Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020.
Der im Jahr 1966 geborene Kläger meldete sich, nachdem sein seit Juli 2008 mit der A AG bestehendes Arbeitsverhältnis am 25. März 2020 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. September 2020 arbeitgeberseitig gekündigt worden ist, am 5. August 2020 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte online die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er reichte hierbei ein Attest des S, vom 14. März 2020 ein, nachdem bei ihm eine pulmonale Sarkoidose bestehe, weshalb er wegen der Covid-19 Pandemie bis auf weiteres öffentliche Einrichtungen meiden solle. Ferner legte er den vor dem Arbeitsgericht Reutlingen (- 3 CA 61/20 -) geschlossenen Vergleich vor, in dem u.a. vereinbart worden ist, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund einer ordentlichen Kündigung vom 25. März 2020 mit Ablauf des 30. September 2020 enden werde.
Mit Bescheid vom 28. September 2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020 für 450 Kalendertage (bis zum 31. Dezember 2021) i.H. eines täglichen Leistungsbetrages von 71,90 €. Sie legte hierbei ein tägliches Bemessungsentgelt i.H.v. 220,59 €, die Lohnsteuertabelle für das Jahr 2020, die Lohnsteuerklasse 1 sowie den allgemeinen Leistungssatz zu Grunde.
Unter dem 20. August 2020 lud die Beklagte den Kläger unter Anfügung einer Rechtsfolgenbelehrung zu einer persönlichen Vorsprache am 1. Oktober 2020 betr. dessen aktueller beruflicher Situation ein. In der Folgezeit wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte dieser unter Verweis auf seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit, dass er den Termin nicht wahrnehmen könne. Am 1. Oktober 2020 wandte er sich abermals an die Beklagte und gab an, dass es ihm in der momentan gesamtgesellschaftlich lebensbedrohlichen Pandemie-Situation nicht möglich sei, persönliche Termine wahrzunehmen und anderen Menschen persönlich zu begegnen, egal auf welche Art und auf welche Weise. Ein Kontakt stelle für ihn eine potenziell tödliche Bedrohung dar. Bewerbungen seien momentan sinn frei und entbehrlich, zumal es sowieso keine offenen und für ihn passenden Stellenangebote gebe.
Mit Bescheid vom 6. November 2020 nahm die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020 nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zurück. Begründend führte sie aus, der Kläger sei nicht bereit, sich ihren, der Beklagten, Vermittlungsbemühungen zur Verfügung zu stellen, notwendige Eigenbemühungen zu unternehmen und telefonische Beratungsgespräche in Anspruch zu nehmen. Er sei daher nicht arbeitslos.
Hiergegen erhob der Kläger am 20. November 2020 Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, er sei stets und zu jedem Zeitpunkt bereit gewesen, den Vermittlungsbemühungen der Beklagten in schriftlicher Form zur Verfügung zu stehen. Er habe auch ausreichend Eigenbemühungen unternommen. Eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht für telefonische Beratungsgespräche gebe es nicht. Er habe die Beklagte mehrfach aufgefordert, ihn nur noch per Briefpost zu kontaktieren, was diese verweigert habe. Entgegen der Annahme der Beklagten bestehe daher ein Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Nachdem die Beklagte dem Kläger im Widerspruchsverfahren unter Mitteilung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hatte, der Kläger hierauf unter dem 7. Dezember 2020 ergänzend ausgeführt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2020 zurück. Sie führte hierzu aus, der Kläger habe im Rahmen der Arbeitslosmeldung angegeben, bestimmte Beschäftigungen nicht ausüben zu können. Zur Klärung der Verfügbarkeit sei deshalb ein Gespräch mit einem Arbeitsvermittler notwendig gewesen. Der Kläger habe jedoch ausdrücklich eine Kontaktaufnehme per E-Mail oder telefonisch verboten. Auch aus den weiteren Ausführungen des Klägers betr. die Pandemie-Situation gehe deutlich hervor, dass er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Die anderslautenden Behauptungen des Klägers seien nicht plausibel. In Folge der fehlenden Bereitschaft, den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung zu stehen, bestehe seit dem 1. Oktober 2020 kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Leistungsbewilligung sei daher rechtswidrig und nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Auf Grund des Hinweises im Merkblatt für Arbeitslose, das der Kläger erhalten habe, habe er wissen müssen, dass ihm kein Arbeitslosengeld zustehe, wenn er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgebracht, es gehe ihm letztlich darum, eine schriftliche Kommunikation mit der Beklagten zu führen. In der Corona-Pandemiezeit würden besondere Umstände gelten. Er sei verfügbar und damit arbeitslos. Bewerbungsgespräche würden online geführt, gearbeitet werde vornehmlich im häuslichen Umfeld. Mit der Bitte um die Kontaktdaten in der Form „z.B. Mobil-Nummer oder E-Mail-Adresse“ werde den Versicherten eine Entscheidungsmöglichkeit gegeben, er, der Kläger, habe sich für die Kommunikation per E- Mail entschieden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, Anspruch auf Arbeitslosengeld habe gemäß § 137 Abs. 1 SGB III unter anderem, wer arbeitslos sei. Arbeitslos sei eine Person, die gemäß § 138 Abs. 1 SGB III den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehe. Dies sei bei Versicherten anzunehmen, die eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben könnten und dürften, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten könnten, bereit seien, jede Beschäftigung anzunehmen und auszuüben und bereit seien, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen. Der Kläger habe im Rahmen seiner schriftlichen Äußerung vom 1. Oktober 2020 angegeben, dass Bewerbungen momentan sinn frei und entbehrlich seien, zumal es sowieso keine offenen und für ihn passenden Stellenangebote gebe. Es sei ihm nicht möglich, persönliche Termine wahrzunehmen und anderen Menschen persönlich zu begegnen. Hiermit komme, so das SG, zum Ausdruck, dass der Kläger keine Eigenbemühungen unternehme werde und Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung nicht Folge leisten werde. Mit seinem kategorischen Ausschluss, sich mit anderen Menschen zu treffen, schließe er auch die Aufnahme einer Tätigkeit aus. Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für die Gewährung von Arbeitslosengeld sei hiermit zu verneinen.
Hiergegen hat der Kläger am 8. November 2021 beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, er habe sich in ausreichendem Maße arbeitslos und arbeitssuchend gemeldet. Er habe sich insb. den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung gestellt und auf Angebote gewartet. Er habe mit der Beklagten schriftlich kommunizieren wollen. Die Beklagte habe sich hierzu aber nie in ausreichendem Maße geäußert, sie sei zu keinem Zeitpunkt ihren Beratungs-, Informations- und Auskunftspflichten nachgekommen. Eine persönliche Kommunikation sei ihm gesundheitsbedingt nicht möglich (gewesen). Dies habe er durch die Vorlage eines Attestes belegt. Die Beklagte habe in diesem Zusammenhang auch nie auf ihre entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen hingewiesen. Schließlich seien die Geschäftsstellen der Arbeitsagenturen regelmäßig vollumfänglich geschlossen gewesen, es habe kein Kundenkontakt und -verkehr stattgefunden. Weshalb die Kommunikation mit dem Kläger nicht in schriftlicher Art und Weise habe stattfinden können, sei offen. Er, der Kläger, habe sich einer solchen Kontaktaufnahme nicht verweigert. Die Beklagte habe indes sofort, ohne eine entsprechende Anhörung, die Leistungsbewilligung aufgehoben, ohne ihm in irgendeiner Weise entgegenzukommen bzw. konkrete Maßgaben vorzuschlagen, wie das sozialversicherungsrechtliche Verhältnis zu führen sei. Nur aufgrund der Verweigerungshaltung der Beklagten habe er davon ausgehen müssen, dass die Beklagte ihm keine passenden Stellenangebote zusende. Seine gesundheitlichen Einschränkungen seien nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden. Auf Grund der fehlenden Anhörung und auf Grund der fehlenden Informationen durch die Beklagte sei der Rücknahmebescheid rechtswidrig. Er, der Kläger, sei überdies der Auffassung, dass seine Situation vergleichbar sei mit der, die der Aussetzungen von Sanktionierungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu Grunde liege, weswegen auch in seiner Situation auf eine Sanktionierung zu verzichten sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Oktober 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend bringt sie vor, bei der Bereitschaft i.S.d. § 138 Abs. 5 Nr. 3 und 4 SGB III handele es sich um eine innere Tatsache, die vorliegen müsse, wenn und solange ein Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend gemacht werde. Die subjektive Verfügbarkeit müsse uneingeschränkt sein, sie müsse sich auch auf diejenigen Bedingungen und Umstände erstrecken, die mit der Ausübung einer Beschäftigung üblicherweise zusammenhingen. Die Frage, ob auf Seiten der Arbeitslosen Arbeitsbereitschaft vorliege, sei aus ihrer, der Beklagten, Sicht als Empfänger der Erklärung des Arbeitslosen zu beurteilen. Die entsprechende Arbeitsbereitschaft müsse ihr auch erkennbar sein. Vor diesem Hintergrund bestimme § 309 SGB III, dass sich die Arbeitslosen während der Zeit, für die sie einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machten, bei ihr persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen hätten, wenn sie hierzu aufgefordert worden seien. Die Aufforderung zur Meldung könne auch zum Zwecke der Vermittlung in Arbeit und/oder der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfolgen. Ausnahmsweise könne sich der Arbeitslose auch telefonisch melden, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht zur persönlichen Meldung fähig sei. Der Kläger habe in seinem Antrag auf Arbeitslosengeld gesundheitliche Einschränkungen angegeben. Sie habe dem Kläger am 30.Juli 2020 mitgeteilt, dass sie pandemiebedingt im Regelfall vorerst auf persönliche Beratungsgespräche vor Ort verzichte und ihn um Mitteilung seiner Telefonnummer gebeten. Ansonsten werde ausnahmsweise doch ein persönlicher Termin notwendig. Mit weiterem Schreiben vom 15. Oktober 2020 sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit sowie die Potentialanalyse (§ 37 SGB III) im persönlichen Beratungsgespräch ermittelt würden und dies ausnahmsweise und befristet pandemiebedingt telefonisch möglich sei. Der Kläger habe daraufhin seine Telefonnummer nicht mitgeteilt und der Beklagten einen telefonischen Kontakt untersagt. Ein nachvollziehbarer Grund hierfür sei nicht erkennbar, insb. auch nicht aufgrund der von ihm geschilderten gesundheitlichen Beschwerden. Das Nichterscheinen eines Arbeitslosen nach Erhalt einer Meldeaufforderung könne als gewichtiges Indiz fehlender Verfügbarkeit sowie als Verletzung der Obliegenheiten des Arbeitslosen zur Angabe von Tatsachen und zum persönlichen Erscheinen nach den für alle Sozialleistungen geltenden Mitwirkungsvorschriften Grund für eine Leistungsentziehung sein. Des Weiteren habe der Kläger erklärt, dass irgendwelche Bewerbungen momentan sinn frei und entbehrlich seien. Dem sei das Fehlen der subjektiven Arbeitsbereitschaft zu entnehmen. Die Anhörung zur Rücknahme über die Bewilligung von Arbeitslosengeld sei im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden.
Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2022 hat der Kläger, mit solchem vom 12. Juli 2022 die Beklagte das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten wird auf die (elektronisch geführten) Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (vgl. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), führt für diesen inhaltlich nicht zum Erfolg.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 6. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2020, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020 zurückgenommen hat.
Die Rücknahmeentscheidung der Beklagten findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III.
Im System der Korrekturvorschriften der §§ 44 ff. SGB X ist § 45 SGB X die einschlägige Kor-rekturnorm, wenn ein Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. § 48 SGB X erfasst hingegen Verwaltungsakte, bei denen erst die Veränderung von Umständen nach Erlass eines Verwaltungsaktes (mit Dauerwirkung) zu einer Diskrepanz zur materiellen Rechtslage geführt hat.
Anlass der Korrekturentscheidung der Beklagten bildet der Umstand, dass der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden hat. Da dieser Umstand im Hinblick auf den Bewilligungsbescheid vom 28. September 2020 bereits bei dessen Erlass vorgelegen hat, ist § 45 SGB X einschlägig.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Rechtswidrig ist der Verwaltungsakt i.S.d. § 45 SGB X, wenn er unter Verletzung des zum Zeitpunkt seines Erlasses geltenden Rechts zu Stande gekommen ist (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2016, Bd. IV, § 45 SGB X, Rn. 24).
Die mit Bescheid vom 28. September 2020 verfügte Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020 stand bereits zum Zeitpunkt des Erlasses nicht mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang.
Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der ab dem 1. April 2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarlt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Dieser Anspruch besteht nach § 137 Abs. 1 SGB III für eine Person, die arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3). Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 SGB III, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit; Nr. 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen; Nr. 2) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit; Nr. 3). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht gemäß § 138 Abs. 5 SGB III zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1), Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Nr. 2), bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben (Nr. 3), und bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen (Nr. 4).
Die im Bereich des SGB III wegen der Corona-Pandemie geschaffenen (zeitlich befristeten) Sonderregelungen zum Arbeitslosengeld (§ 421d SGB III), u.a. die befristete Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, beinhalten keine Ausnahme von diesen Leistungsvoraussetzungen.
§ 138 Abs. 5 SGB III unterscheidet zwischen den objektiven und subjektiven Bedingungen der Verfügbarkeit. Während das Vorliegen der objektiven Bedingungen unabhängig vom Willen des Beschäftigungslosen zu beurteilen ist, zielen die subjektiven Bedingungen auf die Bereitschaft des Beschäftigungslosen, eine Beschäftigung aufzunehmen bzw. an einer Maßnahme teilzunehmen ab. Bei der Bereitschaft i.S.d. § 138 Abs. 5 SGB III handelt es sich um eine innere Tatsache, d.h. um einen tatsächlichen Umstand, der vorliegen muss, wenn und solange ein Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend gemacht wird. Die subjektive Arbeitsbereitschaft muss für die Agentur für Arbeit jedoch erkennbar sein (LSG, Urteil vom 16. Dezember 1992 - L 5 Ar 1456/91 – in juris). In der Regel bringen Beschäftigungslose ihre Arbeitsbereitschaft bereits dadurch zum Ausdruck, dass sie sich arbeitslos melden. Ein weitergehender Nachweis der Arbeitsbereitschaft darf erst dann verlangt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Arbeitsunwilligkeit vorliegen. Das Fehlen der Arbeitsbereitschaft kann hierbei erst dann angenommen werden, wenn Arbeitslose durch ihr Verhalten - z. B. eine ausdrückliche Erklärung oder durch mehrfache Ablehnungen zumutbarer Arbeiten - konkrete Anhaltspunkte für eine Arbeitsunwilligkeit gegeben haben (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. September 1989 - 11 RAr 131/88 -, in juris); die bloße Vermutung von Arbeitsunwilligkeit reicht nicht aus, die Arbeitsbereitschaft zu verneinen. Eine entsprechende Erklärung, (nicht) arbeitsbereit zu sein, stellt wie die Arbeitslosmeldung keine Willenserklärung dar, sie kann daher nicht wirksam angefochten oder widerrufen werden.
Das Fehlen der subjektiven Verfügbarkeit kann hierbei nicht einzig anhand des (Nicht-)Erscheinens zu Meldeterminen festgestellt werden (BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 - B 11 AL 8/13 R -, in juris). Ein Automatismus, dass bei einem (mehrmaligen) Meldeversäumnis die Verfügbarkeit des Arbeitslosen entfällt, besteht nicht. Jedoch kann das Nichterscheinen zu Meldeterminen bei der Feststellung, ob die subjektive Verfügbarkeit besteht, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als Indiz herangezogen werden. Das BSG spricht insofern von einem gewichtigen Indiz, wobei jedoch das gesamte Verhalten der arbeitslosen Person zu würdigen ist (BSG, Urteil vom 14. Mai 2014, a.a.O.).
Der Kläger hat bereits auf eine Meldeaufforderung der Beklagten vom 20. August 2020 mitgeteilt, den Termin nicht wahrnehmen zu können und sodann die Meldeaufforderung ignoriert. Sodann hat der Kläger angegeben, dass irgendwelche Bewerbungen momentan sinn frei und entbehrlich seien, zumal es sowieso keine offenen und für ihn passenden Stellenangebote gebe. Es sei ihm nicht möglich, persönliche Termine wahrzunehmen und anderen Menschen persönlich zu begegnen, egal in welcher Art und auf welche Weise. Durch diese Äußerungen hat der Kläger zur Überzeugung des Senats für die Beklagte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, nicht arbeitsbereit zu sein. Dies ist für die Beklagte auch dadurch verdeutlich worden, dass der Kläger einer telefonischen Kotaktaufnahme entgegengetreten ist. Da der Kläger überdies bereits nicht vorgetragen hat, sich eigeninitiativ um eine Beschäftigung zu bemühen, ist der Kläger zur Überzeugung des Senats jedenfalls ab dem 1. Oktober 2020, d.h. zu dem Zeitpunkt seiner Stellungnahme zur Meldeaufforderung der Beklagten subjektiv nicht verfügbar gewesen.
Auch die gegenteilige Erklärung im Berufungsverfahren vermag einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zu begründen, da nach § 141 Abs. 3 Nr. 1 SGB III die Wirkung der Arbeitslosmeldung nach der mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit entfallen ist.
Da der Kläger mithin ab dem 1. Oktober 2020 nicht subjektiv verfügbar gewesen ist, bestand ab diesem Zeitpunkt kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Bewilligung der Leistung im Bescheid vom 28. September 2020 war rechtswidrig i.S.d. § 45 Abs. 1 SGB X.
Der Vortrag des Klägers, seine Situation sei vergleichbar mit der, die der Aussetzungen von Sanktionierungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu Grunde liege, weswegen auch in seiner Situation auf eine Sanktionierung zu verzichten sei, bedingt keine abweichende Beurteilung. Der Vortrag verkennt bereits, dass vorliegend keine Sanktionierung (auch nicht im übertragenen Sinne) gegenständlich ist, vielmehr eine tatbestandliche Leistungsvoraussetzung in seiner Person nicht (mehr) vorgelegen hat.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Zwar ist es dem Senat ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Kläger auf die Gewährung von Arbeitslosengeld vertraut hat, indes ist das Vertrauen in den Bestand des Bescheids vom 28. September 2020 zur Überzeugung des Senats nicht schutzwürdig. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3).
Zur Überzeugung des Senats beruht die – sinngemäß – geltend gemacht Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dies ist anzunehmen, wenn der Betroffene schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und vom 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -, jeweils in juris). Das Maß der Fahrlässigkeit ist hierbei nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falls zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: u. a. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, in juris). Maßgebend für die Kenntnis oder für das Kennen müssen seiner Rechtswidrigkeit ist hierbei der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 30/07 R, in juris). Der Kläger ist im Rahmen des ihm ausgehändigten Merkblatts für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme der Kläger mit der Online-Meldung bestätigt hat, darauf hingewiesen worden, dass ihm Arbeitslosengeld nur dann zusteht, wenn er sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt. Es obliegt dem Arbeitslosen, dass Merkblatt durchzulesen. Unterlässt er dies, begründet bereits dies die Annahme grober Fahrlässigkeit. Aufgrund der Hinweise im Merkblatt musste der Kläger wissen, dass er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wenn er nicht bereit ist, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Da schließlich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach seiner persönlichen Einsichts- und Kritikfähigkeit nicht in der Lage gewesen ist, die Hinweise im Merkblatt und die Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides zu erkennen, fehlen, beruht die geltend gemachte Unkenntnis des Klägers von der Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides zur Überzeugung des Senats auf grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, weswegen das Vertrauen des Klägers in den Bestand des Bewilligungsbescheides vom 28. September 2020 nicht schutzwürdig i.S.d. § 45 Abs. 2 SGB X ist.
Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung auch die von ihr einzuhaltenden Fristen gewahrt. Ermessen hatte die Beklagte bei der Rücknahmeentscheidung nach § 330 Abs. 2 SGB III nicht auszuüben.
Der streitgegenständliche Bescheid unterliegt, nachdem die Beklagte die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt hat (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X), auch keinen formalen Fehlern.
Mithin ist der Bescheid 6. November 2020 (Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2020) und die hierin verfügte Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2020 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 14. Oktober 2021 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 86/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 3444/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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