L 19 R 320/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 842/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 320/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Feststellung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist es unerheblich, ob die berichteten Beschwerden und Gesundheitsstörungen durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder aufgrund der vom Kläger angenommenen Elektrosensibilität verursacht werden oder ob sie eine andere Ursache haben. Entscheidend hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens sind vielmehr die sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen und qualitativen und gegebenenfalls quantitativen Leistungseinschränkungen bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit.

 

I.      Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2020 wird zurückgewiesen.

II.     Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1962 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 14.05.2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger gab dabei an, vom 01.09.1977 bis 31.08.1980 den Beruf eines Bäckers erlernt zu haben; nach einer Tätigkeit als Zeitsoldat sei er anschließend als Schreiner versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, ehe er im Jahr 2007 eine Tätigkeit als Elektromotorenbauer aufgenommen habe, die er aktuell - d.h. zum Zeitpunkt der Antragstellung - noch ausübe. Er halte sich seit Juni 2016 für erwerbsgemindert und könne keine Tätigkeiten mehr verrichten. Arbeitsunfähig erkrankt sei er seit 10.06.2016.

Der Kläger bezog Krankengeld und danach Arbeitslosengeld bis 08.11.2019. Danach bezog der Kläger keine Sozialleistungen mehr; Arbeitslosmeldung ist bis Ende Dezember 2019 dokumentiert.

Beim Kläger war vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Unterfranken, Versorgungsamt im Jahr 2018 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt worden.

Am 22.05.2018 wurde der Kläger auf Veranlassung der Agentur für Arbeit Aschaffenburg durch P untersucht, jedoch ohne spezielle körperliche Untersuchung. An Diagnosen wurden aufgeführt:

1.     Depressive Störung als schwere Episode ohne psychotische Symptome.
2.     Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik.
3.     Paroxysmales Vorhofflimmern, Zustand nach zweimaliger Ablation wegen Reentry-Tachykardie.
4.     Maligne Hypertonie mit Entgleisungsneigung.
5.     Schilddrüsendysfunktion.
6.     Rezidivierendes Halswirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Brachialgien und Ischialgien.
7.     Metatarsalgie bei Senk-Spreizfuß beidseits.
8.     Großzehengrundgelenkarthrose links.
9.     Schwindel, rezidivierend - periphere vestibuläre Läsion links.
10.    Tinnitus, chronisch.

Aktuell könne dem Kläger kein wesentliches Leistungsvermögen für eine zustandsangepasste Erwerbsarbeit attestiert werden und es sei auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als gegeben anzusehen, dass durch medizinische Maßnahmen binnen sechs Monaten wieder ein relevantes einschlägiges Leistungsvermögen hergestellt werden könne. Die Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 145 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) solle angewandt werden.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 26.06.2018 durch den Psychiater M und am 23.07.2018 durch den Internisten S untersucht. Der Kläger berichtete dabei von Panikattacken; am meisten würden ihn Herzrhythmusstörungen und Herzrasen belasten. Außerdem habe er Hitzewallungen, Kopfschmerzen und bekomme schlecht Luft. Er reagiere seit ca. einem Jahr extrem auf Elektrizität, z. B. auf Handys, Strommasten, den Herd oder Stromleitungen und habe dann starke Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Pulsrasen und eine Rötung im Gesicht.
Zusammengefasst wurden von den Gutachtern folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1.     Angst und depressive Störung, gemischt.
2.     Panikstörung.
3.     Arterielle Hypertonie.
4.     Paroxysmale absolute Arrhythmie bei rezidivierendem Vorhofflimmern und Zustand nach AV-Knoten nach Reentry-Tachykardie mit zweimaliger Ablation 2000 und 2001.
5.     HWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall C 6/C 7.
6.     Kopfschmerzsymptomatik.
7.     Tinnitus beidseits.
8.     Rezidivierender Schwindel bei Hinweis auf vestibuläre Störung links, Schlafstörung.
9.     LWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall L 5/S 1.
10.   Gonalgien beidseits.
11.   Adipositas.

Daraus ergebe sich folgendes Gesamtleistungsbild: Leichte Tätigkeiten, sechs Stunden und mehr, überwiegend im Sitzen, ohne wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten, ohne häufiges Bücken, Klettern oder Steigen, ohne Heben und Tragen von Lasten über circa 7,5 kg, keine häufigen Überkopfarbeiten und überschaubarer Zeitdruck bzw. psychischer Druck, keine Nachtschicht. Der Kläger könne damit auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit mehr als sechs Stunden täglich ausüben, da Einschränkungen in der Aufmerksamkeit bzw. konzentrative Belastungen nicht festgestellt worden seien.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 27.07.2018 ab. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung seien beim Kläger nicht erfüllt. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 01.08.2018 am 03.08.2018 Widerspruch ein. Zur Begründung brachte er vor, dass seine Gesundheitsstörungen nicht vollumfänglich erfasst seien. So liege etwa zusätzlich Schwindel und Taumel vor. Zur Begründung sei auch auf einen völlig neuen Befund des C vom 09.08.2018 zu verweisen. Danach sei der Kläger chronifiziert und schwer psychisch, psychosomatisch und somatopsychisch krank, therapeutisch völlig ausgereizt und therapieresistent und es sei ihm dauerhaft und auf absehbare Zeit nicht möglich, irgendwelche Arbeit von wirtschaftlichem Wert auszuführen; es bestehe volle Erwerbsminderung. Der Kläger sei dauerhaft nicht einmal in der Lage, auf einfachstem Niveau sein privates Leben zu führen und könne weder das Haus verlassen, noch im Haushalt die einfachsten Tätigkeiten ausführen, noch spazieren gehen, noch mit irgendeinem Menschen kommunizieren, noch Abstand zu seinen starken Beschwerden bekommen, noch sich konzentrieren, Kraft oder Ausdauer aufbringen. Die Symptome würden heftig und völlig unberechenbar auftreten und der Kläger verbringe die meiste Zeit unter unerträglichen Qualen und seinen Beschwerden erlegen völlig handlungsunfähig in liegender Position.

Die behandelnde Nervenärztin K kam in einem Attest vom 11.09.2017 zum Ergebnis, dass beim Kläger wegen Anpassungsstörung und schwerer depressiver Episode ohne psychotische Symptome eine Behandlung in einer Spezialklinik, etwa der S1 Klinik B, angezeigt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2018 zurück. Nach ärztlicher Stellungnahme - erstellt von der Prüfärztin B1 am 05.09.2018 - habe die sozialmedizinische Beurteilung des Leistungsvermögens aus den vorhandenen Befundunterlagen und den Gutachten des M und S Fortbestand.

Hiergegen hat der Kläger am 30.10.2018 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Sein Schreiben vom 08.10.2018 sei im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nicht mehr berücksichtigt worden. Es sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Bundesagentur für Arbeit schon unter dem 22.05.2018 festgestellt habe, dass der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten könne.
Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten, dem Facharzt für Allgemeinmedizin K1 am 26.11.2018, der Allgemeinmedizinerin W am 26.11.2018, dem Psychotherapeuten C am 08.12.2018 und der Neurologin und Psychiaterin K am 12.12.2018 eingeholt. Der Kläger hat zusätzlich einen Bericht über einen bioenergetischen Zahnstreuherd nach Messung durch T vorgelegt.

Das SG hat ein Gutachten durch die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie W1 erstellen lassen, die den Kläger am 30.01.2019 untersucht hat. In ihrem Gutachten vom 14.02.2019 hat sie beschrieben, dass sich in der Untersuchungssituation keine Konzentrationsstörungen beim Kläger hätten nachweisen lassen. Der Kläger habe sich allerdings ängstlich und affektiv gedrückt gezeigt. Die apparativen Untersuchungen hätten keine Auffälligkeiten erbracht.

An Diagnosen seien aufzuführen:
1.     Angst und Depression, gemischt.
2.     Spezifische Phobie.
3.     Chronisches LWS- und HWS-Syndrom, aktuell ohne radikuläre Symptomatik, ohne motorische Ausfälle.
4.     Tinnitus beidseits.

Beim Kläger bestehe eine Angst, die bei ihm vorliegende Herzerkrankung könne schwerer Natur sein, und es habe sich eine phobische Störung mit überwertiger Sorge entwickelt, seine Herzrhythmusstörung und die übrigen Beschwerden könnten durch elektrische Ströme hervorgerufen sein. Der Kläger führe seine zunächst im Berufsleben aufgetretenen Beschwerden, die auch bei einem gescheiterten beruflichen Wiedereingliederungsversuch Ende 2017 / Anfang 2018 sich wieder verstärkt hätten, auf die bei ihm vorliegende "Elektrohypersensibilität" zurück. Es sei darauf hinzuweisen, dass seit fast einem Jahr keine fachärztliche Betreuung auf nervenärztlichem Gebiet mehr erfolgt sei und somit keine leitliniengerechte Behandlung durchgeführt werde.
Unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine mindestens 6-stündige Tätigkeit ausüben. Es müsse sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten handeln. Vermieden werden sollten Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken oder Überkopfarbeiten, Arbeiten in Zwangshaltungen oder häufiges Steigen. Außerdem seien zu vermeiden besondere nervliche Belastungen, wie Akkord-, Fließbandarbeit, Wechsel-, Nachtschicht, Arbeiten an laufenden Maschinen und Lärm. Im Rahmen der genannten Intensivierung der Therapiemaßnahmen sei der Kläger in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Meter mit zumutbaren Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit zu benutzen. Die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung der Beschwerden seien nicht ausgeschöpft.

Die Klägerseite hat eingewandt, dass der Kläger auf das Krankheitsbild der Elektrohypersensibilität durch den Hinweis eines Umweltmediziners gekommen sei und es nicht zutreffe, dass es sich hierbei um eine wissenschaftlich nicht akzeptierte Diagnose handele. Der Kläger hat weiter vorgebracht, dass er auch nach April 2018 in nervenärztlicher Behandlung gewesen sei, so am 12.12.2018 und am 19.03.2019; ein weiterer Termin sei für den Juli 2019 vereinbart. Der Kläger hat außerdem eine ärztliche Bescheinigung der K vom 09.04.2019 vorgelegt, wonach der Kläger wegen Unverträglichkeit auf äußere Einflüsse und viele Medikamente nur eine niedrige Dosis einnehmen könne. Die depressive Episode sowie die Angst- und Panikattacken hätten sich verschlechtert. Der Kläger könne nur 200 Meter laufen.

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme bei W1 eingeholt. In ihrer Stellungnahme vom 04.04.2019 hat diese noch einmal ausgeführt, wie sie im Rahmen ihrer Untersuchung den Schweregrad der vorliegenden Depression des Klägers ermittelt gehabt habe. Weiter hat sie dargelegt, dass die Feststellungen allenfalls für eine mittelgradige depressive Episode sprächen; bei einer schweren depressiven Episode wären weitere Diagnosekriterien erforderlich, die allesamt nicht zu beobachten gewesen seien. Hinsichtlich der sozialmedizinischen Leistungsfähigkeit des Klägers sei an ihren Ausführungen festzuhalten und dies gelte auch bereits vor Nutzung der dargelegten weiteren therapeutischen Möglichkeiten. In einem Nachtrag gleichen Datums hat W1 dies auch unter Berücksichtigung von nachgereichten Unterlagen weiterhin so bestätigt.

Der Kläger hat im Weiteren ein Kurzattest seines Hausarztes K1 vom 14.05.2019 vorgelegt, in dem ein Verdacht auf Vorliegen eines Fibromyalgie-Syndroms geäußert worden ist und weitere Untersuchungen angekündigt worden sind.

Im Erörterungstermin vom 18.06.2019 hat der Kläger zu seinen Behandlungen angegeben, dass er kardiologisch zuletzt im September 2017 behandelt worden sei und seine Blutdruckschwankungen durch den Hausarzt behandelt würden. In ambulanter psychotherapeutischer Behandlung sei er jedenfalls einmal pro Monat gegebenenfalls auch zweimal. In ambulanter nervenärztlicher Behandlung sei er grundsätzlich alle drei Monate, allerdings sei dies im Jahr 2018 wegen Erkrankung der Ärztin nur zweimal der Fall gewesen. Eine Medikamentenumstellung, wie empfohlen, sei bisher nicht erfolgt, weil er Bedenken habe wegen bestehender Unverträglichkeiten.

Der Kläger hat im Termin einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt und hierzu im Anschluss den Psychiater R als Sachverständigen benannt. Dieser ist mit Beweisanordnung vom 24.07.2019 zum Sachverständigen ernannt worden. R hat am 08.08.2019 den Gutachtensauftrag zurückgegeben, weil der Kläger durch seine Ehefrau den anberaumten Termin abgesagt habe und darum gebeten habe, die Unterlagen zurückzusenden.

Die Klägerseite hat eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers geltend gemacht. In einem Attest des K1 vom 05.09.2019 wird ausgeführt, dass der Kläger über eine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinbefindens klage und es ihm derzeit nicht möglich sei, Arzttermine beim Rheumatologen und Psychiater wahrzunehmen. Von einer kurzfristigen Besserung sei nicht auszugehen.

H von der Sozialmedizinischen Begutachtungsstelle Nürnberg der Beklagten hat am 08.10.2019 darauf hingewiesen, dass das vorliegende Attest medizinisch nicht aussagekräftig sei und keine entsprechenden Befunde dort mitgeteilt worden seien. Die Beklagte hat dem von Klägerseite beantragten Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt.

Nach einem weiteren Erörterungstermin am 26.11.2019 hat der Kläger mitgeteilt, dass er nun eine Untersuchung durch R wahrnehmen werde. Am 27.01.2020 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten dann aber mitgeteilt, dass er wegen Problemen bei Absprachen zum Untersuchungssetting am vorgeschlagenen Gutachter nicht festhalte. Er hat ergänzend ein weiteres Attest des K1 vom 27.01.2020 vorgelegt, wonach sich der Kläger aufgrund multipler Beschwerden nicht in der Lage sehe, einen Gutachtenstermin wahrzunehmen.

Am 06.02.2020 hat der Kläger als Sachverständigen M1, Sachverständiger für Umweltrisiken, benannt. Das SG hat darauf hingewiesen, dass nach § 109 SGG nur Ärzte als Sachverständige in Betracht kommen würden und der benannte Gutachter kein Arzt sei. Das SG hat der Klägerseite eine Frist gesetzt, innerhalb derer ein Arzt als Sachverständiger zu benennen sei, der zur Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG bereit sei, wenn an diesem Antrag festgehalten werden solle.

Am 28.02.2020 hat die Klägerseite E aus N als Gutachter benannt und dieser hat dem SG am 02.03.2020 bei einer telefonischen Nachfrage mitgeteilt, dass er sich aus terminlichen Gründen nicht in der Lage sehe, ein derartiges Gutachten zu erstellen. Er hat dies auch schriftlich bestätigt.

Daraufhin hat der Kläger vor Fristablauf am 13.03.2020 einen B2 als möglichen Sachverständigen benannt. Dieser hat am 06.04.2020 mitgeteilt, dass er nicht bereit sei, im Fall des Klägers ein Gutachten nach § 109 SGG zu erstellen.

Das SG hat die Beteiligten am 08.04.2020 dazu angehört, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG zu entscheiden.

Daraufhin hat der Kläger am 23.04.2020 K2 aus A1 als Gutachterin benannt.

Am 11.05.2020 hat das SG durch Gerichtsbescheid entschieden und die Klage abgewiesen. Das Antragsrecht des Klägers nach § 109 SGG sei durch die vorherigen Benennungen von R, M1, E und B2 verbraucht gewesen. Nachdem die Benennung nach zweimaliger erfolgloser Vereinbarung eines Untersuchungstermins vom Kläger nicht mehr aufrechterhalten worden sei, habe er im Folgenden einen Nicht-Arzt als Sachverständigen benannt, der als Gutachter nach § 109 SGG ausscheide, und zwei nicht zur Begutachtung bereite Ärzte. Der Antrag würde im jetzigen Stadium zur Verzögerung des Rechtsstreits beitragen; er sei verspätet: Die Benennungsfrist sei zuletzt bis zum 13.03.2020 verlängert gewesen. In der Sache sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht belegt. Die gegenläufige sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme des P sei nicht überzeugend, zudem werde dort zum Ausdruck gebracht, dass die therapeutischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Auch sei nicht aus anderen Gründen ein Rentenanspruch des Klägers gegeben.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.06.2020 per Telefax Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat ausgeführt, die Einholung des Gutachtens nach § 109 SGG sei zu Unrecht abgelehnt worden; beim Kläger bestünden besondere Probleme hinsichtlich der Durchführung derartiger Gutachten. Es sei bei der Begutachtung durch K2 auch nicht möglich, dass der Kläger nach A1 fahren werde und die Untersuchungen sollten nach Anweisungen der Ärztin durch Dritte vorgenommen werden.

Der Senat hat einen Versicherungsverlauf vom 25.01.2021 beigezogen. Weiter hat der Senat einen Befundbericht bei W eingeholt, bei der der Kläger allerdings zuletzt am 12.12.2018 behandelt worden war. Der Hausarzt und Allgemeinmediziner K1 hat am 26.01.2021 mitgeteilt, dass der Kläger sich bei ihm zuletzt am 27.01.2020 in Behandlung befunden habe und danach nur noch kurze Kontakte bei Abholung von Rezepten in der Praxis gewesen seien. Inhaltlich hat der Arzt hat ausgeführt, dass der Kläger glaube, an einer Elektrohypersensibilität erkrankt zu sein, und angebe, sich ständig schlapp und antriebsarm zu fühlen. Der Beschwerdekomplex bestehe unverändert, teilweise komme es zu Angststörungen und Panikattacken und immer wieder würden Schwindelerscheinungen angegeben. Es bestehe auch ein depressives Stimmungsbild mit Todesängsten, Angst vor Herzstillstand, zusätzlich Wirbelsäulenbeschwerden und Schmerzen in den Kniegelenken. Erhöhte Blutdruckwerte würden medikamentös therapiert. Der Kläger befinde sich kontinuierlich in psychotherapeutischer Behandlung bei C. Im abgefragten Zeitraum ab November 2018 sei es einmal zu einer ambulanten Behandlung im Klinikum A2 wegen einer Panikattacke am 20.06.2019 gekommen.

Zu den ärztlichen Unterlagen hat am 17.02.2021 M Stellung genommen und ausgeführt, dass bei der bisherigen sozialmedizinischen Beurteilung verblieben werden solle.

Der Kläger hat eine ärztliche Bescheinigung der Allgemeinmedizinerin D vom 08.12.2020 vorgelegt, wonach sich der Kläger seit August 2020 dort in umweltmedizinischer Behandlung befinde: Die neuartige Umwelterkrankung Elektrohypersensibilität breite sich immer mehr aus und der Kläger reagiere auf elektromagnetische Felder und zwar sowohl extrem auf Niederfrequenz als auch auf hochfrequente Felder. Die Beschwerden seien therapieresistent. Aufgrund dieser chronischen Multisystem-Erkrankung ohne derzeitige Therapieoption sei der Kläger dauerhaft erwerbsunfähig und ihm sei auch eine Teilhabe am sozialen Leben nicht mehr möglich.

Auch durch diese weiteren ärztlichen Unterlagen hat M keine neue sozialmedizinische Lage als gegeben angesehen; er hat darauf hingewiesen, dass die geltend gemachten Beschwerden und vorgelegten ärztlichen Unterlagen weitgehend einen Zeitraum vor dem vom SG eingeholten Gutachten betreffen würden.

Der Senat hat die Ärztin für Öffentliches Gesundheitswesen und Umweltmedizinerin T1 mit der Erstellung eines Gutachtens nach Hausbesuch beauftragt. Der Kläger hat im Rahmen des Hausbesuches am 06.07.2021 die familiäre Situation und die Belastungssituation ausführlich dargestellt. Der Kläger hat eine regelmäßige Ausstellung von Rezepten durch den Hausarzt angegeben. Bei C, M2, K, S2, L und dem Zahnarzt B3 sei er über 1,5 Jahre schon nicht mehr in Behandlung gewesen. Er habe verschiedene Medikamente für Bedarfsmedikation und nehme drei Medikamente gegen Bluthochdruck. Psychopharmaka nehme er schon lange nicht mehr. Er vertrage Medikamente grundsätzlich nicht.
Bei der Schilderung des Tagesablaufs hat der Kläger u.a. angegeben, dass seine Frau das Essen zubereite; er übernehme es die Küche zu reinigen und aufzuräumen, denn es müsse immer alles blitzblank sein.

T1 hat in ihrem Gutachten vom 13.07.2021 folgende Diagnosen gestellt:
1.     Hypochondrische Störung im Rahmen einer Neurasthenie.
2.     Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Fehlhaltung und Zervikobrachialsyndrom bei Bandscheibenprotrusionen C 3/C 4, C 5/C 6 und C 6/C 7 sowie LWS-Syndrom nach Bandscheibenvorfall L 5/S 1.
3.     Arterielle Hypertonie.
4.     Zustand nach paroxysmalem Vorhofflimmern 2017 und Zustand nach zweimaliger Ablation wegen AV-Knoten-Reentry-Tachykardie 2000 und 2001.
5.     Minderbelastbarkeit des rechten Armes bei Bizepssehnenteilruptur.

Beim Kläger erfolge derzeit keine leitliniengerechte Behandlung. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten über sechs Stunden ausüben. Vermieden werden müssten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems sowie unter ungünstigen äußeren Bedingungen. Die Wegefähigkeit zu Fuß sowie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und die Nutzung eines privaten PKW seien möglich. Eine wesentliche Einschränkung der Entfernung liege nicht vor. Es seien beispielsweise auch längere Fahren unternommen worden, die nur deshalb abgebrochen worden seien, weil am Zielort nach Feststellung des Klägers erhebliche Strahlenbelastung vorgelegen habe.

Die Klägerseite hat dazu Stellung genommen, dass die Gutachterin aufgrund ihrer Qualifikationen nicht in der Lage sei, das Vorliegen von Depressionen einzuschätzen. Auch stelle es sich bei Durchsicht ihres Gutachtens als willkürlich dar, welchem Vorbringen des Klägers sie Glauben schenke und welchem nicht. Der Kläger hat ergänzend ein baubiologisches Gutachten des S3 vom August 2020 vorgelegt.

Auf Antrag des Klägers ist mit Beweisanordnung vom 17.09.2021 die Allgemeinmedizinerin K2 mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt worden. Am 10.12.2021 hat die Sachverständige zusätzliche Blutuntersuchungen und Untersuchungen zur Herzratenvariabilität für erforderlich angesehen, woraufhin die Klägerseite die Durchführung der Zusatzuntersuchungen und das voraussichtliche höhere Kostenvolumen genehmigt hat.

Am 08.07.2022 hat K2 ein ärztliches und elektrobiologisches Gutachten vorgelegt, das auf die ausführliche Exploration und Untersuchung des Klägers vom 24.05.2022 und 15.06.2022 sowie das Aktenstudium gestützt sei. Am 26.05.2022 sei die erste messtechnische Untersuchung in den Räumlichkeiten des Klägers durchgeführt worden. Beim Kläger bestehe ein multifaktorielles Geschehen, welches auf verschiedensten im Einzelnen beschriebenen Pathomechanismen beruhe. Ein Kausalitätszusammenhang zwischen den bisherigen Diagnosen bzw. Beschwerden des Klägers und "Esmog" [E-Smog] liege vor.

An Diagnosen seien zu nennen:
Elektrohypersensitivität und dadurch bedingt Krämpfe und Spasmen der Muskulatur, chronisches LWS-Syndrom, Schulter-Arm-Syndrom, Zervikobrachialsyndrom, Occipitalisneuralgie, Neuralgie der beiden unteren Extremitäten, Vorhofflimmern paroxysmal, hypertone Krise, unerwünschte Nebenwirkung von Arzneimitteln, schwere depressive Episode, Angst- und Panikstörung, Schwindel und Taumel, Insomnie, Tinnitus und Hörsturz, Hautbrennen, schwere Kopfschmerzen.
Unabhängig von der Elektrosensitivität würden eine Anpassungsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung, Prostatahyperplasie, Senk-Spreizfuß und Gonalgien vorliegen.
Aufgrund der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen kämen nur noch leichte Tätigkeiten in Betracht. Aufgrund der hohen Herzfrequenz sei von mittelschwerer Tätigkeit abzuraten. Alle abgefragten Arbeitsbedingungen müssten gemieden werden, da es weder in geschlossenen Räumen, noch im Freien geeignete Arbeitsbedingungen für den Kläger gebe. Öffentliche Verkehrsmittel seien für Elektrosensible nicht zu benutzen, Straßen seien meist aufgrund der anliegenden Häuser Wlan-belastet. Im "Esmog-freien Raum" seien Betroffene gesund und voll belastbar. Durch den Netzausbau sei das Haus des Klägers jedoch nicht mehr komplett abzuschirmen. Die neuen Befunde würden eindeutig beweisen, dass der Kläger erwerbsunfähig sei; es liege definitiv nicht nur eine Erwerbsminderung, sondern eine Erwerbsunfähigkeit vor. Diese sei am 15.06.2022 monokausal und damit eindeutig nachgewiesen.
Die therapeutischen Möglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Dem Kläger werde geraten in funkarmen Waldgebieten spazieren zu gehen und dort die gezeigten krankengymnastischen Übungen durchzuführen. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und ebenso die weitere Einnahme eines Blutdruckmedikaments werde empfohlen. Elektrohypersensibilität sei als solche aber nicht behandelbar.

Die Klägerseite führt aus, dass das Gutachten die Erwerbsminderung des Klägers bestätige und wissenschaftlich Stellung zu den Untersuchungsergebnissen nehme; es stelle fest, dass Elektrohypersensibilität nicht behandelbar sei.

Die Beklagte ist dagegen weiter der Ansicht, dass der Kläger mindestens sechs Stunden täglich einsatzfähig sei. Sie beruft sich auf eine Stellungnahme des M, wonach dem Gutachten der K2 nicht gefolgt werden könne. Eine körperliche oder psychische Untersuchung, wie sie für das Gutachten nach den Leitlinien vorgesehen sei, habe K2 nicht durchgeführt. Elektrohypersensibilität aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen sei nicht als Krankheit oder Behinderung anerkannt.

Die Klägerseite hat am 23.08.2022 eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme zur Stellungnahme des M beantragt. Am 26.09.2022 hat sie ein Attest - überschrieben als nervenärztlicher Befundbericht zur aktuellen Situation - des Arztes für Neurologie und Psychiatrie B4 vom 23.09.2022 vorgelegt, wonach der Kläger kurzfristig einbestellt werden müsse, um einen Kurzschluss zu vermeiden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2020 und den Bescheid der Beklagten vom 27.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 14.05.2018 hin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise - wie im Antrag vom 23.08.2022 - die Sachverständige K2 nach § 109 SGG ergänzend zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2020 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.    voll erwerbsgemindert sind,
2.    in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und    
3.    vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Mai 2018 unproblematisch erfüllt gehabt. Sie sind nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf jedoch letztmals im Januar 2022 erfüllt gewesen, nachdem der Kläger seit Dezember 2019 keine Beitragszeiten mehr hatte und seit Januar 2020 auch nicht mehr arbeitslos gemeldet war.

Auch aus der Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI ergibt sich nichts anderes: Zwar hatte der Kläger bereits vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt gehabt (§ 50 Abs. 1 Satz 1 iVm § 51 Abs. 1 SGB VI). Er hatte jedoch nicht seitdem bis zur Rentenantragstellung lückenlos Anwartschaftserhaltungszeiten (§ 241 Abs. 2 SGB VI) gehabt, was dazu geführt hätte, dass die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen entbehrlich wäre; vielmehr liegen in den Jahren 2006 und 2007 Lücken vor, weil der Kläger eine geringfügige Beschäftigung nicht versicherungspflichtig ausgeübt hat.

Der gelten gemachte Rentenanspruch scheitert zur Überzeugung des Senats am fehlenden Nachweis der erforderlichen medizinischen Voraussetzungen beim Kläger.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Eine volle Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist beim Kläger zur Überzeugung des Senates nicht gegeben. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers wird in den Gutachten des S, des M, der W1 und der T1 nicht als gegeben angesehen. Diese Gutachten decken sowohl den in Frage kommenden Zeitraum als auch die Breite der Fachgebiete ab. Dabei ist zu beachten, dass - abgesehen von einer Bizepssehnenteilruptur - gesundheitliche Verschlechterungen beim Kläger zwar behauptet werden, sich anhand ärztlicher Unterlagen jedoch in keiner Weise nachvollziehen lassen. Hierzu mag zwar auch beitragen, dass der Kläger ärztliche Behandlungen in den vergangenen zwei Jahren praktisch nicht mehr aufgesucht hatte und erst kurz vor der mündlichen Verhandlung ein neuer Kontakt zu einem Nervenarzt gesucht wurde.

Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass aus somatischer und psychischer Sicht ein Unterschreiten des folgenden sozialmedizinischen Leistungsbildes nachgewiesen wäre: Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt können im Umfang von täglich mindestens 6 Stunden ausgeübt werden. Vermieden werden sollen dabei Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken oder Überkopfarbeiten, Arbeiten in Zwangshaltungen oder häufiges Steigen. Außerdem sind zu vermeiden besondere nervliche Belastungen, wie Akkord-, Fließbandarbeit, Wechsel-, Nachtschicht, Arbeiten an laufenden Maschinen und Lärm.

Die vom Kläger geltend gemachte Einschränkung auf täglich weniger als 3 Stunden sieht der Senat auch nicht durch die Gutachten der K2 und des P und ebenso nicht durch das Attest des C als belegt an.

Zur Feststellung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist es nämlich unerheblich, ob die berichteten Beschwerden und Gesundheitsstörungen durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder aufgrund der vom Kläger angenommenen Elektrosensibilität verursacht werden oder ob sie eine andere Ursache haben. Entscheidend hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens sind vielmehr die sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen und qualitativen und gegebenenfalls quantitativen Leistungseinschränkungen bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.05.2019 - L 8 R 350/17 -, juris; Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 22.07.2020 - L 13 R 102/18 -, juris).

Unabhängig davon, ob es schon allgemein in der Wissenschaft zumindest zweifelhaft ist, inwiefern das Vorliegen von Elektrohypersensitivität unmittelbare gesundheitliche Auswirkungen hat, lässt sich aus den Ausführungen der K2 wenig an einzelfallbezogenen Funktionseinschränkungen beim Kläger ablesen. Die Sachverständige führt die auch anderweitig beschriebenen Krankheitsbilder (wie z.B. Missempfindungen und Schmerzen bei LWS-Syndrom, Schulter-Arm-Syndrom sowie Zervikobrachialsyndrom und Occipitalisneuralgie, Neuralgie der beiden unteren Extremitäten, paroxysmales Vorhofflimmern, hypertone Krise, depressive Episode, Angst- und Panikstörung, Schwindel und Taumel, Insomnie und Tinnitus) auf die nach ihren Darlegungen von ihr festgestellte, nicht therapierbare Elektrohypersensitivität zurück. Einige wenige Einschränkungen der Arbeitsbedingungen beschreibt sie dabei ähnlich den übrigen Sachverständigen; ansonsten steht im Zentrum ihrer Argumentation, dass der Kläger auf eine Umgebung angewiesen wäre, die möglichst frei von nieder- und hochfrequenten elektrischen Feldern sein müsse, weil sonst die Beschwerden weiter auftreten würden. Es fehlt jedoch eine begründete Darlegung, warum der Kläger mit den vorhandenen gesundheitlichen Einschränkungen keinerlei Tätigkeiten mehr ausüben könne. Der Rückschluss, Elektrohypersensitivität sei nachgewiesen und damit entfalle automatisch die Leistungsfähigkeit, ist eindeutig zu undifferenziert.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn man dem Gutachten der K2 inhaltlich folgen wollte, ein Rentenanspruch des Klägers damit nicht begründet wäre: K2 gibt in dem Gutachten ausdrücklich an, dass die von ihr beschriebene gesundheitliche Lage seit dem 15.06.2022 nachgewiesen sei; bei einem medizinischen Leistungsfall zu diesem Zeitpunkt wären aber - wie dargelegt - die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt gewesen.  

Dem Antrag, von K2 eine ergänzende Stellungnahme einzuholen, musste der Senat nicht nachkommen. Eine nähere Begründung, warum nach Ansicht der Klägerseite K2 noch einmal ergänzend gehört werden sollte, wurde nicht gegeben. Es wurde nicht aufgezeigt, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte. Die Stellungnahme des M vom 05.08.2022 zum Gutachten der K2 enthält insoweit auch keine neuen medizinischen Sachverhalte.

Die im Attest des C angegebene völlig reduzierte Lebenssituation des Klägers würde zwar eine wesentlich weitgehendere Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bedeuten; aus den nachfolgenden ärztlichen Unterlagen ist jedoch deutlich zu ersehen, dass die im Attest beschriebene Situation so beim Kläger vorgelegen hatte und nicht vorliegt: Es lässt sich zwar ein gewisser sozialer Rückzug erkennen, aber ein Ausüben von Verrichtungen im Haushalt und ein Verlassen der Wohnung ist weiterhin möglich und durchgehend möglich gewesen.

Das Gutachten des P bringt keine zusätzlichen Erkenntnisse. Es beruhte nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern auf Angaben des Klägers und auf ärztlichen Unterlagen, die das bestehende Krankheitsbild des Klägers - auch unter Berücksichtigung der sonstigen ärztlichen Unterlagen - offensichtlich überzeichnet hatten; der darauf aufgebauten sozialmedizinischen Beurteilung kann somit keine besondere Relevanz zukommen.

Zwar käme die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung nach der Rechtsprechung des BSG (Beschl. v. 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschl. v. 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) schon dann in Betracht, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand Juli 2020, § 43 SGB VI Rn 30 mwN). Einen derartigen Einschränkungsgrad mit einem Restleistungsvermögen zwischen täglich 3 bis unter 6 Stunden beschreibt keiner der im Verfahren gehörten Ärzte, so dass eine Rentengewährung in diesem Zusammenhang nicht in Betracht kommt.

Selbst wenn wie im Fall des Klägers eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht belegt ist, kann in bestimmten Ausnahmefällen dennoch eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung erfolgen. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.05.2012, B 5 R 68/11 R; Urteil vom 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, jeweils nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen und ergänzend Messen, Prüfen, Überwachen und Kontrollieren von automatisierten Vorgängen. Solche abstrakten Handlungsfelder lassen sich im Fall des Klägers unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen der Arbeitsbedingungen in voller Breite beschreiben, so dass es auf die folgenden Prüfschritte nicht mehr ankommt.

Die ärztlichen Sachverständigen beschreiben letztlich auch eine ausreichende Wegefähigkeit beim Kläger.

Das oben dargestellte Nichtvorliegen von teilweiser Erwerbsminderung führt auch dazu, dass ein Anspruch auf die hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) ebenfalls nicht besteht.

Ein Antrag auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) ist nicht gestellt worden; er hätte auch keinen Erfolg gehabt, weil der Kläger aufgrund seines Geburtsdatums eindeutig nicht zu dem von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis gehört.

Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers abgelehnt haben, nicht zu beanstanden.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 11.05.2020 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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