Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. März 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1959 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit lebt seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland. Er verfügt über keine abgeschlossene Ausbildung. In der Türkei hat er bis zum 14. Lebensjahr die Schule besucht, hat sodann Baggerfahren erlernt und seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Von 1982 bis 1992 war er als Baggerfahrer tätig, ab 1994 (in Deutschland) bis 2000 in einer Elektrofirma, von 2000 bis 2006 als Landschaftsgärtner. Seit 2006 war der Kläger nicht mehr berufstätig und erhält aktuell Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Dem Kläger ist seit April 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt.
Mit Antrag vom 12.01.2017 beantragte er die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung des Rentenantrags führte er an, dass er sich seit 2006 wegen einer Lebererkrankung, einer Herzerkrankung und eines Bandscheibenvorfalls für erwerbsgemindert halte. Die Beklagte veranlasste die Beiziehung medizinischer Unterlagen bei den behandelnden Ärzten (Befundbericht des H vom 03.03.2017, Kontrollberichte des Universitätsklinikums H1, Chirurgische Klinik/Sprechstunde für hepatobiliäre Chirurgie und Lebertransplantation vom 22.04.2015, 14.10.2015, 14.12.2015, 18.04.2016, 12.10.2016 und 12.12.2016, des P vom 13.01.2017, des Radiologischen Zentrums S vom 23.12.2016, des NVZ W vom 09.02.2017, des S1 vom 20.03.2017, des S-S vom 20.12.2016). Die Beklagte holte ferner bei F ein fachinternistisches Gutachten ein. F diagnostizierte in seinem Gutachten vom 10.04.2017 beim Kläger eine chronische Hepatitis B, eine Leberzirrhose Child A, eine Kardiomyopathie, eine Herzinsuffizienz NYHA I, eine coronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, ein LWS-Syndrom, Lumboischialgie rechts, einen Zustand nach Bandscheibenprolaps, Innenohrschwerhörigkeit und Prostatahyperplasie. Hinsichtlich der 2006 diagnostizierten Leberzirrhose bei infektiöser chronischer Hepatitis B bestünden unter antiviraler Therapie seit Jahren normale Leberwerte und Absenkung der Viruslast unter der Nachweisgrenze; das Krankheitsbild sei stabil, sonographisch habe sich keine schwerwiegende Organveränderung gezeigt. Bis auf eine leichte Müdigkeit sei der Patient im Wesentlichen beschwerdefrei. Hinsichtlich der coronaren Herzkrankheit hätten sich anamnestisch und klinisch keine Zeichen einer kardialen Leistungsinsuffizienz ergeben. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten zeitweise im Stehen, Gehen und Sitzen ohne Nachtschicht sechs Stunden und mehr verrichten. Seine letzte Tätigkeit als Landschaftsgärtner könne er nur noch unter drei Stunden täglich verrichten.
Mit Bescheid vom 15.05.2017 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zwar könne der Kläger in seinem bisherigen Beruf als Landschaftsgärtner nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Andere Tätigkeiten, die es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe, könne er in diesem Umfang jedoch ausüben. Dies sei ihm aufgrund seines beruflichen Werdegangs auch zumutbar. Der Kläger sei deshalb auch nicht berufsunfähig und könne keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit erhalten.
Hiergegen erhob der Kläger am 31.05.2017 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass die bei ihm vorliegenden tatsächlichen Krankheiten und Beschwerden nicht vollumfänglich berücksichtigt worden seien. Er sei nachweislich an einer Leberzirrhose Child A im Rahmen einer chronischen Hepatitis B erkrankt. Diese Krankheit habe die Beklagte zwar erfasst, jedoch nicht mit der nötigen Gewichtung berücksichtigt. Aufgrund seiner Erkrankung sei der Kläger ein Kandidat auf der Liste für eine Lebertransplantation. Im Jahr 2016 sei sein Status von MELD Score 7 in den Status MELD Score 8 hochgestuft worden. Dies und eine Verschlechterung seines Zustandes spreche eindeutig gegen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Er leide weiter an Hauterkrankungen, Gallensteinleiden, Gallenblasenpolyp und arterieller Verschlusserkrankung des Beines. All dies zeige, dass er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur eingeschränkt einsetzbar sei. Des Weiteren sei auch die Ablehnung der Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit rechtswidrig gewesen. Die Erwerbstätigkeit als Landschaftsgärtner könne der Kläger nicht mehr ausüben. Ein geeigneter Verweisungsberuf, der einer Rentengewährung entgegenstehen könne, sei nicht erkennbar.
Nach nochmaliger sozialmedizinischer Überprüfung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2017 zurück. Neue bzw. bisher nicht bekannte medizinische Gesichtspunkte, die eine von den bisherigen Feststellungen abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, seien im Widerspruchsverfahren nicht vorgetragen worden. Zwar sei der Kläger vor dem 02.01.1961 geboren, aufgrund seines beruflichen Werdeganges sei er jedoch auf das gesamte Tätigkeitsfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Es sei daher rechtlich unbedeutend, ob er die zuletzt verrichtete berufliche Tätigkeit wiederaufnehmen könne.
Deswegen hat der Kläger am 09.11.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Zur Begründung hat er den Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und Gutachten bei E, S2 und (nach § 109 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) R eingeholt. L hat mit Auskunft vom 07.03.2018 berichtet, den Kläger am 03.08., 09.10. und 08.11.2017 ärztlich gesehen zu haben. Auf neurologischem Fachgebiet habe sie eine hepatische Enzephalopathie bei Leberzirrhose sowie eine Radikulopathie L5 rechts diagnostiziert. Die hepatische Enzephalopathie führe zu einer Vergesslichkeit sowie einer geringen psychophysischen Belastbarkeit; in Anbetracht der Gesamtsituation erschienen ihr sechs bzw. drei Stunden zu hoch angesetzt. Im Vordergrund stünden ihres Erachtens die gastroenterologischen Befunde (Leberzirrhose mit resultierender hepatischer Enzephalopathie). P hat mit Auskunft vom 13.03.2018 über Vorstellungen des Klägers am 06.12.2016, 13.01., 16.02. und 28.11.2017 sowie am 08.03.2018 berichtet. Der Kläger habe sich jeweils mit Beschwerden im rechten Bein bzw. der LWS vorgestellt. Eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit bei sporadischer Vorstellung sei schwer. Dokumentiert sei ein hoher Leidensdruck. Im Rahmen der Bandscheibenproblematik und einer chronischen Lumbalgie sei eher nicht von hundertprozentiger Arbeits- und Leistungsfähigkeit auszugehen, wobei die vermutete psychische Überlagerung überwiege. Bei Kompensation der Beschwerden und Rückgang des Beschwerdebildes sei rein theoretisch eine leichte Arbeit im Vollschichtbetrieb möglich. H hat mit Auskunft vom 29.03.2018 mitgeteilt, er sehe den Kläger etwa vierteljährlich zur Überwachung der bekannten Lebererkrankung. Seine Hauptbeschwerden bestünden in einer starken Abgeschlagenheit und Müdigkeit. Es bestehe eine chronische Virushepatitis B, die mit Virostatika behandelt werde und bei der es doch zu einer Besserung des Befundes gekommen sei. Allerdings habe sich der psychische Zustand des Patienten verschlechtert. Ergänzend legte H einen Bericht der Psychosomatischen Ambulanz des Universitätsklinikums H1 vor, wonach im Rahmen einer ambulanten Vorstellung des Klägers am 19.01.2018 eine schwere depressive Episode diagnostiziert und eine psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme bzw. eine ambulante Psychotherapie, idealerweise durch einen türkischsprachigen Therapeuten, empfohlen wurde.
Vom 19.06.2018 bis 29.06.2018 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der R-H-Klinik in D. Dort wurde er auf eigenen Wunsch vorzeitig entlassen. Diagnostiziert wurden eine Dysthymia, Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine chronische Virushepatitis B, eine nicht näher bezeichnete Zirrhose der Leber, eine sonstige nicht näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung, Herzkrankheit, Tinnitus und Prostatahyperplasie. Der Kläger könne als Landschaftsgärtner und mit leichten Tätigkeiten sechs Stunden und mehr mit qualitativen Einschränkungen tätig sein. Er sei arbeitsfähig zur stationären Aufnahme gekommen und sei arbeitsfähig entlassen worden.
In ihrem Gutachten vom 02.10.2018 hat E auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet die Diagnosen Dysthymie, Tinnitus beidseits, linksbetont, LWS-Syndrom mit rezidivierenden Lumboischialgien rechts bei NPP L4/5 und L5/S1 ohne sichere neurologische Ausfälle und Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung gestellt. Hierdurch würden Hebe-, Trage- und Haltefunktionen, Anpassungs-, Umstellungs- und Durchhaltevermögen beeinträchtigt. Möglich seien leichte körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 5, kurzzeitig bis 10 kg, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend ohne wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen, häufiges Bücken, keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten. Von Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit sei abzuraten, Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, insbesondere Kälte und Nässe sollten nicht erfolgen. Arbeiten im Publikumsverkehr seien möglich, Tätigkeiten unter besonderer geistiger Beanspruchung, insbesondere hohen Anforderungen an Konzentration, Merkfähigkeit, Anpassungs- und Umstellungsvermögen, erhöhter Verantwortung oder Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge seien nicht möglich. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könnten die noch möglichen Tätigkeiten in der normalen täglichen Arbeitszeit von acht Stunden verrichtet werden.
In seinem internistischen Gutachten vom 17.03.2019 hat S2 ausgeführt, dass hinsichtlich der chronischen Hepatitis B unter virostatischer Behandlung zur Zeit keine entzündliche Aktivität festgestellt werden könne. Die Leberwerte lägen komplett im Normbereich. Auch hinsichtlich der aktenkundig beschriebenen Leberzirrhose bestehe keine Aktivität; es gebe keine Hinweise auf eine portale Hypertension. Im Ruhe-EKG fänden sich keine relevanten Auffälligkeiten. Die Belastungselektrokardiographie mit dem Fahrradergometer habe bis 75 Watt keinen Hinweis auf eine Koronarinsuffizienz ergeben. Die Sauerstoffsättigung nach Belastungsende sei normal gewesen. Die Lungenfunktionsuntersuchung habe keinen Hinweis auf eine Restriktion ergeben. Aufgrund dieser Erkrankungen könne der Kläger keine schweren körperlichen Arbeiten verrichten, mittelschwere körperliche Arbeiten nicht länger als drei Stunden arbeitstäglich. Hinsichtlich der koronaren Herzerkrankung ohne interventionsbedürftige Einengungen sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der ergänzend durch B durchgeführten Bodyplethismographie könnten keine Befunde erhoben werden, die einer vollschichtigen Verrichtung leichter körperlicher Arbeiten mit Belastungsspitzen in den mittelschweren Bereich entgegenstehen würden.
R hat in seinem Gutachten (auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG) vom 29.11.2019 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung sowie Verdacht auf hepatische Enzephalopathie diagnostiziert. Insbesondere die depressive Störung, unter Umständen auch die hepatische Enzephalopathie führten zu Konzentrationsstörungen und weiteren kognitiven Störungen wie Merkfähigkeitsstörungen, Gedächtnisstörungen, zu einer mittel- bis schwergradigen Störung des Antriebs und Ermüdbarkeit, Ablenkung durch intensives Grübeln sowie umständliches und eingeengtes Denken. Hinzu kämen sozialkommunikative Beeinträchtigungen durch Misstrauen und insbesondere durch affektive Symptome wie deprimierte Stimmung, Verlust an Interesse und Freude, Ängstlichkeit, innere Unruhe, Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle, sozialen Rückzug sowie Gereiztheit. In qualitativer Hinsicht seien Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeit in Kälte, unter Wärmeeinfluss und Einwirkung von Staub, Gasdämpfen und mit Nässe sowie Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Merkfähigkeit unter Stressbelastung, hoher Verantwortung, mittlerer bis hoher emotionaler Belastung, erhöhtem Konfliktpotential oder kognitiven Ausdauerbelastungen zu vermeiden. Die zumutbaren Arbeiten könnten nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden pro Tag durchgeführt werden. Die eingeschränkte quantitative Leistungsfähigkeit erkläre sich aus der Ermüdbarkeit, der deutlichen Antriebsstörung sowie aus der erheblichen Beeinträchtigung sozialkommunikativer Fähigkeiten.
Ergänzend hat der Sachverständige R vom Kläger erhaltene weitere, teils bereits aktenkundige Berichte über Kontrolluntersuchungen auf orthopädischem, hals-nasen-ohrenärztlichem, neurologischem, kardiologischem, urologischem und hepato-biliärem Fachgebiet zu den Akten gereicht, auf die inhaltlich Bezug genommen wird.
Mit von der Beklagten vorgelegter sozialmedizinischer Stellungnahme vom 08.01.2020 hat L1 ausgeführt, dass die Leistungsbeurteilung des Gutachters R nicht nachvollziehbar sei. Der Kläger nehme keinerlei Psychopharmaka, habe eine psychosomatische Rehabehandlung nach nur einer Woche abgebrochen, auch eine ambulante Richtlinienpsychotherapie sei bisher noch nicht erfolgt. Nervenärztliche Behandlung erfolge eher sporadisch. Auf der anderen Seite habe der Versicherte durchaus noch Ressourcen, könne allein in den Garten gehen und sich dort aufhalten, sich am Haushalt beteiligen, sich gut und adäquat ausdrücken. Eine Änderung der bisherigen Leistungsbeurteilung ergebe sich somit nicht.
Mit Urteil vom 11.03.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Aus den gesamten im Verfahren vorgelegten und eingeholten ärztlichen Unterlagen, insbesondere den Gutachten von E und S2 und auch der Einschätzung der Ärzte aus der Rehabilitationsmaßnahme ergebe sich, dass der Kläger noch in der Lage sei, unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. In nervenärztlicher Hinsicht bestünden beim Kläger eine Dysthymie, eine somatoforme Schmerzstörung, ein Tinnitus und Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung. Diese Erkrankungen führten – auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers gegenüber E hinsichtlich seiner Tages- und Lebensgestaltung – nicht zu quantitativen, sondern lediglich zu qualitativen Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit. Der Kläger sei gegenüber E selbst davon ausgegangen, dass leichte Tätigkeiten noch gehen würden, er aber solche nicht finde. Soweit der Gutachter nach § 109 SGG R zu einem abweichenden Ergebnis komme, vermöge sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Dieses Gutachten sei insgesamt in sich nicht schlüssig und überzeugend. Insbesondere habe der Gutachter R es unterlassen, die auffälligen Testergebnisse, die E festgestellt habe, im Vergleich zu der unauffälligen Situation, die sich bei ihm selbst dargestellt habe, zu diskutieren. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger im Rahmen der Begutachtung bei R zu seinem täglichen Leben angegeben habe, praktisch nichts mehr zu machen, nur im Hobbyraum zu sitzen und fernzuschauen oder im Garten zu sitzen und dann wieder nach Hause zu gehen. Hier bestehe ein erheblicher Unterschied zu den Angaben bei E, die der Gutachter R ebenfalls nicht thematisiere. In Bezug auf die von E festgestellten Aggravationstendenzen und die Tatsache, dass er bei R teilweise gänzlich andere, auch einschneidende Erlebnisse geschildert habe und auch die Angaben zu Zielen, Motivationen und Tagesablauf erheblich unterschiedlich gewesen seien, wäre es zwingend gewesen, zu diskutieren, ob dies auf einem geänderten Antwortverhalten beruhe oder auf einer Verschlimmerung einer bestehenden Symptomatik im zeitlichen Verlauf. Vor dem Hintergrund dieser erheblichen Mängel könne sich das Gericht dem Gutachten R nicht anschließen. Auch aus der beim Kläger bestehenden chronischen Hepatitis B und Leberzirrhose sowie der koronaren Herzerkrankung ergäben sich nur qualitative und keine quantitativen Leistungseinschränkungen. Das folge schon aus den Angaben des behandelnden Arztes, insbesondere jedoch aus dem Gutachten von S2 nebst Zusatzuntersuchung durch B. Entsprechendes gelte für die beim Kläger in orthopädischer Hinsicht bestehenden Erkrankungen (LWS-Syndrom mit rezidivierenden Lumboischialgien rechts bei NPP L4/5 und L5/S1 ohne sichere neurologische Ausfälle). Insgesamt seien trotz der vorliegenden Erkrankungen keine quantitativen Einschränkungen in Bezug auf Tätigkeiten, die den qualitativen Einschränkungen entsprächen, objektivierbar. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Er habe keine Ausbildung absolviert, nach seinen Angaben habe auch weder eine Umschulung noch ein Anlernverhältnis bestanden. Er sei mithin allenfalls der unteren Stufe der Angelernten zuzuordnen, damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbar.
Gegen das ihm am 16.03.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.03.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er nochmals vorgetragen, dass die tatsächlich bei ihm bestehenden Krankheiten und Beschwerden nicht vollumfänglich berücksichtigt worden seien. Es bestehe eine multimorbide Gesundheitssituation. Insbesondere die stabile Situation der Lebererkrankung sei auf eine extrem vorsichtige Lebensweise zurückzuführen. Den Gutachten von E und S2 sei nicht zu folgen. Es könne nicht nachvollzogen werden, warum das Gericht der Einschätzung der E mehr Beachtung schenke als den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und dem Gutachten des R, der eine depressive Störung diagnostiziert habe und davon ausgehe, dass dem Kläger Arbeiten nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden am Tag möglich seien. Darüber hinaus sei auch denkbar, dass zwischen der Begutachtung durch E und den Gutachter nach § 109 SGG R eine Verschlechterung eingetreten sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. März 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2017 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Neue Anhaltspunkte, insbesondere medizinische Befunderhebungen, die zu einer Änderung der bisherigen Beurteilung führen könnten, seien aus der Berufungsbegründung nicht ersichtlich. Die umfangreichen Begutachtungen im Rentenverfahren stellten eindeutig eine mindestens sechsstündige Einsetzbarkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes fest.
Der Senat hat Dr. Elze ergänzend gehört, die unter dem 19.05.2021 ausgeführt hat, dass ihrer Auffassung nach der Einschätzung des Sachverständigen R nicht gefolgt werden könne. Wenn man beide Gutachten vergleiche, sei auffällig, dass der Kläger zum Teil vollkommen andere Angaben gemacht habe. Dies betreffe beispielsweise sowohl die Alltagsgestaltung als auch die Angaben zu belastenden Lebensereignissen. Dies werde aber von R nicht thematisiert und diskutiert. Die längerfristig fachinternistisch beschriebenen unauffälligen laborchemischen Befunde ließen die von R als Verdachtsdiagnose gestellte Diagnose einer hepatischen Enzephalopathie nicht zu. Die für diese Diagnose geforderten Symptome ließen sich nicht ausreichend bestätigen. Selbst unter der Annahme, dass der Kläger nach der Vorstellung bei ihr eine mittelgradige depressive Episode entwickelt habe, wäre nicht plausibel, warum nicht eine Behandlung möglich gewesen sein sollte und es sei auch nicht plausibel, warum jetzt ein Behandlungszeitraum von zwei Jahren angenommen werde und in dieser Zeit von einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich auszugehen sei. Das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode bedeute gerade nicht, dass der Betroffene ständig arbeitsunfähig sei; nicht selten gingen Patienten, die unter einer solchen Symptomatik litten, einer beruflichen Tätigkeit nach, weil diese zusätzliche Tagesstruktur vermittele.
Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 29.11.2021 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger Gelegenheit hatte, weiter hinsichtlich der bei ihm bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen vorzutragen. Er hat auf Nachfragen der Berichterstatterin angegeben, dass er – insbesondere seit Corona – keinerlei Behandlungen auf neurologisch-psychiatrischem oder psychotherapeutischem Fachgebiet mehr in Anspruch genommen habe und insbesondere betont, eine stationäre Behandlung oder von der Beklagten explizit vergleichsweise angebotene stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei insbesondere deshalb nicht möglich, weil er wegen seiner Lebererkrankung keine Medikamente nehmen dürfe. Im Hinblick auf die Vielzahl der bestehenden Erkrankungen sei für ihn auch nicht erkennbar, gegen welche Krankheit eine Rehabilitation konkret Erfolg versprechend sein könnte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG vom 11.03.2020 ist nicht zu beanstanden, der Bescheid vom 15.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. 10.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in KassKomm, Stand 114. EL Mai 2021, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.).
Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt sind. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Beteiligten an und weist die Berufung des Klägers zunächst aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung seines Berufungsvorbringens nicht belegen. Vielmehr ist der Kläger unter Berücksichtigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bei Beachtung qualitativer Einschränkung mehr als sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dies folgt für den Senat ebenso wie für das SG insbesondere aus den im Klageverfahren vom SG eingeholten Gutachten der E und des S2 nebst ergänzender Untersuchung durch B sowie der vom Senat eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme der E. Hingegen vermag sich der Senat nicht der Einschätzung des Psychiaters und Psychotherapeuten R in dem vom SG eingeholten Gutachten anzuschließen.
Auf internistischem Fachgebiet leidet der Kläger an einer chronischen Hepatitis B, einer Leberzirrhose sowie einer koronaren Herzerkrankung. Das folgt aus dem vom SG eingeholten Gutachten des S2 17.03.2019 ebenso wie aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des F vom 12.04.2017, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet und den Berichten des Universitätsklinikums H1 über die regelmäßig erfolgenden Kontrolluntersuchungen in der Sprechstunde für hepatobiliäre Chirurgie und Lebertransplantation. Sowohl nach den Ausführungen von F als auch von S2 konnte unter antiviraler Therapie seit Jahren keine entzündliche Aktivität der Lebererkrankung festgestellt werden, die Leberwerte lagen und liegen im Normbereich und die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Sowohl F als auch 2 bewerteten das Krankheitsgeschehen für den Senat nachvollziehbar als stabil. Nichts anderes ergibt sich aus den vorliegenden Berichten des Universitätsklinikums H1, in deren Sprechstunde für hepatobiliäre Chirurgie und Lebertransplantation sich der Kläger regelmäßig vorstellt. Zwar ist der Kläger zur Lebertransplantation bei Eurotransplant seit Juni 2006 gelistet, auch die Ärzte im Universitätsklinikum betonen jedoch den stabilen Verlauf seit 2006 (vgl. nur Bericht vom 12.10.2016: „MELD Score 8, im Status NT bei stabilem Verlauf seit 2006“), allerdings wird aus keinem der Berichte eine besondere Dringlichkeit deutlich. Vielmehr ist in dem genannten Bericht vom 12.10.2016 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass der Patient einer möglichen Entlistung nicht zugestimmt habe, auch im Bericht vom 01.12.2017 wird nochmals eine mögliche Entlistung thematisiert.
Darüber hinaus leidet der Kläger auf internistischem Fachgebiet an einer koronaren Herzerkrankung und dilatativen Kardiomyopathie mit unter konservativer Therapie stabilem kardialem Verlauf. Auch das ergibt sich aus den vorliegenden Berichten der behandelnden Ärzte (vgl. nur beispielhaft die Berichte der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums H1 vom 11.12.2017:„stabiler kardialer Verlauf, Belastungs-EKG-Untersuchung erbrachte keinen sicheren Anhalt für eine relevante myokardiale Ischämie bis zu einer Leistung von 150 Watt, die vom Patienten verspürte reduzierte körperliche Belastbarkeit sei eher nicht kardial bedingt“ und vom 22.01.2019: „kardiorespiratorisch stabil und beschwerdefrei“ und MVZ Wiesloch vom 09.02.2017:„nach Farbduplexsonographie kein Anhalt für eine relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit“) und den Gutachten von F und S2.
Durch die vorliegenden Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet ist der Kläger in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Schwere körperliche Arbeiten kann er nicht mehr verrichten, mittelschwere nicht mehr als drei Stunden arbeitstäglich. Eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht auch für leichte körperliche Tätigkeiten besteht jedoch nicht. Auch insoweit stützt sich der Senat auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S2. Die genannten Einschränkungen in qualitativer Hinsicht hat S2 für den Senat nachvollziehbar aus den von ihm selbst erhobenen Befunden, dem Ergebnis der durch B durchgeführten Spiroergometrie sowie den vorgelegten ärztlichen Behandlungsunterlagen abgeleitet: So haben die physikalischen Untersuchungen des Herzens und der Lunge keinen auffälligen Befund ergeben. Es gab keinen Hinweis auf eine wesentliche Pumpfunktionsstörung im Zusammenhang mit der diagnostizierten Kardiomyopathie. Im Ruhe-EKG fanden sich keine relevanten Auffälligkeiten, die Belastungselektrokardiographie mit dem Fahrradergometer ergab bis 75 Watt keinen Hinweis auf eine Koronarinsuffizienz, die Sauerstoffsättigung nach Belastungsende war normal. Auch bei Belastung auf dem Laufband im Rahmen der von B durchgeführten Spiroergometrie konnte eine Belastung bis 92 Watt durchgeführt werden, wobei der Abbruch aus nicht-kardialen Gründen erfolgte und die anaerobe Schwelle nicht überschritten wurde. Im Bericht der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums H1 vom 22.01.2019 wird eine noch gute bis leichtgradig eingeschränkte systolische Pumpfunktion beschrieben. Die Herzkatheteruntersuchung ergab keine interventionsbedürftigen Stenosen, der Kläger wurde „kardiorespiratorisch stabil und beschwerdefrei“ entlassen, wobei regelmäßige Kontrolle und ggf. Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren empfohlen wurde. Bei somit insgesamt unauffälligen kardiopulmonalen Parametern vermag der Senat mit S2 keinen Befund zu erkennen, der den Kläger daran hindern würde, leichte körperliche Tätigkeiten mit Belastungsspitzen in den mittelschweren Bereich arbeitstäglich acht Stunden zu verrichten.
Soweit der Kläger darauf verwiesen hat, die Stabilität des Krankheitsverlaufs sowohl hinsichtlich der Leber- als auch hinsichtlich der Herzerkrankung resultiere gerade aus seinem vorsichtigen Lebensstil und der Vermeidung jeglicher Belastungen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis: Weder aus dem Gutachten von S2 noch aus den Angaben der behandelnden Ärzte ergeben sich Hinweise darauf, dass sich die genannten Erkrankungen bei Durchführung leichter bis zeitweise mittelschwerer Tätigkeiten - die mit dem vom Kläger angeführten vorsichtigen Lebensstil vereinbar sind - verschlimmern würden. Dabei resultiert insbesondere die Stabilität der Lebererkrankung aus der guten Wirksamkeit der antiviralen Medikation.
Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet leidet der Kläger an einer Dysthymie. Dies entnimmt der Senat aus dem Entlassungsbericht der R-H-Klinik über den (abgebrochenen) stationären Rehabilitationsaufenthalt im Juni 2018 und den Ausführungen im Gutachten von E. Während noch der Internist F, der den Kläger im April 2017 für die Beklagte begutachtet hat, keinerlei psychopathologische Symptomatik erheben konnte und auch L, bei der der Kläger sich im Jahr 2017 mit Beschwerden zunehmender Vergesslichkeit dreimal vorstellte, keine Diagnose auf psychiatrischem Fachgebiet gestellt hat (vgl. Auskunft vom 07.03.2018: zwar verminderte physische und psychische Belastbarkeit angegeben, diese jedoch aufgrund einer angenommenen hepatischen Encephalopathie), wirkte der Kläger im Rahmen einer ambulanten Vorstellung in der psychosomatischen Ambulanz des Zentrums für psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums H1 am 19.01.2018 in der Stimmung gedrückt und die affektive Schwingungsfähigkeit, die Auslenkbarkeit und der Antrieb waren vermindert (vgl. Bericht vom 19.01.2018: Empfohlen wurde psychotherapeutische Unterstützung, zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ein stationäres Behandlungsintervall oder eine Rehabilitationsmaßnahme). Die Ärzte in der R-H-Klinik haben im Juni 2018 im psychopathologischen Befund eine gedrückte bis dysthym-morose Stimmung, sowie einen labilen, leicht reizbaren Affekt beschrieben, in der Persönlichkeitsstruktur narzisstische, impulsive und passiv-aggressive Anteile. E hat im Rahmen ihrer Untersuchung am 21.08.2018 eine zum depressiven Pol hin verschobene, allerdings immer wieder auslenkbare Stimmung erhoben, der Antrieb war leicht reduziert. Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis waren erhalten; Gedächtnislücken erschienen eher als ausweichender Umgang mit konkreten Fragen. Unter Zugrundelegung dieser Befunde sowie unter Berücksichtigung der vom Kläger gemachten Angaben zu Aktivitäten und Tagesablauf mit erhaltener Struktur (frühes Erwachen, Frühstück/Tabletten zwischen 8.00 und 8.30 Uhr, im Anschluss Erledigung von „Kleinigkeiten“ im Haus, Radeln, Betätigung im Garten, nach dem Abendessen draußen sitzen und lesen, kaum Fernsehen) erscheint dem Senat die gestellte Diagnose einer Dysthymie nachvollziehbar. Zu Recht hat E darauf hingewiesen, dass die demgegenüber von den Ärzten im Zentrum für psychosoziale Medizin der Universitätsklinik H1 im Januar 2018 gestellte Diagnose einer schweren depressiven Episode aus dem dort erhobenen psychopathologischen Befund kaum ableitbar erscheint. Der Sachverständige nach § 109 SGG R hat demgegenüber im Rahmen seiner Untersuchung am 24.10.2019 einen schwerwiegenderen Befund erhoben, nämlich leichtgradige Affektarmut, mittelgradig gestörte Vitalgefühle, mittelgradig deprimierte Stimmung während der gesamten Untersuchung, Ängstlichkeit, Gereiztheit, innere Unruhe, Insuffizienzgefühle, Antriebsstörungen sowie Verlust an Interesse und Freude und sozialen Rückzug; ebenso sei eine erhebliche Ermüdbarkeit zu beobachten gewesen. Hinsichtlich des Tagesablaufs habe der Kläger geschildert, er sitze meistens in seinem Hobbyraum oder in seinem Zimmer, bei schönem Wetter auch im Hof, nehme die Mahlzeiten meistens alleine ein, gehe bei schönem Wetter auch in seinen 200 m entfernten Garten, sitze auch dort nur herum, habe keinen Willen etwas zu machen. Selbst wenn man mit dem Sachverständigen R davon ausginge, dass diese Befunde die Diagnose nicht nur einer Dysthymia, sondern einer depressiven Episode rechtfertigen, vermag der Senat die hieraus gefolgerte Einschränkung des Leistungsvermögens auf nur noch unter drei Stunden je Arbeitstag nicht nachzuvollziehen.
Unabhängig davon kommt es bei der Feststellung einer zur Rentengewährung führenden Erwerbsminderung auch nicht nur auf eine Diagnosestellung oder Bezeichnung von Befunden an. Vielmehr ist die Beeinflussung des Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen zu prüfen (Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 09.09.2019 - B 5 R 21/19 B -, juris, m. w. N.). Damit sind maßgeblich nicht die Diagnosen an sich, sondern Art und Ausmaß der mit den vorliegenden Erkrankungen verbundenen funktionellen Einschränkungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf das berufliche Leistungsvermögen. Die Einschränkungen in qualitativer Hinsicht, die beim Kläger bestehen, haben die Sachverständigen E und R weitgehend übereinstimmend und überzeugend hergeleitet: Aufgrund der auf psychiatrischem Fachgebiet festgestellten Erkrankungen bestehen nachvollziehbar Einschränkungen in Bezug auf Anpassungs-, Umstellungs- und Durchhaltevermögen. So sollten Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten unterbleiben, ebenso Tätigkeiten unter besonderer geistiger Beanspruchung, insbesondere hohen Anforderung an Konzentration, Merkfähigkeit, Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie unter erhöhter Verantwortung oder Komplexität. Wenn diesen Einschränkungen jedoch Rechnung getragen wird, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, wieso diese zumutbaren Arbeiten nur noch unter drei Stunden je Arbeitstag durchgeführt werden könnten. Der Sachverständige R erklärt diese Einschränkung mit der Ermüdbarkeit, der deutlichen Antriebsstörung sowie der erheblichen Beeinträchtigung sozialkommunikativer Fähigkeiten. Dies überzeugt den Senat aus mehreren Gründen nicht. Dass eine entsprechende Ermüdbarkeit und Beeinträchtigung sozialkommunikativer Fähigkeiten den Kläger auch an einer leidensgerechten, die qualitativen Einschränkungen berücksichtigenden Tätigkeit hindern würde, ist für den Senat nicht überzeugend dargetan. Zunächst hat schon das SG ausführlich und zutreffend darauf hingewiesen, dass der Sachverständige nicht hinreichend die von E im Rahmen der von ihr durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen (insbesondere beim Bremer Symptomvalidierungstest oberhalb der Zufallswahrscheinlichkeit liegende Ergebnisse, die eine intakte Kognition und Mnestik voraussetzen) aufgefallenen aggravatorischen Tendenzen diskutiert hat. Ebenso wenig hat er die Unterschiede in den Angaben des Klägers zu den ihm noch möglichen Aktivitäten und zum Tagesablauf versucht näher aufzuklären oder zu hinterfragen. Gerade vor dem Hintergrund der von E benannten aggravatorischen Tendenzen spricht hier doch Einiges für ein geändertes Antwortverhalten im Zeitablauf (zumal der Kläger auch im Rahmen der internistischen Begutachtung durch S2 z.B. noch angegeben hat, er betreue seinen Garten und lese gern), weniger für eine tatsächlich eingetretene Verschlimmerung. Selbst wenn man dies aber annähme, hat E in der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2021 überzeugend darauf hingewiesen, dass auch bei Entwicklung einer mittelgradigen depressiven Episode zum Zeitpunkt der Vorstellung bei R eine dauerhafte Aufhebung des Leistungsvermögens nicht plausibel erscheint. Vielmehr ist der Senat wie bereits dargelegt davon überzeugt, dass den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers auf neurologischem Fachgebiet durch die dargelegten Einschränkungen in qualitativer Hinsicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass trotz des mittlerweile eingetretenen Zeitablaufs keinerlei Behandlung auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet stattfindet, obwohl eine solche von allen befassten Sachverständigen für hilfreich und erfolgversprechend gehalten wird. Seit der Begutachtung durch R im November 2019 ist kein weiterer ärztlicher Befund zu den Akten gelangt, der die von dem Sachverständigen gestellte Diagnose einer (rezidivierenden) depressiven Episode bestätigen würde. Auf explizite Nachfrage durch die Berichterstatterin im Erörterungstermin am 29.11.2021 hat der Kläger bestätigt, sich auch bei der 2017 behandelnden L nicht mehr vorgestellt zu haben. Nachdem insbesondere auch die Ärzte im psychosozialen Zentrum des Universitätsklinikums H1 laut Bericht vom 19.01.2018 Hilfe bei der Vermittlung eines (ggf. auch muttersprachlichen) Therapeuten in Aussicht gestellt haben, überzeugt der Hinweis des Klägers, er finde keinen Behandler und außerdem seien die Wartezeiten zu lang, den Senat nicht, ganz abgesehen davon, dass allein die Wartezeit den Kläger nicht hindern würde, sich auf eine entsprechende Warteliste setzen zu lassen. Die von der Beklagten angebotene und auch vom Senat im Wege eines Vergleichsvorschlags angeregte kurzfristige Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet hat der Kläger abgelehnt. Auch im Erörterungstermin mit der Berichterstatterin hat der Kläger wiederholt den Schwerpunkt seiner Leiden im internistischen Fachgebiet gesehen und eine ambulante oder stationäre Behandlung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet als nicht in Betracht kommend abgelehnt. Auch dies spricht dafür, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht derartig gravierend sind, dass sie sein Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht einschränken.
Vom Vorliegen einer von der L im Jahr 2017 diagnostizierten vom Sachverständigen R als Verdachtsdiagnose aufgeführten hepatischen Encephalopathie vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen. Insoweit hat E zutreffend darauf hingewiesen, dass L offensichtlich keinerlei weitere Diagnostik durchgeführt hat, die diese Diagnose validieren könnte und dass auch die längerfristig fachinternistisch beschriebenen unauffälligen laborchemischen Befunde eine solche Diagnose nicht zulassen.
Damit kann der Senat sich ebenso wenig wie das SG davon überzeugen, dass die Erkrankungen des Klägers für sich genommen sowie auch insgesamt betrachtet zu einer mindestens sechs Monate andauernden auch zeitlichen Leistungseinschränkung geführt haben. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen mit den beschriebenen Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keinen Zweifel an seiner weitgehend normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Ein Rentenanspruch kann auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 - und zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Ausgehend hiervon liegt bei dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm zu beachtenden qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Nach dem Ergebnis der Begutachtungen auf internistischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger typische Verrichtungen, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste), ausführen kann. Auch ist der Kläger in der Lage, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Er kann viermal täglich eine Strecke von 500 m in einem Zeitaufwand von unter 20 min zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Eine sich relevant auf die Gehfähigkeit auswirkende Störung lässt sich weder den eingeholten Auskünften der behandelnden Ärzte noch den Gutachten entnehmen. Es bestehen keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und übliche Wegstrecken zu Fuß zurücklegen könnte. Im Übrigen legt der Kläger nach eigenen Angaben Strecken zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit dem eigenen PKW zurück.
Dass bei dem Kläger ein GdB von 100 anerkannt ist, führt im vorliegenden Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht hat für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, Juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des GdB unterscheiden sich maßgeblich von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. BSG, Beschluss vom 10.07.2018 - B 13 R 64/18 B -, Juris).
Dem Kläger ist somit keine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die – wie vorliegend der Kläger - vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Dass der Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Landschaftsgärtner nicht mehr verrichten kann, wird auch von der Beklagten so gesehen und ist für den Senat überzeugend und nachvollziehbar durch die bei ihm bestehenden Krankheiten auf internistischem Fachgebiet bedingt. Nachdem der Kläger jedoch keine Ausbildung absolviert hat und nach seinen Angaben auch kein Umschulungs- oder Anlernverhältnis bestand, ist als Bezugsberuf für ihn die zuletzt ausgeübte ungelernte, allenfalls einfach angelernte Tätigkeit in einem Landschaftsgärtnerbetrieb heranzuziehen. Er ist damit auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, die er wie dargelegt unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Es besteht daher auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Damit ist die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3379/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1030/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved