1. Der Bescheid des Beklagten vom 26.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2018 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten für die Beschaffung des Therapiedreirads Hase „Trix“ in Höhe von 5.138,00 € zu erstatten.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu drei Fünfteln. Darüber hinaus sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein Therapiedreirad für den Kläger.
Der 1996 geborene Kläger ist aufgrund einer pränatalen Schädigung unklarer Genese erheblich körperlich behindert. Bei ihm liegen eine bilaterale Cerebralparese, spastischer Knick-Senk-Fuß und eine persistierende Schwäche der Rumpf- und Beinmuskulatur, insbesondere der Wadenmuskulatur und der Kniebeuger, vor. Daneben bestehen neurologische Beeinträchtigungen wie eine Aphasie. Der Vater des Klägers ist für diesen als gesetzlicher Betreuer bestellt. Der Kläger wohnt im Haushalt seiner Eltern.
Der Kläger ist bei der zum Verfahren beigeladenen Techniker Krankenkasse pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung. Für seine Fortbewegung ist er von Seiten der Krankenkasse mit einem Aktivrollstuhl versorgt. Er kann aktuell ohne Unterstützung nicht frei gehen, mit Unterstützung nur für kurze Strecken. Bis März 2016 konnte der Kläger kurze Strecken mit Hilfe eines Posterior Walker (Gehhilfe) zurücklegen. Er hat einen dauerhaften Anspruch auf Physiotherapie.
Der Kläger wurde im März 2016 in der S-Klinik, Zentrum für Kinder- und Neuroorthopädie, operiert. Indikation hierfür war die extreme Verkürzung der Beinmuskulatur, die durch eine Fasziomyotomie sowie eine Mobilisierung des Sprunggelenks gebessert werden sollte. In den Folgejahren, zuletzt im März 2020, befand sich der Kläger mehrfach erneut stationär in der S-Klinik zu intensiven konservativen Therapien insbesondere zwecks Verbesserung des Gangbilds (Training der Bauchmuskulatur, der Abduktoren und Hüftstrecker).
Der Hausarzt des Klägers Dr. B. verschrieb diesem am 18.8.2017 das Hilfsmittel Therapiedreirad „Trix“ der Firma Hase (Hilfsmittelnr. 22.51.02.0059). Es handelt sich dabei um ein Liege-Dreirad, das sowohl vom Kläger allein als auch - mit Hilfe einer Tandemfunktion (Trailer-Set) - in Kombination mit dem Fahrrad eines weiteren Familienmitglieds betrieben werden kann. In beiden Varianten wird es (auch) durch die Muskelkraft des Klägers fortbewegt. Es existiert auch ein Modell mit Ebike/Pedelec-Antrieb. Entsprechend zweier Angebote vom 11.8.2017 sollte das Grundmodell 6.896,00 € kosten, das Modell mit Pedelec- (E-bike-) Antrieb 9.056,00 €. Die Kosten für das TrailerSet betrugen anteilig daran jeweils 630,00 €.
Am 12.9.2017 beantragten die Eltern für den Kläger dies bei der Beigeladenen als Hilfsmittel aus der Krankenversicherung. Der Kläger sei nach der Operation im März 2016 besonders darauf angewiesen, seine Beinmuskeln zu trainieren, um wieder unabhängig vom Rollstuhl mobil zu sein.
Die Beigeladene leitete den Antrag am 21.9.2017 nach § 14 Abs. 1 SGB IX an den Beklagten weiter. Sie ging dabei davon aus, dass der Kläger bereits durch den Rollstuhl hinreichend mit Hilfsmitteln versorgt sei, um seine Mobilität zu gewährleisten. Damit könne er die Strecken zurücklegen, die typischerweise im Nahbereich des Wohnumfeldes zu Fuß zurückgelegt würden. Das Therapierad solle dagegen Trainingszwecken dienen und eine gemeinsame Freizeitgestaltung mit den anderen Mitgliedern der Familie ermöglichen. Beides falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung, sondern sei der Eingliederungshilfe nach §§ 53ff. SGB XII zuzuordnen. Das Therapierad sei für das notwendige Muskeltraining auch nicht erforderlich. Physiotherapie und die Durchführung entsprechender Übungen in Eigenregie seien vorrangig und ausreichend.
Die Eltern des Klägers legten dem Beklagten einen Arztbericht des Schularztes Dr. P. vom 4.12.2017 vor, der die Notwendigkeit eines fortgesetzten Trainings der insgesamt schwachen Bein- und Rumpfmuskulatur bestätigte. Andernfalls sei zu befürchten, dass eine erneute Operation nötig werde. Dr. P. befürwortete den Einsatz des Therapierads „Trix“ von Hase mit Tandemfunktion zur gemeinsamen Nutzung mit dem Vater des Klägers, „gern mit einer E-bike-Funktion“. Dies diene neben der Kräftigung der Muskulatur auch der Teilhabe im Alltag.
Mit Bescheid vom 26.3.2018 lehnte der Beklagte die beantragte Leistung ab. Sie könne nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53ff. SGB XII gewährt werden, da der Kläger durch die Nutzung des Rollstuhls im Alltagsleben (Familie, Schule und häuslicher Nahbereich) bereits hinreichend mobil sei. Die zusätzliche Versorgung mit dem Therapierad sei für dieses Ziel nicht notwendig. Auch eine Leistung nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung komme nicht in Betracht, denn das notwendige Muskeltraining könne auch im Rahmen der Physiotherapie inkl. Übungen in Eigenregie erreicht werden.
Gegen diese Entscheidung legte der Vater und Betreuer des Klägers am 23.4.2018 Widerspruch ein. Der Kläger absolviere bereits wöchentlich 2 Einheiten beim Physiotherapeuten sowie täglich 1-2 weitere Einheiten in Eigenregie mit Unterstützung der Eltern. Dies reiche allerdings nicht aus, um den Erfolg der Operation nachhaltig zu sichern. Zusätzliches Training sei unbedingt erforderlich und durch den Gebrauch des Therapierads besonders gut möglich. Ferner helfe das Therapierad auch bei der Integration des Klägers in die (Familien-)Gemeinschaft, da es Ausflüge in die Natur etc. ermögliche, die aktuell mit dem Rollstuhl nicht oder nur sehr eingeschränkt durchführbar seien. Dies werde umso wichtiger, wenn der Kläger Mitte 2018 den Schulbesuch beende und die dortige soziale Integration in die Schul- und Klassengemeinschaft wegfalle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.8.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Gewährung der beantragten Leistung als Hilfsmittel der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 7 SGB IX scheide aus, weil das Therapierad nicht notwendig bzw. nicht das einzig zur Verfügung stehende Mittel sei, um das Grundbedürfnis des Klägers nach selbständiger Mobilität zwecks Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu befriedigen. Die Leistungsgewährung nach § 33 SGB V scheide aufgrund des Vorrangs der Physiotherapie aus.
Der Kläger besuchte bis zum Ende des Schuljahres 2017/18 eine staatliche Schule für Körperbehinderte. Seit September 2018 ist der in der Förder- und Betreuungsgruppe einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt.
Am 13.9.2018 hat der Betreuer des Klägers für diese Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben, die er im Wesentlichen gleich wie den Widerspruch begründet. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Gericht hat im Hinblick auf eine mögliche Kostenerstattungspflicht nach § 16 SGB IX durch Beschluss vom 1.4.2020 die Techniker Krankenkasse nach § 75 Abs. 1 SGG zum Verfahren beigeladen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers.
Der Hausarzt Dr. B. gibt in seiner Auskunft an das Gericht vom 14.7.2020 an, dass es sich bei dem Therapierad um die Trainingsmethode für den Kläger handele, die dieser am ehesten annehme. Es sei möglich, dass bei fehlendem Training eine Verschlechterung der Spastik eintrete und sich Fehlhaltungen und Kontrakturen einstellten. Der Einsatz des Therapierads unterstütze die Physiotherapie in den Bereichen Kraft und Ausdauer und setze die Therapieempfehlungen der S-Klinik um.
Dr. P., der Schularzt des Klägers, bestätigt in seiner Auskunft an das Gericht vom 4.8.2020 die regelmäßigen Therapieaufenthalte des Klägers in der S-Klinik. Die Verwendung des Therapiedreirads sei erforderlich, um die Mobilität des Klägers im Nahbereich seiner Wohnung zu sichern, die ansonsten nicht gegeben wäre. Ferner habe der Einsatz des Therapierads auch einen positiven Einfluss auf die soziale Integration des Klägers. Regelmäßiges Training, wie das Therapierad erbringe, sei erforderlich, um eine künftige (Wieder-)Verschlechterung der Muskelschwäche zu verhindern. Insofern sei die Verwendung des Therapierads für die Sicherung des Behandlungserfolgs notwendig. Die physiotherapeutische Behandlung sei zusätzlich erforderlich, aber nicht ausreichend.
Der Vater und Betreuer des Klägers hat für diesen mit Schreiben vom 12.11.2020 mitgeteilt, dass das Therapierad von ihm mittlerweile bestellt worden und einstweilen aus Eigenmitteln vorfinanziert worden sei. Es werde vom Kläger im Umfang von mind. 1 Stunde pro Tag rege verwendet. Bei dem angeschafften Rad handele es sich um die aktuelle Basisversion ohne Tandemfunktion (Trailer-Set). Die Rechnung der Firma vom 12.9.2020 betrage 8.780,00 € abzüglich einer - therapeutisch nicht notwendigen - passenden Fahrradtasche für 100,00 €. Es werde daher die Kostenübernahme in Höhe von 8.680,00 € begehrt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2018 zu verurteilen, ihm die Kosten für die Anschaffung des Therapiedreirads Hase „Trix“ in Höhe von 8.680,00 € zu erstatten.
die Klage abzuweisen.
Die Kostenerstattung sei nicht möglich, da aus den im Widerspruchsbescheid vom 10.8.2018 genannten Gründen ein Anspruch auf das Therapiedreirad weder als Hilfsmittel nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung noch als Leistung der Eingliederungshilfe gegeben sei.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ebenfalls insbesondere einen Anspruch nach dem SGB V nicht für gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte des Beklagten, die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid und damit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise angehört wurden.
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft nach § 54 Abs. 4 SGG.
Die Klage ist auch überwiegend begründet. Der Kläger hatte einen Anspruch auf Gewährung eines Hilfsmittels in Form des Therapiedreirads Hase „Trix“ gegen den Beklagten als zweitangegangenen Leistungsträger und hat daher nunmehr, nach der Selbstbeschaffung des Hilfsmittels im Herbst 2020, einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten. Das Gericht hat den Klageantrag des nicht anwaltlich vertretenen Klägers entsprechend neu gefasst; eine Klageänderung ist darin nicht zu sehen (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG). Der Bescheid des Beklagten vom 26.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus den Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach §§ 53ff. SGB XII (siehe hierzu unten 1.). Er ergibt sich aber aus den Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung (siehe hierzu unten 2.).
1. Der Kläger kann die begehrte Leistung nicht aus den Mitteln der Eingliederungshilfe nach den §§ 53ff. SGB XII vom Beklagten erhalten. Der Kläger ist unstreitig als wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII anzusehen und gehört daher zum Personenkreis der Eingliederungshilfeberechtigten. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung gehören zu den möglichen Leistungen der Eingliederungshilfe auch die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, die dem behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern sollen. Dazu gehören insbesondere die Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach § 31 SGB IX (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX), aber auch sonstige Hilfen zur Teilhabe am kulturellen und gemeinschaftlichen Leben (§ 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).
Die hier begehrte Leistung lässt sich allerdings weder unter die Hilfen zur Teilhabe am kulturellen und gemeinschaftlichen Leben fassen noch als Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe qualifizieren. Denn die entsprechende Hilfe müsste in beiden Fällen geeignet und auch erforderlich sein, um das Integrationsziel - hier ein Mindestmaß an eigenständiger Mobilität zu erreichen. Das Therapierad im vorliegenden Fall ist dafür zwar geeignet, aber nicht erforderlich, um das Grundbedürfnis des Klägers, eine selbständige Existenz wahrzunehmen, zu decken. Die Alltagsmobilität des Klägers war bzw. ist auch ohne das Therapierad in angemessenem Umfang gewährleistet. Insbesondere war bzw. ist das Rad nicht notwendig, damit der Kläger seine Schule erreichen konnte bzw. jetzt seinen Arbeitsplatz erreichen kann. Die Mobilität im Nahbereich der Wohnung ist durch die Versorgung mit einem Aktivrollstuhl gewährleistet. (Die insoweit anderslautende Aussage von Dr. P. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 4.8.2020 ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und deckt sich insbesondere auch nicht mit dem Vortrag des Klägers selbst. Sie ist vermutlich auf mangelnde Kenntnis der konkreten Alltagsgestaltung des Klägers von Seiten des in München ansässigen Arztes zurückzuführen.)
Zwar würde das Therapierad dem Kläger eine selbständige Erweiterung seines Mobilitätsradius ermöglichen. Der Vater und Betreuer des Klägers hat insoweit - für das Gericht verständlicherweise - insbesondere auf erweiterte Freizeitmöglichkeiten für die gesamte Familie verwiesen. Allerdings geht das Gericht davon aus, dass es sich insoweit um eine zwar wünschenswerte und attraktive Erweiterung der bestehenden Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten des Klägers handeln würde, das notwendige Minimum an Mobilität zum Zweck der sozialen Teilhabe aber gleichwohl bereits durch die vorhandenen Hilfsmittel gedeckt ist. Insbesondere sind keine konkreten zwingenden Teilhabebedürfnisse benannt worden, die nicht anders befriedigt werden könnten.
Auch geht aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen hervor, dass die Nutzung des Therapierads für Zwecke der sozialen Integration des Klägers in das Leben in der Gemeinschaft gegenüber den medizinischen/physiotherapeutischen Trainingsaspekten eher im Hintergrund steht. Insbesondere Dr. P. erwähnt den Teilhabeaspekt in seiner Auskunft vom 4.8.2020 zwar als positiven Nebeneffekt, sieht den Schwerpunkt der Nutzung allerdings im medizinischtherapeutischen Bereich. Dr. B. erwähnt in seiner Auskunft vom 14.7.2020 den Teilhabeaspekt gar nicht.
2. Der Erstattungsanspruch des Klägers ergibt sich aber aus den Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung. Der Kläger hatte einen Anspruch gegen den Beklagten - als zweitangegangenen Leistungsträger nach § 14 Abs. 2 SGB IX - auf Versorgung mit dem Therapiedreirad Hase „Trix“, denn es handelt sich um ein Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 SGB V, das seiner Art und Funktion nach zur Sicherung der Krankenbehandlung des Klägers geeignet und notwendig ist. Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. V. m § 18 Abs. 6 SGB IX, der den leistenden Rehabilitationsträger zur Erstattung einer vom Leistungsberechtigten selbst beschafften erforderlichen Leistung u. a. dann verpflichtet, wenn ersterer diese - nach den Vorschriften des jeweils anzuwendenden Leistungsrechts - zu Unrecht abgelehnt hat. Lediglich der Höhe nach ist der geltend gemachte Kostenersatz nach unten zu korrigieren (siehe dazu unten 3.).
Der Beklagte hat die Versorgung des Klägers mit dem streitgegenständlichen Therapiedreirad nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. V. m § 18 Abs. 6 SGB IX zu Unrecht abgelehnt. Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Anspruch auf Versorgung besteht nur, soweit das begehrte Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenversicherung (und damit auch der hier Beklagte, der nach den Vorschriften des SGB V agieren musste) gemäß § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen. Hiervon ausgehend durfte der Beklagte die Versorgung mit dem begehrten Therapiedreirad nicht ablehnen, weil es als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung erforderlich ist.
Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 7.10.2010, Az. B 3 KR 5/10 R - juris) hat die Voraussetzungen der Versorgung mit einem Therapiedreirad als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung dahingehend konkretisiert, dass
a) entweder das Therapiedreirad zwingend erforderlich sein muss, damit der Versicherte sich in der eigenen Wohnung bzw. im Nahbereich seiner Wohnung fortbewegen kann, um so seine üblichen Alltagsgeschäfte zu erledigen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. SGB V), oder
b) ohne den Einsatz eines Therapiedreirades eine über die bestehende Funktionseinschränkung hinausgehende, nicht mehr behebbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei natürlichem Verlauf, in absehbarer Zeit und mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten würde (§ 33 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB V), oder
c) der Einsatz des Therapiedreirades zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient (§ 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alt SGB V) und ebenso wirksame, aber wirtschaftlich günstigere Alternativen nicht zur Verfügung stehen, das Training mit dem Therapiedreirad also ein im Rahmen der Krankenbehandlung erforderliches Hilfsmittel zur Mobilisation des Versicherten darstellt. Voraussetzung hierfür ist, dass das Therapiedreirad spezifisch im Rahmen einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physiotherapie hat, die durch das Therapiedreirad unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann.
Nach Überzeugung des Gerichts liegen die unter a) aufgeführten Voraussetzungen nicht vor. Insoweit wird auf die obigen (siehe unter 1.) Ausführungen zum bereits durch den Aktivrollstuhl gesicherten Mindestmaß an Mobilität Bezug genommen. Die unter b) aufgeführten Voraussetzungen liegen möglicherweise vor; dies ist aber nicht mit der notwendigen Sicherheit festzustellen, da die entsprechenden Ausführungen von Dr. B. und Dr. P. in den sachverständigen Zeugenauskünften vom 14.7.2020 bzw. 4.8.2020 es zwar plausibel erscheinen lassen, dass ohne das durch das Therapierad ermöglichte Training (wieder) Muskelabbau, Fehlstellungen und Muskelverkürzungen eintreten, die nicht oder nur mit erheblichem konservativem und/oder operativen Aufwand korrigiert werden können. Ob dies allerdings bereits in absehbarer Zeit eintreten würde und in der Tat dann nicht mehr behebbar wäre, lässt sich den Ausführungen der behandelnden Ärzte nicht hinreichend konkret entnehmen. Nach Überzeugung des Gerichts sind aber die unter c) genannten Voraussetzungen erfüllt. Das Therapierad ist notwendig zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung des Klägers und wirtschaftlichere Alternativen sind nicht ersichtlich.
Grundsätzlich fallen Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit - also auch allgemeine sportliche Betätigung - genügen diesen Anforderungen nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt werden (BSG, Urteil vom 22.4.2009, Az. B 3 KR 5/08 R - juris). Dies gilt sowohl für behinderte als auch nichtbehinderte Versicherte. Gleichwohl können Sachmittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation - wie hier das Therapiedreirad - in besonderen Einzelfällen Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alt SGB V sein, wenn sie spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu deren Erfolg beizutragen (BSG, Urteil vom 7.10.2010, Az. B 3 KR 5/10 R - juris mit weiteren Nachweisen). Ein spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung besteht nur bei Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die eigentliche Krankenbehandlung als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung - wie hier beim Therapiedreirad - dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physiotherapie hat, die durch das Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten als wirtschaftlich darstellt.
So liegt es im vorliegenden Fall. Das Therapierad dient nicht nur zur allgemeinen sportlichen Betätigung des Klägers mit dem Ziel der Steigerung seiner körperlichen Kraft und Ausdauer. Der Kläger hat einen dauerhaften Anspruch auf Physiotherapie. Gleichwohl verordnete Dr. B. dem Kläger zusätzlich das Therapierad, da es sich laut seiner Auskunft an das Gericht vom 14.7.2020 nicht nur um die Trainingsform handelt, die dem Kläger und seinen individuellen Fähigkeiten und seiner Motivation am ehesten gerecht wird, sondern dies auch zur gezielten Unterstützung der bereits regelmäßig durchgeführten Physiotherapie notwendig ist. Hierbei stützte sich Dr. B. auf die Empfehlungen der S-Klinik, in der der Kläger seit mindestens 2016 regelmäßig behandelt wird. Dementsprechend bestätigt Dr. P. in seiner Auskunft vom 4.8.2020, dass die Physiotherapie nicht ausreicht, um das Behandlungsziel - deutliche Stärkung der Bein- und Rumpfmuskulatur - nachhaltig zu erreichen bzw. zu sichern. Dies wird auch vom Vater und Betreuer des Klägers glaubhaft so geschildert. Die Nutzung des Therapierads, die nach dem Vortrag des Vaters und Betreuers des Klägers seit seiner Anschaffung auch regelmäßig erfolgt, steht damit in einem spezifischen Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung in Form der dauerhaften Ergänzung zur Physiotherapie. Ob die Behandlungsfrequenz der Physiotherapie dadurch gesenkt werden kann oder nicht, ist nicht bekannt. Dr. B. hält dies für „möglich“, Dr. P. geht eher davon aus, dass beide Formen der Mobilisation nebeneinander notwendig bleiben. Letztlich ist dies aber auch nicht ausschlaggebend, da eine wesentliche Förderung der Physiotherapiemaßnahmen durch das zusätzliche Radtraining ausreicht. Der Einsatz des Therapiedreirades stellt sich hier daher als Teil des ärztlich verantworteten therapeutischen Gesamtkonzepts da, in dem das Hilfsmittel neben weiteren therapeutischen Maßnahmen wie der Physiotherapie zum Zwecke der Mobilisation und Verbesserung des Gangbildes, zur Minderung von Spastiken sowie zur Förderung des ansonsten gefährdeten Erhalts der Gehfähigkeit notwendig ist, da sich die Physiotherapie alleine - für das Gericht aufgrund der komplexen und erheblichen Behinderung des Klägers nachvollziehbarerweise - als nicht ausreichend erwiesen hat.
Wirtschaftlichere Alternativen sind nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet der Verweis auf die vergleichsweise wirtschaftlichere intensivierte Wahrnehmung der Physiotherapie, wie von der Beigeladenen in ihrem Schriftsatz vom 28.11.2020 angeregt, aus, weil dies gerade nicht ausreichend wäre. Im bisherigen Schriftverkehr zwischen den Beteiligten scheinen sowohl der Beklagte als auch die Beigeladene stets davon ausgegangen zu sein, dass der Kläger das Therapierad anstatt intensiver Physiotherapie nutzen möchte. In diesem Fall würde sich in der Tat mit Nachdruck die Frage der Wirtschaftlichkeit des begehrten Hilfsmittels stellen. Als Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme steht aber zur Überzeugung des Gerichts nunmehr fest, dass es sich nicht um Therapiealternativen handelt, sondern um ein zweigleisiges therapeutisches Konzept, das erst in Summe den Erfolg der Krankenbehandlung nachhaltig sichern kann. Ein genereller Vorrang krankengymnastischer Leistungen gegenüber der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach § 33 SGB V besteht im Übrigen nicht (BSG, Urteil vom 7.10.2010, Az. B 3 KR 5/10 R - juris).
Das Therapiedreirad ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (§ 33 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB V) von der Sachleistungspflicht der in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Fahrräder in Form eines üblichen Zweirades sind zweifelsohne allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Damit ist das vom Kläger beschaffte Therapiedreirad allerdings nicht vergleichbar. Es handelt sich nach den Produktinformationen des Herstellers (www.hasebikes.com) um Spezialanfertigungen für behinderte junge Menschen, die jeweils individuell an die körperlichen Bedürfnisse des Betroffenen angepasst werden.
Ein Leistungsausschluss nach § 34 SGB V liegt ebenfalls nicht vor.
Da der Beklagte in den mit der Klage angefochtenen Entscheidungen verkannt hat, dass die beantragte Leistung die Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllte und der Kläger daraufhin das Hilfsmittel zwischenzeitlich selbst beschafft hat, steht diesem also dem Grunde nach ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. V. m § 18 Abs. 6 SGB IX zu.
3. Der geltend gemachte Anspruch besteht allerdings nicht in der vom Kläger zuletzt geltend gemachten Höhe von 8.680,00 €, sondern lediglich in geringerem Umfang, so dass der Klage nur teilweise stattzugeben war.
Die Sachleistungspflicht nach § 33 Abs. 1 SGB V beschränkt sich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung, es besteht also kein Anspruch auf Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Hilfsmittel (BSG, Urteil vom 7.10.2010, Az. B 3 KR 5/10 R - juris mit weiteren Nachweisen). Dies gilt grundsätzlich auch für die Höhe des Erstattungsanspruchs, denn die Erstattung erfolgt ebenfalls nur für notwendige (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V) bzw. erforderliche (§ 18 Abs. 6 SGB IX) Leistungen. Der Versicherte muss die ihm offensichtlichen und zumutbaren Möglichkeiten der Schadensminderung oder -begrenzung nutzen.
Ursprünglich beantragt war das Therapiedreirad Hase „Trix“ als Basismodell ohne Pedelec- (E-bike-)Antrieb zum Preis von 6.896,00 €. Letzteres hatte Dr. P. zwar in seinem schulärztlichen Bericht vom 4.12.2017 befürwortet („gern mit einer E-bike-Funktion“), allerdings nicht als zwingend dargestellt. Auch in der ursprünglichen Verordnung von Dr. B. vom 18.8.2017 findet sich die Notwendigkeit eines E-bike- bzw. Pedelec-Antriebs nicht. Ebenso wenig findet sie Erwähnung in den sachverständigen Zeugenauskünften der beiden Ärzte an das Gericht. Auch laut dem Vortrag des Vaters und Betreuers des Klägers erscheint der unterstützende Elektroantrieb nicht als erforderlich. Insbesondere liegen keine Hinweise vor, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage wäre, das Basismodell ohne unterstützenden Elektroantrieb überhaupt zu bewegen und sinnvoll zu verwenden. Allerdings handelt es sich bei dem im Herbst 2020 vom Kläger erworbenen Rad ausweislich der Rechnung der Firma Fahrradspezialitäten vom 12.9.2020 und der Produktbeschreibung auf der Internetseite des Herstellers (www.hasebikes.com) um ein Rad mit E-bike/Pedelec-Antrieb. Die E-bike- bzw. Pedelec-Version des Therapierads stellt sich damit als nicht zwingend medizinisch notwendiges „Extra“ dar, das nicht aus den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden kann. Das Gericht greift daher für die Bestimmung der notwendigen und angemessenen Kosten stattdessen auf das ursprüngliche Angebot der Firma Fahrradspezialitäten vom 11.8.2017 zurück, nach dem das Therapierad ohne zusätzlichen Elektroantrieb 6.896,00 € gekostet hätte.
Davon abzuziehen sind ferner die im Angebot vom 11.8.2017 zweifach enthaltenen Kosten für das vom Kläger und seinen Eltern favorisierte zusätzliche Trailer-Set (je 630,00 €), mithilfe derer das Therapierad mit einem weiteren Fahrrad eines anderen Familienmitglieds „zusammengekoppelt“ werden könnte, so dass sich die Nutzungsdauer und Reichweite erhöhen würde. Auch hierfür besteht keine zwingende medizinische Notwendigkeit; insbesondere ist auch insoweit nirgends dokumentiert, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, das Basismodell ohne unterstützende „Tandemkraft“ einer weiteren Person überhaupt zu bewegen und sinnvoll zu verwenden. Dies hat der Vater und Betreuer des Klägers in seinem Schreiben an das Gericht vom 12.11.2020 dementsprechend auch eingeräumt. Die entsprechenden Zusatzkosten sind daher ebenfalls nicht erstattungsfähig.
Des Weiteren reduziert sich der Erstattungsanspruch des Klägers um die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Zweirad. Denn das Therapiedreirad stellt nicht nur ein therapeutisches Trainingsgerät dar, sondern ersetzt gleichzeitig ein von nichtbehinderten Menschen üblicherweise als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens benutztes handelsübliches Zweirad. Bei Hilfsmitteln, die neben ihrer Zweckbestimmung nach § 33 Abs. 1 SGB V einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ersetzen, haben die Versicherten daher einen Eigenanteil für ersparte Aufwendungen in Höhe des wirtschaftlichen Wertes des ersetzten Gebrauchsgegenstandes selbst zu tragen (BSG, Urteil vom 7.10.2010, Az. B 3 KR 5/10 R - juris mit weiteren Nachweisen). Diesen Eigenanteil setzt das Gericht mit 500,00 € an. Unter Einbeziehung von Sonderangeboten, Vorjahresmodellen etc. sind nach Internetrecherchen der Kammervorsitzenden sowohl im Online-Handel als auch im örtlichen Einzelhandel für diesen Preis entsprechende Fahrräder akzeptabler Qualität zu erhalten.
Es verbleibt daher im Ergebnis ein erstattungsfähiger Anschaffungsbetrag von 5.138,00 €.
Die ablehnenden Bescheides Beklagten waren daher aufzuheben und der Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger diesen Betrag zu erstatten. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.