L 4 AS 413/19

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 28 AS 1776/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 413/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine während Sanierungsarbeiten genutzte Wohnung fällt unter den weiteren Begriff der Unterkunft iSv § 22 Abs 1 SGB II, wenn sie Schutz vor Witterung und Privatsphäre bietet. Unterkunftskosten sind grundsätzlich auch dann für eine (vorrangig genutzte) Unterkunft anzuerkennen, wenn der Leistungsberechtigte zugleich auch eine weitere Wohnung zum Abstellen von persönlichen Dingen und zum Aufenthalt nutzen kann.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Mai 2019 wird aufgehoben. 

 

Der Bescheid vom 18. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 6. Dezember 2014, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2015, der Bescheid vom 27. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2015, der Bescheid vom 4. Dezember 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16. Dezember 2015, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017, der Bescheid vom 2. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017 und der Bescheid vom 22. November 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21. Dezember 2016, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2017 werden abgeändert.

 

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2014 bis 31. Oktober 2015 und vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2017 weitere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 320 € zu zahlen.

 

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt E., ab 22. Juni 2022 bewilligt.

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Streitig ist insbesondere, ob ihm Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) für die Zeit von November 2014 bis Oktober 2015 und von Dezember 2015 bis Mai 2017 zustehen.

 

Der am 1963 geborene Kläger erzielte im streitigen Zeitraum Einkommen i.H.v. 100 € monatlich.

 

Zum 1. April 2014 schloss er mit der Zeugin W. einen Mietvertrag über eine 50 m² große Wohnung im Erdgeschoss der K.- Straße  in L. ab. Ausweislich der Wohnungsbeschreibung wurde die Wohnung renoviert übergeben. Die Nettokaltmiete sollte 217 € betragen. Hinzu kamen Nebenkosten wie Grundsteuer in Höhe von monatlich 28 €, Versicherungen (Gebäude- und Haftpflichtversicherung) in Höhe von monatlich 9 €, Energiekosten (Treppen-, Hauslicht und Heizungspumpe) von monatlich 6 €, Kabelfernsehen in Höhe von monatlich 2 € sowie Kosten für die Öl-Heizung, Wasser und Abwasser in Höhe von monatlich 58 € (Gesamtnebenkosten 103 €, Gesamtmiete 320 €). Die Warmwassererzeugung erfolgte dezentral elektrisch. Ausweislich der Meldebescheinigung der Stadt L. bezog der Kläger die Wohnung am 1. April 2014.

 

Mit Schreiben vom 5. Juni 2014 wies der Beklagte und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Beklagter) den Kläger darauf hin, seine tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft überstiegen den nach der Verwaltungsrichtlinie des Beklagten vom 1. Juni 2013 ausgewiesenen Angemessenheitswert für den Wohnungsmarkt II um 43,66 €. Er forderte den Kläger zur Kostensenkung bis zum 30. November 2014 auf. Danach werde er nur noch die angemessenen Aufwendungen übernehmen.

 

Am 25. August 2014 versuchte der Beklagte bei K., welcher ebenfalls angab, in der K-Straße zu wohnen, einen Hausbesuch durchzuführen. Herr K. wurde nicht angetroffen. Die Mitarbeiter des Beklagten vermerkten, das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss befänden sich in Sanierung und seien nicht bewohnt. Am 18. September 2014 führte der Beklagte erneut einen Hausbesuch durch. Ausweislich des Außendienstberichts vom 13. Oktober 2014 habe Herr K. gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten angegeben, die Wohnung im 2. Obergeschoss werde vom Kläger und Frau P. bewohnt. Die Möbel, Einrichtungsgegenstände und persönlichen Unterlagen in der Wohnung im 2. Obergeschoss gehörten dem Kläger und Frau P.. In der Wohnung befänden sich auch persönliche Unterlagen von F.

 

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, ihm sei bekannt geworden, in dessen Wohnung wohnten weitere Personen, und forderte ihn zur Äußerung zum Sachverhalt auf. Daraufhin teilte der Kläger am 6. November 2014 mit, Frau P. und Herr F. wohnten nicht in seinem Haushalt. Seine persönlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert. In einem persönlichen Gespräch am 18. November 2014 teilte der Kläger gegenüber dem Beklagten mit, er bewohne die im Mietvertrag benannte Wohnung im Erdgeschoss des Hauses K-Straße in L. Er führe dort Umbaumaßnahmen durch. Seine persönlichen Sachen befänden sich in der Wohnung im 2. Obergeschoss. Bad und Fernseher befänden sich weiterhin in seiner Wohnung im Erdgeschoss. Die Mahlzeiten nehme er in der Wohnung im 2. Obergeschoss ein. Der Beklagte teilte dem Kläger in dem Gespräch mit, er halte die Wohnung im Erdgeschoss nicht für bewohnbar und werde deshalb auch keine KdUH gewähren. Der Kläger wies den Beklagten an, in diesem Fall die Miete künftig aus der Regelleistung an seine Vermieterin zu überweisen, da er sonst Wohnungsverlust befürchte.

 

Mit Bescheid vom 18. November 2014 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November 2014 bis zum 30. April 2015 in Höhe von monatlich 391 € ohne KdUH. Gemäß den vorliegenden Unterlagen sei die vom Kläger angemietete Wohnung im Erdgeschoss des Hauses K-Straße in L. nicht bewohnbar. Daher werde die Miete für diese Wohnung nicht übernommen. Anordnungsgemäß werde der Betrag von 320 € aus dem Regelbedarf des Klägers an die Vermieterin überwiesen. Mit Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2014 erfolgte die Regelbedarfsanpassung zum 1. Januar 2015.

 

Gegen beide Bescheide erhob der Kläger unter dem 20. Dezember 2014 Widerspruch.

 

In einem persönlichen Gespräch am 19. März 2015 teilte der Kläger mit, seine Wohnung wäre bei Bezug in tadellosem Zustand gewesen. Gleichwohl habe er sich diese nach seinem Geschmack herrichten wollen. Aus diesem Grund halte er sich lediglich besuchsweise bei Herrn K. im 2. Obergeschoss auf. Einen Hausbesuch lehne er ab.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2015 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück: Da der Kläger den Zutritt zu seiner Wohnung nicht gewähre und die tatsächliche Nutzung der Wohnung im Erdgeschoss nicht durch andere Beweismittel im Wege der Amtsermittlung festgestellt werden könne, trage dieser die objektive Beweislast der Bedarfe für Unterkunft und Heizung als Anspruchsvoraussetzung. Inwieweit KdUH für eine tatsächlich bewohnte Unterkunft (möglicherweise im 2. Obergeschoss) entstanden seien, sei weder dem Vortrag des Klägers noch den Unterlagen zu entnehmen. KdUH könnten damit nicht gewährt werden.

 

Dagegen hat der Kläger am 15. Mai 2015 Klage vor dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben (S 28 AS 1776/15): Der Beklagte habe bei dem unangemeldeten Hausbesuch vom 25. August 2014 Hausfriedensbruch begangen und rechtswidrig Fotos gefertigt. Seine Unterkunft im Erdgeschoss habe sich zwar zu diesem Zeitpunkt in der Sanierung befunden. Gleichzeitig sei sie jedoch bewohnbar gewesen und werde von ihm auch bewohnt. Dort habe er seinen Lebensmittepunkt. Der Begriff der „Unterkunft“ sei im Sinne des Gesetzes weiter auszulegen als der Begriff der „Wohnung“. Wasser- und Stromversorgung seien erfolgt und Mülltonnen geleert worden.

 

Mit Bescheid vom 27. April 2015 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2015 in Höhe von monatlich 399 € ohne KdUH gewährt. Den dagegen gerichteten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2015 zurückgewiesen.

 

Hiergegen hat der Kläger am 19. November 2015 Klage vor dem SG erhoben (S 28 AS 3967/15).

 

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2016 in Höhe von monatlich 399 € ohne KdUH gewährt. Mit Änderungsbescheid vom 16. Dezember 2015 ist die Regelbedarfsanpassung zum 1. Januar 2016 erfolgt. Den dagegen gerichteten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2017 zurückgewiesen.

 

Hiergegen hat der Kläger am 13. Februar 2017 Klage vor dem SG erhoben (S 28 AS 442/17).

 

Mit Bescheid vom 2. Juni 2016 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2016 in Höhe von monatlich 404 € ohne KdUH gewährt. Den dagegen gerichteten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2017 zurückgewiesen.

 

Hiergegen hat der Kläger am 13. Februar 2017 Klage vor dem SG erhoben (S 28 AS 443/17).

 

Am 23. Juni 2016 haben sich der Kläger und die Zeugin W. geeinigt, die Miete als Inklusivmiete ohne das Erfordernis einer Betriebskostenabrechnung auszugestalten.

 

Mit Schreiben vom 18. November 2016 hat die Zeugin W. gegenüber dem SG im Verfahren S 28 AS 1776/15 mitgeteilt, der Kläger habe ihr gegenüber zu keinem Zeitpunkt Mietmängel angezeigt.

 

Mit Bescheid vom 22. November 2016 hat der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 in Höhe von monatlich 404 € ohne KdUH gewährt. Mit Änderungsbescheid vom 21. Dezember 2016 ist die Regelbedarfsanpassung zum 1. Januar 2017 erfolgt. Den dagegen gerichteten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2017 zurückgewiesen.

 

Dagegen hat der Kläger am 2. Mai 2017 Klage vor dem SG erhoben (S 28 AS 1441/17).

 

Am 2. Februar 2017 hat das SG in den Verfahren S 28 AS 1776/15 und S 28 AS 3967/15 einen Erörterungstermin durchgeführt. Bezüglich des Vortrags des Klägers zur Wohnsituation wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Am 15. September 2017 haben der Kläger und die Zeugin Wegener einen Mietvertrag über die 50 m² große Wohnung im 2. Obergeschoss der K-Straße in L. abgeschlossen. Die BKM beträgt 267 €.

 

Mit Beschluss vom 15. September 2017 hat das SG die fünf Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

 

In der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2019 hat das SG die Zeugin Wegener und den Zeugen Kulpe vernommen. Hinsichtlich der Zeugenaussagen wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Mit Urteil vom 24. Mai 2019 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Kammer sei nicht davon überzeugt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum die von ihm angemietete Wohnung im Erdgeschoss der K-Straße in L. tatsächlich in dem notwendigen Maße zu Wohnzwecken nutze. Die Nutzung der Wohnung setze voraus, dass dort die Grundbedürfnisse des Wohnens, nämlich Schlafen, Essen, Körperpflege und Verwahrung persönlicher Gegenstände erfüllt werden könnten. Der Kläger habe die Wohnung im 2. Obergeschoss für mehrere Jahre viel häufiger genutzt als die im Erdgeschoss. Nur für die im Erdgeschoss befindliche Wohnung habe er jedoch KdUH geltend gemacht.

 

Gegen das ihm am 12. Juni 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Juli 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen, unter einer Unterkunft sei jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet sei, vor den Unbilden des Wetters zu schützen und eine gewisse Privatsphäre zu gewährleisten einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände wie Kleidung, Hausrat und Möbel zu verwahren. In diesem Sinne habe der Kläger die Wohnung im Erdgeschoss bewohnt. Das SG habe ihm nicht geglaubt, ohne dies im Urteil näher zu begründen.

 

Im Erörterungstermin vom 9. März 2022 hat der Kläger mitgeteilt, nach Abschluss des Mietvertrags für die Wohnung im 2. Obergeschoss im September 2017 habe der Beklagte die KdUH des Klägers übernommen.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Mai 2019 aufzuheben und die Bescheide des Beklagten vom 18. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 6. Dezember 2014, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2015, vom 27. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2015, vom 4. Dezember 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16. Dezember 2015, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017, vom 2. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017 und vom 22. November 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21. Dezember 2016, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2014 bis 31. Oktober 2015 und vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2017 weitere Leistungen für  die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 320 € zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Zur Begründung verweist er auf das Ergebnis der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Urteil. Der Kläger begehre die KdUH lediglich zur Finanzierung von Sanierungsmaßnahmen und nicht zu Wohnzwecken.

 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Yvonne W. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.

 

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

 

Sie ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Sie ist zudem statthaft nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der maßgebliche Beschwerdewert von 750 € ist überschritten, denn es sind höhere Leistungen von insgesamt 9.600 € streitgegenständlich.

 

Die Berufung ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind insoweit rechtwidrig, als dem Kläger für den streitigen Zeitraum weitere Leistungen für KdUH in Höhe von monatlich 320 € zu gewähren sind. Insoweit beschweren sie den Kläger im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

 

Streitgegenständlich sind der Bescheid des Beklagten vom 18. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 6. Dezember 2014, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2015 für den Zeitraum von November 2014 bis April 2015, der Bescheid vom 27. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2015 für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2015, der Bescheid vom 4. Dezember 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16. Dezember 2015, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017 für den Zeitraum von Dezember 2015 bis Mai 2016, der Bescheid vom 2. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2017 für den Zeitraum von Juni bis November 2016 sowie der Bescheid vom 22. November 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21. Dezember 2016, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2017 für den Zeitraum von Dezember 2016 bis Mai 2017. Soweit der Bescheid vom 22. November 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21. Dezember 2016 noch vorläufige Leistungen bewilligt hat, gilt dieser mittlerweile nach § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II als abschließend festgesetzt.  Richtige Klageart ist hier die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage.

 

Der Kläger hat mit seiner Klage von vornherein nur höhere Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH begehrt und insoweit den Streitgegenstand in zulässiger Weise auf einen abgrenzbaren Teil der Leistungen begrenzt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. April 2011, B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 32 m.w.N.).

 

Der Kläger ist im streitigen Zeitraum Berechtigter im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze von § 7a SGB II noch nicht erreicht, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, ist erwerbsfähig und hilfebedürftig. Soweit die Leistungen ab Dezember 2016 im Hinblick auf eine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers lediglich vorläufig bewilligt wurden, ist eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers bislang nicht festgestellt worden. Zweifel daran ergeben sich nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung und im Erörterungstermin auch nicht für den Senat. Der Kläger verfügt weder über bedarfsdeckendes Einkommen noch über ein die Hilfebedürftigkeit ausschließendes anrechenbares Vermögen.

 

Der Kläger hat im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf die Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten.

 

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

 

Die vom Kläger angegebene Wohnung im Erdgeschoss unterfällt im streitigen Zeitraum trotz der Sanierungsarbeiten grundsätzlich dem Begriff der Unterkunft nach § 22 SGB II. Der Gesetzgeber hat in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht den Begriff der Wohnung verwendet, sondern den bereits seinem Wortsinn nach weiteren Begriff der Unterkunft. Nach der Rechtsprechung des BSG umfasst der Begriff der Unterkunft jede bauliche Anlage oder Teile davon, die geeignet sind, Schutz vor der Witterung zu bieten und einen Raum der Privatheit zu gewährleisten (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 1/08 R, juris Rn. 14). Eine solche dient im allgemeinen Sprachgebrauch dem „Unterkommen“, setzt also lediglich ein „Dach über dem Kopf“ voraus (Luik in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 22 Rn. 39). Das Vorhandensein von Bad und Küche ist nicht zwingend erforderlich (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Januar 2015, L 1 AS 5292/14 ER-B, juris Rn. 24). Aus den Umständen des Einzelfalls und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergibt sich zur Überzeugung des Senats die überwiegende Nutzung der vom Kläger angegebenen Unterkunft im Erdgeschoss zu Wohnzwecken auch während der Sanierungsphase.

 

Die Zeugin W. hat glaubhaft mitgeteilt, dass der Kläger ab dem Frühjahr 2014 die Wohnung im Erdgeschoss angemietet und auch vorrangig zu Wohnzwecken genutzt hat. Sie hat angegeben, ihn 2015 in der Wohnung angetroffen zu haben, und bestätigt, dass er sich dort aufgehalten hat und sich dort auch seine persönlichen Dinge (wie Fernseher, Klamotten usw.) befunden haben. Dass der Zustand der Wohnung nach Beginn der Sanierungsarbeiten durch den Kläger einer Baustelle glich und nach Aussage der Zeugin „nicht sehr schön“ war, schadet der Annahme einer Unterkunft im o.g. Sinne nicht. Denn die Wohnung hat den Kläger unstreitig vor Witterung geschützt und ihm Privatsphäre geboten. Dass der Kläger daneben auch die Wohnung im 2. Obergeschoss zum Abstellen von persönlichen Dingen und zum Aufenthalt nutzen konnte, schadet nach Auffassung des Senats der Übernahme der Kosten nicht. Unterkunftskosten sind grundsätzlich auch dann für eine Unterkunft anzuerkennen, wenn der Leistungsberechtigte mehrere Unterkünfte nutzen kann. Es sind dann die Unterkunftskosten für die vorrangig zu Wohnzwecken genutzte Wohnung - hier also für die Wohnung im Erdgeschoss - zu gewähren (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 15. November 2018, L 16 AS 346/15, juris Rn. 43).

 

Der Senat sieht keinen Anlass für weitere Ermittlungen. Insbesondere bedurfte es keiner Zeugenvernehmung des Herrn K., da dieser bereits vor dem SG als Zeuge vernommen worden ist. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat er ebenfalls bestätigt, dass der Kläger bis zu dessen Auszug in der Wohnung im Erdgeschoss gewohnt hat. Auch nach seinen Angaben hat der Kläger die Wohnung im 2. Obergeschoss lediglich zum Essen und Duschen aufgesucht. Dies schadet aus den genannten Gründen der Annahme einer Unterkunft im Erdgeschoss nicht.

 

Unstreitig sind auch im gesamten streitigen Zeitraum die monatlichen Unterkunftskosten von 320 € vom Kläger an die Vermieterin gezahlt worden. Der Beklagte hat hierzu die Zahlung der fälligen Miete auf Aufforderung des Klägers jeweils aus dessen Regelsatz an die Zeugin Wegener angewiesen.

 

Die Unterkunftskosten von monatlich 320 € sind auch angemessen im Sinne des § 22 SGB II. Hierbei bedurfte es keiner Überprüfung der Verwaltungsrichtlinie des Beklagten zur Feststellung der Angemessenheit der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II im Burgenlandkreis im Hinblick auf die Schlüssigkeit des zugrundeliegenden Konzepts. Denn auch bei Unterstellung der Schlüssigkeit des Konzepts mit Berücksichtigung der Werte des Beklagten nach der Neuberechnung (Bericht Januar 2020) und unter Beachtung der Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 10 Satz 1 SGB II sind die tatsächlichen KdUH angemessen. Aus dem Korrekturbericht Januar 2020 ergibt sich für den Vergleichsraum Umland Weißenfels, in dem die Stadt L. liegt, für einen 1-Personen-Haushalt eine angemessene BKM von 268 €. Hinzukommen angemessene Heizkosten nach Heizspiegel von 95,42 € (Wert Heizspiegel 2014 für Öl bei einer Gebäudefläche bis 250 m²) bis 67,92 € (Wert Heizspiegel 2016 für Öl bei einer Gebäudefläche bis 250 m²). Damit sind insgesamt KdUH von mindestens 335,92 € angemessen. Die tatsächliche Gesamtmiete von 320,00 € unterschreitet diesen Wert.

 

II.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

 

III.

 

Dem Kläger war ab Eingang seines Antrags am 22. Juni 2022 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Die Rechtsverfolgung hatte aus den genannten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff. Zivilprozessordnung). Die wirtschaftlichen Voraussetzungen liegen vor.

 

Rechtskraft
Aus
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