1. § 56a Satz 1 SGG normiert eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe, u.a. auch für eine "Unterlassungsklage" betreffend die monierte "Missachtung" der "hinterlegten" Vollmacht.
2. Das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzintresse für ein Unterlassungsbegehren liegt nicht vor, wenn ein bereits zuvor aus gleichem Anlass angestrebtes Klageverfahren trotz Betreibensauffoderung des SG nicht weiterverfolgt und ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse nicht nachgewiesen wird mit der Folge, dass die Fiktion der Klagerücknahme eintritt (§ 102 Abs. 2 SGG), und sodann erneut "Unterlassungsklage" erhoben wird, obwohl die Verwaltung die vorgelegte Vollmacht zwischenzeitlich beachtet hat.
Die Berufung der Klägerin gegen Gerichtsbescheid des Sozialgericht Freiburg vom 28.06.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer Vollmacht.
Die 1965 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 07.09.2020 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Diesen Antrag lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 14.10.2020 ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zeigte der Bevollmächtigte seine Vertretung der Klägerin an und legte eine „Vollmacht zur Vertretung bis auf Widerruf“ vom 15.12.2020 vor. Mit Bescheid vom 18.01.2021, der direkt an die Klägerin adressiert war, bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Am 10.02.2021 erhob die Klägerin eine „Unterlassungsklage“ zum Sozialgericht Freiburg (SG) (S 6 R 430/21) und begehrte, die Beklagte zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,00 € die Vollmacht, die „für den Kläger bei ihr hinterlegt worden ist“, nicht weiterhin zu missachten. Der Abhilfebescheid vom 18.01.2021 sei unmittelbar an die Klägerin gegangen. Die Beklagte trat der Klage entgegen und teilte mit, zur Sicherstellung der dem Bevollmächtigten erteilten Vollmacht vom 15.12.2020 sei im Konto der Klägerin die Bevollmächtigung hinterlegt worden. Bei der Klägerin liege keine Beschwer vor. Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin trotz zweifacher Erinnerung nicht zum Vorbringen der Beklagten Stellung genommen hatte, wies das SG daraufhin, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung länger als 3 Monate nicht betrieben werde (§ 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), und das Klageverfahren dann beendet wäre. Dieser Hinweis wurde dem Klägerbevollmächtigten am 29.11.2021 zugestellt. Nachdem keinerlei Reaktion der Klägerseite erfolgt war, sah das SG die Klage gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen an und unterrichtete die Beteiligten mit Schreiben vom 18.03.2022 darüber.
Die vorliegende, als „Unterlassungsklage“ bezeichnete Klage hat der Bevollmächtigte der Klägerin in ihrem Namen am 24.03.2020 zum SG erhoben (S 4 R 972/22). Der Klägerbevollmächtigte hat erneut die Nichtbeachtung der Bevollmächtigung durch Versendung des Abhilfebescheids vom 18.01.2021 an die Klägerin moniert. Ihr Bevollmächtigter führt in der Klageschrift u.a. Folgendes aus:
“Man muss nicht darüber diskutieren und Bevollmächtigter und Mandat sind eine Einheit, und der Bevollmächtigte ist nicht Beteiligter des Verfahrens. Die Missachtung der Bevollmächtigung ist nicht unter § 56a SGG subsumierbar. Es ist nicht angezeigt, dass der Bevollmächtigte, in dessen Rechte mit eingegriffen wird, ein gesondertes Verfahren diesbezüglich orientiert führt, denn betroffen ist der Versicherte auch, aber nicht alleine. Das Unterlassen der Beachtung der Bevollmächtigung ist im Übrigen keine Verwaltungsmaßnahme im Einzelnen, sondern sie ist eine Missachtung eines Vertragswerkes, denn die Bevollmächtigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Wiederholt hatte ich bereits ausgeführt, und bin über die Rechtsprechung diesbezüglich auch ehrlich gesagt verärgert, dass insoweit dieser leidvolle § 56a SGG nicht zur Anwendung kommen kann. Immer wenn ein Nichtbeteiligter in einem Rechtskreis betroffen ist, ist § 56a SGG nicht anwendbar und im Übrigen ist das keine allgemein gültige Rechtfertigungsklausel. Auch wenn man es mit Leuten zu tun hat, die nicht Deutsch können. Grad an der Bevollmächtigung vorbei wird dieser Brief verfasst. Ich mache kein Hehl daraus, dass ich es leid bin, dass ich es satthabe, was sich in den letzten ein/zwei Jahren hier abspielt. Es wird zum Tagesgeschäft, die Vollmachten nicht zu beachten und das wird nicht nur den Unterzeichner betreffen. Es ist Aufgabe der Gerichtsbarkeit sich dagegenzustellen, wenn die Kläger sich an die Gerichtsbarkeit diesbezüglich orientiert wenden und nicht mit fadenscheinigen Ausflüchten sich dieser Verfahren zu entledigen. Gegenwärtig sehe ich ein Versagen des Rechtsystems hier. Die Missachtung der Bevollmächtigung muss ahndungsfähig und justiziabel sein. Es war immer schon in den letzten Jahren ein leidiges Thema mit der Vollmachtsbeachtung im Hause der Beklagten. Es wird jetzt genauso in der Entwicklung, wie ich es immer schon prophezeit habe, es gewinnt an System. Es ist eine systematische Vollmachtsmissachtung zu verzeichnen und es gab diesbezüglich orientiert mit der Geschäftsführung der Beklagten auch schon Schriftwechsel. Man beteuerte zwar immer, es würde sich um keine systematische Handlung handeln, entschuldigte sich dann für die Vollmachtsmissachtung, aber eine Besserung tritt nicht ein. Man muss sich eigentlich wirklich fragen, worin denn die Beschwerden liegen eine Vollmacht zu beachten wie es im Rechtsverkehr üblich ist. Man muss sich vor allen Dingen fragen, warum immer gerade dann die Vollmachten nicht beachtet werden, wenn es um Kosten auslösende Ausführungs-, Anerkenntnis- oder Vergleichsbescheide geht oder gar rechtsgestaltende Briefe. Immer dann bekommt der Mandant den Bescheid unmittelbar. Also von wegen es läge kein System vor, das ist abwegig. Da ich alles außergerichtlich versucht habe die Beklagte dazu zubekommen die Vollmachten zu beachten, habe ich zuletzt der Geschäftsführung mit entsprechenden Klageverfahren gedroht. Da es nicht funktioniert und anders wohl überhaupt nicht funktioniert, muss dieser Weg hier beschritten werden. ...“
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.06.2022 (Blatt 36 ff. der SG-Akten) abgewiesen. Die Klage sei bereits nach § 56a SGG unzulässig (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 26/20 ER-B).
Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 09.07.2022 (Blatt 46 der SG-Akten) zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.07.2022 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat u.a. einen Gerichtsbescheid des SG vom 30.04.2021 (S 12 R 3582/20) vorgelegt und geltend gemacht, die Beklagte werde nun Überlegungen anzustellen haben, ob sie ein Anerkenntnis abgebe, statt Klageabweisung zu beantragen. In mehr als 50% der Fälle würden die Vollmachten nicht mehr beachtet. Insoweit sei es unzutreffend, darauf hinzuweisen, es würde keine Rolle spielen, was in anderen Verfahren passiere. Das sei absolut unzutreffend. Es sei bezüglich des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. des Verhaltens gegenüber einem Bevollmächtigten maßgeblich, ob ein System dahinterstecke oder nicht. Hier stecke ein System dahinter. Da die Beklagte nicht anderes domestizierbar sei, würden diese Verfahren hier geführt. Der Hinweis auf § 56a SGG gehe fehl.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28.06.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,00 € die Vollmacht, die für die Klägerin bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.
Der Senat hat die Akten des SG S 4 R 430/21 beigezogen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Der Senat konnte trotz Ausbleiben der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 28.02.3023 über die klägerische Berufung entscheiden, nachdem die Klägerin in der ihrem Bevollmächtigten am 31.12.2022 zugestellten Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 SGG), jedoch nicht begründet.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage wegen § 56a Satz 1 SGG bereits unzulässig. Hiernach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift dient so der Verfahrensökonomie, indem sie einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Verfahrens- und Formfehler entgegenwirkt (Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/12297, 65), und der Prozessökonomie, indem eine Zersplitterung des Rechtsschutzes vermieden wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, SGG § 56a Rn. 2 m.w.N.). Verfahrenshandlung i.S.d. § 56a Satz 1 SGG ist jede behördliche Maßnahme, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens ist und eine Sachentscheidung vorbereitet (BeckOGK/Scholz, Stand 01.05.2021, SGG § 56a Rn. 6; vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn. 16, juris). § 56a Satz 1 SGG normiert eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe, u.a. für alle Klagearten (Bundessozialgericht <BSG> 30.06.2022, B 5 R 15/22 B, juris, Rn. 11; BSG 10.03.2022, B 5 R 309/21 B, Rn. 10). Liegen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, ist der Rechtsbehelf unzulässig (LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn. 25, juris m.w.N.). So ein Fall ist hier gegeben.
Vorliegend wendet sich die Klägerin nicht gegen einen Verwaltungsakt der Beklagten und eine darin getroffene Sachentscheidung, sondern moniert eine „Missachtung“ der „hinterlegten“ Vollmacht in einem Verwaltungsverfahren (vgl. im Übrigen zur „Unbestimmtheit“ dieses Begehrens LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn. 31, juris). Sie wendet sich gegen die Nichtbeachtung der von ihrem Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15.12.2020 bei der Beklagten eingereichten Vollmacht vom gleichen Tag, mithin nicht gegen eine ein konkretes Verwaltungsverfahren abschließende Sachentscheidung.
Ein Ausnahmefall im Sinne des § 56a Satz 2 SGG liegt nicht vor. Hiernach gilt Satz 1 nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Ein Fall von Vollstreckbarkeit ist offenkundig nicht gegeben. Entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten liegt in einer Missachtung der Vollmacht aber auch keine Verfahrenshandlung gegen einen Nichtbeteiligten, nämlich den Bevollmächtigten der Klägerin vor. Nichtbeteiligte sind Dritte, denen das Gesetz eine eigene verfahrensrechtliche Position einräumt, die aber nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind, z.B. Zeugen und Sachverständige wegen ihrer Entschädigung oder gesetzliche Vertreter bzw. Bevollmächtigte, die in dieser Eigenschaft von der Behörde zurückgewiesen wurden (Keller a.a.O. § 56a Rn. 11 m.w.N.). Vorliegend liegt der hier gerügte Verfahrensmangel indes in der behaupteten Nichtbeachtung der Vollmacht (vgl. § 13 Abs. 3 SGB X), indem die Beklagte ihr Schreiben vom 18.01.2021 direkt an die Klägerin versandt hat. Eine Verfahrenshandlung gegenüber dem Klägerbevollmächtigten ist nicht erfolgt, insbesondere hat die Beklagte dessen förmliche Zurückweisung nicht verfügt (LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn. 16, juris). Da § 56 Satz 2 SGG somit nicht einschlägig ist, verbleibt es bei der Regelung in § 56a Satz 1 SGG mit der Folge, dass die Klage bereits unzulässig ist.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es auch an dem für das formulierte Unterlassungsbegehren erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. dazu BSG 30.06.2022, B 5 R 15/22 B, juris, Rn. 15; BSG 10.03.2022, B 5 R 309/21 B, Rn. 14; LSG Baden-Württemberg 15.10.2021, L 4 KR 645/21, Rn. 24, juris), weil keine Wiederholung droht. Nach dem hier monierten Vorgang hat die Beklagte in das Versicherungskonto der Klägerin den Umstand der Bevollmächtigung und der vorgelegten „Vollmacht bis auf Widerruf“ aufgenommen, um sicherzustellen, dass bei einer Kommunikation mit der Klägerin zukünftig die Bevollmächtigung beachtet wird. Wie der Senat den vorgelegten Verwaltungsakten entnimmt, hat die Beklagte im weiteren Verlauf mehrmals mit dem Bevollmächtigten der Klägerin kommuniziert (z.B. Schreiben vom 28.04.2021 und 09.02.2022). Weiterhin hat die Klägerin ihre wegen der Missachtung der Vollmacht zunächst erhobene Klage S 6 R 430/21 trotz Betreibensaufforderung des SG nicht weiterverfolgt und ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse nicht nachgewiesen. Unter diesen Umständen sind - bezogen auf die Erhebung der vorliegenden Klage am 24.03.2022 - eine Wiederholungsgefahr und ein Rechtsschutzinteresse nicht im Ansatz ersichtlich.
Schließlich ist zu beachten, dass der Umgang mit Verfahrensfehlern, vorliegend der behaupteten Missachtung der Vollmacht, einer differenzierten rechtlichen Ausgestaltung zugänglich ist und nicht jeder Verfahrensfehler einer Sanktion bzw. einer gerichtlichen Reaktion bedarf (vgl. grundlegend zur Fehlerlehre z.B. Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 332 ff; Ladenburger, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 292 ff.; Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel kommunaler Satzungen, 1988, S. 57 ff.). § 56a SGG schließt - wie dargelegt - in der vorliegenden Konstellation eine gerichtliche Reaktion aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.