Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. November 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2014 streitig.
Der 1955 geborene Kläger bezieht seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von verschiedenen Jobcentern.
Er nutzte im streitgegenständlichen Zeitraum als Unterkunft einen VW-Pritschenwagen (Erstzulassung gemäß Fahrzeugschein 1983) mit offener Ladefläche, Fahrgastraum, ohne sanitäre Anlagen. Das Landratsamt Bodenseekreis hatte dem Kläger zuletzt mit Bewilligungsbescheid vom 11.12.2013 für den Bewilligungszeitraum Januar 2014 bis Juni 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 459 € (Regelbedarf 391 €, Kosten der Unterkunft <KdU> in Form von Mietkosten für einen Einlagerungsraum 68 €) gewährt. Wegen der seiner Auffassung nach unzureichenden Höhe der gewährten Leistungen hat der Kläger mit dem Begehren der Zuerkennung eines bedingungslosen Grundeinkommens erfolglos ein Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren geführt (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Konstanz vom 04.11.2015 - S 9 AS 504/14 -, Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 10.05.2016 - L 9 AS 5116/15 -).
Am 01.07.2014 ließ sich der Kläger beim Einwohnermeldeamt B als Durchreisender ohne festen Wohnsitz registrieren und stellte anschließend im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der Kläger sandte dem Beklagten am 07.07.2014 die ausgefüllten und unterschriebenen Antragsvordrucke zu und merkte handschriftlich an, er nutze seinen Transporter als Schlafplatz und Stauraum. Des Weiteren sei die Miete eines Einlagerungsraums für seine Wohnungseinrichtung und seinen Hausrat zu übernehmen. Zum Nachweis der Kosten legte er u.a. den Fahrzeugschein für den VW-Pritschenwagen und eine Beitragsrechnung zur Kfz-Versicherung des Bayerischen Versicherungsverbandes aus dem Monat Mai 2014 vor, mit der er aufgefordert wurde, bis zum 01.07.2014 als Versicherungsbeitrag für die Kraftfahrzeugversicherung seines Pritschenwagens 246,85 € zu zahlen. Außerdem legte er eine Rechnung der Firma B.I.G. GmbH aus Radolfzell über die Anmietung eines Kellerraums im R Innovations- und Technologiezentrum vom 30.06.2008 vor, aus der sich ein monatlicher Mietzins in Höhe von 68,00 € ergibt. Auf einem Vordruck „Wohnungsvormerkung“ für die Heimstättengenossenschaft B gab der Kläger an, er wohne seit dem 01.01.2003 im Auto. Ergänzend erläuterte der Kläger mit Schreiben vom 24.07.2014, er erledige die kleine Körperpflege am Auto, dusche im Frei- oder Hallenbad und nutze öffentliche Toiletten, in B auch die Rewe-Toilette. Seine Wäsche wasche er im SB-Waschsalon und koche auf seinem Gaskocher.
Auf der (vorläufigen) Anlage EKS gab der Kläger an, im Zeitraum Juli 2014 bis Dezember 2014 als Einzelunternehmer Dienstleistungen aller Art anbieten zu wollen, aber noch keine konkreten Kontakte in B geknüpft zu haben, sodass es an einer Schätzgrundlage für die Einnahmen- und Ausgabenprognose fehle. Zum Nachweis dieser Angaben legte er die Gewerbeanmeldung vom 16.08.2004 sowie einen Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2012 vor, aus dem Jahreseinkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 38,00 € ersichtlich sind.
Mit Bescheid vom 10.07.2014 und Änderungsbescheid vom 23.07.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.07.2014 bis 10.07.2014 in Höhe von 130,33 € (anteilige Regelleistung, KdU wurden nicht berücksichtigt) und gab ihm auf, sich zum Nachweis seines Aufenthalts in der Stadt B zwei- bis drei mal pro Woche persönlich bei der dortigen Stadtverwaltung zu melden sowie einmal pro Woche persönlich die Meldenachweise beim Beklagten abzugeben. Dieser Auflage kam der Kläger regelmäßig nach; die entsprechenden Bestätigungen der Stadtverwaltung B befinden sich bei den Verwaltungsakten.
Am 14.07.2014 erhob der Kläger ausdrücklich „unbeschränkt“ gegen den Bescheid vom 10.07.2014 Widerspruch. Der Widerspruch müsse nicht begründet werden und er werde auch nicht begründet – der Bescheid sei „grundsätzlich (von Amts wegen) zu prüfen“. Nach Erlass des Änderungsbescheids vom 23.07.2014 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2014 als unbegründet zurück. Mit dem Änderungsbescheid vom 23.07.2014 sei dem Kläger mitgeteilt worden, weshalb nur eine vorläufige Bewilligung möglich sei. Leistungen hätten nur bis 10.07.2014 bewilligt werden können, da vor Weiterzahlung ein erneuter Aufenthaltsnachweis erforderlich sei.
Mit Bescheid vom 21.07.2014 minderte das Landratsamt Bodenseekreis die Leistungen des Klägers für die Zeit vom 01.08.2014 bis 31.10.2014 um 30 v.H. des maßgeblichen Regelbedarfs, monatlich um 117,30 €. Auf den Widerspruch des Klägers hob das Landratsamt Bodenseekreis diesen Sanktionsbescheid mit Abhilfebescheid vom 02.05.2016 wieder auf.
Mit weiteren Bescheiden bewilligte der Beklagte dem Kläger jeweils vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wie folgt:
Bescheid vom |
Bewilligungszeitraum |
Widerspruch Kl. mit Schreiben vom |
ÄnderungsB: |
„AbhilfeB“ |
WiderspruchsB |
Klage zum SG |
05.08.2014 |
11.07.-05.08. |
12.08.2014 |
04.09.2014 |
10.09.2014 |
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26.08.2014 |
21.08.2014 |
06.08.-14.08. |
28.08.2014 |
04.09.2014 |
10.09.2014 |
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27.08.2014 |
01.09.2014 |
15.08.-28.08. |
03.09.2014 |
04.09.2014 |
10.09.2014 |
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05.09.2014 |
05.09.2014 |
29.08.-31.08. |
12.09.2014 |
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28.11.2014 |
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08.09.2014 |
01.09.-05.09. |
13.09.2014 |
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28.11.2014 |
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17.09.2014 |
06.09.-12.09. |
19.09.2014 |
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28.11.2014 |
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23.10.2014 |
13.09.-21.09. |
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29.09.2014 |
22.09.-26.09. |
30.10.2014 |
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28.11.2014 |
|
10.10.2014 |
27.09.-31.12. |
08.11.2014 |
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28.11.2014 |
|
Die Befristungen begründete der Beklagte jeweils damit, dass nicht nachgewiesen sei, dass sich der Kläger gewöhnlich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufhalte. Eine weitere Bewilligung werde jeweils erfolgen, sobald belegt sei, dass er sich weiterhin in B aufgehalten habe. Die zuletzt längere Bewilligung für den Zeitraum 27.09. bis 31.12.2014 erfolgte, nachdem das SG den Beklagten auf einen vom Kläger am 31.07.2014 gestellten Eilantrag mit Beschluss vom 10.10.2014 (u.a.) verpflichtet hatte, dem Kläger für den genannten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des vollen Regelbedarfs in Höhe von 391 € monatlich sowie der Kosten der Anmietung des Lagerrraums in Höhe von 68 € monatlich zu bewilligen und monatlich im Voraus auszuzahlen (S 8 AS 2438/14 ER).
Einen Bescheid vom 24.11.2014, mit dem der Beklagte dem Kläger die Leistungen ab dem 01.12.2014 ganz entzogen hatte, hob er mit Bescheid vom 30.12.2014 wieder auf.
Gegen den Bescheid vom 10.07.2014 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.07.2014 sowie des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2014 hat der Kläger am 11.08.2014 Klage zum SG Ulm erhoben (S 8 AS 2540/14) und zur Begründung vorgetragen, ihm seien ab dem 01.07.2014 monatliche Regelleistungen und Kosten der Unterkunft (letztere in Höhe von monatlich 68,00 € für den Einlagerungsraum und von 251,35 € für die automobile Ersatzwohnung (Haftpflichtversicherung Kfz) zu bewilligen. Das SG müsse das Verfahren aussetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen, weil er durch die Anwendung der Bestimmungen des SGB II konkret und gegenwärtig in eigenen Rechten nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verletzt werde. Die Aufspaltung der Grundsicherung nach dem SGB II in Regelbedarf und Kosten der Unterkunft sei verfassungswidrig, da sie den Bürger unstatthaft in seinem Selbstbestimmungsrecht einschränke. Ferner habe der Gesetzgeber den (Regel-)Bedarf aus politischem Kalkül vorsätzlich um wenigstens 120 € zu wenig festgesetzt und sich hierzu ein schlüssiges Zahlenwerk hernach „schustern“ lassen. Die Richtwerte über die Erstattung angemessener Kosten der Unterkunft seien in jeder Hinsicht marktfern; der Markt für Kleinstwohnungen für alleinstehende Bürger sei seit Jahrzehnten dauerhaft leergefegt. Der Beklagte sei zu verurteilen, sämtliche Bescheide seit Antragstellung vom 01.07.2014 aufzuheben, stattdessen ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe des steuerfrei gestellten Existenzminimums nach dem deutschen Einkommenssteuerrecht zu bewilligen und dieses in gleichen monatlichen Anteilsbeträgen jeweils monatlich im Voraus zu erbringen.
Gegen die Bescheide des Beklagten vom 05.08.2014, 21.08.2014 und 01.09.2014 hat der Kläger bereits am 26.08.2014, 27.08.2014 und 05.09.2014 Klagen zum SG erhoben, jeweils unter Verweis auf die Möglichkeit der Aussetzung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Diese Klagen sind unter den Aktenzeichen S 8 AS 2740/14, S 8 AS 2741/14 und S 8 AS 2841/14 geführt und vom SG mit Beschluss vom 10.10.2014 unter dem Aktenzeichen S 8 AS 2540/14 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. Gegen die Bescheide vom 05.09., 08.09., 17.09., 29.09., 10.10. und 23.10.2014 hat der Kläger zwar Widerspruch (außer gegen den Bescheid vom 23.10.2014), aber keine Klagen erhoben.
Am 23.01.2015 ist beim Beklagten die abschließende EKS für den Bewilligungszeitraum bis 31.12.2014 eingegangen. Nach den dort gemachten Angaben hatte der Kläger in Bezug auf seine selbstständige Tätigkeit weder Einnahmen noch Ausgaben. Er hat unter Hinweis auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III „einen Bescheid für den vg. Bewilligungszeitraum“ beantragt.
Mit Bescheid vom 10.07.2018 hat der Beklagte dem Kläger abschließend für die Monate Juli bis Dezember 2014 monatlich 459,00 € (Regelbedarf 391 €, KdU 68 €) bewilligt. Die zustehenden Leistungen seien bereits ausbezahlt worden, weswegen weder eine Rückforderung geltend gemacht werde noch weitere Leistungen zu bewilligen seien.
Mit Urteil vom 05.11.2018 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklagen seien, soweit sie den Zeitraum 01.07.2014 bis 28.08.2014 beträfen, zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich des Zeitraums 29.08.2014 bis 31.12.2014 seien die Klagen mangels erhobener Anfechtungsklage gegen die diesen Zeitraum betreffenden Bescheide bereits unzulässig. Der Kläger habe die Bescheide vom 05.09.2014, 08.09.2014, 17.09.2014 und 29.09.2014 in der Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide vom 28.11.2014 und den Bescheid vom 23.10.2014 mit den vorliegenden Klagen nicht angefochten. Diese seien auch nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da sie die streitgegenständlichen Bescheide weder abgeändert noch ersetzt hätten. Dementsprechend seien diese Bescheide bestandskräftig (§ 77 SGG) und durch die endgültige Festsetzung mittels des (insoweit nicht angegriffenen) Bescheids vom 10.07.2018 betreffend den Zeitraum vom 29.08.2014 bis 31.12.2014 ersetzt worden.
Zulässiger Gegenstand der erhobenen Klagen sei allein noch der Bescheid vom 10.07.2018, soweit dieser das Alg II des Klägers für den Zeitraum vom 01.07. bis 28.08.2014 endgültig festgesetzt habe. Denn ergehe während eines gerichtlichen Verfahrens über eine vorläufige Leistungsbewilligung ein Bescheid mit einer endgültigen Leistungsbewilligung, so werde dieser gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens und ersetze den Bescheid bzw. vorliegend die Bescheide über die vorläufige Leistungsbewilligung vollständig (mit Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.11.2016 - L 7 AS 2045/13 -, juris). Soweit betreffend die ursprünglichen Bescheide vom 05.08.2014, 21.08.2014 und 01.09.2014 jeweils ausschließlich ein Abhilfebescheid vom 10.09.2014 und kein ausdrücklicher Widerspruchsbescheid gefolgt sei, sei dies unschädlich. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, die Abhilfebescheide vom 10.09.2014 wären für den ordnungsgemäßen Abschuss des Vorverfahrens im Sinne des § 78 SGG nicht ausreichend, wäre ein Vorverfahren vorliegend höchst ausnahmsweise nicht erforderlich. Das Fehlen einer Widerspruchsentscheidung trotz zwingender Vorverfahrenspflicht führe – zur Vermeidung einer Prozessabweisung – im Allgemeinen zwar dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Dies sei jedoch dann entbehrlich, wenn das Vorverfahren gescheitert, d.h. von vornherein oder aufgrund der Stellungnahmen im Prozess ersichtlich sei, dass das noch mögliche Vorverfahren eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden vermöge. Dann wäre es eine reine Förmelei, würde auf der Durchführung des Vorverfahrens bestanden (mit Hinweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 25.04.2014 - L 3 U 42/10 -, juris). So lägen die Dinge hier, da die Auffassungen der Beteiligten hinreichend ausgetauscht seien und der Rechtsstreit bereits mehr als vier Jahre andauere. Der Kläger habe im Klageverfahren bereits mit Schriftsatz vom 01.10.2014 mitgeteilt, dass auch wenn der Beklagte sich rechtskonform im Sinne des SGB II verhalte bzw. verhalten sollte, der Rechtsstreit nicht erledigt sei, da er Bestimmungen des SGB II für verfassungswidrig erachte. Von Seiten des Beklagten lägen ebenfalls inhaltliche Stellungnahmen vor. Dieser sei mit den Bescheiden vom 10.09.2014 von einer vollständigen Abhilfe ausgegangen und habe auch bereits eine Kostenentscheidung hinsichtlich des Widerspruchsverfahrens verfügt. Zudem sei eine Bestätigung der bisherigen Auffassung durch den Beklagten mit der endgültigen Festsetzung durch den Bescheid vom 10.07.2018 erfolgt. Vor diesem Hintergrund seien die ursprünglichen Klagen S 8 AS 2740/14, S 8 AS 2741/14 und S 8 AS 2841/14 nicht bereits als unzulässig abzuweisen.
Unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen hat das SG entschieden, dass der Bescheid vom 10.07.2018, soweit er den Zeitraum vom 01.07.2014 bis 28.08.2014 betreffe, rechtmäßig sei. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum einen monatlichen Bedarf in Höhe von insgesamt 459,00 € gehabt, der sich aus dem Regelbedarf (Stufe 1 im Jahr 2014) in Höhe von 391,00 € sowie anerkannter Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 68,00 € zusammensetze. Nicht als Bedarfe der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen seien die Kosten der Kfz-Steuer sowie der Kfz-Haftpflichtversicherung für den genutzten VW-Pritschenwagen, da dieser keine Unterkunft im Sinne des SGB II darstelle. Die Kammer schließe sich insoweit nach eigener Prüfung der Auffassung des Senats in dem den Kläger betreffenden Urteil vom 10.05.2016 (L 9 AS 5116/15) an. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Gewährung eines höheren monatlichen Regelbedarfs zu, insbesondere habe er keinen Anspruch auf höhere Leistungen in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe des nach dem deutschen Einkommenssteuerrecht steuerfrei gestellten Existenzminimums. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, weshalb das Verfahren nicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen gewesen und dem BVerfG zur Einholung einer Entscheidung zur Vereinbarkeit der §§ 19, 20 SGB II sowie des gesamten SGB II mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vorzulegen gewesen sei. Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen unter Zugrundelegung eines anderen Leistungssystems folge nicht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem insbesondere auf Art. 20 Abs. 1 GG beruhenden Sozialstaatsprinzip. Hieraus resultiere zwar für den Gesetzgeber ein Gestaltungsauftrag, der jedoch nicht geeignet sei, eine Verpflichtung des Staates zur Gewährung sozialer Leistungen in einem bestimmten Umfang zu begründen. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden könne, weite Gestaltungsmöglichkeiten. Da das GG nicht exakt vorschreibe, wie hoch der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen zu sein habe, sei lediglich zur prüfen, ob die Untergrenze des menschenwürdigen Existenzminimums unterschritten worden und ob die Höhe der Leistungen insgesamt tragfähig begründbar sei. Im vorliegenden Fall sei die Bestimmung der Leistungen für erwachsene Alleinstehende durch den Gesetzgeber nachvollziehbar und die Leistungen seien nicht evident unzureichend. Durch das Gesamtregelwerk des SGB II, insbesondere durch § 24 SGB II, der verfassungskonform auszulegen sei, sei gewährleistet, dass auch in Einzelbereichen auftretenden Gefahren der Unterdeckung begegnet werden könne. Darüber hinaus komme der Gesetzgeber seiner Pflicht, auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu reagieren, um sicherzustellen, dass auch der aktuelle Preis gedeckt sei, durch die Anwendung des § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) im Grundsatz nach (mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 -, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.05.2016 - L 9 AS 5116/15 -, juris Rn. 25-28). Überdies habe der Kläger auch nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern in seinem Fall eine Bedarfsunterdeckung vorgelegen haben solle.
Der angegriffene Bescheid sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften zur Dauer des Bewilligungszeitraumes aufzuheben. Die Verwendung des Begriffs „sollen“ in § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II bedeute, dass der Leistungsträger im Regelfall daran gebunden sei, Leistungen für jeweils sechs Monate zu bewilligen und nur in atypischen Fallgestaltungen zur Ausübung von Ermessen berechtigt und verpflichtet sei. Es könne dahinstehen, ob der Beklagte diesbezüglich seine Pflicht zur Ermessensausübung überhaupt erkannt und diese rechtmäßig ausgeübt habe, da jedenfalls mit dem nunmehr erlassenen abschließenden Bescheid vom 10.07.2018 der vorgegebene Bewilligungszeitraum gewahrt und der Kläger nicht mehr beschwert sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 10.12.2018 zugestellte Urteil am 09.01.2019 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die in seiner atypischen Lebenssituation benötigte (höhere) Grundsicherungsleistung könne nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des einfachen Rechts erzielt werden, die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG sei unerlässlich. Dem Begehren des Klägers könne nicht entsprochen werden, wenn die Vorschriften des SGB II mit dem GG vereinbar seien. Zudem stelle er die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Trennung/Aufspaltung der gesetzlichen Grundsicherungsleistung in einerseits Regelleistung und andererseits Erstattung von KdU. Der Gesetzgeber habe auf eine realitätsbezogene Bedarfsermittlung bei obdachlosen Leistungsberechtigten verzichtet. Das menschenwürdige Überleben eines Obdachlosen im öffentlichen Raum erfordere nicht nur physische und psychische Stabilität, persönliches Organisations- und Durchsetzungstalent, es sei zudem – ganz insbesondere im Winterhalbjahr – finanziell derart aufwändig, dass es den Rahmen der Regelleistung sprenge: Ausgewogene Ernährung (auch warme Mahlzeiten), Körperpflege (auch regelmäßiges Duschen im öffentlichen Bad), Wäschepflege im Waschsalon (meist verbunden mit Fahrtkosten), jahreszeitlich bedingt geeignete Kleidung und Ausstattung, auch deren Pflege, Ersatz und regelmäßige, geschützte, jederzeit zugängliche Aufbewahrung (z.B. Bahnhofsschließfach für 5 €/Tag und Zugriff). Ein Hilfebedürftiger dürfe nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet sei. Der gesetzliche Leistungsanspruch müsse so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers decke. Die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruhe, widerspiegele allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen, nicht aber einen darüber hinaus gehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt werde, könne über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen dürfe der Gesetzgeber typisierende und pauschalisierende Regelungen treffen – weshalb dann nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen für Obdachlose, das der gesetzlichen Höhe nach dem gesamten Durchschnittsbedarf eines Leistungsberechtigten in üblicher Bedarfssituation (Regelleistung plus KdU) entspreche?
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. November 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Juli 2018 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG. Die Berufungsbegründung enthalte keine Ausführungen, die nicht schon im Urteil des SG Berücksichtigung gefunden hätten.
Schriftliche Nachfragen des Senats nach Konkretisierung bzw. Bezifferung des seiner Auffassung nach über den Regelbedarf hinausgehenden atypischen Bedarfs hat der Kläger nicht beantwortet. An der mündlichen Verhandlung am 20.09.2022 hat er nicht teilgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und die Senatsakten betreffend vorangegangene Berufungsverfahren des Klägers L 9 AS 2891/15 (Bewilligungszeitraum 01.02.2015 bis 31.07.2015), L 9 AS 3882/15 (Bewilligungszeitraum Januar 2015), L 9 AS 4164/15 und L 9 AS 5116/15 (Bewilligungszeitraum 01.01.2014 bis 30.06.2014) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da er mit der ordnungsgemäßen, ausweislich des vom Kläger unterschriebenen Rückscheins am 02.09.2022 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Die Berufung ist aber nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Konstanz ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klagen des Klägers zu Recht abgewiesen.
Der Zulässigkeit der Klagen steht in allen Fällen nicht entgegen, dass der Kläger keine Wohnanschrift, sondern eine „postlagernde“ Adresse angegeben hat. Zwar muss die Klage gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch den Kläger bezeichnen, worunter auch das Erfordernis einer ladungsfähigen Anschrift fällt (vgl. BSG, Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S, juris). Da der Kläger im vorliegenden Fall nach eigenen Angaben obdachlos ist und über keine ladungsfähige Anschrift verfügt, liegen jedoch hinreichende Gründe vor, die eine Ausnahme von dieser Vorschrift gebieten, um dem Kläger auch in seiner Situation effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (Beschluss des Senats vom 04.11.2015, L 9 AS 4079/15 ER-B; vgl. auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 92 Rn. 4).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des SG (nur noch) der Bescheid vom 10.07.2018, mit dem der Beklagte abschließend über den Leistungsanspruch des Klägers für die Monate Juli bis Dezember 2014 entschieden und ihm endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 459,00 € bewilligt hat. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend und ausführlich dargelegt, dass der genannte Bescheid vom 10.07.2018 gem. § 96 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden ist und dass dieser Bescheid die vorangegangenen Bescheide, mit denen der Beklagte dem Kläger Leistungen jeweils tage- oder höchstens wochenweise vorläufig bewilligt hat, vollständig ersetzt und damit erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB X).
Anders als vom SG angenommen ist die Klage nicht nur hinsichtlich des Zeitraums 01.7. bis 28.08.2014, sondern auch hinsichtlich des weiteren Zeitraums bis 31.12.2014 zulässig. Die weiteren Bescheide vom 05.08., 21.08., 01.09.2014 (jeweils in Gestalt der Änderungsbescheide vom 04.09.2014 bzw. der Abhilfebescheide vom 10.09.2014), vom 05.09., 08.09., 17.09., 29.09., 10.10.2014 (jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 28.11.2014) und der Bescheid vom 23.10.2014 sind Gegenstand des Widerspruchs- bzw. des Klageverfahrens geworden (§§ 86, 96 SGG). Dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 10.07.2014 – so das SG – erkennbar keine Regelung zur Leistungsbewilligung über den 10.07.2014 hinaus habe treffen wollen, ist diesem Bescheid nicht zu entnehmen. Einen ausdrücklichen Hinweis enthält der Bescheid insoweit nicht. Soweit der Beklagte dem Kläger aufgegeben hat, sich zum Nachweis seines tatsächlichen Aufenthalts in der Stadt B mehrmals wöchentlich persönlich bei der Stadtverwaltung zu melden und die Nachweise hierüber vorzulegen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Hieraus musste der Kläger nicht zwingend entnehmen, dass der Beklagte noch keine Entscheidung über den 10.07.2014 hinaus treffen wollte. Unter Berücksichtigung des klägerischen Empfängerhorizonts (zu dessen Maßgeblichkeit für die Auslegung von Verwaltungsakten vgl. BSG, Urteile vom 19.06.1995 - 11 Rar 109/94 -, juris Rn. 24 und vom 28.06.1990 - 4 RA 57/89 -, juris Rn. 31) hat der Beklagte dem Kläger vielmehr mit dem Bewilligungsbescheid vom 10.07.2014 nicht nur Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuerkannt, sondern auch eine Befristung bis zum 10.07.2014 ausgesprochen. In dieser Regelung liegt unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls gleichzeitig (wenn auch nur zunächst) die Ablehnung der Gewährung von Leistungen für den nach im streitigen Zeitraum gültiger Rechtslage vorgesehenen Regelbewilligungszeitraum von sechs Monaten (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der bis 31.07.2016 in Kraft gewesenen Fassung). Der Kläger hat seinen am 01.07.2014 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in zeitlicher Hinsicht nicht beschränkt. Fehlt es an einer ausdrücklichen zeitlichen Begrenzung des Leistungsantrages, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Antrag auf die Gewährung von Leistungen in rechtmäßiger Weise gerichtet ist und damit auf die Gewährung von Leistungen für den Regelbewilligungszeitraum (so auch Burkiczak in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 41 Rn. 66, Löcken in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 41 Rn. 19). Der Kläger hat nicht nur einen zeitlich unbegrenzten Leistungsantrag gestellt, sondern auch in der Folgezeit wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er mit der nur abschnittsweisen Bewilligung nicht einverstanden ist und zwar nicht nur durch seinen Vortrag im Widerspruchs- und Klageverfahren („unbeschränkte“ Widerspruchseinlegung, im Klageverfahren begehrt er die Aufhebung „sämtlicher Bescheide seit Antragstellung“ und monatliche Leistungserbringung im Voraus), sondern auch dadurch, dass er noch im Juli 2014 einen Eilantrag zum SG gestellt hat, u.a. mit dem Begehren, ihm für den Zeitraum Juli bis Dezember 2014 Leistungen zu bewilligen und monatlich im Voraus auszuzahlen. Vor diesem Hintergrund erscheint aus dem Empfängerhorizont des Klägers die zeitliche Befristung auf nur wenige Tage zugleich als eine Regelung, mit der – konkludent – die Leistungsgewährung für den vollen gesetzlich vorgesehenen Bewilligungszeitraum abgelehnt wird (vgl. zur Auslegung von Leistungsanträgen, Rechtsbehelfen und Bewilligungsbescheiden unter Berücksichtigung der Vorschrift über den regelmäßigen Bewilligungszeitraum Burkiczak a.a.O., Rn. 66, 68). Auch hiergegen wendet sich der Kläger mit Widerspruch und Klage. Die folgenden Bescheide, mit denen der Beklagte die Leistungen jeweils abschnittsweise (und jeweils unter Bezugnahme auf den einzigen Leistungsantrag vom 01.07.2014, nicht etwa auf weitere Leistungsanträge) weiter bewilligt hat, erweisen sich damit als Änderungs- bzw. Teilabhilfebescheide, die den angefochtenen Bescheid vom 10.07.2014 abgeändert haben und somit gem. § 86 bzw. 96 SGG Gegenstand des Widerspruchs- bzw. des Klageverfahrens geworden sind.
Der Bescheid vom 10.07.2018 hat demnach sämtliche zunächst angegriffenen Bescheide vollständig ersetzt und im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt.
Soweit der Kläger für den Zeitraum 01.07.2014 bis 31.12.2014 höhere Leistungen als vom Beklagten bewilligt geltend macht, ist für sein Begehren die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) statthaft und zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.
Rechtsgrundlage für die endgültige Bewilligungsentscheidung des Beklagten vom 10.07.2018 ist § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des SGB II vom 13.05.2011 – a.F.) i.V.m. § 328 Abs. 2 und Abs. 3 SGB III. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger beanspruchten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass er keinen Anspruch auf die endgültige Bewilligung höherer Leistungen als vom Beklagten festgesetzt hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Klägers uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend ist unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens des Klägers auf Folgendes hinzuweisen:
Soweit der Kläger – wie schon in den vorangegangenen Berufungsverfahren – erneut die Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens (orientiert am Durchschnittsbedarf eines Leistungsberechtigten in üblicher Bedarfssituation) begehrt, hat der Senat in seinen Urteilen vom 10. Mai 2016 (L 9 AS 5116/15, L 9 AS 2981/15) Folgendes ausgeführt:
„Ein Anspruch auf höhere Leistungen ergibt sich insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Vorgaben. Aus diesem Grund sah sich der Senat nicht veranlasst, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit der §§ 19, 20 SGB II sowie des gesamten SGB II mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG einzuholen.
Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen unter Zugrundelegung eines anderen Leistungssystems (z.B. ohne Unterscheidung zwischen Regelbedarf und Bedarf für Unterkunft und Heizung sowie mit Orientierung an das im Einkommensteuerrecht festgelegte Existenzminimum) folgt nicht aus Art 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem insbesondere auf Art. 20 Abs. 1 GG beruhenden Sozialstaatsprinzip. Die genannten Normen begründen zwar für den Gesetzgeber einen Gestaltungsauftrag, der jedoch nicht geeignet ist, eine Verpflichtung des Staates zur Gewährung sozialer Leistungen in einem bestimmten Umfang zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13.07.2000 - 1 BvR 395/00 -; BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R -; beide juris). Vielmehr sind dem Gesetzgeber im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden kann, weite Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt (vgl. BSG, a.a.O; BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, a.a.O.).
Darüber hinaus ist der Senat davon überzeugt, dass der Gesetzgeber den in §§ 19, 20 SGB II geregelten Regelbedarf nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen hat (so auch BSG, Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 12/12 R -; bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.07.2014 - L 2 AS 1866/13 -; LSG Hamburg, Urteil vom 19.03.2015 - L 4 AS 124/13 -; alle juris).
Aufgrund des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers hat sich die materielle Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelungen darauf zu beschränken, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Da das GG nicht exakt vorschreibt, wie hoch der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen zu sein hat, ist lediglich zu prüfen, ob die Untergrenze des menschenwürdigen Existenzminimums unterschritten worden und ob die Höhe der Leistungen insgesamt tragfähig begründbar ist (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014, a.a.O). Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Klägers, der Gesetzgeber habe sich erst nach Festsetzung eines (zu niedrigen) Betrages ein entsprechendes Zahlenwerk schustern lassen. Denn selbst wenn die Leistungshöhe für den Regelbedarf in der Summe einer politischen Zielvorstellung entsprochen hat, ist dies nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn sie sich mit Hilfe verlässlicher Daten (ggf. im Nachhinein) tragfähig begründen lässt (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist die Bestimmung der Leistungen für erwachsene Alleinstehende durch den Gesetzgeber nachvollziehbar. Außerdem sind die Leistungen nicht evident unzureichend. Es ist nicht offensichtlich, dass diese in ihrer Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, erwachsenen, alleinstehenden Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial oder kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Das BVerfG hat bereits dargelegt, dass nicht erkennbar sei, dass der Gesetzgeber für die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz relevante Bedarfsarten übersehen und die zu ihrer Deckung erforderlichen Leistungen durch gesetzliche Ansprüche nicht gesichert hat (Beschluss vom 23.07.2014, a.a.O.). Überdies hat der Kläger auch nicht dargelegt, inwiefern in seinem Fall eine Bedarfsunterdeckung vorgelegen haben soll. Ferner hat das BVerfG ausgeführt, dass sich der Gesetzgeber mit dem Statistikmodell auf eine Methode gestützt habe, die grundsätzlich geeignet sei, die Leistungen bedarfsgerecht zu bemessen. Schließlich stütze sich der Gesetzgeber durch Heranziehung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe auch auf geeignete empirische Daten. Durch das Gesamtregelwerk des SGB II, insbesondere durch § 24 SGB II, der verfassungskonform auszulegen sei, sei gewährleistet, dass auch in Einzelbereichen auftretenden Gefahren der Unterdeckung begegnet werden könne (BVerfG, a.a.O.). Darüber hinaus komme der Gesetzgeber seiner Pflicht, auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu reagieren, um sicherzustellen, dass auch der aktuelle Preis gedeckt sei, durch die Anwendung des § 28 SGB XII im Grundsatz nach. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung und Überzeugungsbildung an. Insbesondere hat der Senat keinen Zweifel daran, dass diese Rechtsprechung auch auf den streitgegenständlichen Zeitraum übertragen werden kann. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Gesetzgeber entwickelten und vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehenen Methoden zur jährlichen Anpassung der Höhe des Regelbedarfs im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund besonderer Umstände nicht mehr geeignet sein sollten, das Existenzminimum der Leistungsempfänger zu garantieren.“
Hieran hält der Senat in vollem Umfang fest (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.02.2016 - L 13 AS 3424/15 -). Nachdem in den zitierten Entscheidungen vom 10.05.2016 „benachbarte“ Bewilligungszeiträume streitgegenständlich waren (das Verfahren L 9 AS 2981/15 betraf den Bewilligungszeitraum 01.02.2015 bis 31.07.2015 und das Verfahren L 9 AS 5116/15 den vom 01.01.2014 bis 30.06.2014), besteht kein Anlass, den vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.07.2014 nunmehr anders zu beurteilen.
Soweit der Kläger darüber hinaus argumentiert hat, er habe im Vergleich zum Durchschnittsbedarf eines Leistungsberechtigen in üblicher Bedarfssituation (Regelleistung und KdU) einen atypischen Bedarf, führt auch dies nicht zu einem höheren Leistungsanspruch. Dass sein Bedarf für Ernährung, Körper- und Wäschepflege den „Rahmen der Regelleistung sprengt“, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Aufforderungen des Senats, diesen Vortrag anhand konkreter Ausgaben zu belegen, ist der Kläger nicht nachgekommen. Selbst wenn man (unter Außerachtlassung der Tatsache, dass der Kläger im Antragsvordruck die Rubrik Ziff. 3 – Prüfung eines Mehrbedarfs – komplett durchgestrichen hat) davon ausgeht, dass der Kläger zumindest sinngemäß Mehrbedarfe gemäß § 21 Abs. 5 oder § 21 Abs. 6 SGB II geltend macht, sind solche nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.
Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Der Kläger macht zwar allgemein erhöhte finanzielle Aufwendungen für „ausgewogene Ernährung (auch warme Mahlzeiten)“ geltend. Schon die Tatsache, dass der Kläger überhaupt höhere Aufwendungen für seine Ernährung im Vergleich zu der im Regelbedarf berücksichtigten „normalen“ Ernährung hat und in welcher Höhe diese Ausgaben anfallen, ist indes weder konkretisiert noch belegt. Soweit er mit dem Hinweis auf warme Mahlzeiten nahelegen möchte, dass er hierfür Lokale aufsuchen muss (was u.U. höhere Kosten bedingen könnte als Kochen „zu Hause“), ist darauf hinzuweisen, dass er an anderer Stelle angegeben hat, er koche mit seinem Gaskocher selbst. Weitere Ermittlungen des Senats hierzu erübrigen sich, denn der Kläger selbst macht keine medizinischen Gründe für den seiner Auffassung nach höheren Kostenaufwand geltend. Solche medizinischen Gründe setzt die zitierte Vorschrift allerdings voraus. Medizinische Gründe sind nur krankheitsbedingte; Voraussetzung wäre also, dass der Kläger unter einer gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet, die eine Ernährung fordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG, Urteile vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R - und vom 10.05.2011 - B 14 AS 49/10 R, juris). Hierfür ist weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem Akteninhalt irgendetwas ersichtlich.
Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II (in der hier anzuwendenden, vom 01.04.2011 bis 31.12.2020 geltenden Fassung des Gesetzes vom 13.05.2011) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (Satz 1). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (Satz 2). Es handelt sich bei § 21 Abs. 6 SGB II um eine Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfslagen, mit der der Gesetzgeber die vom BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175) erlassene Regelungsanordnung kodifiziert hat (vgl. zu den Anwendungsmaßstäben der Norm BSG, Urteil vom 12.05.2021 - B 4 AS 88/20 R -, juris Rn. 17). Diese Härtefallklausel dient dazu, Bedarfe zu erfassen, die aufgrund ihres individuellen Charakters bei der pauschalierenden Regelbedarfsbemessung der Art oder der Höhe nach nicht erfasst werden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. -, BVerfGE 125, 175 [252 ff]; Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 17/1465, S. 8; zuletzt BSG, Urteile vom 26.11.2020 - B 14 AS 23/20 R -, juris Rn. 19 und vom 12.05.2021 - B 4 AS 88/20 R -, juris Rn. 17). Allerdings hat diese Härtefallregelung nicht die Funktion, eine (vermeintlich oder tatsächlich) unzureichende Höhe des Regelbedarfs an sich auszugleichen (BSG, Urteil vom 12.05.2021 - B 4 AS 88/20 R -, a.a.O.; vgl. umfassend auch Urteil vom 26.01.2022 - B 4 AS 3/21 R -, juris Rn. 16 ff.) Ein Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter (einschließlich der Leistungen anderer Sozialleistungsträger, vgl. BSG, Urteile vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R -, juris Rn. 22 und vom 20.01.2016 - B 14 AS 8/15 R -, juris Rn. 21) sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). Diese Definition ist nicht abschließend ("insbesondere"). Das Merkmal der Unabweisbarkeit betrifft sowohl den Aspekt des Bedarfs als solchen als auch die Frage der anderweitigen Bedarfsdeckung (BSG, Urteil vom 12.05.2021 - B 4 AS 88/20 R -, juris Rn. 20 m.w.N.). Erheblich ist ein zusätzlicher Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (BSG, Urteile vom 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R -, juris Rn. 19 und vom 11.02.2015 - B 4 AS 27/14 R -, juris Rn. 22 m.w.N.). Das hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Als Maßstab für die Beurteilung ist heranzuziehen die Regelleistung insgesamt (vorliegend 391 € monatlich) und der darin enthaltene Anteil für Aufwendungen des jeweils betroffenen Bedarfs (vgl. BSG, Urteile vom 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R -, juris Rn. 28 und vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R -, juris Rn. 19).
Vorliegend macht der Kläger mit seinem Hinweis, die Aufwendungen „eines Obdachlosen“ für Körperpflege, Wäschepflege und Kleidung sprengten den Rahmen der Regelleistung, jedenfalls sinngemäß eine atypische Bedarfslage geltend.
Gegen die Anerkennung besonderer Bedarfe i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB II spricht jedoch bereits, dass der Kläger zwar abstrakt Bereiche anführt, in denen für Obdachlose allgemein höhere Kosten anfielen. Konkret für ihn selbst angefallene Kosten hat der Kläger aber weder beziffert (etwa durch Angaben hinsichtlich der Anzahl der angefallenen Schwimmbad- oder Waschsalonbesuche und der Höhe der jeweils bezahlten Eintrittspreise), noch hat er entsprechende Nachweise vorgelegt (etwa Eintrittskarten für Schwimmbad- oder Rechnungsbelege für Waschsalonbesuche). Entsprechende Nachfragen des Senats hat der Kläger nicht beantwortet. Soweit der Kläger erstinstanzlich wiederholt auf den Grundsatz der Amtsermittlung verwiesen hat, findet dieser seine Grenzen in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten. Zwar gebietet es der Grundsatz der Amtsermittlung, im Rahmen der Mehrbedarfsregelungen die Höhe der konkret angefallenen Bedarfe zu ermitteln. Es ist mit dem Charakter des Härtefallmehrbedarfs als Leistung für besondere Bedarfslagen im Einzelfall im Grundsatz nicht vereinbar, anstelle der Ermittlung des tatsächlichen Mehrbedarfs beispielsweise von Pauschalen auszugehen (BSG, Urteil vom 26.01.2022 – B 4 AS 81/20 R -, juris Rn. 19, 21: maßgeblich sind nur die tatsächlich angefallenen Fahrtkosten). Der Amtsermittlungsgrundsatz bezweckt vornehmlich, dass das Gericht nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden ist. Er normiert keine allgemeine Prüfungspflicht. Insbesondere ergibt sich daraus keine Verpflichtung der Gerichte, ohne konkrete Anhaltspunkte, quasi „ins Blaue“ hinein, Ermittlungen anzustellen (vgl. nur LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.04.2020 - L 8 AS 199/18 NZB -, juris Rn. 31 m.w.N.). Es ist daher im Rahmen der Mehrbedarfsregelungen nicht Aufgabe des Senats, Mutmaßungen darüber anzustellen, welche Mehraufwendungen der Kläger möglicherweise im streitgegenständlichen Zeitraum hatte, sondern diejenige des Klägers, seinen Mehrbedarf konkret darzulegen und zu belegen. Berücksichtigt man, dass der Kläger selbst im Rahmen des erstinstanzlichen Klageverfahrens (auf Nachfrage des Gerichts, in welcher Höhe ihm seiner Auffassung nach Leistungen zu gewähren seien) vorgetragen hat, sein subjektives Empfinden oder Erfahren sei zur Klärung der Frage, was die Würde des Menschen an Geldleistung wert sei, weder erforderlich noch hilfreich, dass er im Berufungsverfahren Nachfragen des Senats hinsichtlich eine Konkretisierung/Bezifferung seiner Mehrausgaben nicht beantwortet hat und dass er im Rahmen seiner Berufungsbegründung explizit die Auffassung vertritt, dass seinem Begehren nicht entsprochen werden könne, wenn die Vorschriften des SGB II mit dem GG vereinbar seien, spricht viel dafür, dass er eben keinen konkreten Mehrbedarf im Einzelfall geltend machen (und belegen) kann, sondern dass er weiterhin im Wege einer Art Popularklage allgemein eine „realitätsbezogene Bedarfsermittlung bei obdachlosen Leistungsberechtigten“ durchsetzen will. Hierfür bieten die Mehrbedarfsregelungen im SGB II und insbesondere § 21 Abs. 6 SGB II keine Grundlage.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).