Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18. September 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im Jahr 1967 geborene Kläger hat den Beruf des Werkzeugmachers erlernt und war zuletzt bei der H AG als Metallfacharbeiter beschäftigt. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.
Im März/April 2015 durchlief der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Fklinik, B, aus der er unter den Diagnosen eines Cervicocranial-/ -brachialsyndroms, einer Lumboischialgie und Dysthymia als fähig entlassen worden ist, leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich und mehr verrichten zu können.
Am 11. Oktober 2017 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab hierzu an, wegen mangelnder Stressresistenz, Depressionen, Konzentrationsproblemen, einer Tinnitus-Erkrankung, Kopfschmerzen, Schlafstörungen sowie einem Bandscheibenleiden und Problemen an der Wirbelsäule erwerbsgemindert zu sein. Mit seinem Antrag legte der Kläger umfangreiche medizinische Unterlagen der ihn behandelnden Ärzte vor.
Die Beklagte zog einen Befundbericht des behandelnden I bei und veranlasste eine Begutachtung des Klägers zu dessen Leistungsfähigkeit. Die O diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 18. April 2018 beim Kläger eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Dysthymia sowie akzentuierte Persönlichkeitszüge. Sie vertrat die Einschätzung, dass der Kläger leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (mit der Möglichkeit zur Wechselhaltung möglichst ohne Überkopfarbeiten und ohne häufiges Bücken in Tages-, Früh- und Spätschicht) in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr verrichten könne.
Nach einer sozialmedizinischen Überprüfung lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers, gestützt auf die gutachterliche Einschätzung der O, mit Bescheid vom 27. Juni 2018 ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2018 Widerspruch. Zu dessen Begründung legte er Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vor und führte hierzu aus, dass in den Gutachten festgestellt worden sei, dass er dauerhaft arbeitsunfähig sei. Dem Gutachten von O liege keine gründliche Untersuchung zu Grunde. Auch sei er bei der Beantwortung der Fragen unter Zeitdruck gesetzt worden, weswegen es ihm nicht möglich gewesen sei, sämtliche Beschwerden darzulegen. Zudem seien die Auswirkungen der Medikamente nicht berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2019 ies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die gesundheitsbedingten Einschränkungen des Klägers führten, so die Beklagte begründend, nicht dazu, dass die Fähigkeit, noch minds. sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können, eingeschränkt sei. Das sozialmedizinische Ergebnis sei schlüssig und nachvollziehbar.
Hiergegen hat der Kläger am 11. April 2019 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Die rentenablehnende Entscheidung der Beklagten habe die bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht vollständig erfasst. So leide er auch an einer Schwerhörigkeit, die von der Beklagten bei der Frage der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt worden sei. Überdies sei bei ihm nicht nur die Hals- und Lendenwirbelsäule geschädigt, auch die Brustwirbelsäule sei gesundheitlich beeinträchtigt. Das psychiatrische Gutachten, das die Beklagte ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt habe, sei nicht nachvollziehbar. So habe er beim Beck`schen Depressionsinventar, einem Verfahren zur Klärung der Schwere einer depressiven Symptomatik, bei dem ein Wert von 18 als klinisch relevant gelte, einen Wert von 35 erzielt. Dieser Wert entspräche einer schweren Depression. Weshalb die Gutachterin trotz dessen lediglich von einer depressiven Verstimmtheit ausgegangen sei, sei unverständlich. Die bei ihm vorliegenden Erkrankungen und Behinderungen ließen eine Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nicht mehr zu.
Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid entgegengetreten.
Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. D, hat unter dem 17. Juni 2019 ausgeführt, beim Kläger eine mittelschwere depressive Episode, Spannungskopfschmerz sowie ein Hals- und Lendenwirbelsäulenleiden diagnostiziert zu haben. Der Kläger könne, bei einem konfliktfreien Arbeitsumfeld und soweit keine Tätigkeiten mit Zeitdruck und mit Kundenverkehr zu bewältigen seien, leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden ausüben. Der I hat am 4. Juli 2019 mitgeteilt, dass der Kläger unter einer chronischen Schmerzsymptomatik und daraus resultierenden körperlichen Beeinträchtigungen im Rahmen der orthopädischen Erkrankungen leide. Des Weiteren bestünde eine depressive Symptomatik wie allgemeine Lustlosigkeit, soziale Isolierung, Antriebsminderung, schnelle Reizbarkeit, ausgeprägte Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche im Rahmen der mittelgradigen Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Kläger habe berichtet, bezüglich der Alltagsbewältigung erhebliche Schwierigkeiten zu haben. Der K hat in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2019 angegeben, beim Kläger ein degeneratives Halswirbelsäulen-Syndrom mit Protrusio C5/6 und NPP C6/7, eine Außenmeniskusläsion linkes Kniegelenk, eine Großzehengrundgelenksarthrose beidseits, beidseitige Senk-Spreizfüße, ein degeneratives Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom, ein Rotatorenmanschettensyndrom beidseits, bursitis infrapatellaris links, ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine psychovegetative Überlastung diagnostiziert zu haben. Auf orthopädischem Fachgebiet sei der Kläger für leichte Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden leistungsfähig. Schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten in Zwangshaltung, Überkopfarbeiten, Arbeiten in Zugluft und Nässe sowie ständiges Sitzen, Stehen und Gehen sollten vermieden werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. September 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, er sei noch in der Lage, einer leichten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachzugehen. Es, das SG, hat sich hierbei im Wesentlichen auf das Gutachten von O gestützt. Diese sei auf Basis der von ihr festgestellten Gesundheitsstörungen zu der Einschätzung eines quantitativ nicht eingeschränkten Leistungsvermögens gelangt. Diese werde insb. auch durch die erhobenen Befunde getragen, aus denen keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen ersichtlich würden. Die Einschätzung der Gutachterin werde vom behandelnden D bestätigt. Auch die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet bedingten keine quantitative Leistungseinschränkung. Dies folge aus der Stellungnahme des behandelnden K. Dieser habe kein schwerwiegendes Krankheitsbild mitgeteilt, sodass er deshalb auch folgerichtig davon ausgehe, der Kläger könne leichte Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen verrichten.
Aus den vorgelegten MDK-Gutachten lasse sich eine Erwerbsminderung nicht ableiten. Die dort beschriebene Arbeitsunfähigkeit beziehe sich nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit und sei daher für die Leistungseinschränkung in Bezug auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht entscheidend.
Gegen den ihm am 23. September 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Oktober 2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt er unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens vor, die Bewertung der eingeholten ärztlichen Stellungnahmen sei nicht plausibel. Die Ärzte hätten ihre jeweilige Leistungseinschätzung nur isoliert für ihr Fachgebiet abgegeben. Das bei ihm bestehende Krankheitsbild erfordere jedoch eine Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen könne von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit nicht ausgegangen werden. Zuletzt hat der Kläger ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) vom 3. Dezember 2021 (- 12 Sa 27/19 -) vorgelegt und hierzu ausgeführt, das LAG habe in einem Berufungsverfahren betr. einer Kündigungsschutzklage ein Gutachten bei S eingeholt, in dem dieser zu der Einschätzung gelangt sei, dass er, der Kläger, aufgrund der psychischen Leiden dauerhaft arbeitsunfähig betr. die zuletzt ausgeübteTätigkeit bei der H AG sei. Es sei daher, so der Kläger unter Vorlage des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des S vom 15. Februar 2019 weiter, auch eine Erwerbsminderung anzunehmen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18. September 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2019 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.
Der Senat hat B1, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Leistungsfähigkeit des Klägers beauftragt. In seinem nervenärztlichen (neurologisch-psychiatrischen) Gutachten vom 12. Dezember 2019 hat B1 beim Kläger ein leichtes Wirbelsäulen-Syndrom ohne sensible oder motorische Defizite sowie eine Dysthymie diagnostiziert. Dem Kläger seien, so B1, aus neurologisch-psychiatrischer Sicht leichte, vorübergehend auch mittelschwere Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr möglich.
Der Kläger ist der gutachterlichen Einschätzung entgegengetreten. Er leide insb. unter der Wirbelsäulenproblematik, die von einem Neurologen und Psychiater nicht beurteilt werden könne.
Der Senat hat sodann K und D abermals schriftlich als sachverständige Zeugen zu einer klägerseits angeführten Verschlechterung des Gesundheitszustandes einvernommen. D hat unter dem 24. November 2020 von einer Verschlechterung der depressiven Symptome berichtet. K hat in seiner Stellungnahme vom 30. November 2020 seine Leistungseinschätzung bekräftigt.
Der Senat hat B1 ergänzend zu den Einwendungen des Klägers und den weiteren Arztauskünften befragt. Unter dem 18. Mai 2021 hat er hierzu mitgeteilt, dass sich hieraus keine Änderung seiner Einschätzung ergebe.
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2022, beim Senat am 20. Juni 2022 eingegangen, hat der Kläger die Einholung von Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf psychiatrischem und orthopädischem Gebiet beantragt und als Sachverständige H1 vorgeschlagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2022 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der des Klägers ist statthaft (vgl. § 143 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung führt jedoch für den Kläger nicht zum Erfolg. Der streitgegenständliche, den Antrag des Klägers ablehnende Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Senat kann dies entscheiden, ohne die vom Kläger am 20. Juni 2022 beantragten Gutachten nach § 109 SGG einzuholen. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG).
Eine Verzögerung tritt i.d.S. jedenfalls ein, wenn sich wegen einer Beweisaufnahme nach § 109 Abs. 1 SGG der durch die bereits erfolgte Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde. Da der Rechtsstreit mit Ladung vom 1. Juni 2022 für den 27. Juni 2022 terminiert und damit einer Entscheidungsfindung an diesem Tage zugeführt worden ist, würde die Einholung der begehrten Gutachten nach § 109 SGG die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Grobe Nachlässigkeit i.S.d. § 109 Abs. 2 SGG gründet regelmäßig darin, dass das Gericht den Rechtsstreit erkennbar für entscheidungsreif hält und der Verfahrensbeteiligte hierauf grob nachlässig nicht bzw. nicht rechtzeitig reagiert. Grob nachlässig handelt der Beteiligte, der die prozessuale Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich großem Umfang verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was jedem Verfahrensbeteiligten hätte einleuchten müssen. Vorliegend ist der Rechtsstreit bereits mit Ladung zum 28. April 2022 für den 31. Mai 2022 terminiert worden. Bereits hierdurch hat sich verdeutlicht, dass der Senat das Verfahren für entscheidungsreif erachtet. Obschon der Klägervertreter, nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung auf seinen Antrag hin wegen einer Terminskollision aufgehoben werden musste, sodann unter dem 23. Mai 2022 ein Sachverständigengutachten aus einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vorgelegt hatte, musste es für ihn spätestens mit der neuerlichen Ladung vom 1. Juni 2022 ersichtlich werden, dass der Senat nicht abermals in eine Beweisaufnahme eintreten werde. Es hätte sich einem sorgfältig arbeitenden Beteiligten aufdrängen müssen, dass ein Antrag auf eine weitergehende Beweisaufnahme sodann unverzüglich und nicht erst annähernd drei Wochen nach Eingang der Ladung zu stellen ist. Die Stellung des Antrages am 20. Juni 2022, d.h. erst eine Woche vor der terminierten mündlichen Verhandlung, ist hiernach grob nachlässig. Unter Berücksichtigung dessen, dass das Berufungsverfahren über einen Zeitraum von fast 32 Monaten anhängig ist, ist auch nach der freien Überzeugung des Senats die Ablehnung des jetzigen Antrages angezeigt. Dies gilt auch in Ansehung dessen, dass der zuvor bevollmächtigte Rechtsanwalt des Klägers bereits unter dem 4. Mai 2021 „hilfsweise“ einen Antrag nach § 109 SGG gestellt hat. Dieser hat den Antrag jedoch ausdrücklich unter die Bedingung gestellt, dass (zu diesem Zeitpunkt) keine weitere Sachaufklärung von Amts wegen durchgeführt werde. Da der Senat den diesbezüglichen Anträgen jedenfalls teilweise entsprochen und den gerichtlichen Sachverständigen B1 ergänzend befragt hat und hiernach der Antrag nicht (unbedingt) weiterverfolgt worden ist, und überdies im Nachgang hierzu (vor dem 20. Juni 2022) ein Arzt, der den Kläger begutachten solle, nicht namentlich benannt worden ist, rechtfertigt dies im Rahmen der vom Senat zu treffenden Ermessensentscheidung keine Entscheidung zu Gunsten des Klägers.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus folgt, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.
Bei dem Merkmal der "Erwerbsminderung" handelt es sich um ein positives, den Anspruch begründendes Element, für das der Versicherte, vorliegend der Kläger, die objektive Feststellungslast trägt. Kann trotz gerichtlicher Ermittlungen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass eine quantitative Leistungsreduzierung besteht, geht dies zu Lasten des Versicherten.
In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, einer Tätigkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Der Senat folgt der diesbezüglichen Leistungseinschätzung des gerichtlichen Sachverständigen B1 in dessen Gutachten vom 12. Dezember 2019. Der Gutachter gelangt anhand der von ihm erhobenen Befunden nachvollziehbar zu den von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen (auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymie, auf orthopädischem Fachgebiet ein leichtes Wirbelsäulen-Syndrom ohne sensible oder motorische Defizite) und zu der nachvollziehbaren und schlüssigen Einschätzung, dass die hierdurch bedingten Einschränkungen rein qualitativer Natur, nicht jedoch, wie für eine Rentengewährung erforderlich, quantitativer Natur sind. Der von B1 erhobene psychopathologische Befund zeigt keine gravierende Einschränkung einer psychischen Dimension. So hat der Gutachter ein ungestörtes Gedächtnis, ein unbeeinträchtigtes Wahrnehmungs- und Auffassungsvermögen, einen ungestörten Antrieb, eine voll erhaltene affektive Modulationsfähigkeit mitgeteilt und korrespondierend hierzu eine Einschränkung der Fähigkeit, am sozialen Leben teilzuhaben, verneint. Er hat ferner beim Kläger anhand von dessen Schilderungen eine erhaltene Fähigkeit zur Tagesstrukturierung, keinen Verlust des allgemeinen Interessenspektrums sowie bestehende soziale Kompetenzen bei einer nicht unüberwindbaren psychischen Hemmung festgestellt. In Ansehung dieser bestehenden psychischen Fähigkeiten ist dem Senat die Einschätzung des Gutachters nachvollziehbar. Im Übrigen hat auch der behandelnde Psychiater D keine quantitative Leistungseinschränkung angenommen, sondern vielmehr lediglich eine qualitative Einschränkung eines konfliktfeien Arbeitsumfeldes angeführt.
Die beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenerkrankungen bedingen gleichfalls keine quantitative Leistungsreduzierung. Befunde, die rechtfertigen könnten, dass das Wirbelsäulensyndrom in zeitlicher Hinsicht leistungseinschränkend ist, haben weder der gerichtliche Sachverständige B1 noch der behandelnde K mitgeteilt.
In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen, insb. auch der weiteren vom behandelnden K mitgeteilten Außenmeniskusläsion des linken Kniegelenks, einer beidseitigen Großzehengrundgelenksarthrose, beidseitigen Senk-Spreizfüße und einem beidseitigen Rotatorenmanschettensyndrom sowie der angeführten, jedoch vom behandelnden I nicht benannten Schwerhörigkeit, ist der Kläger nicht dahingehend eingeschränkt, dass eine leichte Tätigkeit nicht für einen Zeitraum von sechs Stunden täglich und mehr verrichtet werden kann. Soweit dem klägerseits zuletzt entgegengebracht worden ist, S habe in einem für das LAG erstellten Gutachten angeführt, er, der Kläger, sei arbeitsunfähig für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit bei der H AG, sieht sich der Senat nicht in der Lage, hierdurch zu einer abweichenden Überzeugungsbildung zu kommen, da die Frage der Erwerbsfähigkeit und die der Arbeitsunfähigkeit andere Bezugspunkte haben und S sein Einschätzung (entsprechend der ihm zu Beurteilung vorgelegten Frage) ausdrücklich auf eine Tätigkeit des Klägers bei der H AG bezogen hat und seiner Einschätzung daher maßgeblich auch das dortige – problembehaftete – Arbeitsverhältnis zu Grunde lag. Da indes auch S im Übrigen keine maßgeblichen Einschränkungen einer psychischen Dimension beschrieben hat, vermag sich der Senat auch in Ansehung des Gutachtens des S nicht von einer quantitativen Leistungsfähigkeit des Klägers zu überzeugen.
Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist. In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird. Zwar bestehen beim Kläger qualitative Leistungseinschränkungen (kein schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, keine Arbeiten in Zwangshaltung, keine Überkopfarbeiten, keine Arbeiten in Zugluft und Nässe sowie ohne ständiges Sitzen, Stehen und Gehen, keine Tätigkeiten mit einer erhöhten psychischen Belastung). Die vorliegenden Einschränkungen können damit zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes; diese Einschränkungen sind zur Überzeugung des Senats bereits dahingehend eingestellt, als sie vom Erfordernis einer „leichten Tätigkeit“ mit umfasst sind. Die beim Kläger vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen liegen überdies zur Überzeugung des Senats bei einer Vielzahl von Personen vor, so dass nicht von einer „Ungewöhnlichkeit“ auszugehen ist. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt dann vor, wenn es sich um eine auf eine spezielle Körperfunktion oder Erkrankung bezogene erhebliche Behinderung handelt, die sich entsprechend stark auf das Leistungsvermögen auswirkt. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts insb. Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gliedmaßen. Derartige Erkrankungen besehen beim Kläger nicht, jedenfalls nicht in einem relevanten Ausmaß.
Eine solche ergibt sich ferner nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist). Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Eine Fallkonstellation i.d.S. liegt vorliegend nicht vor. Der Kläger ist insb. ausreichend Wegefähig.
Da dem Kläger hiernach keine Verweisungstätigkeit zu benennen ist und ihm der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist, kann der geltend gemachte Anspruch auch nicht hierauf gestützt werden. Der Kläger hat mithin keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen oder einer teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI), da er nicht, wie gesetzlich gefordert, vor dem 2. Januar 1961 geboren ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2019 erweist sich daher als rechtmäßig; die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 18. September 2019 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 1126/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3357/19
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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