Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 15. September 2022 bis 31. Dezember 2022 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Den Antragstellern wird unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin J. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den ersten Rechtszug bewilligt.
Gründe
Der von den Antragstellern am 15. September 2022 am Sozialgericht Frankfurt am Main gestellte Antrag,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab Antragstellung vorläufig für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
hilfsweise, den Main-Kinzig-Kreis im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab Antragstellung vorläufig für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII,
hilfsweise AsylbLG in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
ist zulässig und hinsichtlich des Hauptantrages begründet.
Nach § 86b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert (Anordnungsgrund) werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928-932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (Satz 4).
Für den Erlass einer Regelungsanordnung bedarf es also eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (vgl. § 920 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird, der Anordnungsgrund ist bei der Regelungsanordnung die Notwendigkeit des Eilverfahrens zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Dabei sind Angaben glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragsteller haben im Hauptantrag sowohl einen Anordnungsgrund – die Notwendigkeit des Eilverfahrens zur Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Existenzminimums - als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gegen den Antragsgegner.
Nach §§ 19 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtige Arbeitslosengeld II, nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II erhalten nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Viertel Kapitel des Zwölften Buches haben. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nach der Legaldefiniton des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).
Die Antragsteller 1) bis 4) haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie sind erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II und bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung hilfebedürftig. Die Antragsteller 5) bis 8) sind nicht erwerbsfähig, gehören aber – gemeinsam mit den Antragstellern 3) und 4) – nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller 1) und 2), da sie die Kinder der Antragsteller 1) und 2) sind, ihrem Haushalt angehören, unverheiratet sind und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nach summarischer Prüfung nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Einen Anspruch auf Leistungen nach dem Viertel Kapitel des Zwölften Buches haben sie nicht.
Die Antragsteller haben auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas Anderes ergibt (§ 37 SGB I); eine ungeschriebene, nur für einzelne Sozialleistungsbereiche anzunehmende Differenzierung (sog. Einfärbungslehre) ist grundsätzlich nicht anzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60, Rn. 19).
Maßgeblich für den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts ist, ob der Berechtigte dort den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse hat. Dabei kommt es in erster Linie auf die objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnisse im jeweils maßgeblichen Zeitraum an; das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland (vgl. ausführlich auch zum Folgenden BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60, Rn. 17 ff. m.w.N.). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland liegt. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll dabei – auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr – ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. Juni 2022 – L 6 AS 196/22 B ER –, Rn. 47 - 52, juris).
Die rumänischen Antragsteller leben seit vielen Jahren in Deutschland. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nach summarischer Prüfung zudem nicht auf Grund der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt beendet, auch wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung des den Verlust feststellenden Verwaltungsaktes angeordnet wurde. Die Antragsteller haben beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt und Klage erhoben. Über beide Verfahren hat das Verwaltungsgericht bislang nicht entschieden. Bis über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht entschieden worden und das rechtliche Schicksal der Sofortvollzugsanordnung nicht geklärt ist, dürfen die Antragsteller nach § 7 Abs. 1 S. 4 FreizügigG/EU nicht abgeschoben werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller in absehbarer Zeit die Bundesrepublik Deutschland von sich aus verlassen wollen, liegen nicht vor. Der Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland weist daher jedenfalls derzeit noch eine zukunftsoffene zeitliche Perspektive auf, sodass weiterhin von einem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist.
Die Antragsteller sind vorliegend auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Danach sind von Leistungen ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben (Nr. 2a) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (Nr. 2b) und ihre Familienangehörigen, sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3).
Die Antragsteller sind zwar aufgrund des Bescheides der Ausländerbehörde vom 8. August 2022 nicht mehr freizügigkeitsberechtigt und haben auch im Übrigen kein Aufenthaltsrecht. Jedoch haben sie nach summarischer Prüfung seit über zehn Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und können sich auf § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II stützen.
Der in § 7 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 normierte Leistungsausschluss greift vorliegend nicht ein. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen, auch wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, von Leistungen ausgenommen, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des FreizügigG/EU festgestellt wurde. Nach Auffassung der Kammer, welche derjenigen des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts in seinem Beschluss vom 13. Juni 2022 folgt, greift § 7 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 SGB II erst, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist. Die Ausreisepflicht ist dabei in Fällen, in welchen der Verlust der Freizügigkeit festgestellt wurde, nicht bereits mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung derselben vollziehbar, wenn ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wurde. Einer Vollziehung steht insofern § 7 Abs. 1 S. 4 FreizügG/EU entgegen, wonach die Abschiebung nicht erfolgen darf, bevor über den Antrag entschieden wurde. Hierbei handelt es sich um eine Aussetzung der Vollziehung kraft Gesetzes für die Dauer des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (NK-AuslR/Florian Geyer, 2. Aufl. 2016, Freizügigkeitsgesetz/EU § 7 Rn. 7).
Ein Leistungsausschluss ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 1 AsylbLG. Insbesondere sind die Antragsteller nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigt, da sie nach § 7 Abs. 1 S. 4 FreizügG/EU nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind. Andere Gründe, welche sie zu Leistungen nach dem AsylbLG berechtigen würden, sind nach summarischer Prüfung nicht erkennbar.
Da dem Hauptantrag stattgegeben wird, erfolgt keine Entscheidung über die hilfsweise gestellten Anträge.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG und trägt dem vollständigen Obsiegen der Antragsteller Rechnung.
Den Antragstellern war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Antragsteller nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch nicht ratenweise aufbringen können. Das Begehren bietet im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint auch nicht mutwillig §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine anwaltliche Vertretung ist erforderlich §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).