L 2 R 332/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 23 R 1/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 332/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 181/22 B
Datum
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. September 2020 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch in der Berufungsinstanz keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung überzahlter Witwerrente in einem Umfang von 25.628,46 €.

Der Berufungskläger ist Sohn und Rechtsnachfolger des im Laufe des Berufungsverfahrens am 20. November 2021 verstorbenen ursprünglichen Klägers B. A.  (Rentenbezieher). Der 1937 geborene Rentenbezieher hatte nach dem Tod seiner 1999 verstorbenen Ehefrau C. A. (Versicherte) am 6. Juli 1999 die Gewährung einer Witwerrente bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), der Rechtsvorgängerin der Beklagten, beantragt. In der Anlage zum Antragsformular gab der Rentenbezieher ausdrücklich durch Ankreuzen des Kästchens unter „nein“ an, er beziehe weder Arbeitsentgelt noch Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen. Ziffer 8 mit Angaben zum Einkommen des Antragstellers im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Rente blieb zunächst unausgefüllt. Auf entsprechende Nachfrage der BfA erfolgte laut Vermerk in der Verwaltungsakte vom 18. August 1999 ein Anruf der „Stadtverwaltung“, die sich erkundigt habe, warum der Versicherte Ziffer 8 der Anlage ausfüllen solle, wenn er keinerlei Einkommen habe. Es sei so verblieben worden, dass es dann wohl nicht nötig sei, dass die Angaben ergänzt würden. Die BfA bewilligte dem Rentenbezieher daraufhin mit Rentenbescheid vom 7. September 1999 ab dem 1. Juni 1999 eine Witwerrente ohne Anrechnung von Einkommen.

Ab dem 1. Januar 2002 bezog der Rentenbezieher eine Altersrente für langjährig Versicherte von der BfA. Am 7. Dezember 2001 hatte die Krankenkasse des Rentenbeziehers in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass ab dem 1. Januar 2002 Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bestehe, da der Rentenbezieher zum 31. Dezember 2001 seine selbständige Tätigkeit aufgebe. Auf Nachfrage der BfA mit Schreiben vom 13. März 2002 mit der Angabe, dass die Krankenkasse des Rentenbeziehers angegeben habe, dass er seine selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 aufgegeben habe, übersandte der Rentenbezieher daraufhin Kopien der Anlage GSE (Einkünfte aus Gewerbebetrieb) zur Einkommensteuererklärung, in denen für das Jahr 2000 für Industrievertretungen Einkünfte in Höhe von 23.255 DM und für das Jahr 1999 für eine Handelsvertretung Einkünfte in Höhe von 16.634 DM angegeben waren. Für das Jahr 1998 wurde später ein Bilanzergebnis von 34.757,63 DM angegeben.

Mit Rentenbescheid vom 13. November 2002 stellte die Beklagte die große Witwerrente des Rentenbeziehers neu fest und bewilligte ab dem 1. Januar 2003 nunmehr einen monatlichen Zahlbetrag von 209,30 €. Der Bescheid enthielt den Hinweis:
„Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten
Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können (auch wenn sie im Ausland erzielt werden) Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind
-    Arbeitsentgelt,
-    Arbeitseinkommen (Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständige Arbeit),
-    vergleichbares Einkommen,
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen ...“
In der Berechnung der Monatsrente in Anlage 1 des Bescheids wurde für die Zeit ab dem 1. Januar 2003 die Rente um anzurechnendes Einkommen in Höhe von 171,45 € gemindert. Aus Anlage 8 des Bescheids ergab sich die Berechnung des ab dem 1. Juli 2002 zu berücksichtigenden Einkommens. Berücksichtigt wurde dabei lediglich Erwerbsersatzeinkommen in Form der Versichertenrente aus der eigenen gesetzlichen Rentenversicherung, d.h. der Altersrente des Rentenbeziehers, in Höhe von 1.111,33 € monatlich.

Nach Anhörung des Rentenbeziehers hob die BfA zudem mit Bescheid vom 3. Januar 2003 den ursprünglichen Rentenbescheid vom 7. September 1999 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2001 auf und verlangte die Erstattung eines überzahlten Betrages für den Zeitraum vom 1. Juli 2001 bis 31. Dezember 2002 in Höhe von 1.066,83 €. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids habe der Rentenbezieher sich nicht berufen können, da er aufgrund der eingereichten Unterlagen (Einkommensteuererklärungen) habe wissen müssen, dass sich durch sein Einkommen aufgrund der Einkommensanrechnung gemäß § 97 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seine Hinterbliebenenrente vermindert habe. Der Rentenbezieher beglich die Erstattungsforderung in voller Höhe. 

Weitere Einkommensnachweise legte der Rentenbezieher in der Folge zunächst nicht mehr vor. Erst mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 teilte er der Beklagten mit, dass ihm am 4. September 2014 zum 31. Dezember 2014 gekündigt worden sei und sich sein anrechenbares Einkommen verringere. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Rentenbezieher am 8. Januar 2015 telefonisch mit, bei der Tätigkeit handele es sich um eine selbständige Tätigkeit. Es sei seit 2002 Einkommen erzielt worden. Der Steuerberater des Rentenbeziehers übersandt daraufhin Einkommensteuerbescheide des Rentenbeziehers für die Kalenderjahre 1999 bis 2013 mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, konkret in Höhe von 3.105,00 € für 2002, 9.124,00 € für 2003, 12.263,00 € für 2004, 27.839,00 € für 2005, 18.463,00 € für 2006. 33.031,00 € für 2007, 24.634,00 € für 2008, 8.278,00 € für 2009, 22.460,00 € für 2010, 23.485,00 € für 2011, 5.652,00 € für 2012 und 21.168,00 € für 2013.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2015 hörte die Beklagte den Rentenbezieher zu einer Aufhebung des Bescheids vom 13. November 2002 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2003, der Weitergewährung einer Rente in Höhe von 264,19 € sowie zu einer Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 25.628,46 € an. Der Rentenbezieher teilte daraufhin mit, er habe nicht gegen Mitwirkungspflichten verstoßen. Mit dem Bescheid vom 3. Januar 2003 und der Rückzahlung der 1.066,83 € sei er davon ausgegangen, dass nun alles richtig sei, zumal dann auch ein neuer Rentenbescheid ergangen sei. Er sei Laie und könne die Berechnungen der Beklagten nicht nachvollziehen.

Mit Bescheid vom 16. April 2015 berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Rentenbeziehers ab dem 1. Januar 2003 neu und bewilligte für den Zeitraum ab dem 1. Juni 2015 einen monatlichen Zahlbetrag von 264,19 €. Für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2015 ergebe sich eine Überzahlung von 25.628,46 €, die vom Rentenbezieher zu erstatten sei. In Anlage 10 des Rentenbescheids hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 13. November 2002 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1. Januar 2003 teilweise auf und forderte die Erstattung der überzahlten Rentenleistungen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Rücknahme des Rentenbescheids sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, da der Rentenbezieher sich zum einen auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids nicht berufen könne und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3, Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht abgelaufen seien. Auf Vertrauen in den Bestand könne der Rentenbezieher sich nicht berufen, da er beginnend mit dem Rentenantrag vom 6. April 1999 unrichtige beziehungsweise unvollständige Angaben hinsichtlich seines Arbeitseinkommens gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>). Auch die Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis.

Hiergegen legte der Rentenbezieher am 30. April 2015 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2015 mit der Begründung zurückgewiesen wurde, der Rentenbezieher könne sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids berufen. Der Rentenbescheid sei rechtswidrig gewesen, da die Einkommensanrechnung in unzutreffender Höhe durchgeführt worden sei. Der Rentenbezieher habe grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids nicht erkannt, da er die unterbliebene Anrechnung von Einkommen hätte erkennen müssen. Aufgrund der bereits erhaltenen Bescheide in der Vergangenheit habe der Rentenbezieher ohne Weiteres erkennen können, dass das erzielte Einkommen Einfluss auf die Höhe der Rente gehabt habe und die Nichtberücksichtigung bei der Berechnung der Rente rechtswidrig gewesen sei. Da sämtliche erteilten Rentenbescheide eindeutige Hinweise zu den Mitteilungspflichten und Rechtsfolgen enthalten hätten, könne der Rentenbezieher sich nicht auf ein Nichtwissen berufen. Der Rentenbezieher könne sich auch deshalb nicht auf Vertrauen berufen, da er beginnend mit dem Rentenantrag vom 6. April 1999 unrichtige beziehungsweise unvollständige Angaben hinsichtlich seines Arbeitseinkommens gemacht habe. Die Aussage, er sei seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen, sei schlichtweg falsch. Vielmehr seien die Einnahmen aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht angegeben beziehungsweise offenbar bewusst verschwiegen worden. Die anzurechnenden Einkommen seien aus den jährlichen Einkommensteuerbescheiden entnommen worden. Im Wege des Ermessens werde die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt gehalten, da nach Aktenlage keine persönlichen oder finanziellen Gründe erkennbar seien, die der Geltendmachung der Rückforderung entgegenstehen könnten. Gegen die Rücknahme sprächen keine Gründe, für die Rücknahme sprächen dagegen das Erkennenkönnen der unterbliebenen Einkommensanrechnung und fehlerhafte Angaben beziehungsweise bewusstes Verschweigen bezüglich des Einkommens. Der Rentenbezieher sei zur Erstattung des Betrags von 25.628,46 € verpflichtet.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Rentenbezieher am 4. Januar 2016 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt.

Laut eines ärztlichen Attests der Neurologin Dr. H. vom 29. November 2019 litt der Rentenbezieher seit ca. November 2017 unter einer zunehmenden Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses. Diagnostiziert wurden ein Tremor, eine Parkinson-Krankheit, eine Schädelfraktur, Hypomanie, ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine frontotemporale Demenz, Demenz bei Pick-Krankheit und Schlafapnoe. Eine Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht wurde daraufhin aufgehoben.

Mit Urteil vom 14. September 2020 wies das Sozialgericht die Klage mit der Begründung ab, die Beklagte habe den Rentenbescheid vom 13. November 2002 nach § 45 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 2 und 3, Abs. 3 SGB X zurücknehmen dürfen. Der Bescheid sei anfänglich rechtswidrig gewesen, da zum Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung kein Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit des Rentenbeziehers angerechnet worden sei. Tatsächlich habe der Rentenbezieher auch in den Jahren 2003 bis 2014 Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielt. Der Rentenbezieher sei ordnungsgemäß angehört worden und der Bescheid sei hinreichend bestimmt gewesen. Die Begründung der Rücknahme und die Berechnung der Überzahlung ergäben sich aus der Anlage zum Bescheid vom 16. April 2015. Der Rentenbezieher könne sich nicht auf Vertrauen im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X berufen, da die Voraussetzungen der § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X erfüllt seien. Der Rentenbescheid vom 13. November 2002 habe auf der unrichtigen Angabe des Rentenbeziehers beruht, dass er seit dem 31. Dezember 2001 kein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit erziele. Diese Angabe sei zumindest grob fahrlässig erfolgt. Obwohl die persönliche Befragung aufgrund seiner Demenzerkrankung nicht mehr möglich gewesen sei, seien die sich aus der Verwaltungsakte ergebenden Anhaltspunkte ausreichend. Bereits bei Beantragung der Witwerrente am 6. Juli 1999 habe der Rentenbezieher keine Angaben hinsichtlich seines Erwerbseinkommens gemacht. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe der Rentenbezieher eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, aus der er Erwerbseinkommen erzielt habe. Sowohl die Ausübung der Tätigkeit als auch die Höhe des Einkommens habe der Rentenbezieher verschwiegen. Soweit er sich darauf berufe, sich bei Antragstellung von einem fachkundigen Berater Beistand geholt zu haben, habe er selbst mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Eine Beratung bei Antragstellung erkläre auch nicht, aus welchem Grund sich die Stadtverwaltung auf seinen Wunsch bei der Beklagten gemeldet und erfragt habe, aus welchen Gründen Angaben zum Einkommen nachzuholen seien, wenn doch kein Einkommen erzielt werde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Rentenbezieher auffallen müssen, dass Angaben zum Einkommen zu machen seien. Ebenso wenig habe der Rentenbezieher nach Neuberechnung der Witwerrente durch Bescheid vom 13. November 2002 davon ausgehen können, dass sein Einkommen ab dem 1. Januar 2003 richtig berücksichtigt worden sei. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 13. März 2002 sei eindeutig hervorgegangen, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, dass der Rentenbezieher seine selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 aufgegeben habe. Eine Richtigstellung dieser Annahme habe der Rentenbezieher nicht vorgenommen. Zudem enthielten die Bescheide stets die unmissverständlichen Hinweise, dass Angaben zu Einkommensverhältnissen zu machen seien und dass das Einkommen Auswirkungen auf die Berechnung der Witwerrente habe. Auch habe der Rentenbezieher spätestens im Jahr 2002 die Erfahrung gemacht, dass ein erzieltes und nicht angegebenes Einkommen zu einer Aufhebung und Geltendmachung von Erstattungsansprüchen führe. Ferner hätte ihm einleuchten müssen, dass bei schwankenden Erlösen aus der selbständigen Tätigkeit der errechnete Rentenbetrag nicht gleichbleiben könne, sodass insoweit Angaben erforderlich gewesen wären. Darüber hinaus sei aus dem Rentenbescheid vom 13. November 2002 eindeutig hervorgegangen, dass allein die Versichertenrente als Einkommen berücksichtigt worden sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, beim Rentenbezieher regelmäßig nachzufragen. Es lägen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Demenzerkrankung des Rentenbeziehers bereits im Jahr 2002, als falsche Angaben gemacht worden seien, so weit fortgeschritten gewesen sei, dass er aufgrund der Erkrankung unrichtige Angaben gemacht habe. Vielmehr habe er noch elf weitere Jahre seine kaufmännische Tätigkeit ausgeübt. Die fehlende Angabe des Einkommens sei grob fahrlässig erfolgt. Der Rentenbezieher habe die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, indem er die zahlreichen Hinweise auf seine Mitteilungspflichten ignoriert habe sowie die offensichtlich unzutreffende Annahme bezüglich der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit, die auf seinen eigenen Angaben basiert habe, nicht richtiggestellt habe. Der Rentenbezieher habe auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zumindest grob fahrlässig verkannt. Hierfür spreche die Tatsache, dass er mit der 2002 erfolgten teilweisen Rücknahme des Rentenbescheids aus 1999 die Erfahrung gemacht habe, dass sich Einkommen auf die Rentenleistung auswirke. Gleichwohl habe er hingenommen, dass die Beklagte ab dem 1. Januar 2003 Rente ohne Einkommensanrechnung gewährte. Auf eine Entreicherung könne sich der Rentenbezieher nicht berufen. Eine Rücknahme des Rentenbescheids vom 13. November 2002 sei auch nach mehr als 10 Jahren nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X möglich, da die Witwerrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme an den Rentenbezieher gezahlt worden sei und ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X vorliege. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei nicht abgelaufen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte bereits 2002 Kenntnis von der Tätigkeit des Rentenbeziehers gehabt habe. Die Rücknahmeentscheidung sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Seitens des Rentenbeziehers seien keinerlei Gründe vorgetragen worden, die in die Ermessensausübung hätten miteingestellt werden müssen, wobei er hierzu mit Anhörungsschreiben vom 3. Dezember 2014 Gelegenheit erhalten habe. Die Erstattung folge aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Der Rentenbezieher hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 17. November 2020 zugestellte Urteil am 17. Dezember 2020 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Berufungskläger ist im Wesentlichen der Auffassung, der angegriffene Aufhebungsbescheid sei rechtswidrig, da der Rentenbezieher sich auf Vertrauensschutz habe berufen können. Der Rentenbezieher hätte in Kenntnis der abweichenden Rentensituation seine kaufmännische Tätigkeit in den 12 Jahren, in denen die Beklagte pflichtwidrig keine weitere Prüfung der Rentenzahlungen trotz Kenntnis seines zusätzlichen Einkommens vorgenommen habe, grundlegend anders gestaltet. Hieraus ergebe sich für den Rentenbezieher ein enormer Vermögensschaden, den die Beklagte verschuldet habe und es vor diesem Hintergrund schlichtweg unbillig wäre, diesem die daraus entstehenden Kosten aufzuerlegen. Der Rentenbezieher habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bescheids verkannt. Er habe die Anträge zusammen mit dem Rentenberater R. ausgefüllt und diesem sämtliche seiner Lebensverhältnisse zutreffend geschildert. Ob dem Rentenbezieher ein Vorwurf gemacht werden könne, lasse sich nicht mehr beurteilen, da er nicht mehr vernommen werden könne. Die Beklagte habe zudem ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Beklagte hätte im Rahmen der Amtsermittlung erforschen müssen, wie belastend sich eine Rückforderung für den Rentenbezieher auswirken würde. Das 12-jährige Schweigen der Beklagten habe zu einer Verwirkung geführt. Der Rentenbezieher habe davon ausgehen können, dass die bereits getätigte Rückzahlung die vollständige und letzte Rückzahlung gewesen sei. Die Beklagte habe ihr eigenes Organisationsverschulden nicht berücksichtigt.

Der Berufungskläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. September 2020 und den Bescheid vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2015 aufzuheben, soweit die Rentengewährung für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2015 teilweise zurückgenommen und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 25.628,46 € gefordert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und führt ergänzend aus, sie habe aufgrund der Meldung der Krankenkasse des Rentenbeziehers seinerzeit lediglich Kenntnis von einer Aufgabe der selbständigen Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 erhalten. Entsprechend sei die Rente mit Bescheid vom 13. November 2002 neu berechnet worden. Hierbei sei dem Rentenbezieher erneut mitgeteilt worden, dass und welches Einkommen er mitzuteilen habe. Da im selben Bescheid eine Überzahlung wegen selbständiger Tätigkeit bis zum 31. Dezember 2002 festgestellt worden sei, habe der Rentenbezieher Kenntnis von dem Umstand gehabt, dass sich Einkommen auf die Rentenhöhe auswirke. Warum er erst im Dezember 2014, mithin 11 Jahre später, weiteres Einkommen angegeben habe, sei ihr nicht bekannt. Ein eigenes Verschulden der Beklagten liege nicht vor.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 15. Februar und 1. März 2022 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegeben.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der verstorbenen Ehefrau des Rentenbeziehers bei der Beklagten, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. September 2020 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2015 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Rentenbescheid der Beklagten vom 16. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015, der die Rentenbewilligung für den Kläger ab dem 1. Juni 2015 neu regelte, die Leistungsgewährung rückwirkend vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2015 teilweise aufhob und die Erstattung der in diesem Zeitraum zu Unrecht gewährten Leistungen forderte. Die Neuregelung der Rentenhöhe ab dem 1. Juni 2015 wurde vom Rentenbezieher weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren angegriffen, so dass der streitige Bescheid damit hinsichtlich der insoweit erfolgten Aufhebung bindend geworden ist (§ 77 SGG).

Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme des Rentenbescheids vom 13. November 2002 für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2015 ist § 45 SGB X.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit - wie im vorliegenden Fall - nur in den Fällen der Unlauterkeitstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X möglich.

Der Rentenbescheid vom 13. November 2002 ist ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X, der bereits bei Bekanntgabe des Bescheides rechtswidrig gewesen ist, da die Berechnung der Rentenhöhe ab dem 1. Januar 2003 das Einkommen des Rentenbeziehers aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht berücksichtigt hat. So hatte der Rentenbezieher zwar aufgrund der Vollendung des 45. Lebensjahres nach § 46 Abs. 2 i.V.m. § 242a Abs. 4 SGB VI weiterhin grundsätzlich einen Anspruch auf große Witwerrente. Unter Berücksichtigung des nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI anzurechnenden Einkommens ergab sich jedoch ein reduzierter Zahlbetrag der Witwerrente im Zeitraum ab dem 1. Januar 2003.

Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wird Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Aufgrund des Versterbens der Versicherten bereits im Mai 1999 kommt § 114 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind, wenn der versicherte Ehegatte - wie hier - vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist oder die Ehe vor diesem Tag geschlossen wurde und mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist, bei Renten wegen Todes als Einkommen zu berücksichtigen:  
1. Erwerbseinkommen, 
2. Leistungen, die auf Grund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen), mit Ausnahme von Zusatzleistungen.
Die Ausnahme von der Einkommensanrechnung bei Witwen- oder Witwerrenten, solange der Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt, d.h. für Witwen- und Witwerrenten, die gem. § 67 Nr. 5 und 6, § 82 Satz 1 Nr. 6 und 7, Satz 2 Nr. 3 SGB VI bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist, geleistet werden (sog. Sterbevierteljahr), ist vorliegend bei Versterben der Versicherten in Mai 1999 für die streitige Leistungsgewährung ab dem 1. Januar 2003 nicht einschlägig.

Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X allerdings nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Die Beklagte durfte den Rentenbescheid vom 13. November 2002 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise zurücknehmen, denn der Rentenbezieher erfüllte die Voraussetzungen der Unlauterbarkeitstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Zur Überzeugung des Senats beruhte der Rentenbescheid auf Angaben, die der Rentenbezieher zumindest infolge grober Fahrlässigkeit unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Zudem hat der Rentenbezieher die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 13. November 2002 zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.

Ob eine betroffene Person die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen, d.h. es ist bei der Beurteilung ein subjektiver Maßstab anzulegen (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 7a AL 14/05 R).

Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSG, Urteile vom 26. August 1987, 11a RA 30/86 und vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R m.w.N. - ständige Rechtsprechung). Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze, in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 65). Daher kann einem Leistungsempfänger immer nur dann grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wenn ihm der Fehler bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu „in die Augen springt“. Das ist der Fall, wenn er aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen sicher die Rechtswidrigkeit hätte erkennen können (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 1987, 11a RA 30/86) oder er das nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1980, 7 RAr 13/79). Augenfällig im vorstehenden Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Darüber hinaus ist der Begründung des Verwaltungsaktes nach ein Fehler augenfällig, wenn die Fehlerhaftigkeit dem Adressaten unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss (vgl. Schütze in: Schütze, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 66 ff.).

Für den Versicherten besteht eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R). Dies gilt ebenso für den Bezieher einer Hinterbliebenenrente. Denn die Beteiligten haben sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSG, Urteile vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R, und vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R; Hess. LSG, Urteil vom 12. März 2002, L 12 RJ 32/01).

Daran gemessen ist dem Rentenbezieher zur Überzeugung des Senats unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen, als er es unterlassen hat, seine Einkommenserzielung aus selbständiger Tätigkeit der Beklagten mitzuteilen, sowie wenn er die fehlende Anrechnung seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit auf seinen Hinterbliebenenrentenanspruch nicht erkannt haben sollte. Er verletzte die gebotene Sorgfalt, die von ihm erwartet werden konnte und musste, in besonders schwerem Maße, weil er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellte, vielmehr davon ausging, dass die Auszahlung der Witwerrente in voller Höhe trotz des Bezugs seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit zu Recht erfolgt sei.

Dem Rentenbezieher oblag bereits seit Rentenantragstellung am 6. Juli 1999 nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I die Pflicht, sämtliche Tatsachen anzugeben, die für seine Leistung erheblich sind. Das Unterlassen des Rentenbeziehers, sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit im Zeitraum von 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2014 der Beklagten unaufgefordert mitzuteilen, stellt Verletzungen dieser Pflicht dar. Keinesfalls war die Beklagte verpflichtet, beim Rentenbezieher monatlich, jährlich oder in anderen regelmäßigen Abständen nachzufragen, ob dieser Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen bezieht. Aufgrund des pflichtwidrigen Unterlassens der Mitteilung des Einkommens beruhte bereits der Rentenbescheid vom 13. November 2002 auf unrichtigen, weil unvollständigen Angaben. Die Pflichtverletzung erfolgte zur Überzeugung des Senats auch zumindest grob fahrlässig. Der Rentenbezieher hätte bereits seit Bearbeitung der Antragsformulare zur Witwerrente bei Rentenantragstellung im Juli 1999 wissen müssen, dass die Erzielung von Erwerbseinkommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben konnte. Gleiches ergab sich aus der über die „Stadtverwaltung“ erfolgten Nachfrage zu den Angaben unter Ziff. 8 der Anlage zum Erwerbseinkommen in den Antragsunterlagen des Rentenbeziehers am 18. August 1999, den Hinweisen zu seinen Mitteilungspflichten im ersten Rentenbewilligungsbescheid vom 7. September 1999 sowie nachfolgend in der Nachfrage der BfA mit Schreiben vom 13. März 2002 sowie der Anforderung der Einkommensteuerbescheide der Jahre 1998 bis 2001. Anhaltspunkte dafür, dass der Rentenbezieher bereits zum damaligen Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen subjektiv daran gehindert gewesen sein sollte, seinen Mitteilungspflichten nachzukommen, sind nicht ersichtlich. Zutreffend hat bereits das Sozialgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Rentenbezieher seine selbständige Tätigkeit, teilweise mit Einkünften im Umfang von über 30.000,00 € jährlich, noch bis Dezember 2014 fortgeführt hat. Das Attest der behandelnden Neurologin Dr. H. vom 29. November 2019 spricht seinerseits von einer zunehmenden Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses des Rentenbeziehers erst ab ca. November 2017. Zu weiteren medizinischen Ermittlungen „ins Blaue hinein“ waren weder die Beklagte im Rahmen der Amtsermittlung noch das Gericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet. Unabhängig von nachfolgenden Entwicklungen war damit bei Erlass des Rentenbescheids vom 13. November 2002 der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt.

Der Rentenbezieher hat zur Überzeugung des Senats auch zumindest grob fahrlässig verkannt, dass der Rentenbescheid vom 13. November 2002 aufgrund der fehlenden Berücksichtigung seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit rechtswidrig war. Der Rentenbezieher hätte beim Durchlesen des Rentenbescheids erkennen können und müssen, dass der Bezug von Einkünften aus seiner selbständigen Tätigkeit keinen Eingang in die Berechnung des Zahlbetrags durch die Beklagte gefunden hatte. Es war dem Rentenbezieher zuzumuten, auch die Anlagen 1 und 8 des Rentenbescheides vom 13. November 2002 zu lesen und ihren wesentlichen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Aus Anlage 8 des Rentenbescheids, welche die Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens erläutert, ergibt sich eindeutig, dass für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2002 ausgehend von Einkommen in Form eines Erwerbsersatzeinkommens aufgrund der Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1.111,33 € kein weiteres Einkommen angerechnet wurde. Auch ein in sozial- und rentenversicherungsrechtlichen Angelegenheiten unerfahrener Leistungsbezieher hätte erkennen können und müssen, dass die Berechnung der Einkommensanrechnung unvollständig gewesen war und der Bezug von Einkommen neben der Altersrente zu einer Reduzierung oder zum vollständigen Wegfall des monatlichen Zahlbetrags der großen Witwerrente führen musste. Der Rentenbezieher wusste daher entweder, dass die Bewilligung der Höhe nach rechtswidrig war, oder er hätte dies zumindest bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt erkennen können.

Zugleich hat die Beklagte auch mögliche Folgebescheide teilweise von Beginn an aufgehoben. Aus dem streitgegenständlichen Rentenbescheid vom 16. April 2015 lässt sich dem Sinnzusammenhang nach entnehmen, dass die Beklagte nicht das Rentenstammrecht aufheben wollte, sondern ab dem 1. Januar 2003 den Rentenbescheid vom 13. November 2002 teilweise hinsichtlich des Rentenzahlbetrages. Die Beklagte hat zwar die Aufhebung möglicher Folgebescheide nicht ausdrücklich formuliert, jedoch ergibt sich aus der Neuberechnung und dem Rentenbescheid, dass eine Aufhebung für die Vergangenheit ab dem 1. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2015 erfolgt. Von einem Aufhebungsverwaltungsakt können über die im Wortlaut seines Verfügungssatzes konkret bezeichneten Bewilligungen hinaus weitere Bewilligungen umfasst sein, wenn sich dies aus der Auslegung des Aufhebungsverwaltungsakts nach dem objektiven Empfängerhorizont ergibt (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017, B 14 AS 9/17 R). So liegt der Fall hier, denn die Auslegung des angefochtenen Aufhebungsbescheides lässt keinen Zweifel daran, dass auch die im Aufhebungszeitraum ergangenen Folgerentenbescheide der Rentenhöhe nach keinen Bestand mehr haben sollen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügungssätze des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids, dem Inhalt der Begründung des Bescheids und den bekannten Umständen ergibt sich für den Rentenbezieher als objektiven Empfänger unzweideutig, dass auch die anderen, nicht ausdrücklich bezeichneten Rentenbescheide vom Aufhebungsverwaltungsakt ebenso wie vom Erstattungsverwaltungsakt erfasst sein sollten (vgl. Urteil des Senats vom 22. März 2019, L 2 R 246/17).

Zweifel an der Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) des angefochtenen Bescheides ergeben sich nicht. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. BSG, Urteile vom 29. November 2012, B 14 AS 196/11 R, und vom 10. September 2013, B 4 AS 89/12 R). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Aufhebungsverwaltungsakt vom 16. April 2015 bezeichnet in seinem Verfügungssatz in Anlage 10 den Zeitraum, ab dem eine Aufhebung wegen der Anrechnung von Erwerbseinkommen erfolgt und der Erstattungsverwaltungsakt beziffert in seinem Verfügungssatz eine Gesamtforderung in Höhe von 25.628,46 €.

§ 45 Abs. 1 SGB X ordnet als Rechtsfolge an, dass die Rücknahme der Begünstigung im Ermessen des Leistungsträgers steht, sofern sich aus den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches (vgl. § 37 SGB I) nichts Abweichendes ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur: BSG, Urteil vom 15. Februar 1990, 7 RAr 28/88; BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990, 11 RAr 3/88; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 9/11 R; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012, B 10 LW 2/11 R; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2012, B 12 R 14/11 R). Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ist es gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I erforderlich, dass der Verwaltungsträger sein Ermessen überhaupt betätigt und er es entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ausübt. Korrespondierend hierzu hat der von der Ermessensentscheidung Betroffene einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Nur in diesem - eingeschränkten - Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG der gerichtlichen Kontrolle auf Ermessensfehler. Rechtswidrig können Verwaltungsakte demnach nur in den Fällen des Ermessensfehlgebrauchs (entweder in Gestalt des Ermessensnichtgebrauchs oder in Gestalt der Ermessensüberschreitung) sein (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 4 RA 42/94). Die Frage, ob und in welcher Weise Ermessen ausgeübt wurde, beurteilt sich nach dem Inhalt des Rücknahmebescheides, insbesondere nach seiner Begründung (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Diese muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, und sie muss darüber hinaus grundsätzlich auch diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Verwaltungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Dafür ist zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessenentscheidung im Ergebnis stützen möchte (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 R 14/11 R). Diesen Anforderungen entspricht die Ermessensausübung der Beklagten. Die Beklagte hat das ihr eingeräumte Ermessen innerhalb des ihr zustehenden Spielraums unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm betätigt und dabei alle abwägungsrelevanten Belange öffentlicher und privater Interessen geprüft. Die Beklagte musste insbesondere im Rahmen der Ermessensentscheidung kein eigenes Mitverschulden an der fehlerhaften Berechnung der Witwerrente berücksichtigen. Der Beklagte war aufgrund des pflichtwidrigen Unterlassens der Mitteilung vom Einkommen des Rentenbeziehers lediglich seitens der Krankenkasse mitgeteilt worden, dass der Rentenbezieher eine selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 beenden werde. Weitere Informationen zum Einkommen des Rentenbeziehers aus seiner selbständigen Tätigkeit für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2002 erhielt die Beklagte erst nach Mitteilung des Rentenbeziehers mit Schreiben vom 3. Dezember 2014. Angesichts der bestehenden Mitwirkungspflichten des Rentenbeziehers war die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2002 beim Rentenbezieher nachzufragen, ob er weiterhin Einkommen außerhalb seiner Altersrente beziehe. Ein Organisationsverschulden der Beklagten liegt nicht vor.

Die Beklagte hat im Zusammenhang mit ihrer Aufhebungsentscheidung auch alle relevanten Fristen eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind. Dies ist - entsprechend der obigen Ausführungen - der Fall. Der Rentenbescheid vom 13. November 2002 wurde indes erst mit Bescheid vom 16. April 2015 aufgehoben, so dass die 10-Jahres-Frist nicht eingehalten wurde. Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Die laufende Geldleistung in Form der Witwerrente wurde hier bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme im Januar 2015 und auch noch bis zum Tod des Rentenbeziehers gezahlt, so dass der Ablauf der 10-Jahres-Frist der Rücknahme nicht entgegensteht. Die Frist von zehn Jahren war auch nicht bereits am 15. April 1998 abgelaufen (§ 45 Abs. 3 Satz 5 SGB X).

Schließlich ist auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Danach muss eine Behörde den Verwaltungsakt dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt. Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Dazu gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Der Umfang der Kenntnis der Tatsachen richtet sich nach dem Tatbestand der Aufhebungsnorm. Im Fall der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts setzt diese voraus, dass die Behörde nicht nur Kenntnis der Tatsachen hat, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergibt, sondern auch sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig kennt (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2008, B 13 R 23/07 R). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie ihrer systematischen Stellung in Absatz 4. Da eine Rücknahme für die Vergangenheit schon tatbestandlich nur unter den zusätzlichen Anforderungen des Absatzes 4 Satz 1 zulässig ist, muss sich die Kenntnis der Behörde jedenfalls auch auf die Umstände nach Absatz 2 Satz 3 beziehen.

Für den Fristbeginn ist also auch die Kenntnis der sog. inneren Tatsachen erforderlich (BSG, Urteile vom 25. April 2002, B 11 AL 69/01 R, und vom 25. Oktober 1995, 5/4 RA 66/94; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 07/21, § 45 SGB X, Rn. 148). Dies ist regelmäßig erst nach der durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall (BSG, Urteile vom 8. Februar 1996, 13 RJ 35/94, vom 6. März 1997, 7 RAr 40/96, und vom 27. Juli 2000, B 7 AL 88/99 R). Die maßgebliche Kenntnis von allen Tatsachen hatte die Beklagte erst nach Durchführung der Anhörung und Eingang der telefonischen Antwort des Rentenbeziehers vom 12. März 2015, denn frühestens zu diesem Zeitpunkt waren ihr alle Umstände bekannt, die für die Feststellungen zur groben Fahrlässigkeit oder zum Ermessen notwendig waren. Die Beklagte erhielt somit erst knapp einen Monat vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids Kenntnis von allen Tatsachen.

Die in dem streitigen Bescheid enthaltene Erstattungsforderung ist ebenfalls rechtmäßig. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist Voraussetzung für die Rückforderung der für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2015 überzahlten Witwerrente, dass der sie bewilligende Verwaltungsakt aufgehoben wurde und der Rechtsgrund für diese Leistung dadurch nachträglich entfallen ist. Das ist hier der Fall. Berechnungsfehler sind weder vom Rentenbezieher oder dem Berufungskläger geltend gemacht worden noch für den Senat erkennbar.

Der Berufungskläger haftet nach §§ 1922, 1967 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten des Rentenbeziehers. Dies schließt die Erstattungsforderung der Beklagten ein.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG. Dabei war zur berücksichtigen, dass der Berufungskläger jedenfalls nach § 183 Satz 2 SGG für das vorliegende Berufungsverfahren kostenprivilegiert ist.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
 

Rechtskraft
Aus
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