1. Gegen einen Beschluss, mit dem die Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 3 SGG abgelehnt wird, ist die Beschwerde gegeben.
2. Die Frage, ob das Strafverfahren auf die Entscheidung von Einfluss ist, unterliegt der Beurteilung des Sozialgerichts, die im Beschwerdeverfahren nur auf offensichtliche Beurteilungsfehler hin zu überprüfen ist.
3. Die Entscheidung über die Aussetzung nach § 114 Abs. 3 SGG ergeht von Amts wegen. Ein darauf zielender Antrag stellt eine bloße Anregung dar.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. November 2022 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung eines Aussetzungsantrags.
Die Klägerin klagt beim Sozialgericht gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten wegen vermeintlich überzahlter Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hintergrund ist ein Sparbuch, dessen Guthaben die Klägerin bei Antragstellung und Folgeantragstellungen nicht angegeben hatte.
In der mündlichen Verhandlung am 9. November 2022 hat die Klägerin im Hinblick auf das gegen sie beim Amtsgericht Pinneberg geführte Strafverfahren wegen Betrugs beantragt, das Verfahren nach § 114 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen.
Den Antrag hat das Sozialgericht in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss abgelehnt und zur Begründung darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unabhängig davon zu überprüfen seien, ob das Verhalten der Klägerin eine Straftat darstelle.
Gegen diesen Beschluss, der ihrem Prozessbevollmächtigten mit der Sitzungsniederschrift am 29. November 2022 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 27. Dezember 2022 Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben.
Zur Begründung macht sie geltend, der Beschluss sei rechtswidrig, weil die Aussetzungsentscheidung ins Ermessen des Gerichts gestellt sei, der Beschluss aber Ermessenserwägungen nicht erkennen lasse.
Sie beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben.
Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 SGG). Sie richtet sich gegen eine Entscheidung des Sozialgerichts durch Beschluss und ist deshalb prinzipiell statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG); die Ausschlussgründe des § 172 Abs. 2 und 3 SGG greifen nicht. Folgerichtig ist die Beschwerdefähigkeit der Aussetzungsentscheidung allgemein anerkannt (vgl. nur Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 114 Rn. 9 m.w.N.). Gleiches muss für die Ablehnung eines Aussetzungsantrags gelten (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2015 - L 7 AS 782/15 B – juris Rn. 6; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Januar 2022 – L 3 U 202/21 B – juris Rn. 16).
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, den Antrag auf Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens abzulehnen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach § 114 Abs. 3 SGG kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist.
Ob das strafrechtliche Ermittlungsverfahren auf das sozialgerichtliche Verfahren von Einfluss ist, ist eine Frage, die im Rahmen der Amtsermittlung, deren Art und Umfang das Sozialgericht bzw. die oder der Vorsitzende bestimmt (§§ 103, 106 SGG), zu beurteilen ist. § 114 Abs. 3 SGG dient der Erleichterung der tatsächlichen Aufklärung der vom Sozialgericht für rechtlich relevant gehaltenen Umstände. Die Sachaufklärung als entscheidungsvorbereitende Prozessleitung unterliegt nach der Systematik des SGG (vgl. § 172 Abs. 2 SGG) vor Abschluss der ersten Instanz jedoch nicht der Kontrolle durch das Beschwerdegericht. Deshalb ist dem Sozialgericht ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, soweit anderenfalls Fragen, die nach der Prozessordnung dem Rechtsmittel der Berufung vorbehalten sind, in das Beschwerdeverfahren verschoben würden. Das Beschwerdegericht prüft insbesondere nicht, ob die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Sozialgerichts zu den Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren, auf deren Grundlage es einen Beschluss über die Aussetzung erlassen hat, zutreffend ist, außer wenn der Mangel der Entscheidungserheblichkeit offensichtlich ist (BAG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 – 3 AZB 24/09 – juris Rn. 9; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2012 – L 1 KR 421/12 B – juris Rn. 6; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Mai 2014 –L 4 KR 553/14 B – juris Rn. 17; vgl. auch Keller, a.a.O, Rn. 9 m.w.N.; Guttenberger in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 144 Rn. 53).
Daran gemessen ist das Sozialgericht vertretbar davon ausgegangen, dass das Strafverfahren gegen die Klägerin beim Amtsgericht Pinneberg auf die Entscheidung im vorliegenden Fall ohne Einfluss ist. Keinesfalls erweist sich diese Einschätzung als offensichtlich fehlerhaft. Vielmehr geht das Gericht grundsätzlich zutreffend davon aus, dass für eine Betrugsverurteilung einerseits und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung nach § 45 SGB X andererseits unterschiedliche Maßstäbe gelten, schon weil die Aufhebungsentscheidung auch bei Vorliegen nur grober Fahrlässigkeit möglich ist. Welchen Einfluss das Strafverfahren konkret z.B. auf eine vollständigere Ermittlung des Sachverhalts noch haben sollte, legt die Klägerin mit der Beschwerde nicht dar. Aus der Akte ist vielmehr ersichtlich, dass das Amtsgericht offenbar das seinerseits als vorgreiflich erachtete sozialgerichtliche Verfahren abzuwarten beabsichtigt und sich deshalb beim Sozialgericht wiederholt nach dem dortigen Sachstand erkundigt hat. Vor diesem Hintergrund darf davon ausgegangen werden, dass eine Aussetzung zugunsten des Strafverfahrens allenfalls zu einer weiteren Verzögerung der Verfahrenserledigung führen würde.
Liegen damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 SGG im vorliegenden Fall nicht vor, bedarf es auch einer Ermessensentscheidung nicht.
Eine Kostenentscheidung hat mit der ganz herrschenden Rechtsprechung nicht zu ergehen, weil das Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung über die Aussetzung einen nicht eigenständigen Verfahrensabschnitt darstellt, der Bestandteil des Hauptsacheverfahrens ist (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 – juris Rn. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2012 – L 1 KR 421/12 B – juris Rn. 9; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Mai 2014 – L 4 KR 553/14 B – juris Rn. 21; Hessisches LSG, Beschluss vom 18. November 2018 – L 6 AS 478/19 B – juris Rn. 14; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Juni 2022 – L 11 KR 1075/21 B – juris Rn. 7; a.A. nur LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Januar 2022 – L 3 U 202/21 B – juris Rn. 22). Dass das Beschwerdeverfahren vergütungsrechtlich eine besondere Angelegenheit ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]), für die eine gesonderte Verfahrensgebühr entsteht (vgl. Nr. 3501 Vergütungsverzeichnis [VV] RVG), führt allein nicht dazu, die kostenrechtliche Eigenständigkeit des Beschwerdeverfahrens anzuerkennen. Besonderes Gewicht misst der Senat vielmehr dem Umstand bei, dass Entscheidungen nach § 114 SGG – vom Sonderfall des § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG abgesehen – von Amts wegen ergehen und entsprechende Anträge der Beteiligten daher lediglich Anregungen darstellen (vgl. Guttenberger in: jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 114 Rn. 51 m.w.N.). Liegt allerdings die Herbeiführung einer die Verfahrensführung betreffenden Entscheidung allein in den Händen des Gerichts, ist es sach- und interessengerecht, die zusätzlichen Kosten eines dagegen geführten Beschwerdeverfahrens im Rahmen einer einheitlichen Kostenentscheidung dem Beteiligten aufzuerlegen, der nach allgemeinen Maßstäben die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen hat (dazu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 – juris Rn. 12).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).