S 4 R 139/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 139/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 572/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 50/22 BH
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

 

I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

T a t b e s t a n d :

Der XXXX geborene Kläger, bei dem seitens des zuständigen Versorgungsamtes ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt wurde, beantragte bei der Beklagten formlos am 11.01.2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen und die Gewährung eines Vorschusses bzw. vorläufiger Leistungen.
Mit Schreiben vom 13.01.2021 und vom 21.01.2021 wurde der Kläger er gebeten, das Formblatt vollständig auszufüllen. Unter dem 10.02.2021 erklärte er, dass der Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen "erst ab dem Ende des Krankengeldbezugs wirksam" werde. Mit Schreiben vom 18.02.2021 wies die Beklagte den Kläger nochmals auf das Erfordernis ausreichender Mitwirkung hin. Insbesondere sei für die Festlegung, ob ein Anspruch besteht, zu prüfen, ob z.B. Hinzuverdienste erzielt oder andere Sozialleistungen bezogen werden.
Mit Faxnachricht vom 22.02.2021 reichte der Kläger den Vordruck bei der Beklagten nach. Den Verwaltungsakten ist nicht hinreichend zu entnehmen, ab wann die Rente gezahlt werden soll. Zudem wurde im Antrag erklärt, dass die Erklärung zu Beitragszeiten nachgereicht wird.
Am selben Tag hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zum Sozialgericht Nürnberg gestellt (Eingang bei Gericht), Az. S 4 R 133/21 ER. Gleichzeitig hat der Kläger Untätigkeitsklage in Verbindung mit einer Feststellungs-, Leistungs- und Verpflichtungsklage erhoben.

 Er beantragt,
a.) "die Beklagte zu verpflichten, unverzüglich die Begutachtung durchzuführen und einen Bescheid zu erlassen, der dem Meistbegünstigungsgrundsatz nach der Auffassung des Gerichts Rechnung trägt."
b.) "die Verletzungen der Amtspflichten nach §§ 13-15, 33-43 SGB I festzustellen" und dass "die Beklagte ihren Pflichten nach §§ 13-15 SGB I nicht nachgekommen ist" und den Kläger "nicht über die ihm zustehenden Rechte und Leistungsansprüche beraten, aufgeklärt hat"
c.) "das Entstehen der Ansprüche gegenüber der Beklagten nach § 40 SGB I festzustellen"
d.) "die Beklagte zur pflichtgemäßen, zeitnahen Zahlung der zustehenden Sozialleistungen zu verurteilen, nachdem das Ermessen durch Unterlassung gegen Null geht"
e.) "Die Beklagte zu verpflichten, den Antragsteller über weitere, ihm unbekannte Leistungen und Änderungen zu Gunsten des Antragstellers (Meistbegünstigungsgrundsatz) im Rahmen der Corona-Hilfen oder andere Sozialgesetzbücher zu beraten"
f.)  Die Beklagte, hilfsweise andere zur Leistung verpflichtete Leistungsträger zur "Beseitigung von materiellen, psychischen und physischen Schäden beim Antragsteller und seinen Familienmitgliedern zu verpflichten",
g.)  "die Ausübung des Ermessens aller eingebundener Sozialleistungsträger zu überprüfen"
h.) "Die Verletzung der Amtspflichten nach § 839 BGB aufzuzeigen und im Verfahrensprotokoll festzuhalten"

Zur Begründung trägt er vor, dass er Leistungen in Höhe von mindestens 1.480,50 € begehrt.
Die Beklagte beantragt,
        die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der Antragserwiderung vom 24.02.2021 darauf hingewiesen, dass erst am 22.02.2021 der vollständige Antrag dort eingegangen sei. Der Kläger möge noch mitteilen, ab wann er die Rente begehre. Mit Schreiben vom 08.03.2021 legte der Kläger den Rentenbeginn auf den 01.01.2021 fest. Die Beklagte hat unter dem 25.03.2021 die beantragte Altersrente fortlaufend gewährt und die Nachzahlung ab Januar 2021 veranlasst. Der Bescheid wurde nach dem Inhalt nicht angefochten. Gleiches gilt für den in der Folge erlassenen Änderungsbescheid vom 19.05.2021.
Das Gericht hat die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 20.08.2021 zu einer Entscheidung per Gerichtsbescheid angehört, § 105 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Es wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Der Kläger hat hierauf erwidernd Antrag auf Ablehnung der Vorsitzenden der. 4. Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 04.10.2021, Az. S 11 SF 220/21 AB, als unzulässig verworfen. Der geltende Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts Nürnberg wurde ihm seitens der Gerichtspräsidentin übermittelt
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungs- und die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren sowie im Verfahren S 4 R 133/21 ER verwiesen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die erhobenen Klagen sind bereits unzulässig. Sie wären im Übrigen bei unterstellter hypothetischer Zulässigkeit auch unbegründet.

I.)
Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur auf. Beide Beteiligte wurden zudem angehört.

1.)
Die mit den Anträgen Buchst. a) ("und einen Bescheid zu erlassen") erhobene Untätigkeits- und Leistungsklage (Buchst. d) ist unzulässig, da das Rechtsschutzbedürfnis von Anfang an nicht gegeben war. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt u.a. dann, wenn dem Kläger ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, sein Rechtsschutzziel ohne gerichtliche Hilfe zu erreichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die begründete Aussicht besteht, dass der Kläger die begehrten Leistungen durch zumutbare Mitwirkungshandlungen gegenüber der zuständigen Behörde erhalten kann, vgl. zum Beispiel, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.12.2013, Az. L 9 SO 485/13 B, L 9 SO 486/13 B. Diese Sachentscheidungsvoraussetzung folgt aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte und dem Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Prozessuale Rechte dürfen nicht zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats missbraucht werden (vgl. BSG, Urteil vom 12.07.2012, B 14 AS 35/12 R). Zu den zumutbaren Mitwirkungshandlungen gehört vorliegend die schlichte Einreichung der vollständig auszufüllenden Vordrucke. Dies ist laut Aktenlage nicht erfolgt.

So hat es der Kläger vor Einreichung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz und der hiesigen Klage bei Gericht unterlassen, gegenüber der Beklagten die begehrten Angaben zu machen, vgl. Schreiben der Beklagten vom 18.02.2021. Die Beklagte konnte daher auch keinen Vorschuss nach § 42 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gewähren. Danach kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Tatbestandsvoraussetzung dieser Norm ist das Bestehen eines Anspruches dem Grunde nach. Die Beklagte konnte dies jedoch erst mit Eingang des Vordruckes am 22.02.2021 prüfen. Auch war bis dato nicht klar, ab wann er die Leistung begehrt. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes stellt sich als evident rechtsmissbräuchlich in diesem Einzelfall dar, da der Kläger durch schlichte Mitwirkung gegenüber der Beklagten die beantragte Rente hätte erhalten können.
Sofern der Kläger zudem eine Rente in Höhe des ihm gezahlten Alg I begehrt, so ist darauf hinzuweisen, dass der zwischenzeitlich ergangene Bescheid vom 25.03.2021 in Bestandskraft erwachsen ist. Eine höhere Rente wäre durch Widerspruch und nach Erlass des Widerspruchsbescheides durch ein kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG geltend zu machen. Nachdem der Kläger jedenfalls den Bescheid nicht angefochten hat, steht einer gerichtlichen Entscheidung zudem die Bestandskraft des Bescheides vom 25.03.2021 entgegen.


2.)
Sofern der Kläger mit Antrag Buchst. c die Feststellung eines Anspruches auf die begehrte Rente dem Grunde nach begehrt, so ist auch insoweit durch den Bescheid vom 25.03.2021 Erledigung eingetreten. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht nicht. Gleiches gilt in Bezug auf den Antrag Buchst g. Durch den Erlass des Rentenbescheides hat sich dieses Begehren erledigt.

3.)
Gleiches gilt in Bezug auf die erhobenen Feststellungsklagen (Anträge Buchst. b und h). Er beantragt die Feststellung der Verletzungen nach den §§ 13-15, 33-43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und sinngemäß die Feststellung der Verletzungen von Amtspflichten durch die Beklagte.
Die gestellten Feststellungsanträge sind bereits unzulässig. Weder sind die Voraussetzungen einer allgemeinen Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfüllt, noch kommt mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 131 Abs. 1 S. 3 SGG in Betracht. Es fehlt es im Rahmen des § 55 SGG an dem erforderlichen Feststellungsinteresse des Klägers. Ein Feststellungsinteresse besteht nicht, wenn die Entscheidung die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern kann. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2020, SGG § 131 Rn. 10f.). Nachdem die Beklagte zunächst keinen vollständigen Antrag vorliegen hatte und auch den gewünschten Rentenbeginn nicht kannte, konnte sie über den Antrag zunächst nicht entscheiden. Eine Verletzung der Pflichten aus §§ 13 bis 17 SGB I ist offensichtlich nicht gegeben. Selbst bei unterstellter - hypothetischer- Zulässigkeit der Feststellungsklage, wäre der Kläger mit seinem Begehren jedoch nicht erfolgreich. Die Beklagte hat aus den o.a. Gründen nicht pflichtwidrig gehandelt. Hinzu kommt ferner, dass dem Einzelnen aus der allgemeinen Aufklärungspflicht der Sozialverwaltung nach § 13 SGB I kein im Klagewege verfolgbares subjektiv-öffentliches Recht auf Aufklärung erwächst, welches im Klageverfahren geltend gemacht werden könnte. Etwas anderes gilt zwar in Bezug auf die Beratung nach § 14 SGB I. Allerdings hat der Kläger weder konkrete Fragen gestellt noch einen Sachverhalt geschildert, der einen konkreten Beratungsbedarf hätte erkennen lassen. Nachdem keine Pflichtverletzungen der Beklagten erkennbar sind und auch der Kläger völlig unsubstantiiert die Verletzung von Pflichten nach den §§ 13 ff., 33 ff. SGB I geltend gemacht, ist die Feststellungsklage - deren hypothetische Zulässigkeit vorausgesetzt - auch unbegründet.


4.)
Sofern der Kläger mit dem unter Buchst. e gestellten Antrag begehrt, über weitere, ihm unbekannte Leistungen und Änderungen im Rahmen der Corona-Hilfen oder andere Sozialgesetzbücher beraten zu werden, so ist die Klage bereits unzulässig. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger mit diesem Begehren bereits an die Beklagte gewandt hat. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist nicht gegeben. Im Übrigen geht der Hinweis des Klägers auf § 15 SGB I bereits deshalb fehl, weil die Beklagte nicht zu dem darin genannten Kreis der Verpflichteten gehört (vgl. Sauer in Ehmann/Karmasnki/Kuhn-Zuber, 2. Auflage, 218, § 15 Rn. 5).
5.)
Der unter f. gestellte Antrag, die Beklagte, hilfsweise andere zur Leistung verpflichtete Leistungsträger zur "Beseitigung von materiellen, psychischen und physischen Schäden beim Antragsteller und seinen Familienmitgliedern zu verpflichten, ist offensichtlich unbegründet. Mangels nicht erkennbarer Pflichtverletzungen der Beklagten oder anderer Sozialleistungsträger besteht kein Anspruch. Überdies steht es dem Kläger frei, sein Begehren bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Rahmen der Amtshaftung geltend zu machen.
II.)
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
III.)
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen keine Aussicht auf Erfolg hat, § 73a SGG i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
 

 

Rechtskraft
Aus
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