L 7 KA 1/23 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 KA 150/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 1/23 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 SF 1/23 R
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Für Streitigkeiten über die Abrechnung von Leistungen nach § 7 TestV ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. 

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.


Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

 

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in Berlin, die im Auftrag des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) eine Coronateststation zur Durchführung von kostenlosen Bürgertests nach § 4a der Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Testverordnung – TestV) betrieb.

 

Sie rechnete auf Grundlage der TestV die erbrachten Leistungen gegenüber der Beklagten ab. Für den vorliegend streitigen Monat April 2022 machte Sie eine Vergütung für 3.447 Abstriche einschließlich Sachkosten geltend. Mit Bescheid vom 25. August 2022, geändert durch Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2022, setzte die Beklagte eine Vergütung in Höhe von 17.250,00 Euro fest, berücksichtigte dabei aber eine Testkapazität im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 TestV von nur 1.500 Abstrichen (30 Tage, 50 Tests täglich). Die bereits vorgenommene Auszahlung von 38.675,34 Euro für den Monat April 2022 werde zu gegebener Zeit verrechnet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen (Bl. a bis d der Gerichtsakte).

 

Hiergegen hat die Klägerin am 25. November 2022 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Sie verfolgt das Ziel der Bewilligung einer Testkapazität von 3.447 mit der Folge der abschließenden Festsetzung einer Vergütung für den Monat April 2022 in Höhe von 38.675,34 Euro.

 

Das Sozialgericht Berlin hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach erfolgter Anhörung mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat das SG Berlin ausgeführt, dass gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei, da eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliege. Es handele sich bei dem Rechtsstreit um keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass die TestV ihre Grundlage in § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) finde, mache die darin geregelten Leistungen nicht zu solchen der GKV bzw. des Sozialversicherungsrechts. Ein Testanspruch bestehe weder gegenüber der Krankenkasse noch gegenüber der Beklagte, sondern gegenüber dem ÖGD. Die Testungen würden zudem nicht durch Beiträge der Versicherten der GKV finanziert, die finanziellen Lasten trage gem. §§ 14, 15 TestV allein der Bund. Es liege auch keine Angelegenheit des Vertragsarztrechts vor, da die Klägerin keine Leistungen innerhalb des vertragsärztlichen Systems oder der vertragsärztlichen Versorgung erbringe. Leistungszuständig sei vielmehr der ÖGD. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Abrechnung der Leistungen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), da diese nicht im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags aus § 75 Abs. 1 SGB V tätig würden. Sie erbrächten keine eigenen Leistungen, sondern nur solche im Auftrag des ÖGD. Die Tatsache, dass die Abrechnungs- und Plausibilitätsprüfung der Beklagte im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungserbringung von den Sozialgerichten geprüft werde, sei nicht rechtswegsbestimmend. Maßgeblich sei, dass die Rechtsnormen, aus denen die Beklagte den angefochtenen Bescheid abgeleitet habe, nicht dem Recht der Krankenversicherung zuzuordnen sei. Daraus, dass der Gesetzgeber in     § 68 Abs. 1a des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) den Verwaltungsrechtsweg für Streitigkeiten über Ansprüche nach einer auf Grund des    § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a SGB V erlassenen Verordnung geregelt habe, könne aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm nicht im Gegenschluss abgeleitet werden, dass für die aufgrund von § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b SGB V erlassene TestV der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sein sollte.

 

Hiergegen hat die Beklagte am 9. Januar 2023 Beschwerde zum Landessozialgericht erhoben. Sie ist der Ansicht, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sei, da es sich um eine Angelegenheit auf dem Gebiet der Krankenversicherung handele. Hierunter fielen Angelegenheiten, die sich aus der Wahrnehmung und Erfüllung der nach dem SGB V zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben ergäben. Vorliegend seien Ansprüche aus der TestV streitig, deren Ermächtigungsgrundlage im SGB V enthalten sei.

 

 

II.

 

Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. §§ 202, 172, 173 SGG form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

 

Zu Recht hat das SG Berlin den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen.

 

Welcher Rechtsweg zulässig ist, ergibt sich aus der Gerichtsverfassung, den speziellen gesetzlichen Bestimmungen und ansonsten aus den jeweiligen Prozessordnungen.

 

1. Der Verwaltungsrechtsweg ergibt sich nicht bereits aus einer aufdrängenden Sonderzuweisung in § 68 Abs. 1a IfSG. Nach dieser Norm ist für Streitigkeiten über Ansprüche nach einer auf Grund des § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a, auch in Verbindung mit Nr. 2, des SGB V sowie des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c und f lfSG erlassenen Rechtsverordnung der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Die dem geltend gemachten Anspruch im vorliegenden Klageverfahren zugrundeliegende Anspruchsgrundlage ergibt sich aus § 7 TestV. Die TestV wurde ausweislich ihrer Eingangsformel „auf Grund des § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b und Nummer 2, Satz 3, 9, 12, 13, 15 SGB V, dessen Absatz 3 Satz 3, 14 bis 17 zuletzt durch Artikel 2a Nummer 1 des Gesetzes vom 28. Mai 2021 (BGBl. I S. 1174) geändert worden ist, nach Anhörung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Verbands der Privaten Krankenversicherung und des § 24 Satz 3 Nummer 2, Satz 4 und 5 des Infektionsschutzgesetzes, der durch Artikel 1 Nummer 15 Buchstabe b des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) neu gefasst worden ist“ erlassen und damit nicht aufgrund von § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a SGB V oder § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c lfSG. Der Gesetzgeber hat damit den Verwaltungsgerichten im Wege einer aufdrängenden Sonderzuweisung nur solche Streitigkeiten zugewiesen, die die Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung) betreffen (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. Oktober 2022,   L 16 KR 433/22 B ER, Rn. 4, zitiert nach juris). Für eine entsprechende Anwendung des § 68 Abs. 1a IfSG auch auf Streitigkeiten mit Bezug zur TestV mangelt es an einer unbeabsichtigten Regelungslücke. Dies ergibt sich aus der Begründung zur Einführung der Norm in dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite  betreffenden  Regelungen (vgl.  Be­­­schluss­empfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit [14. Ausschuss] vom 3. März 2021, BT-Drs. 19/27291, S. 63), wonach die Norm notwendig gewesen sei zur Klarstellung der Zuständigkeit, nachdem es im Rahmen der Entscheidung über Ansprüche auf Zugang zu Schutzimpfungen im Rahmen der Coronavirus-Impfverordnung Unklarheiten gegeben habe.

 

2. Jedoch ergibt sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hiernach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Rechtsnatur der Rechtsnormen, die das Rechtsverhältnis prägen, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird (st. Rspr. des BVerwG, vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022, 1 B 65.22, Rn. 5, zitiert nach juris). Die - nicht verfassungsrechtliche – Streitigkeit, die Fragen der Vergütung von Bürgertestungen auf das Coronavirus betrifft, beurteilt sich nach §§ 6 ff. TestV. Nach diesen Vorschriften erfolgt die Abrechnung der durchgeführten Testungen durch den zugelassenen Leistungserbringer gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung. Die Vorschriften ermächtigen die Kassenärztlichen Vereinigungen als Träger öffentlicher Gewalt (vgl. § 77 Abs. 1 und 5 SGB V) zur Auszahlung der Vergütung, aber auch zur Prüfung der Abrechnung und zum Erlass von Rückforderungsbescheiden gegenüber den Leistungserbringern (vgl. § 7a Abs. 5 Satz 5 TestV). Das streitige Rechtsverhältnis ist mithin durch Normen des öffentlichen Rechts geprägt, die die zuständige Stelle einseitig berechtigen und verpflichten, und damit eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art“.

 

3. Die Streitigkeit ist auch nicht im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen. Insbesondere liegen – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Voraussetzungen der abdrängenden Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten nach § 51 SGG vor.

 

a) Die Streitigkeit ist zur Überzeugung des Senats insbesondere keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG, denn sie ist nach ihrem Schwerpunkt nicht vom Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geprägt. Die Art einer Streitigkeit - hier: Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung - richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. Juli 1989, GmS-OGB 1/88, Rn. 10 m.w.N., zitiert nach juris). Maßgebend hierfür ist der Gegenstand der Streitigkeit (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 29. Oktober 1987, GmS-OGB 1/86, Rn. 11, zitiert nach juris).

 

Da auch sozialgerichtliche Streitigkeiten solche des öffentlichen Rechts sind, ist entscheidend für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG zum Verwaltungsrechtsweg, ob das Rechtsverhältnis dem speziellen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. Juli 1989, GmS-OGB 1/88, Rn. 13, zitiert nach juris), die Streitigkeit also ihre Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat (BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2020, 3 B 2/20, Rn. 6, zitiert nach juris) und die maßgeblichen Normen dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind (BSG, Beschluss vom 5. Mai 2021, B 6 SF 1/20 R, Rn. 34 zitiert nach juris). Entscheidend ist, ob der Schwerpunkt der Rechtsstreitigkeit vom Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geprägt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2022, 3 B 40/21, Rn. 21, zitiert nach juris.).

 

b) Die so umschriebenen Voraussetzungen für eine Zuordnung der Streitigkeit zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung liegen – daran hat der Senat keine Zweifel –  nicht vor.

 

Das Recht der Krankenversicherung – eine Hauptsparte der gesetzlichen Sozialversicherung, vgl. § 4 SGB I – ist geregelt im SGB V. Die Abrechnung erbrachter Testleistungen ist dagegen in § 7 der TestV geregelt. Die streitentscheidende Norm selbst ist damit nicht im SGB V verortet; sie hat ihre prägende Wurzel auch nicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung.

 

aa) Zwar ist die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der TestV selbst in § 20i Abs. 3 Nr. 1b SGB V geregelt, jedoch kommt dem Standort der Ermächtigungsnorm im SGB V für die zu beurteilende Frage keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Vielmehr ist die Verortung der Verordnungsermächtigung im SGB V zunächst allein auf den Entstehungsprozess der Norm zurückzuführen. Die Regelung des § 20i Abs. 3 SGB V hat im Laufe des Gesetzgebungsprozesses eine erhebliche Änderung erfahren (vgl. die Übersicht zur Entwicklung der Norm bei Bockholdt, in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona – Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 2. Aufl. 2022, § 14, Rn. 14 ff.).

 

§ 20i Abs. 3 Nr. 1b SGB V wurde eingeführt durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 (BGBl I, S. 1018, 1026). In dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf vom 5. Mai 2020 (BT-Drs. 19/18967, S. 26) lautete die Norm:

 

„Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, nach Anhörung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass die Kosten für bestimmte Testungen auf eine Infektion oder Immunität im Hinblick auf eine bestimmte übertragbare Krankheit von den Trägern der Krankenversicherung nach dem Dritten Abschnitt des Dritten Kapitels getragen werden, sofern die Person bei dem jeweiligen Träger der Krankenversicherung versichert ist. Sofern das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung nach Satz 1 oder Satz 2 festgelegt hat, dass die Kosten für bestimmte Schutzimpfungen, für bestimmte andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe oder für bestimmte Testungen auf eine Infektion oder Immunität von den Trägern der Krankenversicherung getragen werden, haben die Versicherten einen Anspruch auf Leistungen für diese Maßnahmen. In der Rechtsverordnung können auch Regelungen zur Erfassung und Übermittlung von anonymisierten Daten insbesondere an das Robert Koch-Institut über die auf Grund einer Rechtsverordnung nach Satz 1 oder Satz 2 durchgeführten Maßnahme getroffen werden.“

 

Sie regelte damit ursprünglich eine Verordnungsermächtigung allein für den Testanspruch gesetzlich Krankenversicherter gegen die gesetzlichen Krankenkassen und wurde daher folgerichtig im SGB V verankert. Es sollte mit der Verordnungsermächtigung sichergestellt werden, dass über das bisherige Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus Testungen auch dann zu Lasten der GKV erbracht werden können, wenn keine Symptome für Covid-19 vorliegen. Die Testung auf Covid- 19 bei Symptomen in Arztpraxen und Krankenhäusern ist demgegenüber weiterhin eine Leistung nach § 27 SGB V.

 

Im Zuge des beschleunigt durchgeführten Gesetzgebungsprozesses wurde der Entwurf durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 13. Mai 2020 (BT Drs. 19/19216, S. 48) dahingehend geändert, dass im Satz 2 der Vorschrift das Bundesministerium für Gesundheit (…) ermächtigt wird, „durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass 1. Versicherte Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 oder auf das Vorhandensein von Antikörpern gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 haben, auf die kein Anspruch nach § 27 besteht, und 2. Personen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, Anspruch auf Leistungen nach Nummer 1 haben.“

 

Damit wurde nunmehr der anspruchsberechtigte Personenkreis nicht mehr auf die gesetzlich Krankenversicherten beschränkt. Zudem wurden weitere Sätze angefügt, unter anderem Satz 5: „Die Aufwendungen für Leistungen nach Satz 2 werden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds gezahlt.“ Von einem durch die gesetzlichen Krankenkassen zu erbringenden Anspruch war mithin in der Beschlussempfehlung nicht mehr die Rede.

 

Trotz der erheblichen Veränderung der Norm verblieb es bei dem Standort im     SGB V, was zu Kritik führte (vgl. Bockholdt, a.a.O., § 14 Rn. 15 m.w.N.). Ausweislich der Begründung der Beschlussempfehlung (BT Drs. 19/19216, S. 103) sollte durch den Rückgriff auf die Versorgungsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung eine effektive Umsetzung der Teststrategie sichergestellt werden. Zudem wurde ausgeführt, dass die Aufwendungen für Testungen bei symptomfreien Personen außerhalb der Krankenbehandlung und Leistungen für nicht gesetzlich Versicherte, die der gesetzlichen Krankenversicherung als versicherungsfremde Leistungsaufwendungen entstehen, aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds gezahlt werden und somit nicht zu unmittelbaren Mehrausgaben der Krankenkassen führen sollen. Überdies wurde darauf hingewiesen, dass in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium der Finanzen miteinander festlegen, in welchem Umfang die gesetzliche Krankenversicherung zusätzliche Zuschüsse des Bundes zur Stabilisierung des Beitragssatzes, mithin auch zur Refinanzierung der o.g. versicherungsfremden Ausgaben, erhalten sollte. In dieser Fassung wurde das Gesetz durch den Bundestag am 14. Mai 2020 beschlossen. Am 15. Mai 2020 stimmte der Bundesrat zu.

 

bb) Unabhängig vom Standort der Ermächtigungsnorm regeln die im hier streitgegenständlichen Zeitraum geltende Fassung der TestV und § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr.1b SGB V zur Überzeugung des Senates auch inhaltlich keine Materie, die dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist. Allein durch den Rückgriff auf bestehende Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung (Einsetzung der Kassenärztlichen Vereinigungen als Abrechnungsstellen, § 7 Abs. 1 TestV) wird eine Rechtsmaterie noch nicht zum Gegenstand des Sozialversicherungsrechts, insbesondere nicht des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Reuter, GesR 2022, 273, 275).

 

Die Ansprüche des SGB V gelten nach § 2 Abs. 1 SGB V nur für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung. Demgegenüber umfassen die Verordnungsermächtigung und ihr folgend die TestV (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2) einen Testanspruch für alle Personen; sie begründen damit keinen Anspruch der Solidargemeinschaft im Sinne des Sozialversicherungsrechts, sondern haben „Bevölkerungsbezug“ (vgl. Kießling, SGb 2021, 730, 732). Überdies wird mit der Verordnungsermächtigung und der TestV auch kein primäres Ziel der gesetzlichen Krankenversicherung verfolgt. Nach § 1 Satz 1 SGB V hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten (Prävention), wiederherzustellen (Krankenbehandlung) oder den Gesundheitszustand zu verbessern (Rehabilitation). Diese Ziele werden mit den Testungen auf das SARS-Cov-2-Virus, die die Klägerin im zugrundeliegenden Rechtsstreit durchgeführt und abgerechnet hat, jedoch nicht verfolgt. Der Testanspruch symptomatischer Personen folgt, wie oben dargelegt, aus § 27 SGB V als Krankenbehandlung und wird durch die Leistungserbringer des SGB V erbracht und aus dem Beitragsaufkommen finanziert. Wie sich aus § 1 Abs. 3 TestV ergibt, wird dieser Anspruch auf Krankenbehandlung von der TestV nicht erfasst. Vielmehr geht es – wie auch die oben aufgeführte Gesetzesbegründung belegt – um die Testung von symptomlosen Personen ohne konkreten individuell gesundheitsbezogenen Anlass, von symptomlosen Personen, die vulnerable Gruppen in Krankenhäusern und Einrichtungen besuchen wollen, sowie von Kontaktpersonen von positiv Getesteten und abgesonderten Personen zur Beendigung der Maßnahme. Insbesondere die anlasslose Testung asymptomatischer sowie die Testung von Kontaktpersonen Infizierter erfolgt dabei im öffentlichen Interesse zum frühzeitigen Erkennen und Durchbrechen von Infektionsketten. Diese Maßnahmen zielen damit in erster Linie im Sinne einer Gefahrenabwehr auf Infektionsschutz in der Bevölkerung (hierzu ausführlich Kießling, SGb 2021, 730, 735). Demgegenüber geht es nicht um Prävention zugunsten des einzelnen Betroffenen, da der Test der getesteten Person selbst nicht hilft, eine Erkrankung zu verhindern. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zu § 20i Abs. 3 Satz 2 SGB V wurde daher eingewandt, dass die auf den Infektionsschutz abzielenden Testungen versicherungsfremde Leistungen darstellten, die nicht aus dem Beitragsaufkommen der GKV finanziert werden sollten (vgl. verdi, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, BT-Ausschussdrs. 19(14)160(15neu), S. 8; s. auch Begründung der Beschlussempfehlung BT-Drs. 19/19216, S. 103).

 

c) Dass es sich vorliegend um keine Streitigkeit handelt, die dem Recht der Sozial- oder speziell der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist, belegt auch die Herkunft der Mittel, die für Testungen nach der TestV aufgewandt werden. Grundsätzlich ist die Finanzierung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Aufkommen der Versichertenbeiträge ein weiteres wesentliches Merkmal zur Beantwortung der Frage, ob es sich um eine Angelegenheit des Rechts der Krankenversicherung (bzw. auch aus dem Recht der Sozialversicherung) handelt. Zwar kennt auch das Krankenversicherungsrecht Modifizierungen dieses Grundsatzes aufgrund von sozialen Gesichtspunkten (vgl. § 10 SGB V, Familienversicherung), jedoch sind dies nur punktuelle Abweichungen. Die Kosten für die Tests nach der TestV werden zunächst aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds beglichen (vgl. §§ 14, 15 TestV). Der Gesundheitsfonds sammelt die Beiträge aller Beitragszahler der GKV ein und verteilt diese sodann an die einzelnen Versicherungsträger, vgl. § 271 SGB V. Gemäß Abs. 2 hat er eine Liquiditätsreserve zu bilden, um unterjährige Schwankungen der Einnahmen, Einnahmeausfälle etc. abzudecken. Nach    § 221 Abs. 1 SGB V leistet der Bund jährlich einen Zuschuss an den Gesundheitsfonds zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen. Demnach könnte auf den ersten Blick davon ausgegangen werden, dass die Ausgaben für die Testungen überwiegend aus den Beiträgen der GKV finanziert werden (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Oktober 2022, L 16 KR 433/22 B ER, Rn. 3, zitiert nach juris). Jedoch wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze (BGBl 2021 I, S. 1174) mit Einfügung der Sätze 14 und 15 in § 20i Abs. 3 SGB V geregelt, dass die aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Finanzierung der Testausgaben getätigten Ausgaben vollständig aus Bundesmitteln (mithin aus Steuermitteln) erstattet werden. Dementsprechend ist in § 15 der hier maßgeblichen TestV das Verfahren zur Erstattung der Zahlungen aus dem Gesundheitsfonds durch Bundesmittel geregelt. Im hier maßgeblichen Jahr 2022 erstattete der Bund für die Quartale I bis III dem Gesundheitsfonds die pandemiebedingten Ausgaben in Höhe von 19,45 Mrd. Euro aus Steuermitteln (vgl. Aufstellung der Finanzentwicklung der GKV des BMG vom 12. Dezember 2022, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen/2022/2022-12-12_PM_Anlage_GKV-Finanzentwicklung_Q3_2022.pdf). Im Ergebnis liegt damit keine Finanzierung der Leistungen aus Beitragsmitteln vor, vielmehr werden diese – ihrem Wesen als versicherungsfremde Leistung entsprechend – aus dem allgemeinem Steueraufkommen des Bundes bezahlt (vgl. hierzu auch Reuter, GesR 2022, 273, 275). Auch dies spricht entscheidend dafür, den Rechtsstreit nicht als dem Sozialversicherungs- bzw. dem Krankenversicherungsrecht zugehörig anzusehen.

 

d) Im vorliegenden Rechtsstreit ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin selbst um keine Leistungserbringerin im System der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Viertes Kapitel SGB V) handelt. Die Klägerin wurde gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 TestV vom zuständigen Gesundheitsamt als Stelle des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit der Durchführung von Coronatests beauftragt. Sie erbringt damit eine Leistung des Gesundheitsamtes. Dieses kann gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 IfSG in Bezug auf übertragbare Krankheiten Beratungen und Untersuchungen anbieten und diese Aufgabe gemäß § 19 Abs. 1 Satz 6 IfSG auf Dritte übertragen (vgl. ausführlich zum Testanspruch als Leistung nach dem IfSG, Kießling, SGb 2021, 730, 735; ebenso Flint, in Juris-PK SGG, 1. Auflage 2017, Stand 31.3.2022, § 51 Rn. 154 f.). Damit betrifft der Kern der Tätigkeit der Klägerin eine Aufgabe bzw. eine  Leistung nach dem Infektionsschutzgesetz auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, nicht hingegen eine solche des Krankenversicherungsrechts.

 

e) Schließlich vermag allein der Umstand, dass nach der TestV die Abrechnung der erbrachten Leistungen über die Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt und damit eine Rechtsbeziehung zwischen den Leistungserbringern und den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen begründet wird, eine Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu begründen (so auch VG Frankfurt, Beschluss vom 20. Dezember 2022, 5 L 3332/22.F, Rn. 14, zitiert nach juris). Zwar umfasst § 51 Abs. 1   Nr. 2 SGG auch Streitigkeiten, die die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander betreffen (BSG, Urteil vom 15. März 2017, B 6 KA 35/16 Rn. 19, zitiert nach juris), denn von § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG wird, wie sich bereits aus § 57a SGG ergibt, u.a. das gesamte Vertragsarztrecht erfasst (u.a. Flint, in: JurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, Stand 31.3.2022, Rn. 96 ff.). Dazu gehören auch die Rechtsbeziehungen der Kassenärztlichen Vereinigungen zu ihren Mitgliedern (§ 77 Abs. 3 SGB V) sowie zu sonstigen Leistungserbringern, die innerhalb des vertragsärztlichen Systems Leistungen erbringen und über die Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen (BSG, Beschluss vom 5. Mai 2021, B 6 SF 1/20 R, Rn. 30 m.w.N., zitiert nach juris). Jedoch gehört die hier streitige Abrechnung der Leistungen aus der TestV gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen nicht hierzu, denn diese werden nicht in ihrer konkreten Eigenschaft als Kassenärztliche Vereinigung (also als der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung dienende Einrichtung), sondern lediglich als (technische) Abrechnungsstelle tätig. Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei der Klägerin nicht um eine Leistungserbringerin aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie erbringt ihre Leistungen auch nicht etwa innerhalb des vertragsärztlichen Systems, sondern als beauftragter Dritter im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes nach § 19 IfSG. Dementsprechend regeln § 7 TestV und § 7a TestV auch nicht spezifisches Recht der Leistungserbringer. Die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird nicht gemäß § 77 Abs. 1 SGB V zur Erfüllung der ihr durch das SGB V übertragenen Aufgaben tätig. Insbesondere geht es bei den §§ 7ff. TestV nicht um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gemäß    § 75 Abs. 1 SGB V, in deren Rahmen die Kassenärztlichen Vereinigungen auch gemäß § 106d SGB V die Rechtmäßigkeit und die Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung zu überprüfen haben. Die in der TestV geregelten Testungen auf das Sars-Cov2-Virus sind nicht Bestandteil der vertragsärzlichen Versorgung nach § 73 SGB V (Reuter, GesR, 2022, 273. 274). Vielmehr hat der Bundesgesetzgeber durch § 20i Abs. 3 SGB V den Kassenärztlichen Vereinigungen als Verwaltungsträger eine weitere Aufgabe – außerhalb des SGB V – gemäß Art. 84 GG übertragen, die durch die TestV näher ausgestaltet wurde (zum Ganzen ausführlich: Reuter, Die Verwaltungstätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der Testverordnung, GesR 2022, 273 ff.). Dementsprechend werden die Abrechnung der Leistungen und die Prüfung der Abrechnung durch die Kassenärztliche Vereinigung auch nicht im SGB V, sondern eigenständig in §§ 7 und 7a TestV geregelt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen handeln mithin in einem völlig neuen Zuständigkeitsbereich außerhalb des SGB V als Abrechnungsstelle. Verdeutlicht wird dies auch durch § 8 TestV, der eine eigene Verwaltungskostenregelung zugunsten der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes vorsieht. Hintergrund der Aufgabenübertragung war die erhoffte Praktikabilität und Effektivität der Nutzung bereits vorhandener Versorgungsstrukturen (vgl. BT-Drs. 19/19216, S. 103). Allein die vorhandene Sachnähe zur Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

 

Nach alledem handelt es sich bei dem zugrundeliegenden Rechtsstreit auch nicht um eine sonstige Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 5 SGG.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a SGG und 154 Abs. 2 VwGO. Die Anfechtung des Verweisungsbeschlusses löst ein selbständiges Rechtsmittelverfahren aus, in welchem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist. Demgegenüber bedurfte es einer Streitwertfestsetzung nicht, da die Beschwerde zurückgewiesen wurde. Die Gerichtsgebühr hierfür ist eine streitwertunabhängige Festgebühr gemäß Nr. 7504 Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG).

 

Der Senat hat die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht zugelassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GVG) und es sich vorliegend – anders als in den bereits vom Senat entschiedenen Verfahren L 7 KA 28/22 B und L 7 KA 29/22 B – um ein Hauptsacheverfahren handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 6. März 2019, B 3 SF 1/18 R, zitiert nach juris, dort Rn. 13).

 

Rechtskraft
Aus
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