L 4 AS 319/20 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 34 SF 170/16 E
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 319/20 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Zur Höhe der Verfahrensgebühr bei Verbindung, Trennung und Neuverbindung von Verfahren.

2. Die Verbindung ursprünglich rechtlich selbständiger Verfahren führt dazu, dass die bereits verdienten Gebühren dem Rechtsanwalt weiterhin zustehen.

3. Der Prozessbevollmächtigte kann wählen, ob er die Gebühren aus den getrennten oder aus dem verbundenen Verfahren verlangt. Unzulässig ist jedoch, Verfahrensgebühren für die ursprünglichen Verfahren und die abgetrennten Verfahren geltend zu machen.

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Streitgegenständlich ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das der Beschwerdeführerin für zwei Berufungsverfahren nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse als Beschwerdegegner zusteht. 

 

Das beklagte Jobcenter machte mit mehreren Bescheiden gegenüber zwei miteinander verheirateten Klägern die Rücknahme von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II und die Erstattung der Leistungen für den Zeitraum von Januar 2005 bis Februar 2010 geltend. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen mehrere Klagen für beide Kläger, die das Sozialgericht Dessau-Roßlau zu zwei Verfahren (getrennt nach Klägern: S 27 AS 2459/12 und S 27 AS 2464/12) verband. Nach Abweisung der Klagen durch das SG mit Urteilen vom 3. September 2014 erhob die Beschwerdeführerin am 8. November 2014 für beide Kläger jeweils eine Berufung (L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14) beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG), die der Senat mit Beschluss vom 8. August 2016 verband und sogleich davon fünf Verfahren (getrennt nach Zeiträumen) abtrennte. Folgende Berufungsverfahren waren sodann anhängig:

 

Aktenzeichen

streitiger Zeitraum

L 4 AS 535/14 

Januar 2005 - November 2005

L 4 AS 457/16

Dezember 2005 - Oktober 2006

L 4 AS 458/16

November 2006 - August 2007

L 4 AS 459/16

September 2007 bis August 2008

L 4 AS 460/16

September 2008 bis August 2009

L 4 AS 461/16

September 2009 bis Februar 2010

 

Die Berichterstatterin erörterte die Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 am 9. August 2016 gemeinsam und übergab den Beteiligten den Trennungs- und Verbindungsbeschluss im Termin. Die Beteiligten beendeten sodann das Verfahren L 4 AS 535/14 in diesem Erörterungstermin durch einen gerichtlichen Vergleich.

 

Mit Kostennote vom 9. August 2016 beantragte die Beschwerdeführerin in dem Verfahren L 4 AS 535/14 die Festsetzung ihrer Vergütung aus der PKH wie folgt:

 

Verfahrensgebühr mit Erhöhung wegen 2 Auftraggebern

Nr. 3200 VV RVG

  650,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3204 VV RVG

  450,00 €

Einigungsgebühr

Nr. 1007 VV RVG

250,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Fahrtkosten, Benutzung eigener PKW, 82 km

Nr. 7003 VV RVG

    24,60 €

Tage- und Abwesenheitsgeld bei Geschäftsreise

Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG

    25,00 €

Parkauslagen

gem. Anlage

3,00 €

Abzüglich anteiligem Vorschuss

 

- 130,00 €

Zwischensumme

 

 1.292,60 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    245,59 €

Kostenforderung

 

  1.538,19 €

 

 

 

 

 

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG (UdG) setzte die aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten für die Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 mit Beschluss vom 14. November 2016 auf insgesamt 919,39 € (Kostenforderung einschließlich Abzug der Vorschüsse von je 464,10 €) fest. Bis zur Verbindung der beiden Verfahren am 8. August 2016 seien folgende Gebühren entstanden:

 

Verfahrensgebühr L 4 AS 535/14

Nr. 3204 VV RVG

  370,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  390,00 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    74,10 €

Kostenforderung

 

  464,10 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Gesamt

 

  0,00 €

Verfahrensgebühr L 4 AS 536/14

Nr. 3204 VV RVG

  370,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  390,00 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    74,10 €

Kostenforderung

 

  464,10 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Gesamt

 

  0,00 €

 

 

Ab Verbindung der beiden Angelegenheiten L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 seien folgende Gebühren entstanden:

 

Terminsgebühr

Nr. 3205 VV RVG

  450,00 €

Einigungsgebühr

Nr. 1007, 1005 VV RVG

250,00 €

Reisekosten, Benutzung eigener PKW, 82 km

Nr. 7003 VV RVG

    24,60 €

Tage- und Abwesenheitsgeld bei Geschäftsreise

Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG

    25,00 €

Parkauslagen

Nr. 7006 VV RVG

3,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  772,60 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    146,79 €

Kostenforderung

 

  919,39 €

 

 

 

 

Die geltend gemachten Gebühren seien nicht problematisch. Jedoch müssten die gewährten Kostenvorschüsse den beiden Verfahren bis zur Verbindung vollumfänglich angerechnet werden. Eine anteilige Anrechnung (1/6) sei nicht zulässig.

 

Gegen die Vergütungsfestsetzung der Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 hat die Beschwerdeführerin unter dem 17. November 2016 Erinnerung (S 34 SF 170/16 E) beim SG eingelegt, mit der sie höhere Gebühren geltend macht. Soweit die jetzige Gebührenforderung den ursprünglichen Antrag vom 9. August 2016 übersteige, sei dies zulässig, da die UdG mit dem angefochtenen Beschluss Gebühren festgesetzt habe, die noch nicht beantragt waren. Insoweit nehme sie nunmehr eine (erstmalige) Kostenbestimmung vor:

 

Verfahrensgebühr L 4 AS 535/14

Nr. 3204 VV RVG

  500,00 €

Terminsgebühr bis Verbindung

Nr. 3205 VV RVG

  50,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  570,00 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

   108,30 €

Kostenforderung

 

  678,30 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Gesamt

 

  214,20 €

Verfahrensgebühr L 4 AS 536/14

Nr. 3204 VV RVG

  500,00 €

Terminsgebühr bis Verbindung

Nr. 3205 VV RVG

  50,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  570,00 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    108,30 €

Kostenforderung

 

  678,30 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Gesamt

 

  214,20 €

Verfahrensgebühr L 4 AS 535/14 neu

Nr. 3204, 1008 VV RVG

  325,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3205 VV RVG

  350,00 €

Einigungsgebühr

Nr. 1007 VV RVG

250,00 €

Reisekosten, Benutzung eigener PKW, 82 km

Nr. 7003 VV RVG

    24,60 €

Tage- und Abwesenheitsgeld bei Geschäftsreise

Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG

    25,00 €

Parkauslagen

Nr. 7006 VV RVG

3,00 €

Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    20,00 €

Zwischensumme

 

  997,60 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    189,54 €

Gesamt

 

  1.187,14 €

(Kostenforderung insgesamt

 

1.615,54 €)

 

 

 

Zudem hat der Beschwerdegegner für die Landeskasse unter dem 5. Mai 2017 Erinnerung gegen den PKH-Festsetzungsbeschluss (S 34 SF 87/17 E) eingelegt und ausgeführt, den beiden Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 liege ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu Grunde, so dass nur einmal Gebühren ausgelöst werden könnten. Diese seien bereits für das Verfahren L 4 AS 535/14 festgesetzt worden, so dass die Festsetzung von Gebühren für das Verfahren L 4 AS 536/14 in Höhe von 464,10 € aufzuheben sei.

 

Auf die Erinnerung der Beschwerdeführerin hat das SG die PKH-Vergütung mit Beschluss vom 22. Juni 2020 auf 1.398,49 € festgesetzt und im Übrigen die Erinnerungen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners zurückgewiesen: Bezogen auf die Erhebung der Berufungen L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 sei die Beschwerdeführerin nicht in „derselben Angelegenheit“ tätig geworden. Die Berufungen beruhten nicht auf einem vollständig einheitlichen Lebenssachverhalt. Da die Entscheidung über verschiedene Leistungszeiträume für zwei verschiedene Kläger begehrt worden seien, sei jeweils zu prüfen gewesen, ob und in welcher Höhe Leistungsansprüche bestanden und subjektive Voraussetzungen für die Rücknahme nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X vorgelegen hätten. Hieraus ergebe sich folgender PKH-Vergütungsanspruch:

 

Verfahrensgebühr L 4 AS 535/14

Nr. 3204 VV RVG

  555,00 €

Verfahrensgebühr L 4 AS 536/14

Nr. 3204 VV RVG

  555,00 €

Terminsgebühr

Nr. 3205 VV RVG

  450,00 €

Einigungsgebühr

Nr. 1006 VV RVG

250,00 €

2 Post- und Telekom. Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

    40,00 €

Parkauslagen, Tage- und Abwesenheitsgeld, Reisekosten

 

    105,20 €

Zwischensumme

 

 1.955,20 €

Mehrwertsteuer

Nr. 7008 VV RVG

    371,49 €

Gesamtbetrag

 

 2.326,69 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Abzüglich Vorschuss

 

- 464,10 €

Kostenforderung

 

  1.398,49 €

 

 

Gegen den ihr am 30. Juni 2020 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 1. Juli 2020 Beschwerde beim SG eingelegt und zur Begründung vorgetragen, hinsichtlich des Verfahrens L 4 AS 535/14 hätten zwei Verfahrensgebühren (für das alte Verfahren bis zur Verbindung und das neue Verfahren ab der Verbindung) festgesetzt werden müssen. Sollte das Gericht dem nicht folgen, seien höhere Verfahrensgebühren von jeweils 780 € angemessen. Die anwaltliche Schwierigkeit der Angelegenheit sei überdurchschnittlich gewesen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger seien allenfalls leicht unterdurchschnittlich gewesen.

 

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem LSG vorgelegt.

 

II.

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

 

Gegen die Entscheidung des SG über die Erinnerung ist abweichend von § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) der weitere Rechtsbehelf der Beschwerde zum LSG eröffnet (§ 73a Abs. 1 SGG; § 1 Abs. 3 RVG i.V.m. § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 3 bis 8 RVG; vgl. Beschluss des Senats vom 3. März 2017, L 4 AS 141/16 B). Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

 

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände, sondern jeweils die gesamte Kostenfestsetzung der UdG vom 14. November 2016 in der Fassung des Beschlusses des SG vom 22. Juni 2020. Aufgrund des Rechtsbehelfs der Beschwerdeführerin ist die gesamte Kostenfestsetzung noch nicht rechtskräftig. Selbst wenn sie nur einzelne Berechnungselemente der Kostenfestsetzung bemängelt, ist eine Begrenzung der Beschwerde auf die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände nicht zulässig. Denn die Gebührentatbestände sind lediglich Elemente der einheitlichen Kostenfestsetzungsentscheidung. Der Rechtsanwalt begrenzt den Umfang der Prüfung und Entscheidung nur durch seinen summenmäßigen Antrag. Erhebt nur der Rechtsanwalt Beschwerde, darf zu seinen Ungunsten nicht von der Kostenfestsetzung des SG abgewichen werden (wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016, L 19 AS 646/16 B, juris Rn. 57 m.w.N.). Anders liegt es nur, wenn auch die Landeskasse mit der Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung vorgeht, was hier nicht der Fall ist.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerdeführerin hatte nach Korrektur ihrer ursprünglichen Kostennote Gebühren von 1.615,54 € geltend gemacht. Die mit Beschluss vom 22. Juni 2020 festgesetzten Gebühren von 1.398,49 € unterschreiten diesen Betrag um 217,05 €. Die Beschwerde ist zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden. 

 

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist jedoch unbegründet. Das SG hat die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen richtig festgesetzt. Insbesondere steht der Beschwerdeführerin in dem Verfahren L 4 AS 535/14 weder dem Grunde noch der Höhe nach eine weitere Verfahrensgebühr zu.

 

Der Umfang der Rechtsanwaltsvergütung bzw. deren Erstattung durch die Landeskasse bemisst sich nicht nach dem Wert bzw. der Bedeutung des Klagebegehrens (Streitwert), sondern nach Betragsrahmengebühren. Die geltend gemachten Betragsrahmengebühren sind von der Beschwerdeführerin nicht nach den maßgeblichen Kriterien des § 14 RVG angemessen bestimmt worden und daher herabzubemessen.

 

Grundlage des Erstattungsbegehrens der Beschwerdeführerin ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach sind dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten. In den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Da die Kläger des Ausgangsverfahrens kostenprivilegierte Beteiligte im Sinne des § 183 Satz 1 SGG war, scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 in der Fassung vom 16. Juli 2014 (vgl. § 60 RVG). Im Einzelnen bestimmt sich die Vergütung, das heißt die Gebührentatbestände, die Spannwerte der Betragsrahmengebühren usw., aus dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die Bemessung der Betragsrahmengebühren ist nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmen. Hiernach steht es dem Rechtsanwalt zu, eine solche Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Bei Rahmengebühren, die sich - wie hier - nicht nach einem Gegenstandswert richten, ist auch das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG folgt, dass zudem weitere im Einzelfall vorliegende Kriterien zur Bemessung herangezogen werden können. Aus der Aufzählung der benannten Kriterien kann nicht auf ein vorgegebenes abstraktes Rangverhältnis geschlossen werden. Es obliegt dem Rechtsanwalt, jedenfalls die in § 14 RVG genannten und ggf. noch weiter relevante Kriterien im Einzelfall zu gewichten.

 

Ist die Gebühr von einem Dritten (hier: der Landeskasse) zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet hat und die angesetzte Gebühr die nach den gesetzlichen Kriterien angemessene Gebühr um mehr als 20 % übersteigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09, juris Rn. 19). Ist die Bestimmung unbillig, erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren (Thüringer LSG, Beschluss vom 27. Oktober 2016, L 6 SF 1611/15 B, juris).

 

Die Forderung der Beschwerdeführerin, ihr stünden für die beiden Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 drei Verfahrensgebühren und insgesamt ein Betrag in Höhe von 1.615,54 € zu, ist nicht berechtigt.

 

Die Verbindung ursprünglich rechtlich selbständiger Verfahren führt dazu, dass die bereits verdienten Gebühren dem Rechtsanwalt weiterhin zustehen (Thüringer LSG, Beschluss vom 10. April 2014, L 6 SF 193/14 B, juris Rn. 27). Dies folgt aus § 15 Abs. 4 RVG, wonach der Anspruch auf die Abgeltung einer einmal entstandenen Gebühr nicht durch nachträglich hinzutretende Umstände wieder entfallen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2014, L 20 SO 317/13 B, juris Rn. 32). Der Prozessbevollmächtigte kann wählen, ob er die Gebühren aus den getrennten oder aus dem verbundenen Verfahren verlangt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. Januar 2021, L 7 AS 19/20 B, juris Rn. 15 m.w.N.; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, 3100 VV Rn. 41).

 

Die Beschwerdeführerin hat von diesem Wahlrecht hier in zweifacher Hinsicht Gebrauch gemacht. Zum einen hat sie ihr Wahlrecht dahingehend ausgeübt, dass sie in dem Verfahren L 4 AS 535/14 auch die Gebühren aus dem verbundenen Verfahren L 4 AS 536/14 (nach Korrektur des Vergütungsantrags im Rahmen der Erinnerung vom 17. November 2016) geltend gemacht hat.

 

Die Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 haben vor der gemeinsamen Verbindung und Abtrennung jedoch mehrere Bewilligungszeiträume und insoweit verschiedene Angelegenheiten betroffen. Diesbezüglich sind hier nach Auffassung des Senats grundsätzlich auch mehrere Verfahrensgebühren entstanden. Die Beschwerdeführerin hat bezüglich der später abgetrennten Verfahren ihr Wahlrecht allerdings dahingehend ausgeübt, die Verfahrensgebühren für diese in den ursprünglichen Berufungsverfahren mit enthaltenen Zeiträume im Rahmen der PKH-Vergütungsfestsetzung für die abgetrennten Verfahren geltend zu machen (vgl. hierzu die Erinnerungsverfahren L 4 AS 320/20 B, L 4 AS 321/20 B, L 4 AS 322/20 B und L 4 AS 323/20 B). Dies ist grundsätzlich zulässig. Unzulässig ist jedoch nach Auffassung des Senats, Verfahrensgebühren für die ursprünglichen Verfahren und die abgetrennten Verfahren geltend zu machen. Konkret bedeutet dies für das Verfahren L 4 AS 535/14, dass die Beschwerdeführerin hier zwei Verfahrensgebühren (eine Verfahrensgebühr für das Verfahren L 4 AS 535/14 und eine Verfahrensgebühr für das Verfahren L 4 AS 536/14) geltend machen kann. Sie kann jedoch nicht eine Verfahrensgebühr für das Verfahren L 4 AS 535/14 alt und eine weitere Verfahrensgebühr für das Verfahren L 4 AS 535/14 neu (nach Verbindung und Abtrennung) geltend machen.

 

Die Festsetzung der Verfahrensgebühren für die Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 in Höhe von jeweils 555,00 € ist nicht zu beanstanden.

 

Nach Anlage 1 zum RVG, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 2 i.V.m. Nr. 3204 VV RVG ist die Gebühr aus den Spannwerten (60,00 bis 680,00 €) zu bestimmen. Aus der Vorgabe von Spannenwerten folgt, dass die Mittelgebühr - rechnerisch die Hälfte der Summe aus Mindest- und Höchstgebühr - nicht der Regelfall der Vergütung ist. Sie ist vielmehr nur für einen Regel- bzw. Durchschnittsfall die angemessene Vergütung. Die Mittelgebühr bietet dann für die Bestimmung der konkret angemessenen Gebühr einen Richtwert, wenn es sich um eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Angelegenheit handelt. Das ist nicht der Fall, wenn teilweise über- oder unterdurchschnittlich zu bewertende Einzelkriterien vorliegen. Dann sind Zu- oder Abschläge vom Richtwert vorzunehmen. Die Mittelgebühr kann sich aber auch daraus ergeben, dass die Überdurchschnittlichkeit einzelner Kriterien die Unterdurchschnittlichkeit anderer Kriterien kompensiert.

 

Bei Betrachtung der o.g. Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG lag der Rechtsstreit im überdurchschnittlichen Bereich anderer Streitigkeiten nach dem SGB II. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Beschluss vom 22. Juni 2020 verwiesen, die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht. Unter Berücksichtigung, dass die Mittelgebühr für Berufungsverfahren 370 € beträgt, hat das SG die Überdurchschnittlichkeit der Angelegenheit durch den Ansatz einer Verfahrensgebühr im oberen Bereich (1,5-fache Mittelgebühr) hinreichend berücksichtigt. Gründe für den Ansatz einer noch höheren Gebühr sind für den Senat auch unter Berücksichtigung der Einwände der Beschwerdeführerin nicht erkennbar.

 

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann hier nicht von einem Spannwert zwischen 78,00 bis 884,00 € unter Berücksichtigung einer Erhöhung für zwei Auftraggeber (Nr. 1008 VV RVG) ausgegangen werden. Zugunsten der Beschwerdeführerin ist das SG hier bereits von jeweils einer Verfahrensgebühr für jeden Kläger in den Verfahren L 4 AS 535/14 und L 4 AS 536/14 ausgegangen. Denkbar wäre hier auch der Ansatz lediglich einer erhöhten Verfahrensgebühr für zwei Auftraggeber zusammen für beide Verfahren, weil es um die Rückforderung von Leistungen für zwei miteinander verheiratete Kläger ging. Dies kann jedoch dahinstehen, da eine Abweichung von der Kostenfestsetzung des SG zu Ungunsten der Beschwerdeführerin unzulässig ist. Soweit die Verfahren auch mehrere Zeiträume betroffen haben, sind bereits weitere Verfahrensgebühren in den abgetrennten Verfahren geltend gemacht worden, so dass diese hier nicht nochmal berücksichtigt werden können.

 

Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.

 

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; eine Beschwerde zum BSG ist nicht gegeben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Rechtskraft
Aus
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