L 3 U 169/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 255/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 169/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2021 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalls vom 25. November 2019 als Arbeitsunfall.

 

Die 1959 geborene Klägerin wohnte zum Unfallzeitpunkt in der Schstr. in B und arbeitete als Erzieherin in einer Kita in der FStr. in  B. Am 25. November 2019 begab sie sich in die Arztpraxis von Frau Dr. R in der KStr  in B. Nach dem Verlassen der Arztpraxis gegen 10.20 Uhr kollidierte die Fahrrad fahrende Klägerin auf Höhe der KStr.  mit der kurz zuvor geöffneten Tür eines dort parkenden Fahrzeuges und stürzte. Sie erlitt dabei eine Hüftpfannenfraktur links sowie multiple Prellungen und wurde zunächst drei Tage stationär behandelt. Hinsichtlich des weiteren medizinischen Verlaufs wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

 

Bei ihrer Erstvorstellung beim Durchgangsarzt Dr. A gab die Klägerin an, mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit gewesen zu sein, als sich der Unfall ereignete. Auch in der von der Arbeitgeberin erstellten Unfallanzeige war angegeben, dass sich die Klägerin auf dem Weg zur Arbeit befand. Im Rahmen der weiteren Befragung zur Ermittlung des Weges gab die Klägerin im Unfallfragebogen der Beklagten am 15./17. Dezember 2019 an, von der Arztpraxis von Frau Dr. R auf dem Weg zur Arbeit gewesen zu sein. Dieser Weg sei mit dem Fahrrad etwa zwei Minuten länger als der direkte Weg von der Wohnung. Zu der Frage, weshalb sie am Unfalltag einen vom gewöhnlichen Weg abweichenden Weg gewählt habe, gab sie Folgendes an (BI. 51 der Verwaltungsakte der Beklagten): „Ich hatte um 09.40 einen Arzttermin bei Fr. Dr. R wegen einer Frage zu Medikamenten/ Fußnagel." Sie gab weiter an, dass sie sich zwischen 09.40 Uhr und 10.20 Uhr in der Praxis aufgehalten habe und der Unfall zwischen 10.20 Uhr und 10.30 Uhr geschehen sei. Aus einem dem Unfallfragebogen beigefügten und von der Klägerin beschrifteten Kartenausdruck ergab sich, dass die Klägerin, um zur Arztpraxis zu gelangen, von ihrem üblichen Weg, der von der Bstraße über die straße führt, an der Kreuzung Bstraße/ KStrWstraße  in die KStr abgebogen war und sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Rückweg in der KStr befand, die Kreuzung Bstraße/ KStrWstraße und damit den üblichen Weg aber noch nicht wieder erreicht hatte.

 

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Februar 2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die Klägerin habe sich noch nicht wieder auf dem direkten unmittelbaren Weg zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte befunden. Dieser Weg wäre erst mit Erreichen der Kreuzung Bstraße/Wstraße erreicht worden. Sie habe den kürzesten bzw. verkehrsgünstigsten, unmittelbaren Weg zwischen ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle unterbrochen bzw. noch nicht wiederaufgenommen gehabt. Der Arztbesuch sei eine privatwirtschaftliche eigennützige Tätigkeit. Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch vom 16. März 2020 machte die Klägerin geltend, es komme darauf an, dass die Aufnahme des Weges von dem Willen bestimmt sei, den Arbeitsort zu erreichen, daher müsse nicht etwa die Wohnung der Ausgangspunkt sein. Der Arztbesuch habe zudem der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gedient, denn wegen der Entzündung des Nagelbettes sei eine ärztliche Behandlung erforderlich gewesen. Der Versicherungsschutz lebe jedenfalls dann wieder auf, wenn der Versicherte innerhalb von zwei Stunden den Weg zur Arbeit fortsetze. Dies sei hier der Fall gewesen, nach dem Unfallfragebogen sei der Termin um 09.40 Uhr gewesen, der Unfall habe sich um 10.20 Uhr ereignet.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2020 zurück. Die Klägerin habe sich auf einem unversicherten Abweg befunden. Sie habe auch nicht von einem dritten Ort den Weg zur Arbeit wieder aufgenommen, da sie sich dort weniger als zwei Stunden aufgehalten habe. Es handele sich vielmehr um einen Zwischenort. Versicherungsschutz beim Besuch der Arztpraxis aufgrund der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bestehe nur in sehr engen Grenzen und dabei insbesondere nur bei dem plötzlichen/unerwarteten Eintreten von gesundheitlichen Beschwerden auf dem Weg zur Arbeit.  Die Klägerin habe den Termin aber zur Klärung von Fragen zuvor vereinbart gehabt.

 

Die Klägerin hat am 14. Juli 2020 beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben und ihr Ziel der Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall weiterverfolgt. Sie hat gemeint, es liege ein Wegeunfall vor, denn sie habe sich nach Beendigung des Besuchs in der Arztpraxis um 10.20 Uhr auf dem kürzesten und schnellsten Weg zur Arbeit, die um 10.45 Uhr begonnen hätte, befunden. Ihr Arbeitsweg sei bei der Arztpraxis begonnen worden, zudem habe der Arztbesuch der Erhaltung bzw. Herstellung der Arbeitsfähigkeit gedient. Mit Schriftsatz vom 05. Oktober 2020 hat die Klägerin dann mitgeteilt, sie sei auf Grund einer Akutsituation und länger als zwei Stunden bei der Ärztin gewesen, sie habe sogar eine Überweisung zum Röntgen erhalten. Auf Nachfrage der Kammervorsitzenden, warum erst jetzt ein Aufenthalt von zwei Stunden berichtet werde, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 05. November 2020 mitgeteilt, dass es ihr nicht bewusst gewesen sei, dass es darauf ankomme. Die entsprechende Frage im Wegeunfallfragebogen habe sie nicht dahingehend verstanden, dass auch Wartezeiten anzugeben seien. Sie sei um 08.00 Uhr zur Anmeldung in die Arztpraxis gegangen, da sie noch vor ihrer Arbeit (Beginn: 10.45 Uhr) einen Termin bei der Ärztin habe bekommen wollen. Sie habe eine Krankschreibung wegen des Zehs vermeiden wollen. Man habe ihr dann mitgeteilt, dass erst um 09.40 Uhr ein Termin frei sei. Sie habe aber in der Praxis sitzen bleiben

dürfen, falls bereits vorher noch etwas frei werde. Als Erzieherin im Hort sei sie durch das viele Gehen und Stehen auf einen gesunden Fuß angewiesen.

 

Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2021 hat die Klägerin eine Erklärung ihres Ehemannes vom 22. Januar 2021 eingereicht. Danach habe sie ihm am Unfalltag um 07.29 Uhr telefonisch mitgeteilt, dass sie jetzt sofort mit dem Fahrrad zur Ärztin fahren werde. Sie habe den Arztbesuch unbedingt vor Beginn der Arbeit erledigen wollen, da sie einen entzündeten Zehnagel gehabt habe. Sie habe bei Frau Dr. R wegen des schlechten Heilungsverlaufs nach einer Operation und Behandlung beim Hautarzt eine zweite Meinung einholen wollen. Am 25. November 2019 hätte sie bis 18.00 Uhr Dienst gehabt, so dass nach der Arbeit ein Arztbesuch nicht mehr möglich gewesen wäre. Seine Frau habe die Angewohnheit, grundsätzlich alle ihre Uhren um ungefähr 10 Minuten vorzustellen. Ihr Handy zeige daher den von ihr ausgelösten Anruf um 07.38 Uhr und sein Handy um 07.29 Uhr an. Fotos der Anruflisten waren beigefügt.

 

Das SG hat Auskünfte der Frau Dr. R vom 11. Januar 2021, vom 28. April 2021 und vom 11. August 2021 zur Aufklärung der Aufenthaltsdauer der Klägerin eingeholt sowie die dort geführte Patientenakte beigezogen. Frau Dr. R hat bestätigt, dass die Klägerin um 9.40 Uhr einen Termin gehabt habe. Sie könne aber nicht sagen, wann die Klägerin die Praxis aufgesucht habe. Sie sei gegen 09.50 Uhr ins Sprechzimmer gekommen. Konkreter Anlass sei die Beratung zur Behandlung des Fußes, die bisher in einer anderen Praxis erfolgt sei und die nicht recht Heilung gezeigt habe, gewesen. Die beiden am 25. November 2019 in der Praxis tätigen Sprechstundenhilfen könnten sich ebenfalls nicht erinnern, wann die Klägerin die Praxis betreten habe. Am 25. November 2019 habe die Praxis ab 8.30 Uhr betreten werden können.

 

Zudem hat das SG im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. August 2021 die Klägerin zu dem zeitlichen Aufenthalt in der Praxis angehört und den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Die Klägerin hat dabei angegeben, dass entgegen der Auskunft der Ärztin die Praxis ab 08.00 Uhr habe betreten werden können. Dies habe sie am 25. November 2019 auch tatsächlich getan. Ihr sei schon am Samstag klar gewesen, dass sie dort um 08.00 Uhr sein müsse, damit sie pünktlich zu einem um 10.45 Uhr anstehenden Praktikantengespräch auf der Arbeit sein könne. Sie habe von der Ärztin wissen wollen, was sie jetzt wegen des Zehs machen solle. Die Klägerin hat zudem von einem Besuch der Praxis um 08.00 Uhr des Vortages zur Verhandlung berichtet, bei dem ihr die Auskunft gegeben worden sei, dass die Praxis erst um 8.30 Uhr aufmache. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

 

Die Beklagte hat die Anerkennung eines Arbeitsunfalls weiter abgelehnt und an ihrer Auffassung festgehalten, dass es sich um einen unversicherten Abweg gehandelt habe, da die Klägerin den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte aufgrund eines Arzttermins unterbrochen und zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht wieder aufgenommen hatte. Aufgrund des Aufenthalts von 9:40 bis 10:15 Uhr in der Arztpraxis handele es sich um einen sogenannten unversicherten Zwischenort. Der im Klageverfahren erfolgte neue Vortrag mit einem Aufenthalt von mehr als zwei Stunden in der Arztpraxis sei angesichts der eigenen Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren zum Aufenthalt in der Praxis verwunderlich.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17. August 2021 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Nachweis eines Arbeitsunfalls sei nicht gelungen. Arbeitsunfälle seien nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Unfälle infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall sei danach in der Regel unter anderem erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Ob ein derartiger Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit vorliege, sei anhand einer Gesamtabwägung und Bewertung zu beurteilen. Ausschlaggebend sei dabei, ob die jeweilige Verrichtung noch innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reiche. Übertrage man diesen Ansatz auf die durch die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls durchgeführte Tätigkeit gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und damit namentlich auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, bedeute dies, dass als Arbeitsunfall der Weg nur dann versichert sei, wenn er zu oder von dem Ort der Tätigkeit nach der Handlungstendenz des Betroffenen der Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder der Heimkehr von derselben diene und dies durch die objektiven Umstände bestätigt werde (Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 18. November 2008 - B 2 U 31/07 R -, zitiert nach juris). "Weg" meine eine Wegestrecke, auf der das örtliche Ziel erreicht werden soll. Das Aufsuchen der Arztpraxis selbst sei aber nach Überzeugung der Kammer nicht allein der versicherten Tätigkeit dienlich. Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit seien, wie zahlreiche andere sonstige vorbereitende Verrichtungen, wie z. B. die Beschaffung von Nahrungsmitteln, grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten und nicht seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Es handele sich in der Regel um Verrichtungen, die der Betriebsarbeit zu fern stehen, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre zuzuordnen wären. Zwar dienten sie zugleich auch der Erhaltung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers und entsprächen damit dem Interesse des Arbeitgebers. Das reiche jedoch nicht aus, um den inneren Zusammenhang zwischen der eigentlichen betrieblichen Tätigkeit und der Maßnahme zur Gesunderhaltung zu begründen. Im Vordergrund der versicherungsrechtlichen Zuordnung stehe vielmehr die Gesundheit des Versicherten, an deren Erhaltung oder Wiederherstellung er ein eigenwirtschaftliches dominierendes Interesse habe (so vgl. BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 16; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 43 m.w.N.). Es sei für die Kammer insbesondere nicht ersichtlich, dass es sich um einen unerwarteten und plötzlichen Arztbesuch gehandelt habe, durch den die Arbeitsfähigkeit an diesem Tag unmittelbar habe hergestellt werden sollen. Teilweise werde in der Rechtsprechung in dieser Konstellation davon ausgegangen, dass durch die während der betrieblichen Arbeitszeit unvorhergesehen erforderlich werdenden Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit ausnahmsweise das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Wiederherstellung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Versicherten zumindest gleichwertig neben dessen eigenwirtschaftliches Interesse an seiner Gesunderhaltung rücke. Dies könne die Kammer aber hier nicht erkennen. Der Nagel sei bereits zuvor entzündet gewesen, es habe sich um eine wiedergekehrte bekannte Problematik gehandelt. Ausweislich der Behandlungsakte sei am 25. November 2019 eine chronische Nagelbettentzündung festgestellt worden. Dabei werde der  nachvollziehbare und löbliche Umstand, dass die Klägerin wie von ihr angegeben eine Arbeitsunfähigkeit habe zwingend vermeiden wollen, nicht verkannt. Darauf komme es aber bei der Entscheidung, ob Versicherungsschutz angenommen werden könne, nicht an. Die Klägerin habe sich unmittelbar vor dem Unfall auch nicht auf einem versicherten Weg von der Arztpraxis zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Das BSG habe sich in seinem Urteil vom 05. Juli 2016 zum Aktenzeichen B 2 U 16/14 R mit einem vergleichbaren Sachverhalt auseinandergesetzt und Versicherungsschutz auf dem Weg von der Arztpraxis nach einer Blutentnahme sowohl unter Verneinung des dritten Ortes, einer kurzen Unterbrechung als auch der Annahme eines allgemeinen Zusammenhangs zur Arbeit ausdrücklich verneint. Eine kurze Unterbrechung komme hier nicht in Betracht. Letztlich negiere die Klägerin diese nunmehr selbst, nachdem jetzt von einem Aufenthalt von mehr als zwei Stunden ausgegangen werde. Versicherungsschutz könne sich nach alledem nur dann ergeben, wenn die Klägerin von der Arztpraxis als drittem Ort den Weg zur Arbeitsstätte aufgenommen hätte. Wege zu oder von einem anderen Ort, dem sogenannten dritten Ort, seien unter folgenden Voraussetzungen versichert: Der Betreffende müsse sich vor dem Weg zur versicherten Tätigkeit längere Zeit, mindestens zwei Stunden lang, an diesem dritten Ort aufgehalten oder zumindest beabsichtigt haben, sich dort mindestens zwei Stunden lang aufzuhalten. Zudem müsse der Weg vom dritten Ort in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg stehen, wobei neben der Länge des Wegs auch zu berücksichtigten sei, warum der dritte Ort aufgesucht wurde. Entscheidend sei somit, ob die Klägerin sich zwei Stunden in der Arztpraxis aufgehalten habe. Ein Verlassen der Praxis gegen 10.15 Uhr sei letztlich sowohl von der Klägerin als auch der Ärztin geschildert worden. Die Kammer habe sich nach Auswertung des Aktenmaterials sowie nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung nicht im erforderlichen Beweismaßstab des Vollbeweises von dem Verweilen von mindestens zwei Stunden in der Arztpraxis überzeugen können. Die Klägerin habe dies - soweit ihr dies noch erinnerlich war - zwar anschaulich geschildert. Sie habe aber keinen Zeugen angeben können. Trotz des Vertrauensverhältnisses über Jahrzehnte hätten sich auch die Arzthelferinnen nicht erinnern können, wann sie die Arztpraxis betreten habe. Der Ehemann habe ebenfalls glaubhaft angegeben, dass die Klägerin ihm gegen 07.30 Uhr gesagt habe, dass sie zum Arzt gehe. Aber auch er habe eine Ankunft vor 08.15 Uhr nicht bestätigen können. Hinzu komme die ausdrückliche Bestätigung der Ärztin, dass die Praxis am Unfalltag erst ab 08.30 Uhr habe betreten werden können. Insofern müsste es sich bei einem früheren Betreten um eine Ausnahmeregelung gehandelt haben. Diese Ausnahme sei aber nicht belegt. Allein die Möglichkeit reiche nicht aus.

 

Die Klägerin hat gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 18. August 2021 zugestellte Urteil am 16. September 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingelegt. Mit der Berufung macht die Klägerin weiter geltend, dass sie sich schon vor der Arbeit zur Praxis begeben habe, da sie aufgrund des stark entzündeten Zehnagels davon ausgegangen sei, dass sie ihren Arbeitstag, bei dem sie hätte sehr viel laufen müssen, sonst hätte nicht bewältigen können. Sie sei schon um 08.00 Uhr in der Praxis gewesen, um jedenfalls einen mit einer Praktikantin vereinbarten Termin um 10:45 Uhr wahrnehmen zu können. Ihre Handlungstendenz habe daher der versicherten Tätigkeit gedient. Es habe sich auch nicht um einen im Vorfeld geplanten Arzttermin gehandelt, sie sei extra zur Schmerzabhilfe um 08:00 Uhr in der Praxis erschienen. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass es sich um eine „Wochenendsituation“ gehandelt habe. Die Praxis habe am Wochenende nicht geöffnet, sodass selbstverständlich erst Montag früh die Ärztin habe aufgesucht werden können, um pünktlich arbeitsfähig zu sein. Dass sie - die Klägerin - in diesem Sinne geplant habe, die Ärztin vor Arbeitsbeginn aufzusuchen, stehe der Zielrichtung der „Herstellung bzw. Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit“ nicht entgegen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 17. August 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Vorfall vom 25. November 2019 als Wegeunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf das angegriffene Urteil. Es habe sich um keinen plötzlichen Arztbesuch gehandelt, da der Nagel bereits zuvor entzündet gewesen sei und es sich somit um eine chronische Problematik gehandelt habe. Weiterhin sei der Arzttermin im Vorfeld geplant gewesen.

 

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 04. Oktober 2022 (Klägerin) und vom 25. Oktober 2022 (Beklagte) mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 153 Abs.1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen habe vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

 

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG Berlin hat die Klage mit seinem Urteil vom 17. August 2021 zu Recht abgewiesen.

 

Dabei legt der Senat das vom Wortlaut des Klage- und Berufungsantrags auf die Feststellung eines Wegeunfalls gerichtete Begehren dahingehend aus, dass die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Unfalls vom 25. November 2019 als Arbeitsunfall beantragt.

 

Die so verstandene statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage hat aber keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass es sich bei dem Unfall vom 25. November 2019 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

 

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt mithin voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität) (st. Rspr. BSG, vgl. Urteile vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R – und vom 28. Juni 2022 – B 2 U 16/20 R –, juris jeweils m. w. N.). "Versicherte Tätigkeit", "Verrichtung" und Gesundheits(erst)schaden müssen im Vollbeweis - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, aber nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 06. Mai 2021 – B 2 U 15/19 R –, juris)

 

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerin hat am 25. November 2019 zwar einen Unfall im o. g. Sinne erlitten, als sie mit dem Fahrrad stürzte. Dieser führte auch zu Gesundheitserstschäden. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls aber nicht Versicherte, weil sie vor dem fraglichen Unfallereignis durch keine Verrichtung den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat. Es bestand zwar eine Versicherung in ihrer Tätigkeit als Kita-Erzieherin als Beschäftigte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Die Fahrradfahrt, bei der sich der Unfall ereignete, stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zu dieser versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt legte sie weder einen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Betriebsweg i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zurück (dazu 1.) noch befand sie sich auf einem durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geschützten Weg (dazu unter 2.).

 

1. Die Klägerin befand sich nicht auf einem Betriebsweg i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.

 

a. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen. Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt. Betriebswege werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen, sind aber nicht auf das Betriebsgelände beschränkt. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird(vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R –, juris).Die Klägerin legte den Weg von der Arztpraxis zu ihrer Arbeitsstelle aber nicht im unmittelbaren betrieblichen Zusammenhang, sondern in eigenwirtschaftlichem Interesse zurück.  Weder erfüllte sie damit eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Hauptpflicht noch eine arbeitsrechtliche Nebenpflicht, denn eine arbeitsrechtliche (Neben-)Pflicht, die eigene Arbeitsfähigkeit durch gesundheitsfördernde Maßnahmen aufrechtzuerhalten, besteht grundsätzlich nicht. Wie zahlreiche sonstige Verrichtungen des täglichen Lebens, die gleichzeitig sowohl den eigennützigen Interessen des Versicherten als auch den fremdnützigen Belangen des Unternehmers dienen, sind gesundheitsfördernde Maßnahmen grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich und nicht der versicherten Tätigkeit wertend zuzurechnen. Sie stehen daher nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, solange das Gesetz dies nicht ausnahmsweise aus Gründen des sozialen Schutzes ausdrücklich anordnet (BSG, Urteile vom 28. Juni 2022 – B 2 U 16/20 R –, Rn. 20, und vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R –, Rn. 14, juris).

 

b. Der Arztbesuch war schließlich auch nicht unerwartet notwendig geworden, um den schon begonnen Weg zur Arbeit oder die Arbeit fortzusetzen. Das BSG hat in seiner Rechtsprechung bei eigenwirtschaftlichen Verrichtungen ausnahmsweise einen Versicherungsschutz bejaht, wenn die Gesamtumstände dafür sprachen, das unfallbringende Verhalten dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen. Dabei handelte es sich um Sachverhalte, bei denen die betreffende Verrichtung während der Dienstzeit bzw. bei der Zurücklegung des Betriebsweges oder des Weges zum oder vom Ort der Tätigkeit unerwartet notwendig geworden war, um weiterhin betriebliche Arbeit verrichten bzw. den Weg zurücklegen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R –, Rn. 16, juris). Ein betrieblicher Zusammenhang wird aber auch in dieser Fallkonstellation von der ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich der hiesige Senat angeschlossen hat, nur dann bejaht, wenn eine grundsätzlich (auch) im Eigeninteresse vorgenommene Vorbereitungshandlung mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung so eng verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bilden. Hierfür ist neben einem besonders engen sachlichen auch ein besonders enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang erforderlich, der die Vorbereitungshandlung nach den Gesamtumständen selbst bereits als Bestandteil der versicherten Tätigkeit erscheinen lässt (BSG, Urteile vom 23. Januar 2018 – B 2 U 3/16 R –, vom 13. November 2012 – B 2 U 27/11 R -, vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R – und vom 28. April 2004 – B 2 U 26/03 R -, alle in juris). Dementsprechend handelte es sich um Sachverhalte, bei denen die betreffende Verrichtung während der Dienstzeit bzw. bei der Zurücklegung des Betriebsweges oder des Weges zum oder vom Ort der Tätigkeit unerwartet notwendig geworden war, um weiterhin die betriebliche Arbeit verrichten bzw. den Weg zurücklegen zu können (BSG, Urteile vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R -, vom 04. Juli 2013 – B 2 U 3/13 R -, vom 04. September 2007 – B 2 U 24/06 R -, jeweils in juris). So hat das BSG in seiner älteren Rechtsprechung etwa Unfallversicherungsschutz angenommen beim Beschaffen von Medikamenten, wenn dies dazu diente, trotz einer während der Dienstzeit oder auf einer Geschäftsreise plötzlich aufgetretenen Gesundheitsstörung die betriebliche Tätigkeit fortsetzen zu können bzw. bei unmittelbar vor Dienstantritt aufgetretenen Beschwerden diesen erst zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 26. Juni 1970 – 2 RU 113/68 –, juris). Die Annahme eines inneren Zusammenhangs bei einer weniger betrieblich bedingten Motivation als bei den genannten Entscheidungen wäre angesichts des Überwiegens des Eigeninteresses nicht mehr mit dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung zu vereinbaren (vgl. insgesamt LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Februar 2022 – L 3 U 148/20 –, juris). Ein solcher Fall enger betrieblicher Verknüpfung hat hier nicht vorgelegen. Aus der Patiententakte ergibt sich, dass die Klägerin unter einer chronischen Nagelbettentzündung, bei der sich nach Antibiotika-Behandlung eine Nagelmykose entwickelt hatte, litt und eine Röntgenuntersuchung angeordnet wurde. Von einem besonders akuten, gerade erst eingetretenen Zustand oder auch einer entsprechenden Behandlung wird nichts berichtet. Das stimmt auch mit der schriftlichen Einlassung der Ärztin überein, wonach die Klägerin sich nach nicht erfolgreicher Behandlung in einer anderen Praxis nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten erkundigt habe. Der Ehemann der Klägerin hat ausweislich seiner schriftlichen Erklärung vom 22. Januar 2021 ebenfalls angegeben, dass die Klägerin die Ärztin wegen des schlechten Heilungsverlaufs nach einer Operation und der Behandlung beim Hautarzt aufsuchen wollte. Er hat berichtet, dass ein Arztbesuch nach Dienstschluss der Klägerin um 18.00 Uhr nicht mehr möglich gewesen wäre und sie sich daher entschieden habe, vor der Arbeit die Hausärztin aufzusuchen. Ebenso ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, wonach sie sich schon am Samstag überlegt hatte, dass sie früh bei der Ärztin sein müsse, dass es sich nicht etwa um eine kurz vor Arbeitsbeginn oder auf dem Weg zur Arbeit eingetretene akute Verschlimmerung, sondern um einen geplanten Arztbesuch gehandelt hat. c. Daran ändert auch die „Wochenendsituation“ nichts. Wie bereits dargelegt, gibt es schon außer dem insoweit mehrfach vom Verwaltungsverfahren (Arzttermin wegen einer Frage zu Medikamenten/Fußnagel) bis zum Berufungsverfahren (stark entzündeter Zehnagel, sei davon ausgegangen, dass sie den Arbeitstag sonst nicht hätte bewältigen können) gesteigerten Vortrag der Klägerin keinen Anhaltspunkt für eine „Notsituation“ oder eine akute Schmerzbehandlung. Zudem fehlte selbst bei Annahme einer akuten Behandlungsbedürftigkeit und einem „Hinwegdenken“ des Wochenendes der enge zeitliche Zusammenhang. Auch wenn die Klägerin erst am Vorabend des Unfalltages (und nicht schon am Samstag) beschlossen hätte, die Ärztin aufzusuchen, fehlte es an der engen Verbundenheit des Arztbesuches mit der versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung (Zurücklegen des unmittelbaren Weges zur Arbeit). Wie bereits ausgeführt, ist ein so enger Zusammenhang zwischen der Vorbereitungshandlung mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit zu fordern, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bilden. Hierfür reicht bei der grundsätzlich als privatwirtschaftlich zu betrachtenden Verrichtung eines Arztbesuchs der Wille, (auch) seine Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen oder zu erhalten, allein nicht aus. Neben dem sachlichen ist auch ein besonders enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang erforderlich, der die Vorbereitungshandlung nach den Gesamtumständen selbst bereits als Bestandteil der versicherten Tätigkeit erscheinen lässt (BSG, Urteile vom 23. Januar 2018 – B 2 U 3/16 R –, vom 13. November 2012 – B 2 U 27/11 R -, vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R – und vom 28. April 2004 – B 2 U 26/03 R -, allesamt in juris).  Daran fehlt es aber auch dann, wenn am Abend zuvor schon festgestanden hätte, dass am nächsten Tag vor Arbeitsbeginn eine ärztliche Vorstellung erfolgen soll. Zum Zeitpunkt der Entscheidung, die Ärztin aufzusuchen, hatte auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin im Klageverfahren die versicherte Verrichtung oder Vorbereitungshandlung (hier der Arbeitsweg) weder begonnen gehabt noch standen sie unmittelbar bevor.

2. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfallereignisses auch nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versichert. Danach zählt zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Einen solchen Weg legte die Klägerin bei Eintritt des Unfallereignisses nicht zurück. Weder befand sie sich zum Unfallzeitpunkt auf dem unmittelbaren Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte noch legte sie einen versicherten Weg von einem sogenannten dritten Ort zur Arbeitsstätte zurück.

 

a. Die Klägerin hatte zwar zunächst die unmittelbare Wegstrecke von ihrer Wohnung zur Kita aufgenommen, diesen dann aber für den Arztbesuch an der Kreuzung Bstraße/ KStrWstraße unterbrochen, indem sie statt wie üblich geradeaus weiter die Wstraße zu nutzen in die KStraße zur Arztpraxis abbog Da sie sich bei Eintritt des Unfallereignisses noch auf der KStraße befand und die üblicherweise zurückgelegte unmittelbare Wegstrecke zur Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht hatte, befand sie sich zum Unfallzeitpunkt weiterhin auf einem nicht versicherten Abweg. Bei abgrenzbaren Unterbrechungen bedarf es als objektives Kriterium zur Wiederbegründung des Versicherungsschutzes einer das Ende der Unterbrechung nach natürlicher Betrachtungsweise markierenden Handlung. Denn die objektive Bewegung in die "richtige" Richtung und die damit einhergehende subjektive Handlungstendenz allein reichen zur Wiederbegründung des Versicherungsschutzes nicht aus, wenn sich der Versicherte auf einem Abweg befindet bzw. den Weg unterbrochen hat. Wird der Weg zu oder von der Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen, setzt der Versicherungsschutz mithin erst dann wieder ein, wenn die eigenwirtschaftliche Tätigkeit erkennbar beendet ist und der ursprüngliche Weg wieder aufgenommen wird (BSG, Urteil vom 07. Mai 2019 – B 2 U 31/17 R –, juris). Ein erneutes Zubewegen in Richtung auf die Arbeitsstätte begründet den Versicherungsschutz nicht neu, solange sich der Betroffene nicht wieder auf dem ursprünglichen, versicherten direkten Arbeitsweg befindet (BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 3/16 R –, juris). Das war hier noch nicht wieder der Fall.

 

 

b. Die Klägerin befand sich  auch nicht auf einem versicherten Weg von einem sogenannten dritten Ort zu ihrer Arbeitsstätte.

 

Grundsätzlich kann ein versicherter Weg zur Arbeitsstätte i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch von einem anderen Ort als der Wohnung angetreten werden, denn § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII legt  als End- oder Ausgangspunkt des Weges nur den Ort der versicherten Tätigkeit fest, lässt aber offen, wo der Weg nach dem Ort der Tätigkeit beginnt oder wo der Weg von dem Ort der Tätigkeit endet. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kann daher auch das Zurücklegen eines Weges zwischen einem anderen Ort als der Wohnung, dem sogenannten dritten Ort, und der Arbeitsstätte versichert sein (vgl. BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R –, juris m. w. N.). Zur Abgrenzung eines versicherten Weges mit einer unversicherten Unterbrechung an einem dritten Ort von einem erst an diesem Ort beginnenden versicherten Weg hat das BSG auf die Dauer des Aufenthalts an dem dritten Ort abgestellt und gefordert, dass der Aufenthalt an dem dritten Ort mindestens zwei Stunden dauert (vgl. BSG, Urteil vom 05. Mai 1998 - B 2 U 40/97 R - juris) und hieran mit seiner hier bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 05. Juli 2016 (B 2 U 16/14 R, juris) und in seinem Urteil vom 30. Januar 2020 (B 2 U 2/18 R, Rn. 24, juris) ausdrücklich festgehalten. Voraussetzung für den Versicherungsschutz auf einem Weg von einem sogenannten dritten Ort zur Arbeitsstätte sei es, dass die Dauer des dortigen Aufenthalts so erheblich ist, dass der vorangegangene Weg zu diesem Ort eine selbstständige Bedeutung erlange und deshalb nicht mehr in einem rechtlich erheblichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Arbeit an der Arbeitsstätte stehe. Mit dem Abstellen auf eine Aufenthaltsdauer von zwei Stunden sei ein einfach zu beurteilendes Kriterium entwickelt und der zeitliche Maßstab für Unterbrechungen sowie für Wege nach und von einem sogenannten dritten Ort vereinheitlicht worden. Dies sei weiterhin erforderlich, um die bestehende Rechtssicherheit bei der Beurteilung der Reichweite des Unfallversicherungsschutzes der Wegeunfallversicherung aufrechtzuerhalten. Die Dauer des Aufenthalts an dem dritten Ort sei ein geeignetes Kriterium für die Abgrenzung von versicherten zu unversicherten Wegen i. S.  des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bei nicht nur geringfügigen Unterbrechungen. Bei einer längeren Unterbrechung des Weges durch einen längeren Aufenthalt sei davon auszugehen, dass kein zusammenhängender einheitlicher Weg nach oder von der Arbeitsstätte zurückgelegt wird, sondern vielmehr zwei getrennte Wege vorliegen, von denen nur einer dem versicherten Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstätte diene. Dagegen könne bei einer Unterbrechung des Weges von kurzer Dauer davon ausgegangen werden, dass der Versicherte insgesamt einen, wenn auch unterbrochenen, versicherten Weg nach oder von seiner Arbeitsstätte zurücklegt. Zwar stünden aufgrund dieser starren Zeitgrenze Versicherte auf von der direkten Wegstrecke abweichenden Wegen von einem anderen Ort zu ihrer Arbeitsstätte bei einem Aufenthalt von weniger als zwei Stunden nicht unter Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Ein rechtfertigender Grund für die damit verursachte Ungleichbehandlung von Versicherten auf von der direkten Wegstrecke abweichenden Wegen von einem anderen Ort zu ihrer Arbeitsstätte bei einem Aufenthalt von weniger als zwei Stunden gegenüber Versicherten mit einem Aufenthalt an einem sogenannten dritten Ort von zwei Stunden und länger, sei jedoch gegeben. Es bestünden bei der Anwendung dieses Maßstabs hinreichende Unterschiede zwischen den genannten Versichertengruppen. Versicherte legten bei längeren Unterbrechungen einer Wegstrecke typischerweise zwei getrennte Wege zurück, während der Weg der Versicherten bei einer kürzeren Unterbrechung noch als "einheitlicher" Weg angesehen werden könne  (BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 – B 2 U 16/14 R –, Rn. 27, juris). Dem schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an.

 

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der Weg von der Arztpraxis zum Arbeitsort der Klägerin aber nicht versichert. Sie hat sich dort nicht mindestens zwei Stunden aufgehalten.

 

Die im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens mit Schriftsatz vom 05. Oktober 2020 erstmals behauptete Anwesenheit in der Arztpraxis ab ca.08.00 Uhr hat sich zur Überzeugung des Senats nicht beweisen lassen. Zunächst wirkt diese Aussage an sich nicht überzeugend, denn sie steht dem ausdrücklichen Vortrag der auch dort schon anwaltlich vertretenen Klägerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens entgegen, wonach der Weg zur Arbeit innerhalb von zwei Stunden fortgesetzt worden sei. Dieser Vortrag war mit der Rechtsauffassung verknüpft, der Versicherungsschutz lebe jedenfalls dann wieder auf, wenn der Versicherte innerhalb von zwei Stunden den Weg zur Arbeit fortsetze. Der Vortrag zum längeren Aufenthalt ist dagegen erst erfolgt, nachdem die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen hatte, dass es sich bei der Arztpraxis allenfalls um einen dritten Ort handeln könne, für den Versicherungsschutz dann aber ein Aufenthalt in der Praxis von mindestens zwei Stunden erforderlich gewesen wäre. Unter diesen Umständen kann aus Sicht des Senats nicht ausgeschlossen werden, dass der Vortrag nicht den tatsächlichen Geschehnissen entspricht, sondern den jeweils als maßgeblich angesehenen rechtlichen Voraussetzungen angepasst wurde.

 

Der Senat ist aber – unabhängig vom Vorstehenden – auch aus anderen Gründen nicht von einer Anwesenheit der Klägerin ab 8.00 Uhr, spätestens 8.15 Uhr in der Arztpraxis überzeugt. Ein entsprechender Geschehensablauf erscheint möglich, steht jedoch nicht zur vollen Überzeugung des Senats fest. Weder die Sprechstundenhilfen noch die Ärztin oder der Ehemann der Klägerin haben eine Ankunft der Klägerin vor dem eigentlichen Termin um 9.40 Uhr und damit auch nicht vor 8.15 Uhr (zwei Stunden vor Verlassen der Praxis) in der Arztpraxis bezeugt. Eine Anwesenheit ca. 1,5 Stunden vor dem eigentlichen Termin entspricht nicht den allgemeinen Gepflogenheiten, sie stellte sich vielmehr auch unter den konkret ermittelten Umständen als ungewöhnlich dar, so dass ein entsprechender Geschehensablauf nicht allein auf Grund der Bekundungen der Klägerin angenommen werden kann. Die Sprechzeit der Praxis begann am 25. November 2019 um 09.00 Uhr, mithin eine Stunde nach der von der Klägerin behaupteten Anwesenheit. Nach den schriftlichen Bekundungen der Frau Dr. R wurden Patienten dort erst ab 08.30 Uhr eingelassen. Dies ist der Klägerin nach ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auch bei einem entsprechenden Testbesuch in der Praxis am Tag vor der Verhandlung bestätigt worden. Dafür, dass dies am Tag des Unfalls anders gewesen sein und der Einlass sogar nicht etwa nur ein paar Minuten, sondern ca. eine halbe Stunde eher erfolgt ist, liegen dem Senat keine weiteren Anhaltspunkte vor. Neben den bereits vom Sozialgericht eingeholten Erkundigungen bei der Ärztin und der Praxis sowie der Vernehmung des Ehemanns der Klägerin als Zeugen sind Ansätze zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen auch nicht erkennbar. Die Nichterweislichkeit eines Aufenthaltes vor 08.15 Uhr fällt nach allgemeinen Grundsätzen der Klägerin zur Last.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

 

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG durch den Senat zuzulassen, bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
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