Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. August 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat keine außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung an den Rechtsnachfolger der zwischenzeitlich verstorbenen Versicherten.
Die 1963 geborene und am 14.11.2021 verstorbene Versicherte war zuletzt bis Mai 2013 als Pflegehelferin versicherungspflichtig. Nach einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.11.2011, aufgrund derer sie Krankengeld bis 20.05.2013 bezog, war sie arbeitslos, bezog Arbeitslosengeld 1 (bis 10.06.2014) und anschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bis 31.01.2018. Bei ihr war ein Grad der Behinderung von 50 seit dem 19.10.2012 anerkannt (vgl. Bescheid Landratsamt C vom 14.02.2014).
Am 19.10.2015 beantragte die Versicherte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor befand sie sich wegen Schulter-Arm-Beschwerden vom 09.05. bis 30.05.2012 in stationärer medizinischer Rehabilitation der orthopädischen Abteilung der Fachklinik S-W. Nach einer Schulteroperation im Dezember 2012 durchlief sie vom 18.10. bis 08.11.2013 eine weitere stationäre medizinische Rehabilitation in der Rehaklinik S1, D, Fachklinik für Orthopädie und Innere Medizin. Nach dem Entlassungsbericht erfolgte die Entlassung als arbeitsunfähig bei einem voraussichtlichen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von wenigstens sechs Stunden und mehr.
Die Beklagte zog u.a. Befundberichte behandelnder Ärzte und ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Nordschwarzwald bei. Aus letzterem ergibt sich eine Mitgliedschaft aufgrund der Versicherungspflicht als Pflegeperson vom 01.09.2015 bis 12.05.2016. Die Beklagte beauftragte R mit der Erstellung eines Gutachtens. Im Gutachten vom 09.12.2015 kam R nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung der Versicherten am 08.12.2015 (Diagnosen: Z. n. BSV L4/L5 ohne akute radikuläre Ausfälle, BSV Th4/5 flach ohne radikuläre Kompression, Spreizfuß mit Fersensporn) zu dem Ergebnis, dass auch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Pflegehelferin ein quantitatives Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr bestehe. Qualitative Einschränkung bestünden für ausschließlich gebückte Tätigkeiten, schwere Trage- und Hebebelastungen, überwiegend kniende und hockende Tätigkeiten, Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des Schultergelenkes rechts sowie für anhaltende Arbeiten über Kopf. Es seien damit leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus möglich.
Mit Bescheid vom 08.01.2016 lehnte die Beklagte hierauf den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28.06.2017, der dem Bevollmächtigten am 03.07.2017 zugegangen ist).
Hiergegen richtet sich die am 03.08.2017 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Die Versicherte hat auf seit 2005 bestehende Rückenprobleme sowie auf Brustschmerzen und eine Lumbago mit Ausstrahlung in das linke Bein seit Juli 2011 verwiesen. Dreimal sei das Bein kraftlos geworden. Eine MRT habe einen medio-lateralen Bandscheibenvorfall L4/5 rechts ergeben. Ferner seien Bandscheibenprotrusionen im Bereich L3/4 und L5/S1 festgestellt worden. Es bestünden Schulter-Arm-Schmerzen aufgrund eines degenerativen Rotatorenmanschettenruptursyndroms. Sie hat daran festgehalten, nicht mehr wenigstens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können.
Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen von sachverständigen Zeugenaussagen. Insoweit wird auf die Ausführungen des behandelnden C vom 07.11.2017 (Bl. 38 ff. SG-Akte), des W vom 09.11.2017 (Bl. 40 SG-Akten), des B vom 27.11.2017 (Bl. 41 ff. SG-Akten), der B1 vom 28.12.2017 (Bl. 44 ff. SG-Akten) und von S2, Medizinisches Versorgungszentrum R1, vom 10.01.2018 (Bl. 92 ff. SG-Akten) verwiesen.
Die Beklagte hat hierzu die sozialmedizinische Stellungnahme des S3 vom 22.02.2018 vorgelegt, der mit Blick auf die Ausführungen des B eine Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen hat.
Das SG hat sodann Beweis erhoben durch das Einholen eines solchen Gutachtens bei H-T, S4. In ihrem Gutachten vom 09.07.2018 ist die Sachverständige vom Vorliegen einer affektiven Störung ausgegangen, die bislang keinen nachweisbar rezidivierenden Verlauf zeige, weil seit 2012 keine echte Remission eingetreten sei und auch kaum Schwankungen innerhalb der Beschwerden. Im Vergleich zum psychopathologischen Befund 2012 habe sich die Symptomatik kaum verändert. Im Vordergrund stehe eine Antriebsarmut mit sozialem Rückzug, Verlust der Tagesstruktur, Verlust der Selbstversorgungskompetenzen und ein agitiert-weinerliches affektives Bild mit somatischen Beschwerden. Am ehesten gehe diese Störung in einer depressiven Episode, derzeit mittelgradig ausgeprägt, und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung auf. Die Versicherte sei insgesamt nicht leitliniengerecht behandelt worden. Nach einer solchen könne davon ausgegangen werden, dass sie innerhalb eines Jahres wieder voll leistungsfähig sei. Auf Nachfrage des SG hat die Sachverständige unter dem 24.09.2018 ausgeführt, dass eine Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit erst dann erfolgen könne, wenn eine leitliniengerechte Behandlung eingeleitet worden sei. Bis dahin sei davon auszugehen, dass aufgrund der zugrundeliegenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet nicht mit einer länger dauernden Erwerbsunfähigkeit zu rechnen sei.
Die Klägerin hat einen weiteren Befundbericht des B vom 20.08.2019 (Diagnosen: u.a. rezidivierende depressive Störung, schwergradig ausgeprägt, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Zwangsstörung/Grübelzwang) vorgelegt.
Nach Anhörung der Versicherten im Termin der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2019 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Versicherten eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 31.08.2020 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei seit November 2016 ohne begründeten Zweifel nicht mehr in der Lage mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Zwar führten die ermittelten Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und internistischem Gebiet, insbesondere die Bandscheibenschäden, die Beschwerden im Bereich der linken Hüfte sowie des linken oberen Sprunggelenks und Fußes nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen R im Verwaltungsverfahren sowie der sachverständigen Zeugenauskunft von C1 allein zu Einschränkungen des qualitativen Leistungsvermögens der Versicherten; das Leistungsvermögen sei aber unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenauskunft des B und der Darlegungen im Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme der gerichtlichen Sachverständigen H-T in quantitativer Hinsicht auf unter drei Stunden täglich reduziert. Die Kammer schließe sich der Leistungseinschätzung des Herrn B an. Zwar habe H-T die Diagnosestellung des behandelnden Psychiaters nicht vollumfänglich bestätigt, ihre Befunderhebung decke sich jedoch weitgehend mit dieser und beschreibe das Krankheitsbild einer depressiven Episode und einer somatoformen Schmerzstörung als seit 2012 chronifiziert. Unter Berücksichtigung dessen sei für die Kammer schlüssig und nachvollziehbar festgestellt, dass das bei der Versicherten bestehende Krankheitsbild auf psychiatrischem Fachgebiet derart ausgeprägt sei, dass es ihr derzeit nicht möglich sei, auch nur körperlich leichte Arbeiten für mindestens drei Stunden täglich zu verrichten, sodass das Leistungsvermögen nach Auffassung der Kammer auf nicht absehbare Zeit auf unter drei Stunden täglich gesunken sei. Die Behandlungsfähigkeit einer Gesundheitsstörung stehe der Annahme der Erwerbsminderung nicht entgegen. Im vorliegenden Einzelfall lasse sich nach Auffassung der Kammer entgegen der Auffassung der Beklagten nicht eine Rentengewährung per se mit bestehenden zumutbaren und nicht ausgeschöpften Therapiemöglichkeiten verneinen. Denn die Sachverständige habe bei der Klägerin, gestützt auf deren Angaben, den psychopathologischen Befund und in Auswertung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, eine seit 2012 kaum veränderte Symptomatik der affektiven Störung ohne Eintritt einer echten Remission festgestellt. Das Unterbleiben einer angemessenen Behandlung sei bei einer Betrachtungsweise ex post nicht der Klägerin zuzurechnen, sondern der fehlenden ärztlichen Beratung, weil der behandelnde Psychiater keine ergänzenden Behandlungen für notwendig gehalten habe bzw. halte. Ausgehend von den Angaben des behandelnden B in dessen sachverständiger Zeugenaussage vom 27.11.2017 gehe die Kammer vom Eintritt des Leistungsfalles mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im November 2016 aus. Dies erscheine auch insoweit plausibel, als B1 erstmals am 31.08.2017 Arbeitsunfähigkeit aufgrund der depressiven und somatoformen Störung bescheinigt habe, statt bis dahin nur aufgrund orthopädischer Beschwerden. Ein psychiatrisch bedingt aufgehobenes Leistungsvermögen aufgrund der vorhandenen Aktenlage vor November 2016 lasse sich nicht feststellen. Die Klägerin habe bei erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lediglich einen Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01.06.2016 (gemeint wohl 01.06.2017) bis 31.08.2020, denn die Sachverständige habe nachvollziehbar dargelegt, dass eine Besserung der das Leistungsvermögen einschränkenden depressiven Symptomatik und somatoformen Schmerzstörung bei adäquater Behandlung unter den von der Sachverständigen aufgezeigten therapeutischen Maßnahmen möglich sei. Angesichts des von der Sachverständigen genannten Zeitrahmens für eine mögliche Besserung des Gesundheitszustandes habe die Kammer eine Befristung der Rente bis Ende August 2020, also ein Jahr ab Entscheidung des hiesigen Rechtsstreites für angemessen erachtet. Die darüber hinausgehende Klage auf eine Rente ab einem früheren Zeitpunkt oder aber auf Dauer sei abzuweisen gewesen.
Gegen das der Beklagten am 11.09.2019 zugestellte Urteil hat diese am 08.10.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass das Gutachten von H-T, nach welchem sie von einer quantitativen Leistungsminderung ausgehe, nicht überzeugen könnten. Hierzu hat sie die sozialmedizinische Stellungnahme von S3 vom 07.10.2019 vorgelegt, der ausführte, die Sachverständige habe sich mangels anderweitiger belastbarer Befunde das psychiatrische Fachgebiet betreffend allein auf die Angaben der Klägerin bezogen und habe jegliche Form der Plausibilitätsprüfung unterlassen. So habe sie beispielsweise nicht hinterfragt, wie eine schwere depressive Episode mit einer erneuten Heirat 2018 zusammenpasse. Vor diesem Hintergrund sei nachvollziehbar, dass sich H-T in keiner Weise festlege, wann der von ihr aktuell angenommene Zustand in der Vergangenheit begonnen habe und in welcher Ausprägung er vorgelegen habe. Der vom SG angenommene Leistungsfall sei durch medizinische Tatsachen nicht gedeckt.
Vom 23.04.2020 bis 20.05.2020 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung des ZfP C H, Klinikum N. Im vorläufigen Entlassungsbericht vom 13.05.2020 wurden folgende Diagnosen gestellt:
„Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2),
Benigne essenzielle Hypertonie: ohne Angabe einer hypertensiven Krise (I10.00),
Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr, Adipositas Grad III (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter (Ehe 66.02)
Sonstiger und nicht näher bezeichneter Rechtsschenkelblock (I45.1),
Hypothyreose, nicht näher bezeichnet (E03.9),
Kopfschmerz (R51),
Allergische Rhinopathie durch Pollen (J30.1),
Schmerzen in den Extremitäten: Beckenregion und Oberschenkel [Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk] (M79.65),
Sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung [HWS und LWS] (M51.2),
Gelenkschmerz: Schulterregion [Klavikula, Skapula, Akromioklavikulargelenk-, Schulter-, Sternoklavikulargelenk] (M25.51)“.
Es wurde angegeben, dass es unter Behandlung zu einer zunehmenden Besserung des Zustandes gekommen sei, die Patientin sei aktuell von Suizidalität glaubhaft und sicher distanziert und absprachefähig gewesen. Die Versicherte habe im stabilisierten Zustand in eine weitere ambulante Betreuung entlassen werden können.
In dem vom Senat veranlassten psychiatrischen Gutachten vom 08.11.2020 hat D1, F, ein depressives Syndrom im Sinne einer Dysthymia (vorbeschrieben: rezidivierende depressive Störung mit bis zu schwergradigen Episoden, aktuell: leicht- bis mittelgradige Episode, Differenzialdiagnose: Dysthymie) und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren festgestellt. Zusammenfassend führte der Sachverständige aus, dass die vorbeschriebenen psychiatrischen Erkrankungen nicht in Abrede gestellt würden, allerdings in ihrer Wertigkeit was Schwere, Einfluss auf das Alltagsleben und insbesondere der Handelbarkeit anbelange aber doch anders, sprich weniger gravierend bewertet würden als in der Vergangenheit. Eine derart erhebliche Leistungsschwäche, wie die Versicherte dies selbst bei sich sehe, sei objektiv nicht gegeben. Eine Motivation der Versicherten vorausgesetzt, sei es ihr spätestens seit dem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik in C H wieder möglich, zumindest leichte und einfache Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten oder wenigstens – wie früher – im Rahmen einer 75 %-Stelle. Ein anderes Thema und letztlich nicht primär Ausdruck einer seelischen Erkrankung sei, dass die von einer Erwerbstätigkeit entwöhnte Versicherte auch mithilfe therapeutischer Anstrengung kaum noch für eine entsprechende Tätigkeit motiviert werden dürfte. Depressives Syndrom und Schmerzstörung bedingten eine gewisse körperliche und seelische Leistungsschwäche, ein reduziertes Selbstvertrauen, ein verringertes Durchhaltevermögen, eine Neigung zur Vermeidung und zum Rückzug bei Antriebsschwäche. Es handele sich um Insuffizienzen, die sich sehr stark im subjektiven Erleben der Versicherten abspielten und, wie der lediglich einmonatige Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik C H gezeigt habe, einer Behandlung und Modifikation durchaus zugänglich sei. Für die Beantwortung der gutachterlichen Fragen sei es von untergeordneter Bedeutung, ob von einer Dysthymie ausgegangen werden, was seitens des Gutachters der Fall sei, oder von einer rezidivierenden depressiven Erkrankung bzw. einer depressiven Episode mit Schwankungen (wie von Vorbehandlern und von der Vorgutachterin). Eine derart erhebliche Leistungsschwäche, wie die Versicherte dies selbst bei sich sehe, sei objektiv nicht gegeben. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht unerlässlich, Beschränkungen der sogenannten Wegefähigkeit bestünden nicht. Die abgegebene Beurteilung gelte für den gesamten Zeitraum ab Oktober 2015. Im Vergleich zum Gutachten von H-T ergäben sich in diagnostischer Hinsicht keine gravierenden Unterschiede. Sie habe damals auf die nicht ausgeschöpften Behandlungsmöglichkeiten abgestellt und eine Besserung im Fall einer leitliniengerechten Behandlung erwartet.
Die Versicherte hat Einwendungen gegen die Beurteilung durch D1 vorgebracht und die Auffassung vertreten, dass der Bewertung des behandelnden Psychiaters, mit dem sie sich in ihrer Muttersprache ohne Hemmungen und Sprachschwierigkeiten unterhalten könne, mehr Gewicht beizumessen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die – allein von der Beklagten eingelegte – Berufung ist auch begründet, denn das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, eine Rente zu gewähren.
Der Ehemann der am 14.11.2021 verstorbenen Versicherten ist als mit der Versicherten zusammenlebender Ehemann als Sonderrechtsnachfolger gemäß § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zwar Inhaber des von der Versicherten mit Klage und Berufung geltend gemachten Rentenanspruchs geworden ist, der Senat vermochte sich aber nicht davon zu überzeugen, dass aufgrund eines im November 2016 eingetretenen Versicherungsfalles Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.06.2017 bis 31.08.2020 zu zahlen ist.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2021, § 43 SGB VI, Rn. 58 und 30 ff.).
Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente setzt beweisrechtlich voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R -, juris, Rn. 13), feststehen. Ob Tatsachen, vorliegend also das Vorliegen und der Schweregrad von Erkrankungen des Klägers sowie das Bestehen einer rentenanspruchsauslösenden quantitativen Minderung des Leistungsvermögens für die Durchführung von Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, nachgewiesen sind oder nicht, entscheidet der Senat als sog. „Tatsachengericht“ in freier richterlicher Beweiswürdigung (BSG Urteil vom 07.09.2004, a.a.O., Rn. 15).
Im Falle der Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des BSG (grundlegend Urteil vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70-74; ebenfalls Urteil vom 20.01.1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110-113) der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast, wonach die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache von demjenigen Beteiligten zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Zwar gehört zur Freiheit der Beweiswürdigung auch die Entscheidung über Umfang und Art der Ermittlungen, so dass eine verfahrensrechtliche Pflicht zu weiteren Ermittlungen nur dann besteht, wenn sich dem Tatsachengericht solche auf Grundlage seiner Rechtsauffassung aufdrängen mussten (BSG vom 07.09.2004, a.a.O., Rn. 19). Eine Beweislastentscheidung setzt jedoch voraus, dass zunächst alle verfügbaren Erkenntnisquellen und Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und sich die entscheidungserheblichen Tatsachen gleichwohl nicht mehr feststellen lassen (vgl. Urteil des BSG vom 24.05.2006 - B 11a AL 7/05 R - BSGE 96,238-246, zitiert nach <juris>, Rn. 29, 32).
Im vorliegenden Fall ist auch nach Ausschöpfen aller zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die Versicherte aufgrund im November 2016 bestehender Gesundheitsstörungen auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage gewesen ist, Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen noch im zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Eine Erwerbsminderung der Versicherten, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von D1.
Dabei stellt der Senat zunächst in Übereinstimmung mit dem SG sowie dem Gutachten von R, welches der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, der sachverständigen Zeugenaussage von C1 und den Einlassungen von D1 fest, dass aufgrund der vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen (Z. n. BSV L4/L5 ohne akute radikuläre Ausfälle, BSV Th4/5 flach ohne radikuläre Kompression, Spreizfuß mit Fersensporn, aber auch bezogen auf zwischenzeitlich geltend gemachte Schulterschmerzen, Druckschmerzen an der Achillessehne, Schmerzen in der linken Hüfte und im linken Bein) keine Erkrankungen vorliegen, die das quantitative Leistungsvermögen beeinträchtigen. Insoweit hat auch der vom SG gehörte S2 angegeben, dass ein Gefäßleiden ebenso wie eine neurologische Ursache für die Beschwerdesymptomatik am linken Unterschenkel ausgeschlossen werden konnte. Auch unter Berücksichtigung der von ihm beschriebenen Behandlung einer Lymphödembildung durch Lymphdrainage, wodurch sich die Beschwerdesymptomatik habe deutlich lindern lassen, kam er nachvollziehbar und überzeugend zu der Einschätzung, dass Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht festgestellt werden konnten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Einschränkungen des zeitlichen Leistungsvermögens durch Erkrankungen auf gynäkologischem Fachgebiet (Operationen wegen Endometriose, an Gebärmutter und Eierstöcken) bestehen. Dies wurde von der Versicherten auch nicht geltend gemacht und auch von den Sachverständigen nicht als zweifelhaft gewürdigt. Ferner hat D1 dargelegt, dass dem im Bericht des Zentrums für Psychiatrie C-H vom 13.05.2020 erwähnten weiteren Diagnosen wie Bluthochdruck, Adipositas Grad III, Rechtsschenkelblock im EKG, Schilddrüsenunterfunktion, Kopfschmerz, allergische Rhinopathie durch Pollen keine Bedeutung mit Blick auf die zeitliche Leistungsfähigkeit zukommt (Seite 46 des Gutachtens).
Eine zeitliche Leistungseinschränkung lässt sich auch nicht mit Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet begründen. Insoweit kommt es, worauf das SG zu Recht abgestellt hat, nicht darauf an, welche bzw. ob alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 17.12.2019 - L 9 R 1411/19 -, n. v. und vom 23.06.2020 - L 9 R 1194/19 -, juris). Die Frage nach noch nicht ausgeschöpften Behandlungsmöglichkeiten ist nach Auffassung des Senats erst relevant zur Beurteilung, ob bei vorhandener Erwerbsminderung eine Besserung unwahrscheinlich ist und damit eine Rente auf Dauer oder aber nicht und damit nur eine Rente auf Zeit in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2016 – B 13 RJ 31/05 R – juris).
Vorliegend wirken sich die Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet – weder für sich betrachtet noch in der Gesamtschau aller Erkrankungen – aber bereits nicht derart auf die Leistungsfähigkeit der Versicherten aus, dass nachgewiesen wäre, dass sie hierdurch zeitlich einschränkt gewesen ist.
Mit D1 geht der Senat davon aus, dass insoweit Diagnosen aus dem Gebiet depressiver Erkrankungen und Schmerzerkrankung zu stellen sind. D1 hat dabei für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass retrospektiv das Ausmaß der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen nicht hinreichend bestimmt werden kann und insbesondere Zweifel an den vom behandelnden B gestellten Diagnosen bestehen. So ist er aufgrund der im Rahmen des Gutachtens durchgeführten Untersuchung festzuhalten, dass nur eine die zeitliche Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigende Dysthymia diagnostiziert werden konnte und die Versicherte auch unter Berücksichtigung einer bestehenden chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren durchaus in der Lage war, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung näher beschriebener qualitativer Einschränkungen (unter Einschluss der orthopädischen Gesundheitsstörungen: Beschränkung auf körperlich leichte, punktuell auch mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus ohne Akkord- und Fließbandarbeiten, ohne Nachtschicht und Tätigkeiten mit besonders hoher Beanspruchung oder sehr hoher Verantwortung für Mensch oder Maschine und solche, die eine sehr hohe Konzentration und Denkgeschwindigkeit erfordern) auszuüben.
So ist zunächst festzuhalten, dass unter Berücksichtigung der Untersuchung durch 1 und in Übereinstimmung mit dem Gutachten von H-T sich die vom behandelnden B diagnostizierte Zwangsstörung nicht feststellen ließ. Ebenso fanden sich keine Anhaltspunkte für eine chronische Schlafstörung oder für höhergradige kognitive Einschränkungen, also solchen, die über leichte kognitive Hemmungen im Rahmen eines depressiven Syndroms hinausgehen. Auch ein höhergradiges, nicht überwindbares agoraphobisches Vermeidungsverhalten ließ sich durch die gutachterlichen Untersuchungen nicht bestätigen.
Insoweit sind auch die Zweifel am Ausprägungsgrad der vom behandelnden B gestellten Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode [Bericht 21.11.2012] bzw. rezidivierende depressive Störung, schwergradig ausgeprägt [sachverständige Zeugenaussage vom 27.11.2017 und Bericht vom 20.08.2019]) nachvollziehbar. D1 führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Angabe eines solchen Schweregrades schon deshalb nicht überzeugt, weil der Behandler eine über Jahre hinweg lediglich niederfrequente ambulante Behandlung für ausreichend erachtet habe, was als Hinweis zu werten sei, dass die Erkrankung doch nicht so schwerwiegend ist wie er sie beschrieben hat und von der Versicherten dargestellt wurde. Als weitere Erklärung hierfür mag auch der Hinweis von Dr. Dengler dienen, wonach auch eine Dysthymie und eine leichte depressive Episode für Betroffene Leid bedeutet und die Klassifizierung als „leicht“ von vielen depressiv Erkrankten als Missachtung ihres Leidens empfunden werde. Um objektiv den Schweregrad feststellen zu können, bedarf es aber– so D1 - der Kenntnis vieler depressiver Krankheitsbilder und Verläufe um den Einzelfall zutreffend einordnen zu können.
Ferner ist nach den Ausführungen von D1 einzustellen, dass auch der Umstand, dass ein langjähriges depressives Krankheitsbild innerhalb eines kurzen Zeitraumes von nur einem Monat in C-H deutlich hat gebessert werden können, gegen ein schwergradiges und nicht veränderbares Krankheitsbild spricht und für einen – auch bei der gutachterlichen Untersuchung festgestellten – nicht unerheblichen Beitrag aggravatorischer Tendenzen am Beschwerdevortrag. Unplausibel ist insoweit insbesondere das von der Versicherten beschriebene Bild extremer Passivität und Inaktivität, die insoweit auch angab, nach dem Aufstehen um 12:00 Uhr sich zwei Stunden später wieder hinzulegen und sämtliche Fragen nach möglichen Aktivitäten verneinte oder relativierte. So räumte die Versicherte bezogen auf ihre Angabe, sie esse nichts, dann unter Vorhalt des Körpergewichts ein, Süßigkeiten durcheinanderzuessen, oder – auf die Angabe, sie putze sich oft nicht einmal die Zähne – auf das ordentliche Äußere angesprochen (mit sorgfältig gemachten Haarsträhnchen), dass diese die Schwiegertochter mache.
Zu berücksichtigen ist zudem die pauschale Angabe der Versicherten gegenüber dem Gutachter, zu nichts mehr fähig zu sein und nicht mehr arbeiten zu wollen. Hierzu hat D1 deutlich gemacht, dass sich im Gefolge der langjährigen Entwicklung bei der Versicherten die Auffassung und die Haltung eingestellt habe, leistungsunfähig zu sein. Diese Haltung habe sich im Laufe der Zeit fixiert. Sie habe sie auch keine Motivation mehr, in das Erwerbsleben zurückzukehren. Diese Haltung und Einstellung ist aber, worauf D1 überzeugend hingewiesen hat, nicht primär Ausdruck einer psychischen Erkrankung, sondern der Persönlichkeit der Versicherten und damit nicht als eine durch eine Erkrankung bestehende Hemmung mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit zu werten (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 und § 43 Abs. 2 Satz 2 wonach Erwerbsminderung eine Erkrankung oder Behinderung voraussetzt).
Hinzu kommt die widersprüchliche Wertung im Rahmen der sachverständigen Zeugenaussage, in der B trotz gleichbleibender Diagnosen in schwergradiger Ausprägung der depressiven Erkrankung angegeben hatte, dass diese seit mindestens einem Jahr bestünden (und nicht etwa schon seit 2012).
Nicht entscheidend ist damit die Frage, ob es sich um ein rezidivierendes Krankheitsbild handelt oder – wovon H-T ausging – um ein statisches Bild. Denn letztlich lässt sich rückblickend eine durch die Erkrankung verursachte zeitliche Beeinträchtigung „auf nicht absehbare Zeit“, und damit für eine Zeit von mehr als sechs Monaten (vgl. Gürtner, a.a.O., § 43, Rn. 25) nicht feststellen. Auch der Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie C-H belegt insoweit nichts anderes, da dieser Aufenthalt nur vier Wochen andauerte und nach einer erst- und einmaligen stationären Behandlung eine rückblickende Beurteilung aus den o.g. Gründen nicht zulässt.
Die Wertung im Gutachten von D1, dass die Klägerin – Motivation vorausgesetzt – spätestens nach dem Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in C-H wieder in der Lage sei, zumindest leichte, einfache Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten ist nicht dahingehend zu verstehen, dass ihr dies vor Aufnahme in die stationäre Behandlung nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr lässt sich aufgrund der bereits dargestellten Gründe nicht im Sinne des Vollbeweises belegen, dass die Klägerin in dieser Zeit „auf nicht absehbare Zeit“ an einer über eine Dysthymia hinausgehenden Erkrankung gelitten hat. Dies hat D1 bei der Beantwortung der Beweisfrage nach dem Geltungsumfang der gemachten Beurteilung nochmals deutlich gemacht und ausgeführt, dass diese ab Oktober 2015 gilt und in Kenntnis der Abweichung vom Urteil des SG abgegeben wird.
Das Vorliegen einer rentenrechtlich relevanten Erwerbsminderung ausgehend von einem Versicherungsfall im November 2016 und bis 31.08.2020 (wobei die Rente vom SG wegen § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bei einem Rentenbeginn am 01.06.2017 längstens bis 31.05.2020 hätte befristet werden dürfen) lässt sich auch nicht mit dem Gutachten von H-T begründen.
Denn auch wenn eine leitliniengerechte Behandlung zuvor nicht erfolgt war, worauf H-T verweist, ist damit noch nicht belegt, dass im streitigen Zeitraum Erkrankungen vorgelegen haben, die auch leichte Tätigkeiten in einem rentenrechtlich relevanten Ausmaß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen haben. So ist H-T in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 24.09.2018 zwar davon ausgegangen, dass eine abschließende Beurteilung erst dann erfolgen könne, wenn eine leitliniengerechte Behandlung eingeleitet worden ist. Bis dahin sei aber davon auszugehen, dass auf Grund der zugrundeliegenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet nicht mit einer längerdauernden Erwerbsunfähigkeit zu rechnen sei. Dementsprechend hat sich das SG auch auf die Leistungseinschätzung des behandelnden Psychiaters, der eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden angenommen hatte, gestützt. Dies vermag den Senat nicht zu überzeugen. Er sieht es nicht als bewiesen an, dass eine depressive Erkrankung und eine Schmerzerkrankung vorgelegen haben, die im streitigen Zeitraum die Anerkennungen einer Rente wegen Erwerbsminderung rechtfertigen konnten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im Gutachten von H-T wiedergegebene Befundlage, die vergleichbar mit der im Gutachten von D1 festgehalten wurde. Danach war die Antriebslage durch völligen sozialen Rückzug, auch von Familienmitgliedern, Interesselosigkeit, Freudlosigkeit und Aufschiebeverhalten gekennzeichnet, und auch bezogen auf die Körperhygiene wurde angegeben, dass diese aufgeschoben werde. Diese Befunde beruhen indes allein auf Angaben der Klägerin, die zudem von der Sachverständigen nicht kritisch hinterfragt wurden. Schon ein Aufschieben der Körperhygiene wurde von ihr im Gutachten nicht nachvollziehbar festgestellt, sondern als „ausreichend“ bezeichnet. Im Übrigen hätte Veranlassung bestanden, die Angaben der Klägerin insbesondere zur Wiederheirat des Ehemannes 2018 nach Trennung vom Ehemann 2010 und Scheidung 2014 im Kontext einer diagnostizierten mittelgradigen oder schweren (behandelnder B) depressiven Episode, die mit einer Beeinträchtigung des Antriebes einhergehen soll, kritisch zu hinterfragen und zu würdigen.
Überdies führen auch die qualitativen Leistungseinschränkungen, die der gerichtliche Sachverständige D1 und zuvor R in ihren Gutachten dargestellt haben, nicht dazu, dass die Versicherte im streitigen Zeitraum voll erwerbsgemindert war. Ob einem Versicherten ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist im Hinblick auf konjunkturelle Schwankungen (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris) nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob ein Versicherter mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen in der Lage ist, zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, d.h. durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen, wovon nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. hierzu und zum Folgenden: BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, zuletzt: Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, juris).
Ausgehend von den Feststellungen von D1 besteht im vorliegenden Fall kein Zweifel, dass das Restleistungsvermögen der Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert zu werden pflegen (wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen u.s.w.). Damit besteht auch keine Benennungspflicht aufgrund einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung und auch nicht aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher und Leistungseinschränkungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11.12.2019, a.a.O.). Auch ein sog. Katalogfall liegt nicht vor. Insbesondere war die Wegefähigkeit der Versicherten nicht eingeschränkt, worauf D1 ebenfalls hingewiesen hatte.
Lagen damit die Voraussetzungen für eine Verurteilung zur Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vor, war auf die Berufung der Beklagten die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 2641/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3396/19
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
-
Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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