Der Pflicht, ungeschwärzte Kontoauszüge zur Prüfung des Leistungsanspruchs vorzulegen, können sich selbständig tätige Leistungsbezieher nicht durch eine Berufung auf den gegenüber ihren Kunden zu leistenden Datenschutz entziehen.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege von Eilrechtsverfahren die vorläufige Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Dezember 2021 bis Oktober 2022.
Die 1970 geborene, alleinstehende Antragstellerin bewohnt ein ihr gehörendes Eigenheim. Sie geht seit April 2019 einer selbstständigen Tätigkeit nach (Coaching und Consulting sowie Haushaltshilfe). Sie bezog bis 31. Oktober 2021 vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II.
Unter dem 19. Dezember 2021 stellte die Antragstellerin einen erneuten Antrag auf Gewährung von SGB II-Leistungen. Sie gab in ihrer vorläufigen EKS an, sie werde wegen der Höhe der Betriebsausgaben [(Farb-)Laserdrucker, Stapelscanner, Monitor, Smartphone] kein Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit erzielen.
Unter dem 28. Dezember 2021 forderte der Antragsgegner die Einreichung weiterer Kontoauszüge. Diese reichte die Antragstellerin unter dem 31. Dezember 2021 nach. Die Kontoauszüge ihres Privatgirokontos bei der D.. Bank vom 1. April 2021 bis 2. Januar 2022 waren hinsichtlich der Empfänger getätigter Überweisungen geschwärzt. Die bereits bei Antragstellung eigereichten Kontoauszüge des Geschäftskontos bei der C.... Bank vom 1. April bis 16. September 2021 sowie die unter dem 31.Dezember 2021 eingereichten Kontoauszüge für die Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 1. Januar 2022 wiesen Einnahmen aus. Die Daten der Zahlungsanweisenden und der Verwendungszweck waren geschwärzt.
Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin unter dem 4. Januar 2022 auf, bis zum 18. Januar 2022 unter anderem ungeschwärzte Kontoauszüge vorzulegen. Eine vollständige Prüfung könne wegen der Schwärzung nicht erfolgen. Er wies auf die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil – SGB I) hin. Dem Schreiben fügte er zum wiederholten Male ein Merkblatt zur Anforderung von Kontoauszügen bei.
Unter dem 13. Januar 2022 gab die Antragstellerin hinsichtlich der Schwärzungen in den Kontoauszügen an, sie wisse nicht, wozu der Antragsgegner die Kundendaten benötige. Sie werde nicht die Privatsphäre ihrer Kunden verletzen. Sie reichte keine weiteren Unterlagen ein.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 19. Dezember 2021 auf Gewährung von SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2021 bis 31. Mai 2022 wegen nicht nachgewiesener Hilfegebedürftigkeit ab. Die Antragstellerin sei verpflichtet glaubhaft zu machen, dass sie tatsächlich hilfebedürftig sei. Hierzu gehöre es, notwendige Unterlagen oder Bestätigungen vorzulegen, die glaubhaft machen könnten, dass eventuelle Vermögensbestände oder Einkommen nicht vorhanden seien. Diesen Mitwirkungspflichten sei sie nicht nachgekommen. Die ungeschwärzten Kontoauszüge seien jedoch zur vollständigen Prüfung ihres Anspruchs notwendig gewesen.
Unter dem 7. Februar 2022 legte die Antragstellerin gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. Die Antragsunterlagen habe sie vollständig eingereicht. Bei den Kontoauszügen habe sie lediglich die Daten geschwärzt, die für die Bewilligung der Leistungen irrelevant seien. Der Kontostand sei klar erkennbar gewesen. Die Forderung illegaler Datenweitergabe ohne jeden Bezug zur Bewilligung von Arbeitslosengeld II sei rechtswidrig.
Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin unter dem 22. Februar 2022 nochmals auf, bis zum 9. März 2022 unter anderem ungeschwärzte Kontoauszüge für die letzten 3 Monate einzureichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2022 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Bundessozialgericht (BSG) schließe Kontoschwärzungen auf der Einnahmeseite gänzlich aus. Bei Ausgaben dürften nur Positionen geschwärzt werden, die Angaben über rassische und ethnische Herkunft, politische Meinung, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben enthielten. Durch die erfolgten Schwärzungen seien die tatsächlichen Einkommensverhältnisse und der Bedarf nicht ermittelbar und mithin die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen.
Am 13. Juni 2022 hat die Antragstellerin Klage erhoben. Sie verfolgt ihr Ziel, vom Antragsgegner für die Zeit von Dezember 2021 bis Mai 2022 Leistungen zu erhalten, weiter. Im Übrigen seien ihre Ausgaben für den Erwerb der Fahrerlaubnis und des Autos (500 €) vollumfänglich als notwendige Betriebsausgaben anzuerkennen. Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (S 28 AS 593/22 ER, nunmehr L 5 AS 475/22 B ER). Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Klageschrift vom 28. Mai 2022 verwiesen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 1. Juli 2022 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Den Bescheid des Antragsgegners vom 1. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2022 hat es als Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I angesehen. Dennoch sei eine einstweilige Anordnung statthaft. Der Antrag sei jedoch unbegründet. Das einstweilige Rechtsschutzbegehren sei auf einen Zeitraum gerichtet, der vor der Antragstellung bei Gericht liege. Ein rückwirkender Eilrechtsschutz sei jedoch ausgeschlossen. Wesentliche Nachteile, die der Antragstellerin durch ein Zuwarten der Hauptsacheentscheidung entstünden, seien nicht ersichtlich. Ein besonderer Nachholbedarf sei nicht glaubhaft gemacht worden.
Die Antragstellerin hat bereits unter dem 16. Mai 2022 beim Antragsgegner weiteren einen Antrag auf Bewilligung von SGB II-Leistungen gestellt. Diesem hat sie u.a. Kontoauszüge der D... Bank und der C.... Bank beigefügt. Die Auszüge der D.... Bank sind im Wesentlichen ungeschwärzt gewesen, die der C..... Bank lassen die Auftraggeber nicht erkennen. Der Verwendungszweck der Ausgaben ist dort nur teilweise erkennbar.
Der Antragsgegner hat den Antrag mit Bescheid vom 22. Juni 2022 für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2022 abgelehnt. Die Antragstellerin habe ihre Hilfsbedürftigkeit nicht nachgewiesen. Sie habe trotz Aufforderung keine ungeschwärzten Kontoauszüge eingereicht.
Am 24. Juni 2022 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht (S 28 AS 636/22 ER, nunmehr L 5 AS 463/22 B ER). Sie begehrt die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Mai bis Oktober 2022. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Antragsschrift verwiesen.
Unter dem 6. Juli 2022 hat die Antragstellerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. Februar 2022 erhoben, über den - soweit ersichtlich - noch keine Entscheidung getroffen worden ist.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 12. Juli 2022 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung abgelehnt. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, der streitgegenständliche Bescheid des Antragsgegners sei ein Versagungsbescheid, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dennoch ausnahmsweise statthaft.
Der Antrag sei jedoch unbegründet. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen nach §§ 7 ff., 9 ff. SGB II vorlägen.
Durch die Vorlage der geschwärzten Kontoauszüge ihres Geschäftskontos sei sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Zu den Mitwirkungspflichten des § 60 SGB I gehöre auch die Vorlage der Kontoauszüge der letzten 3 Monate. Die von der Antragstellerin vorgenommenen Schwärzungen seien unzulässig. Sie seien insbesondere nicht durch § 67 Abs. 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) gerechtfertigt. Danach sei für besondere Arten personenbezogener Daten gesondert zu prüfen, ob deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der erhebenden Stelle erforderlich sei. Lediglich Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugung, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben könnten geschwärzt werden. Auf diese Einschränkungen könne sich die Antragstellerin jedoch nicht berufen, Sie habe pauschal all diejenigen Einnahmen und Ausgaben geschwärzt, die ihre selbstständige Tätigkeit und ihren Kundenstamm betreffen. Sie habe zwar angegeben, dass sie damit die Identität und auch die Herkunft ihrer Kunden schützen wolle. Konkrete Anhaltspunkte für einen Bezug aller Einnahmen zu den oben genannten besonderen personenbezogenen Daten seien jedoch weder erkennbar noch vorgetragen. Die Antragstellerin wende sich vielmehr allgemein und absolut gegen die vermeintlich illegale Weitergabe von Kundendaten. Dabei missachtete sie, dass eine Prüfung ihres Einkommens anderenfalls nicht möglich sei. Zur Überprüfung der Einnahmen sei es für den Antragsgegner erforderlich, beurteilen zu können, welche Herkunft dieEinnahmen hätten.
Die Verpflichtung zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge sei auch nicht durch § 65 SGB I ausgeschlossen. Das Verlangen des Antragsgegners stehe nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung. Der Schutz der Sozialdaten stehe dem Verlangen des Antragsgegners nicht entgegen, weil es sich bei den angeforderten Kontoauszügen um leistungserhebliche Tatsachen handele, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgabe der Sozialverwaltung erforderlich seien. Auch hätte sich der Antragsgegner die erforderlichen Informationen nicht auf leichtere Weise beschaffen können.
Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf § 67 Abs. 1, 2 SGB II berufen. Diese Regelung solle den Zugang zu Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II während der sogenannten Corona-Pandemie erleichtern. Keinesfalls aber ermögliche diese Norm dem Antragsgegner, auf die Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu verzichten.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 10. August 2022 Beschwerde beim Sozialgericht eingelegt. Am 11. August 2022 ist beim Sozialgericht die Beschwerde gegen den der Antragstellerin am 9. Juli 2022 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts vom 1. Juli 2022 (S 28 AS 593/22 ER) eingegangen. Auf einen Hinweis des Senats hinsichtlich der Versäumung der Monatsfrist des § 173 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die Antragstellerin einen Beleg übersandt, wonach Sie am 8. August 2022 um 17:25 Uhr die Beschwerde bei der Deutschen Post abgegeben habe.
In ihren Beschwerden führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, sie dürfe die Daten ihrer Kunden nicht an den Antragsgegner weitergeben. Dadurch verletze sie deren Persönlichkeitsrechte, die Privatsphäre, den Datenschutz und vertragliche Vereinbarungen. Sie habe bereits in 1. Instanz auf den möglichen Datenmissbrauch durch den Antragsgegner hingewiesen.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beschlüsse des Sozialgerichts Magdeburg vom 1. und 12. Juli 2022 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig SGB II-Leistungen für die Zeit von Dezember 2021 bis Oktober 2022 zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die aus seiner Sicht überzeugenden Argumente der erstinstanzlichen Beschlüsse.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
A.
Die Beschwerden sind nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht ausgeschlossen.
Die Beschwerde im Verfahren L 5 AS 463/22 B ER ist auch nach § 173 SGG fristgerecht eingelegt worden.
Die Beschwerde im Verfahren L 5 AS 475/22 B ER ist zwar nicht in der Monatsfrist beim Sozialgericht eingegangen. Der Antragstellerin war jedoch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Das Fristversäumnis war unverschuldet. Bedient sich ein Beteiligter der Deutschen Post AG, so darf er regelmäßig darauf vertrauen, dass diese die von ihr für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten einhält. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass bei der Deutschen Post AG im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen entsprechend ihrer amtlichen Verlautbarungen grundsätzlich am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Dies gilt auch für einen mittels Einschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegebenen Brief (siehe auch www.deutschepost.de/de/e/einschreiben/haeufige-fragen.html: "Einschreiben werden in der Regel am Tag nach der Einlieferung zugestellt."; Abruf 30.08.2022). (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Mai 2022, B 5 R 11/22 BH [10], Juris) Die Antragstellerin hatte die Beschwerdeschrift am 8. August 2022, einen Tag vor Fristablauf (9. August 2022), als Einschreiben zur Post gegeben. Sie konnte mithin davon ausgehen, dass die Beschwerde innerhalb der Frist bei Gericht eingehen werde.
B.
Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht die Anträge auf Erlass einstweiliger Verfügungen abgelehnt. Es ist zwar fälschlich davon ausgegangen, die Bescheide des Antragsgegners vom 1. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2022 und der Bescheid vom 22. Mai 2022 seien Versagungsbescheide. Es handelt sich jedoch um Ablehnungsbescheide, mit denen der Antragsgegner ausdrücklich die Leistungsgewährung wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit abgelehnt hat. Für die Sachentscheidung ist diese Einordnung jedoch unerheblich.
1.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 86b, Rn. 41).
Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen ein Abwarten der Entscheidung in dem Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236 und vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, S. 803). Ein Anordnungsgrund fehlt daher, wenn die vermutliche Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung bedeutet. Erforderlich ist eine existentielle Notlage.
a.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin im Verfahren L 5 AS 475/22 B ER bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie begehrt die vorläufige Bewilligung von SGB II-Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2021 bis Mai 2022. Erst am 13. Juni 2022, mithin nach Ablauf des streitigen Zeitraums, hat sie beim Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Eine existentielle Notlage konnte zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Ablehnung der Leistungen für diesen Zeitraum nicht mehr entstehen. Einen Nachholbedarf hat die Antragstellerin auch in der Beschwerde weder geltend noch glaubhaft gemacht. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss.
b.
Im Verfahren L 5 AS 463/22 B ER hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat ihre Hilfebedürftigkeit für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2022 nicht nachgewiesen. Diesen Nachweis hätte sie durch Übergabe ungeschwärzter Kontoauszüge an den Antragsgegner nachkommen können und müssen. Insbesondere bei den Zahlungseingängen dürfen die Kundendaten und Verwendungszwecke nicht geschwärzt werden. Lediglich auf der Ausgabenseite dürfen in beschränktem Umfang Schwärzungen vorgenommen werden. (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 10/08 R [17], Juris). Der Senat verweist hier nach eigener Prüfung auf die Ausführungen des Sozialgerichts.
Rechtsgrundlage der Befugnis des Antragsgegners, diese Daten zu erheben, ist § 35 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach das Erheben von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen zulässig ist, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. Zu den hiernach befugten Stellen gehört der Antragsgegner als gemeinsame Einrichtung (§ 50 Abs. 2 SGB II). Die Zulässigkeit der Datenerhebung richtet sich nach § 67a SGB X als vorrangige Regelung.
Wie das BSG zur seither der Sache nach unveränderten früheren Rechtslage bereits entschieden hat, resultiert daraus die Befugnis der Jobcenter, den Bezug existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II zur Prüfung der Leistungsvoraussetzungen von der Vorlage ua von Kontoauszügen abhängig zu machen, jedenfalls soweit die Einnahmeseite betroffen ist. Das verpflichtet die Antragsteller grundsätzlich zur Vorlage der Kontoauszüge der letzten Zeit vor Antragstellung - hier drei Monate -, jedoch mit der Einschränkung, dass die Angaben zu Empfängern nicht leistungserheblicher Zahlungsausgänge auf den Kontoauszügen geschwärzt werden können (vgl. nur BSG, Urteil vom 14. Mai 2020, B 14 AS 7/19 R [21,22], Juris).
Aus der Erhebungsbefugnis des Antragsgegners ergibt sich die Pflicht der Antragstellerin, die Kontoauszüge insbesondere hinsichtlich der Einnahmen ungeschwärzt zu übermitteln.
Zu dieser Pflichterfüllung ist die Antragstellerin entgegen ihrer Ansicht auch berechtigt.
Die Antragstellerin unterliegt als Gewerbetreibende der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO). Die Datenverarbeitung erfolgt bei der Antragstellerin nicht zur Ausübung persönlicher oder familiärer Zwecke (Art. 2 Abs. 2 lit. c) DSGVO). Was familiär oder persönlich ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung; der Zweck muss objektiv als familiär oder persönlich erkennbar sein, was schon der Begriff „Haushaltsausnahme“ nahelegt. Zu den typischen persönlich-familiären Bereichen gehören Tätigkeiten im Rahmen der Familie und der Freizeit und die dazugehörige Datenverarbeitung wie z.B. private Korrespondenz, Tagebücher, Notizbücher, Adressverzeichnisse, Fotos, Videos u.ä. (vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 14. September 2017, 2 A 213/16 [26], Juris).
De von der Antragstellerin zu verarbeitenden Daten (dazu gehört auch die Weitergabe an Dritte, Art. 4 Nr. 2 DSGVO) stammen aus Geschäftsbeziehungen mit ihren Kunden, mithin nicht aus dem persönlichen Bereich.
Die Berechtigung zur Weiterleitung ungeschwärzter Kontoauszüge ergibt sich demnach aus Art. 6 Abs. 1 lit c DSGVO. Danach ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, weil diese zur Erfüllung der o.g. rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist.
Dem kann die Antragstellerin nicht rechtlich erheblich entgegenhalten, sie sei verpflichtet, die Daten ihrer Kunden nicht weiterzugeben. Eine Rechtsgrundlage findet sich dafür nicht.
Die Antragstellerin unterliegt keiner gesondert gesetzlich geregelten Verschwiegenheitsverpflichtung, wie diese bspw. bei Rechtsanwälten oder Steuerberatern gegeben ist.
Soweit die Antragstellerin weiter vorträgt, sie sei vertraglich verpflichtet, die Kundendaten nicht an den Antragsgegner weiterzugeben, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Sollte sie sich tatsächlich der o.g. Berechtigung zur Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit c DSGVO durch Abschluss privatrechtlicher, freiwilliger Vereinbarungen begeben haben, fällt dies allein in ihre Sphäre. Die Einhaltung der Verpflichtung zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit wird dadurch nicht berührt. Die Antragstellerin hätte es selbst verhindert, SGB II-Leistungen zu beziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).