1. Was unter dem – wissenschaftlich nicht quantifizierten – Begriff „hauptsächlich“ zu verstehen ist, d.h. auf welchen prozentualen Anteil der hohen Belastungsspitzen gemessen an der Gesamtbelastungsdosis bzw. dem Orientierungswert des MDD bzw. auf wie viele Arbeitsschichten pro Belastungsjahr abzustellen ist, wird in der Literatur und von den Unfallversicherungsträgern unterschiedlich beantwortet.
2. Bei einem nur geringen Anteil der hohen Spitzenbelastungen an den Gesamtbelastungen der beruflichen Tätigkeit von weniger als 10 v.H. kann nicht vom Vorliegen des 3. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 ausgegangen werden, weil nach dem Wortlaut der Konsensempfehlungen („hauptsächlich“) gelegentliche und/oder nur vorübergehende Spitzenbelastungen noch nicht mit einem besonderen Gefährdungspotential im Sinne der BK Nr. 2108 verbunden sind (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. Juli 2016 - L 3 U 24/11 ZVW -, Rn. 33, BeckRS 2016,115375; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. April 2015 – L 15 U 211/13 -, Rn. 28, juris).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 08. August 2019 abgeändert. Die Klage wird im vollen Umfang abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben für das gesamte Verfahren einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anl. 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1972 geborene Kläger durchlief zunächst vom 01. September 1989 bis zum 30. Juni 1991 eine Ausbildung zum Binnenfischer bei der Produktionsgenossenschaft der Binnenfischer B (PGB B), wobei er das 1. Lehrjahr beim VEB Binnenfischerei P und das 2. Lehrjahr im privaten Fischereibetrieb S und F in B an der Havel absolvierte. Die theoretische Ausbildung in der Berufsschule umfasste im 1. Lehrjahr zwölf Wochen, im 2. Lehrjahr etwas weniger, da der Kläger im Juni 1991 zusätzlich jeweils für eine Woche zur theoretischen Prüfung in der Berufsschule und zur praktischen Prüfung in W (H) war. Vom 01. Juli 1991 bis zum 20. April 1993 absolvierte der Kläger dann eine Ausbildung zum Dachdecker an der Bauschule in B (Gesellenprüfung bestanden am 10. März 1993). Anschließend war der Kläger vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 beim Dachdeckerbetrieb Uwe S in P und vom 20. Februar 1997 bis zum 10. November 2001 bei der H. R Dachdecker GmbH in B an der H versicherungspflichtig als Dachdecker beschäftigt. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit war der Kläger vom 20. September 2003 bis zum 31. März 2012 als selbstständiger Dachdecker erwerbstätig, jedoch ohne Abschluss einer Unternehmerversicherung bei der Beklagten. Ab dem 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 übte er erneut eine versicherungspflichtige Dachdeckertätigkeit bei der J F und E B GbR in Raus. Seit dem 06. Mai 2013 ist er als Friedhofsarbeiter (zunächst mit 20 Stunden pro Woche) bei der N Friedhofsverwaltung in B an der H versicherungspflichtig beschäftigt.
Nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren litt der Kläger erstmals im Juli 1999 unter Beschwerden der Lendenwirbelsäule (LWS). Eine am 09. August 1999 durchgeführte Röntgenuntersuchung ergab eine flache linkskonvexe Skoliose mit leichter Rechtsrotation und normalen Bandscheibenhöhen. Die spinale CT-Untersuchung von L4 bis S1 vom 09. August 1999 ergab bei L5/S1 eine leichte Bandscheibenverschmälerung, einen medialen und links mediolateralen Prolaps mit Impression des Rückenmarkes, jedoch ohne Zeichen der Sequestration und bei freier Neuroforamina, sowie in allen dargestellten Etagen deutliche, nach kaudal zunehmende spondylarthrotische Veränderungen (Bericht der Gemeinschaftspraxis Röntgen Dipl. med. B L/Dr. med. P St). Vom 13. bis zum 21. Dezember 2007 befand sich der Kläger mit der Diagnose „Kaudal sequestrierter Bandscheibenprolaps L5/S1 mit S1-Syndrom links" in stationärer konservativer Behandlung im St. J-Krankenhaus P (vgl. Entlassungsbericht vom 08. Januar 2008). Die am 13. Dezember 2007 durchgeführte Röntgenuntersuchung ergab eine Streckfehlhaltung der LWS, einen unauffälligen spondylosteoartikulären Röntgenbefund ohne Hinweis auf Traumafolgen sowie ein freies ISG (Iliosakralgelenk). Die am 14. Dezember 2007 durchgeführte MRT-Untersuchung der LWS ergab eine Osteochondrose L4 bis S1, einen kaudal sequestrierten Bandscheibenprolaps L5/S1 mit Wurzelkompression S1 im lateralen Rezessus links sowie ein Ödem im Segment L5/S1. Vom 14. Januar bis zum 08. Februar 2008 folgte eine ambulante Rehabilitation und vom 14. Februar bis zum 07. April 2008 ein Reha-Nachsorge-Programm bei der V B GmbH unter den Diagnosen “Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Wurzelkompression S1 links, Nikotinabusus“ (Berichte vom 08. Februar 2008 und 30. April 2008). Eine am 15. April 2008 im Klinikum B durchgeführte MRT-Untersuchung der LWS ergab bei L4/L5 eine Chondrose, eine dorsale Bandscheibenprotrusion, eine mediane Anulus fibrosus Fissur und eine geringe Facettengelenksarthrose beidseits sowie bei L5/S1 eine Osteochondrose, eine geringe Dorsaldislokation von L5 gegenüber S1, eine dorsale Bandscheibenprotrusion und einen links paramedianen, beginnend kaudal hernierten Prolaps mit Duralsack- und S1-Wurzelkontakt im lateralen Rezessus links sowie Facettengelenkergüsse beidseits. Im Sommer 2010 wie auch ab Oktober 2012 war der Kläger wegen LWS-Beschwerden bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. C K in Behandlung. Die von Dr. K veranlasste MRT-Untersuchung der LWS vom 22. Oktober 2012 ergab bei L4/5 eine Chondrose, eine minimale Protrusion, einen Anulus-fibrosus-Einriss und minimale Facettengelenksergüsse beidseits sowie bei L5/S1 eine Osteochondrose, eine rechts führende breitbasige Bandscheibenprotrusion mit vorwiegend intraforaminellen Anteilen, eine zusätzliche Abflachung der Neuroforamina mit Neuroforamenstenosen beidseits, abschlussplattennah Fettmarkeinlagerungen, teilweise noch Ödemsignale sowie geringe Facettengelenksergüsse beidseits.
Mit am 06. Januar 2014 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger Rentenleistungen unter Hinweis darauf, dass seine Ärzte ihm versichert hätten, er könne aus medizinischer Sicht nicht mehr als Dachdecker am Bau arbeiten. Seit 1997 habe er diverse Rückenleiden, kaputte Gelenke sowie Rheuma (Gicht). Die Beklagte leitete daraufhin arbeitstechnische und medizinische Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens einer BK Nr. 2108 ein. Im Fragebogen Wirbelsäulenerkrankung gab der Kläger an, zum ersten Mal im Juli 1999 unter Wirbelsäulenbeschwerden gelitten zu haben. Als außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen teilte er „Hausrenovierung“ und „Kaminholz“ mit. Die Beklagte zog die bildgebenden Befunde bei und holte Befundberichte von Dr. C K vom 07. Februar 2014 und von der Fachärztin für Allgemeinmedizin M J vom 18. Februar 2014(Behandlung ab Mai 2011) sowie eine erste beratungsärztliche Stellungnahme von der Ärztin für Chirurgie/Unfallchirurgie/ Chirotherapie Dr. U H vom 10. April 2014 ein, die anhand der bildgebenden Befunde Veränderungen im Sinne der Konstellation B3 beim Kläger und als Manifestationszeitpunkt der Erkrankung den Bandscheibenvorfall im Jahr 2007 gegeben sah. Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte nach Befragung des Klägers in seiner Stellungnahme vom 27. Mai 2014 hinsichtlich der BK Nr. 2108 für den Zeitraum vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 und vom 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 eine Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) von 11,7 MNh. Das Vorliegen einer besonders intensiven Belastung (MDD-Richtwert in weniger als zehn Jahren) oder von hohen Belastungsspitzen verneinte er. Die N Friedhofsverwaltung teilte auf Nachfrage am 21. Juli 2014 mit, der Kläger müsse ca. 10 Stunden im Monat schwere Lasten in Form von Baumschnitt, Astwerk und Grabeinfassungen mit einem Gewicht von 30 kg heben und tragen. Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme führte die Beklagte in dem „Bescheid über Ablehnung einer Berufskrankheit“ vom 04. November 2014 Folgendes aus: „Wir haben geprüft, ob Ihre Erkrankung eine Berufskrankheit ist. Unsere Ermittlungen haben ergeben: 1. Bei ihnen besteht keine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV). 2. Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht. Dies gilt auch für Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet sind, dem Entstehen einer Berufskrankheit entgegenzuwirken.“ Zur Begründung gab sie an, der Kläger sei zum Zeitpunkt der ersten Beschwerdemanifestation im Jahr 2007 keiner ausreichenden Belastung ausgesetzt gewesen.
Mit Schreiben vom 05. November 2014 reichte die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (LBG) eine Arbeitsplatzanalyse vom 03. November 2014 ein, wonach der Kläger im Rahmen seiner Ausbildung zum Binnenfischer einer Gesamtbelastung nach dem MDD von 1,05 MNh und bei seiner ab dem 06. Mai 2013 bis dato ausgeübten Tätigkeit einer Gesamtbelastung nach dem MDD von 0,47 MNh ausgesetzt war. Die Schwingungsbelastung bei der Tätigkeit als Friedhofsarbeiter durch Benutzung eines Multicar-Fahrzeugs wurde als nicht gefährdend im Sinne der BK Nr. 2110 beurteilt. Den ohne Begründung unter dem 04. Dezember 2014 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2015 unter Verweis auf den angegriffenen Ausgangsbescheid als unbegründet zurück. Nachdem der Widerspruchsbescheid zunächst nicht an den Kläger versandt worden war, erfolgte eine Übersendung am 26. August 2015.
Mit seiner am 28. September 2015 vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung seiner LWS-Beschwerden als BK Nr. 2108 sowie zur Gewährung von Entschädigungsleistungen beantragt. Zur Begründung hat er mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 09. März 2016 vorgetragen, entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung seien bei ihm die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Während seiner Ausbildung an der Bauschule wie auch bei der Fa. St seien Flachdächer nicht mit Kunststoffdachbahnen sondern (hauptsächlich) mit Bitumen eingedeckt worden und er habe Bitumen-Rollen eigenhändig aufs Dach getragen. Bei der Fa. St sei zuvor Bitumen gekocht und per Hand aufs Dach getragen worden. Kräne zum Lastentransport habe es nicht gegeben, an fünf Tagen im Monat sei das benötigte Material per Hand auf das Dach befördert worden. Auch der Dachabriss sei per Hand erfolgt. Schornsteine seien mit Hammer und Meißel abgestemmt und der Schutt teilweise per Hand mit einem Eimer runtergetragen worden. Bei der Fa. R sei beim Entladen von Dachplatten und Biberschwänzen von den Paletten per Hand auf dem Dach eine Ladekette gebildet worden, d. h. bei Empfang und Weitergabe des Pakets sei jedes Mal eine Drehung in der Wirbelsäule erfolgt und zur Stabilisierung auf dem Dach eine geneigte Haltung eingenommen worden. Ein Kran habe 40 bis 50 Paletten mit jeweils 1 t Ziegeln/Biberschwänzen aufs Dach befördert, ein Paket mit Dachziegeln habe ca. 6 bis 7 Stück zu 4 kg jeweils (je nach Größe) beinhaltet, d. h. ein Gewicht von 24 bis 28 kg gehabt. Bei Einfamilienhäusern, wovon 10 bis 12 pro Jahr einzudecken waren, sei kein Kran eingesetzt worden. Pro Einfamilienhaus habe der Einsatz fünf Tage gedauert und man habe zu zweit an einem Tag 360 m² Dachfläche eingedeckt. Die Fa. F und B sei als Subunternehmen für die Fa. R tätig gewesen, so dass die gleichen Bedingungen geherrscht hätten. Nur seien dort mehr Flachdächer eingedeckt worden. Zusätzlich seien auch jede Menge Zimmererarbeiten (Reparaturen am Dachstuhl) angefallen. Insgesamt hätten bei den Tätigkeiten als Dachdecker ungünstige Bedingungen geherrscht, wie unebene Böden, Verdrehen des Oberkörpers, Schaufeln von Schuttgütern. Generell sei auf den Dächern in Rumpfbeugehaltung, bei Flachdächern in voller Rumpfbeugung gearbeitet worden. Zu berücksichtigen sei auch der Transport von Dachlatten mit ca. 30 Paketen pro Woche, wobei ein Paket mit 6 Latten ca. 50 bis 60 kg wiegen dürfte. Ferner sei das Aufbringen von Kies auf die Flachdächer - mit vorherigem Transport per Hand aufs Dach, Ausschütten und Verteilen - nicht berücksichtigt worden.
Bei seiner Ausbildung zum Binnenfischer sei er lediglich vier Wochen in der Teichwirtschaft eingesetzt gewesen. Die Reusen hätten nur im trockenen Zustand 6,5 bis 12 kg gewogen, das Nassgewicht sei um ein Vielfaches höher gewesen. Die tonnenschweren Zugnetze seien zu zweit mit der Hand ins Boot gezogen worden. Auch seien die Fische in die Geschäfte ausgeliefert worden, d. h. die Fischkübel seien nach Ostberlin transportiert worden, pro Fuhre ca. 8 bis 12 t. Ein Kübel habe 50 kg gewogen und sei zu zweit getragen worden. Bei einer Beladung mit nur 8 t seien schon für einen Ladevorgang 160 Hebe-/Tragevorgänge notwendig gewesen, das Gleiche nochmals beim Ausladen. Fürs Räuchern und Fertigen von Reusenstangen hätte zudem Holz aus dem Wald geholt und mit der Axt gespalten werden müssen. Hinsichtlich seiner Tätigkeit als Friedhofsarbeiter sei zu berücksichtigen, dass der Erdlochbohrer für die Urnenstellen per Hand betrieben werde und in eine Schubkarre entleert werden müsse. Mit Erde beladen wiege dieser 20 bis 30 kg. Er hebe etwa 130 bis 140 Urnenstellen im Jahr aus. Auch seien die weiteren Tätigkeiten als Friedhofsarbeiter hinsichtlich der Schwere und Druckkräfte unterbewertet.
Zum Vortrag des Klägers hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 04. Mai 2016 vorgelegt, in der darauf verwiesen wird, dass die bisherige Berechnung nach den vom Kläger persönlich gemachten Angaben und dessen Einschätzungen erfolgt sei. Die nunmehrigen Ausführungen des Klägers zur Dachdeckertätigkeit seien absolut branchenunüblich und völlig unrealistisch. Sofern kein Kran benutzt werde, komme ein Lastenaufzug zum Einsatz. Dachdecker würden ihr Material nicht selbst aufs Dach bringen. Das gelte auch für Zimmererarbeiten. Kunststoffdachbahnen seien bereits seit den 80iger Jahren auf dem Markt. Auch bestehe bei einer Dachhöhe über 2 m die Pflicht, ein Gerüst zu stellen. Für Dachabrisse gebe es keine Ausnahme von der Gerüstpflicht. Zudem würden Schuttrutschen zum Container eingesetzt. Völlig daneben seien die Gewichtsangaben zu Biberschwanzziegeln, denn je nach Form hätten die Ziegel-Pakete nur ein Gewicht von 6 kg bis max. 11,8 kg. Die von der Klägerseite nunmehr angegebene Stapelung von 40 bis 50 t an Dachziegelpaletten halte schlichtweg kein Dach aus. Auch seien Dachlatten bereits Bestandteil des Moduls Herstellung der Unterkonstruktion und daher bei der Berechnung immer eingestellt. Gleichwohl sei nach den neueren – unrealistischen - Angaben des Klägers eine Expositionsberechnung durchgeführt worden. Danach ergebe sich eine Gesamtbelastung für die versicherte Dachdeckertätigkeit von 12,3 MNh (vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 = 11,5 MNh, vom 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 = 0,8 MNh). Eine besonders intensive Belastung (MDD-Richtwert in weniger als zehn Jahren) sei nicht festzustellen. Hohe Belastungsspitzen lägen im Zeitraum vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 (3,82 Jahre) an 60 Tagen pro Jahr vor.
Hierzu hat der Kläger durch Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 18. Juli 2016 und 11. Januar 2018 Stellung genommen und als Zeugen für seine Dachdeckertätigkeit benannt: W S, U E, K N, K Bi und M G jeweils für die Fa. R, M L und K Z für die Firmen St und R sowie die Arbeitgeber J F und E B. Er hat ausgeführt, in der Zeit nach der politischen Wende sei ein Arbeiten nach den Arbeitsschutzvorschriften der Bundesrepublik Deutschland und den heutigen Standards aufgrund der Gegebenheiten nicht immer möglich gewesen. Die Handwerksfirmen seien neu gegründet worden und hätten ihre Arbeitsmaterialien aus LPG-Beständen rekrutieren müssen. Kunststoffdachbahnen seien erst ab Ende der 90iger Jahre im Osten verwendet worden. Kräne und Lastenaufzüge seien in den Anfangsjahren nicht eingesetzt worden. Bei der Fa. St sei dies bis Mitte der 90iger Jahre bei Aufträgen auf dem Lande (Dorf) nicht passiert, sondern nur bei Arbeiten in der Stadt. Aber auch dann habe der Lastenaufzug be- und entladen werden müssen. Eine Schuttrutsche sei bei der Fa. St nur gelegentlich bei Baustellen im Stadtgebiet benutzt worden. Bei der Fa. R habe es eine Mulde, eine Art Kippcontainer, im Kran gegeben. Bei der Fa. R sei er überwiegend bei Großprojekten mit Dachflächen bis zu 850 m² eingesetzt gewesen, wo Dachziegel mit einem Gesamtgewicht von 40 bis 50 t zur Eindeckung benötigt worden seien. Vorwiegend seien Ergoldsbacher Dachziegeln zum Einsatz gekommen. Pakete mit Biberschwanzziegeln hätten bis vor wenigen Jahren 16 Stück pro Paket enthalten bzw. bei größeren Formaten zwölf Stück (Zeugnis M W). Die Gewichte der Dachziegeln, Dachbahnrollen, Gerüstteile und Gasflaschen seien vom Präventionsdienst zu niedrig angegeben worden. Gasflaschen seien einzeln getragen worden bzw. in der anderen Hand sei der Brenner getragen worden. Zudem seien bei der Fa. St einmal wöchentlich Mörtelarbeiten angefallen, so dass auch Mörtelsäcke mit 40 kg Gewicht hätten transportiert werden müssen. Er habe auch Dachfenster mit einem Gewicht je nach Größe von 20 kg, 50 kg und 90 bis bi 100 kg eingebaut. Diese hätten hochgehoben, hochgetragen und vormontiert werden müssen. Die verschiedenen Gewichte der Pfetten und Sparren seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Die Beklagte hat hierzu eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 30. September 2016 zur Akte gereicht, in der nochmals auf die widersprüchlichen und als unrealistisch erachteten Angaben des Klägers im Klageverfahren hingewiesen worden war. Gleichwohl sei eine hypothetische Neuberechnung unter Berücksichtigung der klägerischen Angaben und der üblichen Lastgewichte für die typische Dachdeckertätigkeit des Versicherten (z.B. Unterspannbahn für Steildächer (20 m²/Rolle) 16 kg/Rolle, Dachlatten Gewicht/Bund bei 15-20 % Einbaufeuchte je nach Länge und Durchmesser 30 kg, 33 kg oder 32,5 kg) vorgenommen worden. Danach ergebe sich eine Gesamtbelastung für die versicherte Dachdeckertätigkeit von 14 MNh (vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 = 13,2 MNh, vom 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 = 0,8 MNh). Eine besonders intensive Belastung (MDD-Richtwert in weniger als zehn Jahren) sei nicht festzustellen. Hohe Belastungsspitzen lägen im Zeitraum vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 (3,82 Jahre) an 60 Tagen pro Jahr vor.
Da SG hat sodann medizinisch ermittelt und unter anderem Befundberichte von dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. C K vom 15. März 2017 sowie der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie K B vom 16. März 2017 (Behandlung wegen undifferenzierter Oligoarthritis seit 2013, Gichtmedikation) nebst weiteren Befunden eingeholt. Anschließend hat es mit Beweisanordnung vom 20. Juli 2017 den Facharzt für Orthopädie Dr. W-R mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Vorliegen einer BK Nr. 2108 beauftragt. Hierbei hat es dem Sachverständigen aufgegeben, der Beurteilung die zur Zusammenhangsbegutachtung von der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe erarbeiteten Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al., Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Wirbelsäule, veröffentlicht in der Zeitschrift „Trauma und Berufskrankheit“ 2005, Heft 3 S. 211 ff. und Heft 4 S. 320 ff.) zugrunde zu legen sowie zu unterstellen, dass die berufliche Exposition ausreichend gewesen sei und dass auch hohe Belastungsspitzen im Sinne des 3. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 vorlägen.
Der Sachverständige hat nach Untersuchung des Klägers am 24. Oktober 2017 und Auswertung der vorgelegten medizinischen Unterlagen sowie bildgebenden Befunde in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2017 festgestellt, dass beim Kläger seit Dezember 2007 eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 mit nozisensiblem Wurzelsyndrom S1 links vorliege. Der altersuntypische Bandscheibenvorfall sei erstmalig im MRT von 2007 aufgedeckt worden und sei von einem bandscheibentypischen Beschwerdebild mit Lumboischialgien, ins linke Bein ziehend, und sensibler S1-Irritation begleitet gewesen. Der monosegmentale Bandscheibenvorfall L5/S1 habe unverändert auch noch in den Röntgen- und MRT-Aufnahmen von 2012 bestanden. Aktuell handele es sich eher um einen diffusen, belastungsabhängigen Lumbago ohne Mitbeteiligung von spinalen Nervenbahnen. Die funktionellen Defizite seien geringgradig (geringe vordere Entfaltungsstörung). In den Röntgen- und MRT-Aufnahmen der LWS von 2007 bis 2012 fänden sich keine „black disc“-Phänomene und auch keine Begleitspondylosen. Ende 2007 habe es sich um ein monosegmentales Befallsmuster (L5/S1) gehandelt. Aber auch später habe sich in den radiologischen und kernspintomografischen Konstellationen nichts geändert. Im MRT vom 22. Oktober 2012 und den Röntgenaufnahmen vom 16. Dezember 2012 zeichneten sich vergleichbare morphologische Ergebnisse ab. Minimale Protrusionen, wie sie bei L4/5 gesehen wurden, besäßen keinen Krankheitswert. Die Schadensverteilung sei nicht typisch für berufsspezifische Einflüsse. Nur unter Berücksichtigung der Vorgaben des Gerichts, die mehrfach modifizierte Berechnung des Präventionsdienstes mit einer Gesamtdosis von 56 % des Orientierungswertes sowie Belastungsspitzen im Sinne der B2-Konstellation zugrunde zu legen, sei ein kausaler Zusammenhang zu bejahen. Vergleichbare Wirbelsäulenschäden lägen an der Brust- und Halswirbelsäule nicht vor. Konkurrierende außerberufliche Faktoren (außer genetischer Disposition) ließen sich nicht darstellen.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung vom 07. März 2018 den Kläger in Anwesenheit eines Mitarbeiters vom Präventionsdienst der Beklagten (Herrn H zu seinen beruflichen Tätigkeiten persönlich angehört und die ehemaligen Arbeitskollegen W S, U E, K N, M G M L sowie K Z als Zeugen vernommen. Der ebenfalls als Zeuge geladene K Bi hatte sich krankgemeldet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 223 bis 250 der Gerichtsakte) verwiesen.
Auf Anforderung des SG hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 06. Juni 2018 sowie Stellungnahmen des Präventionsdienstes der LBG vom 01. Juni 2018 und 27. Juni 2018 zur Gerichtsakte gereicht.
Der Präventionsdienst der Beklagten hat ausgeführt, nach Auswertung der Zeugenaussagen ergäben sich unterschiedliche Angaben bzgl. der Zimmererarbeiten, die allein für das Vorkommen von Spitzenbelastungen relevant seien. Die Angaben der Zeugen reichten von einem Anteil an der Gesamtarbeitszeit von 5 % bis 20 %, dies werde berücksichtigt und die bisherige Annahme von 25 % korrigiert. Aussagen, wie gering oder sehr viel, könnten prozentual nicht eingeschätzt werden und seien nicht verwertbar. Auch würden die Angaben zum Einbau von Dachfenstern berücksichtigt. Danach ergebe sich eine Gesamtbelastung für die versicherte Dachdeckertätigkeit von 12,2 MNh (vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 = 11,4 MNh, vom 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 = 0,8 MNh). Eine besonders intensive Belastung (MDD-Richtwert in weniger als zehn Jahren) sei nicht festzustellen. Hohe Belastungsspitzen lägen im Zeitraum vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 (3,82 Jahre) an 44 Tagen pro Jahr vor.
Der Präventionsdienst der LBG hat nach erneuter Befragung des Klägers an dessen Arbeitsstelle bei der N Friedhofsverwaltung vom 24. Mai 2018 in der Stellungnahme vom 01. Juni 2018 mitgeteilt, der Kläger sei seit Mai 2016 mit 30 Stunden pro Woche beschäftigt. Die Art der Tätigkeit habe sich nicht wesentlich geändert. Der Kläger habe angegeben, jährlich etwa 100 bis 120 Urnenstellen mit einem handbetätigten Erdlochbohrer (80 cm tief, Durchmesser 30 cm) auszuheben. Beim Bohren nehme er mit jedem Hub etwa so viel Erde heraus, wie auf eine Schaufel passe. Das Schneiden der Hecken an etwa fünf Tagen im Jahr erfolge von ihm mit der kleinsten Benzin-Heckenschere von Stihl (Gewicht ca. 4,5 kg). Sofern gelegentlich Bäume auf dem Friedhof gefällt würden, nehme er mit der Motorsäge nur das Ablängen und Kleinsägen vor, jedoch keine Fällarbeiten. Für das Beräumen von Grabstellen stehe seit drei Jahren ein Minibagger zur Verfügung. Das Verladen von Grabsteinen und Betonresten erfolge durch behinderte Mitarbeiter des F heims. Diese führten auch die Arbeiten für die Grabpflege auf dem Friedhof durch. Er habe jederzeit die Möglichkeit, bei schwerer körperlicher Arbeit auf die Hilfe der behinderten Mitarbeiter des F heimes zurückzugreifen. Fahrtzeiten mit dem Multicar würden weiterhin 2 bis 3 Stunden wöchentlich anfallen. Insgesamt habe der Kläger angegeben, dass diese von ihm ausgeführten Tätigkeiten von ihm nicht als belastend im Sinne der BK Nr. 2108 angesehen würden.
In seiner Stellungnahme vom 27. Juni 2018 hat der Präventionsdienst der LBG mitgeteilt, zwar führe der Kläger nicht mehr alle bei seiner Befragung im Jahr 2014 genannten Tätigkeiten aus, jedoch sei auch nach den neueren Angaben das Kriterium des Unterlassungszwanges nicht vollständig erfüllt, da der Kläger nach wie vor noch die Urnengräber mit dem Erdlochbohrer aushebe und dann per Hand die Gräber verfülle. Dies gelte auch bezüglich der weiterhin angegebenen Fahrtzeiten mit dem Multicar, welche mit einer Schwingungsintensität größer als 0,63 m/s² verbunden sei.
Schließlich hat das SG zur Frage des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen sowie der Unterlassung aller belastenden Tätigkeiten im Sinne der BK Nr. 2108 ein Gutachten nach Aktenlage von dem DEKRA-Sachverständige Dipl.- Ing. Sl vom 12. April 2019 eingeholt. Der Sachverständige hat unter Beachtung der versicherungsfreien Tätigkeit des Klägers als selbstständiger Dachdecker in den Jahren 2003 bis 2012 für die Zeit vom 01. September 1989 bis zum 10. November 2001 (Beendigung der versicherten Tätigkeit des Klägers bei der Fa. R) eine Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD von 13,7 MNh (davon für die Tätigkeit als Binnenfischer 2,255 MNh) ermittelt, was 54,8 % des Orientierungswertes von 25 MNh entspreche. Eine besonders intensive Belastung im Sinne des 2. Spiegelstrichs der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen (Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren) hat der Sachverständige verneint. Für den Zeitraum vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 (Fa. St) hat der Sachverständige für Tätigkeiten beim Richten von Dachstühlen und vergleichbare Arbeiten (Anheben/Absetzen von Pfetten, Tragen von Sparren) an 44 Tagen pro Jahr hohe Belastungsspitzen im Sinne des 3. Spiegelstrichs der Konstellation B2 errechnet. Abschließend hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Kläger nach wie vor Tätigkeiten verrichte, bei denen die Druckkraft auf die Bandscheiben der LWS (L5/S1) den Wert von 2.700 N übersteigen würde (z.B. bei der Schaufelarbeit und beim Schubkarrentransport), sodass er die gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK Nr. 2108 nicht aufgegeben habe. Bei seiner Berechnung habe er eingestellt, dass der Kläger während seiner Ausbildung zum Binnenfischer nur 12 Wochen pro Jahr (60 Tage) in der Berufsschule gewesen sei. Auch habe er im Hinblick auf die widersprüchlichen Angaben des Klägers und der Zeugen die höheren Werte zur Abschätzung einer Maximalbelastung („Worst case“-Betrachtung) eingesetzt, auch wenn diese nicht belegt bzw. unrealistisch seien. Zusätzlich seien Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Abriss von Dächern sowie dem Transport von Baustoffmaterial (Zement) berücksichtigt worden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, da der Sachverständige nur eine „Worst case“-Betrachtung vorgenommen habe, könne nach wie vor nicht davon ausgegangen werden, dass der untere Grenzwert für die Gesamtbelastungsdosis zum maßgeblichen Zeitpunkt (14. Dezember 2007) überschritten worden sei. Ein Kausalzusammenhang lasse sich schon deswegen nicht begründen. Zudem habe der Kläger die Zusatzkriterien für die B2-Konstellation nicht erfüllt und auch die schädigende Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt unterlassen. (Schriftsatz vom 07. Mai 2019).
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 24. Juni 2019 hat der Kläger das Gutachten bemängelt. Der Sachverständige habe zu niedrige Gewichte angenommen, eine volle Reuse sei zwischen 15 und 50 kg schwer. Daher sei ein mittleres Lastgewicht von 32,5 kg zugrunde zu legen. Gefüllte Reusen mit höherem Gewicht seien ausgekeschert worden, wobei ein voller Kescher 10 kg wiege. Zudem seien ca. 30 t Fische (3 Fuhren a 10 t) werktäglich ausgeliefert worden.
Nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 29. Mai 2019 und vom 11. Juni 2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung erteilt hatten, hat das SG durch Urteil vom 08. August 2019 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 verurteilt, festzustellen, dass - mit Ausnahme der Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten - die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 der Anl. 1 der BKV in der Person des Klägers erfüllt sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zudem hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger 80 % seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei - soweit sie auf die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK Nr. 2108 der Anl. 1 der BKV gerichtet sei - als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass bei ihm das Vorliegen der BK Nr. 2108 Anl. 1 der BKV anerkannt werde, da er nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür erfülle. Denn er habe bis heute noch nicht alle Tätigkeiten unterlassen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können. Nach dem Ergebnis der vorliegenden arbeitstechnischen Ermittlungen, insbesondere den Ergebnissen des Sachverständigen Sl, hebe er im Rahmen seiner Tätigkeit als Friedhofsgärtner auch aktuell noch immer 100 bis 120 Urnenstellen mit Hilfe eines Erdlochbohrers aus, dessen Leergewicht vom Präventionsdienst mit 11 kg und dessen Lastgewicht (mit Erde) vom Kläger mit etwa 20 bis 30 kg angegeben werde. Ausweislich des arbeitstechnischen Sachverständigengutachtens betrage die Druckkraft auf die Bandscheiben der LWS beim Heben, Absetzen und Tragen des (befüllten) Erdlochbohrers über 2.700 N, was als Mindestbelastung für eine gefährdende Tätigkeit im Rahmen der BK Nr. 2108 angenommen werde (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R - und vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R -, beide in juris).
Die Klage habe jedoch insoweit Erfolg, als dass die Beklagte auf der Grundlage des § 9 Abs. 4 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zur Anerkennung des Vorliegens der übrigen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 in der Person des Klägers zu verurteilen sei. Dieser Antrag sei sachdienlich und aus prozessökonomischen Erwägungen in dem weitergehenden Antrag auf Anerkennung der BK enthalten. Gemäß § 9 Abs. 4 SGB VII hätten die Unfallversicherungsträger vor Unterlassung einer noch verrichteten gefährdenden Tätigkeit darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK erfüllt sind, wenn die Anerkennung einer Krankheit als BK die Unterlassung aller Tätigkeiten voraussetzt, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Dies sei vorliegend der Fall.
Das Gericht sei nach Auswertung der umfangreichen hierzu vorliegenden Angaben - insbesondere nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 07. März 2018 und der hiernach vorgenommenen Expostionsberechnung des Präventionsdienstes der Beklagten vom 06. Juni 2018 sowie des arbeitstechnischen Sachverständigengutachtens vom 12. April 2019 - zu der Überzeugung gelangt, dass die arbeitstechnischen Grundvoraussetzungen, nämlich die im Sinne der BK Nr. 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, in der Person des Klägers zum Zeitpunkt des Nachweises der bandscheibenbedingten Erkrankung seiner LWS durch MRT vom 14. Dezember 2007 vorlägen. In der das Ergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigenden Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 06. Juni 2018 habe dieser für den Zeitraum vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 - welches aufgrund der versicherungsfreien Tätigkeit des Klägers in den Jahren 2003 bis 2012 der maßgebliche Zeitraum für die Beurteilung sei - eine Gesamtbelastung nach dem MDD von 11,4 MNh errechnet. Nach der Berechnung des Bereichs Prävention der LBG habe die Gesamtbelastung des Klägers im Zeitraum seiner Ausbildungszeit zum Binnenfischer 1,05 MNh betragen, so dass sich allein aus diesen Stellungnahmen eine Gesamtbelastung von 12,45 MNh für den maßgeblichen Zeitpunkt ergebe, was einem prozentualen Anteil von 49,8 % des Orientierungswertes von 25 MNh für Männer entspreche. Allein unter Berücksichtigung dieser Berechnungen habe der Kläger damit den hälftigen Orientierungswert von 12,5 MNh (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R -, zuletzt als insoweit maßgeblich bestätigt durch Urteil vom 06. September 2018 - B 2 U 10/17 R -, beide zitiert nach juris) nur knapp um 0,05 MNh oder 0,2 % verfehlt. Selbst wenn das vom Sachverständigen Sl seinen Berechnungen an einigen Stellen zugrunde gelegte „Worst Case"-Szenario nicht als maßgeblich erachtet würde, liege zwischen den fehlenden 0,05 MNh und dem von ihm errechnetem, den hälftigen Orientierungswert bis zum maßgeblichen Zeitpunkt um 1,21 MNh übersteigendem Wert, eine Bandbreite, die das Gericht im Ergebnis dazu bewogen habe, vom Vorliegen der arbeitstechnischen Grundvoraussetzungen, nämlich dem Erreichen des hälftigen Orientierungswertes, auszugehen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Gutachter in wesentlichen Teilen der auf der Grundlage des Beweisergebnisses erfolgten Neuberechnung des Präventionsdienstes der Beklagten vom 06. Juni 2018 gefolgt sei und seinen Berechnungen zu Recht die von dem Zeugen L glaubhaft berichteten Tätigkeiten im Rahmen von Wohnungsbausanierungen bei den Arbeitgebern St und R, deren Berücksichtigung in der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten unterblieben sei, hinzugefügt habe. Selbst wenn das Gericht die von dem Sachverständigen zugrunde gelegten Belastungen für die Ausbildung zum Binnenfischer, die dieser für den Teilbereich „Fische im Kübel verladen und ausfahren" als nicht der Realität entsprechend beurteilt habe, ausklammere und allein die vom Präventionsdienst der LBG in der Expositionsanalyse vom 03. November 2014 errechneten 1,05 MNh zugrunde lege, ergebe sich eine nachvollziehbare Gesamtbelastung von 12,505 MNh. Da weiter zu beachten sei, dass es sich bei den auf der Grundlage des MDD ermittelten Werten lediglich um Orientierungswerte handele und der Gesetzgeber es bis heute versäumt habe, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 zu konkretisieren (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R -, a.a.O.), erscheine es im vorliegenden Einzelfall gerechtfertigt, von der arbeitstechnisch notwendigen Mindestbelastung auszugehen. Der Kläger sei auch über 12,17 Jahre und damit langjährig rückenbelastet tätig gewesen. Der medizinische Sachverständige Dr. W-R habe in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2017 unter Berücksichtigung der sog. Konsensempfehlungen aus dem Jahr 2005, die nach wie als aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand der Beurteilung zugrunde zu legen seien (vgl. BSG, Urteile vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, Rn. 19 bis 22, und vom 06. September 2018 - B 2 U 13/17 R -, Rn. 20, beide in juris), schlüssig und widerspruchsfrei herausgearbeitet, dass der Kläger eine Erkrankung entwickelt habe, die nach den Konsensempfehlungen dem Typ 2 (lumbales Wurzelsyndrom) entspreche, und die durch MRT vom 14. Dezember 2007 als hierzu passende, altersüberschreitende Bandscheibenschädigung auf der Hauptbelastungszone L5/S1 im Sinne eines Prolapses habe aufgedeckt werden können. Damit liege bei dem Kläger mangels Begleitspondylose zwar keine Konstellation B1 vor, jedoch sei nach Auffassung des Gerichts die Konstellation B2, 3. Spiegelstrich (besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen) festzustellen, bei der der Zusammenhang als wahrscheinlich beurteilt werde. Als Anhaltspunkt für das besondere Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen diene das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen, was bei Männern ab 6 kN angenommen werde (vgl. Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 217). Sowohl nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 06. Juni 2018 als auch nach den Ermittlungsergebnissen des Sachverständigen Sl habe der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Fa. St im Zeitraum von 1993 bis 1997 die geforderten Belastungsspitzen an 44 Tagen pro Jahr erreicht. Weitergehende Kriterien für die Erfüllung des 3. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 - etwa eine besondere Häufigkeit oder Regelmäßigkeit der hohen Belastungsspitzen - würden die Konsensempfehlungen nicht enthalten. Dem Gericht sei auch sonst kein aktueller medizinischer wissenschaftlicher Erkenntnisstand bekannt, wonach dies und - wenn ja - in welcher quantitativer Hinsicht für die Anerkennung vorausgesetzt werde (vgl. BSG, Urteil vom 06. September 2018 - B 2 U 10/17 R -, Rn. 34, 35, juris).
Abzuweisen sei der Antrag des Klägers „Entschädigungsleistungen nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen", da die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid keine Regelung im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bzgl. konkreter Leistungen getroffen habe. Die im Verfügungssatz des Bescheides vom 04. November 2014 unter Zif. 2 gewählte Formulierung: „Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht", beschreibe ersichtlich nur allgemein die Folgerungen, die sich aus der Nichtanerkennung des Versicherungsfalls (der Berufskrankheit) ergäben. Eine Entscheidung über einzelne konkrete Leistungsansprüche sei damit nicht verbunden gewesen.
Gegen das ihr am 15. August 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. August 2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Schriftsatz vom 30. August 2019 ausgeführt, es bestünden bereits formelle Bedenken zur Berechtigung des SG, eine Feststellung nach § 9 Abs. 4 SGB VII zu treffen, da in dem angefochtenen Bescheid hierüber nicht entschieden worden sei. Im Übrigen sei das Urteil auch in der Sache nicht zutreffend. So könne schon der vom BSG geforderte untere Grenzwert der Gesamtbelastungsdosis von 12,5 MNh nicht mit Sicherheit festgestellt werden, denn der Sachverständige Dipl. Ing. S habe die arbeitstechnische Beurteilung der Beklagten als eine für den Kläger günstige Bewertung und damit eine Gesamtbelastungsdosis von 12,45 MNh als zu hoch attestiert. Zudem habe der Sachverständige eine Gesamtbelastungsdosis von 13,71 MNh nur unter der Annahme durchgehender „Worst Case“-Bedingungen errechnet. Auch der medizinische Sachverständige Dr. W-R habe in seinem Gutachten erhebliche Bedenken daran geäußert, dass die Erkrankung des Klägers eine BK darstelle. Er bestätige die Erkrankung nur unter der gerichtlichen Vorgabe, dass sowohl die arbeitstechnischen Grundvoraussetzungen als auch hohe Belastungsspitzen im Sinne des 3. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 vorgelegen hätten. Andernfalls stimme er der beratenden Ärztin zu, dass die Erkrankung einer nicht anerkennungsfähigen Konstellation zuzuordnen sei. Entgegen der Auffassung des Gerichts erfordere das 3. Zusatzkriterium für die Konstellation B2, dass an wenigstens 60 Tagen im Jahr jeweils über einen Zeitraum von zehn Jahren hohe Belastungsspitzen vorgelegen haben, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung annehmen zu können. Entgegen der Ansicht des SG habe es das BSG im Urteil vom 06. September 2018 für fehlerhaft gehalten, dass es gar keiner Anforderung an die Häufigkeit der Belastungsspitzen bedürfe. Insoweit sei den Konsensempfehlungen sehr wohl ein Hinweis auf eine gewisse Häufigkeit zu entnehmen. Auf Seite 217 (Trauma und Berufskrankheit, 2005, Heft 3) heiße es hierzu wörtlich „Bei beruflichen Belastungen, bei denen sich die Gefährdung hauptsächlich aus wiederholten Spitzenbelastungen ergibt, hat das Fehlen einer Begleitspondylose keine negative Indizwirkung.“ Dr. G, Mitglied der Konsensgruppe, seinerzeit Obmann der Fachgruppe für das belastungskonforme Schadensbild und bis heute Qualitätsbeauftragter der Konsensgruppe, vertrete die Auffassung, dass der Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung im Sinne der Konstellation B2, 3. Zusatzkriterium dann anzunehmen sei, wenn in etwa 35 % des MDD-Richtwertes für die Lebensdosis (Männer: 25 MNh) nur durch Belastungsspitzen erreicht werde. Dies würde bedeuten, dass 8,75 MNh der untere Grenzwert für Männer bei diesem Zusatzkriterium wären. Die Überlegungen von Dr. G basierten auf Untersuchungen im Bereich der Alten- und Krankenpflege, wo insbesondere Frauen erheblichen Hebebelastungen bei der Umbettung von Patienten täglich mehrfach ausgesetzt seien. Diese Sichtweise sei nicht auf die Bauwirtschaft übertragbar. Dennoch werde nach den Konsensempfehlungen eine gewisse Qualität und Häufigkeit der Belastungsspitzen gefordert. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen hingewiesen. Dort werde die Auffassung vertreten, „hauptsächlich“ im Sinne der Konsensempfehlungen wäre dann anzunehmen, wenn die kumulierte Belastung aus Belastungsspitzen größer bzw. gleich ein Viertel der ermittelten Gesamtbelastung betrage. Unter Annahme der „Worst Case“-Betrachtungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S habe der Kläger eine Gesamtbelastung von 13,7 MNh erfahren. Allein die Belastungsspitzen ergäben einen Belastungswert von 0,74 MNh (4,4 kNh entsprechen 0,0044 MNh, daraus folge: 169 Tage x 0,0044 MNh = 0,74 MNh), was einem Anteil von weniger als 10 % an der Gesamtbelastung entspreche. Auch der Sachverständige Dr. W-R gehe bei freier Einschätzung nicht vom Vorliegen einer BK 2108 aus. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger schon 2001 aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschieden sei, aber weiter schädigende Tätigkeiten ausgeübt habe, die jedoch nicht berücksichtigungsfähig seien, und dass das Krankheitsbild erst sechs Jahre nach dem Ende der versicherten Tätigkeit vorgelegen habe. Je größer der zeitliche Abstand zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Auch habe das BSG in seiner Entscheidung von 2006 deutlich gemacht, dass der Zusammenhang aus medizinischer Sicht umso genauer geprüft werden müsse, je näher der Versicherte dem unteren Grenzwert der Belastungsdosis komme. Die Beklagte hat die Kopie eines anonymisierten Protokolls der nichtöffentlichen Sitzung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11. Oktober 2017 – L 14 U 228/16 –, in dem die dortige Auffassung zu den zu fordernden Voraussetzungen bei den Zusatzkriterien der Konstellation B2 dargelegt werden, sowie das anonymisierte Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. April 2018 – L 14 U 265/15 – vorgelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 08. August 2019 abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen, sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Gegen das ihm am 16. August 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. September 2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 25. November 2019 ausgeführt, das Urteil des SG sei hinsichtlich der Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und des Kausalzusammenhangs zutreffend. Entgegen der Auffassung des SG übe er jedoch als Friedhofsgärtner keine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit mehr aus. Das LSG Hamburg habe in seinem Urteil vom 19. Juni 2019 – L 2 U 36/18 – dargelegt, dass der Zwang zur Aufgabe der aktuell gefährdenden Tätigkeit nicht gleichbedeutend sei mit dem Zwang, jegliches Heben und Tragen zu vermeiden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 08. August 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit gemäß Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV anzuerkennen, sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Auf Anforderung des Senats hat der Sachverständige Dipl.-Ing. Sl eine ergänzende Stellungnahme vom 07. August 2020 mit einer Neuberechnung der Exposition vorgelegt, wonach sich für den Zeitraum von September 1989 bis November 2001 eine Gesamtbelastung von 13,7 MNh ergebe. Er hat ausgeführt, die Neuberechnung sei unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers zum mittleren Gewicht für eine volle Reuse von 32,5 kg sowie eines Lastgewichtes von 10 kg beim Auskeschern der Reuse erfolgt. Die nunmehrige Angabe von 3 Fahrten pro Tag zum Transport von insgesamt 30 t Fisch sei nicht eingestellt worden. Hierbei handele es sich selbst unter Annahme einer „Worst Case“-Betrachtung um völlig unrealistische Angaben. Allein die Addition der Hebe-, Absetz- und Tragevorgänge ergebe eine reine Zeitdauer von 9,13 Stunden pro Tag. Hinzu kämen noch drei Fahrten pro Tag von Potsdam nach Berlin mit einer effektiven Fahrtzeit von jeweils ca. 40 Minuten, was weiteren 4 Stunden entspreche. In der Summe hätte der Kläger dann über 13 Stunden pro Tag und an 50 Tagen pro Jahr Fische in Kübeln zu Kunden transportiert und im Fahrzeug gesessen. Auch die durch die Angaben des Klägers errechnete Tagesdosis von über 28 kNh überschreite um ein Vielfaches eine berufstypische Belastung z.B. eines Maurers oder Gerüstbauers und sei daher unrealistisch. Soweit nunmehr bezüglich der Tätigkeit als Friedhofsgärtner angegeben werde, dass der Kläger keine Schubkarren, keine Pflanzen mit Wurzelballen und keine Äste mit einem Gewicht über 5 kg getragen habe, würden gleichwohl noch an ca. 100 Tagen pro Jahr Urnengräber mithilfe eines Erdlochbohrers ausgehoben und mit einer Schaufel verfüllt. Bei beiden Tätigkeiten liege die Druckkraft auf L5/S1 bei 3.600 N. Jedoch werde in den Konsensempfehlungen hinsichtlich der Häufigkeit der Handhabung von Lasten mit Gewichten bei an einer BK 2108 Erkrankten ausgeführt, dass Lasten mit Gewichten oberhalb der Maximallasten (15 kg bei Männern und 8 kg bei Frauen) nicht oder allenfalls in Ausnahmefällen gehandhabt werden sollten. An anderer Stelle werde ein Vergleich mit der Hälfte der Tagesdosis als Orientierungswert angegeben, d. h. eine Dosis von etwa 2,75 kNh. Die nach den Angaben des Klägers erfolgte Neuberechnung für die Tätigkeiten auf dem N Friedhof ergebe eine Tagesdosis von ca. 1,5 kNh, sodass die Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes nicht erreicht werde. Daher sei nach seiner Ansicht die schädigende Tätigkeit im Sinne der BK Nr. 2108 aufgegeben worden. Ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen habe nur bezüglich der Tätigkeit bei der Fa. St beim Richten von Dachstühlen ohne Hebe- und Transporthilfen (Heben und Absetzen von Pfetten oder Sparren mit Lastgewichten zwischen 60 und 85 kg) von April 1993 bis Februar 1997 an jeweils 44 Tagen pro Jahr bestanden. Nach der bisher bekannten Rechtsprechung reiche dies nicht aus, um das in den Konsensempfehlungen genannte Kriterium „hauptsächlich“ zu erfüllen. Die abschließende Beurteilung der ausgewiesenen Belastungsspitzen bleibe einer juristischen Würdigung vorbehalten.
Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsätzen vom 20. August 2020 und 19. Juli 2021 erklärt, sie habe sich nun davon überzeugt, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit unterlassen habe. Auch sei durch die Novellierung des BK-Rechts zum 01. Januar 2021 der Unterlassungszwang wegfallen. Ansonsten bleibe es bei ihrer Beurteilung zur Gesamtbelastungsdosis und zum Fehlen der medizinischen Voraussetzungen bzw. dem Vorliegen einer Konstellation B3. Durch die Neufassung des § 9 SGB VII – insbesondere von Abs. 4 – sei auch die Grundlage für die vom SG getroffene Entscheidung weggefallen, das Urteil sei zwischenzeitlich überholt und könne nicht mehr umgesetzt werden
Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13. Oktober 2020 dargelegt, sein Arbeitstag habe morgens um 5:00 Uhr damit begonnen, die Fische in den Lkw einzuladen. Ein Lkw sei mit 7,5 t Fisch beladen worden, wenn der Hänger benutzt wurde, seien insgesamt 10 t Fisch verladen und anschließend ausgeliefert worden. Der Arbeitstag habe durch Rückkehr in den Betrieb gegen 22:00 bis 23:00 Uhr geendet. Damals habe es wenig technische Unterstützung gegeben, um die körperlich harte Arbeit zu erleichtern. Seine Angabe, die Fischkübel nach Ostberlin zu transportieren, sei ungenau gewesen. Die Fische seien über eine Route, die je nach Bestellung über T, Kl, B, M, mehrere Geschäfte in P bis nach O geführt habe, ausgeliefert worden. Als Zeuge zur Tätigkeit des Binnenfischers werde sein Lehrmeister ab dem 2. Lehrjahr, Herr F benannt. Der weitere Lehrmeister aus dieser Zeit sei leider 2019 verstorben. Aus der Zeit im VEB Binnenfischerei bestünden keinerlei Kontakte mehr, die Ausbilder dürften zwischenzeitlich ebenfalls verstorben sein.
Die Vorsitzende und zuständige Berichterstatterin des Senats hat am 27. Juli 2021 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten und dem Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl durchgeführt, in dem mit Hilfe des Sachverständigen der Kläger persönlich und sein ehemaliger Lehrmeister O F als Zeuge zu den wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Rahmen der Ausbildung zum Binnenfischer angehört worden sind; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die hierzu gefertigte Sitzungsniederschrift (Blatt 562 bis 567 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Auf die Anfrage des Senats, ob und inwieweit sich aus den Sitzungsprotokollen der Konsensusgruppe zur BK Nr. 2108 Hinweise zum notwendigen Umfang hoher Belastungsspitzen ergäben, hat der DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (Geschäftsstelle der Konsensusgruppe) unter dem 25. August 2021 mitgeteilt, nach Sichtung der Protokolle könne als Fazit zusammengefasst werden, dass zumeist nur die Konstellationsbeschreibungen der späteren B2-Konstellation zu verschiedenen Sitzungszeitpunkten Gegenstand der Protokolle seien. Zudem sei im Protokoll der 5. Sitzung der Unterarbeitsgruppe 1 – Erkrankungsbilder - die Notwendigkeit festgehalten, die Definition der Begrifflichkeit Belastungsspitzen näher zu erörtern. In den nachfolgenden Protokollen finde sich keine weitere Erörterung dazu. Beigefügt war eine Zusammenfassung von Auszügen aus den Beratungsprotokollen der Arbeitsgruppen zu den Konsensempfehlungen betreffend die Konstellation B2, 3. Zusatzkriterium.
Das IFA Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat mit Schreiben vom 17. September 2021 auf entsprechende Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass ihm keine Informationen betreffend die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Festlegung einer Mindestzahl an Arbeitsschichten, bei denen das 3. Zusatzkriterium der Konstellation B2 erfüllt sei, und die von der Konsensgruppe seinerzeit herangezogen worden seien, vorlägen. Auch seien neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu nicht bekannt. Man wisse von der Problematik sowie der unterschiedlichen Interpretation des unbestimmten Begriffs „hauptsächlich“ in der Rechtsprechung, jedoch könne zu dieser Frage keine Lösung angeboten werden.
Der Senat hat sodann eine ergänzende Stellungnahme des arbeitstechnischen Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl vom 02. November 2021 eingeholt, der den Kläger am 11. August 2021 ergänzend telefonisch befragt und das hiervon gefertigte, vom Kläger schriftlich ergänzte und am 19. August 2021 unterzeichnete Gesprächsprotokoll vom 16. August 2021 vorgelegt hat; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 626 bis 633 der Gerichtsakte Bezug genommen. Des Weiteren hat der Sachverständige vom Kläger übermitteltes Bildmaterial zur Binnenfischerei zu Anschauungszwecken ins Gutachten eingearbeitet. Der Sachverständige hat ausgeführt, zur Validierung der Angaben des Klägers sowie derjenigen des Zeugen Fl habe er den ihm vom Institut für Binnenfischerei e. V. P-S empfohlenen, von 1957 bis 2006 dort tätigen Fischermeister für Binnenfischerei H E kontaktiert und am 12. Oktober 2021 ein ausführliches Telefongespräch mit ihm geführt.
Der Sachverständige hat bei Ermittlung der Hebe- und Tragebelastungen während der Ausbildung zum Binnenfischer die Angaben des Klägers sowie des Zeugen Fl weitestgehend im Rahmen einer „Worst case“-Betrachtung zugrunde gelegt. Hinsichtlich des Gewichtes von Reusenstangen hat er ausgeführt, nach Angaben des Zeugen Fl (5 bis 7 m Länge, 15 cm Durchmesser) würde sich ein maximales Lastgewicht für Fichtenholz von 99 kg (saftfrisch) bzw. 56 kg (lufttrocken) ergeben. Dies sei nach seiner Ansicht sowie auch nach dem vom Kläger übermittelten Bildmaterial unrealistisch. Der Fischereimeister Herr E habe hierzu mitgeteilt, dass die Reusenstangen am oberen Ende ca. 3 cm und am unteren Ende ca. 8 cm dick seien und ein Gewicht von 4 bis 5 kg im trockenen Zustand hätten. Mithilfe des Stammgewichtsrechners ergebe sich unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Länge von 7 m und eines mittleren Durchmessers von 6 cm ein Lastgewicht von 16 kg (frisch geschlagen), 25 kg (nass) und 9,5 kg (trocken). Diese Gewichtsangaben seien seiner Ansicht nach die obere Grenze der tatsächlichen Last und daher von ihm in die Berechnung eingestellt worden. Der Sachverständige hat für die Ausbildung zum Binnenfischer beim VEB Binnenfischerei P(Abfischen mit Schleppnetzen, Boote umsetzen, Auslieferung der Fische, Wartungsarbeiten <September bis November>, Reusenstangen be- und entladen, Faschinen binden, Faschinen be- bzw. entladen, Schilfrohr schneiden, Schilfrohr verladen, Reusen stellen, Reusen überprüfen und leeren, Netze trockenlegen, Wartungsarbeiten) und beim Fischereibetrieb Fl (Reusen stellen, Netze trockenlegen, Reusen abbauen, Reusen überprüfen und leeren, Reusen überprüfen, leeren und Transportfahrten, Stellnetzfischerei, Reusenstangen be- und entladen, Räucherholz verladen, Wartungsarbeiten) jeweils eine Belastungsdosis von gerundet 0,61 MNh, insgesamt von 1,22 MNh ermittelt. Unter Berücksichtigung der bereits für die Dachdeckertätigkeiten von Juli 1991 bis November 2001 ermittelten Teil-Belastungsdosen hat sich nach der Aufstellung des Sachverständigen eine Gesamtbelastungsdosis von 12,67 MNh (unter Berücksichtigung auch der von April 2012 bis April 2013 und von Juni 2013 bis November 2014 ausgeübten Tätigkeiten von 14,01 MNh) ergeben. Hohe Belastungsspitzen im Sinne der Konstellation B2, 3. Zusatzkriterium seien nur beim Heben und Absetzen von Pfetten oder Sparren mit Lastgewichten zwischen 60 und 85 kg ohne Tragehilfen im Zeitraum vom 21. April 1993 bis zum 15. Februar 1997 (= 3,83 Jahre) festzustellen. Die Häufigkeit dieser Tätigkeiten seien a) von der Beklagten mit bis zu 60 Tagen pro Jahr, b) vom Zeugen Z mit ca. 5 % der durchschnittlichen jährlichen Arbeitszeit (= 11 Arbeitstage) und c) von ihm mit 44 Tagen pro Jahr eingeschätzt worden. Für diese Tätigkeiten ergebe sich eine Teildosis bei a) von 0,988 MNh, b) von 0,181MNh und c) von 0,725 MNh. Dies entspreche einem Anteil an der Gesamtdosis von 14,01 MNh von 7 % (Angaben der Beklagten), 1,3 % (Angaben des Zeugen) sowie 5,2 % (Einschätzung des Sachverständigen).
Im Auftrag des Senats hat der medizinische Sachverständige Dr. W-R unter dem 23. Dezember 2021 zu den vom Senat gestellten Fragen ergänzend Stellung genommen. Beim Fehlen hoher Belastungsspitzen müsse die Konstellation B3 unterstellt werden. Zwar überschreite die Gesamtexposition über etwa 12 Jahre marginal den unteren Grenzwert, übermäßige Einflüsse in einer Tagesschicht fehlten jedoch. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Bedeutung arbeitstechnischer Einflüsse seien nicht bekannt. Die Ergebnisse aus der deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) und ihrer Nachauswertung stünden nicht im Einklang mit der bisherigen epidemiologischen Gesamtevidenz und seien biologisch auch wenig plausibel. Unter Berücksichtigung der methodischen Schwächen der DWS erscheine es nicht gerechtfertigt, aus dieser eine neue Risikoverdopplungsdosis oder neue medizinische Kriterien für die Zusammenhangsbeurteilung bei der BK 2108 abzuleiten. Der Sachverständige hat hierzu auf die Veröffentlichungen von M. Kentner und K. Frank, u.a. in der Zeitschrift „Der medizinische Sachverständige“ von April 2016, verwiesen. Zudem gebe es zu den Vorgaben in den Konsensempfehlungen betreffend „eine Gefährdung hauptsächlich aus wiederholten Spitzenbelastungen“ keine aktualisierten, wissenschaftlichen Erkenntnisse, ob bei einer rein monosegmentalen Bandscheibenerkrankung ohne Begleitspondylose kumulative Belastungsspitzen in einem Anteil von weniger als 5 % bzw. weniger als 50 % mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für eine BK Nr. 2108 verantwortlich sein können. Bei einem zurzeit errechneten Anteil von 7,8 % (Vorgabe des Senats: Anteil der höchsten, für den Kläger günstigsten Belastungsdosis von 0,988 MNh für Belastungsspitzen an der Gesamtbelastungsdosis von 12,67 MNh) lasse sich schon ausgehend von der Begrifflichkeit eine hauptsächliche Häufung schwer begründen. Hierbei zeige sich jedoch die Schwäche des gesamten Konstrukts der Konsensempfehlungen einschließlich der DWS-Studien. Die Begriffe, die die kumulative Belastung abbildeten, seien seitdem nicht konkretisiert worden. Damit könne auch der verwendete Begriff „hauptsächlich“ keinem Prozentwert zugeordnet werden. Unterschreite er den Wert von 10 %, so erscheine es ihm schon wegen der Begrifflichkeit als nicht wahrscheinlich, dass er entscheidend auf die Bandscheiben des lumbosakralen Übergangs habe einwirken können.
Der Kläger hat durch Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15. Februar 2022 eingewandt, die abgeschlagenen Bäume, die als Reusenstangen genutzt wurden, seien max. 14 m lang gewesen und hätten unten einen Durchmesser von bis zu 20 cm gehabt. Demnach hätten sie direkt nach dem Schlagen 130 bis 140 kg gewogen. Die angegebene Länge von 5 bis 7 m und ein Durchmesser von ca. 15 cm hätten sie erst nach der Bearbeitung gehabt.
In seiner weiteren, vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 18. März 2022 hat der arbeitstechnische Sachverständige Dipl.-Ing. Sl ausgeführt, den nunmehrigen Angaben des Klägers zu Länge und Gewicht der für die Herstellung von Reusenstangen gefällten Baumstämme könne nicht gefolgt werden. Die von ihm seiner Berechnung zugrunde gelegten Werte beruhten auf den Angaben des Klägers in dem von ihm unterzeichneten Gesprächsprotokoll vom 16. August 2021 (Länge der Bäume 10 m, Durchmesser 10 bis 12 cm, woraus sich ein Gewicht von 99 kg saftfrisch errechne), die jedoch im Hinblick auf die Auskünfte des Fischereimeisters E (Gewicht von Reusenstangen im trockenen Zustand = 4 bis 5 kg) als völlig unrealistisch einzuschätzen seien. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die bisherigen Angaben des Klägers zum Durchmesser der Baumstämme nachträglich korrigiert würden. Warum seien Bäume mit derartigen Abmessungen, wie sie nun vom Kläger angegeben würden, durch Handarbeit auf einen Durchmesser von ca. 6 cm reduziert worden? Nach den bisherigen Angaben des Klägers und aller Zeugen seien die Baumstämme nach dem Entasten nur noch entrindet worden. Aus den zur Verdeutlichung des Arbeitsschrittes Entrinden vorgelegten Bildern sei klar erkennbar, dass die Rinde von Kiefern nur ein paar Millimeter dick sen. Eine Reduzierung des Stammdurchmessers von bis zu 20 cm auf ca. 6 cm durch das Entrinden sei unplausibel. Sofern in Ausnahmefällen Bäume mit vergleichbaren Abmessungen, wie vom Kläger angegeben, gefällt worden sein sollten, seien diese ebenfalls an Ort und Stelle entastet und auf die erforderliche Länge zugeschnitten worden. Allenfalls sei in solchen Fällen der obere Teil der Kiefer als Reusenstange und der untere Teil eventuell als Feuerholz benutzt worden. Insgesamt seien in seine Berechnungen Lastgewichte einbezogen worden, die eher an der oberen Grenze der tatsächlichen Lasten lägen.
Der Kläger hat durch Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20. April 2022 vorgetragen, bei einer Wassertiefe von 4 bis 5 m liege es auf der Hand, dass die Reusenstangen länger als 4 bis 5 m sein müssten. Es werde auf die anliegenden, in einem Fischereibetrieb gefertigten Lichtbilder verwiesen, die Reusenstangen zeigten, so wie sie bei seiner beruflichen Tätigkeit benutzt worden seien. Eine 4 m lange, geschälte und trockene Stange wiege 9,51 kg (Bild mit der Waage) und habe an der Spitze einen Durchmesser von etwa 8 cm. Auf einem weiteren Bild sehe man den Vergleich zwischen den eingekürzten Reusenstangen (rechts) und den geschälten Stangen, wenn sie noch nicht eingekürzt seien (links und mittig). Diese seien mindestens doppelt so lang wie die eingekürzten Reusenstangen. Dies werde auch aus dem Foto mit dem beladenen Hänger deutlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die sowohl von der Beklagten als auch vom Kläger jeweils frist- und formgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegten Berufungen sind statthaft und zulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach §§ 157, 95 SGG das Urteil des SG Potsdam vom 08. August 2019, dessen Abänderung die Beteiligten jeweils mit unterschiedlicher Zielsetzung begehren, sowie der Bescheid der Beklagten vom 04. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015. Der Kläger verfolgt in zulässiger Weise mit der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sein erstinstanzliches Klagebegehren, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 zur Feststellung seiner Wirbelsäulenerkrankung als BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV zu verpflichten, weiter. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die vom SG nach § 9 Abs. 4 SGB VII in der bis zum 31. Dezember 2020 maßgeblichen Fassung (a.F.) ausgesprochene Verpflichtung zur Feststellung, dass - mit Ausnahme der Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten - die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV in der Person des Klägers erfüllt seien, und verfolgt ihr erstinstanzlich auf die Abweisung der Klage des Klägers gerichtetes Begehren weiter.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Dagegen sind die Berufung des Klägers und dessen Klage unbegründet, denn der Bescheid der Beklagten vom 04. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2015 erweist sich als zutreffend. Eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung der LWS im Sinne der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV kann beim Kläger zur Überzeugung des Senats (§ 128 SGG) nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht festgestellt werden.
Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in der ab dem 01. Januar 2021 geltenden Fassung (vgl. Art. 7 Nr. 3 und Art. 28 Abs. 6 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze <7. SGB-IV-ÄndG> vom 12. Juni 2020 <BGBl I, S. 1248>) (n. F.). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII n. F. sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII n. F. wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. Die weitere in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung normierte Einschränkung, dass auch bestimmt werden kann, dass Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist ab dem 01. Januar 2021 entfallen. Zugleich hat der Verordnungsgeber zum 01. Januar 2021 den Unterlassungszwang aus allen BK-Tatbeständen gestrichen, somit auch aus dem Tatbestand der BK nach Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV. Nach der ebenfalls zum 01. Januar 2021 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Rückwirkungsregelung in § 9 Abs. 2a Nr. 1 SGB VII n. F. sind Krankheiten in den Fällen des § 9 Abs. 1 SGB VII n. F., die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, rückwirkend frühestens zu dem Zeitpunkt als BK anzuerkennen, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist. Es handelt sich um eine zukunftsgerichtete tatbestandliche Rückanknüpfung bzw. „unechte“ Rückwirkung, wonach die mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs verbundenen Anerkennungserleichterungen für bereits vor dem 01. Januar 2021 Erkrankte gelten (vgl. Römer/Keller, Neues vom Gesetzgeber im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, SGb 2020, 651, 655). Bis zum 31. Dezember 2020 war der Tatbestand der BK nach Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV wie folgt umschrieben: „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.“ Die Voraussetzung, wonach die bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben müssen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist mit Wirkung zum 01. Januar 2021 entfallen (vgl. Art. 24 Nr. 3 Buchst. a, Art. 28 Abs. 6 des 7. SGB-IV-ÄndG). Zeitgleich ist der Tatbestand der Berufskrankheit Nr. 2108 um eine weitere Voraussetzung, wonach die bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der LWS) geführt haben müssen, erweitert worden (vgl. Art. 24 Nr. 3 Buchst. c, Art. 28 Abs. 6 des 7. SGB-IV-ÄndG). Seit dem 01. Januar 2021 wird der Tatbestand der BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wie folgt umschrieben: „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben.“
Diese Änderung der Rechtslage zum 01. Januar 2021 hat jedoch auf den vorliegenden Fall keine Auswirkungen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht beim Kläger bereits keine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das durch die versicherte Tätigkeit veranlasste Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden ist.
Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises vorliegen. Hierfür erforderlich ist eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt. Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 128 Rn. 3b, m.w.N.; BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R -, Rn. 17, in juris)
Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht eine bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 2017 – B 2 U 6/15 R -, Rn. 12, 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R -, Rn. 10 m.w.N., 04. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R, Rn. 12, 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R -, Rn. 17, und vom 02. April 2009 – B 2 U 33/07 R -, Rn. 11, jeweils in juris). Dabei ist der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R -, Rn. 13 m.w.N., juris). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggfs. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).
Die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung maßgebliche Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie. Danach ist jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sogenannten ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch eine mechanische Belastung - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sogenannten zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist, also eine wesentliche Ursache darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., Rn. 16, juris).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers nicht vor.
Zwar gehört der Kläger zu dem versicherten Personenkreis. Er war in der Zeit vom 01. September 1989 bis zum 30. Juni 1991 (Ausbildung zum Binnenfischer), vom 21. April 1993 bis zum 10. November 2001 (Tätigkeit als Dachdecker), vom 24. April 2012 bis zum 30. April 2013 (Tätigkeit als Dachdecker) und ab dem 06. Mai 2013 fortlaufend als Friedhofsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt und gehörte bzw. gehört daher zu den Versicherten nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VII. Zudem gehörte er während seiner Ausbildung zum Dachdecker in der Bauschule B vom 01. Juli 1991 bis zum 20. April 1993 zu den Versicherten nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VII (Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen). Dagegen gehörte er während seiner Tätigkeit als selbständiger Dachdecker von September 2003 bis März 2012 nicht zu dem nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personenkreis, da er sich nicht bei der Beklagten als Unternehmer freiwillig versichert hatte.
Vorliegend steht aufgrund des gerichtlich eingeholten Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. W-R vom 28. Oktober 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. Dezember 2021 zur Überzeugung des Senats fest, dass beim Kläger seit Dezember 2007 eine monosegmentale bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 mit nozisensiblem Wurzelsyndrom S1 links ohne Begleitspondylose und ohne konkurrierende Ursachenfaktoren vorliegt. Der Sachverständige Dr. W-R hat anhand der ihm vorgelegten Aufnahmen der LWS vom 13. Dezember 2007 (Röntgen) und vom 14. Dezember 2007 (MRT) dargelegt, dass sich bis auf den altersuntypischen Prolaps bei L5/S1 mit Kompression der S1-Wurzel links oberhalb dieses Segments weder eine überdurchschnittliche Osteochondrose, noch auffällige Sklerosen der Wirbelkörperdeckplatten, „black disc“-Phänomene oder Ausziehungen der Wirbelkörpervorderkanten (Spondylosen) zeigten. Diese Bildmorphologie ergab sich auch unverändert in den späteren Aufnahmen der LWS vom 16. Oktober 2012 (Röntgen) und 22. Oktober 2012 (MRT), wobei minimale Protrusionen, wie sie im Segment L4/5 gesehen wurden, nach Darlegung des Sachverständigen keinen Krankheitswert besitzen und nicht als altersuntypisch beurteilt werden. Beim Kläger hatte sich im Dezember 2007 auch eine, dem Bandscheibenvorfall bei L5/S1 mit Kompression der S1-Wurzel links entsprechende klinische Symptomatik in Form einer in das linke Bein ziehenden Lumboischialgie entwickelt, die zur stationären Behandlung im St. J-Krankenhaus P (13. bis 21. Dezember 2007) und anschließender Reha-Behandlung bei der V B GmbH (14. Januar bis 08. Februar 2008, Reha-Nachsorge: 14. Februar bis 07. April 2008) führte. Demzufolge lag im Dezember 2007 beim Kläger ein den Konsensempfehlungen (Punkt 1.3; a.a.O. S. 216) bzw. dem Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur BK nach Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV vom 01. September 2006 (Punkt III; BArbBl. 2006, Heft 10, S. 30 ff.) entsprechendes klinisches Krankheitsbild vom Typ 2 – lumbales Wurzelsyndrom – vor. Vergleichbare Wirbelsäulenschäden an der Brust- oder Halswirbelsäule des Klägers vermochte der Sachverständige Dr. W-R bei seiner Untersuchung und anhand des vorgelegten Bildmaterials (u.a. Röntgenaufnahme vom 08. April 2013) nicht festzustellen.
Die beim Kläger für seine versicherte Tätigkeit von September 1989 bis November 2001 festzustellende Gesamtbelastungsdosis für das Heben oder Tragen schwerer Lasten einschließlich von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung lässt eine berufliche Verursachung seiner bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als möglich erscheinen bzw. schließt diese nicht von vorneherein aus.
Der Kläger hat ausweislich des Ermittlungsergebnisses im Verwaltungsverfahren, d.h. den anhand einer persönlichen Befragung des Klägers und unter Berücksichtigung von Erfahrungswerten erstellten Ermittlungsberichten des Präventionsdienstes der Beklagten vom 27. Mai 2014 und des Präventionsdienstes der LBG vom 03. November 2014, die der Senat als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) verwertet hat, sowie des im gerichtlichen Verfahren eingeholten arbeitstechnischen Gutachtens des DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl vom 12. April 2019 in der Fassung der ergänzenden Stellungnahme vom 02. November 2021 in seiner versicherten Tätigkeit von September 1989 bis November 2001 (gerundet 12,2 Jahre) langjährig regelmäßig (an mindestens 60 Arbeitstagen pro Jahr) schwere Lasten, nämlich gefüllte Fischkisten, Fischkübel, Fischreusen und -netze sowie Reusenstangen (Ausbildung zum Binnenfischer) bzw. Dachbahnrollen, Ziegelpakete, Dachsteine, Dachplatten, Pfetten, Sparren, Fensterelemente, Gasflaschen und Schutt (Ausbildung zum und Tätigkeit als Dachdecker), mit Gewichten zwischen 10 kg und 50 kg - teilweise allein, teilweise zu zweit - gehoben und getragen und bei der Abdichtung von Flachdächern auch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugung (Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca. 90°oder mehr; vgl. Punkt IV, Merkblatt des BMAS zur BK Nr. 2108, a.a.O.) verrichtet. Zur Frage, wann Lasten „schwer“ im Sinne der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV sind und demnach mit einem erhöhten Risiko für die Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS einhergehen, enthält das aktuelle Merkblatt des BMAS zur BK Nr. 2108 (Punkt IV, a.a.O.), das jedenfalls als Interpretationshilfe herangezogen werden kann (BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 20/14 R -, Rn. 15, juris), als Richtwerte für Männer für beidhändiges Heben 20 kg, einhändiges Heben 10 kg, beidhändiges Umsetzen 30 kg, einhändiges Umsetzen 10 kg und beidseitiges Tragen neben dem Körper, auf den Schultern oder dem Rücken 30 kg. Da es sich hierbei um bloße Orientierungswerte handelt, können jedoch auch die übrigen vom Kläger gehandhabten Lasten mit geringerem Gewicht bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen hat, nicht von vorneherein unberücksichtigt bleiben. Langjährig bedeutet, dass 10 Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (vgl. BSG, Urteil vom 06. September 2018 – B 2 U 13/17 R -, Rn. 13 m.w.N., juris).
Die Bestimmung der für die Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS erforderlichen Belastungsdosis erfolgt anhand des Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD). Hierbei handelt es sich um eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung, um die im Text der BK nach Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV mit den unbestimmten Rechtsbegriffen „langjähriges“ Heben und Tragen „schwerer“ Lasten oder „langjährige“ Tätigkeit in „extremer Rumpfbeugehaltung“ nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen zu konkretisieren (BSG, Urteile vom 06. September 2018 – B 2 U 13/17 R -, Rn. 16, und – B 2 U 10/17 R -, Rn. 19, 18. November 2008 – B 2 U 14/07 -, Rn. 25, und vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R -, Rn. 18, 22; jeweils in juris). Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder – so der Titel der Veröffentlichung von Jäger u.a. in ASUMed 1999, S. 101 ff. – ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, werden von seinen Verfassern nicht als Grenz-, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge bezeichnet (ASUMed 1999, S. 101, 109). Auch das aktuelle Merkblatt des BMAS zur BK Nr. 2108, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist, geht von bloßen Orientierungswerten aus (BArbBl. 2006, Heft 10, S. 30 ff.). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden. Umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV nicht von vornherein aus. Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier relevanten Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R -, Rn. 18, 19, und 18. November 2008 – B 2 U 14/07 -, Rn. 26, 27, jeweils in juris).
Das BSG hat daher in seinen wiederholt bestätigten Entscheidungen vom 30. Oktober 2007 und 18. November 2008 im Hinblick auf die Erkenntnisse aus der „Deutschen Wirbelsäulenstudie“ (DWS I; siehe Abschlussbericht, veröffentlicht im Internet unter www.dguv.de/inhalt/leistungen/versschutz/bk/wirbelsaeule/index.html) Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zugrunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nunmehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang einzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der DWS I zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist zumindest bei Männern auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, also auf 12,5 MNh, herabzusetzen (BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R -, Rn. 25, 18. November 2008 – B 2 U 14/07 R -, Rn. 28 bis 31, 23. April 2015 – B 2 U 6/13 R -, Rn. 17, und - B 2 U 20/14 R -, Rn. 27, sowie vom 06. September 2018 – B 2 U 13/17 R -, Rn. 17, und – B 2 U 10/17 R -, Rn. 20¸sämtlich in juris). Diese untere Grenze des Orientierungswertes hat der Kläger bei seiner versicherten beruflichen Tätigkeit in dem hier maßgeblichen Zeitraum vor Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung von September 1989 bis November 2001 mit 12,67 MNh überschritten, so dass ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS nicht auszuschließen ist.
Hinsichtlich der Höhe der Gesamtbelastungsdosis gründet der Senat seine Überzeugung auf die von ihm als zutreffend erachtete, nach dem durch die obengenannte Rechtsprechung des BSG modifizierten MDD erfolgte Berechnung durch den arbeitstechnischen DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl in seinem Gutachten vom 12. April 2019 in der Fassung der ergänzenden Stellungnahme vom 02. November 2021. Der Sachverständige hat die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gemachten Angaben des Klägers, die Aussagen der zur Dachdeckertätigkeit vom SG Potsdam gehörten Zeugen W S, U E, K N, M G M L und K Z sowie die Angaben des vom Senat zur Binnenfischertätigkeit gehörten Zeugen Fl berücksichtigt und einer Plausibilitätsprüfung u.a. durch entsprechende telefonische Befragung des ihm vom Institut für Binnenfischerei e. V. P-S empfohlenen, von 1957 bis 2006 dort tätigen Fischermeisters für Binnenfischerei E, unterzogen.
Nachvollziehbar hat der Sachverständige für die Zeit der Ausbildung und Tätigkeit als Dachdecker vom 01. Juli 1991 bis zum 10. November 2001 eine Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD von 11,45 MNh ermittelt. Insoweit hat er die vom Präventionsdienst der Beklagten in der Stellungnahme vom 06. Juni 2018 unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung des SG vom 07. März 2018 erfolgten Angaben des Klägers und der Zeugen W S, U E, K N, M G M L und K Z vorgenommene Neuberechnung der Gesamtbelastungsdosis mit 11,4 MNh bestätigt. Sowohl vom Präventionsdienst der Beklagten als auch vom Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl wurden der von den Zeugen für die Dachdeckertätigkeit ab April 1993 bestätigte Einbau von Dachfenstern wie auch die Mörtelarbeiten nunmehr in die Berechnung eingestellt. Hinsichtlich der Zimmererarbeiten (mit Heben und Tragen von 60 bis zu 85 kg schweren Pfetten bzw. Sparren) hatten die Zeugen unterschiedliche Angaben zum Anteil an der Gesamtarbeitszeit gemacht, der von 5 % (Zeugen Z und G) bis zu 20 % (Zeuge L) bzw. von sehr gering (Zeuge S) bis sehr viel (Zeuge E) reichte. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass sowohl vom Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl als auch vom Präventionsdienst der Beklagten bei der MDD-Berechnung für die Zeit ab April 1993 Zimmererarbeiten mit einem Anteil an der Gesamtarbeitszeit von 20 %, d.h. an 44 Arbeitstagen pro Jahr, berücksichtigt worden sind. Eine höhere Belastungsdosis für die Dachdeckerausbildung und -tätigkeit lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Bereits die Vernehmung der hierfür vom Kläger benannten Zeugen durch das SG zeigt, dass eine Konkretisierung der einzelnen Hebe- und Tragevorgänge und der hierbei jeweils gehandhabten Gewichte kaum möglich war, da die Zeugen nur vage und zum Teil widersprüchliche Angaben machen konnten. Ihre Aussagen verdeutlichten jedoch, dass entgegen dem ursprünglichen Vortrag des Klägers es einen stärkeren Einsatz von Hebe- und Tragehilfen in Form von Schuttrutschen, Kränen, Lastenaufzügen, Steckliften bis hin zu einem „Ziegelboy“ (Wagen zum Transport auf dem Dach, vgl. Zeuge Z) gegeben hatte. Die Annahme noch höherer Belastungen hält der Senat auch im Hinblick auf die vom Präventionsdienst der Beklagten wiederholt vorgetragenen Einwände, dass die Angaben des Klägers zu den Hebe- und Tragebelastungen während der Dachdeckerausbildung bzw. –tätigkeit zum Teil völlig unrealistisch seien, nicht für geboten. Die Dachdeckertätigkeit gehört zum Kernbereich der bei der Beklagten versicherten Tätigkeiten des Bauhauptgewerbes, über die deren Präventionsdienst aus seiner langjährigen täglichen Arbeit umfassende Kenntnisse zu Bedingungen und Arbeitsabläufen besitzt. Der Sachverständige Dipl.-Ing. Sl hat ebenfalls Zweifel an der Realitätsnähe der Angaben des Klägers zum Umfang seiner Hebe- und Tragebelastungen und zur Höhe der bewegten Lastgewichte geäußert und diese zum Teil nur im Rahmen einer „Worst case“-Betrachtung in die Berechnung aufgenommen. Hinzu kommt, dass der Vortrag des Klägers während des gerichtlichen Verfahrens sich als inkonsistent und wenig belastbar gezeigt hat. Zum Bsp. hatte er zur Begründung seiner Klage noch angegeben, während seiner Ausbildung an der Bauschule Flachdächer mit Bitumen eingedeckt und die Bitumen-Rollen eigenhändig aufs Dach getragen zu haben. Beim Dachabriss sei bei der Firma St der Schutt per Hand mit einem Eimer runtergetragen worden. Bei seiner Anhörung durch das SG am 07. März 2018 hatte der Kläger dann diese Angaben wieder relativiert und mitgeteilt, dass es während der Ausbildung in der Bauschule an den Großbaustellen jeweils ein Gerüst sowie Lastenaufzüge gegeben habe und die Arbeitsmaterialien schon auf dem Dach gelagert hätten. Die Auszubildenden hätten im Wesentlichen nur sehen sollen, wie es geht. Bei der Fa. St hätten sie in der Anfangszeit ein Förderband, später auch Aufzüge und Umlenkrollen mit Seilen zur Handhabung der Lasten gehabt. Zudem seien Schuttrutschen zum Einsatz gekommen. Eine Rüstung sei nicht immer vorhanden gewesen, je nachdem ob der Chef gesagt habe, sie kämen mit der Leiter rauf z.B. bei Eigenheimen von ca. 3 m Höhe. Bei der Fa. R hätten sie Gerüste, einen Kran, einen Aufzug und Schuttrutschen gehabt. Zudem sei bei der Fa. R auch viel mit den am Kran befestigten Schuttmulden gearbeitet worden
Für den Senat ebenfalls nachvollziehbar hat der Sachverständige für die Zeit der Ausbildung des Klägers zum Binnenfischer im VEB Binnenfischerei P und im Fischereibetrieb S und Fl in B an der H vom 01. September 1989 bis zum 30. Juni 1991 eine Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD von 1,22 MNh ermittelt. Hierbei hat er die Angaben des Klägers sowie des Zeugen Fl im Erörterungsterm des Senats vom 27. Juli 2021 wie auch die Angaben des Klägers bei seiner weiteren Befragung durch den Sachverständigen vom 11. August 2021 (vgl. das vom Kläger unterzeichnete Gesprächsprotokoll vom 16. bzw.19. August 2021) weitestgehend zugunsten des Klägers berücksichtigt. Dabei hat er nur die Zeit der tatsächlichen praktischen Ausbildung in den Betrieben und nicht den ca. 12 Wochen (= 60 Tage) pro Jahr umfassenden Berufsschulunterricht incl. Prüfungszeiten angesetzt und die jahreszeitlichen Besonderheiten (z.B. in der Teichwirtschaft beim VEB Binnenfischerei das Abfischen und Umsetzen der Fische von September bis Mitte November sowie Ausliefern der Fische von Mitte November bis zum Jahresende bzw. die Reusenfischerei von Frühjahr bis Herbst, die Stellnetzfischerei im Winter etc.) berücksichtigt. Zudem hat er bei Bildung der Belastungsdosis nur die Belastungen einbezogen, die die zu fordernde Mindestdruckkraft pro Verrichtung von 2.700 N erreichten. Für die berufspraktische Ausbildung beim VEB Binnenfischerei P(Abfischen mit Schleppnetzen, Boote umsetzen, Auslieferung der Fische, Wartungsarbeiten <September bis November>, Reusenstangen be- und entladen, Faschinen binden, Faschinen be- bzw. entladen, Schilfrohr schneiden, Schilfrohr verladen, Reusen stellen, Reusen überprüfen und leeren, Netze trockenlegen, Wartungsarbeiten) und beim Fischereibetrieb Fl (Reusen stellen, Netze trockenlegen, Reusen abbauen, Reusen überprüfen und leeren, Reusen überprüfen, leeren und Transportfahrten, Stellnetzfischerei, Reusenstangen be- und entladen, Räucherholz verladen, Wartungsarbeiten) hat er jeweils eine Belastungsdosis von 0,61 MNh errechnet. Soweit der Kläger in seinen Schriftsätzen vom 15. Februar 2022 und 20. April 2022 eingewandt hat, die Gewichte der für die Herstellung von Reusenstangen gefällten Bäume wie auch das Gewicht der fertigen Reusenstangen seien – zumindest teilweise – viel zu niedrig angesetzt, vermag dies den Senat aus den vom Sachverständigen in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 02. November 2021 und 18. März 2022 genannten Gründen nicht zu überzeugen. Zutreffend hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass der Zeuge Fl bei seiner Anhörung im Erörterungstermin des Senats angegeben hatte, dass die Reusenstangen nach seiner Schätzung eine Länge von 5 bis 7 m und einen Durchmesser von 15 cm gehabt hätten. Zudem hatte der Zeuge bekundet, die im Wald für die Fertigung von Reusenstangen gefällten Bäume hätten nach dem Entasten, d.h. die Stämme mit Rinde, ein Gewicht von 40 bis 50 kg gehabt. Ausgehend von den vom Zeugen genannten Maßen (maximal 7 m Länge, 15 cm Durchmesser) lässt sich nach dem Stammgewichtsrechner ein maximales Lastgewicht für Fichten-/Kiefernholz von 99 kg (saftfrisch) bzw. 56/66 kg (lufttrocken) ermitteln. Bei der weiteren Befragung durch den Sachverständigen hatte der Kläger dann angegeben, dass die für die Anfertigung von Reusenstangen geschlagenen Bäume eine Länge bis zu 10 m und einen Durchmesser von 10 bis 12 cm gehabt hätten (vgl. das vom Kläger unterzeichnete Gesprächsprotokoll vom 16./19. August 2021). Hieraus lässt sich nach dem Stammgewichtsrechner für Fichten/Kiefern ein Lastgewicht von maximal 90 kg (saftfrisch) ermitteln. Der vom Sachverständigen zur Plausibilisierung dieser Angaben befragte, über seine von 1956 bis 2006 beim Institut für Binnenfischerei e. V. P-S ausgeübte Tätigkeit mit der Binnenfischerei sowohl zu DDR- als auch zu Nachwendezeiten bestens vertraute Fischermeister für Binnenfischerei E hatte diesem jedoch mitgeteilt, dass die Reusenstangen am oberen Ende ca. 3 cm und am unteren Ende ca. 8 cm dick seien und ein Gewicht von 4 bis 5 kg im trockenen Zustand hätten. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige zur Ermittlung des Gewichts der Reusenstangen eine durchschnittliche Länge von 7 m und einen mittleren Durchmesser von 6 cm zugrunde gelegt hat, was nach dem Stammgewichtsrechner ein Lastgewicht für Fichten- bzw. Kiefernholz von ca. 16 kg (frisch geschlagen), 25 kg (nass) und 9,5/11 kg (trocken) ergibt. Zu Recht weist der Sachverständige darauf hin, dass auch die ihm vom Kläger vorgelegten und von ihm in der ergänzenden Stellungnahme vom 02. November 2021 zur Veranschaulichung eingearbeiteten Fotos keine größeren Ausmaße der Reusenstangen belegten. Mit dem Sachverständigen sind die nunmehrigen Angaben des Klägers, die im Wald zur Fertigung von Reusenstangen geschlagenen Bäume bzw. Baumstämme seien bis zu 14 m lang gewesen und hätten unten einen Durchmesser von bis zu 20 cm gehabt, als wenig plausibel zu bezeichnen. Warum sollten Bäume mit derartigen Abmessungen, wie sie nun vom Kläger angegeben werden, durch Handarbeit auf einen Durchmesser von ca. 6 bis 8 cm reduziert worden sein? Nach den bisherigen Angaben des Klägers und des Zeugen sind die Baumstämme nach dem Entasten nur noch entrindet und an einem Ende mit der Axt zugespitzt worden. Aus den vom Sachverständigen zur Verdeutlichung des Arbeitsschrittes Entrinden vorgelegten Bildern aus der Forstwirtschaft ist erkennbar, dass die Rinde von Kiefern nur wenige Millimeter dick ist, was eine Reduzierung des Stammdurchmessers von bis zu 20 cm auf ca. 6 cm durch das Entrinden unplausibel macht. Der Senat vermag auch die weiteren Überlegungen des Sachverständigen hierzu nachzuvollziehen, dass - sofern in Ausnahmefällen Bäume mit vergleichbaren Abmessungen, wie vom Kläger jetzt angegeben, - gefällt worden sein sollten, diese ebenfalls an Ort und Stelle entastet und auf die erforderliche Länge zugeschnitten worden sein dürften. Allenfalls sei in solchen Fällen der obere (dünnere) Teil der Kiefer als Reusenstange und der untere (dickere) Teil eventuell als Feuerholz benutzt worden.
Es mag wohl zutreffen, dass der Kläger in einem Fischereibetrieb die im Schriftsatz vom 20. April 2022 vorgelegten Fotos zu Roh-Reusenstangen und fertigen Reusenstangen in unterschiedlicher Länge und Breite aufgenommen hat. Diese taugen jedoch nicht zum Nachweis der konkreten Verhältnisse während seiner Ausbildung in den Jahren 1989 bis 1991. Das Ergebnis des vom Kläger angestellten Versuches der Gewichtsmessung einer – nach seinen Angaben - 4 m langen, geschälten und trockenen Stange mit einem Durchmesser an der Spitze von etwa 8 cm, zeigt mit einem Gewicht von 9,51 kg ein letztlich mit den Einschätzungen des Sachverständigen vergleichbares Ergebnis.
Abgesehen davon, hat der Senat grundsätzlich Bedenken, uneingeschränkt die Angaben des Klägers zu seinen Hebe- und Tragebelastungen der Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 zugrunde zu legen. Der Vortrag des Klägers im Verlauf des Verfahrens ist von Inkonsistenzen gezeichnet. Zum Bsp. hat der Kläger (Schriftsatz vom 24. Juni 2019) zunächst behauptet, während der Ausbildung zum Binnenfischer seien an 50 Tagen werktäglich 30 t Fische (3 Fuhren á 10 t) unter seiner Mitwirkung (in 50 kg schweren Fischkübeln, zu zweit gehoben und getragen) ausgeliefert worden. Bei seiner Anhörung im Erörterungstermin des Senats vom 27. Juli 2021 wie auch bei der telefonischen Befragung durch den Sachverständigen am 11. August 2021 (vom Kläger unterzeichnetes Gesprächsprotokoll vom 16./19. August 2021) hat er dann erklärt, beim VEB Binnenfischerei nach dem Abfischen der Teiche ab Mitte November bis ca. Silvester zweimal die Woche mit zum Ausliefern der Fische an die Fischgeschäfte gefahren zu sein. Die Fische seien in Kübeln mit ca. 30 bis 50 kg Fisch zu zweit auf den Lkw geladen worden, wobei nicht nur der Fahrer und er selbst, sondern auch andere Mitarbeiter mit angepackt hätten. Vor Ort seien die Kübel dann zu zweit ins Geschäft getragen und in die jeweiligen Fischbehälter ausgeleert worden. Zur Auslieferung der Fische hätten sich 4 Becken auf dem Lkw und 3 Becken auf dem Anhänger, die jeweils mit 500 bis 600 kg Fisch befüllt waren, befunden. Daher sei es eine lange Runde gewesen, bis die Auslieferung beendet war. Folglich waren unter seiner Mitwirkung erheblich weniger Fische (nur ca. 3,5 t - 4,2 t täglich) und dies auch nur an jeweils 2 Tagen pro Woche ausgeliefert worden. Auch der wechselnde Vortrag des Klägers zum Umfang des Hebens und Tragens schwerer Lasten bei seiner Tätigkeit als Friedhofsarbeiter erweckt den Eindruck, den jeweiligen Erkenntnissen zur rechtlichen Bedeutung der Belastung angepasst worden zu sein. So hatte der Kläger zur Begründung seiner Klage noch mit Blick auf den im Vordergrund stehenden Streit über die Gesamt-Lebensdosis bzw. das Nichterreichen des hälftigen Orientierungswertes nach dem MDD angegeben, der Präventionsdienst der LBG habe seine rückenbelastenden Tätigkeiten als Friedhofsarbeiter nur unzureichend berücksichtigt. Er hebe 130 bis 140 Urnenstellen im Jahr mit dem Erdlochbohrer (= 20 bis 30 kg Gewicht) aus und entleere die Erde in eine Schubkarre; er räume nicht nur die Pflanzen ab, sondern steche auch den (schweren) Wurzelballen mit aus; er entsorge nicht nur den Plastikmüll, sondern auch den (schwereren) Industriemüll. Zudem hebe er mit der Forke den (schweren) Grünschnitt auf das 3 m hohe Multicar. Erst nach dem der Präventionsdienst der Beklagten in seinen weiteren Berechnungen eine Gesamtbelastungsdosis oberhalb des hälftigen Orientierungswertes ermittelt hatte und die Frage der Aufgabe der belastenden Tätigkeiten mehr in den Fokus des Rechtsstreites gerückt war, hat der anwaltlich vertretene Kläger mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 - entgegen seiner bisherigen Klagebegründung – vorgetragen, dass das „technikunterstützte Ausheben von Urnengräbern nur von kurzer Dauer sei und keine gefährdende Tätigkeit darstelle“ und die Tätigkeit so leicht sei, dass er sie nicht als belastend wahrnehme. Er hat auf seine Angaben bei der erneuten Befragung durch den Präventionsdienst der LBG vom 24. Mai 2018 verwiesen, wonach alle schweren Lasten (Verladen von Grabsteinen und Betonresten etc.) wie auch die Grabpflege von den behinderten Mitarbeitern des F heimes und nicht von ihm vorgenommen würden.
Im Übrigen möge sich der Kläger vergegenwärtigen, dass auch bei Annahme von höheren Gewichten im Zusammenhang mit dem Be- und Entladen der Roh-Reusenstangen (Stämme) bzw. von Stämmen für Feuerholz im Winter, dies im Hinblick auf den nur sehr geringen zeitlichen Anteil (1 bis 2 Wochen pro Jahr) an der nur 2-jährigen Ausbildung zum Binnenfischer kaum zu einer wesentlichen Erhöhung seiner Gesamtbelastungsdosis von 12,67 MNh führen dürfte.
Der Kläger erfüllt jedoch nicht die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV und der bei ihm vorliegenden bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.
Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen. Nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger auch schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs nicht begründen (vgl. Merkblatt zur BK 2108; a. a. O.); vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG, Urteil vom 06. September 2018 – B 2 U 13/17 R -, Rn. 19, juris). Hierfür ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand maßgeblich.
Bei der Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sind die Konsensempfehlungen (Trauma und Berufskrankheit, 2005, Heft 3 S. 211 ff.) zu Grunde zu legen. Die Heranziehung der Konsensempfehlungen ist eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob ein Bandscheibenschaden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde. Denn die Konsensempfehlungen stellen weiterhin eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands dar (BSG, Urteile vom 06. September 2018 – B 2 U 13/17 R-, Rn. 20, und vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R, B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R -, sämtich in juris). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des SGB VII begegnet daher deren Anwendung keinen Bedenken.
Grundvoraussetzungen für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs sind gemäß Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen (a.a.O. S. 116)
- eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, wobei der
bildgebend darstellbare Bandscheibenschaden seiner Ausprägung nach
altersuntypisch sein muss
- eine ausreichende berufliche Belastung, wobei diese eine plausible zeitliche
Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweisen
muss (z.B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen;
Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des
Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der
Erkrankung ab).
Nach den Konsensempfehlungen (Punkt 1.4; a.a.O. S. 217 f) ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV bei einem Betroffensein der unteren LWS-Segmente anzunehmen, wenn
- die bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und
- es sich bei der bandscheibenbedingten Erkrankung um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall handelt und
- die Voraussetzungen der Befundkonstellation
- B1 gegeben sind, also
- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und
- eine Begleitspondylose vorliegt oder
- B2 gegeben sind, also
- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und
- eine Begleitspondylose nicht vorliegt und
- zusätzlich
- eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben
vorliegt (bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5
black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden
Segmenten) oder
- eine besonders intensive Belastung (Anhaltspunkt: Erreichen des
Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) oder
- ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen
(Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes nach dem
Mainz-Dortmunder Dosismodell durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab
4,5 kN; Männer ab 6,0 kN)
vorliegt,
- B4 gegeben sind, also wie Befundkonstellation B2, aber mit Bandscheiben-
schaden an der Halswirbelsäule, der schwächer ausgeprägt ist als an der
Lendenwirbelsäule,
- B7 gegeben sind, also wie Befundkonstellation B1, aber mit Bandscheiben-
schaden an der Halswirbelsäule, der gleich stark ausgeprägt ist wie an der
Lendenwirbelsäule oder
- B9 gegeben sind, also wenn wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren
erkennbar sind, eine Begleitspondylose vorliegt und die konkurrierenden
Krankheitsursachen das Schadensbild nicht durch eine überragende Qualität
erklären.
Ferner bestand nach den Konsensempfehlungen kein Konsens für die Beurteilung einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV bei einem Betroffensein der unteren LWS-Segmente, wenn die Befundkonstellation B3 (wie Befundkonstellation B2, „aber keines der unter B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt“) gegeben ist, also die bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und es sich bei der bandscheibenbedingten Erkrankung um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall handelt sowie wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und eine Begleitspondylose nicht vorliegt, aber weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben (bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten), noch eine besonders intensive Belastung, noch ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen vorliegt.
Nach den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. W-R im Gutachten vom 28. Oktober 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. Dezember 2021 ist eine Verursachung der beim Kläger bestehenden monosegmentalen Bandscheibenerkrankung bei L5/S1 durch die beruflichen Belastungen im Sinne der BK Nr. 2108 nicht hinreichend wahrscheinlich. Da hier die Belastungen aus der selbstständigen Tätigkeit, die keine versicherte Tätigkeit nach §§ 2,3 und 6 SGB VII darstellt, nicht berücksichtigt werden können, fehlt es zwischen der letzten versicherten Tätigkeit (Anfang November 2001) und der Manifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung (Dezember 2007) schon an einem engen zeitlichen Zusammenhang. Hinzu kommt, dass beim Kläger ein Belastungsumfang nur im Bereich der unteren Grenze des Orientierungswertes nach dem MDD festgestellt werden kann. Auch beurteilte der Sachverständige Dr. W-R die Schadensverteilung als nicht typisch für berufsspezifische Einflüsse. Er vermochte anhand der bildgebenden Befunde und seiner eigenen Untersuchung des Klägers zwar weder konkurrierende (körperliche) Ursachen (außer genetischer Disposition) noch vergleichbare, krankhafte Veränderungen an der Hals- und Brustwirbelsäule festzustellen, aber auch keine – über das Altersmaß hinausgehende – Begleitspondylose im Sinne der Kriterien der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4, a.a.O. S. 216). Daher ist mit dem Sachverständigen eine den Ursachenzusammenhang befürwortende Konstellation B1, wie auch die weiteren, eine Begleitspondylose erfordernden Konstellationen B7 und B9, nach den Konsensempfehlungen auszuschließen.
Ebenso wenig sind die für einen Ursachenzusammenhang sprechenden Voraussetzungen (Zusatzkriterien) für die Befundkonstellation B2 beim Kläger erfüllt.
Nach der für den Senat schlüssigen Beurteilung des Sachverständigen Dr. W-R liegen beim Kläger weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an „mehreren“ Bandscheiben oder bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 „black discs“ im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten vor, so dass die Voraussetzungen des 1. Zusatzkriteriums nicht erfüllt sind.
Anhand der Ergebnisse der arbeitstechnischen Ermittlungen kann beim Kläger auch keine besonders intensive Belastung im Sinne des 2. Zusatzkriteriums festgestellt werden. Dies erfordert nach den Konsensempfehlungen das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.
Den Richtwert für die Lebensdosis durch langjähriges schweres Heben und Tragen von Lasten bzw. langjähriges Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, bei dem nach aktuellem Stand ein erhöhtes Risiko für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS anzunehmen ist, erreicht der Kläger nach den Berechnungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl im Gutachten vom 12. April 2019 in der Fassung der ergänzenden Stellungnahmen vom 02. November 2021 wie auch nach den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Stellungnahme vom 06. Juni 2018) nicht in weniger als 10 Jahren. Ebenso wie die Beklagte bzw. der Präventionsdienst der Beklagten und der Sachverständige Dipl.-Ing. Sl legt der Senat dabei als Richtwert für die Mindest-Lebensdosis im Sinne des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 den Richtwert nach dem Original-MDD für Männer von 25 MNh zu Grunde. Dieser Wert ist auch unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R) weiterhin anzuwenden. Das BSG hat in dieser Entscheidung das Unterschreiten des halbierten MDD-Orientierungswertes, also ein Unterschreiten von 12,5 MNh, als „Abschneidekriterium“ festgelegt, das dazu führt, dass ohne medizinische Ermittlungen bereits alleine wegen der Nichterfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen eine BK Nr. 2108 zu verneinen ist. Dieser von dem BSG entwickelte Mindestbelastungswert als Maßstab einer Untergrenze für die Notwendigkeit der Aufnahme medizinischer Ermittlungen lässt sich nicht auf das spezielle Beurteilungskriterium der „besonders intensiven Belastung“ übertragen, welches auf dem in den Konsensempfehlungen erzielten (medizinischen) Konsens der Experten beruht (so bereits der erkennende Senat in seinem Urteil vom 06. Mai 2010 – L 3 U 19/06 -, Rn. 77, juris; LSG Berlin-Brandenbur, Urteil vom 20. Januar 2023 - L 21 U 113/19 -. zur Veröffentlichung in juris vorgesehen Urteile des Bayerischen LSG vom 23. März 2022 – L 3 U 297/17 -, Rn. 78 bis 81, des LSG für das Saarland vom 21. Oktober 2020 – L 7 U 18/18 -, Rn. 62 ff. , des Hessischen LSG vom 23. Januar 2017 - L 9 U 111/14 -, Rn. 50 bis 53, und 04. Mai 2021 - L 3 U 70/19 -, Rn. 45, sowie des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09. November 2017 – L 15 U 692/15 –, Rn. 35, jeweils in juris m.w.N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 537 f.; Kranig, „Die Krux mit dem Kreuz - Anmerkungen zu den Urteilen des BSG vom 23. April 2015 zur Berufskrankheit Nr. 2108“, SGb 2016, S. 504 ff., 509; Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Stand März 2022, M 2108, Anmerkung 6.2.2, S. 58). Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 23. April 2015 (B 2 U 10/14 R, juris) zwar die von dem LSG Sachsen (Urteil vom 28. Januar 2014 - L 6 U 111/11 -, juris) auch im Hinblick auf das 2. Zusatzkriterium der B2 Konstellation vorgenommene Halbierung des MDD-Orientierungswertes auf 12,5 MNh nicht beanstandet. Es hat dabei aber auf die diesbezüglich unterschiedlichen Meinungen in Rechtsprechung und Literatur hingewiesen und ausgeführt, dass nicht erkennbar sei, dass der vom LSG Sachsen zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der „besonders intensiven Belastung“ offenkundig falsch sei oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen werde. Es bestehe zwar - so das BSG - aufgrund des durchaus kontroversen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK Nr. 2108 die Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen könnten, dies müsse dann jedoch jeweils revisionsrechtlich akzeptiert werden. Abgesehen davon, ist im vorliegenden Fall des Klägers noch nicht einmal der hälftige MDD-Lebensdosis-Richtwert in weniger als 10 Jahren erreicht, da sich selbst im belastungsstärksten Zeitraum von November 1991 bis Oktober 2001 nur eine Belastungsdosis von aufgerundet 11,2 MNh (Dachdeckertätigkeit April 1993 bis Oktober 2001 = 10,1 MNh, Dachdeckerausbildung November 1991 bis April 1993 = 1,1 MNh) ergibt.
Bei dem Kläger ist nach dem Ergebnis der arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen auch kein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des 3. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 festzustellen.
Zwar sind nach den schlüssigen Berechnungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl im Gutachten vom 12. April 2019 in der Fassung der ergänzenden Stellungnahme vom 02. November 2021 wie auch nach den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten in der Stellungnahme vom 06. Juni 2018 hohe Belastungsspitzen während der versicherten Tätigkeit des Klägers als Dachdecker bei der Fa. St von April 1993 bis Februar 1997 beim Richten von Dachstühlen ohne Hebe- und Transporthilfen an jeweils 44 Arbeitstagen pro Jahr aufgetreten. Nachvollziehbar hat der Sachverständige Dipl.-Ing. Sl hierzu dargelegt, dass sich beim Heben und Absetzen von Pfetten oder Sparren mit Lastgewichten zwischen 60 und 85 kg jeweils hohe Belastungsspitzen, d.h. Druckkräfte ab 6 kN ergaben, die an 44 Arbeitstagen pro Jahr jeweils in der Summe die Hälfte des MDD-Tagesdosisrichtwertes für Männer von 2,75 kNh erreichten bzw. überschritten. Jedoch hat nach Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen (a.a.O., S. 217) das Fehlen einer Begleitspondylose nur dann keine negative Indizwirkung, wenn sich bei beruflichen Belastungen die Gefährdung „hauptsächlich“ aus wiederholten Spitzenbelastungen ergibt. Dies kann hier, wie auch vom medizinischen Sachverständigen Dr. W-R letztlich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. Dezember 2021 bestätigt, nicht erkannt werden.
Der unbestimmte Begriff „hauptsächlich“ ist in den Konsensempfehlungen nicht weiter definiert. Nach der vom Senat bei der Geschäftsstelle der Konsensusgruppe beim DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. eingeholten Auskunft vom 25. August 2021 ließen sich in den Sitzungsprotokollen der Arbeitsgruppe bzw. der Unterarbeitsgruppen der Konsensgruppe zu der Frage, was genau unter „hauptsächlich“ zu verstehen ist bzw. welchen Anteil die hohen Belastungsspitzen an der Gesamt-Lebensdosis der beruflichen Belastungen i.S. der BK Nr. 2108 haben müssen, keinerlei Hinweise finden. Lediglich die Diskussion um die Fassung des 3. Zusatzkriteriums bzw. der konkreten Bezeichnung „hohe Belastungsspitzen“ findet sich in den auszugsweise vorgelegten Protokollen wieder. Ebenso wenig konnte das IFA Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Auskunft über wissenschaftliche Erkenntnisse geben, die von der Konsensgruppe seinerzeit herangezogen worden waren und aus denen sich evtl. der Umfang der notwendigen Arbeitsschichten bzw. des Anteils an der Gesamt-Lebensdosis, bei denen des 3. Zusatzkriterium der Konstellation B2 als erfüllt angesehen werden könnte, ergibt. Weder verfügt das Institut für Arbeitsschutz der DGUV über neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu, noch konnte man zur Problematik der unterschiedlichen Interpretation des unbestimmten Begriffs „hauptsächlich“ in der Rechtsprechung eine Lösung anbieten (vgl. Auskunftsschreiben vom 17. September 2021).
Nach der vom Senat als zutreffend erachteten Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen (vgl. das von der Beklagten vorgelegte – nicht in juris veröffentlichte - Urteil vom 26. April 2018 - L 14 U 265/15 -, Seite 11 f.) kann bei einem nur geringen Anteil der Spitzenbelastungen an den Gesamtbelastungen der beruflichen Tätigkeit (von unter einem Viertel: vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. Juli 2016 - L 3 U 24/11 ZVW -, Rn. 33, BeckRS 2016,115375) nicht vom Vorliegen des 3. Zusatzkriteriums ausgegangen werden, weil nach dem Wortlaut der Konsensempfehlungen („hauptsächlich“) gelegentliche und/oder nur vorübergehende Spitzenbelastungen noch nicht mit einem besonderen Gefährdungspotential im Sinne der BK Nr. 2108 verbunden sind (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. April 2015 – L 15 U 211/13 -, Rn. 28, juris: kein besonderes Gefährdungspotenzial bei lediglich 53 Tagen im Jahr im Rahmen einer Ausbildung zum Heizungs- und Lüftungsbauer sowie lediglich 66 Tage im Jahr im Rahmen der sich anschließenden 17,4 jährigen Belastungszeit als Geselle).
Was unter dem – wissenschaftlich nicht quantifizierten – Begriff „hauptsächlich“ zu verstehen ist, d.h. auf welchen prozentualen Anteil der hohen Belastungsspitzen gemessen an der Gesamtbelastungsdosis bzw. auf wie viele Arbeitsschichten pro Belastungsjahr abzustellen ist, wird in der Literatur und von den Unfallversicherungsträgern unterschiedlich beantwortet. Aus medizinischer Sicht müssen die Belastungsspitzen jedoch in einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgen, damit sich der Körper nicht zwischenzeitlich regenerieren kann. Denn Belastungsspitzen werden deswegen als besonders gefährdend angesehen, weil hierbei eine direkte Schädigung der Bandscheibe durch Mikrotraumatisierung in Betracht gezogen und damit ein anderer Pathomechanismus beschrieben wird, als bei den belastenden Tätigkeiten im Übrigen, die zu einer indirekten Schädigung der Bandscheibe über durch dauernde Kompression ausgelöste Stoffwechselreduzierung (sog. Ernährungs- und Diffusionsstörung) führen und deswegen bei fehlender Regelmäßigkeit eine Regeneration eintreten kann (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., Anmerkung 5.1 S. 42). In der wissenschaftlichen Gutachtenliteratur wird hierzu vertreten, dass die hohen Belastungsspitzen 35 % des MDD-Orientierungswertes für die Lebensdosis (vgl. Grosser in: K.-D. Thormann/ V. Grosser/ F. Schröter, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 3. Aufl. 2019, S. 382; Grosser in: Grosser, Schiltenwolf, Thormann, Berufskrankheit „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule“ (BK 2108), Referenz-Verlag, 2014, S. 92; V. Grosser, 20 Jahre Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule (BK 2108), ASUmed 2014, S. 167 ff., 171) oder sogar einen überragenden (überwiegenden) Anteil an der beruflichen Tätigkeit haben müssen (vgl. Ludolph/Meyer-Clement, Begutachtung chirurgisch-orthopädischer Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen, 1. Aufl. 2019, Kapitel 11 Die Berufskrankheit Nr. 2108, S. 215). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass sich die Mitarbeiter der Konsens-Arbeitsgruppe bezüglich dieses Merkmals auf Ergebnisse der Begutachtung von Pflegekräften im Forschungsprojekt, welches seinerzeit von der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg in Auftrag gegeben worden war, bezogen habe. Im Kollektiv der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen hätten sich gehäuft monosegmentale Bandscheibenschäden ohne Begleitspondylosen gefunden. Die Tätigkeit der Pflegekräfte sei hauptsächlich geprägt durch hohe Spitzenbelastungen, die sich insbesondere auf die beiden unteren Segmente der LWS (L4 bis S1) auswirkten. Aus biomechanischer Sicht erkläre sich das Fehlen der Begleitspondylosen dadurch, dass bei hohen Spitzenbelastungen die Bandscheibe Schaden nehme, bevor das Wirbelsegment durch Ausbildung einer Spondylose reagieren könne. Bei Schwerarbeitern, also bei dauerhaft schwer arbeitenden Probanden, werde ein mehrsegmentales Schadensbild und insbesondere eine Begleitspondylose erwartet. Außerhalb der Pflegeberufe kämen Spitzenbelastungen in besonders hoher Anzahl noch bei Hafenarbeitern und bei Gerüstarbeitern vor. Im Baugewerbe seien Spitzenbelastungen ansonsten eher die Ausnahme bzw. die Tätigkeit werde nicht hauptsächlich durch Spitzenbelastungen geprägt (vgl. Ludolph/Meyer-Clement, a.a.O.; Grosser in: K.-D. Thormann/ V. Grosser/ F. Schröter, a.a.O., S. 382). Während die BGW, ausgehend von den Ergebnissen der von ihr veranlassten Studie, das Erfordernis „hauptsächlich“ bei einem Anteil der hohen Belastungsspitzen am MDD-Orientierungswert für die Lebensdosis für Männer (25 MNh) von 35 % (= 8,75 MNh) als erfüllt ansieht (vgl. Ludolph/Meyer-Clement, a.a.O.), sieht die Beklagte das Merkmal „hauptsächlich“ als erfüllt an, wenn in einem Zeitraum von mindestens 10 Jahren jeweils an 60 Arbeitstagen (-schichten) pro Jahr besonders hohe Belastungsspitzen (Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosisrichtwertes für Männer vom 2,75 kNh durch Belastungsspitzen mit Druckkräften ab 6 kN und größer) festzustellen sind.
Vorliegend kann jedoch dahinstehen, ob der Begriff „hauptsächlich“ einen prozentualen Anteil der Summe der besonders hohen Belastungsspitzen an der Gesamt-Lebensdosis nach dem MDD (25 MNh) oder an dem hälftigen Orientierungswert nach dem MDD (12,5 MNh) oder an der konkreten Gesamtbelastungsdosis (hier 12,67 MNh) von mindestens 50 (und mehr) oder nur einen prozentualen Anteil der Summe der besonders hohen Belastungsspitzen an der Gesamt-Lebensdosis nach dem MDD (25 MNh) von mindestens 35 (= 8,75 MNh) oder von 25 (einem Viertel = 6,25 MNh) erfordert. Denn die beim Kläger im Vollbeweis gesicherten hohen Belastungsspitzen i.S. des 3. Zusatzkriteriums lagen nur während eines Zeitraums von gerundet 3,83 Jahren an 44 Arbeitstagen pro Jahr vor, was nach den Berechnungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Sl einer Teildosis von 0,725 MNh entspricht, also einem Anteil an der Gesamt-Lebensdosis nach dem MDD (25 MNh) von 2,9 % bzw. an dem hälftigen Orientierungswert nach dem MDD (12,5 MNh) von 5,8 % oder an der konkreten Gesamtbelastungsdosis (hier: 12,67 MNh) von 5,7 %. Selbst wenn man, so der Sachverständige Dipl.-Ing. Sl, den ursprünglich von der Beklagten (vor Auswertung der Zeugenaussagen zur Dachdeckertätigkeit) zugunsten des Klägers noch angenommenen Umfang an hohen Belastungsspitzen mit 60 Arbeitstagen pro Jahr in der Zeit von April 1993 bis Februar 1997 berücksichtigen würde, was einer Teil-Dosis von 0,988 MNh entspräche, ergäbe dies nur einen geringen Anteil an der konkreten Gesamtbelastungsdosis (hier: 12,67 MNh) von 7,8 % bzw. an der Gesamt-Lebensdosis nach dem MDD (25 MNh) von 3,9 % bzw. an dem hälftigen Orientierungswert nach dem MDD (12,5 MNh) von 7,9 %. Ein so geringer, noch nicht einmal 10 % des hälftigen Orientierungswertes nach dem MDD erreichender Anteil der hohen Belastungsspitzen, liegt so weit von dem Begriff „hauptsächlich“ entfernt, dass auch nach der Beurteilung des medizinischen Sachverständigen Dr. W-R eine relevante Einwirkung auf die Bandscheiben des lumbo-sacralen Überganges nicht wahrscheinlich ist.
Liegen beim Kläger keine hohen Belastungsspitzen im Sinne der Konstellation B2 (wie auch der Konstellation B4) vor, spricht bei dem gegebenen monosegmentalen Befund ohne weitere Zusatzkriterien deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung. Es besteht allenfalls eine Konstellation B3, für die hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Verursachung kein Konsens unter den die Konsensempfehlungen erstellenden Medizinern gegeben ist (vgl. Konsensempfehlungen, a. a. O., S. 217).
Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann allerdings nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Vielmehr ist es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend festzustellen, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (BSG, Urteile vom 23. April 2015 – B 2 U 6/13 R -, Rn. 26, und 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R -, Rn. 52, jeweils in juris). Vorliegend vermochte der medizinische Sachverständige Dr. W-R in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. Dezember 2021 keine individuellen, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände, die im Falle des Klägers den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen, aufzuzeigen. Vielmehr hat der Sachverständige unter Bezugnahme auf die von M. Kentner und K. Frank im Einzelnen aufgezeigten methodischen Schwächen und widersprüchlichen Ergebnisse der erweiterten Auswertung der DWS (DWS II) (vgl. M. Kentner und K. Frank, Kommentar zu DWS II-Studie und Implikationen hinsichtlich BK 2108, ASUmed 2015, 584 ff., bzw. M. Kentner und K. Frank, Die Urteile des Bundessozialgerichts zur BK 2108 aus dem Jahr 2015 vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie II, MedSach 2016, 112 ff.) dargelegt, dass eine neue Risikoverdopplungsdosis oder neue medizinische Kriterien für die Zusammenhangsbeurteilung bei der BK Nr. 2108 nicht abgeleitet werden könnten. Die Ergebnisse aus der DWS und ihrer Nachauswertung stünden nicht im Einklang mit der bisherigen epidemiologischen Gesamtevidenz und seien biologisch auch wenig plausibel. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, dass auch der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim BMAS (vgl. jetzt § 9 Abs. 1a SGB VII n.F.) nach Vorstellung der Ergebnisse der DWS II beschlossen hat, nicht in Beratungen zur (Neufassung bzw. Anpassung der Tatbestandsmerkmale der) BK Nr. 2108 einzutreten, da weiterer Forschungsbedarf gesehen wurde (vgl. Rundschreiben des DGUV – RS 0494/2014 – vom 17. Dezember 2014).
Im Übrigen sprechen die individuell beim Kläger gegebenen Umstände auch nach Auffassung des Sachverständigen Dr. W-R schon gegen eine wesentliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS durch die berufliche Belastung mit schwerem Heben und Tragen. Der Sachverständige verweist hierzu auf den langen zeitlichen Abstand zwischen dem Ende der versicherten belastenden Tätigkeit Anfang November 2001 und der Erstmanifestation der Erkrankung im Dezember 2007 sowie das nicht belastungstypische Schadensbild (monosegmentaler Schaden bei L5/S1). Zwar hat er keine konkurrierenden Erkrankungen bzw. Freizeiteinflüsse gesehen. Zu Bedenken ist aber, dass der Kläger konkurrierenden Belastungen mit schwerem Heben und Tragen während seiner mehrjährigen nichtversicherten Tätigkeit als selbstständiger Dachdecker von 2003 bis Dezember 2007 ausgesetzt gewesen war, die sich – kumulativ – auf das dann 2007 entstandene Schadensbild ausgewirkt haben können.
Da hier - unabhängig von der Frage der Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit - bereits keine durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten und/oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verursachte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS beim Kläger festzustellen war, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abzuändern, die Klage auch im Übrigen abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da der Senat der Frage der Relevanz des Umfanges hoher Belastungsspitzen („hauptsächlich“) im Sinne des 3. Zusatzkriteriums bei der Konstellation B2 nach den Konsens-Empfehlungen für die Annahme des ursächlichen Zusammenhanges für eine BK Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV grundsätzliche Bedeutung zumisst.