L 4 KG 1/21 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KG 9/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KG 1/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Prozessbevollmächtigte, denen in einem Urteil oder Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kosten gemäß § 192 Abs. 1 SGG (Verschuldenskosten) auferlegt werden, können diese Kostenentscheidung in zulässiger Weise mit einer Beschwerde anfechten.

2. Die Rechtsverfolgung ist nicht aussichtslos i.S.v. § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, wenn das Gericht Rechtsauffassungen zugrunde legt, die mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang stehen. Gleiches gilt, wenn den rechtlichen Ausführungen des Gerichts die maßgebliche Subsumtion nicht zu entnehmen ist.

3. Es bleibt offen, ob § 192 Abs. 1 SGG die Auferlegung von Kosten auch gegenüber Prozessbevollmächtigten erlaubt.

4. Hält das Gericht die Auferlegung von Verschuldenskosten auch gegenüber Prozessbevollmächtigten für zulässig, hat es gleichwohl eine Ermessensentscheidung zu treffen, wem es solche Kosten auferlegt.

5. Unterlässt das Gericht Ermittlungen, auf wen die aus seiner Sicht missbräuchliche Fortführung des Rechtsstreits zurückzuführen ist, liegt in der Feststellung, es fehle an Anhaltspunkten für eine andere Entscheidung, eine fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens hinsichtlich des Kostenschuldners.

6. Kritik an der Justiz ist – auch in sarkastischer oder ggf. überzogener Form – kein im Rahmen von § 192 Abs. 1 SGG tauglicher Ermessensgesichtspunkt.

 

Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2019 aufgehoben, soweit ihm darin Gerichtskosten auferlegt wurden.

 

Die Staatskasse hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 150.- € festgesetzt.

 

 

Gründe

 

 

I. Mit Gerichtsbescheid vom 20. Mai 2019 wies das Sozialgericht die Klage, mit der der Kläger für die Monate März bis September 2017 Kindergeld für sich selbst nach § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz – BKGG – (in der 2017 geltenden Fassung) geltend machte, ab, erlegte dem Beschwerdeführer, einem als Prozessbevollmächtigten des Klägers tätigen Rechtsanwalt, Gerichtskosten i.H.v. 150.- € auf und begründete Letzteres wie folgt: Der Klägerbevollmächtigte habe rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG (SGG) gehandelt. Denn er sei in der Anhörung zum Gerichtsbescheid vom 12. März 2019 darauf hingewiesen worden, dass Erfolgsaussichten der Klage unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt bestünden. Sein Prozessverhalten stelle sich daher nach Überzeugung der Kammer als bloßes Beharren auf eine mit dem Gesetz unvereinbare Rechtsposition dar. Nachdem sich aus den geführten Schriftwechseln nicht im Ansatz ergebe, dass der Kläger selbst – trotz entsprechender Beratung seines Vertreters – auf die Fortführung des Rechtsstreits gedrängt habe, sei der Beschwerdeführer – nicht etwa der Kläger – an den Gerichtshaltungskosten des Landes in angemessener Höhe zu beteiligen gewesen.

In der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids wird darauf verwiesen, dass „dieser Gerichtsbescheid […] mit der Berufung angefochten werden“ könne.

 

Mit seiner in eigenem Namen eingelegten Beschwerde vom 28. Januar 2021 ficht der Beschwerdeführer den Gerichtsbescheid an, soweit ihm darin Gerichtskosten auferlegt werden.

 

Der Kläger hat den o.g. Gerichtsbescheid im Übrigen mit der Berufung angefochten, über die der Senat aufgrund mündlicher Verhandlung ebenfalls am heutigen Tag in der Sache entschieden hat.

 

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

 

1. Die Beschwerde ist zulässig.

 

a. In statthafter Weise greift der Beschwerdeführer die (nur) ihn belastende Kostenentscheidung im o.g. Gerichtsbescheid mit der Beschwerde an.

 

aa. Die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) findet nach § 172 Abs. 1 SGG gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Zwar hat das SG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die Verschuldenskosten in einem Gerichtsbescheid nach § 106 SGG – insoweit gelten die Vorschriften für Urteile entsprechend (§ 106 Abs. 1 Satz 3 SGG) – auflegt. Entscheidet das Gericht jedoch nicht in der korrekten Entscheidungsform (Gerichtsbescheid statt Beschluss), kann der Beteiligte nach dem sog. Meistbegünstigungsgrundsatz auch das Rechtsmittel einlegen, das gegen die Entscheidung gegeben wäre, die richtigerweise zu erlassen war (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., vor § 143 Rn. 14 m.w.N.). Ein Urteil ergeht zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten (vgl. auch § 141 SGG zur Rechtskrafterstreckung). Hierzu gehören nach § 69 SGG nur Kläger, Beklagter und Beigeladener, nicht aber der Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten. Somit konnte gegen den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht durch Urteil entschieden werden. Entscheidungen gegen Außenstehende (z.B. Ordnungsgeld gegen Zeugen) können nur durch Beschluss ergehen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. November 2017 – L 4 P 4479/17 B –, Rn. 11, juris, m.w.N.).

 

bb. Die Beschwerde ist nicht ausgeschlossen. Die Auferlegung von Kosten ist eine Entscheidung des Gerichts und unterfällt damit nicht dem Ausschluss von Beschwerden gegen Verfügungen des Vorsitzenden des § 172 Abs. 2 SGG. Die Ausschlusstatbestände des § 172 Abs. 3 Nr. 3 und 4 SGG beschränken sich auf Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG und Entscheidungen nach § 192 Abs. 4 SGG. Entscheidungen nach § 192 Abs. 1 SGG werden vom Ausschluss der Beschwerde nicht erfasst.

 

b. Die Beschwerde wurde form- und insbesondere fristgerecht eingelegt.

 

Der Senat kann offen lassen, ob die Frist zur Beschwerdeeinlegung verstrichen ist (hierzu aa.) oder dem Beschwerdeführer zumindest Wiedereinsetzung in der vorigen Stand zu gewähren ist (hierzu bb.)

 

aa. Nach einer Auffassung kann die Beschwerde noch fristgerecht eingelegt werden. Die Monatsfrist aus § 173 Satz 1 SGG hätte dann nicht zu laufen begonnen (§ 66 Abs. 1 SGG), weil die Rechtsmittelbelehrung im o.g. Gerichtsbescheid keinen Hinweis auf die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Auferlegung von „Gerichtskosten“ einzulegen, enthält. Wird die erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung unterlassen oder unrichtig erteilt, verlängert sich die Berufungsfrist auf ein Jahr (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Jahresfrist läuft jedoch nicht, wenn "eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei" (§ 66 Abs. 2 Satz 1 Regelung 2 SGG). Dies kann auch dann anzunehmen sein, wenn keine Belehrung über einen nach dem Gesetz statthaften Rechtsbehelf (hier: Beschwerde) erfolgt. Dem in § 66 Abs. 2 Satz 1 Regelung 2 SGG ausdrücklich angesprochenen Fall können somit diejenigen Fälle gleichzusetzen sein, in denen nicht über alle statthaften Rechtsbehelfe (hier: Berufung für den Kläger, Beschwerde für dessen Prozessbevollmächtigten) belehrt wird. Denn dadurch wird zugleich der für den Beschwerdeführer statthafte Rechtsbehelf als nicht gegeben dargestellt (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation: BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 19/06 R –‍, juris, Rn. 54; ähnlich zur inhalts- und wortgleichen Vorschrift des § 58 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung: Bundesverwaltungsgericht vom 25. Juni 1985 – 8 C 116/84 – und vom 2. April 1987 – 5 C 67/84 –, jeweils juris; zu § 55 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung: Bundesfinanzhof vom 31. Januar 2005 – VII R 33/04 –, juris; vgl. auch Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 66 Rn. 13d, Jung, in: Roos/Wahrendorf/Müller BeckOGK, Sozialgerichtsgesetz, Stand: 1. August 2022, § 66 Rn. 32; ähnlich Wolff-Dellen, in Fich­te/Jüttner, Sozialgerichtsgesetz, 3.A., § 66 Rn. 40; a.A. Senger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxiskommentar-SGG, § 66 <Stand: 15. Juni 2022>, Rn. 49).

 

bb. Folgt man dieser Rechtsauffassung – z.B. wegen des Wortlauts von § 66 Abs. 2 SGG – nicht, ist im vorliegenden Fall zumindest Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 SGG wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung ist unabhängig vom Verschulden des Beteiligten – im Beschwerdeverfahren zählt hierzu auch der am Klageverfahren selbst nicht „beteiligte“ Beschwerdeführer – zu gewähren, wenn dies wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten ist; in solchen Fällen tritt ein in der eigenen Sphäre des Beteiligten liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurück (Bundessozialgericht - BSG -, Beschlüsse vom 20. März 2019 – B 1 KR 7/18 B –, Rn. 9, und vom 17. November 2015 – 1 KR 130/14 B –, Rn. 5; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 26. Februar 2008 – 1 BvR 2327/07 –,  Rd. 22, und vom 04. Mai 2004 – 1 BvR 1892/03 –; alle juris und m.w.N.). Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, Beteiligte oder ihre Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Beteiligte und ihre Prozessbevollmächtigten können daher erwarten, dass ein unzulässig eingelegtes Rechtsmittel in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (BSG, Beschlüsse vom 09. Mai 2018 – B 12 KR 26/18 B –, Rn. 11, und vom 17. November 2015 – B 1 KR 130/14 B –‍, Rn. 5; jeweils juris und m.w.N.).

 

Dies ist hier zu bejahen. Der Senat hätte im Rahmen seiner allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht die Klägerseite vor Ablauf der Jahresfrist am 12. Juni 2020 – der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 20. Mai 2019 wurde ihr am 12. Juni 2019 zugestellt – darauf hinweisen müssen, dass die Auferlegung von „Gerichtskosten“ in dieser Entscheidung statthaft nur durch eine Beschwerde des Prozessbevollmächtigten angefochten werden kann. Dies wäre angesichts des Eingangs der Berufungsschrift beim LSG am 16. Juli 2019 unter Zugrundelegung eines normalen Geschäftsgangs auch ohne weiteres möglich gewesen.

 

Folgt man dieser Rechtsauffassung, wurde die am 28. Januar 2021 vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen erhobene  Beschwerde gegen die Auferlegung von „Gerichtskosten“ im o.g. Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach Zugang des gerichtlichen Hinweisschreibens vom 13. Januar 2021 eingelegt, sodass ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt werden kann.

 

2. Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist begründet. Das SG hätte ihm keine Verschuldenskosten auferlegen dürfen.

 

Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist.

 

Ob Satz 1 die Auferlegung von Kosten nur gegenüber einem Beteiligten, zu denen der Prozessbevollmächtigte des Klägers – wie oben ausgeführt – nicht gehört, oder auch gegenüber einem Prozessbevollmächtigten erlaubt, ist umstritten (zum Streitstand vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Mai 2017 – L 32 AS 345/17 B –, juris; Loytved, jurisPR-SozR 9/2018 Anm. 3). Der Senat kann diese Frage offen lassen, weil sich die Entscheidung des Sozialgerichts bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist.

 

a. Das Sozialgericht war der Auffassung, die Aufrechterhaltung der Klage seitens des Klägers sei rechtsmissbräuchlich, weil die Fortführung offensichtlich aussichtslos sei. Es hat, gestützt auf diese Begründung, vor Erlass des Gerichtsbescheides auf die Missbräuchlichkeit hingewiesen. Von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des fortgesetzten Begehrens kann jedoch nicht ausgegangen werden.

 

aa. Offensichtlich aussichtslos ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nur dann, wenn sich die maßgeblichen Rechtsfragen entweder unmittelbar aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften beantworten lassen oder durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits zweifelsfrei geklärt sind. Selbst im letztgenannten Fall darf ein Beteiligter aber durch die Androhung und Auferlegung von Missbrauchskosten nicht daran gehindert werden, auf eine Änderung der von ihm für unzutreffend empfundenen höchstrichterlichen Rechtsprechung hinzuwirken. Abzustellen ist auf den konkreten Beteiligten und dessen Motivlage  (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2021 – L 17 EG 2/21 –, Rn. 39; Urteil vom 10. November 2020 – L 9 KR 374/19 –, Rn. 30; jeweils juris und m.w.N.; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., §  192 Rn. 9 m.w.N.).

 

bb. Hieran gemessen war die Rechtsverfolgung durch die Klägerseite nicht aussichtslos. Dem Beschluss des Sozialgerichts vom 31. Oktober 2018 (Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht) liegen ebenso wie dem diese Entscheidung bestätigenden Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 2. Januar 2019 (L 14 KG 5/18 B PKH) Rechtsauffassungen zugrunde, die mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang stehen. Der Vorwurf, die Rechtsverfolgung sei aussichtslos, ist daher verfehlt.

 

(1) Soweit das Sozialgericht im Beschluss vom 31. Oktober 2018 davon ausgeht, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, den Aufenthalt seiner Eltern nicht zu kennen, lässt sich dieses Erfordernis aus höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ableiten. Das BSG hat vielmehr betont, es obliege in erster Linie der Beklagten, die Nichtkenntnis des Kindes bezüglich des Aufenthalts seiner Eltern festzustellen (Urteil vom 8. April 1992 – 10 RKg 12/91 –, juris, Rn. 17 f.).

 

(2) Gleiches gilt für die auf dieses Urteil des BSG gestützte Annahme, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG sei nicht deshalb erfüllt, weil die Eltern möglicherweise keine „ladungsfähige“ Anschrift haben. Demgegenüber hat das BSG als Beleg für die Tatsache, dass die dortige Klägerin den derzeitigen Aufenthalt ihrer Mutter nicht kannte, gerade den Umstand angesehen, dass „auch später […] eine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt geworden“ sei.

 

(3) Soweit das Sozialgericht angenommen hat, dass sich der Kläger nicht mindestens drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten habe, lässt es offen, inwiefern sich dies „aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.09.2016“ ergeben soll. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen von § 1 Abs. 3 Nr. 3 lit. a BKGG trifft der Bescheid vom 12. September 2016, durch den dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft noch der subsidiären Schutzstatus zuerkannt,  sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festgestellt wurde, keine ausdrücklichen Aussagen. Aus rechtlichen Ausführungen des Sozialgerichts, denen die maßgebliche Subsumtion nicht zu entnehmen ist, kann jedoch keine Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung resultieren.

 

(4) Eine solche ergibt sich schließlich nicht aus dem Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 2. Januar 2019. Denn dieser setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.; ferner Urteil vom 5. Mai 2015 – B 10 KG 1/14 R –, juris) und dessen Auslegung zu § 1 Abs. 2 BKGG bzw. dessen verfassungsrechtlichen Zweifeln an § 1 Abs. 3 Nr. 3 lit. a BKGG auseinander.

 

b. Die Entscheidung nach § 192 Abs. 1 SGG steht im Ermessen des Gerichts (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2021 – L 17 EG 2/21 –, Rn. 39, juris; LSG Bayern, Beschluss vom 10. März 2020 – L 3 SB 132/18 –, juris, Rn. 7; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rn. 16; Krauß, in: Roos u.a., § 192 Rn. 50;  Groß, in: Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 6.A., § 192 Rn. 24), und zwar sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch hinsichtlich des „Wie“ (Stotz, in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 192 SGG (Stand: 15. Juni 2022), Rn. 63). Zu berücksichtigen sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, u.a. der Grad der Missbräuchlichkeit, die Schwere des Verschuldens, die Höhe der entstandenen Kosten und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, aber auch die Frage, ob dem Kläger oder ggf. dem Prozessbevollmächtigten Verschuldenskosten aufzuerlegen sind (LSG Bayern a.a.O.; Krauß a.a.O.). Im Rechtsbehelfsverfahren ist die gerichtliche Ermessensentscheidung vergleichbaren Beschränkungen unterworfen, die auch für die sozialgerichtliche Kontrolle behördlicher Ermessensentscheidungen gelten. Sie kann somit nur beanstandet werden, wenn das Gericht seinen Ermessensspielraum nicht gebraucht, unter- oder überschritten oder in fehlerhafter Weise gebraucht hat. Letzteres ist u.a. dann der Fall, wenn das Gericht einen unrichtigen oder unvollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt oder die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet hat (Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 54 Rn. 27 m.w.N.).

 

Das Sozialgericht von dem ihm eingeräumten Ermessensspielraum in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft Gebrauch gemacht.

 

aa. Die o.g. Begründung für seine Entscheidung, nicht dem Kläger, sondern dem Beschwerdeführer Kosten aufzuerlegen, trägt nicht. Das Sozialgericht hat hierzu entgegen § 103 SGG keine Ermittlungen angestellt. Soweit es Schlussfolgerungen „aus den geführten Schriftwechseln“ zieht, geht es von einem unrichtigen Sachverhalt aus. Denn zum einen hat sich die Klägerseite nach der Anhörung zum Gerichtsbescheid (gerichtliches Schreiben vom 12. März 2019) nur noch einmal geäußert (Schriftsatz vom 12. April 2019). Die Verwendung des Plurals („Schriftwechseln“) entspricht daher nicht den Tatsachen. Zum anderen hat das Sozialgericht in keiner Weise versucht zu ermitteln, auf wen die aus seiner Sicht missbräuchliche Fortführung des Rechtsstreits zurückzuführen ist. Es mag zwar naheliegen, dass die Klägerseite hierzu keine Angaben gemacht hätte, weil sie hierzu wohl auch nicht verpflichtet gewesen wäre (vgl. zum Gebot der Verschwiegenheit als tragender Säule des Anwaltsberufs: Träger, in: Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, 10.A., § 43a Rn. 12 ff. m.w.N.). Gleichwohl aber rechtfertigt das Fehlen von Anhaltspunkten nicht die Entscheidung des Sozialgerichts, gerade dem Beschwerdeführer Kosten aufzuerlegen. Denn auf dieselbe Begründung – dem Fehlen von Anhaltspunkten – hätte es auch die anderen denkbaren Ergebnisse, nämlich keine oder dem Kläger Kosten aufzuerlegen, stützen können. Darin liegt – dies zum dritten – ebenso eine Fehlgewichtung von Abwägungsgesichtspunkten wie im Abstellen auf „die Einlassung vom 12.04.2019, in der versucht wurde, das Gericht zu degradieren“. Es wird schon nicht erkennbar, auf welche „Einlassung“ aus dem Schriftsatz der Klägerseite vom 12. April 2019 das Sozialgericht sich bezieht. Soweit das Sozialgericht auf das Vorbringen der Klägerseite abzielen sollte, das LSG stehe in der Gerichtshierarchie auf der zweitniedrigsten Stufe, nur das Sozialgericht sei noch niedriger angesiedelt, lässt sich dies objektiv nicht bestreiten. Soweit das Sozialgericht darin despektierliche Äußerungen erkannt haben mag, läge darin kein abwägungsrelevanter Umstand. Kritik an der Justiz ist – auch in sarkastischer oder ggf. überzogener Form – kein im Rahmen von § 192 Abs. 1 SGG tauglicher Ermessensgesichtspunkt.

 

3. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers war erfolgreich. Insoweit sind Gerichtskosten nicht angefallen. Denn nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. dessen Kostenverzeichnis (Nr. 7504) beträgt die Gerichtsgebühr bei erfolgloser Beschwerde pauschal 66.- €,  bei teilweiser Erfolglosigkeit ggf. weniger. Dies schließt Gerichtskosten im Falle eines vollen Erfolges der Beschwerde aus, sodass eine Entscheidung über Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens entfällt. Deshalb ist nur über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers für das Beschwerdeverfahren zu entscheiden. Diese hat die Staatskasse dem Beschwerdeführer zu erstatten, wobei der Streitwert der von dem Prozessbevollmächtigten erhobenen Beschwerde – der Höhe der auferlegten Verschuldenskosten entsprechend – 150.- € beträgt. Wie bei Beschwerden von Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen gegen Ordnungsgeldbeschlüsse ist nur der jeweilige Beschwerdeführer beteiligt, mithin nicht die Beklagte, so dass sie auch nicht als Kostenschuldnerin in Betracht kommt. In entsprechender Anwendung des § 46 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten i.V.m. § 467 Strafprozessordnung ist Kostenschuldner die Staatskasse (LSG Baden-Württemberg a.a.O., m.w.N.).

 

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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