L 7 SO 855/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 47/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 855/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.


Tatbestand


Der Kläger wendet sich gegen die Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches.

Die 1933 geborene, verwitwete Beigeladene hat neben dem 1976 geborenen Kläger fünf weitere Kinder, die 1955 geborene G. K., den 1956 geborenen K. K., die 1959 geborene M. M., die am 1966 geborene M. G. sowie die 1969 geborene P. M.. Sie ist seit 1. Januar 2017 in Pflegegrad 2 eingestuft. Im Mai 2016 zog sie in das Pflegeheim V.haus O.  , für das sie einen monatlichen Eigenanteil in Höhe von 2.559,62 EUR aufzubringen hat. Sie bezieht Altersrente (Zahlbetrag ab 1. Juli 2019: 962,29 EUR, ab 1. Ju.li 2020: 995,47 EUR), Witwenrente (Zahlbetrag ab 1. Juli 2019: 857,06 EUR, ab 1. Juli 2020: 886,62 EUR) sowie eine Betriebsrente.

Am 22. Mai 2020 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Übernahme der ungedeckten Heimkosten. Bezüglich vorhandenen Vermögens gab sie ein Guthaben auf dem Girokonto bei der Sparkasse Offenburg in Höhe von 6.435,95 EUR (Kontostand am 10. Mai 2020) an.

Mit Schreiben vom 4. Juni 2020 forderte der Beklagte die Beigeladene zur Prüfung möglicher Schenkungen der letzten 10 Jahre die Vorlage der Kontoauszüge vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2016 sowie vom 1. Juli 2019 bis 31. Januar 2020 sowie eines Nachweises der Bank, welche Konten in den letzten 10 Jahren bestanden haben, auf.

Daraufhin teilte der von der Beigeladenen bevollmächtigte K. K. unter anderem mit (Schreiben vom 15. Juni 2020), die Beigeladene sei im Jahr 2002 in eine betreute Wohnung in O. umgezogen, da ihr das Haus und der Garten zu viel gewesen seien. Ihre Tochter P. habe das Wohnhaus übernommen, die Beigeladene habe 100.000 DEM und jedes der weiteren Kinder 20.000 DEM erhalten. Der Bevollmächtigte habe sich als Sparkassenmitarbeiter um die Kapitalanlage gekümmert und unterschiedliche sichere Geldanlagen angelegt. Die meisten Anlagen seien auf ein oder einige Jahre begrenzt gewesen. Ab dem Jahr 2011 habe es nur noch ein Zuwachskonto (Nr. 1) gegeben.
Die Beigeladene sei mit ihrer Rente in den ganzen Jahren gut klargekommen. Als sie im Mai 2016 nach einem Kurzaufenthalt im Heim nicht mehr zurück in die Wohnung gewollt habe, seien auf dem Sparbuch noch ca. 32.000 EUR gewesen. Ab dem Jahr 2016 habe er, weil die Rente der Beigeladenen für die Heimrechnung nicht ausgereicht habe, von dem Sparbuch Geld auf das Girokonto umgebucht (von Dezember 2016 bis September 2019 insgesamt 25.000 EUR). Am 23. Januar 2020 sei das Sparbuch komplett aufgelöst und der Restbetrag in Höhe von 7.008,06 EUR auf das Girokonto umgebucht worden.

Bezüglich des Zuwachskontos (Nr. 2) erklärte der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 5. Juli 2020, die Kinder der Beigeladenen hätten, als die Beigeladene im Jahr 2016 ins Heim gekommen sei, entschieden, dass jeder monatlich 50,00 EUR auf das Girokonto des Bevollmächtigten überweise, das Geld dann auf das Sparbuch der Beigeladenen umgebucht und ihr dann zur Verfügung gestellt werde, wenn ihr eigenes Geld aufgebraucht sei. Ab dem 1. Juni 2016 sei auf das Zuwachskonto ein Dauerauftrag von seinem Girokonto mit 300,00 EUR eingegangen. Dieser Dauerauftrag sei im März 2019 auf 342,00 EUR erhöht worden, da die Beigeladene eine eigene Zeitung gewollt habe, die die Kinder übernommen hätten. An Weihnachten 2019, als die Kinder der Beigeladenen wieder zusammengekommen seien, hätten sie entschlossen, dass sie ihr Geld wieder zurückbuchten. Am 20. Januar 2020 habe der Bevollmächtigte dann alle überwiesenen Beträge in Höhe von 13.746,00 EUR zurück auf sein Girokonto gebucht. Kurz darauf sei das Sparbuch aufgelöst und der Restbetrag in Höhe von 7.008,06 EUR auf das Girokonto der Beigeladenen gebucht worden. Wegen der entsprechenden Zahlungen und Umbuchungen verwies der Bevollmächtigte auf eine Excel-Tabelle.

Der Beklagte teilte dem Bevollmächtigten daraufhin mit, dass die Überweisung der 13.746,00 EUR aus seiner Sicht eine ungerechtfertigte Bereicherung darstelle. Die Beigeladene habe den Kindern gegenüber einen Herausgabeanspruch in eben dieser Höhe. Falls die Beigeladene an dem Antrag festhalte, würden die Herausgabeansprüche auf den Beklagten übergeleitet.

Der Bevollmächtigte der Beigeladenen teilte daraufhin mit, er erhebe gegen den Herausgabeanspruch Widerspruch, da es keine ungerechtfertigte Bereicherung gewesen sei. Alle Kinder der Beigeladenen hätten einen Dauerauftrag auf sein Girokonto angelegt. Damit sollten eventuell spätere Kosten gedeckt werden, falls das Geld der Beigeladenen eines Tages nicht ausreiche. Es sei im Nachhinein sein Fehler gewesen, dass er das Geld direkt auf das Sparbuch der Mutter umgebucht habe. Diesen Fehler habe er dann im Januar 2020 korrigiert, indem er das Geld wieder auf sein Girokonto zurückgebucht habe. Seine Geschwister hätten gar nicht gewusst, dass er das Geld auf das Sparbuch umgebucht habe.

Mit Bescheid vom 6. August 2020 bewilligte der Beklagte der Beigeladenen Hilfe zur Pflege – Leistungen bei vollstationäre Pflege nach § 65 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) – für den Monat Juni 2020. Die Bewilligung ab dem Folgemonat erfolge durch die Auszahlungen für den jeweiligen Monat. Für Juni 2020 ergebe sich ein Kostenbeitrag an der Einrichtung in Höhe von 2.087,42 EUR, ab Juli in Höhe von 1.778,02 EUR. In dem dem Bescheid beigefügten Berechnungsbogen ermittelte der Beklagte für den Monat Juni 2020 einen Zahlbetrag in Höhe von 625,06 EUR, für die Monate Juli und August 2020 in Höhe von 934,46 EUR.

Gegenüber dem Kläger erklärte der Beklagte mit Bescheid vom 6. August 2020, er erbringe für die Beigeladene seit dem 1. Juni 2020 die folgenden Leistungen: Hilfe zur Pflege in vollstationärer Einrichtung. Seine Ermittlungen hätten ergeben, dass die Beigeladene gegen den Kläger – dem Grunde nach – folgenden Anspruch habe: Herausgabeanspruch wegen Verarmung des Schenkers nach § 528 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bzw. ungerechtfertigte Bereicherung nach den §§ 812 ff. BGB, da verschenktes Geld an die Beigeladene im Wert von 13.746,00 EUR den Kindern jeweils zu 1/6 wieder überwiesen worden sei. Diesen Anspruch leite er auf sich über. Rechtsgrundlage dieser Überleitungsanzeige sei § 93 SGB XII. In Ausübung des gebotenen pflichtgemäßen Ermessens und der Abwägung der Belange des Klägers mit dem öffentlichen Interesse an einer Überleitung des Anspruches sei festzustellen, dass der Kläger weder in unangemessener Weise benachteiligt werde, noch Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonderen Härte offensichtlich seien. Im Hinblick auf das Gebot sparsamer Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und des Vorranges der Selbsthilfe vor der Sozialhilfe sei der Anspruch gemäß § 93 SGB XII überzuleiten.

An die weiteren Kinder der Beigeladenen ergingen entsprechende Bescheide.

Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe seiner Mutter kein Geld geschenkt, ebenso habe er auch kein Geld von seinem Konto an seine Mutter überwiesen. Er habe vor einigen Jahren auf das Girokonto seines Bruders K. K. per Dauerauftrag einen monatlichen Betrag einbezahlt. Mit diesem Geld habe Vorsorge getroffen werden sollen, falls der Fall eintrete, dass das Sparguthaben seiner Mutter eines Tages nicht mehr reiche. Bei dem Dauerauftrag handele es sich nicht um eine Schenkung an seine Mutter. Sie wisse davon auch nichts.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Beigeladene beziehe Leistungen nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimunterbringungskosten und habe – zumindest theoretisch – einen Herausgabeanspruch wegen Verarmung des Schenkers nach § 528 BGB alternativ gemäß den §§ 812 ff. BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber dem Kläger. Der Übergang dieses eventuell bestehenden Anspruchs auf Rückführung des Geschenkes/Erhaltenen sei mit dem Bescheid (Überleitungsanzeige) bewirkt worden. Dieser entspreche den zu stellenden Anforderungen, er benenne den Leistungsempfänger, den Drittschuldner, die Art der Hilfegewährung und den übergeleiteten Anspruch selbst. Die Frage der Existenz und der Höhe des übergeleiteten Anspruchs seien nicht Gegenstand einer Überleitungsanzeige und folglich auch nicht Gegenstand einer sich eventuell nachziehenden sozialgerichtlichen Kontrolle. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genüge es für die Wirksamkeit der Überleitung eines Anspruchs bereits, dass überhaupt ein überleitungsfähiger Anspruch möglicherweise in Betracht komme. Auch aus der Widerspruchsbegründung ergebe sich nichts anderes. Ob und in welcher Höhe eine Schenkung/ungerechtfertigte Bereicherung tatsächlich vorliege, müsste in einem sich anschließenden zivilrechtlichen Verfahren geklärt werden.

Gegen den ihm am 8. Dezember 2020 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 5. Januar 2021 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Verwendungszweck, für den das fragliche Geld angespart worden sei, sei nicht eingetreten. Er habe seinen Anteil nicht schenken wollen, sondern nur Vorsorge treffen, falls das eigene Geld seiner Mutter nicht ausreiche. Die vom Beklagten angegebenen §§ 528 und 812 BGB träfen nicht zu. Seine Mutter wisse von dem ganzen Vorgang nichts. Sie wisse auch nicht, dass sie Sozialhilfe beziehe. Sie sei der Meinung, dass ihr Geld ausreiche. Es gebe keine Schenkungsurkunde o. ä. Er habe einen Herausgabeanspruch in Höhe von 2.291,00 EUR an seinen Bruder (1/6), da dieser das Geld immer noch auf seinem Konto habe. Er habe keinen Fehler gemacht, da er das Geld auf das Konto seines Bruders überwiesen habe und nicht direkt an seine Mutter.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2021 hat das SG die Leistungsempfängerin zum Verfahren notwendig beigeladen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2021 hat das SG den Bescheid vom 6. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2020 aufgehoben. Sei der überzuleitende Anspruch objektiv und nach materiellem Recht erkennbar ausgeschlossen (Negativevidenz), sei eine Überleitung rechtswidrig. Für die Überleitung genüge es, dass der Anspruch möglicherweise bestehe. Wenn erst nach Aufklärung eines Sachverhaltes und einer Beweisaufnahme festgestellt werden könne, ob eine Forderung vorhanden sei, könne sie nicht offensichtlich ausgeschlossen sein. Vorliegend sei davon auszugehen, dass ein Schenkungsrückforderungsanspruch offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen sei. Ein solcher Anspruch stehe allenfalls dem Schenker, nicht jedoch der beschenkten Leistungsempfängerin zu. Auch ein sonstiger Anspruch der Leistungsempfängerin auf Rückzahlung gegen den Kläger sei offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen. Unterstellt, die vom Beklagten angenommene Schenkung an die Leistungsempfängerin läge tatsächlich vor, könne ihr allenfalls gegen den Kontobevollmächtigten K. K. ein Anspruch auf Rückzahlung nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 ff. BGB oder nach den deliktischen Normen des § 823 BGB zustehen. Ausschließlich der Bevollmächtigte sei durch die Umbuchung auf sein Konto insoweit bereichert, als er einen Auszahlungsanspruch gegen seine Bank in identischer Höhe erlangt habe.

Gegen den ihm am 11. Februar 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 4. März 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Unter keinem Gesichtspunkt sei der streitgegenständliche Schenkungsrückforderungsanspruch offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen, da nach wie vor nicht geklärt sei, unter welchen Gesichtspunkten und mit dem Einverständnis welcher Personen das Vermögen angespart worden sei. Ob der vom Kläger und seinen Geschwistern angeführte fehlende Schenkungswille des Leistungsberechtigten an der rechtlichen Einordnung als Schenkung etwas ändere, seien zivilrechtliche Fragestellungen, die ggf. in einem folgenden Zivilrechtsverfahren geklärt werden müssten, jedoch nicht dazu führten, dass der Rückforderungsanspruch des Leistungsberechtigten als von vorneherein ausgeschlossen erachtet werden könne. Es seien in jedem Falle noch weitere Auskünfte einzuholen, was die Verwaltung des Guthabens auf dem Sparbuch und die Umbuchungen auf das Girokonto beträfen. Auch von den Kindern der Beigeladenen angespartes Geld sei auf ein Sparbuch der Leistungsempfängerin umgebucht und dann wieder auf ein Girokonto eines der Kinder zurückgebucht worden. Der Sohn K. K. führe als Bevollmächtigter der Beigeladenen deren Geldgeschäfte. Mithin müsse diese sich auch die Verfügungen ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen. Der Wille der zahlenden Kinder sei entscheidend, der Beigeladenen habe das Geld zur Verfügung gestellt werden sollen, also mithin geschenkt werden. Mithin stelle die Zurückbuchung des auf dem Sparbuch der Beigeladenen befindlichen Guthabens entweder eine Schenkung oder aber eine ungerechtfertigte Bereicherung dar. Vom SG werde offensichtlich verkannt, dass es sich quasi um eine „doppelte Schenkung" gehandelt habe, die Beigeladene sei zunächst beschenkt worden, das Geschenk angespart worden und sodann wieder „zurückgegeben“. Nach Angaben des K. K. stehe der Geldbetrag noch zur Verfügung, somit könnten die Geschwister von K. K. dieses Geld auch wieder von ihm einfordern.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Februar 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 29. September 2022 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 SGG nicht entgegenstehen.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 6. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2020 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Überleitung eines Anspruchs der Beigeladenen auf sich erklärt hat. Dagegen hat sich der Kläger zutreffend mit der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Anfechtungsklage gerichtet. Insbesondere ist der Kläger klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Bei dem angefochtenen Überleitungsbescheid handelt es sich für den Kläger als Drittschuldner des übergeleiteten Anspruches um einen belastenden Verwaltungsakt, der in seine Rechte eingreift. Auch wenn die Verpflichtung des Klägers grundsätzlich unabhängig von der Überleitung besteht, greift die Überleitungsanzeige als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt in das zwischen dem Drittschuldner und dem Hilfeempfänger bestehende Rechtsverhältnis ein (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 27. Mai 1993 – 5 C 7/91 – juris Rdnr. 10). Dem Drittschuldner wird durch die Überleitung ein anderer Gläubiger zugeordnet. Für den Fall einer rechtswidrigen – insbesondere nichtigen – Überleitungsanzeige besteht für den Drittschuldner die Gefahr der Doppelleistung. Auch der Drittschuldner ist deshalb durch die Überleitungsanzeige beschwert und zur Klage befugt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.12.2012 – L 9 SO 22/09 – juris).

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat den Bescheid vom 6. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2020 zwar mit unzutreffender Begründung, im Ergebnis jedoch zu Recht aufgehoben. Der Bescheid ist (formell) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Entgegen der Auffassung des SG ist die Überleitung nicht materiell rechtswidrig. Rechtsgrundlage hierfür stellt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar. Danach kann der Träger der Sozialhilfe, wenn eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen hat, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bewirkt die Anzeige den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird.

Der beigeladenen Hilfeempfängerin werden Leistungen der Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege durch Übernahme ungedeckter Heimkosten ab dem 1. Juni 2020 erbracht. Anhaltspunkte für eine unrechtmäßige Leistungserbringung bestehen nicht. Ob die Beigeladene gegen den Kläger seit Juni 2020 den von der Überleitungsanzeige erfassten Anspruch auf Rückforderung einer Schenkung nach § 528 BGB oder wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung innehat, bedarf hier keiner Entscheidung. Ausreichend für die Rechtmäßigkeit des Überleitungsbescheides ist, dass ein überleitungsfähiger Anspruch nach materiellem Recht überhaupt in Betracht kommt, er also nicht von vornherein objektiv ausgeschlossen ist (BSG, Beschluss vom 25. April 2013 – B 8 SO 104/12 B – juris Rdnr. 9; zur Negativevidenz bei einem Auskunftsverlangen nach § 117 SGB XII: BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – B 8 SO 75/12 B – juris Rdnr. 7). Ein Anspruch der Beigeladenen gegen den Kläger auf Rückgabe des von ihrem Sparkonto entnommenen Betrages in Höhe von 13.746,00 EUR bzw. eines Teils dieses Betrages ist nicht offensichtlich ausgeschlossen. Der Geldbetrag befand sich auf dem Zuwachssparkonto der Beigeladenen, somit in ihrem Vermögen. Aus diesem wurde er entnommen und nach dem Vortrag des Bevollmächtigten der Beigeladenen und des Klägers auf das Konto des Bevollmächtigten eingezahlt mit dem Ziel, den Betrag anteilig an den Kläger und die weiteren Geschwister herauszugeben. Durch die Herausgabe des Geldbetrages aus dem Vermögen der Beigeladenen kann eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB vorliegen. Es kann sich um eine unentgeltliche Zuwendung handeln, wenn der Zahlung keine vertragliche Vereinbarung oder ein sonstiger Zahlungsanspruch des Klägers (und seiner Geschwister) zugrunde liegt. Insbesondere kann sich ein Rückgabeanspruch auch gegen den Kläger richten, sofern der Betrag bzw. ein Teilbetrag an ihn weitergegeben wurde oder der Bevollmächtigte der Beigeladenen den (Teil-)Betrag für den Kläger verwahrt. Ob der Vortrag des Klägers und seine rechtliche Bewertung, dass der streitige Geldbetrag ihm (und seinen Geschwistern) zusteht, zutreffend sind, ist dagegen im zivilrechtlichen Verfahren nach Aufklärung des Sachverhalts und gegebenenfalls einer Beweiserhebung zu beurteilen. Das SG hat den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt und dessen rechtliche Bewertung seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Darauf kann jedoch eine Annahme, dass der Rückforderungsanspruch der Hilfeempfängerin von vornherein ausgeschlossen wäre, nicht gestützt werden.

Auch die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sind gegeben. Danach darf der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen entweder die Leistungen nicht erbracht worden wäre oder in den Fällen des § 19 Abs. 5 SGB XII und des § 92 Abs. 1 SGB XII Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag zu leisten wäre. Bei Rückübertragung der Schenkung hätte die Beigeladene über Vermögen verfügt, das einem Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege entgegengestanden hätte (§ 90 SGB XII).

Der Bescheid vom 6. August 2020 ist auch nicht wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig. Die Überleitung von Ansprüchen steht nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im pflichtgemäßen Ermessen, das sich sowohl auf das „ob“ einer Überleitung (Entschließungsermessen), als auch auf das „wie“ (Auswahlermessen), insbesondere die Höhe der Überleitung, bezieht. Im gerichtlichen Verfahren ist zu prüfen, ob Ermessensfehler vorliegen, insbesondere ein Ermessensausfall, ein Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung. Nicht zu prüfen ist die Zweckmäßigkeit der Ermessensentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rdnr. 28). Die Ermessensausübung im Rahmen einer Entscheidung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist nicht eingeschränkt durch den in § 2 SGB XII verankerten Nachranggrundsatz der Sozialhilfe in dem Sinne, dass von einem sogenannten intendierten Ermessen auszugehen wäre, so dass eine bestimmte Richtung der Erwägung vorgezeichnet und deshalb geringere Anforderungen an die Ermessenserwägungen zu stellen wären, wogegen der klare Gesetzestext, der keine Anhaltspunkte für die Annahme eines intendierten Ermessens liefert, spricht (LSG Bayern, Urteil vom 28. September 2017 – L 8 SO 219/15 – juris Rdnr. 52). Allerdings ist der Nachranggrundsatz als gewichtiges Kriterium bei der Ermessensausübung zu beachten. § 93 SGB XII dient der Herstellung des Nachrangs, so dass die Verfolgung dieses Zwecks nie ermessensfehlerhaft sein kann. Die überleitende Behörde darf somit zur Begründung ihrer Ermessensentscheidung fehlerfrei (allein) auf die gesetzliche Wertung des § 2 SGB XII und insbesondere dessen Absatz 2 verweisen, wonach der Grundsatz der Selbsthilfe besteht und Verpflichtungen anderer „unberührt bleiben“. Mit § 93 SGB XII wird der Sozialhilfeträger berechtigt, allein in Verfolgung dieses abstrakten allgemeinen Grundsatzes nach § 2 SGB XII diesen mit der Überleitung einzulösen. So sind an die Begründung der Ermessensentscheidung im Hinblick darauf keine überspannten Anforderungen zu stellen und ist die Überleitung regelmäßig frei von Ermessensfehlern, wenn keine Anhaltspunkte für ein Absehen von der Überleitung gegeben sind (Armbruster in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 93 SGB XII, Rdnr. 147). Gesichtspunkte, die für ein Absehen von der Überleitung sprechen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen. Sein Vortrag bezieht sich vielmehr ausschließlich auf das Fehlen des übergeleiteten Anspruchs, welches jedoch im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen ist. Fehlt es an Tatsachen, die ein Absehen von der Überleitung gebieten könnten, so ist auch kein Raum für Ermessenserwägungen zugunsten des Klägers vorhanden (BVerwG, Urteil vom 26. November 1969 – V C 54.69 – BVerwGE 34, 219‑225, juris Rdnr. 17).

Der Bescheid vom 6. August 2020 ist jedoch formell rechtswidrig.

Es liegt nicht schon ein Verstoß gegen § 24 SGB X vor. Danach ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Ausnahmen von der Anhörungspflicht gemäß § 24 Abs. 2 SGB X greifen vorliegend nicht. Zwar hat der Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheides vom 6. August 2020 nicht angehört. Dieser Verfahrensfehler ist hier aber nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1997 – 12 RK 34/96SozR 3-2940 § 7 Nr. 4 Rdnr. 14, BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 9/11 R – SozR 4‑2600 § 77 Nr. 10 Rdnr. 14). Der Bescheid vom 6. August 2020 enthielt die entscheidungserheblichen Tatsachen für die Anspruchsüberleitung. Dem Bescheid war zu entnehmen, dass der Beklagte der Beigeladenen Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII erbringt und er deswegen einen wegen der Rückgabe geschenkten Geldes angenommenen Anspruch der Beigeladenen gegen den Kläger auf sich überleitet sowie Ermessen ausgeübt habe. Der Kläger hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Davon hat er Gebrauch gemacht.

Jedoch ist die Überleitungsanzeige nicht hinreichend bestimmt. Als Verwaltungsakt muss die Überleitungsanzeige hinreichend bestimmt sein. In dieser sind der Leistungsempfänger, Zeitraum, Art und Höhe der geleisteten Sozialhilfe, der überzuleitende Anspruch sowie Gläubiger und Schuldner des Anspruchs zu benennen (Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 8). Der übergeleitete Anspruch muss darin klar benannt und erkennbar, zumindest identifizierbar sein (Armbruster in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 93 SGB XII Rdnr. 163). Aus dem Bescheid vom 6. August 2020 geht zwar hervor, dass der Beklagte einen Schenkungsrückforderungsanspruch der Beigeladenen in Bezug auf den an ihre Kinder herausgegebenen Betrag von 13.746,00 EUR wegen der der beigeladenen Hilfeempfängerin für die Zeit ab 1. Juni 2020 laufend erbrachten Leistungen überleitet. Dies genügt im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes für die Identifizierbarkeit des übergeleiteten Anspruchs. Zur Bezeichnung des übergeleiteten Schenkungsrückforderungsanspruchs war nicht erforderlich, dass der Beklagte das Bestehen dieses (überzuleitenden) Anspruchs nach Grund und Höhe darlegt (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – V C 2.75 – BVerwGE 50, 64‑73, juris Rdnr. 11).

Jedoch ist die Angabe von Zeitraum und Höhe der gewährten Sozialhilfe erforderlich, wegen der die Überleitung erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 24. August 1988 – 7 RAr 74/86 – juris Rdnr. 31; LSG Bayern, Urteil vom 18. Juni 2021 – L 8 SO 6/21 –, juris Rdnr. 41). Da die Überleitung des Anspruchs bis zur Höhe der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers erfolgt, gehört zur Bestimmtheit der Überleitungsanzeige grundsätzlich auch die Angabe der Höhe dieser Aufwendungen. Dass eine Überleitungsanzeige in Bezug auf die weitere Leistungsgewährung für die Zukunft nicht deren Dauer und Höhe benennen kann, liegt in der Natur der Sache, da auch der Beklagte dies nicht absehen kann. Deswegen genügt bei zukünftigen Leistungen grundsätzlich eine Überleitung dem Grunde nach (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 19. September 2019 – L 8 SO 74/18 – m.w.N.). Vorliegend enthält die Überleitungsanzeige jedoch keinerlei Hinweis auf die Höhe der ab 1. Juni 2020 gewährten Hilfe, obgleich zum Zeitpunkt der Anzeige die Hilfebewährung für einen vergangenen Zeitraum erfolgt. Zwar ist auch hinsichtlich einer für die Vergangenheit erfolgten Leistungsgewährung keine monatsweise Bezifferung der gezahlten Sozialhilfe erforderlich, da durch die Überleitung lediglich ein Gläubigerwechsel herbeigeführt werden soll. Die bloße Mitteilung, dass dem Leistungsempfänger Sozialhilfe gewährt wird, bewirkt den Übergang nicht (Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 93 Rdnr. 8). Ob und in welcher Höhe letztlich der übergeleitete Anspruch besteht und zu erfüllen ist, ist zivilgerichtlich zu prüfen und zu entscheiden. Um den Empfänger der Überleitungsanzeige darüber ins Bild zu setzen, in welcher Größenordnung ein Anspruch übergeleitet wird, ist aber jedenfalls die ungefähre Höhe des aktuellen monatlichen Leistungsbezugs anzugeben und gegebenenfalls mitzuteilen, in welcher Höhe die Leistungen voraussichtlich erbracht werden.

Da der Bescheid vom 6. August 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2020 danach formell rechtswidrig ist, war es im Ergebnis bei der durch das SG erfolgten Aufhebung des Bescheides zu belassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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