L 1 U 159/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 1 U 1214/17
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 159/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 8 SGB VII, § 56 SGB VII

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall – Angriff durch Hund - weitere Unfallfolge: psychische Gesundheitsstörung - posttraumatische Belastungsstörung - Klassifikation ICD-10- F 43.1 ,- A-Eingangskriterium -  Nachweis im Vollbeweis - haftungsbegründende Kausalität - Theorie der wesentlichen Bedingung , - MdE-Einschätzung hinsichtlich der Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet –

1. Voraussetzung für die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist sowohl eine einzelfallbezogene positive Feststellung ihres Vorliegens als auch ihrer Verursachung nach der Bedingungstheorie.

2. Zur Erfüllung des A-Eingangskriteriums für die Diagnose einer PTBS im Falle eines Hundebisses. Ob ein solcher ein Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, darstellt, ist unter Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden.

3. Zur MdE-Einschätzung wegen Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. Dezember 2019 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass bei der Klägerin als weitere Unfallfolge des Ereignisses vom 25. Mai 2014 eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.0) vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin ab dem 9. März 2015 bis 30. April 2017 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H., ab dem 1. Mai 2017 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als weitere Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente infolge eines Arbeitsunfalls.

Die 1983 geborene Klägerin war zum Zeitpunkt des Ereignisses am 25. Mai 2014 als Pflegehelferin bei einem ambulanten Pflegedienst im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung tätig. Während ihrer Tätigkeit ist sie auf dem Weg zu einem Patienten auf dem Grundstück von einem freilaufenden Hund der Rasse Dogo-Argentino-Mastiff in den linken Ober- und Unterarm gebissen worden. Sie wurde aufgrund dessen ab dem 25. bis zum 28. Mai 2014 stationär in der E1 Klinikum gGmbH behandelt. Seit dem Tag war sie arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 24.  Juni 2014 begab sie sich in Behandlung der R. Dort berichtete sie von einem großen Hund angefallen worden zu sein. Wenn sie den Arm nicht hochgerissen hätte, wäre er ihr an die Kehle gegangen. An Genaueres könne sie sich nicht erinnern. Seit dem Hundebiss fühle sie sich überfordert, habe Angst und Panik und müsse viel weinen. R äußerte den Verdacht auf eine PTBS.

Laut Unfallanzeige der Arbeitgeberin der Klägerin vom 24. Juni 2014 betrat die Klägerin den Hof durch den Vordereingang; das Tor war ca. 30 cm geöffnet. Zu sehen gewesen seien ein Hund im Zwinger sowie der Hundebesitzer beim Rasenmähen. Als die Klägerin auf dem Hof war, habe der Hundebesitzer, der Ehemann der Nichte des Pflegebedürftigen, geschrien „Renn raus", in dem Moment sei der Hund bereits am Arm gewesen. Bereits seit 2011 werde der Pflegebedürftige täglich dreimal gepflegt. Die Pflege habe mehrfach nicht durchgeführt werden können, weil die Hunde, die bereits mehrfach auffällig geworden seien, auf dem Hof waren.

Laut Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Medizinische Psychologie vom 22. September 2014 anlässlich der ambulanten Vorstellung der Klägerin am 17. September 2014 (U) sind das Vollbild einer PTBS oder einer spezifischen Phobie derzeit nicht erfüllt. U diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit Angst bzw. vorwiegender Störung von anderen Gefühlen (ICD-10: F43.23; DSM-IV-TR: 309.24).

Die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie berichteten am 1. Oktober 2014 (Vorstellung der Klägerin am 29. September 2014), bei der Klägerin bestehe eine Hundebissverletzung der oberen linken Extremität mit posttraumatischer Nervus ulnaris Irritation. Laut Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Klinik für Plastische und Handchirurgie/Brandverletztenzentrum vom 7. Oktober 2014 anlässlich einer stationären Heilverlaufskontrolle vom 29. bis 30. September 2014 zeigten alle Befunde keine Residuen nach der Hundebissverletzung. Es zeigten sich ein regelrechter Wundheilungsverlauf, sowie ein regelrechter Status. Es fänden sich keine höhergradigen Läsionen des Nervus ulnaris.

Im Abschlussbericht vom 19. März 2015 diagnostizierte R bei der Klägerin einen Zustand nach PTBS (ICD-10-GM F43.1 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in deutscher Fassung <German Modification>, im Folgenden: ICD-10) sowie eine leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0).

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des C vom 14. Juli 2015 ein, wonach die Unfallfolgen auf unfallchirurgischem Fachgebiet keine Arbeitsunfähigkeit über den 7. Juli 2014 hinaus begründen. Unter Berücksichtigung des psychologischen Befundberichts der Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken H1 vom 22. September 2014 könne unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis Ende September 2014 akzeptiert werden.

Mit Bescheid vom 13. November 2015 erkannte die Beklagte den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall an. Sie habe aber keinen Anspruch auf Rente. Ihre Erwerbsfähigkeit sei über die 26. Woche nach dem Eintritt des Arbeitsunfalls nicht um wenigstens 20 vom Hundert (v.H.) gemindert. Als gesundheitliche Beeinträchtigung stellte die Beklagte eine folgenlos ausgeheilte Hundebissverletzung am linken Oberarm mit posttraumatischer Irritation des linken Ellennervs (Nervus ulnaris) fest. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten bis zum 8. März 2015 bestanden. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte zur Begründung aus, sie sei bis zum 8. März 2015 und damit über 26 Wochen nach dem Eintritt des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen. Aufgrund der mangelnden Kraft in ihrem linken Arm habe sie das Arbeitsverhältnis beim Pflegedienst E2 gekündigt. Ihre psychische Situation sei desolat. Die depressive Episode sowie die Anpassungsstörung hätten dazu geführt, dass sie sich nicht imstande gesehen habe, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte holte ein unfallchirurgisches Gutachten des D datierend auf den 28. Juni 2016 und auf dessen Veranlassung ein nervenärztliches Gutachten des H2 vom 26. Oktober 2016 ein. Nach dem Gutachten des H2 bestehen bei der Klägerin eine Anpassungsstörung mit ängstlich depressiver Symptomatik und phobischem Vermeidungsverhalten (ICD-10 F43.2/F41.2/F40.2) sowie ein blandes sensibles Karpaltunnelsyndrom links (ICD-10 G56.0 L). Unfallunabhängige Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet ließen sich bei ihr nicht nachweisen. In der gegenwärtigen Verfassung mit einer stärker behindernden Störung einschließlich Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei die unfallbedingte Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 30 v.H. zu bemessen. Er empfehle eine nervenärztliche Nachbegutachtung in eineinhalb bis zwei Jahren.

D nannte als Unfallfolgen, unter Einbeziehung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des H2, verbliebene Narben am Ober- und Unterarm links nach Hundebissverletzung mit verbliebenen langjährigen Reizzuständen des Ellennervs und beginnenden Verschleißerscheinungen im Halswirbelsäulenbereich verbunden mit Kopfschmerzen. Aus unfallchirurgischer Sicht betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 10 v.H. Die Gesamt-MdE ergebe sich aus dem nervenärztlichen Gutachten mit 30 v.H.

Die Beklagte hat hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme des W1 vom 24. Januar 2017 beigezogen. Nach Auswertung der Begutachtungsunterlagen erscheine es nachgewiesen, dass bei der Klägerin im Bereich der ehemals verletzten linken oberen Extremität weder auf dem Fachgebiet der Unfallchirurgie noch auf dem Fachgebiet der Neurologie Unfallfolgen im messbaren Grad verblieben seien, insofern liege die hier verbliebene MdE im nicht messbaren Bereich von unter 10 v.H. Für die Belange des psychiatrischen Fachgebietes erscheine es nachvollziehbar, dass die Klägerin ein phobisches Vermeidungsverhalten insbesondere gegenüber großen Hunden entwickelt habe. Unter Zuerkennung einer verbliebenen Hundephobie ergäben sich keine wesentlichen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, denn die üblichen Tätigkeiten von Angestellten und gewerblichen Mitarbeitern würden ohne Hundekontakte ausgeübt. Hieraus resultiere eine MdE im Bereich von 0 bis 10 v.H. Ansonsten lasse sich eine verbliebene Anpassungsstörung im psychischen Bereich bei der Klägerin nicht als unfallbedingt nachvollziehen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach den Vorgaben der Diagnoseinventare der ICD-10 und des DSM-5 (=Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) Anpassungsstörungen zeitnah zu einem belastenden Lebensereignis auftreten würden, jedoch auch innerhalb von wenigen Monaten wieder abzuklingen pflegten.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. März 2017 führte H2 aus, er halte an seinen gutachterlichen Ausführungen fest und bleibe bei der Bewertung einer unfallbedingten MdE von 30 v.H.

Der Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens stimmte die Klägerin nicht zu.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2017 erkannte die Beklagte als weitere Folge des Arbeitsunfalls, eine phobische Vermeidungshaltung insbesondere gegenüber großen Hunden an und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Weitere psychische Erkrankungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 25. Mai 2014 zurückzuführen. Entgegen den Bewertungen des H2 seien weder ihre Ängste bei Fahrten über die Autobahn und gegenüber großen Lastkraftwagen, noch eine fortbestehende unfallbedingte Anpassungsstörung mit dem in der gesetzlichen Unfallversicherung notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit dem Unfallereignis zuzurechnen. Der MdE-Bewertung des H2 könne nicht gefolgt werden. Er habe die Bewertungsgrundsätze zur Bemessung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht beachtet.

Hiergegen hat die Klägerin am 20. Juli 2017 vor dem Sozialgericht Nordhausen Klage erhoben. Sie hat auf das Gutachten des H2 und die einschlägigen Vorbefunde Bezug genommen. Es bleibe festzustellen, dass sie seit dem Unfallereignis an einer ausgeprägten Anpassungsstörung mit ängstlich depressiver Symptomatik, phobischem Vermeidungsverhalten und einer Neigung zu Panikattacken leide. Die Beklagte habe das Gutachten des H2 vollständig ignoriert. Es sei nicht nachvollziehbar, warum W1 ausspreche, dass bei der MdE-Bewertung von phobischen Störungen nicht von einer Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen sei. Die Beklagte hat ausgeführt, die von der Klägerin geschilderten körperlichen Beschwerden führten zu keinem anderen Ergebnis. Die als Unfallfolge anerkannte, durch den Hundebiss vom 25. Mai 2014 hervorgerufene, Irritation des Ulnaris Nerves am linken Arm, welcher die Missempfindungen an den Fingern IV und V erklären könne, begründe keine MdE. Darüber hinausgehende körperliche (unfallchirurgische und neurologische) Unfallfolgen hätten im Rahmen der Begutachtung weder von D noch von H2 festgestellt werden können.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der B (Ltd. Ärztin der Institutsambulanz Ökumenisches H3 Klinikum gGmbH P) vom 11. Juli 2018 beigezogen, die bei der Klägerin eine leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0) diagnostiziert hat.

Das Sozialgericht hat daraufhin ein psychotherapeutisch-psychosomatisches Gutachten des L vom 14. Dezember 2018 in Auftrag gegeben. Der Sachverständige hat ausgeführt, die aktuelle Angstsymptomatik der Klägerin bestehe in einem insgesamt erhöhten Angstniveau. Bei einem Angstanfall, der nicht häufig auftrete (unregelmäßig, seltener als einmal die Woche, situationsabhängig), habe sie vor allem körperliche Beschwerden. Durch den arbeitsbedingten Unfall bzw. den plötzlichen und aggressiven Hundeangriff seien unmittelbar und kurzfristig nach dem Unfall die Kriterien für eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0), danach vorübergehend auch die Kriterien für eine PTBS (ICD-10 F43.1) erfüllt gewesen. Eine entsprechende Verdachtsdiagnose sei in dem Brief der R vom 25. Juli 2014 geäußert worden. Die PTBS sei jedoch bereits nach wenigen Monaten rückläufig und das Vollbild einer PTBS im Februar 2015 sicher nicht mehr vorhanden gewesen. In der Folge sei ein Zustandsbild übrig geblieben, welches durch eine phobische Angst vor großen Hunden, ein erhöhtes Arousal (=gesteigerte Aufmerksamkeit oder Wachheit) sowie eine insgesamt erhöhte Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit gekennzeichnet gewesen sei. Phobische Störungen hätten die Tendenz zur Generalisierung. So sei es durchaus plausibel und fachlich gerechtfertigt, auch die Angst vor großen LKWs auf der Autobahn als Folge des Unfalls anzusehen. Der Unfall vom 27. Mai 2014 sei eindeutig und allein die kausale Ursache des Krankheitsbildes. Die Beeinträchtigung der Klägerin im Alltag sei aktuell als eher gering einzuschätzen. So gehe sie mit ihrem Hund spazieren und fahre auch mit dem Auto. Es handele sich hier aktuell um eine leichtere psychische Störung, hier eine „spezifische Phobie“, die mit einer MdE von 20 v.H. festzusetzen sei. Die Bestimmung von MdE und Grad der Schädigungsfolgen (GdS) geschehe nach den gleichen Kriterien. Bei Vorliegen einer akuten Belastungsreaktion und einer PTBS (wahrscheinlich bis Februar 2014 bei der Klägerin gegeben) sei von einer MdE von 50 v.H. auszugehen. Eine Anpassungsstörung habe maximal bis Ende Mai 2016 vorgelegen; bis dahin sei von einer MdE von maximal 30 v.H. auszugehen. Bei konsequenter Fortführung der begonnenen Therapie sei von einer weiteren Besserung mit einer dann dauerhaften MdE von maximal 10 v.H. auszugehen.

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, L bestätige, dass bei der Klägerin eine leichtgradige spezifische Phobie vorliege, welche nur geringe Beeinträchtigungen im Alltag nach sich ziehe. Sowohl das Vorliegen einer PTBS als auch einer Panikstörung, Agoraphobie oder affektiven Störung habe der Sachverständige ausgeschlossen. Die von L zugrunde gelegten Tabellen der Versorgungsmedizin seien für die Bewertung der MdE nach Arbeitsunfällen nicht maßgeblich, weil sie nicht für die gesetzliche Unfallversicherung konzipiert seien. Unter Zugrundelegung der einschlägigen Erfahrungssätze und Tabellen der gesetzlichen Unfallversicherung ergebe sich durch die leichtgradige spezifische Phobie keine MdE in rentenberechtigender Höhe. Wegen der Arbeitsunfähigkeit mit Verletztengeldzahlung bis zum 8. März 2015 könne offenbleiben, ob zu diesem Zeitpunkt stärkere psychische Beeinträchtigungen vorgelegen hätten. Zwar könne eine Anpassungsstörung per Definition bei der Klägerin bis maximal Mai 2016 vorgelegen haben, wie L ausgeführt habe, diese dauere jedoch in der Regel nur sechs Monate an und das Vorliegen einer längeren depressiven Reaktion sei anhand der Befunde nicht belegt. Hierzu hat sie eine beratungsärztliche Stellungnahme des W1 vom 19. Januar 2018 vorgelegt.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Dezember 2018 hat L ausgeführt, auch nach den Richtwerten für die MdE anhand der vorgelegten Tabellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin) ergäben sich Grade der MdE von 10 v.H. bis 30 v.H. für spezifische (isolierte) Phobien (ICD-10 F40.2). Hier sei im Gutachten der Wert von 20 v.H. gewählt worden, weil es sich um eine mehr als „eng begrenzte Situation“ (maximal 10 v.H.) handele, aber nicht um eine „zentrale Situation der allgemeinen Arbeitswelt“ (maximal 30 v.H.). Die Beklagte hat eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des W2 vom 30. September 2019 vorgelegt, der darauf verwiesen hat, dass auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bezüglich spezifischer Unfallfolgen auszuführen bleibe, dass ein Hundebiss nicht allgemein geeignet sei, zu einer Lkw-Phobie oder zu Ängsten beim Autofahren zu führen. Strittig sei nur noch die Höhe der MdE für die spezifische Phobie (Hundephobie). Die MdE liege jedenfalls unter 20 v.H.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, sie leide auch aktuell unter Panikattacken. Sie habe versucht wieder in der Pflege zu arbeiten, habe aber auf den Grundstücken immer wieder Panikattacken bekommen. Letztendlich habe sie diese Tätigkeit wegen der psychischen Belastung aufgegeben. Zwischenzeitlich habe sie in einem Badstudio gearbeitet und dann ihren ursprünglichen Beruf als Kosmetikerin wieder aufgenommen. Sie habe sich in diesem Beruf selbstständig gemacht und das sei auch heute noch so.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die aus dem anerkannten Versicherungsfall resultierenden Funktionseinschränkungen minderten die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht um mindestens 20 v.H. Die Beklagte habe die unfallchirurgischen Folgen des Geschehens zutreffend auf der Grundlage der Begutachtung bei D im Juni 2016 eingeordnet. Darüber hinaus liege eine spezifische Phobie in Form der Angst vor großen Hunden vor. Weitere psychische Einschränkungen seien bei der Bestimmung der verbliebenen MdE nicht zu berücksichtigen. Eine PTBS habe zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides keine Auswirkungen mehr. Hierbei stütze sich das Gericht auf die Begutachtung des L. Eine länger andauernde Anpassungsstörung, wie sie L für die Zeit bis Mai 2016 gesehen habe, vermöge das Gericht nicht zu erkennen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin aus eigener Kraft eine andere berufliche Tätigkeit gesucht und sich in der Folgezeit auch selbstständig gemacht habe. Hinsichtlich der generalisierten Ängste der Klägerin, die sie auch in der mündlichen Verhandlung geschildert habe, vermöge das Gericht keinen Bezug zum Unfallgeschehen zu finden. So habe auch W2 einen Zusammenhang der Eignung eines Hundebisses zu einer Lkw-Phobie verneint. Das Ausmaß der gesamten Einschränkung rechtfertige keine MdE von 20 v.H. Hierzu hat das Gericht weiter ausgeführt.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen ihr eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 30 v.H., hilfsweise 20 v.H. zu gewähren. Sie leide weiterhin unter den Folgen des Ereignisses vom 25. Mai 2014. Die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit habe lediglich dazu gedient, eine arbeitgeberseitige Kündigung aufgrund ihrer vielen Fehlzeiten zu vermeiden. Nach Einschränkungen bei der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit habe das Gericht nicht gefragt. Die Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit spielten für die Entscheidung über die entsprechende MdE eine Rolle. Bei der beratungsärztlichen Stellungnahme des W1 handele es sich lediglich um Parteivortrag, dieser habe die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt untersucht. Auch W2 habe nicht begründet, warum die Angst vor LKWs nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. In der mündlichen Verhandlung führt sie aus, bei dem freilaufenden Hund habe es sich um einen Dogo Argentino Mastiff gehandelt. Sie sei bei Bedarf weiterhin in P in Behandlung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. Dezember 2019 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 abzuändern und als weitere Unfallfolge des Ereignisses vom 25. Mai 2014 eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.0) festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 9. März 2015 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Der Senat hat ein fachchirurgisches Gutachten des S vom 12. Oktober 2020 und ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten des G von 27. Mai 2021 eingeholt. S hat als Gesundheitsschädigungen auf chirurgisch/handchirurgischem Fachgebiet vernarbte - ehemals offene - Wunden an Oberarm und Unterarm entstanden durch einen Hundebiss (ICD-10 T01.9) sowie eine Irritation des Nervus ulnaris auf Narbendruck unmittelbar körperfern des rechten Ellenbogens (ICD-10 G56.2) festgestellt. Die MdE werde vom Wiederbeginn der Arbeitsfähigkeit ab dem 9. März 2015 fortlaufend auf unter 10 v.H. geschätzt. Hierzu führt der Sachverständige weiter aus.

G hat in seinem Gutachten unter Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen und der persönlichen Untersuchung der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) diagnostiziert. Die im Rahmen der Begutachtung durchgeführten Testverfahren (IES-R, ITQ, CAPS-5) hätten das Vorliegen einer PTBS bestätigt. Auch heute seien die Kriterien für eine PTBS noch erfüllt gewesen. Eine generalisierte Angststörung habe sich jedoch nicht als unabhängige Instanz entwickelt. Eine Anpassungsstörung sei nicht zu diagnostizieren gewesen. Im genauen zeitlichen Verlauf lasse sich die MdE schwer einschätzen. Ein Rückgang der Symptomatik über die Jahre werde von der Klägerin selbst berichtet. Er würde daher empfehlen, die MdE bis zu einem halben Jahr nach dem Gutachten von H2 vom 26. Oktober 2016 mit 30 v.H., danach mit 20 v.H. zu bemessen. Des Weiteren hat sich der Sachverständige mit den Vorgutachten auseinandergesetzt. Es handle sich um einen primär psychotraumatologischen Fall.

Die Klägerin hat sich dem Gutachten des G angeschlossen. Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme des W1 vom 22. Juni 2021 vorgelegt, der erneut darauf verweist, dass ein selektiv gegenüber Hunden ausgerichtetes Vermeidungsverhalten oder eine Angstsymptomatik nach den Schadenstabellen von Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 170) keine MdE im rentenberechtigenden Grade begründeten. Die Diagnose einer PTBS könne nicht plausibel nachvollzogen werden, weil schon das A-Eingangskriterium für diese Diagnosestellung eindeutig nicht erfüllt sei. Ein einfacher Hundebiss könne nicht mit einem der in der AWMF-Leitlinie (veröffentlicht im Februar 2021) expressis verbis aufgeführten Ereignisse gleichgestellt werden.

Hierzu hat G in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. September 2021 erneut ausgeführt. Allgemein hat er seinen Ausführungen vorangestellt, dass Diagnosemanuals (=Handbücher) grundsätzlich Empfehlungen mit Allgemeinen, nicht aber wissenschaftlich gesehen immer Gültigkeit für den individuellen Fall abbildeten. Sie hätten Richtliniencharakter, von dem man medizinisch begründet abweichen könne. Dies sei so auch z.B. im DSM-5 zu finden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

Der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§54 SGG). Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung einer weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigung aufgrund des Ereignisses vom 24. Mai 2014 (dazu unter 1.) und auf Gewährung einer Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII - dazu unter 2.).

Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII), den die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG - dazu unter 2.). Streitgegenstand ist auch die Frage, ob die Klägerin über die mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 durch die Beklagte festgestellten Unfallfolgen hinaus, eine weitere Unfallfolge - eine PTBS - geltend machen kann (dazu unter 1.). Dem angefochtenen Bescheid lässt sich eine Regelung im Sinne des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) entnehmen, dass weitere psychische Erkrankungen nicht Folge des Arbeitsunfalls sind. Solche negativen Feststellungen sind nach der Rechtsprechung zulässig (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Juli 2016 – L 6 U 1013/15, nach juris). Die Klägerin hat auch nicht nur begrenzt auf die Gewährung einer Verletztenrente gegen den Bescheid vom 23. November 2015 Widerspruch und anschließend Klage erhoben. Ihr Vorbringen war von Anfang an auch darauf gerichtet, weitere Unfallfolgen feststellen zu lassen. Dies ergibt sich aus ihren Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Insoweit ist es unerheblich, dass das Sozialgericht in seinem erstinstanzlichen Urteil darauf nicht ausdrücklich eingegangen ist.

1. Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG.

In der Unfallversicherung gilt:

Die als Gesundheitserstschaden, d.h. als unmittelbar durch das Unfallereignis verursacht, geltend gemachte Gesundheitsstörung muss im Vollbeweis, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese liegt vor, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt. Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung u.a. für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, nach juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R und 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, nach juris). Es gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits(erst-)schaden bzw. dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch konkurrierende Ursachen, z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war.

Bei der Klägerin liegt nach der Überzeugung des Senats - neben den bereits festgestellten Gesundheitsstörungen - eine PTBS (ICD-10 F43.1) vollbeweislich gesichert vor. Der Senat stützt sich insoweit auf die überzeugenden Ausführungen im Gutachten des G vom 27. Mai 2021.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind insbesondere im Bereich psychischer Störungen die Gesundheitsschäden genau zu definieren, was zwingend voraussetzt, dass die Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (z.B. ICD-10, DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt beschrieben wird. Denn je genauer und klarer die Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen. Dies schließt begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen, z.B. aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts, nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 2019 - B 2 U 8/18 R m.w.N., Rn. 19, nach juris).

G hat eine PTBS nach ICD-10 Version 2021 F43.1 (Posttraumatische Belastungsstörung) diagnostiziert. Diese wird in der ICD-10 Version 2021 ebenso wie in der zwischenzeitlich gültigen Version 2022 so beschrieben:

„ Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

Die Störung wird - grundsätzlich - nur dann diagnostiziert, wenn sie innerhalb von 6 Monaten nach einem Ereignis außergewöhnlicher Schwere aufgetreten ist. Der Sachverständige hat das Unfallereignis - für den Senat nachvollziehbar - als Ereignis von außergewöhnlicher Schwere eingeordnet. Es erfüllt die Kriterien sowohl nach DSM-5 als auch nach ICD-10. G hat hierzu widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgeführt, dass die in den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-V vorausgesetzten Kriterien erfüllt sind. Auch das A- bzw. Traumakriterium ist erfüllt. Nach ICD-10 fordert die PTBS, dass Betroffene einem kurz oder lang anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein müssen. Über die subjektive Traumahaftigkeit enthält das Kriterium noch ein gewisses objektives Korrektiv, wonach überhaupt infrage kommende Ereignisse in der Lage sein müssen, „nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung“ auszulösen. Auch das Diagnosesystems DSM-V setzt für die Diagnose einer PTBS (DSM-V F43.10) ein Traumakriterium (Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt) voraus. Ein Erstschaden mit Schock war gegeben, die Szene war besonders aversiv und ist von der Klägerin horrorartig erlebt worden. Innerhalb von weniger als einem Monat setzten Traumasymptome ein, diese waren auch spezifisch und wurden von der Klägerin auch noch einmal bestätigt. Der Verlauf der Störung war typisch. Die Schwere und der Verlauf gehen über eine alleinige spezifische Phobie weit hinaus. G hat die in der (ausführlichen) Exploration getätigten Angaben der Klägerin testpsychologischen Untersuchungen (u.a. IES-R, ITQ, CAPS-5) unterzogen. Bei dem CAPS-5 Test handelt es sich um ein an DSM-Kriterien orientiertes Fremdbeurteilungsverfahren zur Diagnose und Schweregradbeurteilung der PTBS. Die Tests haben das Vorliegen einer PTBS - auch noch zum Untersuchungszeitpunkt - bestätigt. Im CAPS-5 Interview hat sich eine Besserung, nicht jedoch eine vollständige Rückläufigkeit der PTBS gezeigt. Des Weiteren hat G eine Prüfung der Plausibilität und Konsistenz, einem wesentlichen Merkmal der psychiatrischen Begutachtung und der Begutachtung von Schmerzen, unter Bezugnahme auf die Leitlinien (AWMF Registernummer 051/029, AWMF Registernummer 094-003) vorgenommen. Eine Beschwerdevalidierung kann dabei auch testpsychologisch durchgeführt werden. Der Sachverständige hat die Validität bestätigt. Objektivierbare und klinische Befunde passen in der Schilderung der Klägerin zusammen. An der Validität von Traumasymptomen bestehen danach keine Zweifel. Eine PTBS war zuvor durch die R bestätigt worden. Der Krankheitsverlauf ist nicht untypisch. Der Sachverständige G hat sich mit weiter in Betracht kommenden Diagnosen und Krankheiten in seinem Gutachten auseinandergesetzt. Dabei ist eine leichte Generalisierung der Angst feststellbar; eine generalisierte Angststörung hat sich aber auch hier nicht als unabhängige Instanz entwickelt. Eine Anpassungsstörung war nicht zu diagnostizieren. Bei Anpassungsstörungen kommen Lebensereignisse vor, die zu einer psychischen Belastung führen. Auch diese sind reaktive psychische Folgen von äußeren Umständen, nicht aber typischerweise Ereignisse außergewöhnlicher Schwere. Sie dauern typischerweise nur dann über ein halbes Jahr an, wenn der Grund aktiv bestehen bleibt. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall, es sind nicht andere Umstände oder Rahmenumstände, sondern vielmehr das Trauma selbst, das sie belastet. G hat sich ebenfalls mit dem bereits vorliegenden Sachverständigengutachten auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Gutachtens des H2 vom 26. Oktober 2016 bewertet er als wichtig, dass H2 die Störung noch deutlich ausgeprägt beschreibt und bei der Klägerin eher eine Neigung zum dissimulieren (=Verheimlichung von tatsächlich bestehenden körperlichen oder psychischen Krankheiten) erkannt hat. H2 beschreibe, dass eine stärker behindernde Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliege, daher eine MdE mit 30 v.H. zu bemessen sei. Der Gutachter unterstreicht damit eine weiter bestehende psychische Störung. In seinem Kern, der diagnostischen Beurteilung und Einordnung ist dem Gutachten von H2 jedoch nicht zu folgen. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar, weil H2 - wie von G ausgeführt - keine eigene diagnostische Leistung dargestellt hat, sondern sich bezüglich der Diagnose auf Vorbefunde, insbesondere die ausführliche Stellungnahme der Medizinischen Psychologie vom 22. September 2014 bezog, diese jedoch nicht ausreichend belastbar war und von ihm nicht analysiert wurde. Aus psychotraumatologischer Sicht ist das Gutachten des H2 daher nicht ausreichend, weil nicht deutlich wird, warum eine Anpassungsstörung über die Zeit länger bestehen sollte, wenn der Grund (der Unfall) weggefallen ist. L hat ein Modell der Störung angeboten; dies bewertet G als Stärke des Gutachters. Es wird ausführlich eine Angststörung exploriert, eine entsprechend ausführliche Exploration von Symptomen einer PTBS fehlt aber. L hat kein strukturiertes Interview dazu durchgeführt. Es wurde eine unspezifische testpsychologische Untersuchung angewandt, die eine PTBS auch nicht bestätigen konnte. Eine spezifische Phobie stellt sicher einen Teil einer PTBS dar. Auch kann eine spezifische Phobie eine Restsymptomatik einer PTBS darstellen, sodass das Gutachten insoweit nachvollziehbar ist. Allerdings ändert die Rückläufigkeit einer Symptomatik in eine Restsymptomatik und weniger Symptome die Natur einer Diagnose nicht. Im Gegensatz zu einer alleinigen spezifischen Phobie verhält sich die Restsymptomatik einer PTBS anders. Bei Retraumatisierungen kommt es typischerweise wieder zu, über die spezifische Phobie hinausgehenden Symptomen, wie z.B. Albträumen oder Flashbacks, sodass die Umdeklarierung nicht nur das Wesen der Erkrankung verpasst, sondern auch mit zukünftigen weiteren auftretenden Problemen Schwierigkeiten entwickelt. Vollständig abgeklungen ist eine PTBS dann, wenn keine relevante Restsymptomatik mehr besteht. Insoweit ergeben sich keine relevanten Inkonsistenzen zu dem eigenen Gutachten. Allerdings hat L wichtige Grundsätze zur MdE-Beurteilung nicht diskutiert. In der Zusammenschau hat das Gutachten von L aber wiederum eine valide persistente psychische Störung bestätigt. Aggravation, Simulation oder negative Verzerrung spielten hier ebensowenig eine Rolle wie im Gutachten des H2.

Unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des G - auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. September 2021 - folgt der Senat nicht den Ausführungen des W1 in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen 22. Juni und 11. Oktober 2021. Das A-Eingangskriterium für die Diagnose einer PTBS ist erfüllt. G weist zu Recht darauf hin, dass W1 nicht erklärt, was ein „einfacher“ Hundebiss sein soll. Das DSM-5 sieht, entgegen den Ausführungen des W1, keine Lebens- oder Existenzbedrohung vor. Das erforderliche einschneidende Ereignis liegt vor. Schaut man sich Beispiele aus der Leitlinie zu qualifizierenden Ereignissen an, wie z.B. „körperliche Angriffe“ oder „Überfall auf einer Straße“, so kann man den Angriff und die Verletzung durch einen Hund zwanglos in diese Liste einordnen (Seite 20 der AWMF-Leitlinie). Ein solcher Angriff ist insofern aversiver, als es keine Möglichkeit gibt, in Dialog zu treten, die Unkontrollierbarkeit damit noch höher ist. Damit spricht alles dafür, dass die Klägerin in eine Situation geriet, in der sie sich einer schrecklichen Situation ausgesetzt sah und sich unzureichend wehren konnte. In der von G  durchgeführten Traumaanamnese ergaben sich auch eindeutige Hinweise auf eine als lebensgefährlich wahrgenommene Situation. Durchgreifende Zweifel an diesen Feststellungen bestehen nicht. Die Situation der Klägerin am 25. Mai 2014, einer 153 cm großen schlanken Person, ist mit der Feststellung eines Hundebisses nicht ausreichend beschrieben. Sie ist von einem Hund - einem Dogo Argentino - angefallen und mehrmals gebissen worden. Bei dem Dogo Argentino handelt es sich um einen großen Hund (60 bis 68 cm), der zwischen 35 und 45 kg wiegt  und in verschiedenen Bundesländern  - nicht in Thüringen - auf der Liste der gefährlichen Hunderassen steht (https://www.mein-haustier.de/hunderassen/dogo-argentino/). Die Klägerin wurde zunächst auf dem Grundstück von dem Hundehalter angeschrien und hat den Arm hochgehoben, um einen Biss in die Halskehle zu vermeiden. Für den Senat ist nachvollziehbar, dass es sich aus der Sicht der Klägerin um eine lebensbedrohliche Situation handelte.

Auch die weiteren spezifischen Symptome einer PTBS sind ebenfalls im medizinischen Äquivalent eines Vollbeweises gesichert. Das Wiedererleben im Sinne des B-Kriteriums ist erfüllt. Typische Merkmale sind nach ICD-10 (F 43.1) das wiederholte Aufleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen. Dieses Kriterium wird auch in DSM-5 übereinstimmend so beschrieben. Das Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von eindringlich und als belastend wahrgenommenen Erinnerungen, traumatischen Albträumen, dissoziativen Reaktionen oder markanten physiologischen Reaktionen, wenn die Klägerin einem Reiz ausgesetzt wird, welcher in Bezug zum traumatischen Erlebnis steht, sind ärztlicherseits nach dem Unfall dokumentiert und wurden auch von G in der Begutachtung festgestellt. Ebenfalls ist das C-Kriterium in Form eines Vermeidungsverhaltens zu bejahen. Hierunter ist übereinstimmend nach beiden Diagnosemanuals die anhaltende Vermeidung von Reizen zu verstehen, die mit dem traumatischen Ereignis verbunden sind und die nach dem traumatischen Ereignis begannen. Im CAPS Interview konnte der Sachverständige G das Vermeidungsverhalten nachweisen. Insgesamt stellte G eine über die Zeit rückläufige posttraumatische Belastungsstörung fest.

Dieses vollbeweislich gesicherte Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung ist auch hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückzuführen und deshalb als Unfallfolge anzuerkennen. Hinsichtlich der Kausalität des Unfallereignisses für die eingetretene Gesundheitsstörung in der Form der PTBS führt G aus, dass diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Konkurrierende Kausalitäten haben den Fall nicht geprägt. Berichte über weitere Belastungen (Krebserkrankung der Mutter, Rechtsstreit) haben keinen Stellenwert in dem Verfahren. Das Unfallereignis, welches im naturwissenschaftlichen Sinne objektiv wirksam geworden ist, war auch wesentlich für die Entstehung der posttraumatischen Belastungsstörung (2. Stufe).

Die auf der 2. Prüfungsstufe der Kausalität zu prüfende Wesentlichkeit einer Bedingung ist eine reine Rechtsfrage (vgl. zur Theorie der wesentlichen Bedingung BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R - juris Rn. 23 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung und Literatur). Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden und beantwortet sich nach dem Schutzzweck der jeweiligen Norm (grundlegend P. Becker, MED SACH 2007, 92; Spellbrink, MED SACH 2017, 51, 55). In die Bewertung fließt ein, ob die auf der ersten Stufe abschließend festgestellte faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der gesetzlichen Unfallversicherung verwirklicht hat. Ggf. hängt die Rechterheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012, B 2 U 9/11 R). Wesentlich ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. In dieser Abwägung ist vorliegend in dem Unfallereignis auch die wesentliche Bedingung für die Entstehung der PTBS zu sehen. Mit dem Erleiden des Hundebisses hat sich ein vom Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung umfasstes Risiko verwirklicht, welches die Entstehung der PTBS derart überragend geprägt hat, dass weitere Belastungen im Leben der Klägerin, sofern ihnen überhaupt ein Stellenwert zugeordnet werden kann, als unwesentlich erscheinen.

2. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 - B 2 U 9/20 R m.w.N., Rn. 14, nach juris). Die Entschädigung in der gesetzlichen Unfallversicherung wird von dem Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung beherrscht, der die konkrete Einkommenssituation der Betroffenen nicht berücksichtigt (BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 14/99 R, Rn. 29, nach juris). Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, das diese gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R, Rn. 16, nach juris). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R).

Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86, nach juris).

Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin (9. Aufl. 2017, Seite 169) ist für den Bereich der psychischen Störungen ebenfalls auf Funktionsstörungen und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen im Erwerbsleben abzustellen. Bei retrospektiver Einschätzung der MdE müssen auch für den relevanten Zeitpunkt des Rentenbeginns entsprechende Befunde gesichert sein. Die festgestellten Störungen sind auch nach Art und Ausmaß bzw. Schweregrad zu konkretisieren. In Bezug auf das erwerbsrelevante (Rest-) Leistungsvermögen sind drei Dimensionen maßgebend und jeweils zu bewerten: psychisch-emotionale, sozialkommunikative und körperlich-funktionelle Beeinträchtigungen. Auch für den Bereich der psychischen Störungen haben sich Eckwerte für die MdE-Bewertung entwickelt. Diesen kommt nicht die Qualität anerkannter „allgemeiner Erfahrungswerte“ zu, da sie (noch) keine wiederkehrende Anwendung, Anerkennung bzw. Akzeptanz sowohl von Sachverständigen, Gerichten und Unfallversicherungsträgern erfahren haben. Die veröffentlichten MdE-Werte sind als - ohne nähere Begründung nicht übernehmbare - Einzelmeinungen einzuordnen. Nach der dortigen Tabelle (Seite 170) ist eine PTBS mit einem unvollständig ausgeprägten Störungsbild (Teil- oder Restsymptomatik) mit einer MdE bis zu 20 v.H., das üblicherweise zu beobachtende Störungsbild, geprägt durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größeren sozial-kommunikativen Beeinträchtigungen mit bis zu 30 v.H. zu bewerten.

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin ab dem 9. März 2015 bis zum 30. April 2017 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. und ab dem 1. Mai 2017 bis heute in Höhe von 20 v.H. hat.

Der Senat folgt insoweit den überzeugend begründeten Einschätzungen des G in seinem Gutachten. Danach geht die oben bereits zitierte dimensionsbasierte Bewertung auf die „Vorschläge zur MdE-Einschätzung bei psychoreaktiven Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung“ (Förster et al, MedSach, 02/2007, Seite 52 bis 56) zurück und ist unabhängig von der Diagnose. Die psychisch-emotionale Dimension umfasst nach Förster 2007 das „innere Erleben“, „z.B. Beeinträchtigungen durch Ängste, […] depressive Kognitionen“, d.h. depressive Gedanken. In dieser Ebene hat die Klägerin nun vorwiegend Ängste, negative Gefühle bei Exposition, Schreckhaftigkeit. Diese ist als mittelgradige Einschränkungen nach ICF-Gesichtspunkten zu bewerten. Im Rahmen der sozial-kommunikativen Dimension (Störungen der sozialen Interaktion und damit z.B. sozialer Rückzug, Gereiztheit und Misstrauen) bestehen durch Vermeidungsverhalten und Hypervigilanz ebenfalls mittelgradige Einschränkungen nach ICF -Gesichtspunkten. In der körperlich-funktionellen Dimension bestehen bei der Klägerin dagegen keine Einschränkungen. Insgesamt besteht nach der aktuellen MdE-Tabelle daher bis zu einem halben Jahr nach dem Gutachten des H2 vom 26. Oktober 2016 eine MdE von 30  v.H. im psychischen Bereich durch das Unfallereignis. Danach ist aufgrund der von G beschriebenen rückläufigen Symptomatik der PTBS, die MdE mit 20 v. H. einzuschätzen. Es handelt sich um das üblicherweise zu beobachtende Störungsbild, geprägt durch emotionale Reaktionen und Ängste mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Es spricht mehr dafür als dagegen, die MdE ab 1. Mai 2017 mit 20 v.H. nach den Richtwerten zu bemessen. Die Klägerin konnte wieder arbeiten, ist tätig, hat trotz der PTBS auch in großen Teilen inzwischen einen regelrechten Alltag. Andererseits ist die Störung aber so beeinträchtigend, dass eine MdE von 10 v.H. deutlich zu wenig wäre. Ein Rückgang der Symptomatik über die Jahre wurde von ihr selbst berichtet. Insoweit ist die MdE bis zu einem halben Jahr nach dem Gutachten des H2 vom 26. Oktober 2016, d.h. bis zum 30. April 2017 mit 30 v.H. zu bemessen und danach auf 20 v. H., um dem Krankheitsverlauf gerecht zu werden. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen auf unfallchirurgischem Fachgebiet begründen nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Sachverständigen keine Erhöhung der MdE.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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