S 91 KR 2606/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 KR 2606/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Nach § 17 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KHG hat ein Krankenhausträger durch geeignete Maßnahme darauf hinzuwirken, dass vorzeitige Verlegungen aus wirtschatlichen Grünen unterbleiben. Bei einem Vorstoß (hier: nicht ausreichend dokumentierter und begründeter Verlegungswunsch des Versicherten) liegt eine Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB vor, die zum Schadensersatzanspruch nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB 5 i. V. m § 280 Abs. 1 BGB in Höhe der verursachten Mehrkosten führt.

GSW

Sozialgericht Berlin

 

 

S 91 KR 2606/20

Bild entfernt.

verkündet am
27. Februar 2023

 

 

 

 

 

als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         ,
Krankenhausbetriebs gGmbH vertreten durch den Geschäftsführer

…,
 

in Sachen: S., H. geb.: ...1929

- Klägerin -

Proz.-Bev.:

 

gegen

         KKH Kaufmännische Krankenkasse,
Hauptverwaltung 

Karl-Wiechert-Allee 61, 30625 Hannover,
 

- Beklagte -

 

 

hat die 91. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 27. Februar 2023 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn … und Herrn … für Recht erkannt:

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin wird im Rahmen der Widerklage verurteilt, an die Beklagte 90,79 EUR zu zahlen.

 

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Der Streitwert wird auf 4.207,01 EUR festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Zwischen den Beteiligten sind die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung im Zeitraum vom 2. September bis zum 16. September 2019 streitig. Insbesondere ist streitig, ob hier die Klägerin durch die Verlegung des Versicherten gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen und eine Pflichtverletzung begangen hat.

 

Die Klägerin betreibt ein zur Versorgung der Versicherten zugelassenes Krankenhaus (§ 108 SGB V). Sie behandelte den bei der Beklagten versicherten H. S. (im Folgenden Versicherter), geboren am 11. Juli 1929, in der Zeit vom 2. September 2019 bis zum 16. September 2019 zum Wechsel einer Endoprothese am Kniegelenk links von unikondylärer Schlittenprothese auf achsgeführte Kniegelenksprothese. Der Versicherte war mit Schmerzen im linken Knie über die Rettungsstelle aufgenommen worden. Er hatte eine unikondyläre Kniegelenksprothese im Jahre 2006 in einer anderen Klinik erhalten. In der radiologischen Bildgebung zeigte sich eine Dislokation und Lockerung der Komponenten. Am 5. September 2019 erfolgte komplikationslos der Wechsel der Kniegelenksprothese. Der postoperative Verlauf gestaltete sich unauffällig. Aus der Verlaufsdokumentation ist ohne erkennbares Datum folgender Eintrag ersichtlich: „gestern Gespräch mit Tochter und Ehefrau, wünschen G.R. im H., wurde veranlasst…“. Der Versicherte wurde mobilisiert; Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren zum Entlassungszeitpunkt ohne pathologischen Befund. Nach Medikationseinstellung und Mobilisation wurde der Versicherte am 16. September 2019 zur geriatrischen Frührehabilitation ins Evangelische Krankenhaus H. verlegt. Dort blieb er bis zum 1. Oktober 2019. Der Versicherte verstarb im April 2021.

 

Die Klägerin rechnete ihre Leistungen mit der DRG I43B in Höhe von 11.048,63 EUR ab. Das … H. rechnete den Aufenthalt mit 5.571,61 EUR ab. Insgesamt zahlte die Beklagte für beide Aufenthalte damit 16.620,24 EUR.

 

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Abrechnung und kam in seinem Gutachten vom 6. Juli 2020 zu dem Ergebnis, dass die Verlegung zur externen Geriatrie ins Evangelische Krankenhaus Hubertus nicht notwendig gewesen sei. Die Beklagte folgte der Auffassung des MDK und verrechnete den Betrag i.H.v. 3.816,22 EUR. Sie ist der Auffassung, dass ohne die strittige Verlegung lediglich Kosten i.H.v. 12.504,02 EUR entstanden wären und sie damit 3.816,22 EUR zuzüglich Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 EUR (insgesamt 4.116,22 EUR) zu viel bezahlt habe.

 

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Verlegung des Versicherten nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen habe. Sie sei nicht gehalten gewesen, den Versicherten zu verpflichten, die geriatrische Komplexbehandlung in ihrem eigenen Hause durchzuführen. Die Verlegung sei auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherten erfolgt, da er in der Nähe des H. wohne. Er habe eine freie Krankenhauswahl und könne im Rahmen einer geriatrischen Komplexbehandlung auch nicht nach PsychKG oder BGB im Hause der Klägerin untergebracht werden oder auf andere Art und Weise gezwungen werden. Die Klägerin habe den Versicherten nicht gegen seinen Willen in ihrer Klinik festhalten und behandeln dürfen. Gegebenenfalls könne die Beklagte hinsichtlich der Mehrkosten einen Anspruch nach § 76 Abs. 2 SGB V gegenüber ihrem Versicherten haben. Die Klägerin könne jedenfalls keine Pflichtverletzung erkennen. Ferner sei zu bedenken, dass eine intensive geriatrische Komplexbehandlung nur dann Sinn mache, wenn der Versicherte zur Mitwirkung bereit sei.

 

Die Klägerin und Widerbeklagte beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.816,22 EUR nebst Zinsen i.H.v. 2 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2020 zu zahlen sowie die Wi-derklage abzuweisen.

 

Die Beklagte und Widerklägerin beantragt:

 

  1. Die Klage abzuweisen.
  2. Die Klägerin im Rahmen der Widerklage zu verurteilen, an die Beklagte 90,79 EUR zu zahlen.

 

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Verlegung medizinisch nicht notwendig gewesen sei und der Klägerin deshalb kein weitergehender Vergütungsanspruch zustehe. Die Verlegung habe dazu geführt, dass der Beklagten höhere Krankenhauskosten und Transportkosten entstanden seien. Die Verlegung ohne medizinischen oder sachlich berechtigten Grund stelle eine Pflichtverletzung der Klägerin dar, die schuldhaft zu einem Schaden bei der Beklagten geführt habe. Der Versicherte hätte unstreitig ohne weiteres im Hause der Klägerin weiter behandelt werden können. Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass die Klägerin nur den Betrag verlangen könne, der ihr bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten zugestanden hätte und verweist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 19. November 2019 (B1 KR 6/19). Bei einer durchgehenden Behandlung des Versicherten im Haus der Klägerin wären für die Beklagte Kosten i.H.v. 12.504,02 EUR angefallen. Weiterhin seien ihr die Transportkosten für die Verlegung des Versicherten in Höhe von 90,79 EUR entstanden. Sie habe 3.816,22 EUR mit anderweitigen Ansprüchen aufgerechnet. Des Weiteren stehe ihr ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Höhe von 90,79 EUR zu. Die Klägerin habe die Pflichtverletzung zu vertreten. Die behandelnden Ärzte hätten darauf hinwirken müssen, den Gesundheitszustand des Versicherten so gut und so reibungslos wie möglich zu verbessern und ihm die Vorzüge einer direkten Weiterbehandlung im Hause der Klägerin vor Augen führen müssen, zumal offensichtlich gewesen sei, dass die Verlegung in ein anderes Berliner Haus den Versicherten nicht wesentlich näher an seinen Wohnort brachte. Es habe kein offensichtlich sachlicher Grund vorgelegen, bei dem das Wahlrecht des Versicherten Berücksichtigung habe finden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Patientenunterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.

 

Bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten von Versicherten gerichteten Klage des Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse geht es um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 1/07 KR R). Ein Vorverfahren ist nicht durchzuführen, eine Klagefrist nicht einzuhalten.

 

Die zulässige Klage ist unbegründet (I.). Die zulässige Widerklage ist begründet (II.). Soweit zuvor noch jeweils eine gegenseitig geltend gemachte Forderung in Höhe von 300 EUR streitig war, haben die Beteiligten ihre Klage in der mündlichen Verhandlung jeweils insoweit zurückgenommen.

 

I.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nebst Zinsen gegen die Beklagte nicht zu. Der Klägerin stand zwar für die vollstationäre Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 02. September 2019 bis zum 16. September 2019 ein Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 11.048,63 EUR zu. Die Beklagte konnte aber wirksam mit einem Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.816,22 EUR nebst entstandener Transportkosten in Höhe von 90,79 EUR gegenüber anderen – unstreitigen – Vergütungsansprüchen aufrechnen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26. Mai 2020, B 1 KR 26/18 R, juris Rn. 11).

 

  1.  

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), § 17b Abs. 1 S. 10 Krankenhausfinanzie-rungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Kranken-häuser für das Jahr 2019 (FPV 2019) sowie dem maßgeblichen Vertrag nach § 112 SGB V. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne des § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 3 KR 14/11 R).

 

 

Der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsanspruch ist durch Aufrechnung (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. BGB) erloschen. Der Beklagten stand ein Schadensersatzanspruch nach § 69 Satz 3 SGB V i.V.m § 280 BGB zu, denn die Klägerin hat keinen plausiblen und nachvollziehbaren Grund benannt und dokumentiert, der die Mehrkosten der Verlegung des Versicherten rechtfertigt.

 

Unstreitig waren beide vollstationären Krankenhausbehandlungen notwendig. Streitig ist nur, ob die Klägerin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und mit der Verlegung des Versicherten auf seinen Wunsch hin, eine „Pflichtverletzung“ begangen hat, die einen Schadensersatz begründet.

 

Grundsätzlich ist es Sache der Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG in den Regelungen der FPV das Wirtschaftlichkeitsgebot zu konkretisieren. Diese haben zum einen bestimmt, dass im Falle der Verlegung jedes der beteiligten Krankenhäuser eine Fallpauschale abrechnet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 FPV 2019), die nach Maßgabe des § 3 FPV 2019 gemindert wird, sofern sie nicht im Fallpauschalen-Katalog als Verlegungs-Fallpauschale gekennzeichnet ist (§ 1 Abs. 2 Satz 3 FPV 2019). Zum anderen haben die Vertragsparteien bestimmt, dass eine Verlegung vorliegt, wenn zwischen der Entlassung aus einem Krankenhaus und der Aufnahme in einem anderen Krankenhaus nicht mehr als 24 Stunden vergangen sind (§ 1 Abs. 1 Satz 4 FPV 2016). Nach der von den Vertragsparteien in § 3 FPV 2019 getroffenen Regelung ist im Falle einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus von dem verlegenden Krankenhaus ein Abschlag (nur) vorzunehmen, wenn die im Fallpauschalen-Katalog ausgewiesene mittlere Verweildauer unterschritten wird (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FPV 2019) – was vorliegend nicht der Fall war.

 

2.

Der Beklagten steht aber ein Schadensersatzanspruch nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB (siehe hierzu BSG, Urteil vom 12. November 2013 – B 1 KR 22/12 R – juris Rn. 9 ff.) zu. In § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V wird bestimmt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel des SGB V, in den §§ 63, 64 SGB V und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt wird. Im Übrigen gelten die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit diese mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel des SGB V vereinbar sind. Bei einer erforderlichen stationären Behandlung von Versicherten in einem zugelassenen Krankenhaus wird zwischen dem Träger des Krankenhauses und der Krankenkasse ein gesetzliches öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis begründet, für welches die Regelung des § 280 Abs. 1 BGB zur Anwendung gelangt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Urteil vom 19. Januar 2022, L 10 KR 142/20, juris). Die Regelung in §§ 1 - 3 FPV 2019, in welcher Abrechnungsbestimmungen für DRG-Fallpauschalen enthalten sind, stehen der Anwendbarkeit von § 280 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Die Regelungen in der FPV 2019 treffen lediglich Bestimmungen zur ordnungsgemäßen Abrechnung für DRG-Fallpauschalen und beinhalten keine Regelungen zu etwaigen Schadensersatzansprüchen wegen Pflichtverletzungen im Rahmen des gesetzlichen öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses (LSG NRW, a.a.O.).

 

In § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wird bestimmt, dass der Gläubiger bei einer Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen kann. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Die Beweislast für die Pflichtverletzung obliegt der Beklagten als Gläubigerin des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs.

 

Zur Überzeugung der Kammer hat die Klägerin durch die Verlegung des Versicherten in das evangelische Krankenhaus Hubertus eine Pflicht gemäß § 109 Abs. 4 S 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis mit der Beklagten nach § 280 Abs. 1 BGB verletzt.

 

§ 109 Abs. 4 S 2 SGB V stellt klar, dass die Zulassung des Krankenhauses zur Krankenhausbehandlung der Versicherten nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (vgl. Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 109 SGB V (Stand: 06.05.2022) Rn. 133). Die Krankenhausbehandlung, zu der nach § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V zugelassene Krankenhäuser verpflichtet sind, ist im Sinne des § 39 SGB V zu verstehen. Gemäß § 39 Abs. 1 S. 3 HS 2 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere u.a. die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation.

 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Klägerin verpflichtet, Leistungen der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung selbst zu erbringen. Bei dem Versicherten bestand unstreitig zum Zeitpunkt der Verlegung weiterhin akutstationärer und frührehabilitativer Behandlungsbedarf, sodass die Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 S. 3 HS 2 SGB V insofern vorlagen. Die Erbringung von Leistungen zur Frührehabilitation war vom Versorgungsauftrag der Klägerin umfasst. Somit steht es dieser nicht frei, zu entscheiden, ob es Leistungen der geriatrischen Frührehabilitation erbringt. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V. Danach ist das zugelassene Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten nicht lediglich berechtigt, sondern verpflichtet. Da der der Klägerin erteilte Versorgungsauftrag auch die geriatrische Frührehabilitation umfasst, hat die Klägerin diese Leistung so lange zu erbringen, bis der Versicherte nicht mehr krankenhausbehandlungsbedürftig ist. Eine Verlegung zur weiteren Krankenhausbehandlung in ein anderes Krankenhaus ohne medizinische oder organisatorische Gründe verstößt gegen diesen Versorgungsauftrag. Dies stellt eine Verletzung der Pflicht gegenüber der Krankenkasse des Versicherten dar.

 

Da zur Überzeugung der Kammer hier keine medizinischen oder organisatorischen Gründe für die Verlegung vorgetragen worden sind oder vorlagen, liegt ein Verstoß gegen den Versorgungsauftrag und damit eine Pflichtverletzung vor.

 

Anders als die Klägerin meint, reicht der alleinige Wunsch des Versicherten ohne nähere Begründung als Grund für die Verlegung nicht aus. Denn der Versicherte hat keinen gesetzlich geregelten Anspruch auf Wechsel des Krankenhauses (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2007, B 1 KR 11/07 R, Rn. 13, juris). Die im SGB V geregelte freie Krankenhauswahl nach     § 39 Abs. 2 SGB V mit der Mehrkostenregelung gilt lediglich für den Fall der (Erst-) Einweisung. Der Gesetzgeber hat damit die Wahl des Krankenhauses aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eingeschränkt (BT-Drs. 11/2237 zu § 38 Abs. 2). Dieser Grundsatz muss nach Überzeugung der Kammer auch bei einem Krankenhauswechsel gelten. Der Gesetzgeber hat als zwingende Gründe subjektiver Art beispielsweise Erfahrungen des Versicherten oder seiner Angehörigen mit der Behandlung in einem bestimmten Krankenhaus benannt. Des Weiteren kann nach Auffassung der Kammer durchaus die Wohnortnähe als Grund für die Verlegung in Betracht kommen. Die Gründe müssen allerdings plausibel dargelegt und vor allem dokumentiert werden. Im Sinne größtmöglicher Patientenautonomie sind Patienten in die Entscheidung über die Verlegung in ein anderes Krankenhaus einzubeziehen und das Für und Wider einer Verlegung, die durchaus gerade bei hochbetagten und multimorbiden Patienten auch mit gesundheitlichen Risiken verbunden sein kann, gemeinsam mit ihnen abzuwägen sein. Ein solches Gespräch ist dann wie jedes Gespräch über weitere Behandlungsoptionen des Versicherten in der Patientenakte zu dokumentieren (SG Duisburg, Urteil vom 30. März 2022, S 60 KR 2053/20, Rn. 31, juris).

 

Vorliegend ist bereits objektiv die Wohnortnähe des … H. nicht belegt, da beide Krankenhäuser kilometermäßig ungefähr gleich weit vom Wohnort des Versicherten entfernt liegen und in Berlin die Infrastruktur mit dem öffentlichen Nahverkehr gewährleistet, dass Krankenhäuser in der Regel gut zu erreichen sind. Auch aus der Dokumentation geht nicht nachvollziehbar hervor, warum die Verlegung erfolgt ist. Dort heißt es lediglich: „gestern Gespräch mit Tochter und Ehefrau, wünschen G.R. im H., wurde veranlasst“. Dass die Verlegung auch der Wunsch des Versicherten war, ist deshalb eine reine Vermutung.

 

Der Klägerbevollmächtigten ist zwar zuzustimmen, dass kein Versicherter gegen seinen Willen gezwungen werden kann, weiter behandelt zu werden, da es keinen Behandlungszwang gibt. Jedoch auch dieser im Krankenhausalltag wohl eher selten vorkommende Fall müsste nachvollziehbar in den Patientenunterlagen dokumentiert werden.

3.

Des Weiteren gehört es zu den Pflichten des Krankenhausträgers nach § 17c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KHG auch, eine vorzeitige Verlegung oder Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen zu unterlassen. Da sowohl die Klägerin als auch das weiterbehandelnde Krankenhaus zwar zwei unterschiedliche juristische Personen (gGmbH) sind, die jedoch denselben Gesellschafter (Johannesstift Diakonie gAG) haben, fließt der „Gewinn“ der zwei Behandlungen demselben Krankenhausträger zu, der ohne die Verlegung um die hier geltend gemachte Differenz geringer gewesen wäre (vgl. auch Tuschen/Dietz in Dietz/Bofinger, KHG, § 17c Erl. II 3). Deshalb erkennt die Kammer vorliegend auch eine Verlegung aus wirtschaftlichem Grund.

 

Auch andere organisatorische Gründe wie beispielsweise ausgeschöpfte Kapazitäten sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Weitere hinreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen entsprechender Gründe, die eine Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 103 SGG auslösen könnten, bestehen nicht.  

 

Gründe dafür, dass die Beklagte die Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 S 2 BGB nicht vertreten muss, sind ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

4.

Die Höhe des Schadensersatzanspruches ergibt sich aus der vorgetragenen Rechnung der Beklagten. Ohne die pflichtwidrige Verlegung hätte die Beklagte, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen, einen Betrag in Höhe von 12.504,02 EUR an die Klägerin zahlen müssen. Aufgrund der pflichtwidrigen Verlegung hat die Beklagte für beide stationären Behandlungen insgesamt 16.620,24 EUR zuzüglich Transportkosten (90,79 EUR) gezahlt. Der zu ersetzende Schaden beläuft sich mithin auf die Differenz i.H.v. 3.907,19 EUR. Diesen durfte die Beklagte in Höhe von 3.816,22 EUR aufrechnen.

 

5.

Nach § 387 BGB kann jeder Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, wenn sich zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, sobald die Person die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Eine solche Aufrechnung ist entsprechend wirksam, wenn bei bestehender Aufrechnungslage die Aufrechnung erklärt wird (§ 388 BGB) und keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen (vgl. dazu im Einzelnen etwa BSG, Urteil vom 30. Juli 2019, B 1 KR 31/18 R). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

 

II.

Auch die Transportkosten in Höhe von 90,79 EUR konnte die Beklagte im Rahmen der Widerklage erfolgreich geltend machen. Die Widerklage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, denn es geht bei einer auf Schadensersatz gerichtete Forderung in Bezug auf eine Versorgung eines gesetzlich Versicherten durch die Krankenkasse gegenüber einem Krankenhaus um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (st. Rspr. des BSG zur Rückforderung von Vergütungsansprüchen, vgl. etwa Urteil vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 64/01 R -, juris Rn. 13). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Widerklage auch ohne Einwilligung des Gegners möglich (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage   § 100 Rn. 3). Auch der in § 100 SGG geforderte Zusammenhang des widerklagend erhobenen Anspruchs mit dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch ist gegeben, denn insoweit genügt ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang (Leitherer a.a.O. Rdn. 4). Der Anspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat durch die Verlegung des Versicherten eine Pflichtverletzung begangen (siehe unter I.) und der Beklagten ist dadurch ein zusätzlicher Schaden in Höhe der Transportkosten entstanden.

 

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Dabei war die Teilrücknahme der Klage in Höhe der Aufwandspauschale von 300,00 EUR und die Teilrücknahme der Widerklage in Höhe der Aufwandspausche von 300,00 EUR quotenmäßig nicht zu berücksichtigen, da sich die jeweiligen Rücknahmen aufgehoben haben.

 

IV.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz. Für die Widerklage ist der ursprünglich geltend gemachte Betrag in Höhe von 390,79 EUR in Ansatz gebracht worden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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