Kommt aufgrund der unfallbedingsten gesundheitlichen Einschränkungen eines Versicherten im Einzelfall nur ein konkreter Fahrzeugtyp zur Versorgung in Betracht, so kann das von § 40 Abs.1 SGB VII eingeräumte Ermessen "auf Null" reduziert sein und die Behörde zur Erstattung des vollen Kaufpreises verpflichtet werden. Ist ein bestimmtes Fahrzeug aufgrund der Art und Schwere der Behinderung i. S. v § 5 Abs. 2 KfzHV erforderlich, so ist der volle Kaufpreis ohne Begrenzung auf einen Höchstbetrag zu erstatten.
ENTWURF Sozialgericht Berlin |
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(erste) Zustellung erfolgt am an
als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle |
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…,
- Kläger -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt …
gegen
Unfallkasse Brandenburg,
zugleich Feuerwehr-Unfallkasse Brandenburg,
- Beklagte -
hat die 98. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 15. Oktober 2020 durch den Richter am Sozialgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn … und Herrn … für Recht erkannt:
Unter Abänderung des Bescheids vom 18. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger insgesamt 33.661,51 EUR für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs und 35.609,54 EUR für die Umrüstung des Fahrzeugs zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat drei Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Kosten selbst.
Tatbestand
Der 1981 geborene Kläger ist infolge eines Unfalls im Jahr 2005, welchen die Beklagte als Versicherungsfall anerkannte, querschnittsgelähmt (inkomplette Tetraplegie sub C5, inkomplette Querschnittslähmung, Spastiker und Harnblasenlähmung). Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v. H. ist durch die Beklagte anerkannt.
Er absolvierte im Jahr 2012 eine Fahrausbildung Klasse B bei der Fahrschule G. In einem Gutachten der D. vom 9. Juli 2012 wurden verschiedene Beschränkungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis festgestellt, wegen der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 übersendete der Kläger ein Kostenangebot des Autohauses M. für einen … M. mit Zusatzausstattung über insgesamt 61.893,83 EUR (einschließlich Überführungspauschale, Zulassungskosten und Kfz-Brief) sowie einem Angebot zur Umrüstung der Firma R. M. B. vom 19. Dezember 2012 über 40.601,06 EUR.
Die Beklagte bat daraufhin die Firma Kfz Service und Umrüstungs GbR D. W. und J. H. aus H. um ein Vergleichsangebot. Diese übermittelte mit Schreiben vom 30. Mai 2013 einen Kostenvoranschlag über 28.834,89 EUR für die Umrüstung eines … G. VII. Die Notwendigkeit, mit dem Rollstuhl in das Fahrzeug zu fahren, bestehe nicht, ein Kleinbus sei daher nicht erforderlich. Allerdings habe ein … G. VII keine elektrische, sondern eine hydraulische Lenkung, deren Umrüstung sehr viel aufwändiger sei.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger einen Zuschuss nach § 40 Abs. 5 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Verbindung mit § 6 KfzHV in Höhe von 9.500,- EUR (ohne Anrechnung von Einkommen) und übernahm die Kosten für die behinderungsbedingte Zusatzausstattung und Umrüstung gemäß § 40 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit § 7 KfzHV in Höhe von 40.000,- EUR als Vorschuss nach § 42 SGB I. Die Kosten für die Umrüstung setzen sich wie folgt zusammen:
Mehrkosten für Sonderausstattung 9.055,65 EUR
Kosten Umrüstung (incl. Abnahme D.) 17.927,82 EUR
Rollstuhlverladehilfe 12.500,00 EUR
Nicht übernommen würden
- die Kosten für die elektrisch verstellbaren Außenspiegel, da diese serienmäßig vorhanden seien,
- der Drehsitz rechts, da das Fahrzeug für die Eigennutzung beschafft werde,
- elektrisch verstellbare Schiebefenster, da diese serienmäßig vorhanden seien,
- Sitzbezüge in Nappaleder sowie Sonnenschutzfolien an den Fenstern, da diese behinderungsbedingt nicht zwingend erforderlich seien,
- die elektrisch verstellbare Schiebetür, da die Kosten für die Umrüstung beim Pauschalbetrag für die Rollstuhlverladehilfe enthalten sei.
Ferner wurde von der Beklagten die Sicherungsübereignung des Fahrzeugs für fünf Jahre gefordert.
Hiergegen erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 18. Juli 2013 Widerspruch, welchen er später begründete. Der Kläger benötige einen … M., da er nicht imstande sei, sich von der Straße direkt in ein Fahrzeug umzusetzen. Er sei darauf angewiesen, dass kein Höhenunterschied zwischen dem Fahrzeugsitz und seinem Rollstuhl vorhanden sei. Die Sitze aus Nappaleder seien erforderlich, um einen festen Sitz sicherzustellen, da er sich wegen seiner Lähmung nicht selbständig wieder aufrichten könne. Die Sonnenschutzfolie sei erforderlich, damit er sich auch im Fahrzeug kathetern könne. Die elektrisch verstellbare Fahrertür sei nur beim G. in den Kosten enthalten. Die Sicherungsübereignung und Vorbehalt der Rückforderung entbehrten einer rechtlichen Grundlage
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Zusatzausstattung für Sitzbezüge aus Nappaleder, Sonnenschutzfolien und eine elektrisch verstellbare Fahrertür seien nicht erforderlich. Das nach § 5 Abs. 2 KfzHV auszuübende Ermessen, ob wegen Art oder Schwere der Behinderung ein Kfz mit höherem Kaufpreis zwingend erforderlich und deshalb ein höherer Zuschussbetrag zu gewähren sei, lasse in Anbetracht des Ausmaßes der Querschnittsverletzung und der Körpergröße keinen Rechtsfehler auch nach Maßgabe der Entscheidung des Landessozialgerichtes für das Land Brandenburg vom 30. August 2004 (L 7 U 34/02) erkennen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat ursprünglich beantragt, den Bescheid vom 18. Juni 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 insoweit aufzuheben, als die Kostenübernahme für einen M., Sitzbezüge mit Nappa-Leder, Sonnenschutzfolie sowie eine elektrisch verstellbare Schiebetür abgelehnt wurden. Ferner hat er beantragt festzustellen, dass er nicht verpflichtet werden dürfe, eine Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die Beklagte vorzunehmen, und dass eine anteilige Rückforderung für den Fall, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges entfielen, rechtswidrig sei.
Im Klageverfahren hat der Kläger die Abrechnung der Firma R. M. B. M. GmbH vom 7. März 2014 über insgesamt 35.609,54 EUR für die Umrüstung eines … T5, vom Werk aus mit Automatikgetriebe, elektrischer Schiebetür rechts und links, Licht- und Sichtpaket, einer Wasserzusatzheizung, elektrischen Fensterhebern und Spiegel sowie hydraulischer Lenkung ohne Servotronic eingereicht. Ferner hat er eine Rechnung über den Kauf eines …T5 M. Comfortline (Motor: 2,0 l TDI 132 kW) mit diverser Zusatzausstattung für insgesamt 59.403,57 EUR brutto vorgelegt. Bei der Berechnung des Preises wurden ein Mengennachlass in Höhe von 10 % und ein Sondernachlass in Höhe von 5 % gewährt. Außerdem hat er eine Rechnung für Überführungs- und Zulassungskosten in Höhe von 985,- EUR eingereicht. Die Beklagte müsse die Kosten für den … T5 übernehmen. Bei ihm sei ein größeres Fahrzeug behinderungsbedingt zwingend erforderlich. Ein Fahrzeug der G.-klasse – etwa ein D. L. - koste heute 9.500,- EUR, für dieses hätte er keinen Eigenanteil zahlen müssen. Daher sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten für das Fahrzeug vollständig zu übernehmen.
Der Kläger hat später seinen ursprünglichen Antrag hinsichtlich der Sicherungsübereignung und der teilweisen Rückforderung durch die Beklagte (Anträge zu 2. und 3.) für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt mit dem Schriftsatz vom 12. Dezember 2019 noch sinngemäß,
den Bescheid vom 18. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Kostenübernahme für den Pkw in Höhe von 38.442,95 EUR und für den Umbau in Höhe von 36.977,45 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2020 hat die Beklagte den Anspruch des Klägers hinsichtlich des Zuschusses zur Anschaffung eines Kfz in Höhe von weiteren 4.249,27 EUR teilweise anerkannt. Der Verordnungsgeber sei bei der Berechnung des Betrags nach § 5 Abs. 1 KfzHV davon ausgegangen, dass dies dem Kaufpreis eines … G. als typischen Wagen der unteren Mittelklasse entspreche. Ein … G. trendline habe im Jahr 2014 21.000,- EUR gekostet. Hieraus ergebe sich ein Faktor von 0,45 (= 9.500 : 21.000). Nur in Höhe dieses Faktors seien daher auch im Rahmen von § 5 Abs. 2 KfzHV die Kosten zu berücksichtigen. Der Brutto-Verkaufspreis des einfachsten Modells des … T5, welcher sich nach dem im Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten zur Umrüstung eigne, betrage 38.442,95 EUR. Abzüglich des eingeräumten Rabatts in Höhe von 15 % für Schwerbehinderte ergebe sich ein Brutto-Kaufpreis von 32.676,- EUR. Daher seien maximal 14.704,- EUR (= 0,45 x 32.676,- EUR) bei den Anschaffungskosten nach § 5 Abs. 2 KfzHV zu berücksichtigen. Hiervon seien noch die in den Umrüstungskosten enthaltenen 1.636,- EUR für ein Automatikgetriebe abzuziehen, da dieses serienmäßig vorhanden sei. Hinzuzurechnen seien noch die Kosten für die elektrische Schiebetür auf der Beifahrerseite in Höhe von 681,27 EUR brutto.
Das Gericht hat am 16. Mai 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Kläger ist an diesem Termin selbständig in seinen vor dem Gericht geparkten … M. von seinem Rollstuhl umgestiegen und hat seinen Rollstuhl gesichert.
Das Gericht hat ferner durch Einholung eines Gutachtens auf medizinischen sowie Kfz-technischen Gebiet von Dr. med. A. N. und C. W. Beweis erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen. Im Rahmen der Beweisaufnahme hat in Anwesenheit der Beteiligten und des Gutachters am 8. August 2019 eine praktische Erprobung stattgefunden. Hierbei sollte festgestellt werden, ob der Kläger imstande ist, in einen mit einem Schwenksitz umgerüsteten … C. umzusitzen. Der Versuch ist im Einvernehmen aller Beteiligten abgebrochen worden. Es wird insoweit auf das Protokoll verwiesen.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf diesen sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist als kombinierte (Teil-)Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 18. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 und zwar sowohl hinsichtlich der Bewilligung des Vorschusses in Höhe von 40.000,- EUR für behinderungsbedingte Zusatzausstattung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KfzHV des … T5 M. des Klägers wie des Zuschussbetrags zur Anschaffung des Wagens in Höhe von 9.500,- EUR nach § 5 Abs. 2 KfzHV. Begehrt ein Kläger einen höheren Zuschuss zur Anschaffung eines Kfz nach § 5 Abs. 2 KfzHV mit der Begründung, dass er wegen Art und Schwere seiner Behinderung zwingend ein bestimmtes Kraftfahrzeug mit einem höheren Kaufpreis benötige, bilden Zuschuss und Umrüstungskosten ausnahmsweise einen einheitlichen Streitgegenstand. In diesem Fall wird in der Regel ein konkretes Kraftfahrzeug erforderlich sein, dessen konkreten Umrüstungskosten dann auch berücksichtigt werden müssen.
Die angefochtenen Bescheide sind teilweise rechtswidrig und waren daher abzuändern. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kfz-Beihilfe nach § 40 SGB VII in Höhe
- des Kaufpreises für einen … T5 M. Startline mit Automatikgetriebe in Höhe von 32.676,51 EUR,
- die Überführungs- und Zulassungskosten für dieses Fahrzeug in Höhe von 985,- EUR sowie
- die endgültige Bewilligung der tatsächlichen Umrüstungskosten in Höhe von 35.609,54 EUR.
Nach § 40 Abs. 1 SGB VII wird Kraftfahrzeughilfe erbracht, wenn ein Versicherter infolge Art oder Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist, um die Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen. Nach Abs. 2 umfasst die Kraftfahrzeughilfe Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs und für die behinderungsbedingte Zusatzausstattung. Für die Kraftfahrzeughilfe gilt nach Abs. 3 die Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation vom 28. September 1987 (BGBl. I S. 2251), geändert durch Verordnung vom 30. September 1991 (BGBl. I S. 1950) (im Folgenden: KfzHV).
Nach § 5 Abs. 1 KfzHV wird die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs bis zu einem Betrag in Höhe des Kaufpreises, höchstens jedoch bis zu einem Betrag von 9.500 EUR gefördert. Die Kosten einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung bleiben bei der Ermittlung unberücksichtigt. Nach Abs. 2 wird abweichend von Abs. 1 Satz 1 im Einzelfall ein höherer Betrag zugrunde gelegt, wenn Art oder Schwere der Behinderung ein Kraftfahrzeug mit einem höheren Kaufpreis zwingend erfordert.
Die Kraftfahrzeughilfe ist in der Regel eine Ermessensleistung (vgl. statt vieler Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 4 RA 41/94, juris Rn. 16 ff.), so dass grundsätzlich nur eine Verurteilung zur Neubescheidung des Sozialleistungsträgers nach § 131 Abs. 3 SGG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht kommt. Die Ausübung des Ermessens ist nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder die Beklagte von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das Ermessen einer Behörde wird unter anderem durch außenwirksame Rechtsvorschriften wie z. B. die KfzHV als Rechtsverordnung und andere Rechtsvorschriften gesteuert und begrenzt.
Vorliegend hat sich das Ermessen jedoch aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten und aus rechtlichen Gesichtspunkten heraus dahingehend reduziert, dass die Beklagte ausnahmsweise direkt zur Bewilligung der Leistung verurteilt werden kann. Die Gewährung des vollen Kaufpreises eines … T5 M. Startline mit Automatikgetriebe erweist sich als die einzig rechtmäßige Entscheidung im vorliegenden Fall.
Unstreitig ist der Kläger zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft aufgrund der Folgen des Versicherungsfalls aus dem Jahr 2005 auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Ein geeignetes Kraftfahrzeug stand ihm nicht zur Verfügung. Beides hat die Beklagte auch in ihrer Entscheidung, ihm Kraftfahrzeugbeihilfe zu gewähren, berücksichtigt. Insoweit ist die Ermessenentscheidung der Beklagten rechtmäßig und vom Kläger nicht angegriffen.
Lediglich im Hinblick auf die Höhe der Leistungen hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt und zu Unrecht die Kosten für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs auf 9.500,- EUR begrenzt, da vorliegend die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 KfzHV gegeben sind. Die Art und Schwere der Behinderung des Klägers machen die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs mit einem höheren Kaufpreis - nämlich (wenigstens) eines … T5 M. Startline - nach den Feststellungen des Gerichts zwingend erforderlich.
Insbesondere kann der Kläger aufgrund der Schwere seiner unfallbedingten Einschränkungen nicht auf einen gewöhnlichen Pkw der Klein- oder Mittelklasse, aber auch nicht auf kleinere Transporter oder Vans verwiesen werden. Im Rahmen der Beweisaufnahme hat am 8. August 2019 auf dem Gelände des U.-krankenhauses Berlin ein Umsetzversuch mit einem … C., welcher mit einem Schwenk-Hub-Sitz umgerüstet war, stattgefunden. Hierbei haben sich alle Beteiligten davon überzeugt, dass dem Kläger die Nutzung eines derartig umgerüsteten Kraftfahrzeugs aufgrund seiner unfallbedingten Einschränkungen aus mehreren Gründen nicht möglich ist. Zum einen konnte der Kläger bereits nicht mit der erforderlichen Sicherheit ein Rutschbrett nutzen, dessen Nutzung bei einem derartig umgerüsteten Fahrzeug zwingend erforderlich ist, um die Lücke zwischen Rollstuhl und ausgeschwenkten Fahrersitz zu überbrücken. Zum anderen war es ihm auch nicht möglich, seine Beine beim Hineinschwenken des Sitzes in den PKW heranzuziehen, so dass sie zwischen Türunterkante und Schweller hängenblieben. Schließlich konnte er nicht den Rollstuhl beim bzw. nach dem Einsteigen an der Verladehilfe befestigen.
Dies hat auch der medizinische Gutachter Dr. N. in seinem Gutachten vom 10. Oktober 2019 bestätigt. Aufgrund der inkompletten Tetraplegie sub C4 sei der Kläger vollständig auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen. Die minimal verbliebenen Restfunktionen im Bereich der unteren Extremitäten ließen eine Steh- oder Gehfähigkeit nicht zu. Im Bereich der oberen Extremitäten seien ebenfalls schwerwiegende Einschränkungen vorhanden. Mit dem linken Arm könne er ein normales Lenkrad bedienen, mit dem rechten Arm könne er das Handgerät zuverlässig vor- und zurückbewegen. Ferner bestehe ein vollständiger Ausfall der Bauchmuskulatur, was ihm das Einhängen des Rollstuhls in eine Rollstuhlverladehilfe unmöglich mache. Auch das Verladen in die Verladehilfe eines Starrrahmenrollstuhls sei ihm nicht möglich. Hierfür müsse er sich im Rollstuhl drehen, was ihm aufgrund der fehlenden Bauchmuskulatur nicht möglich sei.
Entgegen der vom Vertreter der Beklagten geäußerten Auffassung kann auch nicht ein Fahrzeug unterhalb eines Kleinbusses wie dem … T5 wie etwa ein … C. für den Kläger (mit vertretbaren Kosten) für das Befahren mit dem Rollstuhl umgerüstet werden. Der technische Sachverständige C. W. hat dargestellt, dass das Befahren eines… C. mit einem E-Rollstuhl durch die Hintertür grundsätzlich möglich sei, bauartbedingt dann jedoch kein ausreichender Platz für die Installation eines manuell zu betätigenden Handbediengerät für Gas und Betriebsbremse vorhanden sei. Eine elektronische Lenkhilfe wie eine Joysticklenkung oder ein Minilenkrad seien aufgrund der unfallbedingt eingeschränkten Feinmotorik des Klägers keine Alternative. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass das Lenken eines Kraftfahrzeugs unmittelbar vom Rollstuhl aus einen entsprechend umgerüsteten Rollstuhl mit spezieller Zulassung erfordere, welcher etwa 30.000,- EUR koste. Der technische Sachverständige W. hat schließlich darauf hingewiesen, dass die Einfahrt über eine Rampe aufgrund der Steigung dem Kläger alleine nicht möglich wäre.
Nach den überzeugenden Ausführungen des technischen Sachverständigen W. erfüllten im Jahr 2014 nur zwei Fahrzeuge die Mindestvoraussetzungen für eine Umrüstung für Tetraplegiker: die V-Klasse von … und der … T5 M. Beide Modelle seien nach einem Umbau mit Zugangssystem, wie einem Rollstuhllift, mit einem Rollstuhl befahrbar. Durch den Umbau des Fahrersitzes mit einer 6-Wege-Sitzverstellung sei ein Transfer zwischen Rollstuhl und Sitz auch für den Kläger möglich, da der Abstand zwischen Rollstuhl(sitzfläche) und Fahrersitz nur sehr gering sei.
Das vom Kläger beschaffte Fahrzeug ist– entgegen den anfänglichen Behauptungen des Vertreters der Beklagten – für diesen geeignet. Hiervon haben sich der Vorsitzende und die Beteiligten im Rahmen des Erörterungstermins vom 16. Mai 2019 überzeugt. Der Kläger ist nach dem Erörterungstermin selbständig ohne fremde Hilfe in seinen … Bus eingestiegen und konnte auch den Rollstuhl nach dem Einsteigen sichern.
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 KfzHV sind daher zur Überzeugung des Gerichts erfüllt, der Kläger ist aufgrund seiner unfallbedingten Einschränkungen zwingend auf ein Fahrzeug oberhalb der Mittelklasse, nämlich einen Kleinbus der V-Klasse von … oder einen … T5 M., angewiesen.
In einem solchen Fall reduziert sich das Ermessen der Beklagten hinsichtlich der Höhe der Erstattung jedoch auf die vollständige Erstattung des Kaufpreises des – bei Gesamtschau von Anschaffungs- und Umrüstungskosten – günstigsten geeigneten Fahrzeugs, hier des … T5 M. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 2 KfzHV.
Ob in den Fällen des § 5 Abs. 1 KfzHV, in denen die Umrüstung eines Pkws der Mittelklasse möglich ist, weiterhin der Zuschuss auf eine maximale Höhe von 9.500 EUR gedeckelt ist, kann dabei dahinstehen. Die Höhe von zunächst 16.000,- DM, ab 1991 18.000,- EUR orientierte sich dem für die Anschaffung eines Wagens der unteren Mittelklasse (Bundesrat Drucksache 266/87 S. 20). Dem Behinderten sollte freistehen, sich für ein geeignetes Fahrzeug selbst zu entscheiden, gegebenenfalls auch zu einem höheren Preis. Von einer (automatischen) Dynamisierung dieser Grenze wurde damals abgesehen, eine einmalige Erhöhung „unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Preisentwicklung auf dem Automobilsektor“ erfolgte 1991 (vgl. Bundesrat Drucksache 488/91 S. 2). Weshalb seitdem eine weitere Erhöhung unterblieb, ist unklar (vgl. die Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „Der Bemessungsbetrag in der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung“ vom 16. Dezember 2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/681250/d2f6f760d753584faa9fa3538928b247/WD-6-141-19-pdf-data.pdf).
Aus der Konzeption der KfzHV ergibt sich aber auch, dass nach § 5 Abs. 2 KfzHV die Kosten für ein teureres Fahrzeug, welches zwingend aufgrund der Art oder der Schwere der Behinderung erforderlich war, vollständig und zwar ohne Begrenzung auf einen Höchstbetrag übernommen werden sollten. Hieran besteht kein vernünftiger Zweifel, da die Hilfe nach Abs. 1 ursprünglich ebenfalls kostendeckend sein sollte. Zwar wird die Hilfe gemäß § 6 Abs. 1 KfzHV „in der Regel“ als Zuschuss, d. h. nicht kostendeckend geleistet. Dies ergibt sich aber nicht aus den zu berücksichtigenden Kosten, sondern aus einer etwaigen Anrechnung von Einkommen, welches beim Kläger nicht vorhanden war. Aus der Verwendung des Begriffes „Zuschusses“ kann daher nicht automatisch geschlossen werden, dass die Kosten auch zwingend nur teilweise zu berücksichtigen sind.
Allein die fehlende Begrenzung auf einen Höchstbetrag bei § 5 Abs. 2 KfzHV lässt bereits die Überlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 19. Februar 2020 fehlerhaft erscheinen. Darüber hinaus bleibt unklar, weshalb der Höchstbetrag in § 5 Abs. 1 KfzHV in der Vergangenheit nicht angehoben wurde. Die Beklagte misst dem bloßen Untätigbleiben des Verordnungsgebers eine Bedeutung zu, welche ihm objektiv nicht zukommt. Die Fortschreibung des Kaufpreises eines … G. und darauf folgende Begrenzung der Beihilfe auf 45 % auch im Bereich des Abs. 2 findet so keine nachvollziehbare Grundlage. Sie greift isoliert die Preisentwicklung eines … G. heraus und ignoriert andere Entwicklungen auf dem Fahrzeugmarkt. So bleibt etwa unberücksichtigt, dass der … G. im Jahr 1991 eine Fahrzeuglänge bzw. –breite von 4.000 mm bzw. 1.682 mm hatte. Diese Maße erreicht im Jahre 2014 ein … P. (3.972 mm / 1.682 mm). Insofern können heute auch Kleinwagen entsprechend umgerüstet werden. Hinzu kommt, dass seitdem im unteren Preissegment weitere Wagen (z. B. D. S.) zur Verfügung stehen, worauf der Klägervertreter zu Recht hingewiesen hat.
Die Beklagte verhält sich insoweit im Übrigen auch widersprüchlich. Ausweislich des in ihrem Verwaltungsvorgang befindlichen Urteils des Landessozialgerichts Brandenburg vom 30. August 2004 (L 7 U 34/02) hatte sie im dortigen Verfahren darauf hingewiesen, dass der seit 1991 unveränderte Betrag von 9.500,- EUR bzw. zuvor 18.000 DM nicht anzuheben sei. Vielmehr sei aufgrund der technischen Entwicklung zwischenzeitig auch eine behindertengerechte Umrüstung von Kleinwagen und nicht nur von Wagen der Mittelklasse möglich (S. 12, 13). Zur Untermauerung hatte sie auf eine Studie der Stiftung W. verwiesen.
Mit der Begrenzung des zu berücksichtigenden Anschaffungspreises auf 45% hat die Beklagte die Grenzen ihres Ermessens hinsichtlich der Höhe des Zuschusses überschritten. In den Fällen des § 5 Abs. 2 KfzHV ist sie vielmehr regelmäßig zur Berücksichtigung des gesamten Kaufpreises verpflichtet. Ebenso ist der Abzug für die Kosten der Umrüstung eines … G. VII mit einem Automatikgetriebe, da der … T5 über ein solches bereits serienmäßig verfüge ist, rechtswidrig. Die Beklagte darf in diesen Fällen nicht die fiktiven Umrüstungskosten eines wegen Art und Schwere der Behinderung nicht geeigneten Fahrzeugs gegenrechnen.
Auch der Verweis auf das Rundschreiben 0162/2019 vom 29. April 2019 des Spitzenverbands Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar entfaltet eine solche Verwaltungsvorschrift keine Außenwirkung, kann aber – eine entsprechende tatsächliche gleichmäßige Anwendung vorausgesetzt – mittelbar über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung Außenwirkung erlangen. Selbstverständlich kann diese aber nicht von Festlegungen außenwirksamer, die Beklagte bindenden Rechtsvorschriften wie der KfzHV abweichen. Dies ist allerdings auch nicht zu ersehen. Nach dem Rundschreiben ist zunächst zu prüfen, ob Fahrzeuge wie der … C., der O. C., der … K. oder der C. B. geeignet sind. Dies war – siehe oben – vorliegend nicht der Fall. Nach Ziff. 3 ist der Bemessungsbetrag angemessen zu erhöhen. Da vorliegend ausschließlich ein … T5 M. in Betracht kam, ist die vollständige Übernahme angemessen.
Die Beklagte ist daher dazu zu verpflichten, dem Kläger einen Zuschuss in Höhe von 33.661,51 EUR zu bewilligen. Dies entspricht dem Anschaffungspreis eines … M. Startline 2,0 l TDI mit 7-Gang DSG in Höhe von 38.442,95 brutto als günstigstes für den Kläger geeigneten Fahrzeug. Hiervon waren 15 % Rabatt abzuziehen, welchen …-Nutzfahrzeuge-Händler generell Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 gewähren. Zu den Kosten der Beschaffung zählen auch die Kosten der Überführung und Anmeldung (vgl. Kater in: Kasseler Kommentar, Anhang zu § 16 SGB VI Rn. 43), vorliegend 985,- EUR. Ob die Beklagte die Kosten für einen noch teureren Wagen zu tragen hätte – wofür nichts spricht – braucht nicht entschieden zu werden, da der Kläger mit dem Schriftsatz vom 12. Dezember 2019 seinen Antrag auf die Erstattung des Kaufpreises eines …T5 M. Startline begrenzt hatte.
Die Beklagte darf ferner die Kosten für die Umrüstung des Fahrzeugs auf 35.609,54 EUR endgültig festsetzen, nachdem sie bislang nur einen Vorschuss bewilligt hatte. Dies entspricht den tatsächlichen Kosten für die Umrüstung, die der Kläger durch die Vorlage der Rechnung der R. M. B. M. GmbH vom 7. März 2014 nachgewiesen hat. Diese Kosten sind auch angemessen und erforderlich, wie sich aus dem Gutachten des technischen Gutachters W. ergibt, der einen geringfügig höheren Betrag von 36.977,45 EUR ermittelt hat. Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 12. Dezember 2019 die Erstattung des vom Gutachter ermittelten Betrags begehrt, bleibt die Klage ohne Erfolg. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KfzHV besteht – jedenfalls im Anwendungsbereich des Abs. 2 - ausschließlich ein Anspruch auf Erstattung der tatsächlich angefallenen Kosten für das konkret erforderliche Fahrzeug.
Die Beklagte hat daher dem Kläger eine Beihilfe zur Anschaffung eines Kraftfahrzeugs in Höhe von 33.661,51 EUR und endgültig Kosten für die Umrüstung in Höhe von 35.609,54 EUR zu bewilligen. Bei der Auszahlung darf sie selbstverständlich den bereits ausgezahlten Betrag anrechnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger ursprünglich die gesamten Kosten für das von ihm beschaffte Kfz … T5 M. Comfortline begehrt hat.