L 3 U 984/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2736/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 984/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Gesundheitsstörung, die nicht durch einen Gesundheitserstschaden verursacht ist, sondern allein wesentlich auf Auswirkungen durch das Unfallereignis verursachter veränderter Lebensumstände – wie beispielsweise betriebliche Konflikte am Arbeitsplatz – zurückgeht, ist nicht als Unfallfolge anzuerkennen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.01.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung von Unfallfolgen und die Gewährung von Verletztenrente streitig.

Nach der Unfallanzeige vom 17.11.2016 erlitt der 1963 geborene Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Maschinenführer bei der Firma S in E GmbH am 15.11.2016 beim Entfernen hartnäckiger Anhaftungen von Streichfarbe mit einem Bohrhammer in feuchter Arbeitsumgebung einen Stromschlag. Der Kläger stellte sich noch am Unfalltag im Kreiskrankenhaus E vor. Nach dem Durchgangsarztbericht des K vom 15.11.2016 trug der Kläger Handschuhe, dauerte der Stromschlag, ehe sich der Kläger selbst lösen konnte, 3 bis 4 Sekunden an und trat weder eine Bewusstlosigkeit ein, noch erfolgte ein Sturz.

In dem Durchgangsarztbericht des K vom 15.11.2016 wurden als Befund im Bereich der rechten oberen Extremität intakte Weichteile, kein sichtbarer Stromeintritt, eine angegebene Pelzigkeit im Arm und in der Hand, eine freie Beweglichkeit der Schulter, eine diskrete Krafteinschränkung im Arm und kein Hinweis auf eine knöcherne Verletzung sowie im Bereich der Füße keine Stromaustrittsstellen erhoben. Im Nachschaubericht des K vom 16.11.2016 wurde ausgeführt, im Rahmen der 24-Stunden-Überwachung hätten sich keine weiteren Auffälligkeiten gezeigt. Der Kläger habe zuletzt noch Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, Gefühlsstörungen im Bereich der lateralen rechten Schulter sowie der rechten Finger III bis V und ein leichtes Druckgefühl in der Brust angegeben. Nach dem Endgültigen Entlassbrief des Kreiskrankenhauses E vom 16.11.2016 zeigten sich laborchemisch keine besonderen Auffälligkeiten, ergab das craniale Magnetresonanztomogramm (cMRT) keine morphologisch sichtbaren Defekte und war das Elektrokardiogramm (EKG) unauffällig, weshalb der Kläger bei bereits rückläufigen Residuen des Stromschlags am 16.11.2016 entlassen wurde.

Nach den Angaben der Firma S machten sich im Rahmen der am „23.11.2016“ wieder aufgenommenen Tätigkeit die Folgen des Unfalls nicht bemerkbar. Nach dem Zwischenbericht des K vom 24.11.2016 funktionierte die am „20.11.2016“ wieder aufgenommene berufliche Tätigkeit gut. Es hätten lediglich noch Schmerzen vor allem im rechten Ringfinger und rechten Arm sowie Gefühlsstörungen bis zum Kniegelenk lateral am Bein und eine verminderte Sensibilität am lateralen Oberschenkel bis zum Kniegelenk, jedoch keine motorische Krafteinschränkung und keine Bewegungseinschränkungen bestanden. Ausweislich des Zwischenberichts des K vom 08.12.2016 stellte sich der Kläger erneut wegen anhaltenden intermittierend auftretenden Gefühlsstörungen im rechten Ring- und Kleinfinger mit Ausstrahlung über den Ellenbogen bis zur Schulter sowie intermittierend auch im Bereich des Schädels vor.

W führte in seinem Arztbrief vom 15.12.2016 als Diagnose eine nicht-erosive gastroösophageale Refluxkrankheit auf.

Nach dem Arztbrief des J vom 04.01.2017 ergab die am 29.12.2016 erfolgte Untersuchung ein beginnendes Loge-de-Guyon-Syndrom rechts sowie ein leicht verzögertes somato-sensibel-evoziertes Potenzial C8 rechts, das durch dieses Syndrom ausgelöst werden könne, kein radikuläres Defizit und kein zentral-neurologischer Herdbefund. Zwar könne der Stromunfall ein Auslöser für die Beschwerden gewesen sein, es sei aber unwahrscheinlich, dass er die Ursache hierfür sei. Es erfolgten weitere Vorstellungen im Kreiskrankenhaus E. K berichtete in seinem Zwischenbericht vom 05.01.2017, Sensibilitätsstörungen bei Berührung seien nicht eruierbar, es habe kein motorisches Defizit an den oberen und unteren Extremitäten bestanden, Zehenspitzengang und Hackengang seien demonstrierbar gewesen und die Arme hätten gegen Widerstand gut angehoben werden können, und in seinem Zwischenbericht vom 24.01.2017, der Kläger habe sensible Einschränkungen der kompletten rechten Körperhälfte angegeben, die Kraft der oberen Extremitäten erscheine beidseits gleich und es lägen zwar eine diskrete Fußheberschwäche rechts im Vergleich zu links, aber keine Mastdarmbeschwerden vor.

Es erfolgte am 09.02.2017 eine weitere Abklärung der Beschwerden des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. Nach dem Befundbericht des S1 vom 13.02.2017 habe der Kläger Parästhesien im Bereich der Finger IV und V teilweise mit Schmerzen an der rechten Hand, Druckschmerzen im Bereich des rechten Ellenbogens und im Bereich des Sulcus ulnaris, eine deutliche Gangunsicherheit mit rezidivierendem Stolpern, Parästhesien im Bereich des rechten Beines, der Kopfhaut und des Rückens, einen vier- bis fünfmal täglichen Stuhlgang, keine Durchfälle, eine Pollakisurie mit teilweiser Inkontinenz, Durchschlaf- und Einschlafprobleme sowie ein deutlich verschlechtertes betriebliches Klima seit dem Unfall angegeben. Diagnostiziert wurde ein unfallunabhängiges Sulcus-ulnaris-Syndrom rechts. Differenzialdiagnostisch wurde ein Loge-de-Guyon-Syndrom rechts angegeben.

In Bezug auf eine weitere Vorstellung im Kreiskrankenhaus E berichtete K in seinem Zwischenbericht vom 27.03.2017 über vom Kläger angegebene Störungen in Form von Parästhesien und Schmerzen im Bereich des rechten Armes, Parästhesien im Bereich der gesamten rechten Körperhälfte, vermehrte Stuhlgänge, Harninkontinenz bei körperlicher Belastung sowie erektiler Dysfunktion und über ein unauffälliges Ergebnis der veranlassten Blutabnahme zur Bestimmung des Kreatininwertes.

Nach den Arztbriefen der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E vom 27.03.2017 ergaben die Magnetresonanztomogramme (MR) des Myelons sowie des Schädels keinen pathologischen Befund.

Nach dem Zwischenbericht des K vom 12.04.2017 erfolgte eine erneute Vorstellung des Klägers, in der dieser unter anderem eine Pelzigkeit und Kribbelgefühle in der gesamten rechten Körperseite von Kopf bis Fuß angab. Die Untersuchung ergab einen Kraftgrad der rechten Extremitäten von 4/5 und diffuse Sensibilitätsstörungen an der kompletten rechten Körperhälfte.

Zur Abklärung der Stuhlentleerungsstörung wurde der Kläger am 26.04.2017 in der Rklinik L untersucht. Dort zeigten sich nach dem Befundbericht vom 02.05.2017 äußerlich blande Verhältnisse mit minimaler Hautreizung im Analbereich, eine gute Sphinkterfunktion und eine unauffällige Schleimhaut mit kleinen Hämorrhoiden. Die am 04.05.2017 durchgeführte anorektale Manometrie ergab ausweislich eines Auszugs eines Befundberichts. eine sogenannte Überlaufinkontinenz. Nach der ausweislich des Zwischenberichts des K vom 04.05.1017 erfolgten weiteren Vorstellung erfolgte nach den Angaben im Arztbrief des Urologischen Zentrums E in B vom 11.05.2017 eine urologische Untersuchung, die keinen pathologischen Befund erbrachte. In dem Befundbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T vom 17.05.2017 gingen die behandelnden Ärzte, nachdem ein pathologischer Befund nicht hatte erhoben werden können, von einer Harn- und Stuhlinkontinenz mit korrespondierender Gangunsicherheit unklarer Genese aus.

Der Kläger durchlief vom 01.06.2017 bis zum 22.06.2017 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T eine komplex stationäre Behandlung. Nach dem dortigen neurologisch-psychiatrischen Befundbericht vom 16.06.2017 sei der objektivierbare klinisch-neurologische Untersuchungsbefund vollständig regelgerecht ohne Hinweise für zentrale oder periphere Nervenschädigungen gewesen. Dabei hätten die Klagen, aber auch das Verhalten während der Untersuchung, in doch deutlicher Diskrepanz zu den unauffällig erhobenen objektivierbaren Befunden gestanden. Der psychische Befund sei ohne krankhafte Auffälligkeiten geblieben. Nach dem dortigen Befund- und Entlassungsbericht vom 11.08.2017 wurde die Heilbehandlung als am 22.06.2017 abgeschlossen angesehen und dem Kläger ab dem 23.06.2017 vollschichtige Arbeitsfähigkeit attestiert.

Nach dem Befundbericht des Universitätsklinikums T vom 10.07.2017 ergaben eine auswärtig durchgeführte elektroneurografische und elektromyografische (EMG) Untersuchung sowie die dort am 23.06.2017 durchgeführte Untersuchung der somatosensiblen evozierten Potenziale (SEP) kein sicheres organisches Korrelat für die vom Kläger angegebenen Hypästhesien. Alternativ oder wahrscheinlicher könne durch das Ereignis eine Belastungsreaktion mit nun funktioneller Sensibilisierung und Schwäche ausgelöst worden sein.

T äußerte in seinem Arztbrief vom 28.07.2017 den Verdacht auf eine psychoreaktive Störung, eine dissoziative Störung und eine Somatisierungsstörung. G berichtete in ihrem Attest vom 04.09.2017, dass der Kläger vor dem Unfall zu keiner Zeit über den nun vorhandenen Symptomen entsprechende Symptome berichtet habe.

Die Beklagte holte, nachdem sie zuvor bei der zuständigen Krankenkasse ein Vorerkrankungsverzeichnis beigezogen hatte, sodann die Gutachten des W1 sowie der W-H, Zentrum für Plastische Chirurgie und Handchirurgie U, ein.

W1 diagnostizierte in seinem Gutachten vom 11.12.2017 eine dissoziative Bewegungs- und Sensibilitätsstörung rechts und zog differentialdiagnostisch eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen in Erwägung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall sei nicht anzunehmen. Dagegen spreche insbesondere die Tatsache, dass sich die Symptomatik offensichtlich über mehrere Wochen bis Monate entwickelt habe, bei tatsächlichen Folgen des Stromunfalls selbst aber eher eine Decrescendo-Symptomatik zu erwarten gewesen wäre. Darüber hinaus sei in der Bildgebung keinerlei Defekt sowohl spinal als auch zerebral nachweisbar. Viel wahrscheinlicher erscheine es, dass unmittelbar nach dem Stromunfall Konflikte am Arbeitsplatz aufgetreten seien, die beim Kläger zu einer dissoziativen beziehungsweise zum Teil willentlich gesteuerten Verschlechterung der Symptomatik geführt hätten. Sekundär habe der Kläger dann einen erheblichen Krankheitsgewinn durch die Fürsorge seiner Angehörigen. Differenzialdiagnostisch müsse aber auch an eine simulative Beschwerdeausgestaltung gedacht werden, wofür die seitengleiche Beschwielung, die erheblichen Auffälligkeiten bei der direkten Untersuchung im Vergleich zum Verhalten auf Praxisebene und die fehlende Umfangsdifferenz sprächen.

W-H beschrieb in ihrem Gutachten vom 14.12.2017 eine fragliche Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter, eine leichte Bewegungseinschränkung des rechten Arms in der Beugung im Ellenbogen, eine Bewegungseinschränkung der rechten Hand mit mangelhaftem Faustschluss sowie eine Kraftminderung der rechten Hand ohne wesentliche Muskelminderung am rechten Ober- und Unterarm und führte aus, diese Gesundheitsschäden seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis versursacht worden.

In dem über die am 19.12.2017 begonnene und bereits am 20.12.2017 abgebrochene stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik A in I-N erstellten Entlassungsbericht vom 03.01.2018 wurden die Diagnosen schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Allodynie, Stuhlinkontinenz und Läsion des Nervus ulnaris aufgeführt. Sodann wurde der Kläger vom 20.12.2017 bis zum 22.12.2017 im Zentrum für Psychiatrie S stationär behandelt. Im dortigen Arztbrief vom 22.12.2017 wurden die Diagnosen Anpassungsstörungen und depressive Episode aufgeführt, ein Zustand nach Stromunfall beschrieben und mangels somatischer Erklärbarkeit der neurologischen sowie Bewegungs- und Empfindungsstörungen der Verdacht auf eine dissoziative oder somatoforme Störung geäußert.

Mit Bescheid vom 05.04.2018 anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 15.11.2016 als Arbeitsunfall, führte aus, Folgen des Arbeitsunfalls nach Stromverletzung lägen nicht mehr vor, ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls bestehe nicht, anerkannte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 15.11.2016 bis zum 22.11.2016 und vom 26.03.2017 bis zum 22.06.2017 und führte aus, nicht als Unfallfolgen würden der Zustand nach unklarer Bewegungseinschränkung und Kraftminderung im Bereich des rechten Armes, eine dissoziative Störung aufgrund eines Konflikts am Arbeitsplatz (psychisches Krankheitsbild aufgrund eines belastenden Erlebnisses mit der Abspaltung von Erinnerungen oder gar ganzen Persönlichkeitsanteilen), verbunden mit einem erheblichen sekundären Krankheitsgewinn aufgrund gesteigerter Aufmerksamkeit durch mit dem Kläger verbundenen Menschen, eine Stuhlinkontinenz, eine ausgeprägte Gangunsicherheit sowie ein Zustand bei Sulcus-ulnaris-Syndrom und Loge-de-Guyon-Syndrom (Nervenengpasssyndrom des Ellennervs) im Bereich des rechten Arms anerkannt.

Den hiergegen am 02.05.2018 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2018 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.09.2018 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, erst seit dem Arbeitsunfall an den geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen zu leiden. Der Kläger hat den im Krankenhaus B am 05.12.2018 erhobenen Befund in Form einer fehlenden beziehungsweise abgeschwächten Peristaltik im Nassschluck vorgelegt.

Das SG Ulm hat zunächst von Amts wegen das Gutachten des W2 eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 04.02.2019 ausgeführt, auf neurologischem Fachgebiet ließen sich keine länger anhaltenden Gesundheitsstörungen nachweisen. Auf psychiatrischem Fachgebiet lägen eine dissoziative Halbseitensymptomatik und Gangstörung mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie eine regressiv-depressive Entwicklung vor. Es bestünden wenig Zweifel daran, dass für die Entwicklung der dissoziativen und depressiven Störung der Unfall im naturwissenschaftlichen Sinn nicht hinweggedacht werden könne. Bei dem Unfallereignis habe es sich sicherlich nicht um eine katastrophale Situation entsprechender ICD-10-Klassifikation, sondern um einen Niederspannungsfall mit relativ geringen Stromstärken gehandelt, der nachweislich keine relevante Muskel- und insbesondere auch keine Herzmuskelschädigung versursacht habe. Es spreche wesentlich mehr für die Annahme, dass nicht das Unfallerleben selbst, sondern die danach aufgetretenen Umstände mit betrieblichen Konflikten die Hauptursache für die sich nachfolgend entwickelte Symptomatik darstellten. Für eine willentlich simulative Beschwerdeausgestaltung ergäben sich keine harten Hinweise, vielmehr sei von einer zumindest überwiegend der bewussten Steuerung entzogenen psychischen Störung auszugehen.

Sodann hat das SG Ulm auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des R vom 23.12.2019 eingeholt. Der Sachverständige hat als vom Kläger angegebene Gesundheitsstörungen eine Belastungsinkontinenz, eine hyposensorische Blasenfunktionsstörung, eine reduzierte Blasenkapazität und eine erektile Dysfunktion beschrieben. Der Kläger gebe eine Belastungsinkontinenz sowie eine hypersensible Blase an. Nach eigenen Angaben sei dies unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten. Erstmals dokumentiert seien diese allerdings erst Monate später. In der Literatur fänden sich keine Angaben über eine Blasen-/Mastdarmstörung als Folge eines Stromunfalls. Letztlich könne weder eine Nervenschädigung noch eine psychologisch-psychiatrische Erkrankung, die als Folge des Unfalls entstanden sei, sicher für die beschriebenen Beschwerden ursächlich verantwortlich gemacht werden. Insgesamt bleibe unklar, warum bei einem angegebenen erheblichen Leidensdruck keinerlei urologische Anbindung oder Therapieversuche unternommen würden. Zusammenfassend seien die Störungen im urologischen Fachgebiet möglicherweise als Unfallfolgen zu sehen. Eine direkte Nervenschädigung scheine eher unwahrscheinlich. Zumindest anamnestisch stünden die beschriebenen subjektiven Beschwerden in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall.

Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Z vom 15.03.2020 vorgelegt. Dieser hat – bei fehlenden Hinweisen für zentrale oder periphere Nervenschädigungen und unter Berücksichtigung des urodynamischen Befundmusters – eine neurogene Ursache der Blasenfunktionsstörung verneint und die Diagnose einer überaktiven Blase, wie sie typischerweise bei depressiven Erkrankungen mit Somatisierungsstörung vorkomme, für wahrscheinlich erachtet.

Der Sachverständige R hat in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 28.08.2020 an der von ihm gestellten Diagnose einer neurogenen Blasenfunktionsstörung mit Inkontinenz festgehalten.

Das SG Ulm hat mit Urteil vom 28.01.2021 die Klage abgewiesen.


Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen. Auf Grund der Darlegungen von W2 und W1 sei zwar ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der dissoziativen Halbseitensymptomatik und Gangstörung mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie der regressiv-depressiven Entwicklung zu bejahen, da sich das Unfallereignis nicht hinwegdenken lasse, ohne dass die Konflikte am Arbeitsplatz des Klägers und die daraus hervorgegangenen psychischen Störungen entfielen. Aber derartige Arbeitsplatzkonflikte eines Versicherten nach einem Arbeitsunfall könnten keinen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen begründen. Im Hinblick auf die weiteren vom Kläger zur Anerkennung als Unfallfolgen begehrten Erkrankungen, insbesondere auf urologischem Fachgebiet, sei es bereits nicht wahrscheinlich, dass der Arbeitsunfall naturwissenschaftliche Ursache für diese gewesen sei. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Blasenfunktionsstörung ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sei. Zu Recht habe Z darauf hingewiesen, dass keine Hinweise für eine zentrale oder periphere Nervenschädigung vorlägen. Im Übrigen habe W2 nachvollziehbar dargelegt, dass es unwahrscheinlich sei, dass das Nervengewebe der inneren Organe eine Stromschädigung erlitten habe. Soweit demgegenüber R seine Einschätzung, der Stromschlag sei wahrscheinlich Ursache der Blasenfunktionsstörung auf die anamnestischen Angaben des Klägers stütze, sei dies nicht geeignet, den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu begründen, da die Blasenfunktionsstörung des Klägers erstmals im Februar 2017 und damit annähernd drei Monate nach dem Arbeitsunfall ärztlich dokumentiert sei. Gleiches gelte im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachte Stuhlinkontinenz und Mastdarmstörung sowie die vom Kläger behaupteten Störung der Sexualfunktion, da auch insoweit noch nicht einmal ein enger zeitlicher Zusammenhang nachgewiesen sei.

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Verletztenrente ab dem 15.11.2016, da beim Kläger nach Abklingen der Residuen des Stromschlags keine Unfallfolgen mehr festzustellen seien, die ab dem Ende des Verletztengeldanspruchs eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (v. H.) bedingen könnten.

Der Kläger hat gegen das ihm am 09.02.2021 zugestellte Urteil des SG Ulm am 04.03.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Dass das SG Ulm die Beurteilung des W2, die abnorme psychische Reaktion sei durch die Belastungssituation an der Arbeitsstelle im Anschluss an den Unfall verursacht worden und deshalb nicht durch die Unfallfolgen bedingt, übernommen habe, halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es handele sich hier um einen klassischen Fall einer mittelbaren Unfallfolge. Bei der von W2 diagnostizierten Konversionsstörung handele es sich um körperliche Störungen, die durch die Psyche ausgelöst würden. Diese führten zum Verlust der Körperkontrolle, ausgelöst durch ein traumatisches Ereignis. Nachdem sich aus den Gutachten keine körperlichen Ursachen ergeben hätten, bleibe nur, dass ein traumatisches Ereignis vorausgegangen sei, das die Konversionsstörungen mit den körperlichen Folgen verursacht habe. Als ein solches schädigendes Ereignis müsse die mobbingähnliche Behandlung nach Wiedereintritt in die ursprüngliche Tätigkeit angesehen werden. Die mittelbare Unfallfolge sei auch dann vom Unfallereignis verursacht worden, wenn die Gesundheitsstörung nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall, sondern wie vorliegend erst durch ärztliche Fehl- beziehungsweise Nichtbehandlung in Verkennung der Folgen auf psychiatrischem Fachgebiet ein halbes Jahr später im Februar/März 2017 festgestellt worden sei. Ferner sei zu entscheiden, ob nicht hier – wegen der unterlassenen weiteren Behandlung und Feststellung der Arbeitsfähigkeit bereits kurz nach dem Unfall – eine wesentliche Mitursache für die spätere Entwicklung am Arbeitsplatz und damit die Mitursache für die psychische Fehlverarbeitung gesetzt worden sei.
Im Übrigen werde eine ergänzende Begutachtung unter Hinzuziehung eines Muttersprachlers angeregt. Es sei davon auszugehen, dass er, der Kläger, sich, was die Darstellung psychischen Erlebens und seelischer Befindlichkeiten betreffe, in seiner ursprünglichen Muttersprache besser verständlich ausdrücken könne und kulturelle Unterschiede zu Tage treten könnten.

Der Kläger beantragt,


das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.01.2021 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.11.2016 anzuerkennen: Dissoziative Halbseitensymptomatik und Gangstörung rechts mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie regressiv-depressive Entwicklung, Harn- und Stuhlinkontinenz, erektile Dysfunktion, und ihm wegen dieser Unfallfolgen Verletztenrente ab dem 23.06.2017 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 vom Hundert zu gewähren,

hilfsweise ein weiteres neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Amts wegen zur haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Primärschaden (Folgen des Stromschlags) und psychischem Sekundärschaden in Form einer dissoziativen Störung einzuholen, insbesondere zur Klärung, dass ausreichende Gesichtspunkte (keine Vorerkrankungen auf psychischem Gebiet, Beklagen der Lähmung der rechten Körperhälfte unmittelbar im Anschluss an das Unfallereignis, psychische Reaktion auf die zu frühe Gesundschreibung und Fehlen schädigungsunabhängiger psychischer Belastungsfaktoren) vorliegen, so dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und dissoziativer Störung besteht, ohne dass schädigungsunabhängige Faktoren oder Ereignisse überwiegen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die vom Kläger zur Anerkennung beantragten Gesundheitsschäden dissoziative Halbseitensymptomatik, Gangstörung mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie die regressiv-depressive Entwicklung könnten nicht rechtlich-wesentlich auf den Unfall vom 15.11.2016 zurückgeführt werden. Diese Beschwerden resultierten aus Kränkungserlebnissen und den Konflikten am Arbeitsplatz mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Drohungen mit rechtlichen Schritten. Dauerhafte Gesundheitsschäden seien nach dem Unfall nicht verblieben. Das Unfallereignis trete hierbei in den Hintergrund. Aus derartigen Arbeitsplatzkonflikten lasse sich kein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den psychischen Gesundheitsstörungen herleiten. In Bezug auf die geltend gemachte Harn- und Stuhlinkontinenz sowie erektile Dysfunktion habe durch die objektiven Untersuchungen ausgeschlossen werden können, dass Nervengewebe der inneren Organe eine Stromschädigung erlitten hätten. Darüber hinaus seien die Blasenfunktions- und Mastdarmstörung und die erektile Dysfunktion erstmals im März 2017 ärztlich dokumentiert worden. Es lägen auch keine Hinweise für eine zentrale oder periphere Nervenschädigung, die als Ursache in Betracht kommen könnte, vor.


Der Senat hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten der K1, Universitätsklinikum U, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, vom 30.06.2022 eingeholt. Die Sachverständige hat eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und eine sensomotorische Konversionsstörung mit dissoziativer Bewegungsstörung der rechten Körperhälfte nach Stromunfall diagnostiziert. Die schwere depressive Episode sowie die Konversionsstörung hätten sich unmittelbar nach dem Unfall entwickelt. Wie bereits W2 angegeben habe, sei davon auszugehen, dass nicht das Unfallerleben selbst, sondern die danach aufgetretenen Umstände mit Konflikten am Arbeitsplatz und Kränkungserleben am Arbeitsplatz sowie die abgebrochene Rehabilitationsmaßnahme für die nachfolgende Symptomatik verantwortlich seien.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG Ulm vom 28.01.2021 sowie die Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2018 und die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer dissoziativen Halbseitensymptomatik und Gangstörung rechts mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie einer regressiv-depressiven Entwicklung, einer Harn- und Stuhlinkontinenz sowie einer erektilen Dysfunktion
als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.11.2016 und eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente ab dem 23.06.2017 nach einer MdE um mindestens 30 v. H. Diese prozessualen Ziele verfolgt der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG (zum Wahlrecht zwischen Verpflichtungs- und Feststellungsklage: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 31/11 R, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R, juris).

2. Das Gericht hat keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der auf die Verpflichtung zur Feststellung von Unfallfolgen gerichteten Klage. Insbesondere hat die Beklagte mit ihrem mit der Klage angegriffenen Bescheid eine Entscheidung über die Feststellung von Unfallfolgen getroffen, indem sie im zweiten Verfügungssatz Folgen des Arbeitsunfalls nach Stromverletzung verneint und im fünften Verfügungssatz ausgeführt hat, welche Gesundheitsstörungen nicht als Unfallfolgen anerkannt werden, und somit ein Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zur Frage der Feststellung von Unfallfolgen durchgeführt hat.

3. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.11.2016.

3.1 Für die Feststellung von Unfallfolgen gelten folgende Grundsätze:


Versicherte haben einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge, wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge des Vorliegens eines der Tatbestände des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wurde (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 16/17 R, juris)

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge der Durchführung einer Heilbehandlung.

Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge eines Versicherungsfalls im Sinne des § 8 SGB VII (im engeren Sinne), wenn sie durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das „objektive“, das heißt aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls verursacht worden ist (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 16/17 R, juris Rn. 14). Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinn zuzurechnen ist (sogenannte haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 12 ff.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten:

Zunächst ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung beziehungsweise der auf der Verrichtung kausal beruhende Gesundheitserstschaden Ursache für den (weiteren) Gesundheitsschaden ist und diesen objektiv (mit-)verursacht hat, ist eine rein tatsächliche Frage (BSG, Urteil vom 07.05.2019 – B 2 U 34/17 R, juris Rn. 23, 33). Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten) beantwortet werden (BSG, Urteil vom 26.06.2014 – B 2 U 4/13 R, juris Rn. 25). Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 17).

Der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen muss als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden. Für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs genügt der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 2 U 5/10 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 31/11 R, juris Rn. 34). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht – hier Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge – für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 27/07 R, juris; BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris).

Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-)verursacht hat. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der „Wesentlichkeit“ der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, juris Rn. 15 ff.; BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R, juris Rn. 28 ff.).


3.2 Die Beklagte hat das im Rahmen der nach § 2 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter der Firma S in E GmbH versicherten Tätigkeit des Klägers am 15.11.2016 eingetretene Ereignis mit dem insoweit bestandskräftigen Bescheid vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2018 als Arbeitsunfall anerkannt.

3.3 Nach den überzeugenden Ausführungen des W2, dessen Gutachten der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 f. ZPO als Sachverständigenbeweis verwertet hat, hat der Kläger durch diesen Unfall als Gesundheitserstschaden allenfalls eine vorübergehende und spätestens innerhalb eines halben Jahres seit dem Unfall abgeklungene Reizsymptomatik des rechten Nervus ulnaris mit auch entsprechenden Schmerzen erlitten. Dies hat der Sachverständige für den Senat sehr gut nachvollziehbar dargelegt, indem er darauf hingewiesen hat, dass von einem leichten Stromschlag mit einer Stromstärke in der Größenordnung um 20 mA über einen Zeitraum von einigen Sekunden auszugehen ist, die im erstversorgenden Kreiskrankenhaus E erhobenen Laborwerte für Muskelenzyme unauffällig gewesen sind und für Troponin keinen Anhalt für ein Betroffensein des Herzmuskels ergeben haben, weswegen zwar eine Stromschädigung des Nervengewebes von inneren Organen relativ unwahrscheinlich ist, allerdings ein initialer Muskelkater und/oder eine Reizung peripherer Nerven am betroffenen Arm und damit unter anderem am Nervus ulnaris als möglich erscheint. Über diese von W2 für möglich erachteten Gesundheitserstschäden hinaus lassen sich den über die Erstversorgung des Klägers erstellten Befundberichten des K vom 15.11.2026 sowie 16.11.2016 und des Kreiskrankenhauses E vom 16.11.2016 keine (weiteren) Gesundheitserstschäden entnehmen.


3.4 Unter Zugrundelegung der dargelegten Grundsätze sind die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen in Form einer dissoziativen Halbseitensymptomatik und Gangstörung rechts mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie einer regressiv-depressiven Entwicklung aber nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 15.11.2016 zurückzuführen. Diese Gesundheitsstörungen sind weder auf den Unfall selbst, noch auf den Gesundheitserstschaden wesentlich ursächlich zurückzuführen, noch sind sie mittelbare Unfallfolgen im Sinne des § 11 SGB VII.

3.4.1 Zwar stehen die vom Kläger auf den Arbeitsunfall zurückgeführten Gesundheitsstörungen in Form einer dissoziativen Halbseitensymptomatik und Gangstörung rechts mit somatoformer Schmerzstörung im Sinne einer Konversionsstörung sowie einer regressiv-depressiven Entwicklung im Vollbeweis fest. Denn W2 hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass beim Kläger eine Konversionsstörung beziehungsweise synonym eine dissoziative Störung sowie ein ausgeprägtes regressiv-depressives Beschwerdebild gegeben sind. Der Sachverständige hat zur Begründung zutreffend dargelegt, dass im Rahmen der Krankenhausbehandlung die Symptomatik mit Ausbreitung von Sensibilitätsstörungen bis in das rechte Bein zugenommen hat, unauffällige Laborwerte und ein unauffälliger kernspintomographischer Befund erhoben worden sind, auch im weiteren Verlauf der kernspintomographische Befund des Gehirns und der gesamten Wirbelsäule unauffällig gewesen ist, die elektrophysiologische Abklärung völlig unauffällige Messwerte für die Summation sensibel evozierter Potenziale sowohl der Arme als auch der Beine und des Nervus ulnaris ergeben haben, keine objektivierbaren neurologischen Ausfälle vorgelegen haben und im Rahmen der neurologischen Untersuchung keine objektivierbaren klinischen Ausfälle vorgelegen haben sowie deswegen eine eindeutig als psychogen zu interpretierende Schwäche des rechten Armes und beider Beine anzunehmen ist. Diese Einschätzung lässt sich unschwer mit den in den der Erstversorgung des Klägers nachfolgenden Befundberichten des K vom 24.11.2016, 08.12.2016, 05.01.2017, 24.01.2017, 27.03.2017 sowie 12.04.2017, des J vom 04.01.2017, der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T vom 13.02.2017, 16.06.2017 sowie 11.08.2017, der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E vom 27.03.2017 und der Universitätsklinik T vom 10.07.2017 beschriebenen unauffälligen neurologischen Befunden in Einklang bringen.

3.4.2 W2 hat jedoch überzeugend dargelegt, dass diese Gesundheitsstörungen nicht wesentlich ursächlich auf den Unfall oder den Gesundheitserstschaden zurückzuführen sind. Er hat zwar ausgeführt, dass neuropsychologische Folgen nach Stromunfällen in der Literatur mehrfach beschrieben und vor allem kognitive, jedoch auch depressive Störungen sowie posttraumatische Belastungsstörungen berichtet worden sind. Lässt man aber strombedingte Hirnschädigungen, für die sich vorliegend keinerlei Hinweise ergeben, außen vor, sind nach den sehr gut nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen letztlich – wie bei anderen Unfallereignissen auch – als mögliche psychopathologische Zusammenhänge einerseits psychische Folgen auf das Erleben des Unfallereignisses und andererseits psychische Reaktionen auf körperliche Unfallfolgen zu unterscheiden.

a. Gegen die Annahme, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um psychische Folgen auf das Erleben des Unfallereignisses handelt, spricht aber, dass sich eine
posttraumatische Belastungsstörung nicht hat feststellen lassen.

Diese Krankheit, welche nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Version 2022 (ICD-10-GM-2022) als „F43.1“ kodiert wird, bezeichnet eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über. Kriterien für die Diagnosestellung sind damit ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (A-Kriterium), Wiedererleben: Erinnerungen tagsüber, Träume, Flashbacks, Bedrängnis bei Konfrontation mit ähnlichen Ereignissen (B-Kriterium), Vermeidung von Umständen, welche der Belastung ähneln (C-Kriterium), Amnesie oder erhöhte Sensitivität und Erregung: mindestens zwei der folgenden Merkmale: Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsstörungen, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit (D-Kriterium) sowie das Auftreten in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach dem Ereignis (E-Kriterium). Da sich nach diesem Diagnosesystem die vertragsärztliche Behandlung orientiert, ist es in erster Linie auch von den behandelnden Ärzten sowie den Sachverständigen anzuwenden, da es die nachvollziehbare Feststellung einer konkreten psychischen Gesundheitsstörung unter Verwendung eines üblichen Diagnosesystems sowie des dortigen Schlüssels und der Bezeichnungen ermöglicht. Nach dem Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen, 4.  Auflage 2000 (DSM-IV-TR 309.81) ist das so genannte „Traumakriterium“, das A-Kriterium, eingängiger gefasst. Danach ist Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (A1-Kriterium). Es muss ein extremes, lebensbedrohliches Ereignis tatsächlich stattgefunden haben. Bezüglich des Erlebnisses ist eine Reaktion von Angst, Hilflosigkeit oder Grauen zu verlangen (A2-Kriterium). Weitere Kriterien sind ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses (B-Kriterium), anhaltendes Vermeiden spezifischer Stimuli, welche an das Trauma erinnern (C-Kriterium), Angst oder erhöhtes Erregungsniveau (D-Kriterium), eine Dauer von mindestens einem Monat (E-Kriterium) sowie erhebliches Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen (F-Kriterium). Das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen, 5.  Auflage 2013 (DSM-5) steht dem an sich nicht entgegen. Unter das A-Kriterium wird nunmehr allerdings auch die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von einem oder mehreren derartigen traumatischen Ereignissen (zum Beispiel Ersthelfer, die menschliche Leichenteile aufsammeln, oder Polizisten, die wiederholt mit schockierenden Details von Kindesmissbrauch konfrontiert werden) gefasst. Damit löst sich, ohne dies deutlich zu machen, die DSM-5 deutlich von der historischen Entwicklung der Erfassung seelischer Folgen schwerer Traumatisierung in den psychiatrischen Klassifikationsschemata, welche nicht zuletzt unter dem Druck der Veteranen des 1955 begonnenen Vietnamkrieges erfolgte, denen ganz unzweifelhaft permanente lebensbedrohliche Ereignisse widerfuhren und die Gräueltaten mit anblicken mussten (vergleiche Senatsbeschluss vom 30.12.2020 – L 3 U 2383/19, nicht veröffentlicht; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.07.2018 – L 6 U 2309/17, juris Rn. 48).

Nach allen Diagnosesystemen, also nach ICD-10-GM-2017, DSM-IV-TR und DSM-5, fehlt es vorliegend an den Voraussetzungen für eine Diagnosestellung, da nach dem überzeugenden Gutachten des W2
keine harten Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung herauszuarbeiten gewesen sind, insbesondere es sich bei dem Unfallereignis nicht um eine katastrophale Situation gehandelt hat, das jetzt geklagte Vermeidungsverhalten sich erst über die Jahre hinweg entwickelt hat und einen eher skurrilen, überwertigen Eindruck vermittelt und auch intrusive Erinnerungen mit spontanem Wiedererleben des Unfallereignisses und/oder dissoziative Verhaltensweisen nicht zu eruieren gewesen sind.

b. Gegen die Annahme, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um psychische Reaktionen auf körperliche Unfallfolgen handelt, spricht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, dass – wie oben bereits dargelegt – an objektivierbaren Unfallfolgen neben einem Muskelkater und einer möglichen Reizsymptomatik des Nervus ulnaris keine Unfallfolgen körperlicher Art nachzuweisen sind.


3.4.3 Ferner ergeben sich aus den umfangreichen Befundberichten sowie den eingeholten Gutachten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gesundheitsschäden des Klägers im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII infolge der Durchführung einer Heilbehandlung eingetreten sind.

3.4.4 Obwohl nach den Ausführungen des W2 die Entwicklung der dissoziativen und depressiven Störung auf die nach dem Unfallereignis aufgetretenen Umstände mit betrieblichen Konflikten am Arbeitsplatz des Klägers zurückgeführt werden kann, handelt es sich dabei aber nicht um eine Unfallfolge im Rechtssinne.

Insoweit hat W2 zwar dargelegt, dass nach den Angaben des Klägers dessen Abteilungsleiter ihn bereits einen Tag nach der Entlassung aus dem Krankenhaus angerufen und erklärt habe, er solle sofort zur Arbeit kommen, und gedroht habe, es gebe ein „fettes“ Gespräch mit dem Werksdirektor, wenn er nicht komme, woraufhin er acht schlaflose Nächte gehabt habe. Nach der nach Ablauf einer Woche erfolgten Rückkehr an den Arbeitsplatz habe man ihm mit Kündigung und Abmahnung gedroht. Erst nachdem er der Firma mitgeteilt habe, dass der von ihm verwendete Bohrmeißel nicht ordnungsgemäß gewartet worden sei, habe man sich bei ihm entschuldigt und die angedrohte Abmahnung „zurückgezogen“.

Dennoch ist vorliegend die dissoziative und depressive Störung nicht als Unfallfolge im Rechtssinne zu werten. Denn eine Gesundheitsstörung, die nicht durch einen Gesundheitserstschaden verursacht ist, sondern allein wesentlich auf Auswirkungen einer durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsstörung auf die Lebensumstände – wie vorliegend auf die betrieblichen Konflikte am Arbeitsplatz – zurückgeht, ist nicht als Unfallfolge anzuerkennen. Rechtlich relevante Glieder der Kausalkette sind neben dem Versicherungsfall nur Gesundheitsschäden (Bayerisches LSG, Urteil vom 27.08.2015 – L 8 U 64/10, juris Rn. 59; ebenso Hessisches LSG, Urteil vom 13.08.2019 – L 3 U 152/18, juris Rn. 41; SG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2018 – S 23 U 32/14, juris Rn. 71; Hessisches LSG, Urteil vom 24.01.2017 – L 3 U 117/14, juris Rn. 24; Keller in Hauck/Noftz, SGB, 02/21, § 8 SGB VII Rn. 307). Denn zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass ein wesentlicher unfallbedingter Zusammenhang eines psychischen Leidens (wie beispielsweise eine Anpassungsstörung) nicht schon dann vorliegt, wenn in der Persönlichkeitsstruktur des Versicherten angelegte Eigenschaften (wie beispielsweise eine niedrige Frustrationstoleranz oder Aggressionsbereitschaft) durch das Unfallereignis, die physischen Unfallfolgen oder die Unfallabwicklung des Unfallversicherungsträgers stimuliert werden, da Maßstab der wertenden Beurteilung ist, dass nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand aus objektiver Sicht ein Zusammenhang herzustellen ist und allein die subjektive Sicht des Versicherten nicht ausreicht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2010 – L 8 U 1427/10, juris Leitsatz). Es würde den Rahmen des Schutzbereiches der gesetzlichen Unfallversicherung sprengen, wenn jede Ursache, die ein allgemeines Lebensrisiko darstellt, als „wesentlich“ durch das Ereignis bedingt anzusehen wäre. Selbst wenn keine Krankheitsanlage oder kein Vorschaden im Sinne einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung vor dem Unfallereignis feststellbar ist, bedeutet dies nicht, dass damit automatisch das Unfallereignis als wesentliche Ursache einer psychogenen Störung zu werten ist. Vielmehr muss bei psychischen Störungen der Schweregrad des Unfallereignisses, der Schweregrad des Unfallerlebens, der zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und psychischen Folgen, die Persönlichkeit des betroffenen Menschen in seinem sozialen Gefüge und seiner jeweiligen Lebenssituation sowie mögliche sekundäre Motive und psychosoziale Faktoren aus dem persönlichen Umfeld berücksichtigt werden (SG Hamburg, Urteil vom 15.04.2005 – S 40 U 517/03, juris Rn. 35; zum Ganzen bereits Senatsurteil vom 09.12.2021 – L 3 U 1668/20, nicht veröffentlicht).

Mithin ist die dissoziative und depressive Störung nicht als Unfallfolge zu werten und damit auch nicht im Rahmen der MdE-Beurteilung zu berücksichtigen (vergleiche dazu auch Feddern, „Psychoreaktive Störungen auf unfallbedingte soziale Probleme“ in MedSach 2010, Seite 30-33; Widder/Foerster in „Begutachtung in der Neurologie“, 2. Auflage, Seite 534; Schönberger/Mehrtens/Valentin in „Arbeitsunfall und Berufskrankheit“, 9. Auflage, Nr. 5.1.15.6, Seite 168; AWMF-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen – Teil III, Seite 53).

Demgegenüber verkennt der Kläger, dass dadurch, dass sich die dissoziative und depressive Störung im Gefolge des Unfallereignisses entwickelt hat, lediglich der auf der ersten Stufe zu prüfende naturwissenschaftlich-philosophische Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der dissoziativen und depressiven Störung feststeht, nicht aber auch die auf der zweiten Stufe zu prüfende „wesentliche“ Verursachung im Rechtssinne, bei der es darum geht, ob die versicherte Verrichtung wesentlich für den Erfolg der Einwirkung ist, also ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand Schutz gewähren soll, was vorliegend aus den oben dargelegten Gründen gerade nicht der Fall ist.


3.4.5 Damit hat sich das Gutachten des W1, das der Senat als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO verwertet hat, bestätigt. Auch W1 hat dargelegt, dass sich bei der Erstvorstellung beim Kläger keine Strommarke und lediglich eine Pelzigkeit sowie eine diskret verminderte Kraftentwicklung im rechten Arm gezeigt hat. Mithin lassen sich auch diesem Gutachten keine über die von W2 für möglich erachteten Störungen hinausgehenden Gesundheitserstschäden entnehmen. Ferner hat W1 als Gesundheitsstörungen ebenfalls eine dissoziative Bewegungs- und Sensibilitätsstörung sowie eine deutliche depressive Verstimmung beschrieben. Der Gutachter hat unter anderem daraus, dass sich im Elektroencephalogramm (EEG) kein Herd- oder Seiten-Hinweis gezeigt hat und die sensible Neurographie des Nervus suralis sowie die motorische Neurographie des Nervus medianus regelrecht gewesen sind, den überzeugenden Schluss gezogen, dass beim Kläger eine dissoziative Bewegungs- und Sensibilitätsstörung vorliegt. W1 hat ferner mit der zutreffenden Begründung, dass sich die Symptomatik über mehrere Wochen und Monate entwickelt hat, bei tatsächlichen Folgen des Stromunfalls selbst aber eher eine Descrescendo-Symptomatik zu erwarten gewesen wäre, in der Bildgebung keinerlei Defekt sowohl spinal als auch zerebral nachweisbar gewesen ist, sich keine Hinweise für ein unmittelbar nach dem Arbeitsunfall anschließendes psychisches Ereignis ergeben haben, weder eine Anpassungsstörung aufgetreten ist, noch Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung geschildert worden sind und sich auch keine Zeichen eines hirnorganischen Psychosyndroms haben finden lassen, einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall verneint. Ebenso wie W2 hat es W1 für viel wahrscheinlicher erachtet, dass die unmittelbar nach dem Arbeitsunfall aufgetretenen Konflikte am Arbeitsplatz zu einer dissoziativen Verschlechterung der Symptomatik geführt haben. Nach den obigen Darlegungen handelt es sich aber bei der dissoziativen und depressiven Störung dennoch nicht um eine Unfallfolge im Rechtssinne.

3.4.6 Die Gutachten des W1 und des W2 haben in dem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachten der K1, das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 f. ZPO als Sachverständigenbeweis verwertet hat, ihre Bestätigung gefunden. K1 hat eine sensomotorische Konversionsstörung mit dissoziativer Bewegungsstörung der rechten Körperhälfte und eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert und diese Erkrankungen im Rahmen einer affektiven Störung gesehen. Ferner geht auch K1 davon aus, dass sich diese nach dem Unfall entwickelten Gesundheitsstörungen nicht auf das Unfallerleben selbst zurückführen lassen, sondern dass die danach aufgetretenen Umstände mit Konflikten und Kränkungserleben am Arbeitsplatz sowie nach der abgebrochenen Rehabilitationsmaßnahme für die nachfolgende Symptomatik verantwortlich sind. Dass es sich dabei aber nicht um eine Unfallfolge im Rechtssinne handelt, ist oben bereits dargelegt worden.

3.5 Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen in Form einer Harn- und Stuhlinkontinenz und erektilen Dysfunktion sind ebenfalls nicht als Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.11.2016 festzustellen.

3.5.1 Die auf urologischem Fachgebiet geltend gemachten Gesundheitsstörungen lassen sich schon nicht im Vollbeweis feststellen.

In Bezug auf die geltend gemachte Harninkontinenz hat nach den Angaben im Arztbrief des Urologischen Zentrums E in B vom 11.05.2017 die urologische Untersuchung keinen pathologischen Befund erbracht. Die gutachterliche Untersuchung durch R hat nach seinem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachten,
das der Senat gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 f. ZPO als Sachverständigenbeweis verwertet hat, einen unauffälligen Urinbefund, bei der Blasendruckmessung einen stabilen Detrusor, eine problemlose Blasenfüllung in der ersten Messung bis 380 ml und in der zweiten Messung bis 300 ml sowie keinen obstruktiven Befund, eine regelrechte Entleerungsphase sowie keinen Restharn und bei der urodynamischen Untersuchung insbesondere mit einer normalen Öffnung des Blasenhalses, einer nach Füllung glatt berandeten Blase sowie einer regelrechten Öffnung des inneren Sphinkters einen stabilen Blasenmuskel und damit keinen pathologischen Befund erbracht. Mithin lassen sich die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden durch die im Urologischen Zentrum E in B und von R erhobenen Befunde nicht objektivieren, so dass die dennoch durch den Sachverständigen erfolgte Stellung der Diagnosen Belastungsinkontinenz, hyposensorische Blasenfunktionsstörung und reduzierte Blasenkapazität nach seinen eigenen Ausführungen „weitgehend auf Angaben“ des Klägers beruht. Folgerichtig hat R in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme eingeräumt, dass sich die vom Kläger angegebene Inkontinenz gerade nicht objektivieren lässt. Auch in Bezug auf die vom Kläger angegebene fehlende Wahrnehmungsfähigkeit des Füllzustandes der Blase ist dem Sachverständigen mit seinen Worten eine „vollständige Objektivierung nicht möglich“ gewesen.

Die vom Kläger angegebene erektile Dysfunktion lässt sich ebenfalls nicht objektivieren. Auch insoweit hat der Sachverständige lediglich ausgeführt, dass diese „anamnestisch“ bestehe.

In Bezug auf die geltend gemachte Stuhlinkontinenz wird darauf hingewiesen, dass nach dem Befundbericht der Rotkreuzklinik L vom 02.05.2017 die zur Abklärung einer Stuhlentleerungsstörung durchgeführten Untersuchungen äußerlich blande Verhältnisse mit minimaler Hautreizung im Analbereich, eine gute Sphinkterfunktion und eine unauffällige Schleimhaut mit kleinen Hämorrhoiden ergeben haben. Auch eine Stuhlinkontinenz lässt sich mithin nicht feststellen.

Gegen das Vorliegen einer Harn- und Stuhlinkontinenz spricht im Übrigen, dass nach den Ausführungen des R mit Ausnahme eines circa ein Jahr lang erfolgten medikamentösen Therapieversuchs und einer Vorstellung bei einem Urologen in der Türkei keine weiteren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen ergriffen worden sind, was insgesamt gegen einen Leidensdruck, der das Vorliegen einer Gesundheitsstörung auf urologischem Fachgebiet nahelegen könnte, spricht.

3.5.2 Doch selbst wenn die auf urologischem Fachgebiet geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Vollbeweis feststünden, ließen sie sich jedenfalls nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 15.11.2016 zurückführen.

Denn im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung, ob zwischen dem Unfall selbst oder dem Gesundheitserstschaden und den von R in seinem Gutachten aufgrund der Angaben des Klägers angenommenen Gesundheitsstörungen in Form einer Belastungsinkontinenz, einer hyposensorischen Blasenfunktionsstörung, einer reduzierten Blasenkapazität und einer erektilen Dysfunktion ein wesentlich ursächlicher Zusammenhang besteht, ist zu beachten, dass nach den Ausführungen des R zwar grundsätzlich einer solchen Blasenfunktionsstörung eine Nervenschädigung zu Grunde liegen kann, die auch durch einen Stromunfall verursacht werden kann, und andere als Ursache in Betracht kommende neurologische Erkrankungen nicht aktenkundig sind, aber zum einen nach den Ausführungen des Sachverständigen neurologische Diagnosen nicht erhoben worden sind und zum anderen die Blasenfunktionsstörung erstmals im Februar 2017 – und damit erst rund drei Monate nach dem Unfall – dokumentiert worden ist. Der von R gezogene Schluss, aufgrund des „anamnestisch zeitlichen Zusammenhangs“ zwischen dem Unfall sowie dem Auftreten der Blasenfunktionsstörung sei der Stromschlag als Ursache der Nervenschädigung und damit als Ursache der Blasenfunktionsstörung ausreichend wahrscheinlich, erachtet der Senat allerdings nicht für schlüssig. Zum einen hat sich eine für eine Blasenfunktionsstörung verantwortliche Nervenschädigung nicht feststellen lassen. Zum anderen steht den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber R die Tatsache entgegen, dass die Blasenfunktionsstörung erstmals im Februar 2017 dokumentiert worden ist. Im Übrigen hat R am Ende seines Gutachtens in Beantwortung der Beweisfrage, wie die Unfallfolgen zu bezeichnen seien, nur noch ausgeführt, in der Literatur fänden sich keine Angaben über eine Blasen-/Mastdarmstörung als Folge eines Stromunfalls, letztlich könne weder eine Nervenschädigung, noch eine psychologisch-psychiatrische Erkrankung, die als Folge des Unfalls entstanden sei, sicher für die beschriebenen Beschwerden ursächlich verantwortlich gemacht werden. Zusammenfassend seien die Störungen auf dem urologischen Fachgebiet „möglicherweise“ als Unfallfolge zu sehen und eine direkte Nervenschädigung scheine eher unwahrscheinlich. Damit hat sich auch in der Beurteilung des R der von ihm angenommene mögliche Ursachenzusammenhang nicht zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang verdichtet.

Ferner hat Z in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme,
die der Senat als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt, überzeugend dargelegt, dass und warum eine auf den Unfall zurückführbare neurogene Blasentleerungsstörung nicht gegeben ist, sondern von einer überaktiven Blase, wie sie typischerweise bei depressiven Erkrankungen mit Somatisierungsstörungen vorkommt, auszugehen ist. Z hat zur Begründung zunächst zutreffend dargelegt, dass keine Hinweise für eine zentrale oder periphere Nervenschädigung vorliegen. Er hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass sich in der von R durchgeführten Blasendruckmessung im Rahmen der Blasenfüllung ein stabiler Detrusor bis zu einer Füllung von 380 ml, was annähernd der normalen Blasenkapazität eines Erwachsenen von 450 ml entspricht, gezeigt hat, der Kläger bis dahin keinen Harndrang verspürt hat, es dann zu einem Harnverlust, da die Miktion nicht mehr unterdrückbar gewesen ist, gekommen ist und die subvesikalen Abflussverhältnisse bei einem maximalen Flow von 20 ml ausgezeichnet möglich gewesen sind und die Blase völlig restharnfrei hat entleert werden können. Aus diesem urodynamischen Befundmuster eine neurogene Blasenentleerungsstörung abzuleiten, ist nach den Ausführungen des Z schon deshalb nicht möglich, weil zum Zeitpunkt des Urinverlustes bei 380 ml ungehemmte Detrusorkontraktionen hätten auftreten müssen, die urodynamisch darstellbar sind und damit diesen Urinverlust neurophysiologisch erklären könnten. Dies ist vorliegend aber gerade nicht der Fall gewesen. Z hat es deshalb zu Recht für eher wahrscheinlich gehalten, dass es sich um eine überaktive Blase, wie sie typischerweise bei depressiven Erkrankungen mit Somatisierungsstörungen vorkommt, handelt, da körperlicher und seelischer Stress in der Lage sind, eine Übererregbarkeit des Blasenmuskels hervorzurufen, der in keiner Weise neurogener Genese ist. Der hieraus gezogene Schluss des Z, dass keinerlei Hinweise für eine neurogene Blasenentleerungsstörung, die in irgendeiner Weise auf den Stromunfall zurückzuführen sind, vorliegen, ist daher für den Senat überzeugend. Wie oben bereits dargelegt, ist eine für eine überaktive Blase verantwortliche depressiven Erkrankung des Klägers mit Somatisierungsstörungen aber gerade nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.

Letztlich hat R in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme eingeräumt, dass sich im Falle des Klägers ein reduziertes Blasenvolumen ohne Voruntersuchung weder bestätigen noch ausschließen lässt. R hält zwar trotz der Ausführungen des Z eine sensible Störung und damit eine neurogene Blasenfunktionsstörung mit Inkontinenz für am wahrscheinlichsten. Objektiviert ist eine solche Gesundheitsstörung jedoch weiterhin nicht. Im Übrigen wäre selbst im Falle der Objektivierung einer neurogenen Blasenstörung ein wesentlich ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Blasenstörung nicht wahrscheinlich zu machen, da eine unfallbedingte Schädigung der für die Blasenfunktion verantwortlichen Nerven von keinem der Ärzte festgestellt worden ist. Insoweit hat auch R in seinem Gutachten dargelegt, dass eine direkte Nervenschädigung eher unwahrscheinlich erscheint.

3.6 Auch auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet lassen sich keine Unfallfolgen feststellen. Der Senat stützt sich dabei auf das Gutachten der W-H,
das der Senat als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO verwertet hat. Die Gutachterin hat schlüssig dargelegt, dass die fragliche Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter, die leichte Bewegungseinschränkung des rechten Armes in der Beugung im Ellenbogen, die Bewegungseinschränkung der rechten Hand mit mangelhaftem Faustschluss und die Kraftminderung der rechten Hand nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall verursacht worden, aber möglicherweise auf eine Belastungsreaktion zurückzuführen sind, zumal neurologischerseits sowohl messzeittechnisch als auch klinisch keine krankhaften Veränderungen festzustellen sind.

3.7 Ferner hat das SG Ulm in seinem Urteil zutreffend dargelegt, dass und warum die vom Kläger behaupteten Gesundheitsstörungen wie die Schluckstörung – abgeschwächte Peristaltik im Bereich der Speiseröhre –, das Ulnaris-Syndrom und das Loge-de-Guyon-Syndrom im Bereich des rechten Armes nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Der Senat
folgt dieser Beurteilung und sieht daher nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente ab dem 23.06.2017 nach einer MdE um mindestens 30 v. H.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Da vorliegend keine Unfallfolgen gegeben sind, lässt sich eine MdE um wenigstens 20 v. H. über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus nicht feststellen.


5. Der auf die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gerichtete Hilfsantrag des Klägers war abzulehnen.

Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich. Der Sachverhalt ist, nachdem umfangreiche Befundberichte und Gutachten auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet durch W-H, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet durch W1, W2 sowie K1 und auf urologischem Fachgebiet durch R vorliegen und damit eine ausreichende Befundlage gegeben ist, geklärt. Vor diesem Hintergrund ist ein weiteres Gutachten nicht einzuholen.

Insbesondere war ein weiteres neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Amts wegen zu der Frage, ob die dissoziative Störung wesentlich ursächlich auf die Folgen des Stromschlags zurückzuführen ist, nicht einzuholen. Die vom Kläger im Zusammenhang mit seinem Beweisantrag aufgestellte Behauptung, dass keine Vorerkrankungen vorgelegen haben, ist bereits geklärt. Weder ergeben sich aus dem von der Beklagten beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis Vorerkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet, noch haben solche W1, W2 oder K1 angenommen. Der Senat hat auch zu der Frage, ob schädigungsunabhängige psychische Belastungsfaktoren fehlen, keine weiteren Ermittlungen anzustellen. Denn von solchen geht er unter Zugrundelegung der überzeugenden Gutachten mit Ausnahme der nach dem Unfallereignis aufgetretenen Umstände mit betrieblichen Konflikten am Arbeitsplatz des Klägers nicht aus. Bei der Behauptung des Klägers, er habe die Lähmung der rechten Körperhälfte unmittelbar im Anschluss an das Unfallereignis beklagt, handelt es sich nicht um eine durch ein weiteres medizinisches Gutachten zu klärende Tatsache. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch die Einholung eines weiteren Gutachtens bei einem türkischsprachigen Sachverständigen nicht erforderlich war. Weder haben die Sachverständigen, noch hat der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung irgendwelche Sprachschwierigkeiten des im Alter von elf Jahren nach Deutschland gekommenen Klägers ausgemacht.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen,
da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.

 

Rechtskraft
Aus
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