S 1 KR 845/22 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 845/22 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.03.2022 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 150 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine Festsetzung der Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Der Antragsteller ist Träger des zur Behandlung gesetzlich krankenversicherter zugelassenen Krankenhauses O. Dort wurde der bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Patient in der Zeit vom 06.06.2021 bis 16.06.2021 vollstationär behandelt. Mit Rechnung vom 01.07.2021 (eingegangen bei der Antragsgegnerin am 02.07.2021) rechnete der Antragsteller diesen Behandlungsfall gegenüber der Antragsgegnerin ab.

Nachdem die Antragsgegnerin am 23.09.2021 den Medizinischen Dienst Baden-Württemberg (MD) mit der Prüfung der Abrechnung beauftragte, zeigte dieser mit Prüfanzeige vom 24.09.2021 dem Antragsteller die Prüfung des vorliegenden Behandlungsfalles an. Der MD kam in seinem Gutachten vom 03.03.2022 zu dem Ergebnis, dass der Patient bereits am 14.06.2021 hätte entlassen werden können.

Mit Krankenkasseninformation (KAIN) vom 05.03.2022 forderte die Antragsgegnerin nach zunächst vollständigem Rechnungsausgleich den aus ihrer Sicht überzahlten Betrag vom Antragsteller zurück. Des Weiteren setzte sie mit dieser KAIN eine Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 SGB Vi. H.v. 300 € fest.

Der von dem Antragsteller gegen die Festsetzung der Abschlagszahlung mit Schreiben vom 08.03.2022 erhobene Widerspruch ist bisher nicht verbeschieden.

Am 22.03.2022 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit welchem er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs begehrt.

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, dass der zugrundeliegende Bescheid rechtswidrig sei, weil zeitlicher Anknüpfungspunkt der Aufschlagszahlung des § 275c Abs. 3 SGB V nicht das Datum des Zugangs der leistungsrechtlichen Entscheidung sei, sondern das Datum der Krankenhausaufnahme. Das Datum der Krankenhausaufnahme sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der maßgebliche zeitliche Anknüpfungspunkt hinsichtlich der für den Behandlungsfall geltenden Rechtslage. Der maßgebliche zeitliche Anknüpfungspunkt für die Auferlegung von Aufschlägen nach § 275c Abs. 3 SGB V sei das Datum der Krankenhausaufnahme des jeweiligen Versicherten, denn der Tag der Aufnahme bestimme das jeweils anzuwendende Recht. Aufschläge könnten daher nur für vollstationäre Aufenthalte von solchen Versicherten erhoben werden, welche ab dem 01.01.2022 in ein Krankenhaus aufgenommen worden seien. Ein Aufschlag für den hier betroffenen Behandlungsfall scheide daher aus. Hilfsweise sei auf das Datum des Rechnungszugangs bei der Antragsgegnerin abzustellen. Hierfür ergäben sich Anhaltspunkte aus der Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 zur Prüfverfahrensvereinbarung vom 03.02.2016. Äußerst hilfsweise sei auf das Datum der Prüfeinleitung durch den MD abzustellen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.03.2022 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

In den Schreiben vom 13.10.2021 und 24.11.2021 an die Deutsche Krankenhausgesellschaft und den GKV-Spitzenverband habe das Bundesministerium für Gesundheit klargestellt, dass der Gesetzeswortlaut von § 275c Abs. 3 SGB V weder einen Bezug zum Datum der Aufnahme eines Patienten noch zum Datum der Rechnungsstellung oder zum Datum des Eingangs der Rechnung bei der Krankenkasse herstellt. Hätte der Gesetzgeber an das Aufnahme-, Rechnungs- oder Rechnungseingangsdatum als Zahlung begründendes Ereignis anknüpfen wollen, hätte er dies ausdrücklich regeln müssen. Anknüpfungszeitpunkt des Wortlauts des § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V sei die Beanstandung durch den Medizinischen Dienst nach Abschluss dessen Prüfung. Die Beanstandung werde jedoch erst mit der leistungsrechtlichen Entscheidung durch die Krankenkasse wirksam, da das Krankenhaus erst damit Kenntnis über die Rückzahlung sowie die Höhe des Aufschlags erlange. Insofern sei im Rahmen von § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V maßgeblich, dass die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse ab dem 01.01.2022 gestellt und beanstandet werde.

Hinsichtlich des weiteren Sachund Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Rechtsgrundlage für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 275c Abs. 5 S. 1 SGB V haben Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach § 275c Abs. 3 SGB V keine aufschiebende Wirkung. Welche Kriterien für die Entscheidung heranzuziehen sind, ist in § 86 b SGG nicht geregelt worden. Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zunächst im Vordergrund. Ergibt diese, dass der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird, so wird das Gericht regelmäßig die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage anzuordnen, weil am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse besteht. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden.

Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Bescheid über die Festsetzung der Aufschlagszahlung vom 05.03.2022 rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Denn die Regelung zur Ausgleichszahlung nach § 275c Abs. 3 SGB V war auf den zugrundeliegenden Behandlungsfall nicht anwendbar.

Nach § 275c Abs. 3 SGB V haben die Krankenhäuser ab dem Jahr 2022 bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen.

Dieser Aufschlag beträgt

1. 25 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 2,

2. 50 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 3 und im Falle des Absatzes 2 Satz 6, jedoch mindestens 300 Euro und höchstens 10 Prozent des auf Grund der Prüfung durch den Medizinischen Dienst geminderten Abrechnungsbetrages, wobei der Mindestbetrag von 300 Euro nicht unterschritten werden darf.

Der Wortlaut des § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V gibt keinen Hinweis, welches Ereignis konkret für den zeitlichen Anknüpfungspunkt „ab dem Jahr 2022“ entscheidend ist.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob es im Rahmen des § 275c Abs. 3 SGB V auf den Zeitpunkt

- der Krankenhausaufnahme,

- das Datum der Rechnungserstellung,

- des Rechnungszugangs bei der Krankenkasse,

- der Einleitung des Prüfverfahrens durch die Krankenkasse oder

- das Datum der Beauftragung des MD ankommt.

Denn diese Zeitpunkte lagen im vorliegenden Fall alle im Jahr 2021, weshalb die ab 2022 vorgesehene Abschlagszahlung hierauf nicht anwendbar ist.

Allein die Beanstandung durch den MD nach Abschluss dessen Überprüfung sowie die leistungsrechtliche Entscheidung der Antragsgegnerin erfolgten im Jahr 2022. Auf diese Ereignisse kann nach Auffassung des Gerichts als zeitlicher Anknüpfungspunkt im Rahmen von § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V jedoch nicht abgestellt werden. Denn zu diesen Zeitpunkten hat das Krankenhaus keinerlei Möglichkeit, Einfluss auf die Ordnungsmäßigkeit der Abrechnung zu nehmen. Es läge dann allein in der Sphäre des MD und der Antragsgegnerin die Entscheidung in das Jahr 2022 zu verschieben, ohne dass das Krankenhaus mit der folgenden Besserstellung bei den Prüfquoten oder aber Sanktionierung auch durch die Aufschlagszahlung zu einer ordnungsgemäßen Abrechnung angehalten werden könnte (so auch Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 25.07.2022 - S 28 KR 1213/22 ER m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zum Streitwert richtet sich nach § 52 Abs. 1 und 3 GKG nach der Höhe der Hauptforderung. Im Verfahren auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz hält das Gericht einen Streitwert in Höhe der Hälfte des Streitwerts im Hauptsacheverfahren für angemessen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).

Rechtskraft
Aus
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