L 8 SO 119/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 SO 563/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 119/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII erledigt sich gem. § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise, wenn im zivilgerichtlichen Verfahren ein Vergleich geschlossen wird, der alle übergeleiteten Ansprüche für die Vergangenheit und die Zukunft abschließend regelt.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 08.04.2021 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte und Berufungskläger. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Anspruchsüberleitung.

Der Kläger ist der Sohn der 1920 geborenen Frau A. Diese erhielt ab dem 02.11.2012 Leistungen der Hilfe zur Pflege durch den Beklagten. Mit Bescheid vom 19.03.2015 leitete der Beklagte für die Zeit ab dem 02.11.2012 einen Anspruch der Leistungsempfängerin gegen den Kläger auf Zahlung einer Leibrente, Wart und Pflege sowie Verköstigung in Höhe von 204,05 EUR monatlich auf sich über. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.04.2015 Widerspruch. Mit Schreiben vom 25.08.2015 legte der Beklagte den Widerspruch der Regierung von Oberbayern als der zuständigen Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.

Ausweislich des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Landgerichts München I, 12. Zivilkammer, vom 11.02.2016 (Az.: 12 O 20292/15) schlossen die Beteiligten im dortigen zivilgerichtlichen Verfahren einen gerichtlichen Vergleich, dessen Ziffer IV lautet: "Mit dem vorliegenden Vergleich sind die streitgegenständlichen Ansprüche des Beklagten aus dem Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 abgegolten." Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 21ff der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2016 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2015 zurück.

Dagegen richtete sich die am 05.08.2016 beim Sozialgericht Augsburg eingegangene Klage, die mit Beschluss vom 02.11.2016 an das Sozialgericht München (SG) verwiesen wurde. Zur Begründung der Klage bezog sich der Kläger auf den am 11.02.2016 geschlossenen gerichtlichen Vergleich.

Mit Beschluss vom 04.02.2020 lud das SG den Freistaat Bayern als Träger der Widerspruchsbehörde zu dem Rechtsstreit bei.

Das SG gab der Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.04.2020 teilweise statt, hob den Widerspruchsbescheid vom 01.08.2016 auf, stellte die Erledigung des Widerspruchs fest und verpflichtete den Beklagten, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Überleitungsbescheid habe sich durch den zivilgerichtlichen Vergleich erledigt. Damit sei auch der Widerspruch gegen diesen Bescheid erledigt und das Widerspruchsverfahren beendet. Die Kosten seien dem Beklagten aufzuerlegen, da er die Widerspruchsbehörde nicht über die Umstände, die zur Erledigung des Widerspruchs geführt hätten, informiert habe.

Gegen diesen Gerichtsbescheid legte der Beklagte Berufung ein. Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.04.2020 aufzuheben und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Der Überleitungsbescheid sei rechtmäßig und die Klage deshalb abzuweisen. Der Widerspruch habe sich nicht durch den Vergleich erledigt. Im Rahmen des § 93 SGB XII gelte der gespaltene Rechtsweg, das Zivil- und das Sozialgerichtsverfahren hätten völlig unabhängig voneinander Bestand. Der Überleitungsanspruch sei gerade Grundlage für den Vergleichsabschluss vor dem Zivilgericht. Würde man annehmen, der Überleitungsbescheid habe sich nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, wäre der Beklagte nicht mehr Anspruchsinhaber.

Der Kläger hält den Gerichtsbescheid für korrekt. Er beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogenen Beklagtenakten sowie die Akten des Beigeladenen verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die zulässige Berufung war zurückzuweisen. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Widerspruchsbescheid des Beigeladenen wegen der eingetretenen Erledigung des Widerspruchs rechtswidrig und damit aufzuheben war.

Die Überleitungsanzeige gem. § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist ein Verwaltungsakt. Gem. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Vorliegend hat sich der Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 durch den gerichtlichen Vergleich vom 11.02.2016 gem. § 39 Abs. 2 (Alt. 5) SGB X erledigt, wie das SG zutreffend angenommen hat. Eine Erledigung auf andere Weise tritt u.a. dann ein, wenn der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung verliert (Roos/Blüggel in: Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 39 Rn. 14). Dies war aufgrund des Vergleichs der Fall. Aus Ziff. IV. und V. des Vergleichs folgt, dass die Parteien des zivilgerichtlichen Verfahrens alle übergeleiteten Ansprüche für die Vergangenheit und die Zukunft abschließend regeln wollten. Die Überleitungsanzeige verlor damit für die Zeit nach dem Vergleichsabschluss (ex nunc, nicht ex tunc!) die regelnde Wirkung. Allerdings ist dem Beklagten zuzugeben, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt erforderlich war, um die Aktivlegitimation des Beklagten im Zivilrechtsstreit und damit den Vergleichsabschluss zu gewährleisten. Dies ist jedoch sichergestellt, weil sich der Widerspruch des Klägers ex nunc ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses, nicht aber rückwirkend von Anfang an (ex tunc) erledigte.

Zu erwägen wäre auch, dass die Parteien des Zivilverfahrens im Vergleich konkludent eine übereinstimmende Erledigung des Widerspruchs vereinbart haben, weil von Seiten des Klägers die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige als Grundlage des Vergleichs anerkannt wurde.

Damit war, wie das SG zutreffend feststellt, auch der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.2015 in der Hauptsache erledigt und das Widerspruchsverfahren beendet. Der Beigeladene hätte das Widerspruchsverfahren aufgrund der Erledigung des Widerspruchs einstellen müssen, so dass die Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers gegen diesen Bescheid rechtswidrig ist. Denn eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde gem. § 85 Abs. 2 SGG setzt ein noch unerledigtes Vorverfahren aufgrund eines wirksamen Widerspruchs voraus (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, stand 15.07.2017, § 85 Rn. 28). Dagegen ist der Widerspruchsbehörde aufgrund der §§ 83ff SGG nicht die Befugnis eingeräumt, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig oder rechtmäßig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Rechtskraft
Aus
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