericht vom 22.06.2013 seien offensichtlich gestützt auf die Angaben des Klägers zum Unfallhergang und dessen Schmerzangaben gestellt worden, während die objektivierbaren Befunde im Wesentlichen unauffällig gewesen seien. Auch ließen sich weder dem Nachschaubericht vom 24.06.2013, dem Befundbericht vom 25.06.2013, dem Befundbericht vom 01.07.2013 und auch nicht dem MRT-Bericht vom 03.07.2013 Befunde entnehmen, anhand derer ein kausaler Gesundheitserstschaden im Vollbeweis festgestellt werden könne. Die angegebenen Schmerzen stellten, selbst wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, keinen Gesundheitserstschaden dar (Hinweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.2013, L 6 U 2874/12, in juris). Auch bestehe kein Anspruch auf Verletztengeld, da die objektiven aktenkundigen Befunde nicht die Annahme von Arbeitsunfähigkeit für die Tätigkeit als Handelsvertreter rechtfertigten. Insofern sei darauf zu verweisen, dass der Kläger selbst eingeräumt habe, bereits am 26.06.2013 verschiedene Pkw-Fahrten im näheren Umkreis wieder selbstständig habe durchführen können. Da die Arbeitsunfähigkeit ein Rechtsbegriff sei, sei die Beklagte auch nicht an die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch die behandelnden Ärzte gebunden. Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs könne offenbleiben, ob die Klage insoweit schon unzulässig sei, denn jedenfalls bestehe ein derartiger Anspruch mangels Arbeitsunfalls und entsprechendem Verletztengeldanspruch nicht.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 11.01.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.01.2021 Berufung eingelegt und geltend gemacht, dass das SG rechtsfehlerhaft einen berufsbedingten Gesundheitsschaden verneint habe. Einen entsprechenden Vollbeweis habe der Kläger erbracht. Der F1 habe bereits am 22.06.2013 eine Schwellung über dem rechten Ellenbogengelenk lateral sowie Druckschmerzen über dem Spondylus humeri radialis und über dem Humeruskopf festgestellt. Auch sei der Kläger in seiner Beweglichkeit eingeschränkt und der Nacken- sowie Schürzengriff sei nicht möglich gewesen. S habe die Erstdiagnose des F1 - Prellung der rechten Schulter und des rechten Oberarmes bei Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts - bestätigt und die Arbeitsunfähigkeit bis 30.06.2013 verlängert. Auch die BGU habe eine Schulterprellung rechts diagnostiziert. Diese ärztlichen Feststellungen genügten, um den Vollbeweis zu führen, dass er am 22.06.2013 einen berufsbedingten Gesundheitsschaden erlitten habe. Dass die später durchgeführte MRT-Untersuchung keinen Hinweis auf gesundheitliche Störungen ergeben habe, ändere hieran nichts, da Prellungen durch eine MRT-Untersuchung nicht diagnostiziert werden könnten. Wolle man die vorliegenden ärztlichen Atteste anzweifeln, müsse man deren Beweiswirkung entkräften, was jedoch nur durch einen entsprechenden sachkompetenten Sachverständigen erfolgen könne und nicht durch das über keinerlei medizinische Sachkunde verfügende Gericht.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.12.2020 abzuändern und den Bescheid vom 30.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 zurückzunehmen und das Ereignis vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie ihm für die Zeit vom 22.06.2013 bis einschließlich 08.07.2013 Verletztengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei nicht nur das angeschuldigte Ereignis vom 22.06.2013 zu berücksichtigen, sondern auch der Umstand, dass der Kläger seit 1996 zwischenzeitlich 106 Arbeitsunfälle gemeldet habe. Insofern werde auf die Ausführungen des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 18.12.2012 (L 2 U 4462/12 ER-B) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Prozessakten der Verfahren S 13 U 3177/13, L 6 U 3102/16 und L 9 U 2583/17 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs.1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig und teilweise begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 30.05.2017 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 26.04.2017 - entsprechend dem gerichtlichen Vergleich vom selben Tage im Verfahren L 6 U 3102/16 - auf Überprüfung des Bescheids vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 nach § 44 SGB X hinsichtlich der dort abgelehnten Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall sowie der dortigen Ablehnung der Gewährung von Verletztengeld, ablehnte. Beides, namentlich auch die Ablehnung von Verletztengeld (bereits dem Grunde nach) war Regelungsgegenstand des Ursprungsbescheids vom 12.07.2013, wovon die Beteiligten zu Recht im Rahmen ihres im Verfahren L 6 U 3102/16 geschlossenen Vergleichs ausgingen. Denn die Beklagte lehnte - entgegen der Auffassung des SG im Gerichtsbescheid vom 29.06.2016 (S 13 U 3177/13) - im Bescheid vom 12.07.2013 konkret die Gewährung von Verletztengeld und nicht nur pauschal Entschädigungsleistungen ab. Zwar geschah dies nicht bereits ausdrücklich im Verfügungssatz dieses Bescheides, da sie darin lediglich die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall ausdrücklich ablehnte und im Übrigen allgemein und pauschal einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verneinte. Im Rahmen der Begründung des Bescheides prüfte sie jedoch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verletztengeld, lehnte diesen ausdrücklich ab und konkretisierte damit auch die im Verfügungssatz ausgesprochene allgemeine Leistungsablehnung i.S. einer entsprechenden regelnden Entscheidung.

Unter Zugrundelegung dessen hätte das SG die zulässige und als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 SGG) statthafte (vgl. dazu Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 20.01.2021, B 13 R 13/19 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris), auf die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R) und die Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 22.06.2013 bis 08.07.2013 unter Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 gerichtete Klage nicht in vollem Umfang abweisen dürfen. Denn es ist zu beanstanden, dass es die Beklagte mit Bescheid vom 30.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 ablehnte, aus Anlass des Überprüfungsantrags des Klägers ihren Bescheid vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 zu ändern. Denn der Kläger hat darauf und auf die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 Anspruch. Insoweit ist der Bescheid vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, sodass das angefochtene Urteil in diesem Umfang im Rahmen des Berufungsantrags des Klägers abzuändern ist. Soweit der Kläger darüber hinausgehend mit seinem Rechtsmittel die Gewährung von Verletztengeld über den 25.06.2013 hinaus begehrt hat, hat das SG die Klage insoweit indes im Ergebnis zu Recht abgewiesen, sodass die diesbezügliche Berufung in der Sache keinen Erfolg hat. Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren noch erfolglos die Zahlung von „Verzugszinsen“ auf das von ihm bezifferte Verletztengeld begehrt und worüber das SG klageabweisend entschieden hat, hat er daran im Rechtsmittelverfahren zuletzt (zu Recht) nicht mehr festgehalten, sodass der Senat darüber nicht (mehr) zu entscheiden hat.

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf Rücknahme des Bescheides vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 der Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen - so Abs. 2 Satz 1 - ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2), wobei eine solche Entscheidung im Ermessen der Verwaltung steht. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (Satz 1). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (Satz 2). Erfolgt die Rücknahme - wie vorliegend - auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (Satz 3).

Im vorliegenden Fall findet insgesamt § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anwendung. Zwar wendet sich der Kläger nicht nur gegen die Versagung von Sozialleistungen - hier die Zahlung von Verletztengeld -, sondern auch gegen die Ablehnung der Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall, was keine Sozialleistung darstellt. Allerdings ist zum einen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls Voraussetzung für die Gewährung von Verletztengeld. Zum anderen geht es auch bei der Anerkennung eines Arbeitsunfalls letztendlich in der Regel doch (mittelbar) - und vorliegend sogar ausdrücklich - um Leistungsansprüche. Dabei ist im Anwendungsbereich des Abs. 1 eine gebundene Entscheidung über die Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen, während der Behörde im Anwendungsbereich des Abs. 2 insoweit, was die Vergangenheit anbelangt, ein Ermessensspielraum zusteht. Dadurch würde der die Anerkennung eines Arbeitsunfalls begehrende potenzielle Leistungsempfänger - was die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides für die Vergangenheit anbelangt - schlechter gestellt, als wenn es unmittelbar um konkrete Leistungsansprüche ginge. Ein Grund für diese unterschiedliche Behandlung von schlussendlich doch sozialleistungsbezogenen Überprüfungsverfahren ist nicht ersichtlich und wäre gerade in der vorliegenden Fallkonstellation völlig sinnwidrig (siehe hierzu Senatsentscheidungen vom 17.12.2015, L 10 U 1502/14, und vom 21.06.2018, L 10 U 2893/16).

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind auch teilweise erfüllt. Denn im nach der gesetzlichen Regelung allein maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses des zur Überprüfung stehenden Bescheides - hier also des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2013 - lagen sowohl die Voraussetzungen für die Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall als auch für die Gewährung von Verletztengeld bis einschließlich 25.06.2013 vor.

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist erforderlich (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 5/04 R), dass das Verhalten des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung in einem solchen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit steht, ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund. Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versi­cherten.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84). Dies gilt auch für den inneren Zusammenhang und damit die Handlungstendenz (BSG, a.a.O.). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 24/84).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger am 22.06.2013 einen Arbeitsunfall erlitt, als er im Zuge des „Akquisegesprächs“ bei dem Zeugen, im Rahmen dessen er ihm Luftbildaufnahmen als Teil seiner bei der Beklagten versicherten Tätigkeit angeboten hatte, beim Holen des Musterkoffers über eine Hauseinfassung stolperte und nach vorne auf den rechten Arm stürzte. Dieser Geschehensablauf steht für den Senat fest, denn die entsprechenden Angaben des Klägers hat der Zeuge bestätigt (s. Bl. 72 f. VA).

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass sich der Kläger bei diesem Sturz eine Verletzung im Bereich des rechten Armes zuzog. Unabhängig von den seitens des Klägers geklagten Schmerzen und der demonstrierten Unmöglichkeit, den Nacken- und Schürzengriff auszuüben, beschrieb F1 erstbefundlich jedenfalls (auch) eine leichte Schwellung über dem Ellenbogengelenk lateral und legte einen Salbenverband bei Analgesierung an. Bereits diese objektivierte und regelwidrige Schwellung stellt eine Gesundheitsstörung und damit - entgegen dem SG - einen Primärschaden für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls dar. Dass F1 - wie später auch die Ärzte des C-Krankenhauses M - diese körperliche Anomalie als Prellung des Ellenbogens rechts (vgl. S50.0 ICD-10) diagnostizierte, ist für den Senat ohne weiteres schlüssig und nachvollziehbar. Dass er daneben bzw. darüber hinaus (auch) eine Prellung der Schulter und des Oberarmes rechts (vgl. S40.0 ICD-10) sowie den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts (vgl. S46.0 ICD-10) kodierte, spielt keine weitere Rolle. Ebenso ist unerheblich, dass die röntgenologischen und sonographischen Untersuchungen und schließlich später auch die MRT-Untersuchung keine traumatischen Schäden zeigten. Denn auch dies ändert nichts am Vorliegen der von F1 dokumentierten Schwellung über dem Ellenbogengelenk lateral, die rechtlich einen Gesundheits(erst)schaden darstellt.

Diese Schwellung ist zur Überzeugung des Senats auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den Sturz am 22.06.2013 hervorgerufen worden, da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie bereits vor dem Sturz vorhanden war oder sich aus anderen Ursachen zeitgleich mit dem Sturz entwickelte. Auch hat keiner der vorliegend mit der Angelegenheit befassten Ärzte eine naturwissenschaftliche Eignung des oben beschriebenen Unfallhergangs, eine derartige Störung hervorzurufen, irgendwie in Zweifel gezogen. Soweit die Beklagte (lediglich pauschal) gemeint hat, eine Prellung des Ellenbogens sei in Ansehung der Sturzschilderung sehr unwahrscheinlich, ist das Gegenteil der Fall. Der Zeuge hat bestätigt, dass der Kläger hinfiel und sodann über Schmerzen am rechten Arm klagte. Nicht einmal eine Stunde später dokumentierte F1 die (schmerzhafte) Schwellung im Bereich des rechten Ellenbogens.

Das Ereignis vom 22.06.2013 stellt mithin einen Arbeitsunfall dar.

Allerdings liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztengeld zur Überzeugung des Senats lediglich vom 22.06.2013 (Tag der erstmaligen ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit) bis einschließlich 25.06.2013 vor.

Nach § 45 Abs. 1 SGB VII wird Verletztengeld insbesondere erbracht, wenn ein Versicherter infolge eines Versicherungsfalles arbeitsunfähig ist, unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitseinkommen hatte und kein Beendigungstatbestand im Sinne des § 46 Abs. 3 SGB VII vorliegt. Außerdem besteht nach § 45 Abs. 2 SGB VII unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf sogenanntes Übergangs-Verletztengeld, wenn Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind. Nach § 46 Abs. 1 Alt. 1 SGB VII wird Verletztengeld von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Dabei erfordert auch eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit zum einen das Vorliegen eines Gesundheitsschadens sowie eines hierfür ursächlichen Unfallereignisses und zum anderen einen Kausalzusammenhang zwischen der durch den Unfall verursachten Gesundheitsstörung und einer eingetretenen Arbeitsunfähigkeit. Auch für diesen ursächlichen Zusammenhang gilt die - bereits oben dargestellte - Theorie der wesentlichen Bedingung mit der Prüfung des naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhangs im ersten Schritt und der Prüfung in einem zweiten, wertenden Schritt, ob das versicherte Unfallereignis für die Arbeitsunfähigkeit wesentlich war (s. Senatsurteil vom 23.04.2015, L 10 U 495/14).


Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles liegt - nach ständiger Rechtsprechung (s. u.a. BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 31/06 R, juris) - anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter auf Grund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (vgl. zur ständigen Rechtsprechung in der gesetzlichen Krankenversicherung nur BSG, Urteil vom 30.05.1967, 3 RK 15/65; BSG, Urteil vom 09.12.1986, 8 RK 12/85; BSG, Urteil vom 08.02.2000, B 1 KR 11/99). Arbeitsunfähigkeit ist danach gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann, ist unerheblich. Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind weder die Unfallversicherungsträger noch die Gerichte an ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gebunden. Diesen kommt lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R; BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R).

Der Kläger übte zum Zeitpunkt des Unfalls eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete selbstständige Tätigkeit als Handelsvertreter aus - insoweit hatte er auch einen „Anspruch auf Arbeitseinkommen“ i.S.d. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 30.06.2009, B 2 U 25/08 R) - und verrichtete dabei die oben im Tatbestand (darauf wird hier verwiesen) beschriebenen Verrichtungen. Seine Tätigkeit war demnach v.a. durch das Fahren mit einem Pkw, das sich mehrmals täglich wiederholende Ein- und Aussteigen aus dem Pkw sowie das Umhergehen zum Zurücklegen des restlichen Weges bis zu den potenziellen Kunden sowie das Holen des Musterkoffers verbunden und erforderte damit insbesondere auch das Lenken eines Pkw, das Tragen eines Koffers, die Präsentation der Luftbilder und - wenn auch nur gelegentlich - das Steigen auf Leitern, mithin auch den schmerzfreien Einsatz der oberen Extremitäten.

Zur Überzeugung des Senats war ihm ein derartiger Einsatz nach dem Unfallereignis am 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 nicht möglich. Dies stützt der Senat auf den D-Arztbericht des F1 vom 22.06.2013, den Nachschaubericht des S vom 24.06.2013 und den Bericht der Ärzte des C-Krankenhauses M vom 25.06.2013. Wie bereits ausgeführt, lässt sich dem Bericht des F1 eine leichte Schwellung über dem Ellenbogengelenk lateral entnehmen. Eine derartige Schwellung stellt einen regelwidrigen körperlichen Zustand dar, der zwanglos mit (den geklagten) Schmerzen zu vereinbaren ist. Dass F1 keine Bewegungseinschränkung, keine Störung von Durchblutung, Motorik und Sensibilität im Bereich des rechten Ellenbogens und auch schließlich im Bereich des rechten Schultergelenks lediglich eine Einschränkung der Beweglichkeit für den Nacken- und Schürzengriff beschrieb, ändert hieran nichts. Denn gerade das Führen eines Pkw im öffentlichen Straßenverkehr, wovon die Tätigkeit des Klägers erheblich geprägt war, setzt zur allgemeinen Verkehrssicherheit gerade einen schmerzlosen Einsatz der oberen Extremitäten voraus. Dass ein solcher auch am 24.06.2013 noch nicht möglich war, ergibt sich aus dem Nachschaubericht des S. Dieser beschrieb Bewegungseinschränkungen im Bereich der rechten Schulter in Bezug auf Abduktion, Innen- und Außenrotation sowie auch im Bereich des rechten Ellenbogens und des Mittelfingers. Zwar handelte es sich hierbei durchgehend um durch Schmerzen hervorgerufene Bewegungseinschränkungen. Dies steht freilich der Annahme von Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die geklagten Schmerzen aggravierte oder gar simulierte, liegen nicht vor. Den oben aufgeführten Berichten lässt sich Derartiges nicht ansatzweise entnehmen. S verabreichte dem Kläger gar eine lokale Infiltration mit Prednisolon/Carbostesin und legte einen Kompressionsstützverband an.

Auch am 25.06.2013 hatte der Kläger seine Arbeitsfähigkeit (noch) nicht wiedererlangt, da er sich erneut wegen Schmerzen im Bereich des Ellenbogens und auch wegen Hypästhesien der Finger vier und fünf rechts im C-Krankenhaus M vorstellte. Auch die ihn dort behandelnden Ärzte sahen ausweislich ihres Befundberichts keine Veranlassung, an den dargestellten Beschwerden zu zweifeln und verordneten Ibuprofen, Pantozol und Novaminsulfon.

Zwar lassen sich den genannten Berichten über den oben bereits dargelegten klinischen Befund (Schwellung) mit angegebener schmerzbedingter Beweglichkeitseinschränkung der rechten oberen Extremität und geklagten Gefühlsstörungen im Bereich der Finger hinaus keine (weiteren) konkreten Funktionsbeeinträchtigungen entnehmen. Dies ändert indes nichts daran, dass die genannten Ärzte in den aufgeführten Berichten durchgehend Schmerzen im Bereich des rechten Ellenbogens dokumentierten, die gerade durch die von F1 klinisch beschriebene (schmerzhafte) Schwellung auch hinreichend objektiviert waren, sodass auch seitens der Ärzte kein Anlass bestand, am Vorhandensein der geklagten Schmerzen zu zweifeln - Entsprechendes ist auch nicht dokumentiert - und Arbeitsunfähigkeit für die Tätigkeit des Klägers anzunehmen.

Unter Zugrundelegung dessen bestehen auch für den Senat keine Zweifel, dass der Kläger entsprechend der ärztlichen Einschätzung vom 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 arbeitsunfähig war.

Demgegenüber vermag sich der Senat nicht davon überzeugen, dass beim Kläger über den 25.06.2013 hinaus Arbeitsunfähigkeit vorlag. Bereits am 26.06.2013 war der Kläger - seinen eigenen Angaben gemäß - nämlich wieder in der Lage, für „verschiedene Fahrten“ im Umkreis seines Wohnortes selbstständig seinen Pkw zu führen, also einen wesentlichen Teil seiner beruflichen Verrichtungen wieder durchzuführen. Einer weiteren Schonung bedurfte er ab diesem Zeitpunkt offensichtlich gerade nicht. Der Befundbericht der Ärzte der BGU über die Untersuchung am 01.07.2013 bekräftigt die berufliche Einsetzbarkeit des Klägers. Zwar klagte er auch dort noch über Schmerzen im Bereich des rechten Ellenbogens sowie der Schulter. Allerdings war die grob neurologische Untersuchung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität ohne pathologischen Befund. Im Bereich des rechten Ellenbogens zeigte sich eine freie Beweglichkeit in Beugung, Streckung und auch in der Rotation des Unterarmes in Pro-/Supination. Der Faustschluss war beidseits möglich. Die unterschiedlichen Griffvarianten - Fein-, Grob- und Pinzettengriff - waren demonstrierbar. Lediglich im Bereich der rechten Schulter bestand eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung (aktiv wie passiv bis 110°, Abduktion bis 100°), bei allerdings demonstrierbarem Schürzen- und Nackengriff. Auch auf der Grundlage dieses klinischen Befunds lässt sich eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nicht nachvollziehbar herleiten. Dass die Ärzte auf Grund der geklagten Schmerzen allenfalls noch gewisse Probleme beim Steigen auf Leitern sahen, ändert daran nichts. Denn nach den eigenen Angaben des Klägers war er im Rahmen seiner Tätigkeit nur gelegentlich gehalten, auf Leitern zur Prüfung der Beschaffenheit der Dachziegel zu steigen, was in den beiden Wochen vor dem Unfall nur ca. sechsmal vorgekommen war. Dass Derartiges Ende Juni 2013 bei ihm konkret anstand, hat er nicht einmal behauptet.

Dass am 03.07.2013 noch ein MRT durchgeführt wurde, rechtfertigt in Ermangelung eines die Arbeitsfähigkeit ausschließenden Befundes jedenfalls nicht die Annahme, der Kläger sei über den 25.06.2013 hinaus arbeitsunfähig gewesen. Auch der Umstand, dass F1, S und die Ärzte des C-Krankenhauses M entsprechend ihrer Prognose über den 25.06.2013 hinaus Arbeitsunfähigkeit bescheinigten, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil ihre (prognostische) Einschätzung entsprechend den obigen Ausführungen ab dem 26.06.2013 überholt war. Wie oben bereits dargestellt, ist der Senat ohnehin nicht an die ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten gebunden.

Soweit der Senat somit von Arbeitsunfähigkeit vom 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 ausgeht, folgt er der Berufungserwiderung nicht.

Zwar mag es, wie die Beklagte in Ansehung der Vielzahl der vom Kläger seit Beginn seiner freiwilligen Versicherung bei der Beklagten im Jahr 1996 geltend gemachten (Bagatell-)Unfälle und der Höhe des bislang bezogenen Verletztengeldes von mehr als 390.000 €, verbunden mit dem Umstand, dass er sich bei zahlreichen unterschiedlichen Ärzten im Umkreis von bis zu 100 km zu seinem Wohnort vorstellte, auffällig sein. Dies stellt aber die im vorliegenden Fall erhobenen Befunde (s.o.) und die sowohl von F1, S und den Ärzten des C-Krankenhauses M übereinstimmend jedenfalls bis zum 25.06.2013 schlüssig und nachvollziehbar (s.o.) angenommene Arbeitsunfähigkeit nicht in Frage. Nämliches gilt hinsichtlich der Ausführungen des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 18.12.2012 (L 2 4462/12 ER-B). Unabhängig davon, dass es sich bei jenem Verfahren um ein Eilverfahren auf der Grundlage des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG mit den entsprechenden verfahrensrechtlichen Maßgaben hinsichtlich eines konkreten anderen Ereignisses (geltend gemachter Unfall am 13.07.2012) handelte, stehen vorliegend nicht die früheren angeschuldigten Ereignisse zur Prüfung des Senats, sondern allein das Ereignis vom 22.06.2013. An die Auffassung eines anderen Senats in einem anderen Streitfall ist der erkennende Senat ohnehin nicht gebunden, sondern hat die Feststellungen im konkreten Einzelfall eigenständig zu treffen und zu würdigen.

Nach alledem hat der Kläger dem Grunde nach gemäß § 46 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 SGB VII für die Zeit vom 22.06.2013 bis einschließlich 25.06.2013 Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld. Einer entsprechenden Zahlung in gesetzlicher Höhe steht vorliegend auch nicht die Bestimmung des § 44 Abs. 4 Sätze 1 und 3 SGB X entgegen, nachdem der Überprüfungsantrag am 26.04.2017 gestellt wurde (s. die entsprechende richterliche Niederschrift im Verfahren L 6 U 3102/16) und der Zeitraum von längstens vier Jahren rückwirkend vom Beginn des Jahres der Überprüfungsantragstellung an den vorliegenden Zeitraum umfasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger mit seinem Begehren auf Anerkennung des Ereignisses vom 22.06.2013 als Arbeitsunfall zwar voll, hinsichtlich der Gewährung von Verletztengeld indes nur in einem geringen Umfang Erfolg hat. Auch hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger in erster Instanz von der Beklagten noch erfolglos „Verzugszinsen“ in Höhe von „5 % über dem jeweiligen Basiszins“ aus einem Verletztengeld von 3.966,61 € seit dem 12.07.2013 begehrt hat, woran er im Rahmen seiner Berufung zuletzt - zu Recht - nicht mehr festgehalten hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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