L 6 KR 9/18

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 21 KR 21/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 9/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Abweisung der Anfechtungsklage bei gleichzeitiger Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion führt zur bindenden Bestandskraft der Ablehnung in der Sache.
2. Die Gutgläubigkeit des Versicherten zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung ändert sich aber nicht mehr rückwirkend durch die Abweisung einer auf § 13 Abs 3 SGB V gestützten Anfechtungsklage.
3. Ein Freistellungsanspruch aufgrund einer Genehmigungsfiktion kann nicht bestehen, wenn für den Versicherten und den Leistungserbringer offensichtlich ist, dass der Versicherte die Kosten nicht zu tragen hat.
4. Ein Anspruch auf Freistellung von Forderungen des Leistungserbringers kann der Versicherte nicht auf § 6 Abs 6 HKP-RL stützen.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. Januar 2018 wird abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt die Freistellung von Kosten aufgrund ärztlich verordneter Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege.

 

Der Kläger ist 1958 geboren und lebt in einem Wohnheim. Träger der Einrichtung ist der Beigeladene zu 2). Von dem Beigeladenen zu 1) erhielt der Kläger seinerzeit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

 

Am 14. August 2014 verordneten die Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. E. das Richten von Medikamenten nach einem Medikamentenplan (Wochenbox) für den Zeitraum vom 1. bis 15. September 2014. Zur Begründung heißt es, der Kläger könne dies nicht allein leisten. Es liege ein frühkindlicher Hirnschaden vor. Der Kläger gab in seinem Antrag vom gleichen Tage an, die verordneten Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege könnten nicht durch eine im Haushalt lebende Person erbracht werden. Der Antrag ging am 3. September 2014 bei der Beklagten ein.

 

Ähnlich verordneten die genannten Fachärzte das Herrichten von Medikamenten nach einem Medikamentenplan für den anschließenden Zeitraum bis 31. Dezember 2014. Der darauf gerichtete Antrag ging am 17. September 2014 bei der Beklagten ein.

 

Mit Schreiben vom 16. September 2014 wies die Beklagte in Bezug auf die Verordnung für den Zeitraum vom 1. bis 15. September 2014 darauf hin, dass der Kläger nach ihren Feststellungen in einer Einrichtung der Behindertenhilfe wohne. Man sei verpflichtet, im Einzelfall einen Leistungsanspruch anhand des Heimvertrages zu prüfen. Mit weiterem Schreiben vom 25. September 2014 bat die Beklagte zur Prüfung des gleichen Verordnungszeitraumes um Übersendung einer Kopie des Heimvertrages. In dem daraufhin am 29. September 2014 übersandten Wohn- und Betreuungsvertrages vom 15. Juli 2014 wird u. a. festgehalten: „Es werden folgende Leistungen der medizinischen Behandlungspflege erbracht:

 

Medikamentengabe

 

Hilfe bei Bagatellverletzungen.“

 

Mit zwei Bescheiden vom 2. Dezember 2014 lehnte die Beklagte die Verordnung von häuslicher Krankenpflege bzw. eine Kostenübernahme für den Zeitraum vom 1. bis 15. September bzw. 16. September 2014 bis 31. Dezember 2014 ab, da diese Leistung durch das Personal der Einrichtung übernommen werden müsse.

 

Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein und wies darauf hin, dass Heim sei rechtlich nicht verpflichtet, Medikamente zu geben. Daher sei insoweit die Krankenkasse leistungspflichtig. Die Einrichtung sei hierzu mangels pflegerischen Fachpersonals auch nicht imstande. Das Richten von Medikamenten sei etwas anderes als die Medikamentengabe. Gemäß dem aktuellen Rahmenvertrag gehöre das Richten von Medikamenten zur Behandlungspflege Gruppe 2 und dürfe nicht von Helferberufen vorgenommen werden (§ 3 i.V.m. § 18 Abs. 4 Rahmenvertrag).

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2015 wies die Beklagte die Widersprüche zurück und wies zur Begründung u.a. auf das Leistungsverzeichnis der HKP-Richtlinie Nr. 26 hin. Medikamentengabe sei danach der Oberbegriff für das Richten und die Gabe bzw. Kontrolle der Einnahme von Medikamenten.

 

Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 26. Februar 2015 Klage erhoben und ausgeführt, es liege eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vor. Ferner sei der Heimvertrag ab 1. Januar 2015 geändert worden. Am 1. Februar 2017 stellte der Beigeladene zu 2) rund zwei Wochen nach der Beiladung dem Kläger für Behandlungspflege im Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2014 insgesamt 142,24 € in Rechnung. In einem Begleitschreiben hat er ausgeführt, ihm sei bekannt, dass der Kläger hierzu einen Rechtsstreit mit der Beklagten führe. Bis zum Ausgang des Verfahrens werde die Rechnung gestundet.

 

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund ihres Hinweises sei eine rechtzeitige Mitteilung am 16. bzw. 25. September 2014 erfolgt.

 

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt, die angegriffenen Bescheide aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, das verordnete Richten von Medikamenten zu genehmigen und hilfsweise, ihn von den Kosten der in Anspruch genommenen häuslichen Krankenpflege freizustellen.

 

Mit Urteil vom 10. Januar 2018 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau festgestellt, dass die Anträge des Klägers auf Genehmigung häuslicher Krankenpflege vom 17. August 2014 und vom 8. September 2014 nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die durch den ersten Antrag ausgelöste Dreiwochen-Frist habe am 24. September 2014 geendet. Innerhalb der Frist habe die Beklagte keine Hinderungsgründe für eine Entscheidung mitgeteilt. Das Schreiben vom 25. September 2014 sei nach dieser Frist erstellt worden. Die Anfechtungsklage sei dagegen abzuweisen, da die angegriffenen Bescheide nicht rechtswidrig seien. Der Kläger sei nicht leistungsberechtigt. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt, da das Richten der Medikamente durch den Träger der beigeladenen Einrichtung vorgenommen werden müsse. Ob die durch den Heimvertrag geschuldete Leistung durch das in der Einrichtung beschäftigte Personal erbracht werden könne, müsse nicht geklärt werden. Hierzu habe nach den üblichen Grundsätzen des Vertragsrechts die Einrichtung einzustehen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.

 

Gegen das Urteil hat die Beklagte noch im selben Monat Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, mangels einer Abrechnung des Beigeladenen zu 2) mit ihr fehle der Klage ein Rechtsschutzbedürfnis. Nach den Maßgaben aus § 35 Abs. 2 des Rahmenvertrages könne sich der Beigeladene zu 2) dem nicht durch eine Rechnungsstellung gegenüber dem Kläger entziehen. Die Voraussetzungen einer Genehmigungsfiktion lägen nicht vor. Die Leistungen zur häuslichen Krankenpflege in Form des Richtens der Medikamente seien hier zum Zeitpunkt des Eingangs der Verordnung bei der Beklagten am 3. sowie 17. September 2014 bereits erbracht worden. Im Falle der Verordnung vom 14. August 2014 habe der Leistungszeitraum vollständig innerhalb der Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a SGB V gelegen. Damit sei denklogisch eine Entscheidung über die beantragte Leistung nicht mehr möglich. Zudem hätte dem Kläger deutlich sein müssen, dass er angesichts des abgeschlossenen Vertrages über die häusliche Krankenpflege keinen Anspruch auf Leistungen gegen sie habe. Ein Anspruch nach          § 37 SGB V sei offensichtlich nicht gegeben. Im Übrigen sei auch keine Beschaffungsmaßnahme des Klägers zur Leistungserbringung ersichtlich oder vorgetragen.

 

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

 

         das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. Januar 2018 abzuändern  

 

         und die Klage insgesamt abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, ihn von der Forderung des Beigeladenen zu 2) über 142,24 € für die Behandlungspflege im Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2014 (Rechnung vom 1. Februar 2017) freizustellen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Der Berichterstatter hat den Kläger darauf hingewiesen, dass innerhalb der Frist von drei Wochen gemäß § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V keine Beschaffungsmaßnahme erkennbar sei. Es werde um Vorlage des entsprechenden Vertrages gebeten. Im Übrigen sei für eine Leistungspflicht - außerhalb einer Genehmigungsfiktion - nach der neusten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (7. Mai 2020, B 3 KR 4/19 R) nichts ersichtlich.

 

Der Kläger hat dieser Rechtsansicht ausführlich widersprochen und im Übrigen vorgetragen, Unterlagen außerhalb der Verordnung gebe es nicht. Ein Behandlungsvertrag bedürfe nicht der Schriftform.

 

Die Beteiligten einschließlich der Beigeladenen haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Über die Berufung konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

 

Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden.

 

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Freistellung von Kosten.

 

1. Weder die Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 SGB V noch § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V liegen als Rechtsgrundlage für eine Kostenfreistellung vor. Beide setzen einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 bis 3 SGB V voraus (BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris). Nach § 37 Abs. 4 SGB V sind Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann (Alt. 1) oder Grund besteht, davon abzusehen (Alt. 2). Ist eine der vorgenannten Alternativen erfüllt, wandelt sich der die häusliche Krankenpflege betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um (vgl. BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris). Auch der Kostenübernahmeanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris).

 

a) Ein solcher Anspruch kann hier bereits deshalb nicht mehr bestehen, weil die Beklagte einen solchen Anspruch mit den bestandskräftigen Bescheiden vom 2. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2015 bindend verneint hat

 

(§ 77 SGG). Gegen die Abweisung der Anfechtungsklage hat der Kläger keine Berufung eingelegt.

 

b) Darüber hinaus besteht ein solcher Anspruch auch ohne Berücksichtigung der Bestandskraft nicht.

 

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte (nur) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V u.a. häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Nach § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V erhalten Versicherte in stationären Einrichtungen im Sinne des § 43a SGB XI nach Satz 1, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. Nach § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur dann, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen oder versorgen kann. Nach § 37 Abs. 6 SGB V legt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 SGB V fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs. 1 und 2 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.

 

Das BSG hat den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege mangels ausdrücklicher Definition des Tatbestandsmerkmals „geeigneter Ort“ in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V wiederholt und unter Berücksichtigung des gesetzeskonformen untergesetzlichen Regelwerks der Richtlinie des GBA über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL, hier in der Neufassung vom 17.9.2009, BAnz Nr. 21a vom 9.2.2010, Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege in der Version vom 7.10.2014, veröffentlicht im BAnz AT 06.10.2014 B2) dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich u. a. für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (wie z.B. in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen, vgl. auch § 1 Abs. 6 HKP-RL). Ob ein solcher Anspruch besteht, muss die Krankenkasse im Einzelfall prüfen (BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris).

 

Auch Einrichtungen im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII können grundsätzlich geeignete Orte für die Erbringung von häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V durch die gesetzliche Krankenversicherung sein, wenn der Versicherte im Einzelfall keinen Anspruch auf die Erbringung der Maßnahme durch die Einrichtung hat (BSG, a.a.O.) Solche Einrichtungen sind nach den gesetzlichen Bestimmungen (vgl. §§ 75 SGB XII ff a.F. bis 31.12.2019 zum Vertragsrecht der Einrichtungen) grundsätzlich nur soweit zur Erbringung von medizinischer Behandlungspflege verpflichtet, wie diese aufgrund der sächlichen und personellen Ausstattung von der Einrichtung erbracht werden kann (vgl. BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris). Im Rahmen der von der Einrichtung geschuldeten Pflege hat diese grundsätzlich nur einfachste Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege zu erbringen, für die es keiner besonderen medizinischen Sachkunde oder medizinischer Fertigkeiten bedarf und die daher regelmäßig von dem in der Einrichtung beschäftigten Personal, wie von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen, ohne Weiteres ausgeführt werden können. Zur Abgrenzung ist insoweit auch § 37 Abs. 3 SGB V heranzuziehen, demnach der Anspruch auf häusliche Krankenpflege ausgeschlossen ist, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (vgl. BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris). Das bedeutet zwar nicht, dass das Personal in den Einrichtungen damit in jeder Hinsicht pflegebereiten Haushaltsangehörigen i. S. des § 37 Abs. 3 SGB V gleichgestellt wird. § 37 Abs. 2 SGB V enthält aber auch Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, die ohne medizinische Vorkenntnisse von Laien erbracht werden können. Dies ist in der hier betroffenen Einrichtung der Fall. Solche Leistungen des Richtens der Medikamente werden bereits von der Pauschale nach § 43a SGB XI mitumfasst.

 

Nach den vertraglichen Regelungen ist die Beigeladene zu 2) verpflichtet, solche Leistungen selbst zu erbringen.

 

In dem abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrag wird in § 1 zunächst auf vorvertragliche Informationen nach § 3 WBVG (Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen) hingewiesen und sodann ausgeführt, die Wohneinrichtung (der Beigeladene zu 2) habe mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 76 ff SGB XII eine Leistungsvereinbarung mit Leistungsbeschreibung „in der jeweils gültigen Fassung“, eine Vergütungs- sowie eine Prüfungsvereinbarung abgeschlossen. Der Landesrahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII ist ausdrücklich Vertragsgrundlage.

 

In § 4 wird ausgeführt, das für Leistungen berechnete Entgelt richte sich nach dem sachlich zuständigen Sozialhilfeträger nach § 75 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 76 ff SGB XII.

 

In dem Vertrag ist schließlich ausdrücklich festgehalten, dass es sich um ein Wohnheim an der Werkstatt für behinderte Menschen mit wesentlichen geistigen und mehrfachen Behinderungen (Leistungstyp 5A) handelt.

 

Nach den Maßstäben des BSG (BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris; auch § 1 Abs. 6 Satz 2 HKP-RL) ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung die konkrete behandlungspflegerische Maßnahme nach ihrem Aufgabenprofil, der Ausrichtung auf ein bestimmtes Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung selbst zu erbringen hat. Danach verläuft die Grenze der von einer Einrichtung geschuldeten Leistungen dort, wo diese vom Personal der Einrichtung erbracht werden können und müssen. Muss die Einrichtung kein medizinisch ausgebildetes Personal vorhalten, sind regelmäßig nur einfachste Maßnahmen der Krankenpflege von der Einrichtung selbst zu erfüllen. Leistungspflichten, die nur von medizinisch ausgebildetem Fachpersonal erfüllt werden könnten, scheiden dann regelmäßig aus. Ist die Einrichtung hingegen nach ihrem Aufgabenprofil auf eine besondere Zielgruppe ausgerichtet, bei der ständig bestimmte behandlungspflegerische Maßnahmen erforderlich werden, und ist die Einrichtung deshalb entsprechend sächlich und personell auszustatten, hat sie diese behandlungspflegerischen Maßnahmen auch zu erbringen, weil ohne sie die Aufgabe im Hinblick auf die Zielgruppe der Einrichtung nicht erreicht werden kann (vgl. BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris).

 

Das BSG zählt zu den einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege, die auch von Laien ohne medizinische Vorkenntnisse erbracht werden können, beispielhaft regelmäßig „die Gabe von Tabletten nach ärztlicher Anweisung“ (BSG, 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, juris). Weitergehende medizinische Behandlungspflege ordnet das BSG der Einrichtung hingegen nur dann zu, wenn sich die Erbringung aus ihren Verträgen, ihrer Leistungsbeschreibung, ihrem Aufgabenspektrum auch unter Berücksichtigung ihrer Zielgruppe und ihrer sächlichen und personellen Ausstattung ergibt (BSG a.a.O.).

 

Auch die verordnete Medikamentengabe laut Medikamentenplan stellt hier eine allereinfachste medizinische Behandlungsmaßnahme dar. Für das Herrichten und Verabreichen von Tabletten nach ärztlicher Anweisung ist keine medizinische Fachkunde erforderlich. Ein solches Richten erbringt ein geistig gesunder Versicherter selbst bzw. bei eigener Unfähigkeit und Zusammenleben im eigenen Haushalt mit einem erwachsenen Haushaltsangehörigen kann die Hilfeleistung durch den Haushaltsangehörigen erfolgen. Hierfür bedarf der Beigeladene zu 2) keines medizinischen Personals. Es obliegt der Organisationshoheit der Beigeladenen zu 2), die Betreuungszeiten so zu regeln, dass auch die Hilfestellung bei der Medikamentengabe - ggf. im Zusammenhang mit anderen Hilfeleistungen - geleistet werden kann. Im Übrigen hat sie - ohne dass es noch darauf ankäme - offenbar solches Personal, da sie die Erbringung solcher Leistungen gegenüber dem Kläger abgerechnet hat.

 

Schließlich wird in dem zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 2) abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrag vom 15. Juli 2014 ausgeführt: „Es werden folgende Leistungen der medizinischen Behandlungspflege erbracht:

 

Medikamentengabe

 

Hilfe bei Bagatellverletzungen.“

 

Zwar ist hier nur die Medikamentengabe erwähnt. Die Gabe des Medikaments hängt jedoch untrennbar mit dem Richten zusammen. Zwingend ist ein Richten der Medikamente nicht; es erfolgt letztlich nur aus Gründen der Bequemlichkeit und der Übersichtlichkeit. Es ist zudem objektiv nicht erforderlich, sofern nur ein Medikament gegeben werden muss. Der Beigeladene zu 2) hat sich ausdrücklich zu solchen Leistungen der „medizinischen Behandlungspflege“ inklusive der Behandlung von Bagatellverletzungen verpflichtet.

 

c) Zudem besteht kein Freistellungsanspruch, da der Beigeladene zu 2) keinen Anspruch gegen den Kläger hat. Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V setzt nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift voraus, dass der Versicherte einem Vergütungsanspruch des Leistungserbringers ausgesetzt ist. Wenn jedoch kein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers entstanden ist, steht dem Versicherten kein Erstattungs- oder Freistellungsanspruch zu (BSG, 15. April 1997, 1 RK 4/96, BSGE 80, 181-186, SozR 3-2500 § 13 Nr. 14, Rn. 13). Dem Versicherten müssen gerade durch das Unvermögen oder die Leistungsablehnung der Krankenkasse für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sein (BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 9/05 R, Rn. 12, juris; BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R, BSGE 97, 6-16, SozR 4-2500 § 13 Nr. 9, Rn. 24).

 

Hier war für jeden und insbesondere für den Kläger und den Beigeladenen offensichtlich, dass der Kläger die Kosten nicht zu tragen hat. Etwas Anderes hat auch kein Beteiligter im Verfahren jemals behauptet.

 

Soweit der Beigeladene zu 2) aus dem Heimvertrag verpflichtet war, diese Leistung zu erbringen, versteht es sich von selbst, dass er diese Kosten dem Kläger nicht mehr in Rechnung stellen konnte.

 

Soweit er der Auffassung gewesen sein könnte, die Krankenkasse müsse für diese Kosten aufkommen, so muss er diese der Beklagten in Rechnung stellen. Die hierfür erforderlichen Fristen hat er jedoch nicht eingehalten, wie die Beklagte darlegt. Zudem wäre dies in einem anderen Verfahren zu klären. Dem haben der Kläger und der Beigeladene zu 2) nicht widersprochen. Insoweit besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass nur die Kostentragungspflicht (unstreitig notwendiger Leistungen) zwischen dem Beigeladenen zu 2) und der Beklagten umstritten war und kein externer Pflegedienst eingeschaltet war. Insoweit ist ein Leistungserbringer in dem System der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, mit der Krankenkasse abzurechnen und darf nicht den Umweg über den Versicherten wählen. Denn das Kostenerstattungs- und -freistellungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V bietet keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozess zu ersparen (BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R, BSGE 97, 6-16, SozR 4-2500 § 13 Nr. 9, Rn. 24).

 

Eine trotzdem mit dem Versicherten getroffene Honorarvereinbarung über die Kassenleistung ist regelmäßig nichtig: Sie weicht zum Nachteil des Versicherten vom Prinzip kostenfreier Sach- und Dienstleistungsgewährung ab (§ 32 Erstes Buch Sozialgesetzbuch; BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 9/05 R, Rn. 13, juris; siehe auch BSG, 18.07.2006, B 1 KR 9/05 R, juris; BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R, BSGE 97, 6-16, SozR 4-2500 § 13 Nr. 9, Rn. 26; BSG, 9.10.2001, B 1 KR 6/01 R, SozR 3-2500 § 13 Nr. 25). Es besteht keine rechtliche zulässige Möglichkeit, die Unsicherheit des Leistungserbringers über seine Leistungserbringungspflicht ohne Gegenleistung auf den Versicherten abzuwälzen (vgl. BSG, 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R, BSGE 97, 6-16, SozR 4-2500 § 13 Nr. 9, Rn. 26).

 

2) Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts liegt auch kein Freistellungsanspruch aufgrund einer fiktiven Genehmigung vor.

 

Insoweit ergibt sich aus der Bestandskraft der die Sachleistung ablehnenden Bescheide allerdings noch nichts. Die nach Fristablauf fingierte Genehmigung eines Antrags auf Leistungen hat nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes. Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion wird das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zwar nicht abgeschlossen. Die Krankenkasse ist weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen (BSG, 26. Mai 2020, B 1 KR 9/18 R, BSGE 130, 200-211). Ist über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden oder hat sich der Antrag anderweitig erledigt, endet zwar das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht auf Selbstbeschaffung der beantragten Leistung auf Kosten der Krankenkasse (BSG, 25. März 2021, B 1 KR 22/20 R, Rn. 12, juris; BSG, 26. Mai 2020, B 1 KR 9/18 R, BSGE 130, 200-211, SozR 4-2500 § 13 Nr. 53, Rn. 29; auch Knispel, KrV 2021, 14). Maßgeblich für den Erstattungs-/Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V ist, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig ist. Dies ändert sich nicht mehr rückwirkend durch die Abweisung einer auf § 13 Abs. 3 SGB V gestützten Anfechtungsklage.

 

Gutgläubigkeit konnte hier aber nicht vorliegen. Wie oben ausgeführt (siehe dazu oben 1c) kam auch nach dem Vortrag des Klägers keine Selbstbeschaffung in Betracht, da er selbst nie zahlungspflichtig sein konnte. Dieser Umstand erklärt auch zwangslos, warum kein schriftlicher Vertrag vorliegt, die Rechnung erst über zwei Jahre nach Leistungserbringung erstellt wurde und anschließend gestundet wurde.

 

Zudem kommt auch im Kontext des § 13 Abs. 3a SGB V keine Freistellung in Betracht, wenn offenbar kein Zahlungsanspruch besteht (siehe dazu oben 1c).

 

3. Der Kläger kann auch keinen Anspruch aus § 6 Abs. 6 HKP-RL ableiten. Danach hat die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vertragsärztlich verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 2 SGB V zu tragen, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird.

 

Diesen Anspruch macht der Kläger aber nicht geltend, sondern einen Anspruch auf Freistellung von Kosten, die ihm der Beigeladene zu 2) in Rechnung gestellt hat. Der geltend gemachte Anspruch des Klägers gegen die Beklagte schließt im Gegenteil einen Anspruch des Beigeladenen zu 2) gegen die Beklagte aus.

 

Zudem steht dieser Anspruch dem Pflegedienst, d.h. dem Beigeladenen zu 2) zu (vgl. BSG, 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R, BSGE 121, 119-129, SozR 4-§ 37 Nr. 14, Rn. 14). Eine Abtretung dieses Anspruchs hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt behauptet; dies ist auch mit dem geltend gemachten Freistellungsanspruch nicht vereinbar.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht, ohne dass der Senat von einem der in dieser Norm bezeichneten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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