Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind als höchstpersönliche Ansprüche grundsätzlich nicht vererblich.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. März 2021 aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. Januar 2017 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.
G r ü n d e :
I
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Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der teilweisen Aufhebung der Bewilligung von Alg II für die Zeit von Mai bis Oktober 2013 sowie der Erstattungsforderung des Beklagten iHv je 40,40 Euro für Mai und Juni 2013.
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Die 1961 geborene und am 31.8./1.9.2021 verstorbene ledige und kinderlose Leistungsberechtigte, die Tochter des Klägers, bezog im streitgegenständlichen Zeitraum Unfallrenten der Unfallkasse Sachsen und der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (bis Juni 2013 jeweils iHv 86,26 und 87,41 Euro monatlich, ab Juli 2013 jeweils iHv 89,10 und 90,29 Euro monatlich). Der Beklagte bewilligte ihr für die Zeit vom 1.4.2013 bis 31.10.2013 Alg II iHv monatlich 586,04 Euro (Bescheid vom 20.3.2013). Auf ihren monatlichen Gesamtbedarf von 719,31 Euro (382 Euro Regelbedarf und 337,31 Euro Bedarfe für Unterkunft und Heizung) rechnete er die Renteneinkünfte ‑ bereinigt um die allgemeine Versicherungspauschale von 30 Euro und einen Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung iHv 10,40 Euro ‑ an.
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Nachdem die Leistungsberechtigte die Aufnahme einer Tätigkeit ab 1.5.2013 in einem Kirchgemeindearchiv mit einer wöchentlichen Anwesenheit von 15 Stunden und Fahrtkostenersatz iHv 154 Euro sowie eine Änderung der Rentenhöhe ab 1.7.2013 mitgeteilt hatte, hob der Beklagte den Bescheid vom 20.3.2013 für die Zeit vom 1.5.2013 bis 31.10.2013 teilweise auf und verlangte die Erstattung überzahlter Leistungen für Mai und Juni 2013 iHv insgesamt 80,80 Euro (Bescheid vom 27.6.2013). Er bewilligte weiterhin Alg II unter bedarfsmindernder Berücksichtigung der Renteneinkünfte, jedoch ohne Abzug der Versicherungspauschale und des Beitrags zur Kfz‑Haftpflichtversicherung. Das Einkommen iHv 154 Euro bereinigte er um den erhöhten Freibetrag für nach dem EStG steuerfreie ehrenamtliche Tätigkeiten (§ 11b Abs 2 Satz 3 SGB II), sodass es nicht zur Anrechnung kam. Ab Juli 2013 berücksichtigte er das geänderte Renteneinkommen.
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Während des laufenden Widerspruchsverfahrens änderte der Beklagte die Bescheide vom 20.3.2013 und 27.6.2013 für die Zeit vom 1.8.2013 bis 31.10.2013 aufgrund geänderter Bedarfe für Unterkunft und Heizung ab (Bescheid vom 2.8.2013). Auch gegen diesen Bescheid erhob die Leistungsberechtigte Widerspruch. Der Beklagte wies den Widerspruch gegen beide Bescheide als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.5.2014).
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Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 27.1.2017). Das LSG hat auf die Berufung der Leistungsberechtigten mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als sog konsentierten Einzelrichter entschieden. Es hat das Urteil des SG abgeändert und die Bescheide des Beklagten aufgehoben, soweit vom Renteneinkommen kein Freibetrag von 40,40 Euro monatlich für den Zeitraum vom 1.5.2013 bis 31.10.2013 angerechnet und die Erstattung von 80,80 Euro verlangt worden ist (Urteil vom 1.3.2021). Die Revision hat es nicht zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, auch wenn beim Zusammentreffen mehrerer Einkommensarten Absetzbeträge vom Einkommen grundsätzlich nur ein Mal zu berücksichtigen seien, gelte dies nicht, wenn wie hier privilegiertes Einkommen aus Ehrenamt nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II und nicht privilegiertes Einkommen aus Renten zusammenträfen. In derartigen Fällen sei eine gesonderte Einkommensbereinigung je Einkommensart vorzunehmen. Deshalb seien von den Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit der erhöhte Grundfreibetrag von 200 Euro sowie daneben vom Renteneinkommen die Versicherungspauschale und der Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung abzuziehen.
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Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte Verfahrensfehler. Der Berichterstatter hätte nicht anstelle des Senats entscheiden dürfen. Bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung wie im vorliegenden Fall sei eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG regelmäßig ausgeschlossen. Zudem macht der Beklagte eine Verletzung des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II geltend. Vom pauschalen Grundfreibetrag von 200 Euro gemäß § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II seien die Versicherungspauschale sowie der Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung bereits erfasst, sodass sie nicht nochmals beim Renteneinkommen in Abzug zu bringen seien.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 1. März 2021 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. Januar 2017 zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
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Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zwar liegt der gerügte Verfahrensfehler nicht vor. Das LSG hat aber in der Sache zu Unrecht das Urteil des SG abgeändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben.
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1. Mit dem Tod der Tochter des Klägers im Revisionsverfahren ist auf Klägerseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Das Verfahren ist dadurch jedoch nicht unterbrochen worden (vgl § 202 SGG iVm § 239 ZPO). Die Leistungsberechtigte war durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten (§ 246 ZPO). Der Kläger führt den Rechtsstreit als Erbe seiner verstorbenen Tochter fort.
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Bescheide vom 27.6.2013 und 2.8.2013 (§ 86 SGG), beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.5.2014. Der Kläger verfolgt das Klagebegehren zutreffend im Wege der (reinen) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). In der Sache ist der Streitgegenstand wirksam auf höhere Leistungen für den Regelbedarf (einschließlich eventueller Mehrbedarfe) beschränkt (vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4‑4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 ff).
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3. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere ist durch den Tod der Leistungsberechtigten für den revisionsführenden Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis für das vorliegende Verfahren nicht entfallen. Er ist aus dem Urteil des LSG beschwert, das die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Pflicht der Leistungsberechtigten, 80,80 Euro zu erstatten, verneint hat. Ob dies zu Recht erfolgte und wie sich ggf der Tod der Leistungsberechtigten während des Revisionsverfahrens auf die geltend gemachten Ansprüche auswirkt, ist eine Frage des materiellen Rechts. Vergleichbares gilt für den Kläger, der das Verfahren als Alleinerbe nach seiner Tochter fortführt. Er berühmt sich des noch von seiner Tochter geltend gemachten Anspruchs auf höhere Leistungen als ihr Erbe, was genügt, um auch für ihn ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das vorliegende Verfahren zu bejahen. Ob und inwieweit ihm als Erbe der behauptete Anspruch tatsächlich zusteht, ist ebenfalls eine Frage des materiellen Rechts.
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Das Urteil des LSG ist zudem nicht wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs 3 und 4 SGG verfahrensfehlerhaft ergangen. Der Berichterstatter konnte trotz der vom BSG bejahten grundsätzlichen Bedeutung der Sache ermessensfehlerfrei als sog konsentierter Einzelrichter anstelle des Senats entscheiden.
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Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGG entscheidet das LSG grundsätzlich in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Abweichend hiervon kann gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG der Vorsitzende oder ‑ sofern bestellt ‑ der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden (sog konsentierter Einzelrichter). Voraussetzung dafür ist zum einen das ‑ hier vorliegende ‑ Einverständnis der Beteiligten. Darüber hinaus hat der Vorsitzende oder Berichterstatter mit Rücksicht auf die Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens pflichtgemäß darüber zu befinden, ob er von der besonderen Verfahrensweise einer Entscheidung nur durch einen Berufsrichter Gebrauch macht oder ob es aus sachlichen Gründen bei einer Entscheidung durch den gesamten Senat verbleiben muss.
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Die Ermessensentscheidung muss sich am Zweck der Regelung orientieren, zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung des LSG beizutragen, ohne den Anspruch der Beteiligten auf einen angemessenen Rechtsschutz zu vernachlässigen. Außerdem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass Sozialgerichte grundsätzlich als Kollegialgerichte ausgestaltet sind und den Entscheidungen eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr beigemessen wird. Deshalb sollen im Grundsatz nur solche Verfahren von einem Einzelrichter entschieden werden, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen (zusammenfassend BSG vom 7.8.2014 ‑ B 13 R 37/13 R ‑ RdNr 13 mwN). Daher ist ua bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter regelmäßig ausgeschlossen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter selbst einer zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst. Eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG ist auch dann unzulässig, wenn über eine Rechtssache zu befinden ist, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil eine Entscheidung nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat (vgl BSG vom 8.11.2007 ‑ B 9/9a SB 3/06 R ‑ BSGE 99, 189 = SozR 4‑1500 § 155 Nr 2, RdNr 22; BSG vom 7.8.2014 ‑ B 13 R 37/13 R ‑ RdNr 14 ff; BSG vom 6.9.2018 ‑ B 2 U 3/17 R ‑ RdNr 16; BSG vom 29.1.2019 ‑ B 2 U 5/18 R ‑ RdNr 14, 15).
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Ausnahmen hiervon sind in der Rechtsprechung des BSG ua für den Fall anerkannt, wenn ein Verfahren deshalb keine rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, weil einer ständigen Rechtsprechung gefolgt werden soll (vgl BSG vom 8.11.2007 ‑ B 9/9a SB 3/06 R ‑ BSGE 99, 189 = SozR 4‑1500 § 155 Nr 2, RdNr 22 mwN; BSG vom 31.8.2011 ‑ GS 2/10 ‑ BSGE 109, 81 = SozR 4‑1200 § 52 Nr 4, RdNr 8; BSG vom 2.5.2012 ‑ B 11 AL 18/11 R ‑ SozR 4‑4300 § 144 Nr 24 RdNr 14; BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - RdNr 20; BSG vom 12.12.2018 ‑ B 6 KA 50/17 R ‑ BSGE 127, 109 = SozR 4‑2500 § 95 Nr 35, RdNr 20, 21; BSG vom 29.1.2019 ‑ B 2 U 5/18 R ‑ RdNr 18).
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Eine solche Ausnahmekonstellation ist auch hier gegeben. Denn das LSG hat seine Entscheidung auf das Urteil des BSG vom 28.10.2014 (B 14 AS 61/13 R - SozR 4‑4200 § 11b Nr 6) zur Einkommensberechnung beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und von bei der Einkommensbereinigung privilegiertem steuerfreien Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit gestützt. Es hat keine Gründe gesehen, sonstiges Einkommen (hier: Unfallrenten) im Verhältnis zu privilegiertem Einkommen unterschiedlich zu behandeln und zugleich keine eigenen neuen Maßstäbe formuliert und angewandt, die von der in Bezug genommenen BSG-Rechtsprechung abweichen (dazu BSG vom 1.6.2022 ‑ B 3 KS 1/21 R).
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4. Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Monate Mai bis Oktober 2013 ist § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850; zur Maßgeblichkeit des im Zeitpunkt der Aufhebung geltenden Rechts vgl zuletzt BSG vom 14.5.2020 ‑ B 14 AS 10/19 R ‑ SozR 4‑4200 § 40 Nr 15 RdNr 10 mwN) iVm § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 SGB III. Rechtsgrundlagen für die Erstattungsforderung sind § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 50 SGB X. Grundlage für den der Leistungsbewilligung zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Anspruch auf Alg II bilden § 19 iVm §§ 7 ff SGB II (in der Fassung, die das SGB II durch das SEPA-Begleitgesetz vom 3.4.2013, BGBl I 610, erhalten hat; sog Geltungszeitraumprinzip).
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5. Ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X für die Monate Juli bis Oktober 2013 durch das Hinzutreten des Einkommens aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv eingetreten ist, kann offenbleiben. Denn ein für diese Monate allein behaupteter Anspruch der Leistungsberechtigten auf höhere SGB II-Leistungen ist als höchstpersönlicher Anspruch mit ihrem Tod erloschen. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können ihren Zweck, dem Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs 1 SGB II; § 1 Satz 1 SGB XII) grundsätzlich nur erfüllen, wenn sie dem Bedürftigen selbst zugutekommen und dem Zugriff Dritter entzogen sind. Damit ist ein möglicher Anspruch aber zugleich auch einem erbrechtlich begründeten Übergang entzogen. Die Leistung kann in der Person des Erben ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Sie diente im Ergebnis nur der Mehrung des ererbten Vermögens. Die Höchstpersönlichkeit eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II findet ihren Ausdruck auch in § 42 Abs 4 Satz 1 SGB II (eingeführt zum 1.8.2016 durch das Neunte Gesetz zur Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824), der das Verbot der Abtretung, Übertragung, Pfändung oder Verpfändung eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts festschreibt. Insoweit besteht auch normativ kein Unterschied zu Sozialhilfeansprüchen, die wegen ihrer höchstpersönlichen Natur (vgl § 17 Abs 1 Satz 2 SGB XII) in ständiger Rechtsprechung (vgl BSG vom 23.7.2014 ‑ B 8 SO 14/13 R ‑ BSGE 116, 210 = SozR 4‑3500 § 28 Nr 9, RdNr 12 unter Verweis auf BVerwG vom 5.5.1994 ‑ 5 C 43.91 ‑ BVerwGE 96, 18 zum BSHG) nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I im Grundsatz ebenfalls als nicht vererblich angesehen werden.
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Daher kann sich der Kläger auch nicht auf § 59 Satz 2 SGB I berufen, der grundsätzlich vorsieht, dass Ansprüche auf Geldleistungen ua dann nicht erlöschen, wenn schon zu Lebzeiten der Leistungsberechtigten ein Verwaltungsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Leistungshöhe anhängig war. Offenbleiben kann, ob ein Leistungsanspruch auch im Fall der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 SGB I) in der dem SGB II eigenen Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft erlischt. Anhaltspunkte dafür, dass eine solche zwischen dem Kläger und seiner Tochter im Todeszeitpunkt vorlagen, fehlen. Gleiches gilt für die Frage, ob die durch den Verweis in § 42 Abs 4 Satz 2 SGB II auf § 53 Abs 2 SGB I angelegten und in der Rechtsprechung zur Sozialhilfe aus Gründen effektiven Rechtsschutzes für zulässig erachteten Fallkonstellationen der Vererblichkeit existenzsichernder Leistungsansprüche (dazu im Einzelnen BSG vom 23.7.2014 ‑ B 8 SO 14/13 R ‑ BSGE 116, 210 = SozR 4‑3500 § 28 Nr 9, RdNr 12) auch im SGB II Anwendung finden.
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6. Ein Anspruch auf Rücknahme der angefochtenen Bescheide besteht auch nicht, soweit für die Monate Mai und Juni 2013 die Erstattung von je 40,40 Euro verlangt worden ist. Denn der Beklagte hat im Ergebnis zutreffend entsprechend geringere Leistungen bewilligt und die Erstattung überzahlter Leistungen verlangt (dazu sogleich). Der Tod der Leistungsberechtigten hat die bestehende Schuld gegenüber dem Beklagten auch nicht entfallen lassen. Vielmehr haftet der Kläger als ihr Erbe (§ 1922 BGB) dafür als Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB).
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7. Gemäß § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn mit dem Hinzutreten des Einkommens aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv ab Mai 2013 war das Einkommen der Leistungsberechtigten aus den Unfallrenten nicht mehr um die Versicherungspauschale und den Beitrag zur Haftpflichtversicherung zu bereinigen. Folglich sind für Mai und Juni 2013 jeweils jedenfalls um 40,40 Euro zu hohe Leistungen gezahlt worden (dazu im Einzelnen unter 8.).
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a) Die 1961 geborene, erwerbsfähige und alleinlebende Leistungsberechtigte hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erfüllte die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II für den Bezug von Alg II. Sie war auch hilfebedürftig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II), da sie auch unter Berücksichtigung ihres Einkommens nicht in der Lage war, ihren Lebensunterhalt (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung, im Mai und Juni 2013 iHv 719,31 Euro monatlich) vollständig zu decken. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG verfügte sie auch nicht über einzusetzendes Vermögen.
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b) Bei der Bemessung des Alg II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen (§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 13.5.2011). Danach sind neben den Renteneinkünften aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch die als monatlicher Aufwandsersatz vereinbarte Fahrtkostenpauschale iHv 154 Euro aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv als Einkommen zu berücksichtigen, weil sie von keinem der Ausnahmetatbestände des § 11a SGB II erfasst werden.
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c) Von dem Einkommen sind die Beträge des § 11b SGB II (in der ab 1.1.2013 gültigen Fassung des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vom 21.3.2013, BGBl I 556) abzusetzen. Erzielen erwerbsfähige Leistungsberechtigte Einnahmen aus Erwerbstätigkeit, ist nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II anstelle der Beträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II ein Betrag von 100 Euro monatlich bzw unter den Voraussetzungen des § 11b Abs 2 Satz 2 SGB II auch ein höherer Betrag abzusetzen. Erhält eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, die nach § 3 Nr 12, 26, 26a oder 26b EStG steuerfrei sind, gelten gemäß § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass ua an die Stelle des Betrags von 100 Euro monatlich der Betrag von 200 Euro tritt (sog erhöhter Grundfreibetrag). Insoweit handelt es sich bei der Vorschrift des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II um eine Rechtsgrundverweisung auf die Normen des Steuerrechts (vgl BSG vom 21.7.2021 ‑ B 14 AS 29/20 R ‑ zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE 132, 187 = SozR 4‑4200 § 11b Nr 13, RdNr 17 mwN).
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8. Da der Streitgegenstand des Revisionsverfahrens, ausgehend von den angefochtenen Entscheidungen, auf die Erstattung von 80,80 Euro begrenzt ist und unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv mindestens monatlich 40,40 Euro zu hohes Alg II gezahlt worden ist, kann im Ergebnis offenbleiben, ob die Beteiligten ‑ übereinstimmend ‑ zutreffend von einer steuerprivilegierten ehrenamtlichen Tätigkeit iS des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II ausgegangen sind. Eine im Sinne der steuerrechtlichen Privilegierungsregelung nebenberufliche Tätigkeit hätte nämlich nur vorgelegen, wenn sie nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeit-Erwerbstätigen beanspruchte (vgl BSG vom 21.7.2021 ‑ B 14 AS 29/20 R ‑ zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE 132, 187 = SozR 4‑4200 § 11b Nr 13, RdNr 23); bei einer 40‑Stundenwoche (vgl zB § 6 Abs 1 Satz 1c des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12.10.2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr 7 vom 9.3.2013 für das Tarifgebiet Ost) wären danach nur Tätigkeiten bis zu 13 Stunden wöchentlich als nebenberuflich anzusehen gewesen (vgl Tormöhlen in Korn, EStG, § 3 Nr 26 RdNr 5, Stand Mai 2021).
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a) Hätte die Leistungsberechtigte aus einer Tätigkeit Einkommen erzielt, das nach § 3 Nr 26a EStG steuerfrei war (ein anderer, von § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II in Bezug genommener Tatbestand des § 3 EStG kommt angesichts der ausgeübten Archivtätigkeit nicht in Betracht), hätte der Beklagte ohne Rechtsfehler das Renteneinkommen der Leistungsberechtigten wegen des Zusammentreffens mit steuerprivilegierten Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit im Mai und Juni 2013 nicht um die Beiträge zu der gesetzlich vorgeschriebenen Kfz-Haftpflichtversicherung iHv 10,40 Euro sowie um die allgemeine Versicherungspauschale iHv 30 Euro (§ 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II‑V) bereinigt. Denn beide Absetzpositionen sind bereits im pauschalen Absetzbetrag vom Ehrenamtseinkommen nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II (als Rechenposten) enthalten.
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Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II, wonach "an die Stelle" des in § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II genannten Betrags von 100 Euro monatlich der Betrag von 200 Euro monatlich tritt. Da § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II wiederum Erwerbseinkommen dadurch privilegiert, dass "anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5" der Erwerbstätigengrundfreibetrag von 100 Euro abzusetzen ist, macht diese doppelte Bezugnahme deutlich, dass ‑ auch ‑ der erhöhte Grundfreibetrag von 200 Euro nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II die Beträge nach Satz 1 Nr 3 bis 5 umfasst, also nicht neben diese tritt.
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Diesem Auslegungsergebnis stehen Sinn und Zweck der mit § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II gewollten Privilegierung von Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit nicht entgegen. Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst nur diskutiert worden, ob überhaupt eine Regelung erforderlich sei, um Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit wie Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu privilegieren. Erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses wurde § 11b Abs 2 SGB II um einen im Vergleich zum Grundfreibetrag bei Erwerbseinkommen höheren Freibetrag und eine niedrigere Nachweisgrenze für besondere steuerfreie Einkünfte ergänzt. Dies belegt die Absicht des Gesetzgebers, die Einkünfte aus Ehrenamt stärker zu privilegieren als Erwerbseinkünfte und trägt dem gesetzgeberischen Anliegen Rechnung, die gesellschaftspolitisch wünschenswerte Wahrnehmung von ehrenamtlichen Aufgaben durch SGB II-Leistungsberechtigte auch wegen der damit verbundenen möglichen Verbesserung ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt anzuerkennen (vgl dazu im Einzelnen BSG vom 28.10.2014 ‑ B 14 AS 61/13 R ‑ SozR 4‑4200 § 11b Nr 6 RdNr 15 ff). Die mit § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II angestrebte Privilegierung von Einkommen aus Ehrenamt bleibt aber erhalten, wenn weiteres Einkommen nur um solche Absetzbeträge bereinigt wird, die unter § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 bzw 6 bis 8 SGB II fallen, also nicht bereits vom erhöhten Freibetrag nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II mit umfasst sind. Einkommen aus Ehrenamt löst auch in dieser Fallkonstellation im Grundsatz ab dem ersten Euro den erhöhten Grundfreibetrag aus.
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Soweit beim Zusammentreffen von Einkommen aus Erwerbstätigkeit und aus Ehrenamt ausgeführt worden ist, im Grundsatz seien Absetzbeträge nach § 11b Abs 2 SGB II für jede Tätigkeit gesondert anzusetzen und könnten nebeneinander Anwendung finden (BSG vom 28.10.2014 ‑ B 14 AS 61/13 R ‑ SozR 4‑4200 § 11b Nr 6 RdNr 14 ff), führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn in der Sache ist auch dort eine doppelte Berücksichtigung von Absetzbeträgen durch das Verständnis der Höhe des Ehrenamtsfreibetrags nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II als Freibetragsobergrenze vermieden worden. Der - pauschalierte - Erwerbstätigengrundfreibetrag iHv 100 Euro (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) geht insoweit im erhöhten Freibetrag nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II auf; in beiden sind die Absetzbeträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II enthalten und fallen in dem gemeinsamen, der Höhe nach begrenzten Freibetrag, zusammen (vgl dazu auch BSG vom 26.7.2016 ‑ B 4 AS 54/15 R ‑ SozR 4‑4225 § 1 Nr 3 für den Fall des Zusammentreffens von geringem Erwerbseinkommen und Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst).
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Angesichts der Höhe des Einkommens für das Kirchgemeindearchiv von 154 Euro und Absetzbeträgen von 40,40 Euro monatlich muss nicht entschieden werden, wie zu verfahren wäre, lägen die konkreten Absetzbeträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II höhenmäßig über dem (erhöhten) Grundfreibetrag (vgl zu dieser Überlegung beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Alg nach dem SGB III BSG vom 13.7.2022 ‑ B 7/14 AS 75/20 R - zur Veröffentlichung in BSG und SozR vorgesehen). Da auch eine Übertragung des nicht verbrauchten Freibetrags (Differenz zwischen 154 Euro und 200 Euro erhöhter Grundfreibetrag) auf die Renteneinkünfte ausscheidet (vgl BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4‑4200 § 11 Nr 66 RdNr 20 ff) und keine weiteren Aufwendungen festgestellt worden sind, die allein beim Renteneinkommen in Abzug zu bringen gewesen wären, hat der Beklagte im Ergebnis zutreffend das Einkommen aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv in vollem Umfang bei der Berechnung des der Leistungsberechtigten zustehenden Alg II berücksichtigt und deshalb zu Recht die Erstattung von insgesamt jedenfalls 80,80 Euro zu viel gezahltem Alg II verlangt.
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b) Hätte es sich beim Einkommen aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv hingegen nicht um eine privilegierte Ehrenamtstätigkeit gehandelt, sondern um Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder "sonstiges Einkommen", änderte sich am Ergebnis nichts. Auch dann wäre mit Bescheid vom 20.3.2013 zu hohes Alg II bewilligt und die Erstattung von insgesamt (mindestens) 80,80 Euro für Mai und Juni 2013 zu Recht verlangt worden.
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Von einem Erwerbseinkommen iHv 154 Euro (brutto für netto) wäre der Erwerbstätigengrundfreibetrag von 100 Euro nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II sowie ein weiterer Betrag von 10,80 Euro nach § 11b Abs 3 Satz 1, Satz 2 Nr 1 SGB II (20 % des 100 Euro übersteigenden Einkommens) in Abzug zu bringen gewesen. Die Frage der Absetzbarkeit der Versicherungspauschale und der Kfz-Haftpflichtversicherung von den Unfallrenten würde sich aber nicht anders beantworten lassen als beim Zusammentreffen mit Einkommen aus Ehrenamt. Denn der Erwerbstätigengrundfreibetrag umfasst, wie ausgeführt, die Absetzbeträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II, sodass diese bei den Unfallrenten nicht noch einmal zu berücksichtigen wären. Folglich wäre im Vergleich zu den angefochtenen Bescheiden ein um 43,20 Euro monatlich höheres Einkommen zu berücksichtigen gewesen (154 Euro minus 110,80 Euro). Entsprechend erhöht hätte sich damit auch die Erstattungsforderung. Nichts anderes gilt, handelte es sich beim Einkommen aus der Tätigkeit für das Kirchgemeindearchiv um "sonstiges" Einkommen. Angesichts der allein festgestellten Absetzbeträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 und 5 SGB II (10,40 Euro Kfz-Haftpflichtversicherung; 30 Euro Versicherungspauschale), die auch beim Zusammentreffen von sonstigem Einkommen mit dem Einkommen aus den Unfallrenten nur einmal einkommensmindernd anzurechnen sind, wäre folglich ein monatlich noch höheres Einkommen bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen gewesen mit der Folge, dass sich die Erstattungsforderungen entsprechend erhöht hätten.
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9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Das Verfahren ist für den erst im Revisionsverfahren in das Verfahren eingetretenen Kläger als Erben gerichtskostenfrei; dies ergibt sich aus § 183 Satz 2 SGG. Danach bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei, in dem ein sonstiger Rechtsnachfolger (zB Erbe; vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 183 RdNr 8 mwN) das Verfahren aufnimmt.