1. Nach § 133 und § 157 BGB sind Verträge und damit auch Prozessvergleiche auslegungsfähig (Anschluss an BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 101/19).
2. Da das Ziel der Auslegung darin besteht, dem erklärten Parteiwillen zur Geltung zu verhelfen und § 133 BGB nachdrücklich eine reine Buchstabeninterpretation verbietet, können Willenserklärungen auch gegen ihren (scheinbar) eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden.
3. Eine bereits vor dem Insolvenzereignis erfolgte Antragstellung steht der Gewährung von Insolvenzgeld nicht entgegen, wenn die notwendigen Angaben bereits zu diesem früheren Zeitpunkt gemacht werden können.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.03.2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 streitig.
Der 1957 geborene Kläger war ausweislich des Arbeitsvertrages vom 03.04.2018 seit dem 01.05.2018 bei der S-GmbH mit Sitz in E-L als Vertriebsmitarbeiter sowie Sachbearbeiter im Innendienst in Vollzeit gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.000,00 €, fällig jeweils am letzten Tag des Monats, beschäftigt. Die S-GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.11.2019 zum 31.12.2019 ordentlich. Der Kläger erhob hiergegen am 19.12.2019 beim Arbeitsgericht Karlsruhe die unter dem Aktenzeichen 3 Ca 468/19 anhängig gewesene Kündigungsschutzklage. In der öffentlichen Sitzung am 24.01.2020 schlossen der Kläger und die Stober GmbH folgenden Vergleich:
§ 1
Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, arbeitgeberseitiger Kündigung vom 28. November 2019 unter Einhaltung der maßgeblichen gesetzlichen Kündigungsfrist aus dringenden betrieblichen Gründen ohne Verschulden des Klägers mit Ablauf des 31. Dezember 2019 geendet hat.
§ 2
Für den Verlust des Arbeitsplatzes bezahlt die Beklagte an den Kläger eine Sozialabfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG i. H. v. EUR 15.000,00 brutto. Die Abfindung ist bereits jetzt entstanden und damit vererblich. Die Beklagte rechnet die Sozialabfindung mit Bestandskraft dieses Vergleichs ab und zahlt den sich daraus ergebenden Nettobetrag in 3 gleichen monatlichen Raten aus. Die 1. monatliche Rate ist zum 29. Februar 2020, die 2. Rate am 31. März 2020 und die letzte Rate am 30. April 2020 zur Zahlung fällig.
§ 3
Sollte vor Zahlung der vollständigen Abfindung mit Ablauf des 30. April 2020 ein Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt werden, gilt der hier geschlossene Vergleich als nicht geschlossen mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht. Damit sind alle wechselseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt, erledigt.
§ 4
Damit ist der Rechtsstreit unter gegenseitiger Kostenaufhebung erledigt.
§ 5
Die Parteien sichern zu, Stillschweigen hinsichtlich des Inhalts des hier abgeschlossenen Vergleichs gegenüber jedermann (außer der Ehefrau des Klägers) zu wahren, es sei denn sie sind gesetzlich zur Auskunft verpflichtet oder die Auskunft ist aus steuerlichen oder aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen gegenüber Behörden oder zur Wahrung von Rechtsansprüchen gegenüber Gerichten erforderlich.
§ 6
Der Beklagten bleibt es vorbehalten, den hier abgeschlossenen Vergleich bis zum 07.02.2020 gegenüber dem Arbeitsgericht Karlsruhe zu widerrufen.
Nach den Angaben des Klägers widerrief die S-GmbH den Vergleich nicht, zahlte die S-GmbH die erste Rate in Höhe von 5.000,00 € auf die im Vergleich geregelte Sozialabfindung in Höhe von insgesamt 15.000,00 € und erfolgten darüber hinaus aus dem Vergleich keine weiteren Zahlungen an ihn.
Die S-GmbH beantragte am 16.03.2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Daraufhin beschloss das Amtsgericht Karlsruhe – Insolvenzgericht – mit Beschluss vom 17.03.2020 in dem unter dem Aktenzeichen 10 IN 193/20 anhängig gewesenen Verfahren zur Verhinderung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der S-GmbH bis zur Entscheidung über den Antrag die Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung gegen die S-GmbH, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind, die einstweilige Einstellung bereits begonnener Maßnahmen sowie die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und ordnete an, dass Verfügungen der Stober GmbH über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen dürfen.
Der Kläger erklärte gegenüber der S-GmbH mit E-Mail vom 01.04.2020, dass, da der vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe geschlossene Vergleich von Seiten der S-GmbH nicht erfüllt worden sei, die Kündigung vom 28.11.2019 unwirksam und das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehend sei, weswegen er seine ausdrückliche Bereitschaft zur sofortigen Arbeitsaufnahme erkläre.
Am 12.05.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Insolvenzgeld mit Bescheid vom 26.05.2020 ab. Das Arbeitsverhältnis habe laut Vergleich zum 31.12.2019 geendet, da vor dem 30.04.2020 kein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen worden sei. Aus dem Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2019 sei kein offenes Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 SGB III vorhanden. Die laut Vergleich zustehende Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes sei nicht insolvenzgeldfähig. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe deshalb nicht.
Mit Beschluss vom 01.06.2020 eröffnete das Amtsgericht Karlsruhe – Insolvenzgericht – in dem unter dem Aktenzeichen 10 IN 193/20 anhängig gewesenen Verfahren das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S-GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung und bestellte den vorläufigen Insolvenzverwalter zum Insolvenzverwalter.
Der Kläger ließ durch seinen Prozessbevollmächtigten, der ihn auch vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe vertreten hatte, gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2020 am 10.06.2020 Widerspruch einlegen. Er habe Anspruch auf Insolvenzgeld, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Arbeitnehmereigenschaft habe zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses vorgelegen, weil das Arbeitsverhältnis wegen § 3 des Vergleichs vor dem Arbeitsgericht ungekündigt fortbestehe. § 3 des Vergleichs sei auszulegen. Sinn und Zweck des § 3 des Vergleichs sei seine Absicherung gegen einen Ausfall der Zahlungen gewesen, weil der Geschäftsführer der S-GmbH eine schwierige wirtschaftliche Lage dargelegt habe. Vom Arbeitsgericht sei redaktionell im Hinblick auf § 2 des Vergleichs das Datum des 30.04.2020 aufgenommen worden, ohne dass das Erreichen dieses Datums Voraussetzung für § 3 des Vergleichs habe sein sollen. Jedes andere Verständnis führe zum Ausfall der Insolvenzabsicherung. Es sei eine Zufälligkeit, wann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen werde. Im Wege der Auslegung des § 3 des Vergleichs müsse angenommen werden, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens der S-GmbH dem Beschluss gleichzusetzen sei. Der Anspruch auf Insolvenzgeld umfasse das entfallene Arbeitsentgelt in dem Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020.
Mit Schreiben vom 24.06.2020 teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit, für den Kläger könne noch keine Insolvenzbescheinigung erstellt werden, da aktuell das Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht feststehe.
Auf Anfrage der Beklagten schloss sich der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 06.08.2020 der Beurteilung der Beklagten an und verwies darauf, das Arbeitsverhältnis habe zum 31.12.2019 geendet. Die Argumentation des Klägers greife nicht durch. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei kein Minus zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Auch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sei nicht der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gleichzustellen. Vorläufiger Insolvenzverwalter und Insolvenzverwalter seien unterschiedliche Personen kraft Amtes, selbst wenn in den natürlichen Personen Identität bestehe. Auch behalte der Schuldner bei Bestellung eines sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Eine Insolvenzgeldbescheinigung könne nicht ausgestellt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie vertiefte Ihre Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid insoweit, als sie die Argumentation des Insolvenzverwalters wiedergab.
Hiergegen hat der Kläger am 11.09.2020 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben.
Die Beklagte hat im Klageverfahren ergänzend ausgeführt, dass eine Auslegung des § 3 des Vergleichs nicht möglich sei. Der Kläger sei im arbeitsgerichtlichen Verfahren vertreten gewesen, der Vergleich sei unter richterlicher Mitwirkung zustande gekommen. Sie dürfe davon ausgehen, dass die Beteiligten den Vergleich so formuliert hätten, wie er gemeint gewesen sei. Die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses werde in § 3 des Vergleichs unmissverständlich an zwei Voraussetzungen geknüpft, nämlich, dass die Abfindung bis zum 30.04.2020 nicht vollständig bezahlt und dass ein Insolvenzverfahren zu diesem Zeitpunkt eröffnet oder mangels Masse abgelehnt werde. Die Aufnahme der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Fälligkeitszeitpunkt als rechtliche Voraussetzung sei keineswegs entbehrlich oder sinnlos, sondern im Interesse der Rechtssicherheit geboten gewesen. Sie knüpfe die Sicherung der Sozialabfindung erst an eine konkret bevorstehende Insolvenz. Anderenfalls könnte die auflösende Bedingung auch bei einer erst Jahre später eintretenden Insolvenz erfüllt werden, wenn diese in keinerlei Zusammenhang mehr mit der unterbliebenen Zahlung stehe.
Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 01.03.2022 den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2020 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses am 01.06.2020 im Inland beschäftigter Arbeitnehmer gewesen, da das Arbeitsverhältnis durch den Vergleich vom 24.01.2020 nicht beendet worden sei. § 3 Satz 1 des Vergleichs sei so zu verstehen, dass der Vergleich unabhängig vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig entfallen sollte, wenn die in § 2 des Vergleichs genannte Abfindung nicht fristgerecht und vollständig gezahlt werde. Dabei sei in § 3 Satz 1 des Vergleichs der Zusatz „mit Ablauf des 30.04.2020“ dem ersten Halbsatz zuzuordnen. § 3 Satz 1 des Vergleichs sei nach Sinn und Zweck wie folgt zu lesen: „Sollte vor der vollständigen Zahlung, welche am 30.04.2020 fällig ist, ein Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt werden, gilt der hier geschlossene Vergleich als nicht geschlossen mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.“ Diese Auslegung knüpfe an das unwidersprochene Vorbringen der Klägerseite, welche schon wegen Aufnahme des § 3 Satz 1 des Vergleichs für glaubwürdig zu erachten sei, dazu an, dass finanzielle Schwierigkeiten der S-GmbH im Termin vor dem Arbeitsgericht am 24.01.2020 konkret thematisiert worden seien. Ziel des § 3 Satz 1 des Vergleichs sei es damit offensichtlich gewesen, den Kläger umfassend davor zu schützen, wegen drohender Zahlungsunfähigkeit der S-GmbH durch den Abschluss des Vergleichs zugleich die vereinbarte Abfindung und seinen Anspruch auf Insolvenzgeld zu verlieren. Diesen Schutz gewährleiste nur das vorstehende Verständnis. Die gewählte Auslegung erscheine auch deshalb sachgerecht, weil die Zeitspanne zwischen Beantragung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens in zeitlicher Hinsicht dem Zufall unterliege, auf welchen die Parteien des Vergleichs keinen Einfluss hätten haben können. Dass man den Eintritt der den Kläger schützenden Wirkung des § 3 Satz 1 des Vergleichs von einer bloßen Zufälligkeit habe abhängig machten wollen, lasse sich nicht plausibel begründen. Somit verbleibe das vorgenannte Verständnis, bei welchem es auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beziehungsweise dessen Ablehnung mangels Masse gerade nicht ankomme. Die Rechtswirkung des Vergleichs sei damit nach seinem eindeutigen Wortlaut entfallen; er gelte als nicht abgeschlossen mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestanden habe.
In der Konsequenz lebe der Anspruch des Klägers auf Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsentgelts wieder auf, die S-GmbH (beziehungsweise deren Rechtsnachfolger) könne im Gegenzug die Rückzahlung der von ihr geleisteten ersten Rate in Höhe von 5.000,00 € verlangen.
Der dreimonatige Insolvenzgeldzeitraum werde grundsätzlich durch das Insolvenzereignis festgelegt und ende mit dem Tag, der dem Insolvenzereignis vorausgehe. Der Insolvenzgeldzeitraum umfasse damit die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020, denn der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei am 01.06.2020 ergangen.
Der Kläger habe auch innerhalb der Ausschlussfrist seinen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld gestellt. Eine Antragstellung vor dem Insolvenzereignis werde durch die gesetzliche Regelung, wonach Insolvenzgeld innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen sei, nicht ausgeschlossen, wenn die notwendigen Angaben – wie hier – bereits zu diesem früheren Zeitpunkt gegenüber der Agentur für Arbeit gemacht werden könnten.
Der Anspruch auf Insolvenzgeld sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es um einen Anspruch auf Arbeitsentgelt wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehe, da vorliegend ein solcher Anspruch gerade nicht Gegenstand sei, weil der Lohnanspruch in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 wiederaufgelebt sei.
Da der Anspruch auf Insolvenzgeld dem Grunde nach bestehe, habe der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung in der vom Gesetz vorgesehenen Höhe. Da auf Insolvenzgeld ein Rechtsanspruch bestehe, habe die Beklagte dem Grunde nach zur Leistung verurteilt werden können.
Gegen dieses ihr am 02.03.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, den 04.04.2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Der Auffassung des SG Karlsruhe, der zwischen dem Kläger und der S-GmbH geschlossene Vergleich sei nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des wirklichen Parteiwillens dahingehend auszulegen, dass es sich bei dem Zusatz „mit Ablauf des 30.04.2020“ in § 3 des Vergleichs lediglich um einen Hinweis auf das Fälligkeitsdatum der letzten Rate gehandelt haben solle, nicht aber um eine Voraussetzung der Insolvenzeröffnung bis zu diesem Zeitpunkt für den Eintritt der auflösenden Bedingung, könne nicht gefolgt werden. Die Formulierung unter § 3 des Vergleichs sei eindeutig und stehe der Auslegung, wie sie das SG Karlsruhe vorgenommen habe, entgegen. Eine Vertragsauslegung anhand der Interessen und des wirklichen Willens der Parteien sei nicht möglich, da das SG Karlsruhe weder die S-GmbH noch den vorsitzenden Richter im Kündigungsschutzrechtsstreit zu der Frage gehört habe, welche Vereinbarungen mit dem Vergleich tatsächlich getroffen und welche Interessen geschützt werden sollten. Es habe sich auch mit den möglichen – und bei der Auslegung ebenfalls zu berücksichtigenden – Interessen der S-GmbH überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern den klägerischen Vortrag als Tatsache unterstellt und eine einseitige Vertragsauslegung zu dessen Gunsten vorgenommen.
Würde man der durch das SG Karlsruhe vorgenommenen Vergleichsauslegung folgen, so würde dies bedeuten, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bis zu dessen Renteneintritt am 01.11.2021 ungekündigt fortbestanden hätte. Das wiederum lasse sich in keiner Weise mit den Interessen der S-GmbH vereinbaren, die ganz offensichtlich ein erhebliches Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehabt habe. Anderenfalls hätte sie sich kaum zur Zahlung der außergewöhnlich hohen Abfindung in Höhe von fast vier Bruttomonatsentgelten nach nur 20 Monaten Beschäftigung bereit erklärt.
Das SG Karlsruhe habe sich auch mit ihrer Argumentation nicht auseinandergesetzt, dass die im Streit stehende Klausel „mit Ablauf des 30.04.2020“ auch im Interesse der Rechtssicherheit geboten und somit nicht überflüssig und auch nicht als bloßer Hinweis auf das Fälligkeitsdatum der letzten Rate zu verstehen gewesen sei.
Die S-GmbH gehe jedenfalls wie der Insolvenzverwalter von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2019 aus.
Gegenüber dem Insolvenzverwalter habe der Kläger offenbar angekündigt, Klage auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses erheben zu wollen. Offen sei, ob dies geschehen sei und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis.
Nachdem sich der Kläger und die S-GmbH nach alledem keineswegs einig über die Auslegung des Vergleichs seien, sei eine Auslegung durch das SG Karlsruhe ohne Anhörung der S-GmbH und gegebenenfalls Beiziehung der Akten des Arbeitsgerichts Stuttgart nicht zulässig. Dabei stelle sich dann die Frage, ob der Vergleich bei einer derart unterschiedlichen Auslegung der Parteien das arbeitsgerichtliche Verfahren überhaupt beendet habe. Dies müsste gegebenenfalls vom Arbeitsgericht entschieden werden.
Selbst wenn man aber vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2019 hinaus ausginge, dürften im Insolvenzzeitraum jedenfalls keine offenen Entgeltansprüche des Klägers mehr bestehen. Im März 2020 habe der Kläger weder eine Arbeitsleistung erbracht, noch angeboten – ab dem Vergleichsschluss am 24.01.2020 bis zum Ausbleiben der 2. Rate am 31.03.2020 seien beide Parteien davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis beendet sei. Damit sei ein grundsätzlicher Anspruch auf Annahmeverzugslohn nicht entstanden. Auch eine – fiktive – Berechnung eines Annahmeverzugsentgeltes sei durch das SG Karlsruhe nicht erfolgt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug überhaupt beansprucht werden könnte. Soweit für April und Mai 2020 Lohnansprüche wegen Annahmeverzugs der S-GmbH entstanden wären, sei davon auszugehen, dass diese durch die Zahlung in Höhe von 5.000,00 € bereits erfüllt worden seien. Die Zahlung dürfte den Nettolohnanspruch für zwei Monate übersteigen, denn ein Anspruch auf die Abfindung bestünde in diesem Fall nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.03.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Auslegung der Beklagten des § 3 des Vergleichs entspreche in keiner Weise seinem Willen und demjenigen der S-GmbH. Ziel des § 3 Satz 1 des Vergleichs sei es gewesen, ihn umfassend davor zu schützen, wegen drohender Zahlungsunfähigkeit der S-GmbH durch den Abschluss des Vergleichs zugleich die vereinbarte Abfindung und seinen Anspruch auf Insolvenzgeld zu verlieren. Würde man der wenig überzeugenden Auslegung der Beklagten folgen, hätte sein Schutz einzig und allein vom Zufall abgehangen, wann das Insolvenzverfahren nach dessen Beantragung eröffnet werde. Diese praxisferne Auslegung hätten er und die S-GmbH nicht gewollt.
Auch die neu vorgetragene Begründung, es seien für ihn keine Entgeltansprüche entstanden, überzeuge nicht. Er habe durch die eingereichte Kündigungsschutzklage zum Ausdruck gebracht, bei der S-GmbH weiterbeschäftigt werden zu wollen, und habe somit den Annahmeverzug der S- GmbH ausgelöst. Dieser habe auch nicht mit Abschluss des Vergleichs bei objektiver Auslegung geendet. Denn dieser sei unter der auflösenden Bedingung der vollständigen Zahlung der Sozialabfindung durch die S-GmbH, die im März 2020 gerade nicht gegeben gewesen sei, gestanden. Im Übrigen habe er gegenüber der S-GmbH vorsorglich seine Arbeitskraft tatsächlich angeboten.
Eine Anrechnung der Sozialabfindung auf den Lohn scheide mangels tatsächlicher Tilgungsbestimmung durch die S-GmbH aus. Im Übrigen habe der Bruttolohn 4.000,00 € betragen, so dass sein Nettolohnanspruch für zwei Monate 5.000,00 € netto deutlich übersteige. Im Übrigen habe der Insolvenzverwalter ihn nicht freigestellt, so dass diesem für die Zeit danach Lohnforderungen als Masseverbindlichkeiten zustünden, die er mit den 5.000,00 € gegenüber dem Insolvenzverwalter verrechnen könne.
Ferner hat der Kläger mitgeteilt, er habe keine Klage auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses erhoben.
Schließlich hat der Kläger dargelegt, Aufhebungsverträge – ebenso gerichtliche Vergleiche – seien wie andere Verträge nach § 133 und § 157 BGB auszulegen. Zunächst sei vom Wortlaut der Vereinbarung auszugehen. Neben dem Wortlaut seien die Begleitumstände, die Entstehungsgeschichte und der Zweck des Aufhebungsvertrages beziehungsweise seiner Regelungen, die bestehende Interessenlage, Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte zu berücksichtigen. Hätten die Parteien im Aufhebungsvertrag einen bestimmten regelungsbedürftigen Punkt nicht bedacht und sollte die getroffene Regelung nach dem Willen der Parteien insoweit nicht bewusst abschließend sein, so liege eine Regelungslücke vor, die nach Maßgabe des § 157 BGB im Wege der sogenannten ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Ausgehend vom Vertrag und von dessen Sinn und Zweck müsse der hypothetische Parteiwille ermittelt werden. Dabei sei darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Zu berücksichtigen seien neben Treu und Glauben und der Verkehrssitte auch objektive Maßstäbe.
Der Senat hat die unter dem Aktenzeichen 3 Ca 468/19 geführte Akte des Arbeitsgerichts Karlsruhe und die unter dem Aktenzeichen 10 IN 193/20 geführte Akte des Amtsgericht Karlsruhe – Insolvenzgericht – beigezogen.
Ferner hat der Senat Rechtsassessor S, der die S-GmbH im Kündigungsschutzprozess vertreten hat, schriftlich als Zeugen gehört. Dieser hat unter dem 05.07.2022 ausgeführt, die Regelung in § 3 des Vergleichs sei auf Wunsch des Prozessvertreters des Klägers aufgenommen worden. Im damaligen Kündigungsschutzverfahren seien wirtschaftliche Schwierigkeiten der S-GmbH zur Sprache gekommen. Deswegen sei in § 2 des Vergleichs in Bezug auf die Abfindung eine Ratenzahlung zugunsten der S-GmbH vereinbart worden. Mit der in Rede stehenden Klausel habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen gegen ein Insolvenzrisiko absichern wollen. Der Wortlaut der Formulierung in § 3 des Vergleichs beruhe auf einem Vorschlag des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dieser habe in der Gerichtsverhandlung seinen Laptop mit einem Internetzugang dabei gehabt. Er habe die Formulierung aus einem Formularbuch herausgesucht und sie dem Gericht diktiert. § 3 des Vergleichs habe also der Absicherung der Rechtsposition des Klägers für den Fall einer Insolvenz der S-GmbH bis zur vollständigen Erfüllung der Stundungsabrede gedient. Laut Vergleich sollte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2019 geendet haben. Dazu, wann das Arbeitsverhältnis tatsächlich geendet habe, könne er nichts sagen. Einige Zeit nach Abschluss des Vergleichs habe die S-GmbH Insolvenz angemeldet. Ob der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter die sich aus § 3 des Vergleichs ergebenden Möglichkeiten genutzt hätten, könne er nicht sagen.
Hierzu hat der Kläger ausgeführt, die Aussage des Zeugen S1 bestätige den klägerischen Vortrag, nämlich ihn gegen ein/en Insolvenzrisiko/Zahlungsausfall bis zur vollständigen Erfüllung der Stundungsabrede durch die Arbeitgeberin zu schützen.
Die Beklagte vertritt weiterhin die Ansicht, der in § 3 des Vergleichs verwendete Wortlaut sei eindeutig und spreche gegen eine andere Auslegung. Nach der Aussage des Zeugen S1 und den Ausführungen des Klägers sei die in § 3 des Vergleichs verwendete Formulierung auf Vorschlag der Klägerseite erfolgt. Selbst wenn sich also tatsächlich Auslegungsschwierigkeiten ergeben sollten, wovon sie aber nach wie vor nicht ausgehe, so dürften diese zu Lasten des Klägers gehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die nach § 143 und § 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG Karlsruhe vom 01.03.2022, mit dem es auf die zulässigerweise nach § 54 Abs. 1 Halbsatz 1, Abs. 4 SGG erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2020 aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020.
1. Rechtsgrundlage für sein Begehren ist § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III.
Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III gilt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers als Insolvenzereignis. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Nach § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben.
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
2.1 Der Kläger ist ausweislich des Arbeitsvertrages vom 03.04.2018 im Inland beschäftigt gewesen.
2.2. Ein Insolvenzereignis ist eingetreten, indem das Amtsgericht Karlsruhe – Insolvenzgericht – mit Beschluss vom 01.06.2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S-GmbH am 01.06.2020 eröffnet hat.
2.3 Der Kläger hat für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt gehabt.
2.3.1 Der dreimonatige Insolvenzgeldzeitraum wird grundsätzlich durch das Insolvenzereignis festgelegt (zu § 183 SGB III a. F.: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 01.07.2010 – B 11 AL 6/09 R, juris) und endet grundsätzlich mit dem Tag, der dem Insolvenzereignis vorausgeht (BSG, Urteil vom 03.10.1989 – 10 RAr 8/89, juris; vergleiche LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.03.2017 – L 3 AL 3482/16, juris Rn. 25, 26). Da mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe – Insolvenzgericht – vom 01.06.2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S-GmbH am 01.06.2020 eröffnet worden ist, umfasst mithin der Insolvenzgeldzeitraum die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020.
2.3.2 In diesem Zeitraum hat zwischen dem Kläger und der S-GmbH ein Arbeitsverhältnis bestanden.
a. Zwar hat die S-GmbH mit Schreiben vom 28.11.2019 das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2019 gekündigt und sind sich der Kläger und die S-GmbH in dem sich anschließenden Kündigungsschutzprozess am 24.01.2020 in § 1 des Vergleichs darüber einig geworden, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 28.11.2019 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet hat. Allerdings haben der Kläger und die S-GmbH in § 3 Satz 1 des Vergleichs vereinbart, dass dieser Vergleich bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen als nicht geschlossen gilt mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.
b. Die in § 3 Satz 1 des Vergleichs vereinbarten Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weswegen die in § 1 des Vergleichs vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2019 nicht eingetreten ist.
Der Inhalt dieses Vergleichs ist durch Auslegung zu ermitteln.
aa. Einer Auslegung steht nicht entgegen, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Erklärung um einen Prozessvergleich handelt.
Denn nach § 133 und § 157 BGB sind Verträge und damit auch Prozessvergleiche auslegungsfähig (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 101/19, juris Rn. 12, 14; BAG, Urteil vom 25.01.2017 – 4 AZR 522/15, juris Rn. 24, 25; BAG, Urteil vom 24.09.2015 – 2 AZR 716/14, juris Rn. 35; BAG, Urteil vom 10.12.2014 – 10 AZR 63/14, juris Rn. 21; BAG, Urteil vom 21.01.2014 – 3 AZR 362/11, juris Rn. 57; Staudinger/Reinhard Singer, 2012, BGB § 133 Rn. 24; Busche in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 133 Rn. 51).
bb. Einer Auslegung steht auch nicht der eindeutige Wortlaut der hier zu beurteilenden Prozesserklärung entgegen.
Vorliegend ist zwar der Wortlaut des § 3 Satz 1 des Vergleichs, wonach dieser Vergleich als nicht geschlossen gilt mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht, sollte „vor Zahlung der vollständigen Abfindung mit Ablauf des 30. April 2020 ein Insolvenzverfahren eröffnet“ werden, eindeutig und sind die so formulierten Voraussetzungen des § 3 Satz 1 des Vergleichs vorliegend nicht gegeben, da das Insolvenzverfahren erst am 01.06.2020 und damit nicht bis spätestens zum 30.04.2020 eröffnet worden ist.
Da aber das Ziel der Auslegung darin besteht, dem erklärten Parteiwillen zur Geltung zu verhelfen und § 133 BGB nachdrücklich eine reine Buchstabeninterpretation verbietet, können Willenserklärungen auch gegen ihren (scheinbar) eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden. Der Wortlaut ist zwar wichtiges, aber widerlegliches Indiz für den Geschäftswillen. Die Feststellung, eine Erklärung sei eindeutig, kann somit die Auslegung nicht einschränken, sondern darf höchstens als abschließende Würdigung eines nicht nur den Wortlaut, sondern alle Umstände berücksichtigenden Auslegungsverfahrens verwendet werden (Staudinger/Reinhard Singer, 2012, BGB § 133 Rn. 9; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 22.10.2003 – VIII ZR 361/02, juris Rn. 33; BGH, Urteil vom 30.09.1987 – IVa ZR 22/86, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 26.10.1983 – IVa ZR 80/82, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 09.04.1981 – IVa ZB 6/80, juris Rn. 10, 11). Sind sich sämtliche an einem Rechtsgeschäft Beteiligte über die Bedeutung der jeweiligen Abreden einig oder weiß der Empfänger zufällig, was der Erklärende gemeint hat, besteht kein Anlass, den Parteien den objektiven Inhalt des Erklärten aufzuzwingen: „falsa demonstratio non nocet“ (Staudinger/Reinhard Singer, 2012, BGB § 133 Rn. 13). Die Interpretation der sprachlichen Bedeutung einer Erklärung bildet nur die erste Stufe des Auslegungsvorgangs. Selbst bei klarem und eindeutigem Wortlaut muss der Interpret wegen des Verbots der Buchstabeninterpretation alle sonstigen Umstände berücksichtigen, aus denen Rückschlüsse auf den zu Grunde liegenden – unter Umständen abweichenden – Geschäftswillen gezogen werden können (Staudinger/Reinhard Singer, 2012, BGB § 133 Rn. 48; BGH, Urteil vom 07.03.1985 – III ZR 90/83, juris Rn. 20; zum Ganzen ebenso: Busche in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 133 Rn. 61, 67).
cc. Mithin ist § 3 Satz 1 des Vergleichs auslegungsfähig und bedürftig, wobei die folgenden Grundsätze zu beachten sind:
Im Rahmen der Auslegung von Willenserklärungen ist neben der reinen Wortbedeutung auch der sprachliche Zusammenhang des Textes und die systematische Stellung der Formulierung im Gesamtzusammenhang, das Gesamtverhalten des Erklärenden einschließlich aller bei Vertragsschluss vorliegenden Begleitumstände sowie die beiderseitige Interessenlage zu berücksichtigen. Zu den Begleitumständen, die Rückschlüsse auf den erklärten Geschäftswillen ermöglichen, gehört in erster Linie die Entstehungsgeschichte des Rechtsgeschäfts, insbesondere der Inhalt von Vorverhandlungen. Indizwirkung kommt allen äußeren Umständen zu, aus denen Rückschlüsse auf den Geschäftswillen der Parteien gezogen werden können, auch solchen, die bereits beim Wirksamwerden der Willenserklärung vorhanden sind. Nachträgliche Vorgänge sind nur zu berücksichtigen, soweit diese Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten zulassen können. Von erheblicher Bedeutung für die Auslegung von Rechtsgeschäften sind Interessenlage und Zweck einer Regelung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Bei diesen teleologischen Kriterien macht man sich die Erfahrung zunutze, dass die Parteien im Zweifel eine vernünftige Regelung treffen wollen, die den beiderseitigen Interessen entspricht und zu dem erstrebten Erfolg führt. Nicht interessengerecht sind in der Regel Auslegungsresultate, die eine Partei weitgehend rechtlos stellen würden, oder für eine Auslegung, die das von der Partei erklärte oder sonst erkennbar zum Ausdruck gebrachte Ziel der Willenserklärung verfehlt. Aus der Interessenlage kann sich ergeben, dass Rechtsgeschäfte auch gegen den eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden müssen. Der Interpret muss sich um eine nach allen Seiten interessengerechte Beurteilung und darf insbesondere nicht wesentliche Interessen übergehen. Auf dem Erfahrungssatz, dass die Parteien eine Regelung treffen wollen, die nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist, beruhen eine Reihe weiterer Auslegungsgrundsätze. Dazu gehört die Regel, dass die Parteien eines Vertrages keine Regelung treffen wollen, für die kein Anlass besteht oder die in sich widersprüchlich, unwirksam sowie ganz oder teilweise ohne rechtserhebliche Bedeutung ist. Eine weitere Regel lautet, dass sich die Parteien im Zweifel redlich und folgerichtig verhalten (Staudinger/Reinhard Singer, 2012, BGB § 133 Rn. 47-56; zum Ganzen ebenso: Busche in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 133 Rn. 62-74).
dd. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, wonach also Erklärungen so auszulegen sind, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, und wobei, zunächst vom Wortlaut ausgehend zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen sind, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen, und ebenso die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen sind (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 101/19, juris Rn. 12, 14; BAG, Urteil vom 25.01.2017 – 4 AZR 522/15, juris Rn. 24, 25; BAG, Urteil vom 24.09.2015 – 2 AZR 716/14, juris Rn. 35; BAG, Urteil vom 10.12.2014 – 10 AZR 63/14, juris Rn. 21; BAG, Urteil vom 21.01.2014 – 3 AZR 362/11, juris Rn. 57), erachtet der Senat die vom SG Karlsruhe vorgenommene Auslegung des § 3 Satz 1 des Vergleichs als zutreffend.
Danach ist § 3 Satz 1 des Vergleichs entgegen seinem Wortlaut so auszulegen, dass dieser Vergleich als nicht geschlossen gilt mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht, sollte vor Zahlung der vollständigen Abfindung, welche mit Ablauf des 30.04.2020 fällig ist, ein Insolvenzverfahren eröffnet werden.
Für diese Auslegung sprechen der Vortrag des Klägers und dessen Prozessbevollmächtigten, der den Kläger im Kündigungsschutzprozess vertreten hat, sowie die vom Senat eingeholte schriftliche Zeugenaussage des Rechtsassessors S1, der die S-GmbH im Kündigungsschutzprozess vertreten hat.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat vorgetragen, dass der Geschäftsführer der S- GmbH eine schwierige wirtschaftliche Lage dargelegt hat und deshalb Sinn und Zweck des § 3 Satz 1 des Vergleichs eine Absicherung des Klägers gegen einen Ausfall der zu zahlenden Sozialabfindung gewesen ist. Hiermit übereinstimmend hat Rechtsassessor S1 dargelegt, dass im Kündigungsschutzverfahren wirtschaftliche Schwierigkeiten der S-GmbH zur Sprache gekommen sind, weswegen in § 2 des Vergleichs in Bezug auf die von der S-GmbH zu zahlende Sozialabfindung eine Ratenzahlung vereinbart worden ist und mit § 3 Satz 1 des Vergleichs die Rechtsposition des Klägers für den Fall einer Insolvenz der S-GmbH bis zur vollständigen Erfüllung des Anspruchs auf die Sozialabfindung hat abgesichert werden sollen.
Die gewählte Auslegung ist auch deshalb sachgerecht, weil es dem Kläger und der S-GmbH im Zeitpunkt des Vergleichs klar gewesen sein muss, dass sie auf die Zeitspanne zwischen der Beantragung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Einfluss haben würden. Dass der Kläger und die S-GmbH hier den Eintritt der den Kläger schützenden Wirkung des § 3 Satz 1 des Vergleichs von dem von ihnen nicht beeinflussbaren Datum der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten abhängig machen wollen, lässt sich nicht plausibel begründen.
Dass der Kläger und die S-GmbH mit § 3 Satz 1 des Vergleichs diesen Regelungszweck im Sinne einer Absicherung des Klägers verfolgt haben, ergibt sich auch aus dem nachträglichen Verhalten des Klägers. Denn dieser ist in seiner gegenüber der S-GmbH verfassten E-Mail vom 01.04.2020 davon ausgegangen, dass der vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe geschlossene Vergleich von Seiten der S-GmbH nicht erfüllt worden ist und deshalb die Kündigung vom 28.11.2019 unwirksam und das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehend ist, weswegen er seine ausdrückliche Bereitschaft zur sofortigen Arbeitsaufnahme erklärt hat.
Der im Berufungsverfahren von der Beklagten erhobene Einwand, der Kläger und die S-GmbH seien über die Auslegung des Vergleichs keineswegs einig gewesen, findet in dem sich aus den Akten ergebenden und vom Senat ermittelten Sachverhalt keine Stütze. Soweit sich die Beklagte dabei wohl darauf stützt, dass der Kläger offenbar gegenüber dem Insolvenzverwalter angekündigt habe, Klage auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses erheben zu wollen, wird darauf hingewiesen, dass nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren eine solche Feststellungsklage nicht erhoben worden ist. Die Angaben des Insolvenzverwalters der S-GmbH, der in seinem Schreiben vom 24.06.2020 noch davon ausgegangen ist, dass zum damaligen Zeitpunkt das Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht festgestanden hat, dann aber in seinem Schreiben vom 06.08.2020 die Ansicht vertreten hat, das Arbeitsverhältnis habe bereits zum 31.12.2019 geendet, stützen die Einschätzung der Beklagten, der Kläger und die S-GmbH seien über die Auslegung des Vergleichs nicht einig gewesen, ebenfalls nicht. Denn bei der Auslegung des Vergleichs vom 24.01.2020 kommt es nicht auf die nachträgliche Beurteilung des Insolvenzverwalters, sondern auf diejenige der S-GmbH im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs an.
Auch aus einem anderen Gesichtspunkt streitet das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2020 nicht für die Ansicht der Beklagten. Darin hat er zwar zutreffend darauf verwiesen, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Minus zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist und auch die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gleichzustellen ist. Dies unterstreicht aber lediglich den rechtlichen Gesichtspunkt, dass die am 01.06.2020 erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens den dreimonatigen Insolvenzzeitraum bestimmt und bei strenger wortgetreuer Auslegung des § 3 Satz 1 des Vergleichs dieser Zeitpunkt und weder der Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch der Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters heranzuziehen ist.
Die weiteren Argumente der Beklagten greifen ebenfalls nicht durch. Es trifft zwar zu, dass eine Aufnahme der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Fälligkeitszeitpunkt als rechtliche Voraussetzung für die Nichtgeltung der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Interesse der Rechtssicherheit für geboten erachtet werden kann. Im Rahmen der Auslegung kommt es jedoch nicht maßgeblich darauf an, welcher Sinn der Erklärung aus Sicht der Beklagten als einer zwar von der Vereinbarung betroffenen, aber eben nicht an der Vereinbarung beteiligten dritten Person geboten erscheint, sondern auf die beiderseitige Interessenlage der Erklärenden und deren tatsächlichen Geschäftswillen an. Ferner ist es zwar richtig, dass unter Zugrundelegung der vom SG Karlsruhe und vom Senat vorgenommenen Auslegung die in § 3 Satz 1 des Vergleichs geregelte auflösende Bedingung auch bei einer erst Jahre später eintretenden Insolvenz hätte erfüllt werden können, selbst wenn diese in keinerlei Zusammenhang mehr mit der unterbliebenen Zahlung gestanden hätte. Aber letztlich ist es dem Kläger und der S-GmbH darum gegangen, im Falle einer vor der vollständigen Zahlung der vereinbarten Sozialabfindung erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen Anspruch auf die Sozialabfindung zu sichern.
2.3.3 Da nach alledem über den 31.12.2019 hinaus und damit auch im Insolvenzgeldzeitraum zwischen dem Kläger und der S-GmbH ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, hat der Kläger ausweislich des Arbeitsvertrages vom 03.04.2018 im Insolvenzgeldzeitraum noch Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis und damit auf Arbeitsentgelt gehabt. Denn der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne des § 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III erfasst alle Ansprüche des Arbeitnehmers auf „Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis“, die als Gegenwert für geleistete Arbeit oder – wie vorliegend ausweislich der E-Mail des Klägers vom 01.04.2020 – für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft des Arbeitnehmers angesehen werden können (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III, § 165 Rn. 98). Befindet sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug, weil er die geschuldete Arbeitsleistung nicht annimmt, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Vergütung für die Dauer des Annahmeverzuges, ohne dass er zur Nachleistung der Arbeit verpflichtet wäre. Hierbei handelt es sich der Sache nach um den ursprünglichen Vergütungsanspruch. Der Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis die Arbeitsleistung anbietet sowie leistungsfähig und leistungswillig ist und der Arbeitgeber die geschuldete Arbeitsleistung nicht annimmt (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III, § 165 Rn. 112; Kühl in Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 165 Rn. 27; Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Auflage 2021, § 165 Rn. 31; vergleiche Senatsurteil vom 10.04.2013 – L 3 AL 1014/11, juris Rn. 31, 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.11.2006 – L 12 AL 28/05, juris Rn. 24, 25). All dies ist vorliegend der Fall. Zwar hat der Kläger erst mit E-Mail vom 01.04.2020 seine Arbeitsleistung angeboten. Allerdings haben der Kläger und die S-GmbH in ihrem Vergleich die Erforderlichkeit einer früheren Zurverfügungstellung der Arbeitskraft konkludent abbedungen. Eine solche ist frühestens angezeigt gewesen, als für den Kläger festgestanden hat, dass die Sozialabfindung nicht vollständig gezahlt und das Insolvenzverfahren eröffnet werden würde. Folgerichtig hat der Kläger, nachdem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 16.03.2020 gestellt worden war und deswegen mit einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens im weiteren Verlauf zu rechnen gewesen ist sowie die für den 31.03.2020 vereinbarte zweite Rate der vereinbarten Sozialabfindung nicht gezahlt worden ist, erst ab dem 01.04.2020 davon ausgehen müssen, dass das Arbeitsverhältnis nun doch nicht zum 31.12.2019 geendet hat, sondern fortbestehen würde.
2.3.4 Mit der Zahlung der ersten Rate in Höhe von 5.000,00 € der in § 2 des Vergleichs vereinbarten Sozialabfindung hat die S-GmbH den Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich 4.000,00 € entgegen der Auffassung der Beklagten nicht teilweise erfüllt. Zwar wird ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht begründet, wenn der Anspruch auf Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber oder Insolvenzverwalter zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt wird (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III, § 165 Rn. 100, 163). Dies ist vorliegend aber mit der Zahlung der ersten Rate der vereinbarten Sozialabfindung nicht der Fall. Denn dabei handelt es sich nicht um die Erfüllung eines arbeitsvertraglichen Anspruchs, sondern um einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes bei sozialwidriger Kündigung (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III, § 165 Rn. 16). Im Übrigen ist ausweislich des Arbeitsvertrags der Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt jeweils am letzten Tag des Monats und ist nach § 2 Satz 4 des Vergleichs die erste Rate der Sozialabfindung bereits am 29.02.2020 fällig gewesen, so dass es sich auch deshalb bei der Zahlung in Höhe von 5.000,00 € nicht um Arbeitsentgelt für den Insolvenzgeldzeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 handeln kann.
2.3.5 Der Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil er nach seinem Vortrag von der in § 2 des Vergleichs vereinbarten Abfindung in Höhe von 15.000,00 € von der S-GmbH nur die erste Rate in Höhe von 5.000,00 € erhalten hat. Denn der Kläger begehrt vorliegend nicht die Gewährung von Insolvenzgeld wegen eines nicht befriedigten Anspruchs auf Sozialabfindung, sondern wegen eines nicht befriedigten Anspruchs auf Arbeitsentgelt.
2.3.6 Zwar hat der Kläger die Gewährung von Insolvenzgeld bereits am 12.05.2020 und damit nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem am 01.06.2020 eingetretenen Insolvenzereignis beantragt. Dies hält der Senat allerdings – ebenso wie das SG Karlsruhe – für unschädlich, wenn die notwendigen Angaben – wie hier – bereits zu diesem früheren Zeitpunkt gemacht werden können (Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage, § 324, Stand: 15.01.2019, Rn. 38; Winkler in LPK-SGB III, § 324 Rn. 15; im Ergebnis ebenso Kallert in Gagel, § 324 Rn. 43; Scholz in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Auflage 2021, § 324 Rn. 14). Im Übrigen steht eine vor Fristbeginn erfolgte Antragstellung dem Zweck der in § 324 Abs. 3 SGB III geregelten verhältnismäßig kurzen Ausschlussfrist, nämlich eine zügige Klärung der Ansprüche, damit deren Gesamtumfang schnell festgestellt werden und die Bundesagentur für Arbeit die gemäß § 169 Satz 1 SGB III übergegangenen Ansprüche verfolgen kann (Bindig in Hauck/Noftz SGB III, § 324 Rn. 26; Hassel in Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 324 Rn. 18; BSG, Urteil vom 23.10.1984 – 10 RAr 6/83, juris Rn. 15), nicht entgegen.
Nach alledem hat das SG Karlsruhe zu Recht den Bescheid vom 26.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2020 aufgehoben und die Beklagte in Ausübung seines insoweit bestehenden Ermessens nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG dem Grunde nach (vergleiche BSG, Urteil vom 11.11.2021 – B 14 AS 41/20 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 26.06.2013 – B 7 AY 6/12 R, juris Rn. 9) verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Deshalb war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.