Zu den Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB und eines Nachteilsausgleichs bei einem im europäischen Ausland lebenden behinderten Menschen.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.07.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 60 sowie des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens G trotz dauerhafter Wohnsitzname als Rentnerin in der S.
Bei der 1953 geborenen, seit 2005 in L in der S wohnhaften, aber bis zum Renteneintritt am 01.12.2016 bei einem in L ansässigen Arbeitgeber beschäftigten Klägerin wurde zuletzt mit Bescheid vom 22.05.2015 ein GdB von 50 sowie das Merkzeichen G festgestellt. Mit Bescheid vom 15.09.2016 stellte der Beklagte auf Antrag der Klägerin den GdB ab Juni 2016 mit 60 fest. Der Klägerin wurde ein bis September 2018 gültiger Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G und einem GdB von 60 ausgestellt.
Bei einer persönlichen Vorsprache teilte die Klägerin am 16.08.2018 mit, dass sie nunmehr Rente beziehe. Auf Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 04.09.2018, Nachweise über konkrete inländische Vorteile, wie z.B. eine Steuerpflicht im Bundesgebiet, vorzulegen, teilte die Klägerin mit, sie suche zwei- bis dreimal monatlich ihre Ärzte, zweimal wöchentlich ihren Physiotherapeuten und häufig sonstige Einrichtungen, die Maßnahmen zur Erhaltung ihrer Gesundheit anbieten würden, im Bundesgebiet auf, da sie dort sozialversichert sei. Auch ihre 85 Jahre alte Mutter, ihre Geschwister, ihre Kinder mit deren Familie und fast alle langjährigen Freunde würden im Landkreis L leben, wo sie diese mehrfach monatlich aufsuchen würde. Um diese zu erreichen sei sie auf den öffentlichen Personennahverkehr im Bundesgebiet angewiesen, weshalb der Schwerbehindertenausweis und die damit verbundenen Nachteilsausgleiche, insbesondere die Wertmarke für den öffentlichen Personennahverkehr, außerordentlich wichtig für sie seien. Sie beantrage daher, ihren Schwerbehindertenausweis inklusive Merkzeichen G zu verlängern.
Mit Bescheid vom 02.11.2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Weitergewährung eines GdB und Ausstellung eines entsprechenden Ausweises ab und hob die Bescheide vom 15.09.2016 und vom 22.05.2015 auf. Mit Eintritt des Rentenbezugs sei das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin im Bundesgebiet beendet und keine weitere Zugehörigkeit mehr zum Personenkreis nach § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gegeben. Die hohe Zahl an Besuchen im Bundesgebiet rechtfertige nicht die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet.
Der Beklagte informierte die Klägerin über die Möglichkeit der Ausstellung eines Besucherausweises, welcher ausnahmsweise für die Dauer eines Jahres ausgestellt werden könne, und welcher jährlich auf Antrag verlängert werde, sofern die Voraussetzungen weiterhin vorliegen würden. Am 04.02.2019 stellte der Beklagte der Klägerin dann antragsgemäß einen Besucherausweis mit einem GdB von 60 und dem Merkzeichen G nebst Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personennahverkehr, befristet bis 31.12.2020, aus.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2019 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 02.11.2018 zurückgewiesen und auf eine dreimonatige Frist zur Klageerhebung hingewiesen.
Die am 16.07.2019 entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht Freiburg erhobene Klage der Klägerin ist mit Beschluss vom 20.08.2019 an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen worden.
Zur Begründung ihrer auf Aufhebung des Bescheids vom 02.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2019 und auf Erteilung eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises gerichteten Klage hat die Klägerin im Wesentlichen unter Wiederholung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls auch im Bundesgebiet habe. Im Übrigen sei die Jahresfrist für die Aufhebung des Bescheids vom 02.11.2018 nicht eingehalten. Beigefügt war eine aus Sicht der Klägerin beispielhafte Aufstellung über ihre Besuche im Bundesgebiet im September 2019. Weiterhin hat die Klägerin einen Grundstücksübergabevertrag vom Juli 2019 über ein Grundstück in L vorgelegt, welches sie alleine verwalte und woraus sich naturgemäß häufige Aufenthalte in Deutschland ergeben würden.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2020 hat das SG die Klage nach vorheriger Anhörung abgewiesen. Bei der Klägerin sei im Vergleich zu den Bescheiden vom 22.05.2015 und vom 15.09.2016 eine wesentliche Änderung dahingehend eingetreten, dass sie nicht mehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe. Zwar sei, soweit die Klägerin die Feststellung eines GdB von 60 begehre, § 2 Abs. 2 SGB IX nicht einschlägig, weil nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Feststellung eines GdB nicht mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gleichzusetzen sei. Der Anspruch von im Ausland lebenden behinderten Menschen hänge indes von konkreten inländischen Rechtsvorteilen ab, welche bei der Klägerin nicht vorliegen würden. Daher komme auch die Feststellung des Merkzeichens G nicht in Betracht.
Gegen den ihr am 06.08.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 02.09.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und hat unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens und unter Verweis auf ihre zahlreichen Besuche im Bundesgebiet daran festgehalten, dass der Umfang, in dem sie sich in Deutschland aufhalte, einen berücksichtigungsfähigen Aufenthalt im Sinne der rechtlichen Vorschriften begründe. Weiterhin hat sie auf die mit der S bestehenden bilateralen Vereinbarungen verwiesen, aus denen sich ergeben würde, dass deutsche Staatsbürger, die in der S leben würden, im Inland nicht schlechter gestellt werden dürften.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.07.2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 02.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2019 zu verurteilen, bei ihr über den 01.10.2018 hinaus die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs mit dem Merkzeichen G und den Grad der Behinderung auf mindestens 60 festzustellen und einen entsprechenden Ausweis auszustellen
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.
Streitgegenständlich ist zum einen der Bescheid des Beklagten vom 02.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 23.05.2019, mit dem die Bescheide vom 22.05.2015 und 15.09.2016 über die Feststellung eines GdB von 60 und das Merkzeichen G aufgehoben worden sind. Statthaft ist insoweit die isolierte Anfechtungsklage, weshalb als maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der zu überprüfenden Verwaltungsentscheidungen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung abzustellen ist (BSG, Urteile vom 13.08.1997, 9 RVs 10/96, vom 10.09.1997, 9 RVs 15/96 und vom 11.08.2015, B 9 SB 2/15 R, alle juris). Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Ausstellung eines Ausweises über den GdB sowie das Merkzeichen G. Die danach statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere unter Berücksichtigung von § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht erhoben worden. Sie ist aber unbegründet. Der Beklagte hat die Bescheide vom 22.05.2015 und 15.09.2016 zu Recht aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die dortigen Feststellungen entfallen sind und die Klägerin deshalb auch keinen Anspruch auf Ausstellung eines entsprechenden Ausweises hat.
Anspruchsgrundlage für die Aufhebung der beiden Bescheide ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen aufgehoben werden.
Nach dieser Maßgabe ist bei der Klägerin nach Bekanntgabe der Bescheide vom 22.05.2015 und 15.09.2016, nämlich durch den Bezug von Altersrente ab dem 01.12.2016 und die damit verbundene endgültige Aufgabe eines Arbeitsplatzes im Bereich des Bundesgebiets, eine wesentliche Änderung eingetreten, L1 aufgrund derer die Voraussetzungen für den bei ihr bislang zuerkannten GdB sowie für das Merkzeichen G entfallen sind.
Gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Gem. § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 152 Abs. 1 SGB IX (§ 152 Abs. 4 SGB IX). Gem. § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Bundesgebiet sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 2 Abs. 2 SGB IX entfallen, weil die Klägerin weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches hat. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt, dass zur Bestimmung des Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthalts auf die Vorschriften des § 30 Abs. 3 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) abzustellen ist und dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorgelegen haben, weil sie nicht nur (insoweit unstreitig) keinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat, sondern auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet hatte; denn die für den gewöhnlichen Aufenthalt erforderliche faktisch dauerhafte Begründung eines Schwerpunkts der Lebensverhältnisse im Inland erfolgt durch vorübergehende Aufenthalte zu Besuchszwecken oder zur Krankenbehandlung entgegen der Auffassung der Klägerin gerade nicht (so auch Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 13.08.2018, § 30 Rn. 34, 37). Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Allerdings gilt dies, wie das SG gleichfalls zutreffend dargelegt hat, nur für die in § 2 Abs. 2 SGB IX geregelte Schwerbehinderteneigenschaft. Für die in § 152 SGB IX geregelte Statusfeststellung gilt nach ständiger Rechtsprechung des BSG in Anwendung der Regelung des § 37 Satz 1 SGB I eine abweichende Bestimmung dahingehend, dass es für einen Anspruch auf Feststellung einer Behinderung und des GdB genügt, wenn dem behinderten Menschen aus der Feststellung des GdB im Bundesgebiet konkrete Vergünstigungen erwachsen können, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (BSG, Urteil vom 29.04.2010, B 9 SB 1/10 R, juris). Für den Anspruch auf Feststellung eines GdB genügt danach ein sogenannter Inlandsbezug in dem Sinne, dass der behinderte Mensch wegen seines GdB Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen kann. Wie das SG bereits ausgeführt hat, reicht dagegen eine rein abstrakte, theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme rechtlicher Vorteile im Inland nicht aus, um die Durchbrechung des Territorialitätsprinzips zu rechtfertigen. Entsprechende konkrete inhaltliche Rechtsvorteile hat die Klägerin aber weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren dargelegt.
Soweit ersichtlich stehen der Klägerin, die eine Rente mit knapp 1.300 € bezieht, insbesondere keine steuerrechtlichen Vorteile zu. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf eine Steuerpflicht seit August 2019 im Bundesgebiet aufgrund der Vermietung bzw. Verpachtung des im Juli 2019 auf sie mitübertragenen Grundstücks verwiesen hat, vermag dies möglicherweise, was der Senat hier nicht zu prüfen hat, für die Zukunft eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids noch im Mai 2019, das heißt noch vor Übertragung des eine mögliche Steuerpflicht begründenden Grundstücks, ist dagegen diese zukünftige Steuerpflicht unerheblich.
Die Feststellung eines GdB bzw. des Merkzeichens G ist für die Inanspruchnahme ärztlicher und physiotherapeutischer Leistungen im Bundesgebiet ohne Bedeutung.
Die Klägerin hat als weiteres Interesse die Geltendmachung der Nachteilsausgleiche gegenüber den schweizerischen Behörden an ihrem Wohnort geltend gemacht. Allerdings kann ein im Ausland wohnender Behinderter das Feststellungsverfahren nach § 152 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Geht es dagegen nur um den Nachweis einer Behinderung gegenüber ausländischen Stellen, ist der behinderte Mensch auf die Möglichkeit entsprechender Feststellungen durch die für seinen Wohnort im Ausland zuständigen Stellen zu verweisen (BSG, Urteil vom 05.07.2007, B 9/9a SB 2/06 R, juris).
Das maßgebliche Interesse der Klägerin besteht letztendlich darin, den öffentlichen Personennahverkehr im Bundesgebiet unentgeltlich nutzen zu können. Die Feststellung des hierzu erforderlichen Merkzeichens G beruht aber nicht ausschließlich auf der Zuerkennung eines bestimmten GdB, sondern setzt ausweislich des § 228 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die Schwerbehinderung voraus. In der Feststellung des GdB auf 50 liegt aber nicht zugleich die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 2 Abs. 2 SGB IX; denn diese ist wie gesehen an weitere Voraussetzungen geknüpft, nämlich, dass der behinderte Mensch seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einen Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs hat (BSG, a.a.O.). Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen in § 152 SGB IX bestätigen diese rechtsbegriffliche Trennung zwischen Behinderung und Schwerbehinderung. Denn während nach § 152 Abs. 1 SGB IX die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und einen GdB von wenigstens 20 feststellen, bestimmt § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX, dass die zuständigen Behörden auf entsprechenden Antrag des behinderten Menschen „auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale“ ausstellen (vgl. BSG, a.a.O.). Nachdem aber, wie dargelegt, die Klägerin die weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft neben dem GdB nicht erfüllt, kommt die Feststellung des Merkzeichens G von vornherein nicht in Betracht.
Diese Regelungen verstoßen auch nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Artikel 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union - AEUV) bzw. dessen entsprechende Anwendung nach den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.06.1999, ungeachtet der Frage, ob die Klägerin als deutsche Staatsbürgerin vorliegend überhaupt in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fällt. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellen sowohl die Förderung der Mobilität und der Integration von behinderten Menschen als auch der Wille, das Bestehen einer gewissen Verbindung zwischen der Gesellschaft des betroffenen Mitgliedstaats und dem Empfänger der entsprechenden Leistungen (hier nach dem SGB IX) sicherzustellen, objektive Erwägungen des Allgemeininteresses dar, die es rechtfertigen können, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger durch die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen berührt wird (EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-103/08 –, juris, auch zum Nachfolgenden). Dabei erscheinen in Bezug auf Maßnahmen, die behinderten Menschen regelmäßige Fahrten im Inland erleichtern sollen, um sie in die inländische Gesellschaft zu integrieren, der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt als geeignete Kriterien für den Nachweis, dass eine Verbindung dieser Personen mit der Gesellschaft des betroffenen Mitgliedstaats besteht, welche eine Differenzierung gegenüber anderen, nicht diese Verbindung aufweisende Unionsbürger rechtfertigen kann.
Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ist das LSG Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 08.06.2011 (L 10 SB 74/10, juris) zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass das Gemeinschaftsrecht es nicht gebietet, im Ausland lebenden behinderten Menschen einen Schwerbehindertenausweis zu erteilen und sie unentgeltlich oder vergünstigt im öffentlichen Personennahverkehr zu befördern, wenn sie keine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Inland haben und sich hier aus persönlichen Gründen auch nicht regelmäßig aufhalten. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung in vollem Umfang an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.06.2011 (a.a.O.).
Damit ist durch die dauerhafte Beendigung der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet zum 01.12.2016 eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten, weil damit die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, des GdB und die Inanspruchnahme des Merkzeichens G entfallen sind. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 SGB X liegen vor. Insbesondere ist die Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt. Denn die Klägerin hat den Beklagten erst im August 2018 über die Beendigung ihrer Erwerbstätigkeit unterrichtet, weshalb der nach am 04.09.2018 erfolgter Anhörung der Klägerin ergangene Bescheid vom 02.11.2018 die Jahresfrist seit Kenntnis der Tatsachen ohne weiteres wahrt.
Nachdem die Klägerin somit keinen Anspruch mehr auf fortdauernde Feststellung eines bestimmten GdB, der Schwerbehinderteneigenschaft oder des Vorliegens der Voraussetzungen eines Merkzeichens hat, bleibt auch die auf die Ausstellung eines Ausweises hierüber gerichtete Klage ohne Erfolg. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob dem Anspruch auf einen Ausweis mit dem Merkzeichen G bereits die Erteilung eines auf ein Jahr befristeten Ausweises für den Besuch des Bundesgebiets mit dem Merkzeichen G entgegensteht.
Die Berufung bleibt daher ohne Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.