L 12 AS 111/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2497/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 111/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.11.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Aufhebung von Bewilligungsbescheiden für den Zeitraum von März 2012 bis Februar 2016 und damit verbundene Erstattungsforderungen des Beklagten.

Der 1962 geborene Kläger lebt seit 1999 mit Frau S (und bis zu dessen Auszug mit deren 1988 geborenen Sohn) zusammen; der Mietvertrag wurde gemeinsam abgeschlossen, der Mieterhöhung mit gemeinsamen Schreiben zugestimmt. Frau S erzielte und erzielt Einkommen aus Erwerbstätigkeit und aus dem Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Einkommen lag entsprechend den polizeilichen Ermittlungen im streitgegenständlichen Zeitraum bei 1.450-1.800 € netto (vgl. Bl. 97 der Sozialgerichtsakte).

1. Leistungsbewilligungen

Der Kläger beantragte erstmals Ende des Jahres 2004 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Erstantrag gab er an, mit Frau S und deren Sohn in einer Wohngemeinschaft zu leben, und ihr bar die Hälfte der Unterkunftskosten zu zahlen. Außerdem bat der Kläger um Überweisung der Zahlungen auf das Konto der Frau S, da er über eine Kontoberechtigung für das Konto der Frau S verfüge. Daneben gab er an, als Bildjournalist freiberuflich tätig zu sei, jedoch nur negative Einkünfte zu erzielen. Ab Januar 2005 wurden dem Kläger Leistungen bewilligt, nach Regelbedarfsstufe 1 und ohne Anrechnung des Einkommens der Frau S.

Im Februar 2005 erfolgte eine anonyme Anzeige, da der Kläger mit Frau S seit langem in einer Beziehung lebe. Im Anhörungsverfahren gab der Kläger unter dem 13.06.2005 an, 1999 zusammengezogen zu sein und Kinder im gemeinsamen Haushalt zu versorgen. Man komme jedoch gegenseitig finanziell nicht füreinander auf und stehe finanziell nicht füreinander ein.

Der Beklagte leitete zunächst keine weiteren Schritte ein, sondern gewährte dem Kläger über Jahre Grundsicherungsleistungen als Alleinstehender, auch dann noch, als der Kläger mehrfach bei persönlichen Vorsprachen von seiner „Lebensgefährtin“ gesprochen hatte. 

Im Weiterbewilligungsantrag vom 19.08.2014 gab der Kläger auf Seite 1 an, dass (nur noch) eine weitere Person mit ihm im Haushalt lebe.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum bewilligte der Beklagte dem Kläger (neben Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) wie folgt Leistungen:

Bescheid vom

Änderungsbescheide

Zeitraum

Regelleistung

Kosten der Unterkunft

Insgesamt

23.01.2012

 

März 2012 bis August 2012

374,00 €

207,24 €

581,24 €

13.08.2012

24.11.2012

September 2012 bis Februar 2013

374,00 €
ab 01.01.2013
382,00 €

207,24 €

581,24 €
ab 01.01.2013
589,24 €

26.02.2013

 

März 2013
bis August 2013

382,00 €

207,24 €

589,24 €

28.08.2013

23.11.2013

September 2013 bis Februar 2014

382,00 €
ab 01.01.2014 391,00 €

207,24 €

589,24 €
ab 01.10.2014
598,24 €

12.02.2014

 

März 2014 bis August 2014

391,00 €

207,24 €
 

598,24 €

21.08.2014

 

September 2014 bis Februar
2015

391,00 €
ab 01.01.2015 399,00 €

207,24 €
 

598,24 €
ab 01.01.2014
606,24 €

24.02.2015

29.11.2015

März 2015 bis Februar 2016

399,00 €
ab 01.01.2016 404,00 €

207,23 €
 

606,23 €
01.01.2014
611,24 €


Im Zusammenhang mit dem Antrag auf Weitergewährung der Leistungen für die Zeit ab März 2016 trat der Beklagte in eine nochmalige Prüfung ein, ob im Falle des Klägers und der Frau S von einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft auszugehen sei. Am 08.03.2016 erfolgte ein Hausbesuch, bei dem eine gemeinsame Nutzung von Schlafzimmer, Küche, Bad und Wohnzimmer festgestellt wurde. Gemäß dem Protokoll gab der Kläger an, auch gemeinsam mit Frau S zu wirtschaften.

Mit Schreiben vom 27.04.2016 teilte Frau S mit, dass sie mit dem hochverschuldeten Kläger keine „Einstehungsgemeinschaft“ habe gründen wollen.

Letztlich bejahte der Beklagte das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau S und lehnte – nach vorheriger Versagung der Leistungen für die Zeit von März 2016 bis November 2016 – die Weitergewährung der Leistungen ab Dezember 2016 deswegen ab (Bescheid vom 23.03.2017 Widerspruchsbescheid vom 13.04.2017). Die Klage dagegen blieb erfolglos. In seinem rechtskräftigen Urteil vom 22.11.2018 (S 7 AS 1153/17) führte das Sozialgericht Reutlingen (SG) nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung der Frau S) aus, der Hilfebedarf des Klägers stehe nicht fest. Die Einkünfte der Partnerin des Klägers seien auf seinen Bedarf anzurechnen, weil der Kläger mit seiner Lebensgefährtin in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft stehe.

2. Tätigkeit beim Stadtmarketing

Zum 01.03.2012 (Vertrag vom 05.03.2012) nahm der Kläger eine Tätigkeit als Geschäftsführer der Stadtmarketing e.V. H auf. Dem Beklagten teilte er mit, dass er diese ehrenamtlich ausübe. In den Weiterbewilligungsanträgen gab der Kläger jeweils nur an, als Bildjournalist tätig zu sein; Einnahmenüberschussrechnungen legte der Kläger zunächst nicht vor, da diese nach seinen Angaben negativ ausfielen, bzw. füllte lediglich alles mit „0“ aus. Im Winter 2014/Frühjahr 2015 teilte der Kläger im Rahmen der Mitteilungen der Eigenbemühungen mit, er führe Gespräche mit der Bürgermeisterin sowie verschiedenen Stadträten, ob er für die Stadtmarketing e.V. H als Fachkaufmann für Marketing eingestellt werden könne. Weitere Mitteilungen diesbezüglich erfolgten nicht.

Im August 2016 wurde der Beklagte durch eine Pressemitteilung, in der über das Ende der klägerischen Tätigkeit als Geschäftsführer berichtet wurde, auf die Tätigkeit des Klägers für die Stadtmarketing e.V. H aufmerksam. Auf Anfrage des Beklagten gab der Steuerberater der Stadtmarketing e.V. H mit Schreiben vom 29.11.2016 an, der Kläger habe eine monatliche Pauschalvergütung von 476,00 € erhalten sowie weitere Rechnungen gestellt. Insgesamt habe der Kläger folgende Beträge erhalten:


....

Der Kläger wurde in der Folge wegen Betruges zum Nachteil des Beklagten mit Urteil des Amtsgerichts B. vom 19.07.2019 zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

3. Aufhebung und Erstattung

Mit Schreiben vom 02.02.2017 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03.2012 bis 29.02.2016 und Erstattung von überzahlten Leistungen in von Höhe von 36.197,18 € an. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er weitere Ausgaben habe tätigen müssen, so dass das Einkommen geringer ausgefallen sei, forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 12.04.2017 auf, die vollständigen EKS für die Jahre 2005-2016 vorzulegen. Hierzu legte der Kläger die Steuerbescheide vor. Mit Schreiben vom 13.09.2017 erklärte der Beklagte dem Kläger, dass das Strafverfahren abzuwarten sei.

Unter dem 04.06.2018 teilte die Staatsanwaltschaft H dem Beklagten die Einkommensverhältnisse des Klägers und der Frau S mit und bat um die Erstellung einer Überzahlungsberechnung.

Mit Schreiben vom 27.06.2018 hörte der Beklagte den Kläger erneut zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen und Erstattung der Leistungen an.

Nachdem eine Reaktion des Klägers nicht erfolgte, nahm der Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2019 sämtliche Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 01.03.2012 bis 29.02.2016 in vollem Umfang zurück und forderte vom Kläger die Erstattung der überzahlten Leistungen in Höhe von 36.197,18 € (inklusive der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung). Berücksichtigt worden seien sowohl Einkünfte des Klägers als auch seiner Partnerin, Frau S (zu den Berechnungen im Einzelnen, vgl. Bl. 45 ff SG-Akte). Der Kläger habe die Leistungen durch arglistige Täuschung erwirkt.  

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen den ihm nach eigenen Angaben am 20.09.2019 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am Montag, 21.10.2019, Klage zum SG erhoben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger einen ausführlichen, die Klage begründenden Schriftsatz vom 26.11.2020 nebst Anlagenkonvolut vorgelegt, in dem er hauptsächlich darlegt, warum seiner Ansicht nach keine Einstehensgemeinschaft mit Frau S vorliege und warum er im Bewilligungszeitraum bedürftig gewesen sei.

Mit Urteil vom 26.11.2020 hat das SG die Aufhebungsentscheidung insoweit korrigiert, als darin auch Einkommen der Frau S berücksichtigt worden war. Da der Beklagte trotz Kenntnis der Tatsachen, die die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft rechtfertigten, über Jahre Leistungen bewilligte habe, ohne weiter zu ermitteln, genieße der Kläger insoweit Vertrauensschutz. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen, da der Kläger Einkommen erzielt und dies dem Beklagten nicht mitgeteilt habe.

Gegen das ihm am 09.12.2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 08.01.2021 bei Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil das Sozialgerichts Reutlingen vom 07.12.2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 15.07.2021 weitere Unterlagen vorgelegt, u.a. eine Eingliederungsvereinbarung, aus der sich ergibt, dass ein Vorstellungsgespräch bei Stadtmarketing e.V. H geplant war, sowie Mitteilungen gegenüber dem Beklagten, dass er sich bemühe, bei der Stadt H eine Anstellung als Marketingfachmann zu bekommen. Weitere Unterlagen hat der Kläger trotz mehrfacher Ankündigung und Fristverlängerungen nicht vorgelegt.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes hat die Berichterstatterin eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angekündigt. Der Kläger hat trotz Ankündigung und Fristverlängerungen durch den Senat keine weiteren Unterlagen vorgelegt.

Wegen der Einzelheiten im Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die strafrechtlichen Ermittlungsakten verwiesen.


II.

Der Senat konnte die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen nicht vor. Solche Gründe hat auch der Kläger nicht vorgebracht.

Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) erhoben; jedoch ist sie nicht begründet.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen das Urteil des SG vom 16.11.2020, mit welchem dieses eine vollständige Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides abgelehnt hat. Dieses Urteil ist jedoch im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Leistungsberechtigung des Klägers

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht leistungsberechtigt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zwar erfüllte der Kläger die Altersvoraussetzungen und war auch erwerbsfähig, jedoch ist seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

a. Bedarf

Der Bedarf des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum errechnete sich wie folgt:

Zeitraum

Regelleistung

Mehrbedarf Warmwasser

Kosten der Unterkunft

Insgesamt

2012

337,00 €

7,75 €

207,24 €

551,99 €

2013

345,00 €

7,94 €

207,24 €

560,18 €

2014

353,00 €

8,12 €

207,24 €

568,36 €

2015

360,00 €

8,28 €

207,24 €

575,52 €

2016

364,00 €

8,37 €

207,24 €

579,61 €


Dabei berücksichtigt der Senat, dass der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum mit Frau S in der Bedarfsgemeinschaft lebte. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II gehört als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person zur Bedarfsgemeinschaft, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft normiert § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen: Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2012, B 4 AS 34/12, juris m.w.N. und grundlegenden Ausführungen zur Anknüpfung an die bisherige Rechtslage im Arbeitslosenhilfe- und Bundessozialhilferecht). Bei den Kriterien zu 1. und 2. (Partnerschaft und Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt) handelt es sich um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen. Partnerschaft und Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt sind zugleich Anknüpfungspunkte der Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB II (BSG, a.a.O.). Die subjektive Seite, dass die in einem Haushalt zusammenlebenden Partner auch den gemeinsamen Willen, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, haben müssen, wird nach § 7 Abs. 3a SGB II bei positiver Feststellung einer der dort aufgezählten vier Fälle allerdings vermutet. Es obliegt dann dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, diese Vermutung zu widerlegen. § 7 Abs. 3a SGB II regelt mithin (nur) die subjektive Voraussetzung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und gibt mit den dort aufgezählten, nicht abschließenden (BT-Drucksache 16/1410, 19) Fallgestaltungen Indizien für eine gesetzliche Vermutung von Tatsachen vor, mit deren Hilfe auf den inneren Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, geschlossen werden kann (BSG, a.a.O.).

Die objektiven Voraussetzungen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft erfüllten der Kläger und Frau S. Sie lebten zusammen, was von ihnen auch nie bestritten wurde, vielmehr sprechen beide vom jeweils anderen als Partner/in und Lebensgefährten/in. Darüber hinaus wirtschafteten sie zusammen. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und gegebenenfalls Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft. Entscheidend ist insoweit dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts muss gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen (BSG, a.a.O.). Zwar verfügten sowohl der Kläger als auch Frau S jeder über einen Raum zur Eigennutzung, doch werden Schlafzimmer, Küche, Bad und Wohnraum gemeinsam genutzt. Es wurde regelmäßig, wenn auch nicht ausschließlich, gemeinsam eingekauft und gekocht sowie gemeinschaftlich Verantwortung für die Haushaltsreinigung übernommen. Dies ergibt sich aus den Angaben (Klägers und der Frau S im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 22.11.2018 im Verfahren S 7 AS 1153/17). Es gab keine unterschiedlichen Kühlschränke, keine unterschiedlichen Telefonanschlüsse, keine unterschiedliche PC-Benutzung, keine unterschiedlichen Fernseher, keine unterschiedlichen Radios. Der Kläger hatte sogar um Überweisung seiner Leistungen auf das Konto der Frau S gebeten, auf das er Zugriff hatte. Der Kläger räumt letztlich das gemeinsame Wirtschaften selbst ein, u.a. in der Klagebegründung im Verfahren S 7 AS 1153/17.

Da die objektiven Voraussetzungen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft vorliegen, wird der Einstehenswille nach § 7 Abs. 3a SGB II u.a. vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1) oder Kinder und Angehörige im Haushalt versorgen (Nr. 3).

Der Kläger und Frau S lebten im streitgegenständlichen Zeitraum seit über 10 Jahren zusammen, darüber hinaus lebte auch der 1988 geborene Sohn der Frau S mit im Haushalt. Da die Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II nicht kumulativ vorliegen müssen (Leopold, in juris-PK, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 249), kann der Senat offenlassen, ob der Kläger den minderjährigen Sohn der Frau S mitversorgte.

Dem Kläger konnte es auch nicht gelingen, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Dabei muss die Unwahrheit der vermuteten Tatsache zur vollen Überzeugung der Behörde bzw. des Gerichts dargetan sein (Leopold, a.a.O., auch zum Nachfolgenden). Eine bloße Behauptung des Betroffenen oder des Partners, dass die Partnerschaft nicht auf Dauer angelegt sei und beide in Notfällen nicht füreinander einstünden, reicht hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene schlüssig darlegt und nachweist, dass die von der Vermutungsregelung vorausgesetzten Hinweistatsachen des § 7 Abs. 3a SGB II nicht erfüllt sind bzw. die Vermutung des Einstandswillens durch andere Umstände entkräftet wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausreichend, dass Frau S gegenüber der Beklagten angegeben hat, sie habe mit dem hochverschuldeten Kläger keine „Einstehungsgemeinschaft“ gründen wollen, zumal sie, auch als der Kläger keine Leistungen mehr bezog, die Beziehung mit ihm nicht beendet hat.

b. Einkommen

Der Kläger hat, ebenso wie Frau S, die bei der U T beschäftigt war und eine Rente erhält, Einkommen bezogen. Bezüglich der Höhe des anrechenbaren Einkommens des Klägers wird auf die Darlegungen des SG verwiesen, die sich der Senat zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Unter Berücksichtigung der Bedarfsgemeinschaft stünde der Kläger nicht günstiger: Der Bedarf beider Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, wobei der Bedarf der Frau S dem des Klägers entspricht, wird also derzeit und ist im streitgegenständlichen Zeitraum bereits durch das Einkommen der Frau S gedeckt, die ausweislich der polizeilichen Ermittlungsakten auch im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich ca. 1.450 € bis 1.800 € (netto) verdiente. Inwieweit Einkommen der Frau S hätte berücksichtigt werden dürfen/müssen, wovon der Beklagte noch ausging und was das SG nur aufgrund von Vertrauensschutzaspekten verneint hat, kann der Senat jedoch offenlassen. Das SG hat – zugunsten des Klägers – kein Einkommen der Frau S berücksichtigt; eine (Anschluss)Berufung des Beklagten ist nicht erfolgt.


2. Aufhebung und Erstattung

Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass die Aufhebungsentscheidung für den Zeitraum März 2012 bis August 2012 nicht aufgrund von § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), sondern aufgrund von § 48 SGB X zu erfolgen hat, da der Kläger die Tätigkeit erst im März 2013 aufgenommen hat und der Bewilligungsbescheid vom 23.01.2012 deshalb nicht von Anfang an rechtwidrig war. Dabei hat das SG auch den tatsächlichen Einkommenszufluss berücksichtigt und deshalb die Aufhebung und Rückforderung der Leistungen für März 2012 für rechtswidrig erachtet. Ebenso zutreffend hat das SG dargelegt, dass die übrigen Bewilligungsentscheidungen von Anfang an rechtwidrig waren, da das Einkommen des Klägers aus der Tätigkeit für Stadtmarketing e.V. H anzurechnen war. Da der Kläger, auch nach Ansicht des Senats, zumindest grob fahrlässig die Angaben auf den Weiterbewilligungsanträgen unterlassen hat, waren die Bewilligungsentscheidung im Umfang ihrer Rechtswidrigkeit aufzuheben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch).

Darüber hinaus hat das SG zugunsten des Klägers das Einkommen auch lediglich auf die bewilligten Leistungen angerechnet und nicht den tatsächlichen (aufgrund der Bedarfsgemeinschaft niedrigeren) Bedarf zugrunde gelegt.

Das Berufungsvorbringen des Klägers führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Aus den Mitteilungen des Klägers an den Beklagten konnte der Beklagte vor 2016 nicht ersehen, dass der Kläger weitere Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt hat. Der Kläger hat gerade nicht mitgeteilt, dass er freiberuflich für Stadtmarketing e.V. H tätig werde und hierfür ein regelmäßiges Einkommen erziele. Er hat 2012 lediglich angegeben, ehrenamtlich tätig zu sein. Auch in den Weiterbewilligungsanträgen hat er die weitere freiberufliche Tätigkeit nicht angegeben. Im Jahr 2014 hat der Kläger dann nur mitgeteilt, sich um eine Festeinstellung zu bemühen; dass er bereits freiberuflich tätig war, ergibt sich aus den vorgelegten Schreiben nicht. Folglich war dem Beklagten nicht bekannt, dass der Kläger weiteres Einkommen erzielte. Auch wenn man davon ausginge, dass dem Beklagten seit 2012 bekannt war, dass der Kläger für Stadtmarketing e.V. H freiberuflich tätig war, da er mitgeteilt hatte, sich dort beworben zu haben, ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Kläger in seinen Weiterbewilligungsanträgen (ab September 2012) die Tätigkeit für Stadtmarketing e.V. H verschwiegen hat. Soweit der Kläger vorträgt, eine selbständige Tätigkeit als Bildjournalist angegeben zu haben, ist dies nicht ausreichend, da er für Stadtmarketing e.V. H nicht (ausschließlich) als Bildjournalist, sondern als Geschäftsführer mit monatlich fester Pauschalvergütung tätig war. Außerdem hat er die Erklärungen über die Einkommensverhältnisse bewusst unrichtig ausgefüllt, er hat sowohl bei den Einnahmen als auch bei den Ausgaben zunächst durchgängig „0“ angeben. Weitere Unterlagen, die ein geringeres Einkommen als das vom Beklagten angesetzte nahelegen, hat der Kläger trotz mehrfacher Ankündigungen und Fristverlängerungen durch den Senat nicht vorgelegt. Soweit der Kläger in den bisherigen Unterlagen immer wieder angibt, die Verluste aus seiner Tätigkeit als Bildjournalist müssten mit den Gewinnen bei Stadtmarketing e.V. H verrechnet werden, verkennt er, dass ein horizontaler Verlustausgleich nicht stattfindet (BSG, Urteil vom 17.02.2016, B 4 AS 17/15 R, juris).

Zutreffend hat das SG auch die Jahresfrist für die Rücknahme bewertet. Nach § 45 Abs. 4 SGB X darf ein anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakt nur binnen eines Jahres ab Kenntnis aller die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen zurückgenommen werden. Die Frist beginnt erst, wenn Kenntnis für alle relevanten Umstände vorliegt (Schütze, in v. Wulffen, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 96 m.w.N.). Zwar hatte der Beklagte bereits im November 2016 durch die Mitteilung von Stadtmarketing e.V. H Kenntnis von den Einnahmen und erfolgte die Rücknahme erst im Januar 2019. Der Senat ist jedoch der Überzuegung, dass die Jahresfrist nicht vor Juni 2018 zu laufen begann, als die zuständige Staatsanwältin, den Beklagten über das Ergebnis und den Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger informierte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2013, L 3 AL 1176/13, Rn. 46, juris). Erst zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte sichere Kenntnis aller relevanten Einkünfte und vor allem auch Ausgaben des Klägers. Erst während der strafrechtlichen Ermittlungen wurde der Zahlungsverkehr zwischen dem Kläger und Stadtmarketing e.V. H vollständig offengelegt, wobei nicht nur Zahlungen an den Kläger, sondern (zu dessen Gunsten) auch Zahlungen des Klägers an Stadtmarketing H e.V. aufgelistet wurden. Dem Beklagten kann auch nicht der Vorwurf gemacht werden, nicht selbst ermittelt, sondern sich auf die Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft verlassen zu haben, da § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X von einem Sozialleistungsträger nicht verlangt, dass er zwingend eigene Ermittlungen beginnt, zumindest nicht hinsichtlich der objektiven Umstände für eine Rücknahme eines Bewilligungsbescheids (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 50; Schütze, a.a.O.). Welche Ermittlungen eine Behörde zur Feststellung dieser (objektiven) Umstände anstellt, liegt in ihrem Ermessen (Schütze, a.a.O., Rn. 94). Erst wenn die objektiven Umstände bekannt sind und die Behörde dann weitere Ermittlungen – etwa die Anhörung des Betroffenen wegen der subjektiven Rücknahmevoraussetzungen – „treuwidrig“ für mehr als ein Jahr (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.) unterlässt, kann die Rücknahme verwirkt sein (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; Schütze, a.a.O., Rn. 94 a.E.). Eine Treuwidrigkeit vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen, zumal dem Kläger mitgeteilt worden war, dass zunächst der Ausgang der strafrechtlichen Ermittlungen abgewartet werden solle.

Nach alledem bleibt die Berufung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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