L 4 R 672/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 R 2418/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 672/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 31/23 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.06.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Erziehungsrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Der am 00.00.1971 geborene, ledige Kläger lebte jedenfalls seit 2016 bis zu deren Tod am 00.06.2018 mit der am 00.00.1977 geborenen, ebenfalls ledigen R (Versicherte) sowie außerdem mit beider am 00.00.2010 geborenen Sohn an derselben Meldeadresse. Seit dem Tod lebt der Kläger mit beider Sohn dort zusammen, dem die Beklagte mit Bescheid vom 26.09.2018 Halbwaisenrente ab 01.07.2018 gewährte.

Im Zeitpunkt der Geburt des Sohnes war der Kläger versicherungspflichtig beschäftigt. Von Juni 2015 bis Ende September 2015 bezog er Arbeitslosengeld, danach war er bis Februar 2016 wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Bis Ende November 2017 bezog er im Wechsel Krankengeld und Arbeitslosengeld, anschließend war er von Dezember 2017 bis Mitte September 2018 wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er bis Juni 2019 Kranken- und Arbeitslosengeld mit einer Unterbrechung durch versicherungspflichtige Beschäftigung im November/Dezember 2018. Seither weist sein Versicherungsverlauf Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug aus.

Im Juni 2018 wandte sich der Kläger an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und beantragte die Gewährung einer Erziehungsrente wegen Erziehung eines Kindes nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten bzw. früheren Lebenspartners. Die DRV Bund leitete den Antrag zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter. Auf die Aufforderung der Beklagten, eine Heiratsurkunde und Unterlagen zu einer erfolgten Scheidung vorzulegen (Schreiben vom 18.07.2018) teilte der Kläger am 25.07.2018 mit, seinem Antrag sei trotz fehlendem Trauschein stattzugeben, da das Bayerische Landessozialgericht (LSG) so entschieden habe (L 1 R 204/09). Die angeforderten Unterlagen könne er nicht beifügen, da er nicht verheiratet gewesen sei, er habe aber den gleichen sozialen Status wie ein Geschiedener, bloß verantwortungsvoller.

Mit Bescheid vom 24.08.2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erziehungsrente nach § 47 SGB VI ab. Die für eine Erziehungsrente gesetzlich geforderten Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil keine rechtskräftige Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft bestanden habe. Eine Erziehungsrente könne nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur geleistet werden, wenn es sich bei dem Verstorbenen entweder um die derzeitigen oder früheren Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartner handele. Mit Beschluss vom 02.05.2012 – 1 BvG 20/09 – habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass der Normenkontrollantrag des Bayerischen LSG vom 30.09.2009 – L 1 R 204/09 – betreffend die Regelung der Erziehungsrente in § 47 SGB VI unzulässig sei. Zur Begründung habe das BVerfG ausgeführt, dass das Bayerische LSG seiner Darlegungspflicht nicht genügt habe, weil es in seiner Gleichheitsprüfung nicht alle in Betracht kommenden Leistungsvorschriften zur Hinterbliebenenversorgung einbezogen habe. Die Zahlung einer Erziehungsrente sei damit nicht möglich, wenn zu dem Verstorbenen – selbst bei gemeinsamer Erziehung von Kindern – zu keinem Zeitpunkt eine eheliche oder eingetragene lebenspartnerschaftliche Verbindung bestanden habe.

Den vom Kläger am 05.09.2018 eingelegten Widerspruch, den er damit begründete, die aktuelle Formulierung des § 47 SGB VI sei sozial ungerechtfertigt und verhindere die Gleichstellung der Rechte von Kindern, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2018 zurück. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 47 SGB VI könne eine Erziehungsrente nur geleistet werden, wenn es sich bei den Verstorbenen entweder um die derzeitigen oder früheren Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartner handele; im Übrigen wiederholte die Beklagte ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.

Dagegen hat der Kläger am 03.12.2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben. Die Vorschrift des § 47 Abs. 1 SGB VI sei in der derzeitigen Form verfassungswidrig; sie verstoße gegen Art. 6 Grundgesetz (GG) sowie gegen Art. 3 GG. Nach Art. 6 Abs. 5 GG seien den nichtehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. § 47 Abs. 1 SGB VI führe hingegen jedenfalls mittelbar zu einer Benachteiligung unehelicher Kinder. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleiste die Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Alleinerziehende geschiedene Ehegatten würden gegenüber Alleinerziehenden, die nicht verheiratet gewesen seien, durch § 47 Abs. 1 SGB VI aber bevorzugt; es liege eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. Die Erziehungsrente sei, anders als eine Witwen-/Witwerrente, eine Rente aus der eigenen Versicherung des kindererziehenden verwitweten geschiedenen Ehepartners, der keine neue Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sei. Sie entspreche der Rente wegen voller Erwerbsminderung und solle dem Hinterbliebenen erlauben, sich verstärkt um die Kindererziehung zu kümmern. Das Bayerische LSG habe die Regelung zutreffend für verfassungswidrig gehalten, auf dessen Ausführungen werde Bezug genommen. Es gehe im Kern um die Frage, ob der verfassungsrechtliche Schutz der Familie eine Differenzierung zwischen Familien, deren Kern eine Ehe (gewesen) sei, und solchen, die ohne Trauschein bestünden, im Hinblick auf den mit einer Regelung verfolgten Zweck erlaube. Dies sei bei der Erziehungsrente zu verneinen, da deren Zweck der teilweise Ausgleich des aus der Kindererziehung folgenden Einkommensverlustes sei. Dass von der Erziehungsrente solche Hinterbliebene, die nie verheiratet waren, ausgeschlossen seien, weiche von dem ansonsten im SGB VI vorgesehen Prinzip ab, Eltern finanziell abzusichern, die Kinder erziehen und deshalb auf Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verzichten müssten. Sehe das Gesamtleistungssystem somit keine Rentenzahlung für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vor, verstoße entweder § 46 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI (Witwenrente) oder § 47 Abs. 1 (Erziehungsrente) gegen Verfassungsrecht. Dies sei auch dem Beschluss des BVerfG vom 09.11.2004 – 1 BvR 684/98 – zu entnehmen, in dem ausgeführt und begründet werde, dass die Vorschriften der §§ 40, 40a Abs. 1 und 41 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) i.V.m. § 1 Abs. 8 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) mit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar seien, soweit sie keine Versorgungsleistungen für den Partner eine nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorsähen, der nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernehme. Die insoweit vom BVerfG gemachten Überlegungen seien auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 zu verurteilen, dem Kläger ab 01.07.2018 Erziehungsrente zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen. Das Vorbringen im Klageverfahren sei bekannt und bei der Entscheidung berücksichtigt worden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.06.2021 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzten in keiner erdenklichen Weise das GG, so dass auch dem Hilfsantrag keine Erfolgsaussichten beizumessen seien. Die verfassungsrechtlichen Bedenken würden nicht geteilt, insoweit sei auf das Parallelverfahren zu verweisen, in dem der Kläger die Witwerrente geltend gemacht habe. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die in § 47 SGB VI vorgesehene Differenzierung zwischen vor und nach Juli 1977 geschiedenen Ehen sei sachlich begründet; denn für vor Juli 1977 geschiedene Ehen gelte § 243 SGB VI wegen des bis dahin geltenden Rechts der Scheidung und nachehelichen Unterhaltsgewährung; demzufolge habe durch eine Hinterbliebenenrente aus Anwartschaften des verstorbenen Versicherten der Wegfall der Unterhaltssicherung bei dessen Tod ausgeglichen werden sollen. Für später, nach dem 30.06.1977 geschiedene Ehen komme wegen der seither im Rahmen des Versorgungsausgleichs übertragenen Anwartschaften eine Hinterbliebenenrente aus abgeleitetem Recht nicht mehr in Betracht, sodass ausschließlich eine Erziehungsrente aus eigenem Recht zu prüfen sei. Diese diene als Unterhaltsersatzleistung, wobei als zu ersetzender Unterhaltsanspruch allein ein solcher nach Maßgabe von § 1570 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht komme. Dieser Unterhaltsanspruch gelte allerdings nur für geschiedene Ehegatten. Schließlich liege keine Ungleichbehandlung zwischen unehelichen und ehelichen Kindern vor, vielmehr würden alle Kinder gleichbehandelt. Lediglich diejenigen Elternteile unehelicher Kinder, die nicht miteinander verheiratet gewesen seien, könnten mangels Scheidung nicht in den Kreis der Anspruchsberechtigten einer Erziehungsrente kommen. Insoweit liege aber weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Ungleichbehandlung von unehelichen Kindern vor; bereits nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 SGB VI werde keine Differenzierung nach dem Status eines Kindes als ehelich oder unehelich vorgenommen. Im Übrigen könnten Kinder unabhängig von ihrem Status als eheliche oder uneheliche Kinder einen eigenen Anspruch auf Halbwaisenrente aus der Versicherung des verstorbenen Elternteiles haben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das am 02.07.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.07.2021 Berufung eingelegt. Ihm stehe der geltend gemachte Anspruch zu, hilfsweise sei eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Er vertritt weiter die Auffassung, der Ausschluss von der Erziehungsrente sei verfassungswidrig und verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Der Beschluss des BVerfG vom 02.05.2012 lasse lediglich offen, ob ihm ein Anspruch auf Witwerrente oder auf Erziehungsrente zustehen müsse. Es ergebe sich daraus jedoch ein grundsätzlicher Anspruch. Ebenfalls folge dies aus dem Beschluss des BVerfG vom 09.11.2004; die darin angestellten grundsätzlichen Erwägungen seien ohne weiteres übertragbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.06.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.07.2018 Erziehungsrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt zur Begründung ihren Vortrag aus dem Verfahren erster Instanz und verweist zudem auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung. Die versicherungsrechtliche Voraussetzung des § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI (allgemeine Wartezeit zum Todestag der Kindesmutter am 00.06.2018) sei erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Gewährung einer Erziehungsrente gemäß § 47 Abs. 1 SGB VI (dazu unter a). Der Senat hält § 47 Abs. 1 SGB VI auch nicht für verfassungswidrig, so dass die mit dem Hilfsantrag begehrte Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 GG ausscheidet (dazu unter b).

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erziehungsrente gemäß § 47 Abs. 1 SGB VI. Einen solchen Anspruch haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn 1. ihre Ehe nach dem 30.06.1977 geschieden und ihr geschiedener Ehegatte gestorben ist, 2. sie ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erziehen (§ 46 Abs. 2), 3. sie nicht wieder geheiratet haben und 4. sie bis zum Tod des geschiedenen Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, denn eine Ehe des Klägers ist nicht nach dem 30.06.1977 geschieden worden (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Der Kläger war zu keiner Zeit verheiratet, auch nicht mit der verstorbenen Mutter seines Kindes; denknotwendig hat dann auch keine Scheidung stattgefunden. Ob die weiteren Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 SGB VI vorliegen, kann danach dahinstehen.

b) Der Senat hält § 47 Abs. 1 SGB VI auch nicht für verfassungswidrig, so dass keine Veranlassung besteht, den Rechtsstreit auszusetzen und die Sache dem BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG) vorzulegen.

Zulässig ist ein Antrag auf konkrete Normenkontrolle beim BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 nur, falls das vorgelegte Gesetz entscheidungserheblich und das vorlegende Gericht selbst von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss selbst in eigener Verantwortung entscheiden und dabei eine verfassungskonforme Auslegung für sich ausschließen (Morgenthaler in: BeckOK GG, 52. Ed. 15.8.2022, Art. 100 Rn. 16).

Der Senat kann offenlassen, ob die Regelung des § 47 Abs. 1 SGB VI für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, insbesondere wie – anstelle der Ehe – eine nichteheliche Lebensgemeinschaft zu definieren wäre, ob die dafür dann aufgestellten Merkmale hier tatsächlich nachweislich erfüllt gewesen wären und ob die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SGB VI vorliegen. Denn selbst wenn man unterstellte, all dies wäre zu bejahen, ist der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 47 Abs. 1 SGB VI überzeugt. Es liegt weder ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 GG vor (dazu unter aa), noch gegen Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (dazu unter bb).

aa) Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 5 GG ist nicht ersichtlich. Dieser Regelung zufolge sind den unehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Gegen diesen Grundsatz verstößt § 47 Abs. 1 SGB VI nicht. Adressaten dieser Anspruchsnorm sind bereits nicht die (ehelichen oder unehelichen) Kinder selbst. Vielmehr verschafft § 47 Abs. 1 SGB VI dem erziehenden überlebenden Elternteil einen Rentenanspruch aus eigenem Recht. Die Regelung differenziert für den Anspruch auf Erziehungsrente darüber hinaus nicht danach, ob ein Kind ehelich oder unehelich ist, es wird vielmehr allein Bezug genommen darauf, ob ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erzogen wird. Durch die Verweisung auf § 46 Abs. 2 SGB VI werden den eigenen Kindern und den Kindern des geschiedenen Ehegatten auch die Stief- und Pflegekinder, die Enkel und Geschwister des Versicherten unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gleichgestellt. Das (eheliche oder uneheliche) Kind eines verstorbenen Elternteils hat vielmehr einen eigenen Anspruch auf Halbwaisenrente nach § 48 Abs. 1 SGB VI, soweit die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Es besteht aber ohnehin keine unmittelbare Auswirkung der elterlichen Rechtspositionen auf die Lebenssituation des Kindes. Zwar wirkt sich die Erziehungsrente auf die Einkommenssituation des Haushaltes aus und damit auch mittelbar auf das wirtschaftliche Umfeld des nichtehelichen Kindes; dies reicht jedoch für die von der Rechtsprechung geforderte Unmittelbarkeit nicht aus (vgl. Scheiwe/Schuler-Harms/Wallrabenstein, NZS 2012, 601, 604).

bb) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vor. Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleichbehandelt werden.

Sinn und Zweck der Erziehungsrente gemäß § 47 Abs. 1 SGB VI ist die Unterhaltsersatzfunktion für den überlebenden Erziehenden: Grundsätzlich besteht nach einer Ehescheidung zum einen – zu Lebzeiten beider geschiedener Ehegatten – ein Unterhaltsanspruch des Erziehenden wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes (§ 1570 BGB) gegen den geschiedenen Ehegatten. Stirbt der nicht erziehende geschiedene Ehegatte, hatte der überlebende (erziehende) Ehegatte bei Scheidung vor dem 01.07.1977 nach altem Recht einen Anspruch auf Geschiedenen-Hinterbliebenenrente. Diese Rente ist weggefallen bei Scheidungen ab 01.07.1977; nunmehr findet der Ausgleich zwischen den Ehegatten im Falle der Scheidung durch den Versorgungsausgleich (§§ 1587 ff. BGB) statt. Um für diesen Fall – bei weggefallenem Unterhalt und nicht vorhandenem Anspruch auf Geschiedenenrente – dennoch unter Berücksichtigung der in die Erziehung des Kindes zu investierenden Zeit den Unterhalt des Erziehenden zu sichern, hat der Gesetzgeber zum Ausgleich die Erziehungsrente geschaffen (vgl. dazu auch Ringkamp in: Hauck/Noftz SGB VI Stand 2022, § 47 Rn. 1).

Vor diesem Hintergrund sind maßgebende Vergleichsgruppen einerseits diejenigen, die im Zeitpunkt des Todes des vormaligen, geschiedenen Ehepartners ledig sind und ein Kind i.S.d. § 47 Abs. 1 SGB VI alleine erziehen, andererseits diejenigen, die im Zeitpunkt des Todes des Partners ebenfalls ledig sind, mit diesem aber nie verheiratet waren, und ein Kind i.S.d. § 47 Abs. 1 SGB VI alleine erziehen. Diese beiden Gruppen werden insoweit unterschiedlich behandelt, als die erstgenannten – jeweils bei Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen – einen Anspruch auf Erziehungsrente haben, die letztgenannten hingegen nicht. Damit liegt eine Ungleichbehandlung vor.

Diese Differenzierung ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt und verletzt daher nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat bei der Gestaltung sozialer Sicherungssysteme grundsätzlich einen großen Gestaltungsspielraum (BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 1629/94 –, juris, Rn. 54). Dementsprechend darf der Gesetzgeber die in Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich genannte, in der vorgesehenen rechtlichen Form geschlossene bürgerlich-rechtliche (§§ 1303 ff. BGB) Ehe – seit 01.10.2017 auch die gleichgeschlechtliche Ehe – gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens anders regeln und insofern auch bestimmte Vorteile schaffen, die für diese anderen Formen nicht vorgesehen werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 07.07.2009 – 1 BvR 1164/07 –, juris, Rn. 101f.). Solche Vorteile ergeben sich durch die Gesetzgebung in vielen Bereichen, insbesondere im Steuerrecht (z.B. gemeinsame Veranlagung), im Familienrecht und im Erbrecht (z.B. gesetzlicher Erbteil, Zugewinnausgleich). Auch bemisst sich etwa der Unterhaltsanspruch von geschiedenen Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB), der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen anderen Elternteils hingegen allein nach dessen eigener Lebensstellung (§§ 1615l, 1610 BGB). Grund für diese Differenzierungen ist die Rechtsverbindlichkeit der gemeinsam eingegangenen ehelichen Verbindung. Dadurch werden verschiedengeschlechtliche nichteheliche Lebensgemeinschaften zwar faktisch benachteiligt; wollen sie ihrer Lebensgemeinschaft aber eine dauerhafte Rechtsverbindlichkeit – verbunden mit den einhergehenden Vorteilen – geben, steht ihnen das Institut der Ehe zumutbar offen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.07.2002 – 1 BvF 1/01 –, juris, Rn. 109). Zwar können sich auch nichteheliche Lebensgemeinschaften durch innere Bindungen und gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander auszeichnen; im Gegensatz zur Ehe ist eine nichteheliche Lebensgemeinschaft aber jederzeit und ohne weitere rechtliche Konsequenzen beendbar. Eine eingegangene Ehe hingegen hat zur Folge, dass sie nur unter Einhaltung eines bestimmten, gesetzlich geregelten Verfahrens (Scheidung durch richterliche Entscheidung auf Antrag eines der beiden Ehegatten, § 1564 BGB) beendet werden kann, und auch nach einer Scheidung rechtliche Konsequenzen erwachsen, insbesondere durch die Regelungen zum Versorgungsausgleich und zum nachehelichen – von der Erziehung eines Kindes unabhängigen – Unterhalt (§ 1573 BGB). Ein solch fester rechtlicher Rahmen ist für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht vorgesehen. Entscheiden sich Lebenspartner dafür, die Ehe nicht einzugehen, können sie auch nicht darauf vertrauen, dass ihnen alle Privilegien, die mit dem Eingehen einer Ehe verbunden sind, ebenfalls zugutekommen. Insoweit besteht ein bewusstes Risiko. Gehen sie hingegen die Ehe ein, entsteht ein Vertrauen in die rechtliche Absicherung im Falle der Scheidung oder im Falle des Vorversterbens eines der Ehegatten. Dieses Vertrauen wird gestärkt durch die Erziehungsrente. Es ist daher verfassungsmäßig gerechtfertigt, an den einmal eingegangen rechtlichen Rahmen der Ehe auch nachehelich gewisse Vorteile zu knüpfen, die für andere Formen des Zusammenlebens nicht vorgesehen werden. Dadurch werden die Partner dieser Lebensformen nicht benachteiligt, denn auch ihnen hat das Eingehen der Ehe offengestanden. Anders als die Ehe oder die eingetragene Lebenspartnerschaft ist eine nichteheliche Lebensgemeinschaft darüber hinaus gesetzlich nicht definiert; deren Bestehen mit dem verstorbenen Versicherten zu dessen Todeszeitpunkt oder auch das Eingehen einer neuen nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann nicht anhand verwaltungspraktikabler Kriterien festgestellt werden.

Auch das ebenfalls in Art. 6 Abs. 1 GG benannte Recht auf Familie ist nicht verletzt. Dieses betrifft nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG die umfassende Gemeinschaft von Eltern und ihren Kindern bzw. die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Kindern (z.B. BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 − 1 BvL 14/09 –, juris; vgl. Uhle in BeckOK GG, 52. Ed. 15.8.2022, Art. 6 Rn. 14). Das Recht auf die Gemeinschaft des überlebenden Erziehenden, der nie verheiratet war, ist aber gegenüber demjenigen, der geschieden ist, nicht beeinträchtigt. Denn auch dem nie verheirateten Erziehenden wird nicht die Möglichkeit genommen, eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit dem Kind aufrecht zu erhalten. Zum einen stehen ihm nämlich dieselben bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüche zu wie dem geschiedenen Erziehenden: Haben die Letztgenannten einen Anspruch auf Erziehungsunterhalt auch gegen den Erben nach § 1586b Abs. 1 BGB, ist für die erstgenannte Gruppe ein entsprechender Anspruch in § 1615l BGB vorgesehen. Für beide Gruppen besteht dieser Anspruch in der Regel für drei Jahre, in Härtefällen auch darüber hinaus. Außerdem hat das Kind selbst grundsätzlich einen eigenen Anspruch auf Halbwaisenrente (§ 48 Abs. 1 SGB VI). Zudem sind ohnehin die Ansprüche auf Kindergeld sowie auf Sozialleistungen bzw. Grundsicherung – im Falle von Bedürftigkeit der Lebensgemeinschaft aus Erziehendem und Kind – völlig unabhängig von einer vormals bestandenen Ehe. Eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft ist damit in jeder Hinsicht stets möglich. Dass lediglich die (weitere) Erziehungsrente den nie verheirateten Erziehenden nicht zusteht, beeinträchtigt die bereits durch diese übrigen Absicherungen auch wirtschaftlich mögliche Fortsetzung der Lebens- und Erziehungsgemeinschaft einerseits nicht und ist andererseits durch die grundgesetzlich gerechtfertigte Privilegierung der Ehe (s. oben) gerechtfertigt (zum Ganzen so auch: SG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2014 – S 12 R 4487/12 –, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.04.2016 – L 3 R 150/15 –, juris).

Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus dem Beschluss des BVerfG vom 09.11.2004 – 1 BvR 684/98 –, in dem das Gericht es für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG erklärt hat, dass das OEG keine Versorgungsleistung für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorsieht, der nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernimmt. Denn das OEG verfolgt einen anderen Zweck als die Gesetzliche Rentenversicherung; geht es bei ersterem um die Verantwortung des Staates, seine Bürger vor Gewalttaten und Schädigungen durch kriminelle Handlungen zu schützen, da er der Träger des Gewaltmonopols sowie der Verbrechensverhütung und –bekämpfung ist, deckt letztere allein das Risiko ab, die eigene Arbeitskraft aufgrund Alters oder anderer Umstände nicht mehr einsetzen zu können. Für die gesamte Versichertengemeinschaft sind insofern jeweils tatsächliche und versicherungsrechtliche Voraussetzungen definiert, wann der Leistungsfall eintritt. Es ist daher nicht verfassungswidrig, solche Versicherungsleistungen an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen, die entweder erfüllt werden können oder eben bewusst nicht. Die besondere Stellung der Ehe mit ihren Vorteilen einerseits – insbesondere in Bezug auf nachehelichen Unterhalt – und ihren Pflichten andererseits rechtfertigt dabei eine solche Unterscheidung.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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