S 16 AY 62/21 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AY 62/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 28/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss


Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt. 
 
Eine Kostenerstattung findet nicht statt. 

 
G r ü n d e 

Der am 14. Juli 2021 bei Gericht eingegangene Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer noch verfolgten Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin vom 13.07.2021 gegen die faktische Leistungsgewährung ab 01.04.2021 (Az.: XXX1) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in gesetzlicher Höhe ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren ist jedenfalls unbegründet. 
 
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerseite vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Nach § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 938, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) sind sowohl Anordnungsgrund, als auch Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. 
 
Die Antragstellerin hat hinsichtlich ihres Begehrens, den Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu verpflichten jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dabei lässt es die Kammer ausdrücklich dahinstehen, ob für die hier geltend gemachte Zeit vor der Antragstellung bei Gericht einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurde. Hierauf kommt es mangels Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches für die hier zu treffende Entscheidung im Ergebnis nicht an. 

Der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches – und damit einem Anspruch auf Gewährung der von der Antragstellerin begehrten höheren Leistungen - für die Zeit vom 1. April 2021 bis zum 31. August 2021 steht schon der bestandskräftig gewordene Bescheid des Antragsgegners vom 16. März 2021 entgegen. Die Entscheidung des Antragsgegners ist zwischenzeitlich auch für die Antragstellerin bindend geworden (vgl. § 77 SGG), so dass ein entsprechender Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen auch im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. HessLSG, Beschl. v.  24.04.2006, - L 9 AS 39/06 ER -; Juris).  

Hieran ändert auch der hinsichtlich der Leistungseinschränkung gestellte Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), welcher zwischenzeitlich durch den Antragsgegner abgelehnt wurde und nach Durchführung des Widerspruchverfahrens bei der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen S 16 AY 3 / 22 im Klageverfahren weiterverfolgt wird, nichts. Die Stellung eines solchen Antrages durchbricht die Bestandskraft des Bescheides, auf dessen Abänderung der Antrag zielt, noch nicht. Diese ist daher grundsätzlich (zunächst weiterhin) zu beachten. Dies gilt auch für die erkennende Kammer. Zur Wahrung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz [GG]) ist in dieser Situation zwar grundsätzlich auch der Erlass einer an einen Überprüfungsantrag anknüpfende einstweiligen Anordnung möglich (vgl. HessLSG, Beschl. v. 6. September 2021 – L 6 AS 381/21 B ER –, Rn. 50, juris; m w. N.). Insoweit handelt es sich allerdings verfahrensrechtlich um einen anderen Streitgegenstand, der grundsätzlich in einem neuen Verfahren geltend zu machen wäre, wenn er nicht zum Gegenstand des laufenden Verfahrens gemacht wird. Ob dies vorliegend durch den entsprechenden Vortrag des anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin ohne entsprechende Antragstellung geschehen ist, kann jedoch nach Auffassung der Kammer dahinstehen, nachdem die weiteren Voraussetzungen einer an ein Abänderungsverlangen anknüpfenden einstweiligen Anordnung (vgl. hierzu Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86b Rn. 340) nicht vorliegen. Denn eine an einen Überprüfungsantrag sich anschließende einstweilige Anordnung ist nur in Ausnahmefällen bei offensichtlicher oder sich jedenfalls deutlich aufdrängender Rechtswidrigkeit und bei herausgehobener Dringlichkeit möglich (vgl. HLSG, a.a.O. m.w.N.). Dies ist jedoch im Falle der Antragstellerin weder vorgetragen, noch ersichtlich. Es drängt sich zunächst nicht auf, dass der leistungseinschränkende Bescheid vom 16. März 2021, welche im Verfahren nach § 44 SGB X zur Überprüfung gestellt wurde, in tatsächlicher Hinsicht rechtswidrig ist. Die Antragstellerin konnte insoweit hinreichende Bemühungen zur Passbeschaffung nach der Überzeugung der Kammer nicht nachweisen. Die Vorlage einiger E-Mails an Vertrauensanwälte und eines von ihr aufgenommenen Fotos vor der Eingangstür des Konsulats genügen insoweit nicht, um die Kammer von hinreichenden Bemühungen zu überzeugen. Gerade letzteres ist vom Zeitpunkt der Aufnahme her vollkommen beliebig und damit nicht im Ansatz geeignet, Passbeschaffungsbemühungen nachzuweisen. Außer dem Foto vor der Eingangstür des Konsulats sind darüber hinaus Bemühungen der Antragstellerin, unmittelbaren Kontakt mit dem Konsulat aufzunehmen, weder vorgetragen, noch ersichtlich. Darüber hinaus ist in rechtlicher Hinsicht die Verfassungswidrigkeit von § 1a Abs. 3 AsylbLG keinesfalls geklärt. Insoweit wird auf den Hinweis des Antragsgegners zu Entscheidung des Bundesverfassungsrecht vom 12. Mai 2021 (1 BvR 2682/17; Schriftsatz des Antragsgegners vom 3. September 2021) Bezug genommen, auch wenn diese Entscheidungen zu einer älteren Fassung der Norm erging. 
 
Für die Zeit ab dem 1. September 2021 begehrt die Antragstellerin, nachdem die Leistungseinschränkung aufgrund des Bescheids vom 16. März 2021 mit Ablauf des August 2021 beendet wurde und der Antragstellerin nunmehr Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG unter Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 erbracht werden, die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Beachtung der Regelbedarfsstufe 1. Auch insoweit hat die Antragstellerin jedoch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin steht insoweit ein im Wege des einstweiligen Rechtschutzes durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen durch den Antragsgegner nicht zu. 

Die Antragstellerin erfüllt zunächst nicht die Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 S. 1 AsylbLG. Danach sind abweichend von den §§ 3, 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Antragstellerin hat jedoch – ausgehend von dem oben darstellten Fehlverhalten – nicht nachgewiesen, dass sie die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Die Antragstellerin wurde nach der Mitteilung der Ausländerbehörde des Antragsgegners an die Leistungsabteilung nach dem AsylbLG schon im Jahr 2020 aufgefordert, bei der Passbeschaffung mitzuwirken und ist dem nach der entsprechenden Bescheinigung von 29. Januar 2021, welcher die Antragstellerin im hiesigen Verfahren nicht entgegengetreten ist, nicht nachgekommen (vgl. Behördenakte des Antragsgegners Bl. 2 / 41). Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, aus der weiteren Behördenakte des Antragsgegners ergäbe sich ihre Mitwirkung, bezieht sich dies erkennbar auf einen deutlich späteren Zeitpunkt, nämlich beginnend mit dem Februar 2021 und damit ein Jahr nach der ersten hier vorliegenden Aufforderung zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung. Insoweit schließt sich die Kammer der Rechtsprechung des BSG an, wonach eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer schon dann vorliegt, wenn bei generellabstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann und schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG weder durch Zeitablauf noch durch späteres Wohlverhalten des Ausländers bewirkt werden kann, dass Analogleistungen zu gewähren sind (BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2; zuletzt BSG vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - SozR 4-3520 § 2 Nr 8 RdNr 17; vgl auch BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - RdNr 14). Mit den Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass die Antragstellerin vollziehbar ausreisepflichtig und aufgrund §§ 3, 60b des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG -) zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung verpflichtet ist. Nachdem die Antragstellerin dieser Verpflichtung nach den Erkenntnissen der Kammer mehr als ein Jahr nicht nachgekommen ist ohne dass sich hierfür ein nachvollziehbarer Grund erkennen lässt, ist insoweit von der einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten im oben genannten Sinne auszugehen. 
 
Letztlich hat die Antragstellerin auch keinen Anspruch darauf, den Antragsgegner zur Erbringung von Leistungen unter Beachtung der Regelbedarfsstufe 1 zu verpflichten. Dies unabhängig davon, ob sich die Leistungsberechtigung der Antragstellerin insoweit aus § 2 AsylbLG oder §§ 3, 3a AsylbLG ergibt. Dem stehen die eindeutigen gesetzlichen Regelungen entgegen, von welchen die Kammer im Fall der Antragstellerin keine Möglichkeit der Abweichung erkennen kann. Nach § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. AsylbLG findet § 28 SGB XII in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 SGB XII auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird. Nach § 3a Abs. 1 S. 1 Nr. 2b AsylbLG beträgt der notwendige Bedarf nach § 3 Abs. 1 S. 1 mit Ausnahme der Bedarfe für Unterkunft, Heizung, Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie, wenn dieser vollständig durch Geldleistungen gedeckt, für erwachsene Leistungsberechtigte je 182 Euro, wenn sie nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind. Als in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebrachte alleinstehende Person erfüllt die Antragstellerin die Voraussetzungen beider Normen für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2, so dass diese nach dem Gesetzeswortlaut für die Bedarfsermittlung zugrunde zu legen ist. 

Die erkennende Kammer sieht sich an den eindeutigen Wortlaut der zuvor genannten Vorschrift gebunden. Zu einer anderen Entscheidung gelangt die Kammer auch nicht aufgrund der umfangreich in diversen Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen. Trotz dieser Bedenken vermag sich die Kammer im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht über den Wortlaut des Gesetzes hinwegzusetzen und sieht keine Möglichkeit, eine Verpflichtung zur Erbringung höherer Leistungen nach den AsylbLG an die Antragstellerin aufgrund einer erweiternden verfassungskonformen Auslegung der Norm bzw. der Normsystematik auszusprechen. Die dafür erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit mit der Verpflichtung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht aufgrund des dort bestehenden Verwerfungsmonopols (vgl. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) und der gegebenen faktischen Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. dazu im Einzelnen: SG Darmstadt, Beschl. v. 14. Januar 2020, - S 17 SO 191/19 ER -; Juris, Rnr. 77), konnte sich die Kammer in dem auf eine vorläufige Leistungsgewährung ausgerichteten Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht bilden. Insoweit schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 9. Juli 2020 (L 8 AY 52/20 B ER; Juris) zur Vorschrift des § 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG an. Dort heißt es: 
„Die Vereinbarkeit der Leistungsbemessung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) wird - gemessen an den prozeduralen Vorgaben durch die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. im Einzelnen BVerfG, 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris Rn. 133-139) in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.6.2020 - L 9 AY 22/19 B ER - juris Rn. 18 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.5.2020 - L 15 AY 14/20 B ER, L 15 AY 15/20 B ER PKH - juris Rn. 15 ff.; SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 B ER - juris Rn. 53 ff.; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 - S 53 AY 107/19 - juris Rn. 6 ff.; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.1.2020 – S 30 AY 26/19 ER - juris Rn. 16 ff.; SG München, Beschluss vom 10.2.2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris Rn. 53 ff.; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 42 ff.). 
Die Vermutung des Gesetzgebers von Synergieeffekten ohne weitere Anforderungen in objektiver oder subjektiver Hinsicht sei zweifelhaft (Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 41 ff. m.w.N.). Dies sei nach Sinn und Zweck der Norm sowie aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen sehr problematisch, weil eine pauschale (prozentuale) Ableitung der Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts – etwa wie bei Partnern oder Kindern bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres – bislang eine familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft als Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen voraussetzt. Synergieeffekte seien empirisch nicht belegt. Die Annahme einer Schicksalsgemeinschaft sei nicht plausibel. Vor diesem Hintergrund wird teilweise eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften befürwortet, nach der die Anwendung der Bedarfsstufe 2 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in einer Sammelunterkunft Untergebrachten voraussetzt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.6.2020 - L 9 AY 22/19 B ER - juris Rn. 19; SG Berlin, Beschluss vom 19.5.2020 - S 90 AY 57/20 ER - juris Rn. 28 ff. - zumindest während der Covid-19- Pandemie; SG Landshut, Beschluss vom 28.1.2020 - S 11 AY 3/20 ER - juris Rn. 63 ff.; SG München, Beschluss vom 10.2.2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris Rn. 56 f.; vgl. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 44). 
Eine verfassungskonforme Auslegung gehört zwar zu den anerkannten Auslegungsmethoden und ist insbesondere betreffend das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG höchstrichterlich anerkannt (vgl. etwa BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL - Seite 10 von 11 - 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - juris Rn. 116, 125, 132; BSG, Urteil vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - juris Rn. 40; BSG, Urteil vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R - juris Rn. 22 ff.; vgl. zuletzt auch Senatsurteil vom 26.9.2019 - L 8 AY 70/15 - juris Rn. 35). Wegen des Wortlautes der gesetzlichen Regelungen und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften ein eigenständiges Leistungsniveau einzuführen, sieht sich der Senat jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren an einer Auslegung gehindert, nach der die Bedarfsstufe 2 gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen voraussetzt. Die Vorschriften stellen - in Abgrenzung zu einem Leben in einer Wohnung - auf eine gemeinschaftliche Unterbringung ab, ohne dass sie eine gemeinschaftliche Haushaltsführung voraussetzen. Selbst bei Annahme eines solch (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals würde in diesen Fällen eine (direkte) Anwendung der Bedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG gleichwohl problematisch sein, weil die Betroffenen nicht - wie es die Normen aber voraussetzen - in einer Wohnung i.S. des § 8 Abs. 1 RBEG leben, sondern - nach wie vor - in einer Sammelunterkunft (hier Gemeinschaftsunterkunft). Mit dem seit 2017 geltenden RBEG hat sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Regelbedarfsstufen auch bewusst von der Anknüpfung an eine eigene Haushaltsführung verabschiedet, weil in der Vergangenheit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei, dass es für die Bestimmung der maßgeblichen Regelbedarfsstufe auf die Tragung der haushaltsbezogenen Verbrauchsausgaben ankommen solle (vgl. nur BT-Drs. 18/9984, S. 84, insb. in Abgrenzung zu der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung der Regelbedarfsstufe 3, BSG, Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - juris, Rn. 16 ff.). Nach der Gesetzesbegründung zu § 3a AsylbLG setzt der Gesetzgeber für die Anwendung der Bedarfsstufe 2 für in Sammelunterkünften Untergebrachte auch nicht unbedingt tatsächliche Einspareffekte voraus, sondern nur die Möglichkeit, dass sie „zumutbar“ zu erzielen sind. Die Untergebrachten treffe insoweit die „Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen“ (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 24). In systematischer Hinsicht liegt es - vom Gesetzgeber unausgesprochen - zudem nahe, dass die Bedarfsstufe 2 nach § 3a AsylbLG an die Regelungen in § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 RBEG i.V.m. § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (in der seit 1.1.2020 geltenden Fassung vom 30.11.2019, BGBl. I 1948) anknüpfen, nach denen Beziehern von Eingliederungshilfe, denen neben persönlichem Wohnraum zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassen werden, ebenfalls (nur) ein gegenüber der Regelbedarfsstufe 1 um 10 % reduzierter Regelsatz zustehen soll. Auch bei dieser Wohnform werden Haushaltsersparnisse unterstellt, ohne dass eine gemeinschaftliche Haushaltsführung ausdrücklich vorausgesetzt wird (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 88). 
Ob der Gesetzgeber bei der Bemessung der lebensunterhaltssichernden Geldleistungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) richtig erfasst und auch im Übrigen die Vorgaben der Rechtsprechung des BVerfG an ein inhaltlich transparentes und sachgerechtes Verfahren folgerichtig ausgerichtet nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf, also realitätsgerecht, beachtet hat, ist zwar in besonderer Weise zweifelhaft. Gleichwohl sieht sich der Senat wegen der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehindert, in einem gerichtlichen Eilverfahren unter Außerachtlassung der gesetzlichen Vorschriften die vorläufige Gewährung höherer Leistungen zuzusprechen (vgl. hierzu bereits Beschluss vom 24.11.2011 - L 8 AY 102/11 B ER -). Die Konkretisierung des Grundrechts auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Beschluss vom 30.10.2010 - 1 BvR 2037/10 - juris).“ 

Nach Auffassung der Kammer sind diese überzeugenden Ausführungen uneingeschränkt auf die Regelung des § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG wegen des identischen Regelungsinhaltes übertragbar, auch wenn die Differenz zwischen der Regelbedarfsstufe 1 und der Regelbedarfsstufe 2 um einige Euro höher ist, als vom LSG Niedersachsen-Bremen für den Bereich des § 3a AsylbLG errechnet.  

Insgesamt ist die Kammer daher nicht im erforderlichen Umfang davon überzeugt, dass die vom Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. September 2019 eingeführte Neuregelungen in den oben genannten Vorschriften als verfassungswidrig anzusehen ist. Für die Kammer kommt – wie oben ausgeführt – daher weder eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung höherer Leistung entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes, noch eine Aussetzung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG in Betracht. 

Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung höherer Leistungen ergibt sich insoweit auch nicht aus einem Anspruch auf Gleichbehandlung aufgrund einer Anwendung der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL). Die Antragstellerin unterfällt nach Art. 3 Abs. 1 AufnahmeRL nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Danach gilt diese Richtlinie für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen internationalen Schutz beantragen, solange sie als Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen, sowie für ihre Familienangehörigen, wenn sie nach einzelstaatlichem Recht von diesem Antrag auf internationalen Schutz erfasst sind. Als vollziehbar ausreisepflichtige Person darf sich die Antragstellerin nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben. Insoweit wird auf den durch die Antragstellerin vorgelegten Beschluss des VG Frankfurt am Main vom 12. Oktober 2018 Bezug genommen, mit welchem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den den Asylantrag der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet ablehnenden Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der Abschiebungsandrohung abgelehnt wurde. Die vollziehbare Ausreisepflicht schließt nach der Überzeugung der Kammer die Anwendung der AufnahmeRL aus. Dass die Antragstellerin über eine Duldung verfügt, änderten nichts an ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht und der Nichtanwendbarkeit der AufnahmeRL. 
 
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG
 

Rechtskraft
Aus
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