Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 16. August 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung, dass eine Obliegenheit, ihre Heizkosten zu senken, nicht besteht.
Die 1979 geborene Klägerin Ziff. 2 und der 1977 geborene Kläger Ziff. 3 beziehen gemeinsam mit ihren Kindern, dem 2002 geborenen Kläger Ziff. 4, dem 2006 geborenen Kläger Ziff. 5 und dem 2008 geborenen Kläger Ziff. 1, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten.
Seit dem 15.02.2021 bewohnen die Kläger eine 100 m² große Vier-Zimmer-Wohnung in D. Neben der monatlichen Kaltmiete in Höhe von 850,00 € sind Nebenkosten (für Wasser/Abwasser und Gebäudeversicherung) in Höhe von 100,00 € zu zahlen. Mit Schreiben vom 24.02.2022 wies der Beklagte die Kläger darauf hin, dass die Kaltmiete für ihre Wohnung mit 850,00 € unangemessen hoch sei. Die Angemessenheitsgrenze liege für einen Fünf-Personen-Haushalt bei 735,00 € Kaltmiete. Nur wenn die Kläger belegen könnten, dass eine Kostensenkung nicht möglich sei, komme eine Weitergewährung der unangemessenen Kosten in Betracht. Ansonsten würden die tatsächlichen Kosten längstens bis zum 31.08.2022 berücksichtigt.
Die Beheizung der Wohnung sowie die Warmwassererzeugung erfolgt mit Strom; die Kosten sind nicht in den Nebenkosten enthalten und durch die Kläger selbst zu tragen. Nachdem die Kläger die Stromrechnung vom 15.02.2022 vorlegt hatten, wonach der Stromverbrauch vom 15.02.2021 bis 14.02.2022 8.619 kWh betrug und ab dem 01.03.2022 ein monatlicher Abschlag in Höhe von 210,00 € zu zahlen ist, forderte der Beklagte sie mit Schreiben vom 22.03.2022 auf, die beeinflussbaren Heizkosten ab sofort auf die angemessenen Kosten zu senken. Bei der Überprüfung der Betriebskostenabrechnung sei festgestellt worden, dass der Strom-/Heizkostenverbrauch nicht angemessen sei. Unter Zugrundelegung des Stromspiegels 2021/2022 liege der momentan angemessene Jahresstrom-/Heizkostenverbrauch für fünf Personen bei 5.200 kWh. Die Erfüllung der Aufforderung sei durch die Kläger anhand der qualifizierten Betriebskostenabrechnung nachzuweisen.
Mit Schreiben vom 01.04.2022 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass aufgrund einer erneuten Prüfung des Sachverhalts das Hinweisschreiben vom 22.03.2022 zurückgenommen werde.
Bereits am 25.03.2022 hatten die Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, der Beklagte übersehe, dass vorliegend gerade kein Verwaltungsakt gegeben sei, den man einfach zurücknehmen oder aufheben könne. Bei der Kostensenkungsaufforderung handle es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung, die nicht einseitig rücknehmbar sei. Das Schreiben des Beklagten sei zwar präjudiziell; eine Erledigung sei allerdings hierdurch nicht eingetreten. Für ihren Antrag auf Feststellung, dass die Obliegenheit, ihre Unterkunftskosten zu senken, nicht bestehe, bestehe ein Feststellungsinteresse. Sie heizten im Wesentlichen mit Nachtspeicheröfen. Der zugrunde gelegte Stromspiegel sei nicht aussagekräftig, da er allenfalls Strom für Warmwasser enthalte, aber keinen Heizstrom. Laut Netze BW sei für ihre Wohnung ein Verbrauch von 12.0000 bis 13.000 kWh angemessen, sie hätten nur 8.619 kWh verbraucht. Sie hätten sich strikt an die Empfehlungen gehalten und beispielsweise eine Nachtabsenkung auf 13 Grad vorgenommen. Im Badezimmer sei bereits Schimmelbefall aufgetreten, da sie dieses nicht geheizt hätten.
Der Beklagte hat ausgeführt, nach Rücknahme der Kostensenkungsaufforderung dürfte das Feststellungsinteresse entfallen sein und sich die Klage erledigt haben. Die Klage auf Feststellung, dass keine Kostensenkungsobliegenheit bestehe, sei zulässig, wenn der Dialog über das Kostensenkungserfordernis beendet sei, der Leistungsträger an der Kostensenkungsaufforderung festhalte, ein berechtigtes Interesse in der Gestalt einer Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Kostensenkung vom Leistungsberechtigten dargebracht und der Streit zwischen den Beteiligten im Ganzen bereinigt werde. Nachdem das Schreiben vom 01.04.2022 aber eben genau zum Ausdruck bringe, dass er an der Kostensenkungsaufforderung nicht festhalte, sei die Feststellungsklage nicht zulässig.
Nach vorherigem Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2022 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig; unabhängig von der Frage, ob die Feststellungsklage vorliegend statthaft wäre, liege jedenfalls kein Feststellungsinteresse i.S.v. § 55 Abs. 1 SGG vor. Insoweit genüge im Allgemeinen zwar bereits ein nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse rechtlicher Natur. Einschränkend sei in Fällen wie dem vorliegenden aber die Zukunftsbezogenheit der begehrten Feststellung zu berücksichtigen, mit Elementen einer vorbeugenden Feststellung. Hieraus folge, dass eine auf die Kostensenkungsobliegenheit gerichtete Feststellungsklage stets nur Ultima Ratio sein könne. Es seien besondere Anforderungen auch an das Feststellungsinteresse zu stellen. Erforderlich sei insoweit zunächst, wie stets bei vorbeugendem Rechtsschutz, dass überhaupt eine belastende Verwaltungsmaßnahme aufgrund der vermeintlich bestehenden Kostensenkungsobliegenheit bevorstehe. Hiervon könne frühestens dann auszugehen sein, wenn der mit der Kostensenkungsaufforderung initiierte „Dialog" über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung als abgeschlossen anzusehen sei. Unzulässig sei danach insbesondere jede unmittelbar im Anschluss an eine Kostensenkungsaufforderung erhobene Feststellungsklage (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 36/15 R -, Juris). Im vorliegenden Fall fehle es an einem Feststellungsinteresse, da unmittelbar nach Erhalt der Kostensenkungsaufforderung vom 22.03.2022 am 25.03.2022 Klage erhoben worden sei, ohne dass sich die Kläger zuvor an den Beklagten gewandt hätten. Des Weiteren halte der Beklagte erkennbar nicht mehr an der Kostensenkungsaufforderung fest. Ob eine Rücknahme bzw. Aufhebung einer Kostensenkungsaufforderung möglich sei, könne vor diesem Hintergrund dahinstehen.
Gegen den ihnen am 16.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 24.08.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, der Beklagte habe den Dialog über die Kostensenkung zu beginnen und zu führen. Das setze den Hinweis voraus, dass eine Diskussion überhaupt beginnen solle. Es müsste also irgendetwas davon stehen, dass sich die Kläger erst einmal äußern können und dann geprüft werde. Der Dialog beginne nicht mit der Kostensenkungsaufforderung, sondern ende regelmäßig damit.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 16. August 2022 aufzuheben und festzustellen, dass die Obliegenheit, ihre Heizkosten zu senken, nicht besteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Kläger in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und statthaft gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG); sie ist aber nicht begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag auf Feststellung, dass keine Obliegenheit der Kläger zur Senkung der Heizkosten besteht. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs der Klage vom 25.03.2022 mit dem Schreiben des Beklagten vom 22.03.2022, mit dem die Kläger aufgefordert wurden, die beeinflussbaren Heizkosten ab sofort auf die angemessenen Kosten zu senken, und der Ausführungen zur Klagebegründung, die sich allein auf die Heizkosten und den Stromverbrauch bezogen haben, war das Begehren der Kläger dahingehend zu verstehen, dass sie die Feststellung begehren, dass die Obliegenheit die Heizkosten zu senken, nicht besteht. Allein hierüber hat auch das SG entschieden. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung, ob eine Obliegenheit, die Kaltmiete zu senken, besteht. Obwohl eine Kostensenkungsaufforderung hinsichtlich der Kaltmiete am 24.02.2022 ebenfalls ergangen war, haben sich die Kläger in ihrer Klagebegründung auf die Strom- und Heizkosten bezogen. Eine getrennte Prüfung der Angemessenheit von Aufwendungen für Heizung von denjenigen der Unterkunft ist grundsätzlich zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R -, Juris Rdnr. 21).
Eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG mit dem Antrag, dass keine Obliegenheit der Kläger zur Senkung der Heizkosten besteht, ist grundsätzlich zulässig. Den Klägern stehen andere Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht zur Verfügung und solche werden durch die Feststellungsklage auch nicht umgangen. Die konkret begehrte Feststellung kann zudem grundsätzlich Gegenstand einer Feststellungsklage sein (vgl. zur Zulässigkeit ausführlich BSG, Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 36/15 R -, Juris). Für sie besteht vorliegend aber nicht das erforderliche Feststellungsinteresse.
Die Feststellungsklage ist gegenüber der Gestaltungs- oder Leistungsklage im vorliegenden Fall nicht subsidiär. Zwar gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit der Nachranggrundsatz (vgl. nur BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 42/12 R -, Juris). Auf eine vorrangige Anfechtungsklage gegen die Kostensenkungsaufforderung durch das Schreiben vom 21.10.2011 sind die Kläger schon deshalb nicht zu verweisen, weil eine solche unzulässig wäre. Eine Kostensenkungsaufforderung stellt keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Vielmehr handelt es sich dabei nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (lediglich) um ein Informationsschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion. Es stellt ein Angebot an den Leistungsberechtigten dar, in einen Dialog über die Angemessenheit der Unterkunftskosten einzutreten, ohne dabei aber den Leistungsträger zu verpflichten, im Einzelnen aufzuzeigen, auf welche Weise die Kosten der Unterkunft und Heizung gesenkt werden könnten. Die hier begehrte Feststellung, dass keine Obliegenheit zur Kostensenkung besteht, kann gleichwohl von ihrem Inhalt her grundsätzlich Gegenstand einer Feststellungsklage sein (ausführlich BSG, Urteil vom 15.06.2016, a.a.O., m.w.N.).
Vorliegend fehlt es allerdings, wie das SG zutreffend dargelegt hat, an dem berechtigten Interesse der Kläger an der begehrten Feststellung im Sinne von § 55 Abs. 1 SGG. Insoweit genügt im Allgemeinen zwar bereits ein nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse rechtlicher Natur (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 10/08 R - Juris). Einschränkend ist in Fällen wie dem vorliegenden aber die Zukunftsbezogenheit der begehrten Feststellung zu berücksichtigen, mit Elementen einer vorbeugenden Feststellung. Hieraus folgt, dass eine auf die Kostensenkungsobliegenheit gerichtete Feststellungsklage stets nur Ultima Ratio sein kann. Es sind besondere Anforderungen auch an das Feststellungsinteresse zu stellen. Erforderlich ist insoweit zunächst, wie stets bei vorbeugendem Rechtsschutz, dass überhaupt eine belastende Verwaltungsmaßnahme aufgrund der vermeintlich bestehenden Kostensenkungsobliegenheit bevorsteht. Hiervon kann frühestens dann auszugehen sein, wenn der mit der Kostensenkungsaufforderung initiierte „Dialog" über die Angemessenheit der KdUH als abgeschlossen anzusehen ist. Unzulässig ist danach insbesondere jede unmittelbar im Anschluss an eine Kostensenkungsaufforderung erhobene Feststellungsklage. Ein Feststellungsinteresse kann auch nicht auf die allgemeine Behauptung gegründet werden, die Höhe der vom Beklagten bestimmten Angemessenheitsgrenze sei unzutreffend, denn hierbei handelt es sich nur um eine Vorfrage der Kostensenkungsobliegenheit. Vielmehr ist es erforderlich, eine auf Tatsachen gestützte Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Kostensenkung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II darzulegen (vgl. auch zu den Anforderungen an ein Feststellungsinteresse in dieser Fallkonstellation BSG, Urteil vom 15.06.2016, a.a.O.).
Das so umschriebene Feststellungsinteresse liegt hier nicht vor. Die Kläger haben zwar auch zur Klagebegründung Umstände für eine Unzumutbarkeit der Senkung der Heizkosten vorgebracht; sie werden sich für den Fall, dass die zu erwartende Klärung nicht erfolgt, aber nicht der Forderung nach Senkung ihrer Heizkosten ausgesetzt sehen (zur Wiederholungsgefahr vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R -, Juris). Der Beklagte hat mit dem Schreiben vom 01.04.2022 das Hinweisschreiben vom 22.03.2022 „zurückgenommen“ und im Klageverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht, nicht mehr an der Kostensenkungsaufforderung festzuhalten. Dass eine Kostensenkungsaufforderung gegenüber den Klägern auch weiterhin nicht beabsichtigt ist, hat die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat auch nochmals betont. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Kläger seit dem 01.12.2022 nicht mehr im Leistungsbezug stehen. Darüber hinaus haben die Kläger unmittelbar nach Erhalt der Kostensenkungsaufforderung Feststellungsklage erhoben, was nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, unzulässig ist.
Die Feststellungsklage war daher von Anfang an unzulässig; die Berufung ist nicht begründet.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 902/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2459/22
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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