L 2 KG 1/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 3 KG 2/19
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 KG 1/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Kindergeld für sich selbst erhält, wer den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt, wenn diese Unkenntnis glaubhaft belegt ist und nicht missbräuchlich besteht.
2. Zum Beleg der Unkenntnis ist es zumutbar, die behaupteten erfolglosen Versuche der elektronischen Kontaktaufnahme zu den Eltern nachzuweisen.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Mai 2021 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

 

Die Beteiligten haben einander für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger und Berufungsbeklagte (künftig nur: Kläger) begehrt für sich Kindergeld.

 

Der nach seinen Passunterlagen am ... 1996 in H1 (Syrien) geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Nach seinen Angaben im Asylverfahren wohnte er in Syrien zuletzt in H1 gemeinsam mit seiner Familie (Mutter, Vater, zwei Brüder) in einer Mietwohnung. Nach seinen weiteren Angaben verließ er am 16. September 2015 Syrien und reiste über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich am 5. Oktober 2015 schließlich nach Deutschland ein. Die Kosten für die Flucht seien von den Eltern aufgebracht worden, welche noch unter der bekannten Wohnanschrift lebten. Er habe zwei Brüder sowie die Großfamilie in Syrien. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte seinen Asylantrag hingegen ab (Bescheid vom 31. August 2016). Der Bescheid enthält den Hinweis auf soziale Rechte, insbesondere auf die Möglichkeit des Bezuges von Kindergeld.

 

Erst am 19. August 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten und Berufungsführerin (künftig nur: Beklagte) die Gewährung von Kindergeld. Er führte zur Begründung aus, seit dem Verlassen des syrischen Staatsgebietes keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt zu haben. Deren Aufenthaltsort sei ihm nicht bekannt und er wisse nicht, ob sie noch leben. Soweit er wisse, hielten sich beide Eltern noch in Syrien auf. Er habe mit niemandem in Syrien Kontakt. Er habe nichts machen können, um ihren Aufenthalt zu kennen.

 

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Kindergeld ab (Bescheid vom 7. Dezember 2018). Weil dem Kläger der Aufenthalt seiner Eltern bekannt sei, seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben.

 

Dem widersprach der Kläger mit der Begründung, den Aufenthalt seiner Eltern nicht zu kennen und auch nicht zu wissen, ob diese noch lebten.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2019). Der Kläger habe es grob fahrlässig bzw. vorsätzlich unterlassen, den genauen Aufenthaltsort seiner Eltern herauszufinden bzw. Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Er sei verpflichtet gewesen, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um den Aufenthaltsort seiner Eltern herauszufinden. Dazu gehörten gegebenenfalls die Nachfrage bei Behörden, Verwandten usw. Geschehe dies nicht, sei von einer missbräuchlichen Unkenntnis des Aufenthaltsortes der Eltern auszugehen, welche den Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Dem Kläger sei es insbesondere zumutbar gewesen, über das Rote Kreuz bzw. einer Behörde den Aufenthaltsort zu erforschen.

 

Am 11. Februar 2019 hat der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2019 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Er führte aus, bereits im Jahr 2011 gemeinsam mit seinen Eltern innerhalb von H1 geflüchtet zu sein. Am Tag seiner Flucht nach Deutschland habe er zuletzt persönlichen Kontakt zu seinen Eltern gehabt. Seither habe er keine Informationen, wo sich diese befinden, ob sie noch in H1 seien oder überhaupt noch lebten. Er wisse, dass seine Familie nach seiner Flucht noch ein weiteres Mal fliehen musste. Wohin, wisse er hingegen nicht. Nach seiner Kenntnis funktionierten in vielen Teilen seiner Heimat wieder Internet noch Telefon oder die Postzustellung. Darüber hinaus werde die Post in Syrien ausschließlich an Postfächer verteilt. Das Postfach seiner Eltern sei ihm nicht bekannt. Er habe außerdem keinen Kontakt zu seinen Brüdern, die noch bei seinen Eltern lebten, oder zu anderen Verwandten bzw. Freunden. Er habe keine Kontaktmöglichkeit nach Syrien. Nach seiner Flucht sei es ihm auch nicht möglich gewesen, Behörden anzuschreiben oder dort nachzufragen. Selbst wenn diese Behörden handlungsfähig wären, würden sie ihm als geflohenen Staatsbürger sicherlich keine Auskunft geben. Er sei grundsätzlich mit seinen Eltern über Facebook verbunden. Leider sei dieser Kontakt abgebrochen. Er habe seine Eltern mehrfach über Facebook angeschrieben. Bislang habe er keine Antwort erhalten. Eine langwierige Suche seiner Eltern über allgemeine Anfragen z.B. beim Roten Kreuz, helfe ihm in seiner finanziellen Situation nicht weiter. Es sei für ihn nicht in zumutbarer Weise möglich, Informationen zum Aufenthalt seiner Eltern zu beschaffen. Auf die Klageerwiderung hat er mitgeteilt, seit Mitte April 2019 wieder Kontakt zu seinem Vater zu haben. Dieser lebe in H1. Der Internetempfang sei in Teilen der Stadt wiederhergestellt worden. Das habe sein Vater genutzt und Kontakt mit ihm aufgenommen. Im Nachgang zu einem Erörterungstermin beim SG, in dem der Kläger nicht anwesend war, und in dem die Angaben der erschienenen Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht protokolliert wurden, hat jene versichert, sich wegen der Angabe des nach der Flucht weiter bestandenen Kontaktes mit den Eltern über Facebook geirrt zu haben. Von der erneuten Flucht der Familie im Oktober 2017 habe er erst erfahren, als der Kontakt mit seinem Vater wieder zustande gekommen sei.

 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der Aufenthalt der Eltern im Ausland allein nicht anspruchsbegründend sei. Sofern es über Telefon bzw. Messengerdienste möglich sei, den Aufenthaltsort zu ermitteln, dies aber unterbleibe, liege keine Unkenntnis über den Aufenthaltsort der Eltern vor. Mit der Klage habe der Kläger angegeben, nach seiner Flucht von einem erfolgten Umzug erfahren zu haben. Zudem stünde einen Anspruch entgegen, dass der generelle Aufenthaltsort der Eltern bekannt sei. Nicht erforderlich sei die Kenntnis des konkreten Wohnortes bzw. einer Meldeadresse. Der Kläger habe konkret darzulegen, welche Kontaktversuche er unternommen habe.

 

Das Sozialgericht hat die Beklagte - wie vom Kläger nur beantragt - verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Februar 2018 bis zum 30. April 2019 Kindergeld zu gewähren. Kindergeld stehe ihm zu, weil er den Aufenthalt seiner Eltern nicht gekannt habe. Die Unkenntnis über den Aufenthaltsort seiner Eltern beruhe nicht auf den mangelnden Bemühungen des Klägers. Die damalige Situation in H1 sei kritisch gewesen. In dem Gebiet sei gekämpft worden. Eine Kontaktaufnahme über das Internet oder telefonisch sei nicht möglich gewesen. Eine Anfrage beim Deutschen Roten Kreuz wäre in Anbetracht der kritischen Lage sinnlos gewesen und könne daher vom Kläger nicht verlangt werden. Das gleiche gelte im Hinblick auf die Nachfrage bei syrischen Behörden. Der Kläger sei keinesfalls gehalten, die syrische Regierung auf seine Flucht aufmerksam zu machen.

 

Die Beklagte hat gegen das ihr am 29. Juni 2021 zugestellte Urteil am 21. Juli 2021 Berufung eingelegt. Zwar sei hinsichtlich der Unkenntnis zum Aufenthaltsort der Eltern ein subjektiver Maßstab anzulegen. Diese Unkenntnis müsse zunächst festgestellt werden. Hierbei seien strengste Maßstäbe an die Glaubhaftmachung einzulegen. Eine missbräuchliche Unkenntnis sei auszuschließen. Der Kläger habe nach seinen Angaben lediglich vermutet, dass seine Eltern erneut flüchten mussten. Erst wenn konkrete Tatsachen dargelegt seien, die eine Änderung der zuletzt bekannten Adresse belegten, stelle sich die Frage, nach welchem Umfang der Kläger zumutbar Nachforschungen unternehmen hätte müssen. Aus seiner Sicht sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger im Streitzeitraum keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt habe. Dafür seien seine Angaben zu widersprüchlich gewesen. Es fehlten noch immer die Nachweise zu Versuchen einer Kontaktaufnahme. In Syrien bestehe die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über die Post bzw. das Telekommunikationsnetz. Es sei unglaubhaft, dass der zum Fluchtzeitpunkt 19 Jahre alte Kläger die Postfachnummer seiner Eltern nicht gekannt haben wolle. Unglaubhaft sei auch, dass in H1 erst im April 2019 Zugang zum Internet gefunden wurde.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Mai 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Berichterstatter hat den Kläger mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 aufgefordert, seine Angaben zum genauen Zeitpunkt und dem Grund des Abrisses der Kommunikation und zu deren Wiederaufbau sowie gegebenenfalls erfolglose Versuche in der Zwischenzeit zu plausibilisieren. Dies könne er z.B. durch einen Ausdruck oder digitale Kopie seine digitalen Kommunikationen mit den Eltern erreichen. Zudem beziehe er sich allein darauf, dass eine Kommunikation über das Internet bzw. über Facebook nicht mehr möglich gewesen sein solle. Sonstige Bemühungen, z.B. durch Telefon, Briefpost etc. oder über die entsprechenden Kontaktaufnahmen zu weiteren Verwandten, Vorsprache in der Botschaft (in der er gemäß seinem neu ausgestellten Pass wohl im August 2017 gewesen sei), die Einschaltung von Suchdiensten usw. habe er nicht geschildert bzw. glaubhaft gemacht, dass solche erfolglos unternommen habe. Der Kläger hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 

Mit dem daraufhin eingegangenen Schriftsatz beantragt der Kläger,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Hinsichtlich der unterschiedlichen Angaben zur Flucht der Eltern im Jahr 2017 habe es sich um ein Versehen der Prozessbevollmächtigten gehandelt. Diese Information sei erst seit der Wiederherstellung des Kontaktes mit dem Vater bekannt. Zuvor sei die Flucht lediglich eine starke Vermutung gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Flucht habe das Internet und Telefon in H1 nicht funktioniert. Kopien von den Kommunikationsversuchen habe er nicht mehr. Er habe z.B. über den Messengerdienst WhatsApp Nachrichten an seine Familie geschrieben diese seien aber nicht zugestellt worden. Dies habe er immer wieder überprüft. Zudem habe er sich regelmäßig alle 2-3 Tage bei seinen Eltern telefonisch melden wollen. Dies sei nicht erfolgreich gewesen. Es habe noch nicht einmal geklingelt. Die Postfachnummer seiner Eltern habe er nicht gekannt und habe auch keine Möglichkeit gehabt, diese herauszufinden. Deshalb habe er nicht auf dem Postweg versucht, zu seinen Eltern Kontakt aufzunehmen. Von seinem Vater habe er nach Wiederherstellung des Kontaktes erfahren, dass die Post in H1 bis Mitte 2018 geschlossen gewesen sei. Hätte er für seinen Aufenthaltstitel keinen Pass gebraucht, wäre er nicht zur Botschaft gefahren und hätte 300 Euro für einen Pass bezahlt. Er sei geflohen, weil er die Einberufung zum Militärdienst befürchtete. Er habe keinesfalls gewollt, dass das syrische Regime erfahre, dass er eine Familie in Syrien habe, geschweige denn deren Namen und Aufenthaltsort. Hierdurch hätte er seine Familie in Gefahr gebracht.

 

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 hat der Berichterstatter den Kläger um Ausdrucke der erfolglosen elektronischen Kontaktversuche gebeten. Solche seien bislang nicht übersandt worden. Ein Grund sei nicht mitgeteilt worden. Zudem sei nichts dazu vorgetragen, ob Kontakt über sonstige Angehörige gesucht worden sei und weshalb dies nicht erfolgreich gewesen sein soll. Es sei auch keine Stellung dazu genommen worden, ob Suchdienste in Anspruch genommen wurden.

 

Hierauf hat der Kläger vorgetragen, dass Ausdrucke der erfolglosen elektronischen Kontaktaufnahmen nicht übersandt werden könnten. Diese Nachrichten sei nicht archiviert worden. Auch sein Vater habe diese Nachrichten nicht. Zu seinen Brüdern habe er keinen Kontakt gehabt. Auch zu den anderen Verwandten und Freunden habe er keinen Kontakt gehabt. Das Telefon und Internet seien damals nicht intakt gewesen. Dies habe alle Kontakte in Syrien betroffen. Er habe nicht versucht, über Suchdienste Kontakt zu seinen Eltern aufzunehmen. Diese Möglichkeit habe er nicht gekannt.

 

Mit Schreiben vom 17. Januar 2022 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass der letzte Vortrag des Klägers erklärungsbedürftig sei. Insbesondere bestünde bei dem Messengerdienst Facebook die Möglichkeit, Nachrichten durch eine Einzelabfrage aus dem Nutzerkonto herunterzuladen, wozu auch eine Anleitung im Internet (unter Angabe des Links) veröffentlicht sei. Insofern verwundere die Aussage, dass Nachrichten weder durch den Kläger noch durch den Vater des Klägers ausgedruckt werden könnten.

 

Darauf hat der Kläger vorgetragen, dass ihm die geforderten Beweise nicht vorlägen. Eine Anfrage bei Facebook auf Prüfung bzw. Herausgabe gegebenenfalls gespeicherter Nachrichten lehne er in Kenntnis des bestehenden Beweisproblems ab. Weitere inhaltliche Angaben könne er nicht machen.

 

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und in der Besetzung durch den Berichterstatter anstelle des gesamten Senates, weil sich die Beteiligten mit einer derartigen Verfahrensweise einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie § 155 Abs. 3 und 4 SGG.

 

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 31. Mai 2021, mit dem es die Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 7. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2019 dem Grunde nach zur Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum 1. Februar 2018 bis 30. April 2019 (Streitzeitraum) verurteilt hat.

 

3. Die Berufung ist danach zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist auch begründet. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld liegen nicht vor. Der Kläger konnte nicht überzeugend darlegen, dass ihm der Aufenthaltsort seiner Eltern im Streitzeitraum unbekannt gewesen ist.

 

Nach der für den geltend gemachten Kindergeldanspruch einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) erhält Kindergeld für sich selbst, wer

 

1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,

 

2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seine Eltern nicht kennt und

 

3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist.

 

Die Norm gilt auch zugunsten des nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern nicht freizügigkeitsberechtigten Klägers, weil er mit dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. August 2016 über eine zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigende Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verfügt (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 BKGG).

 

Der Kläger hat seinen Wohnsitz in H2 und damit in Deutschland und ist nicht bei einer anderen nach dem BKGG berechtigten Person als Kind zu berücksichtigen.

 

Allerdings liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BKGG nicht vor. Weder ist der Kläger im Streitzeitraum Vollwaise gewesen noch ist hinreichend dargelegt, dass er den Aufenthalt seiner Eltern nicht gekannt hat.

 

Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG ist erkennbar subjektiv ausgerichtet und stellt auf die Nichtkenntnis des das Kindergeld beanspruchenden Kindes ab. Aus der im Hintergrund stehenden gesetzgeberischen Zielrichtung, den Bezug von Kindergeld auch alleinstehenden Kindern zu ermöglichen, folgt nichts Anderes. Trotz bestehender Unkenntnis kann dem Anspruch entgegenstehen, dass diese Unkenntnis missbräuchlich ist. Herangezogen werden können die Maßstäbe, die im Rahmen des § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches alter Fassung (BGB a.F.) galten (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. April 1992 – 10 RKg 12/91, juris Rn. 15, 17 f.).

 

Nach der vom BSG in Bezug genommenen Vorschrift des § 852 Abs. 1 BGB a.F. hing der Beginn der Verjährung von deliktischen Ansprüchen von der Kenntnis u.a. des Schadens ab. Die Vorschrift wurde auch dann angewendet, wenn der Verletzte in Unkenntnis war, sich die Kenntnis aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen könnte. Denn der Verletzte soll es nicht in der Hand haben, die Verjährungsfrist einseitig dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt (Rechtsgedanke des § 162 BGB). Dafür genügt eine grob fahrlässig verschuldete Unkenntnis noch nicht. Für eine entsprechende Anwendung muss der Geschädigte eine sich ihm ohne weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit nicht wahrnehmen, deren Erlangung weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht. Nur dann ist ein Fall des missbräuchlichen „Sich-Verschließens“ vor der Kenntnis gegeben, der mit einer positiven Kenntnis gleichzusetzen ist (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 16. Mai 1989 – VI ZR 251/88, juris Rn. 15).

 

Eine mit Leichtigkeit zu beseitigende Unkenntnis liegt dann nicht vor, wenn lange und zeitraubende Telefonate oder umfangreicher Schriftwechsel erforderlich würden. Ebenfalls keine missbräuchliche Unkenntnis liegt vor, wenn der Geschädigte die aus seiner Sicht in Betracht kommenden Auskunftsstellen erfolglos um Mitteilung gebeten und erst durch eine verspätet gewährte Akteneinsicht Kenntnis erlangt hat (vgl. Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016 – L 5 KG 1/15, juris Rn. 37).

 

Vorliegend ist es dem für die in seiner Lebenssphäre liegenden günstigen Umstände darlegungs- und beweispflichtigen Kläger aber schon nicht gelungen, seine Unkenntnis vom tatsächlichen Aufenthaltsort seiner Eltern zu belegen. Beim Verlassen Syriens kannte der Kläger den Aufenthaltsort seiner Eltern und hat diesen im Asylverfahren auch angegeben. Er hat im Berufungsverfahren erklärt, dass er die weitere Flucht nur stark vermutet habe. Daraus folgt, dass er keine objektiven Anhaltspunkte hatte, dass seine Eltern nach seiner Abreise in eine andere Wohnung oder ggf. sogar an einen anderen Ort geflohen sein könnten. Zudem bestehen an seinen Angaben nicht ausgeräumte Zweifel. Denn wenn er seit der Abreise keinen Kontakt zu seinen Eltern oder zu sonst irgendjemand in seiner Verwandtschaft bzw. Bekanntschaft in Syrien hatte, ist sein in der Klageschrift vom 11. Februar 2019 geschildertes Wissen um deren weitere Flucht nicht zu erklären. Nach seinen weiteren Angaben ist der Kontakt mit den Eltern erst im April 2019 wieder zustande gekommen. Diese Zweifel hat der Kläger nicht durch Vorlage seiner Kommunikation bzw. den entsprechenden Versuchen der Kontaktaufnahme z.B. über die genutzten Messengerdienste ausgeräumt. Zumindest die Kommunikation über facebook wird durch den Dienst selbst auf externen Servern dauerhaft gespeichert, so dass aus dem Nutzerkonto Daten wie Fotos, Videos, Beiträge oder weitere Informationen gesondert und selektiert übertragen bzw. heruntergeladen werden können (https://www.facebook.com/help/405183566203254). Weil der Kläger also nicht sämtliche private Korrespondenz oder andere Inhalte seines Nutzerkontos offenlegen muss, erscheint dies auch als eine zur Stützung seiner Ansprüche zumutbare Mitwirkung i.S.d. § 103 Satz 1 Halbs. 2 SGG. Der Kläger weigert sich hingegen, den Abbruch der Kommunikation bzw. die Kontaktversuche zu dokumentieren. Zu weiteren Ermittlungen ins Blaue hinein ist das Gericht dann nicht verpflichtet (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R, juris Rn. 47).

 

Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger sich der Kenntnis über den Aufenthaltsort seiner Eltern missbräuchlich verschlossen hat. Sofern tatsächlich eine Unkenntnis bestanden haben sollte, lässt sich jedoch auch insoweit mangels Beleg nicht nachvollziehen, ob der Kläger eine für ihn mit geringstem Aufwand mögliche Kontaktaufnahme durch Telefon oder Messengerdienste wenigstens versucht hat. Dass ein Kontaktversuch über Behörden wie die Botschaft Syriens in Berlin schon wegen der Gefährdung seiner Familie ausgeschlossen gewesen sein soll, ist ebenfalls nicht belegt. Denn der Kläger hatte seine Anwesenheit in Deutschland bereits dadurch offenbart, dass er sich am 17. August 2017 einen neuen - und nur zwei Jahre gültigen - Pass in der Botschaft ausstellen ließ.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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