L 8 SO 81/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 SO 625/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 81/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Kein Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis ohne Leistungsbewilligung im Grundverhältnis
2. Mangels schuldrechtsähnlicher Leistungsbeziehung zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Leistungsstörungsrechts des BGB auf Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII nicht in Betracht.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. März 2022 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist der Ersatz von Kosten in Höhe von 17.670,56 €, die für die Betreuung des L (im Folgenden L) in der Zeit vom 26.11.2018 bis zum 02.04.2019 in einer Einrichtung des Klägers entstanden sind.

Der Kläger betreibt die stationäre Einrichtung A Haus (AH) in A zur Versorgung von Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. Hierfür schlossen die Beteiligten neben einer Vergütungsvereinbarung die Leistungsvereinbarung vom 27.08.2014 zur Festlegung von Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen nach §§ 75 ff des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die Geltung der Leistungsvereinbarung wurde - bei jeweils gleichzeitiger Anpassung der Vergütungsvereinbarung - für den hier streitigen Zeitraum mit Vereinbarungen vom 30.11.2017 und 25.01.2019 verlängert. Im Rahmen der inhaltlichen Angaben wurde u.a. die Zielgruppe festgelegt. Im Unterpunkt Aufnahmekriterien und -voraussetzungen werden folgende Punkte aufgezählt:

- Zugehörigkeit zum Personenkreis nach § 67 SGB XII,
- Persönliches Vorstellungsgespräch mit Hausführung,
- Sozialpädagogische Abklärung der Notwendigkeit einer stationären Aufnahme bzw. Abklärung der Kostenträgerschaft gemäß Bayreuther Vereinbarung,
- Die Aufnahme setzt die Anwendung des gültigen Hilfeplanverfahrens für die Wohnungslosenhilfe des Bezirks Oberbayern voraus,
- Möglichst unmittelbare Aufnahme bei positiver Entscheidung,
- Klärung möglicher Ansprüche,
- Medizinische Erstuntersuchung,
- Erhebung der Erst-Anamnese und
- Erkennbare Bereitschaft zur Suchtmittelfreiheit innerhalb der Einrichtung.

Der Kläger zeigte dem Beklagten am 26.11.2018 die Aufnahme des 1967 geborenen L, einem kroatischen Staatsangehörigen, an. Am 06.12.2018 wurde ein förmlicher Antrag auf Leistungen nach §§ 67 f. SGB XII nachgereicht. L war ab dem 26.11.2018 vom Kläger in einem Einzelzimmer in einer Wohngruppe mit Vollverpflegung, Wäscheversorgung, sozialer und psychologischer Beratung und tagesstrukturierenden Maßnahmen im arbeitstherapeutischen Bereich untergebracht. Am 19.12.2018 fragte der Kläger beim Beklagten per E-Mail an, ob die Unterlagen vollständig seien. Am 09.01.2019 wurden ein Hilfeplan und Unterlagen zur Krankenversicherung vorgelegt. Mit weiteren E-Mails vom 16.01.2019, 12.02.2019 und 27.02.2019 fragte der Kläger wiederholt beim Beklagten nach, wann mit der Kostenübernahme für L zu rechnen sei. Am 07.03.2019 bat der Beklagte den Kläger um Übersendung eines Nachweises über den aktuellen aufenthaltsrechtlichen Status des L. Mit Schreiben vom selben Tag erkundigte sich der Beklagte bei der Ausländerbehörde nach dem aufenthaltsrechtlichen Status. Daraufhin versuchte die Ausländerbehörde bei L Auskünfte zu seiner Erwerbsbiografie zu erhalten. Mit E-Mail vom 12.03.2019 wies der Kläger darauf hin, dass L als Kroate Freizügigkeit innerhalb der EU genieße und daher keinen Aufenthaltstitel oder ähnliches benötige. Am 09.04.2019 zeigte der Kläger dem Beklagten an, dass L am 03.04.2019 eine Arbeit als Hausmeister aufgenommen hatte. Mit einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 02.05.2019 legte der Beklagte dar, dass für die Zeit bis zur Arbeitsaufnahme am 03.04.2019 ein fehlendes Aufenthaltsrecht einer Leistungsbewilligung wahrscheinlich entgegen stehe.

Mit Bescheid vom 24.05.2019 bewilligte der Beklagte für L Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in der Einrichtung AH für die Zeit ab 03.04.2019. Mit Schreiben vom selben Tag wandte sich der Beklagte nochmals an die Ausländerbehörde. Nachdem von dort keine Antwort erfolgte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13.09.2019 die Gewährung von Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten für die Zeit von 26.11.2018 bis 02.04.2019 gegenüber L ab. Zwar seien die Voraussetzungen für die Hilfegewährung grundsätzlich erfüllt. Es bestehe jedoch ein Leistungsausschluss nach § 23 SGB XII. Dieser Bescheid wurde von L nicht angefochten. Der Kläger teilte dem Beklagten jedoch mit Schreiben vom 21.10.2019 mit, dass er mit der getroffenen Entscheidung nicht einverstanden sei.

Am 17.12.2019 hat der Kläger zum Sozialgericht München (SG) Klage auf Zahlung von 17.670,56 € nebst Zinsen erhoben. Der Beklagte habe diesen Betrag für die Leistungen, die der Kläger an L erbracht habe, zu zahlen. Aufgrund der geschlossenen Leistungsvereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XII bestünden wechselseitige Verpflichtungen: Der Kläger habe eine Aufnahmeverpflichtung, der Beklagte eine Verpflichtung zur unverzüglichen Entscheidungsfindung. Die Abklärung der Kostenträgerschaft und die Prüfung der Zugehörigkeit des jeweiligen Antragstellers zum Personenkreis nach § 67 SGB XII sei ausdrücklich Gegenstand der Vereinbarung und obliege naturgemäß dem Beklagten als Leistungsträger. Entweder bestehe eine unmittelbare Pflicht des Beklagten zur unverzüglichen Entscheidung oder es sei eine entsprechende vertragliche Nebenpflicht aus der Leistungsvereinbarung abzuleiten, wonach die Entscheidungsprozesse beim Beklagten nicht so ausgestaltet werden dürften, dass der Einrichtungsträger durch ungedeckte Leistungen Schaden nehme. Handlungsleitlinien der Wohnungslosenhilfe sprächen von einer Entscheidungsfindung möglichst innerhalb von zwei Wochen. In Ziffer 4.3.3 der Gemeinsamen Richtlinie der bayerischen Bezirke zu §§ 67 bis 69 SGB XII werde eine vorläufige örtliche Zuständigkeit festgelegt für den Fall, dass nicht innerhalb von vier Wochen feststehe, ob Nichtsesshaftigkeit vorliege. Es bestehe deshalb ein Zahlungsanspruch des Klägers unabhängig von einem Leistungsanspruch der betroffenen Person, der zwar möglicherweise nicht als Entgeltzahlung im Sinne der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zu verstehen sei, jedoch in gleicher Höhe als Ausgleich für den Aufwand, den der Kläger angesichts des konkreten Geschehensablaufs hatte. Andernfalls wären die Einrichtungsträger gezwungen, betroffene Personen tatsächlich erst dann aufzunehmen, wenn die Kostenübernahme vorliege, was jedoch mit der gelebten Praxis nicht vereinbar sei. Es könnte dann keine Beteiligung der Einrichtung an der Ermittlung des Sachverhalts und der Antragstellung erfolgen. Manche Hilfebedürftige würden in der Folge die Hilfe in Unkenntnis ihrer Ansprüche nicht erhalten. Aus diesen Gründen erfolge zuerst die Aufnahme in die Einrichtung und dann werde die Kostenübernahme geklärt. Der Kläger könne aber nicht regelmäßig und vollständig das Risiko tragen, dass kein Leistungsanspruch bestehe und dann auch keine Kosten übernommen würden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn zwischen Antrag und Entscheidung mehr als vier Monate vergingen. Zumindest habe der Beklagte ggf. sofort mitzuteilen, dass ein Leistungsanspruch nicht gesehen werde und daher die Aufnahme auf eigenes Risiko der Einrichtung erfolge. Der Zahlungsanspruch könne sich auch aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) oder einem Schadensersatzanspruch ergeben.

Der Beklagte hat erwidert, dass sich aus den abstrakt-generellen Vereinbarungen nach §§ 75 f. SGB XII ein Zahlungsanspruch nicht herleiten lasse. Zur Begründung eines Schuldverhältnisses bedürfe es eines Schuldbeitritts zur individuellen Zahlungspflicht einer leistungsberechtigten Person durch Bewilligungsbescheid. Die Leistung gegenüber L sei jedoch zurecht abgelehnt worden. Ein Anspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA könne nicht bestehen, weil der Kläger kein Geschäft des Beklagten besorgt habe. L sei als Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII weitgehend ausgeschlossen gewesen. Aus denselben Gründen scheitere auch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Der Beklagte sei durch die Leistung des Klägers nicht von einer Verbindlichkeit gegenüber L befreit worden.

Das SG hat mit Beschluss vom 10.02.2021 den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen. Auf die Beschwerde des Klägers hin hat das Bayer. Landessozialgericht (LSG) den Beschluss des SG aufgehoben und den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erklärt (L 1 SV 4/21 B).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.03.2022 abgewiesen. Der Kläger habe keinen eigenständigen, von einer Bewilligung gegenüber dem Hilfeempfänger unabhängigen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die an L erbrachten Leistungen. Im Rahmen des sog. sozialhilferechtlichen Dreieckverhältnisses entstehe ein Zahlungsanspruch eines Einrichtungsträgers dann, wenn durch Bewilligung gegenüber dem Hilfeempfänger ein Schuldbeitritt zu dessen zivilrechtlicher Zahlungsverpflichtung gegenüber der Einrichtung bzw. dem Dienst erfolge. Der Kläger behaupte bereits keinen Schuldbeitritt. Die Frage, ob im strittigen Zeitraum ein Leistungsanspruch des L bestanden habe oder nicht, sei durch den bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 13.09.2019 bindend verneint worden. Ein Anspruch aus GoA gemäß § 61 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. §§ 677 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) könne nicht bestehen, weil diese Regelungen nach der Risikozuordnung der §§ 75 ff. SGB X im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis grundsätzlich nicht anwendbar seien. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch analog §§ 812 ff. BGB bestehe nicht, weil der Beklagte durch die Leistungen des Klägers an L nichts erlangt und keine Aufwendungen erspart habe. Auch unmittelbar aus den Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII ergebe sich kein Zahlungsanspruch. In diesen Verträgen werde lediglich ein Rahmen für die generelle Leistungserbringung und Vergütung gesetzt, kein Anspruch im Einzelfall begründet. Deshalb berufe sich der Kläger auf die Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht aus den Vereinbarungen, zügig über den Leistungsantrag zu entscheiden. Die Entscheidung des Beklagten nach Einreichung des förmlichen Antrags am 06.12.2018 habe sich nur formal bis zum Ablehnungsbescheid vom 13.09.2019 verzögert. Bereits mit dem Bewilligungsbescheid vom 24.05.2019 für die Zeit ab 03.04.2019 sei das Risiko des Klägers auf die Zeit zwischen 26.11.2018 und 02.04.2019 begrenzt worden. Es sei zweifelhaft, ob aus den Vereinbarungen nach § 75 SGB XII ein Sekundäranspruch, etwa auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB abgeleitet werden könne, wenn schon ein Primäranspruch daraus von vornherein ausgeschlossen sei. Ein Zahlungsanspruch sei jedenfalls deshalb abzulehnen, weil schon keine (Neben-)Pflichtverletzung vorliege. Nach den Vorgaben der Leistungsvereinbarung habe die Aufnahme erst nach der positiven Bewilligungsentscheidung zu erfolgen. Damit falle das Risiko für eine Aufnahme vor einer Bewilligung insgesamt in den Bereich des Klägers. Das gelte ungeachtet einer Verzögerung der Entscheidung. Soweit die behördeninternen Richtlinien auf eine Beschleunigung der Entscheidung ausgerichtet seien, diene das nicht der Minderung des Risikos des Klägers, welches dieser laut der Vereinbarung gar nicht eingehen sollte, sondern dem Interesse des Hilfebedürftigen an einer baldigen Hilfeerbringung. Wenn die Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII die tatsächliche Praxis nicht abbildeten und dadurch ein erhebliches finanzielles Risiko für den Kläger entstehe, könne der Kläger während oder nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums mit dem Beklagten in Verhandlungen treten, um risikoangemessene Regelungen anzustreben.

Hiergegen hat der Kläger Berufung beim LSG eingelegt. Mit der geschlossenen Leistungsvereinbarung habe sich der Kläger verpflichtet, den definierten Personenkreis im Rahmen seiner Platzkapazitäten aufzunehmen und zu betreuen. Die Einrichtung diene damit dem Beklagten zur Erfüllung von Ansprüchen der Leistungsberechtigten. In der Leistungsvereinbarung für das AH fänden sich schon im Rahmen des Aufnahmeverfahrens umfangreiche Pflichten für den Kläger. Damit diese Pflichten sachgerecht erfüllt werden könnten, sei es gelebte Vertragspraxis, dass die Betroffenen in der Einrichtung tatsächlich aufgenommen würden und dann unverzüglich der entsprechende Leistungsantrag beim Beklagten gestellt werde. Den am 05.12.2018 für L gestellten Leistungsantrag habe der Beklagte jedoch erst mit Bescheid vom 13.09.2019 abgelehnt. Dass L dem leistungsberechtigten Personenkreis angehöre könnte, sei für den Kläger offensichtlich gewesen. Streitig sei die Frage, ob aus der Leistungsvereinbarung als öffentlich-rechtlichem Vertrag eine Verpflichtung des Beklagten folge, in zeitlich angemessener Weise, d.h. kurzfristig, zu entscheiden, damit der Kläger nicht Gefahr laufe, über Monate hinweg Leistungen gegenüber einer Person zu erbringen, die tatsächlich gar nicht leistungsberechtigt sei. Vorliegend habe der Beklagte erst rund zehn Monate nach Antragstellung und rund fünf Monate nach Ablauf des streitigen Zeitraums entschieden. In der Leistungsvereinbarung sei zwar regelmäßig vorgesehen, dass die Betroffenen erst nach Kostenübernahmeerklärung des Beklagten aufgenommen würden. Doch setze die Leistungsvereinbarung ebenso voraus, dass der Kläger vor diesem Zeitpunkt bereits Leistungen erbringe, nämlich einen Hilfeplan erstelle sowie das Aufnahmeverfahren durchführe. Die Leistungsvereinbarung setze also denklogisch die "Aufnahme" des Betroffenen, ohne die diese Leistungen gar nicht erbringbar wären, vor der Kostenübernahmeerklärung voraus. Es wäre im Übrigen auch lebensfremd, anzunehmen, dass die Betroffenen selbst vorab einen Antrag beim Beklagten stellen könnten. Der Beklagte verletzte seine vertraglichen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Vermeidung von Schadensereignissen, wenn er zehn Monate benötige, um eine Kostenübernahmeentscheidung zu treffen. Die Verneinung einer Nebenpflicht des Beklagten zu einer unverzüglichen Entscheidung werde auch dem von §§ 4 und 5 SGB XII betonten partnerschaftlichen Zusammenwirken von Leistungsträgern und Leistungserbringern nicht gerecht.

Der Kläger beantragt,
den Berufungsbeklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 10.03.2022 zu verurteilen, an den Berufungskläger 17.670,56 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ein Ersatzanspruch des Klägers aus einer vertraglichen Nebenpflichtverletzung bestehe nicht. Die zwischen den Parteien getroffene Leistungsvereinbarung sei Ausdruck der Sachleistungsverschaffung, könne jedoch nicht vom sozialhilferechtlichen Leistungsdreieck losgelöst betrachtet werden. Der Beklagte bediene sich einer Vielzahl von Leistungserbringern, um die Ansprüche leistungsberechtigter Personen sicherzustellen. Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII schüfen den entsprechenden Rahmen für die generelle Leistungserbringung und Vergütung, begründeten aber keinen Anspruch in Einzelfall. Auch der im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes eingeführte Zahlungsanspruch nach § 75 Abs. 6 SGB XII schaffe diesbezüglich keine Änderung. Der Zahlungsanspruch ersetze nunmehr den Schuldbeitritt, eine Bewilligung im Grundverhältnis bleibe dennoch notwendig. Solange im Grundverhältnis kein Anspruch bestehe, könne aufgrund der Akzessorietät kein Zahlungsanspruch nach § 75 Abs. 6 SGB XII entstehen und damit auch keine Nebenpflichten ähnlich der vorvertraglichen Haftung im BGB. Der vorvertraglichen Haftung des BGB entsprechende Regelungen könnten für Normverträge nach § 75 SGB XII allenfalls im Rahmen des Verfahrens nach § 77 SGB XII gesehen werden. Auch könne bereits deshalb keine vorvertragliche Haftung aus einem Normvertrag begründet werden, da im Interesse der bedarfsgerechten Versorgung ein regulierter Marktzugang bestehe. Ein Leistungserbringer habe gerade keinen Anspruch gegenüber dem Beklagten auf Abschluss einer Vereinbarung, Verschaffung mit anspruchsberechtigten Bewohnern, vollständiger Auslastung des Betriebs oder ähnlichem. Eine vom Leistungserbringer gewünschte Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger bei Aufnahme sei ohne eine Anspruchsprüfung der §§ 67 ff. SGB XII nicht möglich. Die leistungsberechtigte Person könne ihren Anspruch auf zeitnahe Entscheidung gegenüber dem Beklagten mit den Instrumenten des Verfahrensrechts, insbesondere der Untätigkeitsklage, verfolgen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG), aber nicht begründet.

Streitgegenständlich ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 17.670,56 € für die Betreuung des hilfebedürftigen L in der Zeit vom 26.11.2018 bis zum 02.04.2019 hat. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit einer (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG), da es sich bei dem geltend gemachten Anspruch um einen Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (BSG vom 21.09.2017 - B 8 SO 4/16 - juris Rn. 10).

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil das SG einen Anspruch des Klägers zu Recht verneint hat. Für den vom Kläger gegen den Beklagten erhobenen Zahlungsanspruch gibt es keine rechtliche Grundlage. Hinsichtlich des Nichtbestehens möglicher Ansprüche aus einem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis, einer öffentlich-rechtlichen GoA oder einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wird auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Ausweislich der Berufungsbegründung verfolgt der Beklagte einen Zahlungsanspruch auf diesen Grundlagen auch nicht mehr weiter.

Auch darüber hinaus ist eine Grundlage für den vom Kläger behaupteten Anspruch aus den zwischen den Beteiligten geschlossenen Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nicht gegeben. Die vorliegend zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarungen beinhalten keine vertraglichen Regelungen, nach denen der Kläger einen Schadensersatz- oder Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem Beklagten geltend machen könnte.

Grundlage der Rechtsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Sozialhilfeträger sind die als öffentlich-rechtliche Normverträge zu qualifizierenden Vereinbarungen i.S.d. § 75 Abs. 3 SGB XII (in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016, BGBl. I S. 3234). Das zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer bestehende Rechtsverhältnis verbindet das öffentlich-rechtliche Grundverhältnis zwischen Leistungsempfänger und Sozialhilfeträger und das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis zwischen Leistungsempfänger und Leistungserbringer zu einer dreiseitigen Rechtsbeziehung. Die nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu schließenden Vereinbarungen ermöglichen dem Sozialhilfeträger die Wahrnehmung seiner Gewährleistungspflicht aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) in den Fällen, in denen er die Leistung nicht selbst erbringt, sondern durch Einrichtungen/Dienste anderer Träger erbringen lässt. Über die zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer zu schließende Vereinbarung wird dem bedürftigen Hilfeempfänger die Sozialleistung verschafft (Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 75 Rn. 36). Hat der in einer Einrichtung Untergebrachte - wie hier - keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, wird der entsprechende Antrag im Grundverhältnis vom Sozialhilfeträger abgelehnt. Ein sozialhilferechtliches Dreieck entsteht in diesem Fall nicht. Der Sozialhilfeträger ist nicht zur Übernahme der Vergütung des Leistungserbringers verpflichtet. Dem Leistungserbringer verbleibt im Erfüllungsverhältnis ein Anspruch gegen den Leistungsempfänger aus dem zivilrechtlichen Vertrag (Jaritz/Eicher aaO., § 75 Rn. 192).

Zweck der zwischen den Beteiligten als Leistungserbringer und Leistungsträger im Gleichordnungsverhältnis geschlossenen Normverträge ist die Setzung von Rahmenbedingungen für die zwischen den Leistungsberechtigten und den Leistungserbringern abzuschließenden (zivilrechtlichen) Betreuungs- bzw. Heimverträge. Eine Nebenpflicht, deren Verletzung unter Berücksichtigung des auch im Sozialrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des im Fall einer positiven Entscheidung über den Leistungsantrag aufgrund eines Schuldbeitritts zustehenden Vergütungsanspruchs auslösen würde, lässt sich nicht begründen. Ein subjektives öffentliches Recht auf die gesetzliche Leistung nach dem SGB XII steht allein dem Hilfeempfänger zu. Ein Recht des Leistungserbringers, unmittelbar vom Leistungsträger Zahlungen zu verlangen, entsteht überhaupt erst durch die Bewilligung der Leistung. Vor dem Zeitpunkt der Leistungsbewilligung erlangt der Leistungserbringer deshalb im Verhältnis zum Leistungsträger keine rechtlich verfestigte Stellung.

Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 280 BGB wegen der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kommt deshalb nicht in Betracht. Zwar sind die Vorschriften der §§ 53 ff. SGB X und somit auch § 61 Satz 2 SGB X grundsätzlich auch auf Normverträge anwendbar (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 53 Rn. 15; BSG vom 08.03.2017 - B 8 SO 20/15 R - juris Rn. 20). Daher gelten nach § 61 SGB X ergänzend die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sich weder aus den §§ 53 ff. SGB X noch aus den übrigen Vorschriften dieses Gesetzbuches etwas Abweichendes ergibt. Die Formulierung "entsprechend" in § 61 Satz 2 SGB X bedeutet, dass jeweils zu prüfen ist, ob der Rechtsgedanke, welcher der Vorschrift des BGB zugrunde liegt, deren ergänzende Anwendung erwogen wird, auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen einem Privatrechtsverhältnis und einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis auf den umstrittenen öffentlich-rechtlichen Vertrag übertragen werden kann (Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 09/14, § 61 Rn. 69). Für die ergänzende entsprechende Anwendung muss also bei jeder BGB-Regelung geprüft werden, ob bei dem öffentlich-rechtlichen Vertrag eine vergleichbare Interessenlage besteht, die eine Heranziehung rechtfertigt.

Dies zugrunde gelegt kommt eine entsprechende Anwendung des § 280 BGB auf die zwischen den Beteiligten geschlossenen, streitgegenständlichen Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nicht in Betracht. Die Eigenart der Vereinbarungen i.S. des § 75 Abs. 3 SGB XII stehen einer Geltendmachung vertraglicher Schadensersatzansprüche entsprechend § 280 BGB entgegen. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Allein der Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen begründet jedoch kein Schuldverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Weder ist der Sozialhilfeträger aufgrund dieser Vereinbarungen verpflichtet, Vergütung zu zahlen, noch ist die Einrichtung bzw. der Dienstleister verpflichtet, Leistungen - insbesondere an den Sozialhilfeträger - zu erbringen. Ein Schuldverhältnis entsteht vielmehr erst durch den Abschluss eines Heim- bzw. Betreuungsvertrages zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungserbringer, und durch den daran anknüpfenden Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers auch zwischen ihm und dem Leistungserbringer. Erst hierdurch entfaltet die Vergütungsvereinbarung ihre Gestaltungswirkung hinsichtlich der Vergütung der aufgrund des Betreuungs- bzw. Heimvertrages zu erbringenden Leistungen. Zugleich bestimmt die geschlossene Leistungsvereinbarung die Pflichten des Leistungserbringers gegenüber dem Leistungsempfänger aus dem Heim- und Betreuungsvertrag. Dadurch wird einerseits die (bedarfsdeckende) Erfüllung der Sachverschaffungspflicht des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Leistungsempfänger sichergestellt. Zum anderen wird gewährleistet, dass der Leistungsberechtigte auch die seinen Bedürfnissen entsprechenden Leistungen im notwendigen Umfang und in angemessener Qualität erhält. Ergänzend hierzu hat der Gesetzgeber - für den Bereich der stationären Leistungserbringung - eine Regelung in § 15 Abs. 2 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) geschaffen, wonach die Vereinbarungen in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen, den aufgrund des Zehnten Kapitels des SGB XII getroffenen Regelungen - §§ 75 ff. SGB XII - entsprechen müssen; tun sie dies nicht, sind sie unwirksam. Letztlich wird somit deutlich, dass erst durch den Abschluss eines Heim- und Betreuungsvertrages und den Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers im Einzelfall ein Schuldverhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer entsteht. Dieses ist dann ohnehin - also ohne Inanspruchnahme des § 61 Satz 2 SGB X - nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen (Bayer. LSG vom 04.02.2016 - L 18 SO 89/14 - juris Rn. 41).

Überdies entfalten die Normverträge nicht nur zwischen den Vertragsparteien Bindungswirkung, sondern auch für alle übrigen Träger der Sozialhilfe (vgl. § 75 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. SGB XII). Auch dieser Umstand lässt sich schwer mit der Annahme einer schuldrechtsähnlichen Leistungsbeziehung mit Gläubiger und Schuldner vereinbaren. Bedingt durch die Eigenart der Normverträge i.S.d. § 75 Abs. 3 SGB XII gleicht die Interessenlage somit nicht derjenigen, die bei zivilrechtlichen Schuldverhältnissen besteht. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des sog. Leistungsstörungsrechts des BGB kommt daher nicht in Betracht, und somit auch nicht des § 280 BGB. Mangels Vorliegen eines entsprechenden Schuldverhältnisses, kommt auch § 241 Abs. 2 BGB nicht zum tragen, der jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.

Daher kann letztlich offen bleiben, ob sich aus den Verträgen überhaupt eine Nebenpflicht der vom Kläger geltend gemachten Art ableiten lässt. Das (Primär-)Leistungsverhältnis zwischen Leistungsträger und Leistungsberechtigtem folgt den Regelungen des SGB XII; entsprechend gelten die im Sozialgesetzbuch geregelten Fristen für die Entscheidung des Leistungsträgers, welche der Leistungsberechtigte ggf. mit Hilfe des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts, z.B. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes oder mittels Untätigkeitsklage, einfordern kann. Diese speziellen sozialrechtlichen Rechte und Pflichten können nicht durch vertragliche Nebenpflichten ersetzt oder modifiziert werden. Eine entsprechende Nebenpflicht lässt sich auch nicht durch das vom Leistungserbringer vor der Leistungsbewilligung zu tragende Kostenrisiko rechtfertigen. Sieht es der Kläger nach seiner betriebswirtschaftlichen Kalkulation als nicht mehr hinnehmbar an, muss er die Erbringung der Hilfen einstellen und es dem Hilfeempfänger überlassen, ob und wenn ja welche rechtlichen Schritte er als Leistungsberechtigter gehen will (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 30.09.2015 - L 15 SO 54/15 - juris Rn. 29).

Die Berufung hat nach alledem keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Zur Verletzung von Pflichten aus Verträgen nach §§ 75 ff. SGB XII liegt aus Sicht des Senats bisher keine ausreichende höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Da die Frage über den vorliegenden Fall hinausreichende Bedeutung hat, wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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