S 38 KA 12/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 12/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Neben einer vollen Zulassung ist kein Raum mehr für eine weitere Zulassung bzw. Teilzulassung und erst recht nicht, wenn zusätzlich eine Filialgenehmigung besteht (vgl BSG, Urteil vom 16.12.2015, Az B 6 KA 19/15 R; Andreas Ladurner, Kommentar zur Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, Rn. 8, 12 zu § 20 Ärzte-ZV). Ein solcher Zulassungsbewerber ist als ungeeignet i.S.d. § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV anzusehen.

II. Der Normzweck von § 20 Abs. 3 Ärzte-ZV, der die Zulassung unter einer Bedingung vorsieht, besteht darin, vor allem angestellten Zulassungsbewerbern zu ermöglichen, auf eine Kündigung ihres aktuellen Arbeitsverhältnisses vor und während des Zulassungsverfahrens zu verzichten und die Kündigung erst auszusprechen, wenn der Zulassungsbescheid vorliegt (Andreas Ladurner, Kommentar zur Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, Rn. 27 zu § 20 Ärzte-ZV).

III. Es stellt keinen Ermessensnichtgebrauch bzw. keinen Ermessensfehler, einem Zulassungsbewerber, der über eine Vollzulassung bzw. zwei Teilzulassungen verfügt, die Zulassung verbunden mit einer Nebenbestimmung zu versagen, wenn es weitere Zulassungsbewerber gibt, denen die Zulassung oder Anstellungsgenehmigung erteilt werden kann, ohne dass damit Auflagen einhergehen müssten, um die Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen. Hier ist auch der Grundrechtsschutz (Art. 12 GG) der anderen Zulassungsbewerber vorrangig zu berücksichtigen.

IV. Einem solchen Zulassungsbewerber obliegt eine Bringschuld , durch einfache Erklärung gegenüber den Zulassungsgremien (Verzicht auf eine seiner bereits bestehenden Teilzulassungen im Falle einer anderen Teilzulassung) seine Bereitschaft, vertragsärztlich auf der Grundlage der neuen Teilzulassung tätig zu werden, zu bekunden.

 

I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 8) zu tragen.


T a t b e s t a n d :

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist die Entscheidung des Berufungsausschusses aus der Sitzung vom 06.10.2020 nach Entsperrung des Planungsbereiches Landkreis N4-Stadt in der  O. für einen halben Vertragsarztsitz (Bedarfsplanungsfaktor 0,5) für die Arztgruppe der Urologen. Auf den ausgeschriebenen hälftigen Vertragsarztsitz bewarben sich der Kläger, seine Tochter und eine K. G.B (BAG). Der Kläger, Facharzt für Urologie, stellte zum einen Antrag auf Teilzulassung für sich selbst (Vertragsarztsitz: N-Stadt) und des Weiteren einen Antrag auf Anstellungsgenehmigung für  K. (Vertragsarztsitz: P-Stadt; Stundenzahl: 15). Der Kläger besitzt eine Teilzulassung (hälftige Zulassung) in B-Stadt, Planungsbereich Landkreis E-Stadt, eine weitere Teilzulassung (hälftige Zulassung) in N5-Stadt, Planungsbereich Landkreis N-Stadt sowie eine Filialgenehmigung in P-Stadt, Planungsbereich Landkreis N-Stadt.
Seine Tochter, Fachärztin für Neurologie beantragte eine Anstellungsgenehmigung für den hiesigen Kläger.
Die G. Berufsausbildungsgemeinschaft beantragte eine Anstellungsgenehmigung für K. (Planungsbereich: N-Stadt; 12,5 Wochenstunden).
Der Beklagte entschied letztendlich unter Hinweis und Prüfung der Auswahlkriterien nach § 26 Abs. 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie zugunsten der BAG und betonte, die dort genannten Auswahlkriterien sei nicht abschließend. Die Zulassungsgremien besäßen einen Entscheidungsspielraum, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar sei. Der Antrag des Klägers wurde im Rahmen der Auswahlentscheidung nicht geprüft. Denn eine Teilzulassung für den Kläger sei abzulehnen (Az ). Der Kläger besitze nämlich bereits mit zwei Teilzulassung eine Vollzulassung, sodass für eine weitere Teilzulassung kein Raum mehr sei. Der beantragten Teilzulassung könne nur dann näher getreten werden, wenn auf eine der Teilzulassung verzichtet worden wäre. Der Beklagte wies auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10.10.2018 (Az L 12 KA 10/18) und auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11.02.2015 (Az B 6 KA 11/14 R) hin. Die Zulassung verpflichte den Vertragsarzt, seine vertragsärztliche Tätigkeit vollzeitig auszuüben (§ 19a Abs. 1 Ärzte-ZV). Der Kläger könne daher eine dritte Teilzulassung nicht erteilt bekommen. Insofern sei er als ungeeignet im Sinne von § 20 Ärzte-ZV anzusehen. Mit einem dritten Versorgungsauftrag könne er seinen bereits erteilten Teilzulassungen nicht nachkommen.
Ebenfalls abgelehnt wurde der Antrag der Tochter des Klägers auf Anstellungsgenehmigung ihres Vaters (Az ). Die Antragstellerin sei zwar Fachärztin für Neurologie und insofern fachfremd, könne aber einen fachfremden Arzt anstellen. Dies ergebe sich aus § 95 Abs. 9 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 32b Abs. 1, 2 Ärzte-ZV und 15 Bundesmantelvertrag-Ärzte.
Eine Anstellung von K., den hiesigen Kläger sei aber weder rechtlich, noch zeitlich möglich; in tatsächlicher Hinsicht deshalb nicht, weil er neben den Teilzulassungen eine weitere vertragsärztliche Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis mit einem Umfang von 15 Wochenstunden nicht ausüben könne (SG B-Stadt, Urteil vom 15.03.2023, Az S 38 KA 13/21).
Ein Sofortvollzug wurde im angefochtenen Bescheid nicht angeordnet, weil ein öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug nicht gegeben sei.
Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Es wurde von seinem Prozessbevollmächtigten vorgetragen, die Zulassungsentscheidung hätte mit der Bedingung erfolgen müssen, dass der Kläger auf eine seiner bestehenden Zulassungen verzichte. Dies sei aber vom Beklagten nicht in Betracht gezogen worden, weshalb dieser die eigentliche Auswahlentscheidung gar nicht vorgenommen habe.
Das persönliche Erscheinen des Klägers wurde zunächst angeordnet. Jedoch wurde die Anordnung im Hinblick darauf, dass die Beurteilung einer Rechtsfrage im Vordergrund steht, in der mündlichen Verhandlung aufgehoben.
Der Prozessbevollmächtigten des Klägers stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 15.09.2021.
Der Vertreter des Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.
Der Vertreter des Beigeladenen zu 4 stellte keinen Antrag.
Der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 8 beantragte ebenfalls, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 15.03.2023 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid des Berufungsausschusses ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach Entsperrung gab es insgesamt drei Bewerber, darunter den Kläger, der zum einen einen Antrag auf Teilzulassung stellte, zum anderen einen Antrag auf Anstellungsgenehmigung für Herrn  K. Streitgegenständlich ist hier die vom Kläger begehrte Teilzulassung. Das alternative Begehren auf Anstellungsgenehmigung von G. wurde vom Kläger nicht weiterverfolgt.
Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, dass der Kläger nach § 20 Ärzte-ZV als ungeeignet anzusehen ist. Die mangelnde Eignung des Klägers ergibt sich aus dem Umstand, dass er aufgrund der bestehenden Teilzulassungen nicht in dem seinem Versorgungsauftrag entsprechendem Umfang zur Verfügung stehen kann (Andreas Ladurner, Kommentar zur Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, Rn. 8, 12 zu § 20 Ärzte-ZV). Der Kläger besitzt bereits zwei hälftige Versorgungsaufträge, die einem vollen Versorgungsauftrag entsprechen, sowie eine Filialgenehmigung. Neben einer vollen Zulassung ist kein Raum mehr für eine weitere Zulassung bzw. Teilzulassung und erst recht nicht, wenn zusätzlich eine Filialgenehmigung besteht (vgl BSG, Urteil vom 16.12.2015, Az B 6 KA 19/15 R).
Strittig zwischen den Beteiligten ist, ob der Beklagte gleichwohl eine Zulassung zu Gunsten des Klägers verbunden mit einer Nebenbestimmung hätte aussprechen können bzw. müssen. Nach dem Protokoll über die mündliche, nicht-öffentliche Verhandlung am 06.10.2020 vor dem Berufungsausschuss wurde vom Prozessbevollmächtigten des Widerspruchsführers der Antrag gestellt, den Kläger mit einem hälftigen Versorgungsauftrag für den Vertragsarztsitz in P-Stadt unter dem Vorbehalt zuzulassen, dass der Kläger innerhalb der Aufnahmefrist auf einen seiner bisherigen hälftigen Versorgungsaufträge verzichte.
Gemäß § 20 Abs. 3 Ärzte-ZV kann ein Arzt, bei dem Hinderungsgründe nach § 20 Abs. 1 oder 2 vorliegen, unter der Bedingung zugelassen werden, dass der seiner Eignung entgegenstehende Grund spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt beseitigt wird, in dem die Entscheidung über die Zulassung unanfechtbar geworden ist. Der Normzweck besteht darin, vor allem angestellten Zulassungsbewerbern zu ermöglichen, auf eine Kündigung ihres aktuellen Arbeitsverhältnisses vor und während des Zulassungsverfahrens zu verzichten und die Kündigung erst auszusprechen, wenn der Zulassungsbescheid vorliegt (Andreas Ladurner, Kommentar zur Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, Rn. 27 zu § 20 Ärzte-ZV). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor. Denn der Kläger steht nicht in einem Anstellungsverhältnis, sondern besitzt bereits zwei Teilzulassungen sowie eine Filialgenehmigung. Hinzu kommt, dass bei der Antragstellung offen bleibt, auf welche Teilzulassung (Vertragsarztsitz) verzichtet wird. Es handelt sich um einen nicht substantiierten Antrag. Die Zulassungsgremien sind auch nicht befugt, ihrerseits den Vertragsarztsitz festzulegen, auf den verzichtet werden soll. Insofern stellt sich bereits die Frage, ob § 20 Abs. 3 Ärzte-ZV überhaupt Anwendung finden kann.
Dies kann jedoch dahinstehen. Denn es handelt sich um eine Nebenbestimmung im Sinne von § 32 Abs. 1, 2 Nr 2 SGB X, die im Ermessen der Zulassungsgremien steht. Auch wenn die Auffassung vertreten wird, vor dem Hintergrund von Art. 12 Grundgesetz könne grundsätzlich die Zulassung unter einer Nebenbestimmung nicht versagt werden (Andreas Ladurner, Kommentar zur Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, Rn. 34 zu § 20 Ärzte-ZV), gilt dies nach Auffassung des Gerichts in den Fällen nicht, in denen einer der Zulassungsbewerber über eine Vollzulassung bzw. zwei Teilzulassungen, die einer Vollzulassung entsprechen, verfügt, er deshalb nicht oder deutlich geringer schutzbedürftig ist, und es weitere Zulassungsbewerber gibt, denen die Zulassung oder Anstellungsgenehmigung erteilt werden kann, ohne dass damit Auflagen einhergehen müssten, um die Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen. Hier ist auch der Grundrechtsschutz der anderen Zulassungsbewerber vorrangig zu berücksichtigen. Es stellt daher keinen Ermessensnichtgebrauch bzw. keinen Ermessensfehler dar, die Zulassung verbunden mit einer Nebenbestimmung zu versagen.
Einer Auswahlentscheidung entsprechend den Auswahlkriterien nach § 26 Abs. 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie bedurfte es daher nicht. Eine solche Auswahlentscheidung wäre nur dann zu treffen gewesen, wenn der Kläger eine Erklärung des Inhalts abgegeben hätte, wonach er für den Fall der neuen Teilzulassung auf eine konkret von ihm zu benennende, bestehende Teilzulassung verzichte. Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt. Es kann dem Beklagten nicht angelastet werden, er habe auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen, zumal der Kläger im Vorverfahren bereits anwaltlich vertreten war. Nach Auffassung des Gerichts bestand für den Beklagten keine Veranlassung, eine Entscheidung zugunsten eines Zulassungsbewerbers verbunden mit einer Auflage zu treffen, der bereits über zwei Teilzulassungen verfügt und der seinerseits durch einfache Erklärung gegenüber den Zulassungsgremien (Verzicht auf eine seiner bereits bestehenden Teilzulassungen im Falle einer anderen Teilzulassung) seine Bereitschaft, vertragsärztlich auf der Grundlage der neuen Teilzulassung tätig zu werden, bekunden kann. Dem Kläger als Zulassungsbewerber obliegt insofern eine Bringschuld, was ihm auch zumutbar ist, da er seinen bestehenden Status mit einer solchen Erklärung nicht gefährdet. Insofern gibt es einen entscheidenden Unterschied zu dem angestellten Arzt, der sein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung von Kündigungsfristen gegenüber dem Arbeitgeber kündigen muss, um vertragsärztlich tätig werden zu können.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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