S 20 KA 164/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Abteilung
20
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 KA 164/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 

GSW

I.  Der Bescheid der Beklagten vom 9.1.2020 über den Widerruf der Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Versorgung chronisch schmerzkranker

II. Patienten in einer schmerztherapeutischen Einrichtung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2020 wird aufgehoben.Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

T a t b e s t a n d :

 

Der Kläger betreibt eine fachübergreifende Gemeinschaftpraxis mit Frau F2. in A-Stadt in der F3-Straße. Der Kläger ist Facharzt für Rehabilitative und Physikalische Medizin,  F2 Fachärztin für Anästhesiologie, beide führen die Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie und führen die Praxis unter der Bezeichnung „Schmerzzentrum M2-Stadt, Fachübergreifende Gemeinschaftspraxis für Interventionelle Schmerztherapie“.

Der Kläger und F2. verfügen über Genehmigungen nach der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie und sind demnach zur Abrechnung der GOP 30700 ff. EBM berechtigt.

Dem Kläger wurde überdies mit Bescheid vom 07.04.2008 die Genehmigung als schmerztherapeutische Einrichtung zur Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erteilt, die zur Abrechnung der GOP 30704 berechtigt.  F2. hatte eine solche Genehmigung im Jahre 2010 erhalten.

Die für den Kläger erteilte Genehmigung vom 07.04.2008 wurde unter anderem unter der Auflage erteilt, dass die Anzahl der regelmäßig in der Einrichtung behandelten chronisch schmerzkranken Patienten mindestens 150 im Quartal beträgt, der Anteil dieser Patienten mindestens 75 % der Gesamtzahl der Patienten beträgt und die Gesamtzahl der schmerztherapeutisch betreuten Patienten die Höchstzahl von 300 Behandlungsfällen pro Vertragsarzt pro Quartal nicht überschreitet.

Mit Anhörungsschreiben vom 29.7.2019 verwies die Beklagte auf Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM in Verbindung mit der Anlage I Ziff. 3 zur Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie. Der Anteil der chronisch schmerzkranken Patienten müsse mindestens 75 % der Gesamtzahl der Patienten ausmachen. Für die Quartale I/2018-IV/2018 habe der durchschnittliche Anteil dieser Patienten an der Gesamtzahl der Patienten 59,94 % betragen. Es sei deshalb ein Widerruf der Genehmigung bezüglich der Abrechnung der GOP 30704 zu prüfen.

Mit Schreiben vom 1.8.2019 legte der Kläger dar, dass er mit seiner Kollegin seit 2001 ein interdisziplinäres, fachübergreifendes Schmerzzentrum mit den Fachrichtungen Anästhesie und physikalische Medizin betreibe. Es würden im Durchschnitt 600 Schmerzpatienten pro Quartal, 300 Patienten pro Arzt, versorgt, hierbei 100 % Schmerzpatienten. Das Problem habe mit der Interdisziplinarität zu tun. Der Kläger werde bei vielen Patienten der Kollegin beratend und untersuchend zugezogen, wobei natürlich keine Doppelabrechnung der Schmerzziffern zulässig sei. Es handele sich also um die Behandlung der chronischen Schmerzpatienten seiner Kollegin. Die 75 % Regelung werde selbstverständlich erfüllt.

Mit Bescheid vom 9.1.2020 widerrief die Beklagte die Genehmigung vom 7.4.2008. Die Auflage, wonach der Anteil der schmerztherapeutisch betreuten Patienten an der Gesamtzahl der Patienten mindestens 75 % betragen müsse sei nicht erfüllt und deshalb der Verwaltungsakt gemäß § 47 Abs. 1 Nummer 2 SGB X wegen Nichterfüllung einer Auflage zu widerrufen. Nach Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM sei der in Rede stehende 75 % Anteil ebenso wie die geregelte Höchstgrenze von 300 schmerztherapeutischen Behandlungen pro Quartal Arzt bezogen und nicht praxisbezogen zu ermitteln. Wenn der Kläger Patienten der Kollegin auf seinem Fachgebiet mitbetreue, habe er korrekterweise über die dafür jeweils vorgesehenen Untersuchungsziffern abzurechnen. Die schmerztherapeutische Behandlung würden die Patienten in diesem Fall von der Praxiskollegin erhalten. Es werde darüber hinaus mit gesondertem Bescheid eine rechnerische Richtigstellung der Abrechnung hinsichtlich der GOP 30704 EBM in denjenigen Quartalen durchgeführt, in denen der 75 % Anteil nicht erreicht werde.

Bezüglich der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist das Verfahren 20 KA 410/22 anhängig.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.6.2020 abgewiesen. Die im Genehmigungsbescheid vom 7.4.2008 enthaltene Auflage eines Anteils von 75 % schmerztherapeutischer Patienten an der Gesamtzahl der Patienten sei nicht erfüllt. Bei der GOP 30704 handele es sich um einen genehmigungspflichtigen Zuschlag zur GOP 30702. Mit der GOP 30704 werde eine Leistung geschaffen, die auf die besonderen Belange von hochspezialisierten schmerztherapeutischen Zentren eingehe. Die hohen Anforderungen würden sich auf der anderen Seite in einer deutlichen Verbesserung der Vergütung widerspiegeln. Diese hohen Anforderungen seien ein Anteil von 75 % schmerztherapeutischer Patienten bei einer Anzahl von maximal 300 Fällen pro Vertragsarzt im Quartal und die schmerztherapeutische Einrichtung müsse an vier Tagen pro Woche mindestens je 4 Stunden schmerztherapeutische Sprechstunden vorhalten.

Mit hiergegen erhobener Klage wurde darauf verwiesen, dass der Kläger und F2. eine Berufsausübungsgemeinschaft unter einer einheitlichen Betriebsstättennummer betreiben würden. Beide Ärzte seien zur Abrechnung der GOP 30700 ff. befugt. Beide seien an ihr Fachgebiet gebunden, wobei der Kläger notwendige körperliche Untersuchungen speziell des Stütz- und Bewegungsapparates durchführe und F2.`s Domäne die verschiedenen Formen der Schmerzanästhesie seien.

Bei der Genehmigung zur Abrechnung der GOP 30704 EBM handele es sich um eine einrichtungsbezogene und nicht um eine personenbezogene Genehmigung, vgl. SG A-Stadt, Urteile vom 25.07.2012, Az. S 38 KA 1079/11 und S 38 KA 1270/11. Dennoch behandele die Beklagte die einrichtungsbezogene Genehmigung ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass sie es mit einer BAG zu tun habe. Die Unterschreitung der 75 % Quote beruhe darauf, dass die Beklagte die Patientenzahl individuell zähle. Wenn der Kläger Patienten, die im Quartal schon von F2. schmerztherapeutisch behandelt worden seien, wofür die GOP 30700 EBM auf deren LANR abgerechnet worden sei, noch zusätzlich körperlich untersuche könne er hierfür die GOP 27211 oder 27212 aus seinem Fachgebiet ansetzen. Dennoch würden es sich auch dabei um Schmerzpatienten handeln und sei einrichtungsbezogen zu zählen.

Die Beklagte legte dar, dass die Voraussetzungen des 75-prozentigen Anteils arztbezogen vorliegen müssten. Sie verwies auf die Voraussetzungen für schmerztherapeutische Einrichtungen, Anlage I zur Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie nach § 135 Abs. 2 SGB V (QSV). Darüber hinaus sei ausschließlich in Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM geregelt, dass der Mindestanteil der schmerztherapeutisch betreuten Patienten an der Gesamtzahl der Patienten 75 % betragen müsse, die Gesamtzahl der schmerztherapeutisch betreuten Patientenzahl von 300 Behandlungsfällen pro Vertragsarzt pro Quartal nicht überschreiten dürfe. Qualifikationsabhängige Genehmigungen zur Durchführung und Abrechnung bestimmter Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung würden stets arztbezogen erteilt, auch wenn die Abrechnungsgenehmigung für einen beim Vertragsarzt oder bei einem medizinischen Versorgungszentrum angestellten Arzt formal dem Arbeitgeber zu erteilen sei, vergleiche § 11 Abs. 2a BMV-Ä. Bei Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) aus zugelassenen Vertragsärzten seien qualifikationsabhängige Genehmigungen stets dem zugelassenen Arzt, der die entsprechenden Leistungen erbringen und abrechnen will, persönlich zu erteilen. Es sei insoweit auf das Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 16.2. 2009 zu verweisen, ebenso auf die Kommentierung im Kölner Kommentar zur GOP 30704, dort sei der 75 % Anteil von schmerztherapeutischen Patienten in einem Satz mit der Höchstgrenze von maximal 300 Fällen pro Vertragsarzt und Quartal genannt. Die genannten Urteile des Sozialgerichts München, 38. Kammer, hätten sich im Wesentlichen mit dem EBM-Wortlaut befasst ohne die QSV Schmerztherapie heranzuziehen oder auf § 11 BMV-Ä abzustellen. Der Anlage I zur QSV Schmerztherapie sei zu entnehmen, dass auch eine Einzelpraxis eine schmerztherapeutische Einrichtung bilden könne.

Es widerspreche darüber hinaus auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, wenn ein Arzt den 75 % Anteil nicht persönlich erfüllen müsste, denn aus der einrichtungsbezogenen Berechnung würde sich in bestimmten Konstellationen eine Besserstellung von Gemeinschaftspraxen oder medizinischen Versorgungszentren gegenüber Einzelpraxen ergeben. Auch abrechnungsrechtliche Aspekte würden für eine arztbezogene Prüfung des 75 % Anteil sprechen, da die GOP 30704 ein Zuschlag zu der Zusatzpauschale nach GOP 30702 sei und hier der hohe Aufwand abgebildet sei, der mit der Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten verbunden sei. Es sei also in vergütungsrechtlicher Hinsicht angemessen, nur demjenigen hochspezialisierten Arzt, der ausschließlich oder weit überwiegend chronisch schmerzkranke Patienten mit der aufwändigen Behandlung nach 30702 EBM versorge, den Ansatz des Zuschlags nach GOP 30704 zu ermöglichen. Dieser stelle einen finanziellen Ausgleich dafür dar, dass durch die zeitintensive ausschließliche oder weit überwiegende Behandlung chronischer Schmerzpatienten die Behandlung sonstiger Patienten in einem nur sehr eingeschränkten Umfang möglich sei.

Die Beklagte teilte sodann mit Schriftsatz zum 20.5.2021 mit, dass der Kläger zwischenzeitlich den 75 % Anteil wieder erreicht habe. Desweiteren legte sie eine Übersicht über die vorgenommene Berechnung für die Quartale ab I/2018 vor. Dort werden etwa für das Quartal 1/2018 für den Kläger 284 und für F2. 289 Patienten mit abgerechneter GOP 30700 genannt, für den Kläger zusätzlich 204 Patienten mit GOP 27211-27212, mithin für den Kläger ohne GOP 30700, und sodann ein Anteil der Schmerztherapie-Fallzahl für den Kläger von 58,2 % ermittelt. Für die Quartale II/2018 und III/2018 werden 307 bzw. 302 Patienten mit abgerechneter GOP 30700 für den Kläger genannt. Für Quartal IV/2019-IV/2020 wird mit Ausnahme des Quartals III/2020 eine Überschreitung des 75 % Anteils angegeben.

Der Klägerbevollmächtigte verwies darauf, dass zwar die Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM nicht eindeutig sei, jedoch der Genehmigungsbescheid in Ziffer III.2. schon. Dort sei nur die Rede von der Einrichtung und den behandelten chronisch schmerzkranken Patienten. Der Anteil dieser Patienten solle mindestens 75 % der Gesamtzahl der Patienten ausmachen. Der Bezug zu der Gesamtzahl der Patienten könne nach dieser Formulierung nur zur Einrichtung bestehen. Es sei im Übrigen nirgends geregelt, dass die Gesamtanzahl der behandelten chronischen Schmerzpatienten im Sinne der Qualitätssicherungsvereinbarung sich nur aus der abgerechneten Anzahl der GOP 30700 EBM ergeben müsse. Es sei die Diagnose ausschlaggebend. Schmerzdiagnosen kämen in allen Leistungsbereichen vor und es könne auch die für den Kläger fachgebietsrelevante GOP 27211/27212 EBM abgerechnet werden. Der Patient, der ein Schmerzfall nach GOP 30700 sei, bleibe auch im zweiten Arztfall bei der Abrechnung der GOP 27211/27212 ein Schmerzpatient.

Die Beklagte verwies auf Ziffer II. des Genehmigungsbescheids vom 7.4.2008, dort heiße es: „Ihnen wird die Genehmigung als schmerztherapeutische Einrichtung… erteilt.“ Damit sei klargestellt, dass die Genehmigung personenbezogen sei. In § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 QSV seien die Gruppen chronisch schmerzkranker Patienten definiert. Danach habe der Arzt bei einem persönlichen Kontakt mit diesen Patienten die Grundpauschale nach der GOP 30700 EBM anzusetzen. Habe bereits F2. diese GOP angesetzt, so könne der Kläger sie nicht nochmals ansetzen, sondern lediglich die Grundpauschale seines Fachgebiets, GOP 27211, 27212 EBM. Andere Patienten, bei denen die GOP 30700 nicht anzusetzen sei, könnten nicht bei der Ermittlung der Gesamtzahl der chronisch schmerzkranken Patienten eines Arztes mitgezählt werden. Denn bei diesen Patienten würde die zeitaufwändige Behandlung nach der QSV nicht anfallen, wie sie in GOP 30702 abgebildet sei, wobei die GOP 30704 ein Zuschlag zur GOP 30702 sei.

Der Klägerbevollmächtigte legte die von der Beklagten verwendeten Antragsformulare vor, dort werde in Ziffer 5 unterschieden zwischen der Gesamtzahl der schmerztherapeutisch betreuten Patienten, die pro Vertragsarzt im Quartal zu zählen sei, Ziffer 5.1, und die durch die schmerztherapeutische Einrichtung zu erfüllende Auflage von regelmäßig mindestens 150 chronisch schmerzkranken Patienten im Quartal, Ziffer 5.2. Damit sei klar, dass die Höchstzahl von 300 Patienten personenbezogen und die Mindestzahl von 150 Patienten einrichtungsbezogen zu zählen sei. Allein die geforderte Angabe, ob es sich bei der Einrichtung um eine Schmerzklinik, Schmerzabteilung im Krankenhaus, Schmerzambulanz oder Schmerzpraxis handele, zeige, dass das Genehmigungssubjekt „Einrichtung“ losgelöst von der Person des Antragstellers zu betrachten sei. Es seien eben neben personenbezogenen fachlichen Anforderungen auch einrichtungsbezogene Anforderungen zu erfüllen. Im Übrigen sei im Falle einer BAG wie hier die BAG nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts immer als Einheit gegenüber der zuständigen KV zu behandeln, vergleiche Urteil des Bundessozialgerichts vom 20.10.2004, B 6 KA 41/03 R, Rz. 37. Damit sei zumindest dann, wenn allen Mitgliedern der BAG die Genehmigung einer schmerztherapeutischen Einrichtung erteilt worden sei, diese Einrichtung als Einheit anzusehen.

Die Beklagte erwiderte, dass qualifikationsgebundene Abrechnungsgenehmigungen im Vertragsarztrecht, hier die Genehmigung zur Abrechnung des Zuschlags nach der GOP 30704 EBM, stets personenbezogen erteilt würden und gerade nicht für alle Ärzte innerhalb einer BAG gelten würden. Der unklare Wortlaut des EBM, der auch in das Antragsformular zur Genehmigung übernommen worden sei, helfe vorliegend nicht weiter. Vielmehr sei der Sinn und Zweck des Zuschlags nach der GOP 30704 EBM für die Auslegung der nachzuweisenden Voraussetzung maßgeblich. Wie ausgeführt sei hier von einer arztbezogenen Anforderung des 75 % Anteils auszugehen.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.1.2023 stellte der Klägerbevollmächtigte

Antrag aus der Klageschrift vom 31.7.2020.

Die Beklagtenvertreterin beantragt

Klageabweisung.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Die Beklagte war nicht berechtigt, die mit Bescheid vom 7.4.2008 dem Kläger erteilte Genehmigung als schmerztherapeutische Einrichtung zur Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung wegen Nichterfüllung einer Auflage gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X zu widerrufen. Der Bescheid vom 9.10.2020 und der Widerspruchsbescheid vom 24.6.2020 waren deshalb aufzuheben.

Der Genehmigungsbescheid vom 7.4.2008 war in Ziffer III mit mehreren Auflagen erteilt worden. Allein streitig war vorliegend, ob der Kläger die Auflage erfüllt, wonach der Anteil der Schmerzpatienten mindestens 75 % an der Gesamtzahl der Patienten betragen muss. Die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen zur Genehmigung als schmerztherapeutische Einrichtung durch den Kläger ist unter den Beteiligten nicht streitig.

Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger die Voraussetzung eines Anteils der Schmerzpatienten von mindestens 75 % an der Gesamtzahl der Patienten nach der von der Beklagten vorgelegten Berechnung erfüllt.

Von der Beklagten mit Schriftsatz vom 20.05.2021 vorgelegte Übersicht:

 

Der Kläger legte – von der Beklagten unbestritten – dar, dass die aufgeführten Patienten, bei denen eine GOP 27211, 27212 vom Kläger angesetzt wurde, Patienten seien, für die von F2. die GOP 30700 abgerechnet wurde. Damit befanden sich in den Quartalen I/2018-IV/2018 zwischen 573 und 599 Patienten im Quartal in der Gemeinschaftspraxis, bei denen entweder vom Kläger oder von F2. die GOP 30700 abgerechnet worden war. Diese Schmerzpatienten teilten sich jeweils zu fast gleichen Teilen auf die beiden Ärzte auf. Hinzu kamen noch ganz vereinzelt andere Patienten. Der Kläger hatte also in den Quartalen I/2018-IV/2018 zwischen 284-307 Patienten im Quartal behandelt, bei denen die GOP 30700 für ihn abgerechnet wurde, zusätzlich 182-214 Patienten, bei denen die GOP 30700 bei  F2 angesetzt worden war und beim Kläger die GOP 27211, 27212.

Aus Sicht des Gerichts hat der Kläger damit die Voraussetzung eines Anteils der Schmerzpatienten von mindestens 75 % an der Gesamtzahl der Patienten, vgl. Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM, erfüllt.

Wie auch von der Beklagten dargelegt ist der Wortlaut in Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM für den hier gegebenen Fall einer Gemeinschaftspraxis mit Genehmigung zur Abrechnung der GOP 30704 für beide Ärzte nicht eindeutig. Die Ziffer 6 nennt zunächst Voraussetzungen, die in der schmerztherapeutischen Einrichtung zu erfüllen seien von regelmäßig mindestens 150 chronisch schmerzkranken Patienten im Quartal etc. Sodann folgt der Satz, nachdem der Anteil der schmerztherapeutisch betreuten Patienten an der Gesamtzahl der Patienten mindestens 75 % betragen müsse. In einem weiteren Satz wird ausgeführt, dass die Gesamtzahl der schmerztherapeutisch betreuten Patienten die Höchstzahl von 300 Behandlungsfällen pro Vertragsarzt pro Quartal nicht überschreiten dürfe. Auch die Kommentierung im Kölner Kommentar zu GOP 30704 bringt keine Klarheit, da dort von hochspezialisierten schmerztherapeutischen Zentren die Rede ist mit Anteil von 75 % schmerztherapeutischen Patienten bei einer Anzahl von maximal 300 Fälle pro Vertragsarzt im Quartal. Ebensowenig entsteht Klarheit durch das Schreiben der KBV vom 16.2.2009, dort ist der Anteil der schmerztherapeutischen Patienten an der Gesamtzahl der betreuten Patienten unter Ziffer 2 und die Höchstzahl von 300 schmerztherapeutischen Behandlungsfällen pro Vertragsarzt pro Quartal unter Ziffer 3 genannt. Auch § 11 Abs. 2a BMV-Ä hilft nicht weiter; Satz 1 der Regelung bezieht sich auf eine zu erteilende Genehmigung, Satz 2 der Regelung (angestellter Arzt bei Vertragsarzt oder MVZ) ist vorliegend nicht gegeben.

Eindeutig ist im Zusammenhang mit Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM danach aus Sicht des Gerichts lediglich, dass die Voraussetzung einer Höchstzahl von 300 Behandlungsfällen pro Vertragsarzt pro Quartal auf den einzelnen Vertragsarzt zu beziehen ist. Der Kläger hatte diese Zahl zwar in den Quartalen II/2018-IV/2018 leicht überschritten, ein Widerruf einer Genehmigung allein aus diesem Grund würde sich jedoch aus Sicht des Gerichts als unverhältnismäßig darstellen.

Für die Frage, worauf sich der 75 % Anteil zu beziehen hat, ist aus Sicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass hier eine Gemeinschaftspraxis, also Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), des Klägers mit F2. besteht. Wie vom Bundessozialgericht im Urteil vom 20.10.2004, Az. B 6 KA 41/03 R, Rz. 37, ausgeführt ist eine Gemeinschaftspraxis berechtigt, Leistungen unter einer einzigen Abrechnungsnummer gegenüber der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen und dieser gegenüber dementsprechend wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit aufzutreten. Wie das Bundessozialgericht weiter ausführt stellt die Behandlung eines Patienten in einem Quartal durch verschiedene Mitglieder der Gemeinschaftspraxis einen Behandlungsfall dar.

Die Beklagte hatte hier für beide Mitglieder der Gemeinschaftspraxis getrennt Genehmigungen zur Abrechnung der GOP 30704 erteilt. Wie vom Klägerbevollmächtigten zutreffend zitiert waren dabei in Ziff. 5.1 und 5.2 des verwendeten Antragsformulars Auflagen angeführt, die durch den Arzt selbst (Ziffer 5.1) bzw. von der Einrichtung (Ziffer 5.2, hier auch aufgeführt der 75 % Anteil) zu erfüllen seien. Im Bescheid vom 7.4.2008 selbst wird sodann die Formulierung aus Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM übernommen mit getrennten Sätzen bzgl. 75 %-Anteil und Höchstzahl 300 Schmerzpatienten pro Vertragsarzt.

Weder Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM noch die Formulierung im Bescheid vom 7.4.2008 stellt sich damit bezüglich der Frage, auf was der 75 % Anteil zu beziehen ist, als eindeutig dar.

Schmerzpatienten im Sinne des Kapitels 30.7 EBM sind nach Auffassung des Gerichts ausschließlich Patienten, bei denen die GOP 30700 abgerechnet wird. Nachdem die hier in Rede stehende Genehmigung zur Berechnung der GOP 30704 einen Zuschlag zur GOP 30702 darstellt und auch diese GOP nur neben der GOP 30700 berechnungsfähig ist, sind also als Schmerzpatienten nur diejenigen Patienten einzubeziehen, bei denen die GOP 30700 abgerechnet wird.

Nicht zu beanstanden und sogar erforderlich ist, dass von der Beklagten Genehmigungen bzgl. Abrechnung GOP 30704 im Falle einer Gemeinschaftspraxis für jeden Arzt/jede Ärztin einzeln erteilt werden. Es liegt eben kein Fall des § 11 Abs. 2a BMV-Ä, angestellter Arzt bei Vertragsarzt (mit einer solchen Konstellation beschäftigten sich die Urteile der 38. Kammer des SG A-Stadt vom 25.07.2012, S 38 KA 1079/11, S 38 KA 1270/11) oder MVZ, vor, mit Erteilung der Genehmigung nur für den qualifizierten Arzt, sondern die Genehmigung muss für jeden Vertragsarzt der BAG separat erteilt werden. Im Übrigen würde - könnte eine Gemeinschaftspraxis nur einheitlich eine Genehmigung beantragen - dies dazu führen, dass ein Arzt/eine Ärztin mit schmerztherapeutischer Ausrichtung in einer Gemeinschaftspraxis mit anderen Ärzten ohne diese Ausrichtung ggf. keine solche Genehmigung erwirken könnte;

Offen bleiben kann aus Sicht des Gerichts, ob im Falle einer Genehmigung zur Abrechnung der GOP 30704 für jeden der Vertragsärzte einer Gemeinschaftspraxis sodann insgesamt von einem einheitlichen schmerztherapeutischen Zentrum auszugehen ist.

Haben jedoch wie vorliegend beide Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis eine Genehmigung zur Abrechnung der GOP 30704, so ist aus Sicht des Gerichts der 75 % Anteil an der Gesamtzahl der Patienten im Ergebnis auf die Behandlungsfälle jedes einzelnen Arztes in der Gemeinschaftspraxis zu beziehen. Wie oben ausgeführt geht das Bundessozialgericht, aaO, davon aus, dass die Gemeinschaftspraxis als einheitliche Rechtspersönlichkeit auftritt und die Behandlung eines Patienten in einem Quartal durch verschiedene Mitglieder der Gemeinschaftspraxis einen Behandlungsfall darstellt. Ausgehend von diesen Grundsätzen gab es somit etwa im Quartal I/2018 573 Behandlungsfälle in der Gemeinschaftspraxis, bei allen abgerechnet: GOP 30700. Die 284 Behandlungsfälle des Klägers erfüllen damit eine 100 % Quote bzgl. des Anteils von Schmerzpatienten, bei denen durch den Kläger in der Gemeinschaftspraxis die GOP 30700 abgerechnet wurde. Die Mitbehandlung der weiteren 204 Patienten, für die bei F2. die GOP 30700 angesetzt worden war, fallen nicht ins Gewicht, da es sich wie eben ausgeführt um einen Behandlungsfall der Gemeinschaftspraxis (hier einen Behandlungsfall, für den die GOP 30700 von F2 .angesetzt wurde) handelt. Diese Betrachtung entspricht auch Sinn und Zweck der hohen Anforderungen für hochspezialisiert schmerztherapeutisch tätige Ärzte als Voraussetzung für die Berechnung der Gebührenordnungsposition 30704. Der Kläger hatte nämlich letztlich (fast) nur Patienten behandelt, bei denen im Rahmen der Gemeinschaftspraxis von einem der beiden Ärzte die GOP 30700 angesetzt worden war. Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz wegen Bevorzugung einer Gemeinschaftspraxis etwa gegenüber einer Einzelpraxis sieht das Gericht nicht. Bezieht man den 75 % Anteil auf die Behandlungsfälle des Klägers in der Gemeinschaftspraxis, so kann auch eine Gemeinschaftspraxis wie hier mit zwei Ärzten bei Einhaltung des 75 % Anteils insgesamt nicht mehr als 800 Patienten (max. 600 Schmerzpatienten plus max. 200 weitere Patienten) behandeln. Für den Einzelarzt mit einer solchen Genehmigung gilt, dass er maximal 300 Schmerzpatienten plus maximal 100 weitere Patienten behandeln kann. Bereits dargelegt wurde, dass aus Sicht des Gerichts die Voraussetzung einer Höchstzahl von 300 Behandlungsfällen von Schmerzpatienten pro Vertragsarzt pro Quartal auch im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis auf den einzelnen Vertragsarzt zu beziehen ist. Damit ergeben sich aus Sicht des Gerichts keine Vorteile für eine Gemeinschaftspraxis durch die hier vorgenommene Berechnung. Die hier erfolgte Mitbehandlung des Klägers auf seinem Fachgebiet stellt im Übrigen gerade eine nach der QSV erwünschte interdisziplinäre Herangehensweise dar, vergleiche § 5 Nummer 3 QSV: verpflichtende Teilnahme an interdisziplinären Schmerzkonferenzen.

Der Klage war nach alledem stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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