Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. April 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) im Eingangsverfahren einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) streitig.
Der 1969 geborene Kläger war von 1986 bis zuletzt 2007 als Maler und Gipser versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er Kranken- und Arbeitslosengeld und übte geringfügige Beschäftigungen ohne Versicherungspflicht aus. Von Mai 2012 bis Mai 2015 bezog er Arbeitslosengeld II, von Oktober 2017 bis Juli 2018 Arbeitslosengeld und anschließend erneut Krankengeld. Seit dem 23.05.2018 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 12.08.2019 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der Kläger sei zwar seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Mai 2018 voll erwerbsgemindert, habe aber wegen fehlender besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Derzeit bezieht der Kläger Grundsicherung bei Erwerbsminderung
Der Kläger leidet unter einem Anfallsleiden, einer Persönlichkeitsstörung und einem demenziellen Syndrom mit einer mittelgradigen Intelligenzminderung mit einem IQ zwischen 35 und 49. Infolge dieser Gesundheitsstörungen wurde bei ihm durch Bescheid des Landratsamtes F Sozialamt vom 08.09.2020 ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B anerkannt.
Vom 30.11.2020 bis 04.12.2020 absolvierte der Kläger in der Schwarzwaldwerkstatt D, einer anerkannten WfbM, ein Praktikum. Laut Praktikumsbericht vom 06.05.2021 war der Kläger in der Zweigwerkstatt R beschäftigt und führte folgende Arbeiten aus: Montage von Verstelleinheiten, Schlauch-Übungsarbeiten „Kleben" von Druckausgleichselementen. Der Kläger sei motiviert zum Praktikum gekommen, es habe ihm insgesamt gut gefallen und er habe sich sehr wohlgefühlt. Hin und wieder habe er Schwierigkeiten mit der Orientierung und mit dem Gedächtnis gehabt. Am Dienstag sei er eine Haltestelle zu früh ausgestiegen, habe es aber mit Durchfragen geschafft, den Weg zur Arbeit zu finden. Am Ende der Praktikumswoche sei der Weg zur Arbeit kein Problem mehr gewesen, nachdem er den Weg und die Abläufe verinnerlicht hätte. Der Kläger habe die Arbeitsanweisungen verstanden und sei in der Lage gewesen, Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg konzentriert auszuführen. Er habe sich in angemessener Zeit an wechselnde Arbeitsaufgaben anpassen und eine Aufgabe entsprechend der Vorgabe umsichtig und gewissenhaft ausführen können. Berechtigte Kritik habe er annehmen können und nach dem Hinweis auf kleinere Fehler bei einer Montagetätigkeit die notwendigen Korrekturen vorgenommen. Er habe ruhig und in einem gleichbleibenden Tempo gearbeitet. Der Kläger sei mit Ausdauer an seiner Arbeit geblieben und habe sich dabei angeregt mit seinen Arbeitskollegen unterhalten, was sich nicht negativ auf das Arbeitsergebnis ausgewirkt habe.
Den am 28.12.2020 eingegangenen Antrag auf LTA hat die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit N-P – mit am 31.12.2020 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben weitergeleitet. Die Bundesagentur für Arbeit sei nicht zuständig, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Dem Antrag beigefügt war ein ärztliches Zeugnis zur Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen der Ärzte am R Medi-MVZ GmbH in B vom 20.01.2021, wonach die Betreuung in einer WfbM für erforderlich gehalten werde. Bedenken gegen die Aufnahme einer Beschäftigung in einer WfbM bestünden nicht. Die Frage, ob auffallende Verhaltensstörungen (z.B. starke Aggressionsneigung, außergewöhnliche Unruhe) bestünden, die einer Aufnahme in die WfbM entgegenstünden, wurde verneint.
Mit Bescheid vom 23.03.2021 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, durch die Teilnahme am Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen könne die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht entwickelt, erhöht oder wiederhergestellt werden.
Den hiergegen am 06.04.2021 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2021 zurück; nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen seien die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Störungen so gravierend, dass LTA durch den Rentenversicherungsträger nicht erfolgsversprechend seien. LTA in Form der Aufnahme in eine WfbM könnten deshalb nicht gewährt werden.
Hiergegen hat der Kläger am 13.08.2021 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, er habe im Rahmen des Praktikums in der Schwarzwaldwerkstatt gezeigt, dass eine solche Maßnahme außerordentlich positiv für seine Zukunft sein könne. Es lägen keine gravierenden Gesundheitsstörungen vor, die gegen einen Erfolg von LTA sprechen würden.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Mit Schreiben vom 26.10.2021 hat D1 mitgeteilt, dass die erfolgten stationären Behandlungen eine völlig andere Zielrichtung gehabt hätten, als die in Frage stehende Aufnahme in eine WfbM. Angaben zur beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers und zu den Anforderungen an die Aufnahme in eine WfbM könne er nicht machen. Aus dem beigefügten Entlassungsbrief vom 09.03.2021 ergebe sich u.a., dass der Kläger sich in extremen Erregungszuständen befunden habe und aufgrund von aggressivem Verhalten des Klägers Polizeieinsätze erforderlich gewesen seien. Nach der stationären Aufnahme und Einnahme von Lacosamid sei der Kläger nach 48 Stunden wie ausgewechselt gewesen. B1 hat unter dem 11.11.2021 ausgeführt, dass der Kläger extrem vergesslich und unkonzentriert sei und ein eingeschränktes Auffassungsvermögen habe. Er könne Uhrzeiten und Termine sehr oft nicht einhalten und sei zeitweise ziemlich verwirrt. Trotz sorgfältiger antiepileptischer Behandlung mit Spiegel-Kontrollen komme es immer wieder zu epileptischen Anfällen, die manchmal auch zu Krankenhausaufenthalten geführt hätten. Er habe sich bei epileptischen Anfällen öfters auch leicht verletzt. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde der Kläger sicher keine normale Arbeitsstelle finden und halten können. Dafür seien die gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie die Epilepsie, die hohe Vergesslichkeit, die Auffassungsstörungen sowie das teilweise emotionale Verhalten zu gravierend. Diese Einschränkungen könnten durch Maßnahmen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM nicht wesentlich verbessert werden. Allerdings könne durch eine regelmäßige Tätigkeit in einer WfbM eine Verschlechterung der Demenz durch Aktivierung des Gehirns wahrscheinlich verzögert werden. Eine erhebliche Fremdgefährdung sei in einer WfbM wahrscheinlich nicht zu erwarten. Eine leichte Fremdgefährdung lasse sich aber nicht ganz ausschließen. Der Kläger verfüge über eine etwas eingeschränkte Impulskontrolle. Auch wenn er überwiegend freundlich und gutmütig sei, könne er sich doch auch sehr schnell aufregen und laut werden, wenn er etwas nicht verstehe oder etwas nicht so laufe, wie er sich das vorgestellt habe. Insbesondere in der Zeit, als es noch keine Betreuung gegeben habe, sei es vereinzelt zu Situationen in der Praxis gekommen, in denen er recht emotional geworden sei. Handgreiflich sei er in dem Zusammenhang jedoch nie geworden. Durch viel Mühe und persönliche Zuwendung, sowie gutes logisches Erklären der Gesamtsituation habe er in solchen Situationen wieder beschwichtigt werden können. Da der Kläger aber hochmotiviert sei zu arbeiten, würde er sich wahrscheinlich bemühen, die an ihn gestellten Verhaltensrichtlinien und Aufgaben zu erfüllen. Er würde klare Verhaltensregeln und Strukturen sowie eine starke Führung einerseits als auch eine wertschätzende persönliche Zuwendung andererseits benötigen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, könne der Kläger wahrscheinlich auch ein gewisses Maß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleitung erbringen.
Die Beklagte hat sozialmedizinische Stellungnahmen von D2 vom 10.02.2022 und 24.03.2022 vorgelegt, wonach eine mögliche Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Klägers bisher nicht ausreichend einbezogen und berücksichtigt worden sei und nicht auszuschließen sei, dass die genannten Leistungen im Eingangsbereich einer WfbM eine wesentliche Verschlechterung des Leistungsvermögens abwenden können bzw. zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Klägers beitragen können. Jedoch sei der Kläger aufgrund des dokumentierten selbst- und fremdaggressiven Verhaltens nicht gemeinschaftsfähig.
Nach vorheriger Ankündigung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 27.04.2022 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2021 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren der Schwarzwaldwerkstatt in D zu gewähren.
Gegen den ihr am 28.04.202 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 04.05.2022 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, der Entscheidung des SG könne nicht gefolgt werden. Dem Kläger fehle es an der für die Durchführung der Maßnahme erforderlichen Gemeinschaftsfähigkeit. Bereits im Befundbericht vom 23.03.2021 habe die behandelnde B1 die Rehabilitationsbedürftigkeit mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) begründet. Diese Diagnose werde auch durch die Klinik für Psychiatrie des Krankenhauses F in den Entlassungsbriefen vom 04.03.2021 und 09.03.2021 festgestellt. Dies bestätige sich durch die o. g Entlassungsbriefe des Krankenhauses F. Der Kläger sei zweimal innerhalb kurzer Zeit vom Rettungsdienst, Notarzt mit Unterstützung der Polizei eingeliefert worden. Bei der Einlieferung am 04.03.2021 sei der Kläger in Handschließen eingeliefert worden, weil er verbal aggressiv den Rettungsdienst beleidigt und mit der Faust nach ihnen geschlagen habe. Bei der Blutabnahme sei es ihm trotz Teilfixierung gelungen, seinen Kopf der Krankenpflegerin heftig und sehr schmerzhaft auf die Nase zu schlagen. Auch bei der Entlassung habe aufgrund fremdgefährdenden Verhaltens die Polizei eingeschaltet werden müssen. Nachdem er auch gegen sie geschlagen habe, sei er schließlich in Handschellen abgeführt worden. Auch bei der zweiten Einlieferung am 05.03.2021 sei die Polizei involviert gewesen (siehe Entlassungsbericht vom 09.03.2021). Nach ICD-10-GM Version 2022 sei bei der Diagnose „Dissoziale Persönlichkeitsstörung“ unter anderem zu beachten, dass das Verhalten durch nachteilige Erlebnisse, einschließlich Bestrafung, nicht änderungsfähig erscheine. „Es besteht eine geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten, …“ Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass das fremdgefährdende Verhalten des Klägers nur auf bestimmte Ausnahmesituationen zurückzuführen sei. Soweit das SG implizit davon ausgehe, dass der Kläger in den erwähnten Situationen nicht ausreichend medikamentiert gewesen sei, müsse dem entgegengehalten werden, dass der Kläger keinerlei Compliance nach den wiederholten Einlieferungen in die Notaufnahme des Krankenhauses wegen eines abgelaufenen cerebralen Krampfanfalls aufgewiesen habe. In der Stellungnahme vom 15.07.2020 an das Landratsamt F habe B1 berichtet, dass bei der letzten Blutuntersuchung der Spiegel des antiepileptischen Medikaments Vimpat (Wirkstoff: Lacosamid) im therapeutischen Bereich liege. Dies bedeute, dass zumindest vor der Blutentnahme das Medikament genommen worden sei. Der Kläger habe aber dennoch von regelmäßigen epileptischen Anfällen berichtet, die nach seinen Aussagen ca. einmal pro Woche aufträten. Ob diese Angaben der tatsächlichen Situation entsprächen, habe die behandelnde Ärztin nur schwer beurteilen können. Der Kläger habe extrem vergesslich und zerstreut gewirkt und die Medikamentendosierung immer wieder durcheinander gebracht oder nur eine eingeschränkte Therapietreue gezeigt. Die Einsicht, das Einverständnis, die Kooperationsbereitschaft und auch die Motivation des Klägers zur Mitarbeit (Compliance) sei also mangelhaft. Auch im Befundbericht vom 24.03.2021 gebe B1 an, dass beim Kläger die Epilepsie „seit Jahrzehnten mit sehr häufigen Anfällen“ auftrete und „massive Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme“ bestünden. Auch die Klinik für Psychiatrie des Krankenhauses F berichte von einer mangelhaften Compliance. Im Bericht vom 04.03.2021 werde unter der Überschrift „Psychiatrische Vorgeschichte“ vom bekannten cerebralen Krampfleiden berichtet. Der Kläger sei seit 10/2017 wiederholt wegen eines abgelaufenen cerebralen Krampfanfalls in die dortige Notaufnahme gebracht worden. Er habe die Klinik gegen den ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung verlassen und dabei keine Compliance aufgewiesen. Auch aus diesem Bericht ergebe sich eine unregelmäßige Einnahme von Tabletten. Nach den verschiedenen ärztlichen Berichten könne gerade nicht davon ausgegangen werden, dass aufgrund der extremen Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen eine regelmäßige Einnahme der Medikamente gewährleistet sei. Aufgrund der medizinisch beschriebenen gravierenden Funktionsstörungen des Klägers insbesondere auf kognitiv-emotionaler-sozialer Verhaltensebene liege bei ihm die Werkstatt- und Gemeinschaftsfähigkeit nicht vor. Die Wiederholung von fremdgefährdendem Verhalten könne während der beantragten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren einer WfbM (und gegebenenfalls anschließenden weiteren Leistungen) nicht ausgeschlossen werden. Der Praktikumsbericht vom 18.12.2020 der Schwarzwald-Werkstatt D werde aufgrund der kurzen Dauer des Praktikums von fünf Arbeitstagen nicht als repräsentativ angesehen, insbesondere im Vergleich zur Aussage von B1, dass die epileptischen Anfälle nach Aussage des Klägers „ca. einmal pro Woche“ aufträten, was auf gewisse Schwankungen der Zeitspanne zwischen den Anfällen hindeute. Aufgrund der fehlenden Werkstatt- und Gemeinschaftsfähigkeit beim Kläger seien die persönlichen Voraussetzungen für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren einer WfbM nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. April 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Den Hauptangriffspunkt der Berufung der Beklagten - das behauptete angebliche fremdgefährdende Verhalten des Klägers - habe auch das SG gesehen und zutreffend darauf hingewiesen, dass dies jeweils in Ausnahmesituationen aufgetreten sei und eben nicht den Regelfall darstelle. Der Schluss aus den einzelnen Ausnahmesituationen auf eine generell aufgehobene Gemeinschaftsfähigkeit des Klägers gehe fehl. Insbesondere habe das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass bei Annahme einer vollständig aufgehobenen Erwerbsfähigkeit des Klägers ebenso ein Anspruch auf LTA in einer WfbM gegen die Beklagte gegeben wäre, weil die Beklagte den Antrag nicht an einen Eingliederungshilfeträger weitergeleitet habe. Letztendlich werde aber auch ungeachtet jeglicher rechtlicher Erwägungen darauf hingewiesen, dass sich die allgemeine Lebensqualität des Klägers durch eine entsprechende Maßnahme deutlich verbessern würde, weil er dadurch seiner isolierten Lebenssituation wenigstens teilweise entfliehen könnte.
Die Berichterstatterin des Senats hat am 06.09.2022 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt, in dem der Kläger und sein Betreuer gehört worden sind und sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben. Wegen der Einzelheiten des Termins wird auf das Protokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor. Die Berufung ist aber nicht begründet.
Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren einer WfbM zu gewähren. Der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 23.03.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von LTA im Eingangsverfahren einer WfbM.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, LTA sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegen zu wirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Nach § 16 Satz 1 SGB VI i. V. m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) erbringen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung LTA auch im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer WfbM unter den Voraussetzungen der §§ 11 bis 13 SGB VI. Daneben müssen für die Gewährung von LTA auch die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI erfüllt sein. Gemäß §§ 56 ff. SGB IX werden Leistungen in WfbM erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern. Leistungen im Eingangsverfahren einer WfbM erhalten gemäß § 57 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IX Menschen mit Behinderungen zur Feststellung, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben ist sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Menschen mit Behinderungen in Betracht kommen, und um einen Eingliederungsplan zu erstellen. Die Leistungen im Eingangsverfahren werden gemäß § 57 Abs. 2 SGB IX für drei Monate erbracht. Die Leistungsdauer kann auf bis zu vier Wochen verkürzt werden, wenn während des Eingangsverfahrens festgestellt wird, dass eine kürzere Leistungsdauer ausreichend ist.
Zusammenfassend besteht ein Anspruch auf LTA im Eingangsverfahren einer WfbM, wenn die persönlichen Voraussetzungen nach §§ 10, 16 SGB VI i.V.m. §§ 56 ff. SGB IX und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 SGB VI erfüllt sind, kein Ausschlussgrund nach § 12 SGB VI gegeben ist und LTA im Eingangsverfahren einer WfbM gemäß § 13 Abs. 1 SGB VI den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI liegen vor. Ausweislich des aktenkundigen Kontospiegels mit Wartezeitaufstellung vom 12.03.2021 hat der Kläger die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt.
Ausschlussgründe nach § 12 SGB VI sind nicht gegeben.
Weiterhin liegen auch die persönlichen Voraussetzungen für LTA im Eingangsverfahren einer WfbM vor. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid ist – wie das SG zutreffend dargelegt hat – für LTA im Eingangsverfahren einer WfbM nicht erforderlich, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch diese Maßnahme entwickelt, erhöht oder wiederhergestellt werden kann. Diese Vorgaben gelten lediglich für den Berufsbildungsbereich einer WfbM nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX. Nach dem Wortlaut des Gesetzes werden LTA im Eingangsverfahren einer WfbM demgegenüber aber auch dann gewährt, wenn diese erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten (vgl. §§ 56, 57 Abs. 1 Nr. 1, 219 SGB IX) bzw. eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit des Klägers abzuwenden (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI). Maßstab für die Erwerbsfähigkeit ist bei Menschen mit Behinderungen, bei denen wie beim Kläger auch nach Durchführung von Maßnahmen nach §§ 56 ff. SGB IX nur ein äußerst beschränktes Leistungsvermögen zu erwarten ist, ein inklusiver Arbeitsmarkt (Kater in beck-online. Großkommentar, GesamtHrsg: Körner/Krasney/Mutschler/Rolfs, Stand: 01.09.2020, § 16 SGB VI Rdnr. 82). Dies ist der Fall, wenn der behinderte Mensch an der Herstellung der von der Werkstatt vertriebenen Waren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne sich oder andere zu gefährden. Das Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit muss spätestens nach Teilnahme im Berufsbildungsbereich erbracht werden und nicht bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Eingangsverfahren oder den Berufsbildungsbereich. Bei der Aufnahme in das Eingangsverfahren ist daher eine Prognoseentscheidung zu fällen, ob nach Einschätzung des Fachausschusses diese Erwartungshaltung besteht. Diese Entscheidung ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar. Ausgeschlossen sind daher nur solche behinderte Menschen, für die lediglich Pflege, Aufbewahrung und die bloße Beschäftigung um der Beschäftigung willen in Betracht kommt (Schramm in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. § 219 Rdnr. 27 ff., Definition auch in BSG, Urteil vom 07.12.1983 - 7 Rar 73/82 -, Juris). Im Falle des Klägers ist derzeit prognostisch noch ein entsprechendes Leistungsvermögen anzunehmen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unstreitig gemindert. Bezogen auf einen inklusiven Arbeitsmarkt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers zur Überzeugung des Gerichts aber jedenfalls nicht aufgehoben. Er kann ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen. Dies ergibt sich aus der gut nachvollziehbaren Stellungnahme der sachverständigen Zeugin B1 vom 11.11.2021 und dem Praktikumsbericht der Schwarzwaldwerkstatt vom 06.05.2021. Demnach war der Kläger im Rahmen des Praktikums in der Lage, die Arbeitsanweisungen zu verstehen und Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg konzentriert auszuführen. Er konnte sich in angemessener Zeit an wechselnde Arbeitsaufgaben anpassen und eine Aufgabe entsprechend der Vorgabe umsichtig und gewissenhaft ausführen. Berechtigte Kritik konnte er annehmen und nach dem Hinweis auf kleinere Fehler bei einer Montagetätigkeit die notwendigen Korrekturen vornehmen. Der Kläger arbeitete nach dem Bericht ruhig und in einem gleichbleibenden Tempo. Der Senat verkennt nicht, dass die für den Sozialdienst der Schwarzwaldwerkstatt durch H erstellten Praktikumsberichte vom 06.05.2021 (68) und vom 18.12.2020 (27) im Wortlaut nicht identisch sind, aber im Grundtenor eine grundsätzliche Eignung des Klägers jedenfalls für das Eingangsverfahren der WfbM sehen und die Aufnahme des Klägers befürworten. Der Praktikumsbericht ist auch gut mit der Einschätzung der sachverständigen B1 vereinbar, wonach der Kläger bei klaren Verhaltensregeln und Strukturen ein gewisses Maß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen kann. Letztlich hat auch die Beklagte in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 24.03.2022 eingeräumt, dass nicht auszuschließen sei, dass LTA in einer WfbM eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit des Klägers abwenden können.
Die vom Kläger begehrten LTA im Eingangsbereich einer WfbM sind demnach geeignet und erforderlich, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers bezogen auf einen inklusiven Arbeitsmarkt zu erhalten.
Darüber hinaus wäre auch bei Annahme einer vollständig aufgehobenen Erwerbsfähigkeit des Klägers, die weder verbessert noch erhalten werden kann, ebenso ein Anspruch auf LTA in einer WfbM gegen die Beklagte gegeben. In einem solchen Fall wäre zwar lediglich eine dauerhafte Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM zu prognostizieren, wofür die Rentenversicherungsträger prinzipiell nicht zuständig sind (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.1993 - 13 RJ 21/93 -, Juris; Kater, a.a.O., § 16 Rdnr. 78), sondern die Zuständigkeit des Eingliederungshilfeträgers nach §§ 6 Abs. 1 Nr. 7, 58 i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 2, 111 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX gegeben wäre. Nachdem die Beklagte den Antrag aber nicht an den Eingliederungshilfeträger weitergeleitet hat, ist die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auch für die Leistung nach den Leistungsvorschriften der Eingliederungshilfeträger zuständig.
Schließlich sind LTA in einer WfbM entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht wegen einer fehlenden Gemeinschaftsfähigkeit des Klägers nach § 219 Abs. 2 Satz 2 SGB IX ausgeschlossen. Gemeinschaftsfähig ist ein behinderter Mensch, der den Zweck der WfbM, Rehabilitation, Arbeit und Beschäftigung für andere erfolgreich anzubieten, durch sein Verhalten nicht nachhaltig beeinträchtigt (BSG, Urteil vom 10.03.1994 - 7 RAr 22/93 -, Juris Rdnr. 38). Eine fehlende Gemeinschaftsfähigkeit liegt vor, wenn trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten ist oder das Ausmaß der erforderlichen Betreuung und Pflege die Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich oder sonstige Umstände ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulassen. Eine Selbst- oder Fremdgefährdung bedarf einer konkreten oder zumindest erwartbaren Gefährdung von Menschen (Schramm in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. § 219 SGB IX § 219 Rdnr. 27 ff). Wie sich dem Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik F vom 09.03.2021 entnehmen lässt, wurde der Kläger in einem Erregungszustand unter Involvierung der Polizei und bei Fixierung schon von der Notfallambulanz aufgenommen. Er wollte zunächst nicht in der psychiatrischen Klinik bleiben, diese dann aber nicht verlassen, verhielt sich dabei gereizt und aggressiv, es kam erneut zu einem Polizeieinsatz und zum Verweis aus der Klinik. Bei einem früheren Kurzaufenthalt am 19.12.2019 war der Kläger in ähnlichem Erregungszustand und unter Involvierung der Polizei aufgenommen worden; die Entlassung erfolgte am Folgetag, nachdem sich der Kläger unter Lorazepam beruhigen konnte. Das SG weist für den Senat überzeugend darauf hin, dass sich das aggressive und fremdgefährdende Verhalten in zwei Situationen gezeigt hat, in denen der Kläger – nach Krampfanfällen – in einem medizinischen Ausnahmezustand gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten wurde und nicht ausreichend medikamentiert war. B1 hat den Kläger demgegenüber als gutmütig und freundlich und lediglich leicht erregbar bzw. mit eingeschränkter Impulskontrolle beschrieben. Ein fremdgefährdendes Verhalten wurde von ihr ebenso wie im ärztlichen Zeugnis zur Aufnahme in die WfB durch die Ärzte am R1 verneint. In ihrer Stellungnahme vom 20.01.2021 hat B1 ausdrücklich ausgeführt, dass bei dem Kläger keine auffallenden Verhaltensstörungen vorliegen, die einer Aufnahme in eine WfbM entgegenstünden. Sie hat explizit darauf hingewiesen, dass weder eine starke Aggressionsneigung noch eine außergewöhnliche motorische Unruhe festzustellen ist. Sie hat betont, dass eine WfbM für erforderlich gehalten wird und hinsichtlich der Aufnahme keine Bedenken bestünden. Auch in ihrer Stellungnahme vom 24.03.2021 hat sie keine Bedenken gegen die Aufnahme einer Beschäftigung in einer WfbM geäußert. Zwar hat sie – in Kenntnis der Berichte des Krankenhauses F – über ein zeitweise gereiztes Verhalten und eine leichte Aggressionsneigung berichtet, insgesamt aber keine Bedenken hinsichtlich einer Tätigkeit in einer WfbM geäußert. In ihrer Aussage gegenüber dem SG hat sie ausgeführt, dass eine erhebliche Fremdgefährdung wahrscheinlich nicht zu erwarten sei, aber auch nicht ganz auszuschließen sei. Der Kläger verfüge über eine etwas eingeschränkte Impulskontrolle. Sie habe ihn überwiegend als freundlichen und gutmütigen Menschen erlebt, der sich aber auch schnell aufregen und laut werden könne, wenn er etwas nicht verstanden habe oder etwas nicht so laufe, wie er sich das vorgestellt habe. Er sei allerdings nie handgreiflich geworden. Im Praktikumsbericht der Schwarzwaldwerkstatt wird keinerlei aggressives oder sonstiges problematisches Verhalten des Klägers beschrieben. Der Senat verkennt nicht, dass die Berichte der Schwarzwaldwerkstatt vom 26.02.2021 und vom 06.05.2021 inhaltlich nicht deckungsgleich sind und im zweiten Bericht ein deutlich positiveres Bild gezeichnet wird. Offensichtlich sollte der zweite Bericht die Notwendigkeit einer Aufnahme in den Eingangsbereich der WfbM nochmals betonen. Unabhängig davon unterscheiden sich die Berichte im Hinblick auf die Gemeinschaftsfähigkeit und die grundsätzliche Eignung des Klägers für die WfbM nicht. In beiden Berichten wird auf ein freundliches und zufriedenes Wesen des Klägers hingewiesen und dieser als sehr aufgeschlossen und höflich beschrieben. Der Kläger hatte nach den Angaben im Praktikumsbericht einen guten Kontakt zur Gruppe. Anhaltspunkte für ein fremdaggressives Verhalten zeigten sich während des doch auch immerhin einwöchigen Praktikums demnach nicht. Auch der Senat geht daher davon aus, dass das vom Kläger in der psychiatrischen Klinik gezeigte fremdaggressive Verhalten der konkreten Ausnahmesituation geschuldet war und jedenfalls nicht den Regelfall darstellt. Nachdem der Kläger im Rahmen des einwöchigen Praktikums in der WfbM keinerlei problematisches Verhalten gezeigt hat, lässt sich aus dem fremdgefährdenden Verhalten des Klägers in der psychiatrischen Klinik nicht auf seine generell aufgehobene Gemeinschaftsfähigkeit in einer WfbM schließen. Soweit die Beklagte vorträgt, der Praktikumsbericht gebe nur einen kurzen Ausschnitt wieder und sei nicht repräsentativ, gilt dies auch für die beiden Krankenhausberichte. Schließlich hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts der Betreuer des Klägers berichtet, dass der Kläger auch in emotional angespannten Situationen - etwa, wenn das wöchentlich überwiesene Taschengeld seinem Konto noch nicht gutgeschrieben wurde - ruhig bleibt. In dem Jahr, seit er die Betreuung übernommen hat, ist es ihm gegenüber und - nach seiner Kenntnis auch nicht gegenüber anderen - zu keinem aggressiven Verhalten gekommen. Der Senat hält das Risiko, dass es innerhalb des Eingangsverfahrens in der WfbM zu einem fremdaggressiven Verhalten kommt, daher zwar für grundsätzlich gegeben, aber nicht für so hoch als dass von vornherein eine entsprechende Maßnahme auszuschließen wäre. Insbesondere bietet die WfbM eine kontrollierte Umgebung mit Personal, das für etwaige schwierige Situationen geschult ist. B1 weist ausdrücklich darauf hin, dass der Kläger klare Verhaltensregeln und Strukturen sowie sowohl eine starke Führung als auch eine wertschätzende persönliche Zuwendung brauche. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, könne er auch ein gewisses Maß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen. Klare Verhaltensregeln und klare Strukturen sind in einer WfbM durch das speziell für den Umgang mit behinderten Menschen geschulte Personal gegeben.
Schließlich sind auch die weiteren Voraussetzungen des § 13 SGB VI erfüllt. Nach § 13 SGB VI bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Es ist zu prüfen, welche Leistung sich anbietet und inwieweit die gewählte diejenige ist, die bei angemessenem Mittelaufwand am wirksamsten ist und damit auch so zeitnah wie möglich einen Erfolg erwarten lässt (vgl. BSG Urteil vom 08.10.1992 - 13 RJ 57/91 -, Juris). Es muss stets geprüft werden, ob nicht auch auf andere, wirtschaftlichere und sparsamere Art der Erfolg herbeigeführt werden kann (Kater, a.a.O., § 13 SGB VI Rdnr. 20). Die Ermessensentscheidung der Beklagten unterliegt insoweit nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung und umfasst Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung sowie den Ort der Teilhabe-Leistung (Kater, a.a.O., § 13 SGB VI, Rdnr. 18). Ein Anspruch auf eine ganz bestimmte LTA, wie vorliegend eine Maßnahme im Eingangsverfahren einer WfbM, besteht demzufolge nur dann, wenn ein Fall der Reduzierung des Ermessens auf Null vorliegt. Eine solche Ermessensreduzierung ist dann gegeben, wenn alle anderen Teilhabeleistungen ungeeignet und damit ermessensfehlerhaft wären. Diese engen Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Gerichts vorliegend erfüllt. Infolge der gravierenden kognitiven und körperlichen Einschränkungen und der aktuellen beruflichen Situation des Klägers kommen andere LTA nach § 49 Abs. 3 oder § 50 SGB VI nicht infrage und wurden auch von der Beklagten nicht angeführt. Allein LTA im Eingangsverfahren einer WfbM sind derzeit geeignet, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers bezogen auf einen inklusiven Arbeitsmarkt zu erhalten. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erscheinen daher auch unter Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit LTA im Eingangsverfahren einer WfbM für eine Dauer von drei Monaten erforderlich und geeignet, um zu prüfen, ob die WfbM die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des Klägers am Arbeitsleben ist bzw. welche Bereiche der Werkstatt für den Kläger später in Betracht kommen (vgl. § 57 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Andere, gleichermaßen geeignete Maßnahmen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich und sind von der Beklagten auch nicht benannt worden. Im Ergebnis liegt damit eine Ermessensreduzierung auf Null vor, weshalb der Kläger ausnahmsweise einen Anspruch auf Gewährung einer konkreten Leistung in Gestalt des Eingangsverfahrens in der Schwarzwaldwerkstatt in D hat.
Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1866/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1360/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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