L 13 AS 3217/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1073/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3217/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufungen der Kläger werden die Urteile des Sozialgerichts Ulm vom 3. August 2020 sowie die Bescheide vom 12. Juli 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. März und 8. März 2017 insoweit abgeändert, als die Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 16. März 2016 und 19. April 2016 sowie die geltend gemachte Erstattung der gewährten Leistungen auf die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 10. Mai 2016 beschränkt wird.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Der Beklagte hat 2/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers und 1/2 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge zu erstatten.



Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II) für die Zeit ab 1. Dezember 2015 und die vom Beklagten geltend gemachte Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Juli 2016.

Die 1989 geborene Klägerin und der am 14. November 1981 geborene Kläger sind seit 31. Oktober 2015 verheiratet. Sie beantragten beim Beklagten am 22. Dezember 2015 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bewilligungsbescheiden vom 16. März 2016 und 19. April 2016 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 30. November 2016. Für die Klägerin berücksichtigte der Beklagte einen Mehrbedarf bei Schwangerschaft (Geburt der Tochter K.T. 2016). Vermögen wurde in der hierfür vorgesehenen Anlage VM (außer Bankkonten) nicht angegeben. Der Klägerin wurden für Dezember 2015 Leistungen in Höhe von 432,90 € sowie jeweils 438,01 € für die Monate Januar 2016, März 2016 und April 2016, 500,16 € im Februar 2016, 398,90 € im Mai 2016 und jeweils 387,12 € für die Zeit von Juni bis November 2016 bewilligt. Für den Kläger bewilligte der Beklagte 393,63 € für Dezember 2015, jeweils monatlich 398,11€ für Januar, März, April 2016, weitere 458,36 € für Februar 2016 sowie 389,78 € für Mai 2016 und monatlich 387,12 € für die Zeit von Juni bis November 2016. Mit Bescheiden vom 18. April 2016 bewilligte der Beklagte eine Erstausstattung für Schwangere in Höhe von pauschal 200,00 € sowie eine Erstausstattung bei Geburt in Höhe von pauschal 530 €.

Aufgrund eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wurde die Wohnung der Kläger am 11. Mai 2016 durchsucht (vgl. Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Ulm vom 2. März 2016). Gemäß dem Durchsuchungsbericht des Polizeikommissars und Zeugen L vom 11. Mai 2016 erfolgte die Durchsuchung wegen des Verdachts des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln. Der Kläger, der sich zu diesem Zeitpunkt zu einem Besuch bei der Klägerin auf der Geburtenstation der Frauenklinik aufhielt, sei telefonisch kontaktiert worden, da sich niemand in der Wohnung aufgehalten und geöffnet habe. Als der Kläger gegen 15 Uhr in der Wohnung eingetroffen sei, habe die Durchsuchung der Wohnung begonnen, wobei der Kläger nach Belehrung und Eröffnung des Durchsuchungsbeschlusses von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, aber freiwillige Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen gemacht habe. Die Durchsuchung erfolgte durch den Kriminalhauptkommissar/Zeugen O, den Kriminalhauptkommissar/Zeugen K1 und den Polizeikommissar/Zeugen L sowie zwei Beamte der Hundestaffel. Es seien keine Betäubungsmittel gefunden worden, jedoch 2.050 € Bargeld in Scheinen in einem Kinderbett unter dem Kissen sowie 19.000 € Bargeld in einem verschlossenen Tresor, der nach Aufforderung durch den Kläger geöffnet worden sei. Der Kläger habe angegeben, er und die Klägerin hätten das Geld bei ihrer Hochzeit im Jahr 2015 von Hochzeitsgästen bekommen. Das Geld gehöre ihnen beiden, jedoch sei es in seiner Kultur üblich, das Geld für die Ehefrau aufzubewahren, für den Fall der Trennung und der daraus entstehenden Armut. Das Bargeld sei beschlagnahmt und das Mobilfunktelefon in Verwahrung genommen worden. Am 12. Mai 2015 (gemeint 2016) habe man dem Kläger das Mobiltelefon wieder ausgehändigt und diesen darauf hingewiesen, dass das Bargeld in Verwahrung bleibe und zusätzlich zum Zwecke der Einziehung beschlagnahmt werde. Laut der Niederschrift zur Durchsuchung vom 11. Mai 2016 erklärte sich der Kläger damit einverstanden, dass das aufgefundene Bargeld (2.050,00 € aus dem Kinderbett sowie 19.000 € aus dem Tresor im Wohnzimmer) in Verwahrung genommen bzw. beschlagnahmt wird. Gegen die Beschlagnahme wurde kein Widerspruch erhoben. Neben dem Ankreuzfeld „Auf Rückgabe wird verzichtet" wurde handschriftlich hinzugefügt „verzichtet nicht".
Mit Schreiben vom 30. Juni 2016 informierte das Polizeipräsidium Ulm den Beklagten über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger („Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Bankrotts gegen den Kläger und Vermögenssicherung in Höhe von 21.050 € am 12.05.2016/Prüfung Neuberechnung der Leistungen"). Im Rahmen einer Durchsuchung der Wohnung des Klägers seien insgesamt 21.050,00 € aufgefunden worden. Der Kläger habe angegeben, er und die Klägerin hätten dieses Geld anlässlich ihrer Hochzeit im Jahr 2015 geschenkt bekommen. Das Geld sei beschlagnahmt worden. Da der Kläger im Zeitpunkt der Beschlagnahme Arbeitslosengeld bezogen habe, werde der Sachverhalt mitgeteilt. Eine Entscheidung über die Aushändigung des Geldes an den Kläger liege noch nicht vor.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2016 hob der Beklagte die mit Bescheiden vom 16. März 2016 und 19. April 2016 erfolgte Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab 1. Dezember 2015 auf. Durch die Mitteilung des Polizeipräsidiums Ulm habe man Kenntnis davon erlangt, dass in der Wohnung der Kläger insgesamt 21.050,00 € Bargeld sichergestellt worden sei. Der Kläger habe angegeben, dass ihnen dieses Geld anlässlich der Hochzeit geschenkt worden sei. Im Zeitpunkt der Antragstellung habe Vermögen bestanden, das die Freibeträge von 10.500,00 € weit überstiegen habe und die Kläger seien in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt vollständig aus dem Vermögen zu bestreiten. Bei Antragstellung seien keine Angaben zum Vermögen gemacht worden, in der Anlage VM sei lediglich erklärt worden, dass die Kläger über zwei Konten verfügten. Aufgrund dieser wahrheitswidrigen Angaben seien Leistungen zu Unrecht bewilligt worden. Die Entscheidung beruhe auf § 40 Abs. 1 und 2 SGB II, § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -Arbeitsförderung- (SGB III) in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und §§ 7, 9 SGB II. Die bisher erbrachten Leistungen seien zu erstatten. Hierzu seien die gesonderten Erstattungsbescheide zu beachten. Soweit die Kläger aufgrund der Beschlagnahme des Bargeldes den Lebensunterhalt nicht aus dem Vermögen bestreiten könnten, könne nach erneuter Antragsstellung eine darlehensweise Gewährung von Leistungen geprüft werden.

Mit weiteren - separat an die Klägerin und den Kläger adressierten - Bescheiden zur Rücknahme, Erstattung und Zahlungsaufforderung vom 12. Juli 2016 (bezüglich der Klägerin Gegenstand des Verfahrens S 8 AS 1073/17 [anschließendes Berufungsverfahren L 13 AS 3217/20] und bezüglich des Klägers Gegenstand des Verfahrens S 8 AS 1075/17 [anschließendes Berufungsverfahren ursprünglich L 13 AS 3219/20]) nahm der Beklagte die mit Bescheiden vom 16. März 2016 und 19. April 2016 erfolgte Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Juli 2016 vollständig zurück. Die Klägerin bzw. der Kläger verfügten über Vermögen von mindestens 21.050,00 €, der Vermögensfreibetrag betrage hingegen nur 10.500,00 €. Mit dem nachgewiesenen Vermögen habe keine Hilfebedürftigkeit bestanden. Die fehlerhafte Bewilligung hätten die Klägerin bzw. der Kläger durch arglistige Täuschung erwirkt, diese sei erfolgt, da Angaben zum vorhandenen Vermögen in der Anlage VM zum Leistungsantrag nicht gemacht worden seien. Die fehlerhafte Bewilligung sei aufgrund der zumindest grob fahrlässig unvollständigen Angaben im Antrag vom 22. Dezember 2015 erfolgt und der Klägerin bzw. dem Kläger sei die fehlerhafte Bewilligung auch bekannt gewesen. Sie hätten erkennen können, dass ihnen bei dem vorhandenen Vermögen Leistungen in dieser Höhe nicht zugestanden hätten. Gegenüber der Klägerin wurde ein Erstattungsbetrag in Höhe von 4.150,23 € und gegenüber dem Kläger ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3.210,34 € geltend gemacht (§ 50 Abs. 1 SGB X).

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12. Juli 2016 zurück. Der Kläger habe Leistungen beantragt und angegeben, über kein Vermögen zu verfügen. Bei der Durchsuchung, bei der 21.050,00 € aufgefunden wurden, habe er angegeben, es handele sich um Geld, das er und seine Ehefrau zur Hochzeit (31. Oktober 2015) geschenkt bekommen hätten. Somit sei es den Freibetrag übersteigendes Vermögen, das bei der Antragstellung (22. Dezember 2015) vorhanden gewesen sei, weswegen die Leistungsgewährung von Anfang an nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die schriftliche Angabe des Zeugen Ö vom 25. Juli 2016 erscheine angesichts der früheren Angabe nicht glaubhaft. Der Kläger habe es unterlassen, das Geld bei der Antragstellung anzugeben und damit zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht, die zur Bewilligung der Leistungen geführt hätten.

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 12. Juli 2016 wies der Beklagte mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 8. März 2017 zurück. Die Klägerin habe durch ihren Ehemann Leistungen beantragt und angegeben, über kein Vermögen zu verfügen. Bei der Durchsuchung, bei der 21.050,00 € aufgefunden worden seien, habe ihr Ehemann angegeben, es handele sich um Geld, das er und die Klägerin zur Hochzeit (31. Oktober 2015) geschenkt bekommen hätten. Somit sei es den Freibetrag übersteigendes Vermögen, das bei der Antragstellung (22. Dezember 2015) vorhanden gewesen sei, weswegen die Leistungsgewährung von Anfang an nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die schriftliche Angabe des Zeugen Ö vom 25. Juli 2016 erscheine angesichts der früheren Angabe nicht glaubhaft. Die Klägerin habe es unterlassen, das Geld bei der Antragstellung anzugeben und damit zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht.

Auch gegen den weiteren Bescheid vom 12. Juli 2016 (Aufhebung der Bewilligung ab 1. Dezember 2015) legten die anwaltlich vertretenen Kläger Widerspruch ein. Der damalige Bevollmächtigte B führte aus, sein Mandant verfüge über keinerlei Mittel mehr, nachdem bei der Durchsuchung rund 21.000 € Bargeld beschlagnahmt worden sei (Schreiben vom 23. September 2016). Zudem wurde die staatsanwaltliche Einstellungsverfügung im Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Bankrotts vom 25. Juli 2016 vorgelegt, aus der sich die Beschlagnahme des Geldes ergebe. In der Einstellungsverfügung wird ausgeführt, der Kläger habe gegenüber den Ermittlungsbehörden angegeben, der sichergestellte Geldbetrag sei ihm und der Klägerin anlässlich der Hochzeit geschenkt worden, was sich jedenfalls derzeit nicht widerlegen lasse. Zudem werde, soweit der Bezug von Arbeitslosengeld in Betracht komme, die Agentur für Arbeit über den Sachverhalt informiert, da der Geldbetrag möglicherweise auf den Bezug von Sozialleistungen anzurechnen sei.

Nachdem sich der Beklagte bereits mit E-Mail vom 12. Juli 2016 an den Inkasso-Service der Agentur für Arbeit gewandt hatte, wurde mit Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 27. Juli 2016 des Hauptzollamtes Heilbronn – Vollstreckungsstelle - an die Staatsanwaltschaft Ulm (Drittschuldner) der Anspruch auf Herausgabe des am 12. Mai 2016 von der Kripo Ulm beschlagnahmten Bargeldbetrages gepfändet (wegen der Klägerin als Vollstreckungsschuldnerin bezüglich der Forderung in Höhe von 4.179,68 €, (4.150,23 € Forderung aus dem gegenüber der Klägerin erlassenen Rücknahmebescheid vom 12. Juli 2016 [zusätzlich 26,00 € Pfändungsgebühr, 3,45 € Kosten der Zustellung]) sowie wegen des Klägers als Vollstreckungsschuldner bezüglich der Forderung in Höhe von 4.853,79 € (3.210,34 € Forderung aus dem Rücknahmebescheid vom 12. Juli 2016 gegenüber dem Kläger sowie weitere 1.606,00€ aus einer Forderung des Jobcenters Ulm […], Mahngebühr 8,00 € sowie 26,00 € Pfändungsgebühr, 3,45 € Kosten der Zustellung).
Mit Schreiben vom 18. November 2016 teilte die Staatsanwaltschaft Ulm dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers mit, es würden absprachegemäß 12.016,53 € auf das Konto des damaligen Bevollmächtigten in den Strafverfahren, weitere 4.853,79 € sowie 4.179,68 € aufgrund von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen an das Hauptzollamt Heilbronn überwiesen. Gemäß dem vorgelegten Kontoauszug wurden 12.016,53 € am 6. Dezember 2016 auf einem Konto des Zeugen M.Ö. von den Rechtsanwälten B und W gutgeschrieben mit dem Verwendungszweck „Rückerstattung LOK sichergestellter Bargeldbetrag T., M.“.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 teilte der damalige Prozessbevollmächtigte mit, der Kläger habe ihn gebeten, dem Beklagten zu bestätigen, dass sämtliche Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden seien und übersandte die staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügungen wegen des Verdachts des Bankrotts (vom 25. Juli 2016, siehe oben) und des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (vom 18. November 2016). Die aufgefundenen Geldbeträge hätten nachweislich nicht dem Kläger gehört und seien bis auf die Pfändungsverfügung des Jobcenters freigegeben worden.

Am 5. Januar 2017 ging beim Beklagten eine Kopie des Passes sowie ein Schreiben des Vaters der Klägerin, des Zeugen M.Ö., vom 25. Juli 2016 ein:
„Hiermit bestätige ich M.Ö. geb. 01.01.1965, das ich in der KW 18 in die Türkei musste und bei meiner Tochter Ö-T meinen Tresor gelassen habe. In dem Tresor lag mein Bargeld in Höhe von 19000.- €."

Einen zwischenzeitlich neu gestellten Leistungsantrag vom 6. Oktober 2016 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2017 mangels Hilfebedürftigkeit ab, weil das Vermögen von mindestens 21.050,00 € die Vermögensfreibeträge von 11.400 € übersteige. Es werde unter Verweis auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass es sich beim beschlagnahmten Geld um Vermögen der Bedarfsgemeinschaft handele. Von der Einlassung, dass es sich um Geld anlässlich der Hochzeit handele, sei offensichtlich bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens nicht abgewichen worden. Es stelle sich die Frage, warum die Einlassung nicht bereits im Ermittlungsverfahren erfolgt sei. Die Behauptung, es handele sich um Geld des Vaters der Klägerin, sei nicht glaubhaft. Weder stimmten die Höhe des Geldbetrages noch die Auffindesituation mit der Erklärung des Schwiegervaters überein. Entsprechend den Ausführungen des Rechtsanwaltes der Kläger seien die beschlagnahmten Gelder zwischenzeitlich freigegeben. Am 14. Februar 2017 beantragten die Kläger erneut die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Bedarfsgemeinschaft, wobei zum 15. Februar 2017 eine neue Wohnung bezogen wurde. Das Bargeld gehöre nach Angaben des Klägers nicht ihnen und 9.000 € seien bereits gepfändet (Gesprächsvermerk vom 28. Februar 2017). Zudem wurde eine handschriftliche Erklärung des Klägers eingereicht, wonach kein Vermögen vorliege. Für die 21.000 € liege der Nachweis beim Rechtsanwalt. Von den 21.000 € lägen reell nur noch 12.000 € vor, knapp 9.000 € seien als Rückforderung gepfändet.
Auf den in der Folge gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 3. April 2017 verpflichtete das SG den Beklagten mit Beschluss vom 19. Mai 2017 (Az: S 8 AS 987/17 ER) im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen. Die Beschwerde des Beklagten wurde mit Beschluss des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg (LSG, Az.: L 9 AS 2336/17 ER-B) vom 8. August 2017 zurückgewiesen. In seiner Stellungnahme vom 6. März 2017 (Eingang 10. März 2017) gab der Kläger an, der Beklagte habe nie einen Nachweis über den Aufenthalt seines Schwiegervaters in der Türkei gefordert, welchen er nun vorlege. Die Behauptung der Kriminalbeamten, dass es sich um ein Hochzeitsgeschenk gehandelt habe, sei nirgends von ihm schriftlich bestätigt worden, entspreche nicht seiner Aussage und sei nur die Teilwahrheit. Die Einlassung sei in der Strafsache Drogenhandel erfolgt. Dem Staatsanwalt hätten seine Aussagen vorgelegen, wobei die Verteidigungsstrategie Sache seines Rechtsanwaltes gewesen sei, wann er was vorbringe. Es sei mehr darum gegangen, die Vorwürfe des Drogenhandels zu entkräften, als um die Herkunft des Geldes. Die Kriminalbeamten hätten das Geld sowieso als Drogengeld abgehakt und beschlagnahmt, ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsamt und dem Betrug. Andernfalls hätten sie die sechs Goldmünzen, die das eigentliche Hochzeitsgeschenk gewesen seien und zum Vermögen zählen müssten, auch beschlagnahmt. Die sechs Goldmünzen, das Parfüm (7 Stück) und das Besteck seien Hochzeitsgeschenke gewesen. Seine Erklärung hierzu fehle, wie auch die Erklärung zum aufgefundenen Geld im Kinderbett mit den passenden Kontoauszügen. Wie aus dem Beschlagnahmeprotokoll ersichtlich sei, seien 2.050 €, gewährt vom Jobcenter und aus der Förderung zur Erstausstattung ihres Kindes, im Kinderbett gefunden worden. Das Geld sei für einen Einkauf nach der Geburt und Kenntnis des Geschlechtes des Kindes zurückgelegt worden. Aus den beigefügten Kontoauszügen sei ersichtlich, dass 2.250 € (1.500 € und 750 €) vor der Geburt abgehoben und für 200 € ein Kinderbett gekauft worden sei, in dem der Restbetrag aufgehoben worden sei. Die 19.000 € von seinem Schwiegervater hätten in einem kleinen Tresor gelegen, den die Klägerin bis zu dessen Rückkehr versteckt habe, was den Kriminalbeamten am Tag der Hausdurchsuchung auch so erklärt worden sei. Die „Aussage" des Hochzeitsgeschenkes habe sich nur auf die sechs Goldmünzen, das Parfüm (7 Stück) und das Besteckset bezogen. Die Handlungen des Beklagten seien fragwürdig. Im Ablehnungsbescheid sei immer noch von 21.050 € die Rede, ohne dass die knapp 9.000 € Rückforderung erwähnt würden, die vom Zoll beschlagnahmt worden seien. Deswegen lägen sie längst wieder unterhalb des mitgeteilten Vermögensfreibetrages von 11.400 €. Das auf das Konto einbezahlte Geld sei von Freunden und Verwandten geliehen und diene dem Bezahlen von Rechnungen und dem Aufrechterhalten des Lebens. Er begehre Nachzahlungen und die Freigabe des beschlagnahmten Geldes. Der Kläger hat Flugtickets des Zeugen Ö für Flüge von Stuttgart nach Izmir am 2. Mai 2016 und zurück am 9. Mai 2016 vorgelegt. Gemäß dem Vermerk des Ersten Kriminalhauptkommissar W1 vom 17. März 2017 habe dieser, vor dem Hintergrund der Erklärung des Vaters der Klägerin, zum Zeugen Ott Verbindung aufgenommen, der am 15. März 2017 erklärt habe, dass er die Äußerungen des Klägers am Durchsuchungstag ebenfalls gehört habe und diese entsprechend dem Bericht des Polizeikommissars L erfolgt seien. Der Zeuge O habe auch beim Zeugen K1 nachgefragt, der die vom Beschuldigten gemachten Äußerungen bestätigen könne. Am 23. März 2017 legte der Kläger eine Erklärung von diesem Tag vor, wonach die Goldmünzen von ihm für 250 € verkauft worden seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Juli 2016 (Leistungsaufhebung ab 1. Dezember 2015) zurück. Bei dem aufgefundenen Bargeldbetrag von 21.050,00 € handele es sich um Vermögen, das bei der Antragstellung bereits vorhanden gewesen sei und dieser übersteige die Freibeträge, sodass eine Leistungsgewährung von Anfang an nicht gerechtfertigt gewesen sei. Ursprünglich sei ausgesagt worden, dass es sich um ein Hochzeitsgeschenk handele und eine anderslautende Aussage sei nicht nachgewiesen. Die schriftliche Auskunft des Zeugen Ö vom 25. Juli 2016 sei nicht glaubhaft. Der Kläger habe es unterlassen, das Geld bei der Antragstellung anzugeben und damit zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht, die dann zur Leistungsbewilligung geführt hätten.

Am 10. April 2017 haben die Kläger Klage gegen die Widerspruchsbescheide vom 7. März 2017 und 8. März 2017 beim SG erhoben (S 8 AS 1073/17: streitgegenständlich der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegenüber der Klägerin vom 12. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2017), S 8 AS 1074/17 (streitgegenständlich der Aufhebungsbescheid vom 12. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2017), S 8 AS 1075/17 (streitgegenständlich der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegenüber dem Kläger vom 12. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2017) und auf die Begründung des Widerspruchs verwiesen. Im Strafverfahren sei der Kläger freigesprochen worden.

Das SG hat die Akten der Strafsachen 22 Js 6453/17 und 42 Js 4083/16 des Amtsgerichts Ulm beigezogen. Mit Urteil des Amtsgerichts Ulm (Aktenzeichen 3 Ds 22 Js 6453/17) vom 23. April 2019 ist der Kläger im Strafverfahren wegen Betrugs freigesprochen worden. Das Amtsgericht Ulm hat darin u.a. ausgeführt, die Angaben des Klägers ließen sich schlüssig in einen Gesamtzusammenhang fügen, seien teilweise durch Unterlagen belegt worden und daher insgesamt durch das Gericht als glaubwürdig gewertet worden.

Gemäß dem Vermerk der Staatsanwältin N vom 13. März 2018 über ein Telefonat mit dem Zeugen K1 vom selben Tag, wegen seiner Erinnerungen zu den Äußerungen des Klägers im Rahmen der Durchsuchung zu der Herkunft des aufgefundenen Geldes, habe dieser angegeben, dass das Geld zumindest teilweise aus der Hochzeit stammen würde oder für die Hochzeit gedacht gewesen sei. Weiter hätte man auch Goldmünzen aufgefunden, die nicht sichergestellt worden seien. Auf Vorhalt, dass der Kläger im Hinblick auf das Bargeld später angegeben habe, auch gegenüber den Polizeibeamten gesagt zu haben, dass das Geld vom Schwiegervater stammen würde, habe der Zeuge K1 sich an so etwas nicht erinnern können. Auf weiteren Vorhalt, dass der Kläger später angegeben habe, dass die Äußerung bezüglich des Hochzeitsgeschenks sich lediglich auf die Goldmünzen bezogen hätte, habe der Zeuge K1 erklärt, dass die Äußerung mit der Hochzeit im Zusammenhang mit dem Geld gefallen sei, zumindest mit einem Teil davon. Auf die Frage, ob lediglich das Geld unter der Matratze gemeint gewesen sei, habe der Zeuge K1 angegeben, dies nicht mehr sicher sagen zu können.

Mit Schreiben vom 8. Juli 2019 haben der Kläger und sein Schwiegervater, der Zeuge Ö vom Beklagten das „gepfändete Geld plus Zinsen" zurückgefordert.

Am 18. Juli 2019 haben die Kläger einstweiligen Rechtschutz beim SG beantragt (Az: S 8 AS 2689/19 ER) und die Auszahlung des vereinnahmten Geldes geltend gemacht. Hinsichtlich der nichtöffentlichen Sitzung vom 20.September 2019 und der hierbei erfolgten Vernehmung des Zeugen Kriminalhauptkommissar a.D. O wird auf das dortige Protokoll verwiesen. Mit Beschluss vom 31. Oktober 2019 hat das SG den Antrag abgelehnt (S 8 AS 2689/19 ER). Die anschließende Beschwerde beim LSG blieb ohne Erfolg (vgl. Beschluss des Senats vom 13. Dezember 2019 – L 13 AS 4038/19 ER-B). Im Beschwerdeverfahren L 13 AS 4038/19 ER-B ist eine eidesstaatliche Versicherung des Zeugen Ö vorgelegt worden, in der dieser ausgeführt hat: „Das die Beschlagnahmten 19000.- €, die sich bei Herr T1 befunden haben, mir gehören. Ich hatte meinen Tresor mit dem Geld bei meiner Tochter gelassen, weil ich kurzfristig wegen einer Erkrankung meines Vaters in die Türkei musste. Ich habe 12.016,53 € davon erhalten. Ich verlange umgehend die restlichen 6.983,47 € von Herrn T1 zurück. Ich glaube ich habe jetzt genug Geduld gezeigt. Ich muss auch keine Rechtfertigung abgeben für was ich mein Geld verwenden will oder muss. Ich brauche es aber dringend weil ich gerade Pflege- und Krankenhauskosten in der Türkei habe, aufgrund der schweren Erkrankung meiner Mutter."

In der mündlichen Verhandlung am 3. August 2020 hat das SG Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Ö, O, K1 und L.

Mit Urteilen vom 3. August 2020 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des mit Bescheid vom 16. März 2016 in der Fassung des Bescheids vom 19. April 2016 bewilligten Arbeitslosengeldes II lägen vor. Rechtsgrundlage der Rücknahmeentscheidungen seien § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III. Das SG sei unter Würdigung der Gesamtumstände davon überzeugt, dass die Leistungsbewilligungen mit Bescheiden vom 16. März 2016 und 19. April 2016 von Anfang an rechtswidrig gewesen seien. Denn es lasse sich aufgrund einer vorliegend ausnahmsweise anzunehmenden Beweislastumkehr zu ihren Lasten nicht feststellen, dass die Kläger im streitigen Zeitraum hilfebedürftig gewesen seien. Der Vortrag der Kläger, dass es sich bei den bei der Hausdurchsuchung aufgefundenen 19.000 € nicht um ihr Geld handele, sei nicht (zum Vollbeweis) erwiesen. Diesbezüglich stünden die Ausführungen der Kläger und die Aussage des Zeugen Ö, die übereinstimmend angegeben hätten, dass es sich bei den im Tresor aufgefundenen 19.000 € um das Geld des Zeugen Ö handele, den Aussagen der Zeugen K1, L und O gegenüber, wonach der Kläger beim Auffinden des Geldes angegeben habe, dass es sich um ein Hochzeitsgeschenk gehandelt habe. Für den Vortrag der Kläger spreche die Zeugenaussage des Herrn Ö, der angegeben habe, den kleinen Tresor bzw. die Geldkassette mit seinen 19.000 € samt Schlüssel der Klägerin wegen einer kurzfristigen Reise übergeben zu haben. Der Zeuge habe diesbezüglich auch im Beschwerdeverfahren L 13 AS 4038/19 ER-B eine eidesstattliche Versicherung abgegeben und Flugtickets für Flüge von Stuttgart nach Izmir und zurück für den 2. Mai 2016 und den 9. Mai 2016 vorgelegt. Soweit der Zeuge Ö angegeben habe, nicht mehr genau zu wissen, was er den Klägern zur Hochzeit geschenkt habe, überzeuge dies angesichts der weiteren Aussage, dass er sich vorstellen könne, das gleiche gegeben zu haben wie bei den anderen Kindern, nicht. Gegen den Vortrag der Kläger sprächen auch die aktenkundigen zeitnahen Vorgänge nach der Rücknahmeentscheidung. Der damalige Bevollmächtigte habe mit Schreiben vom 23. September 2016 angegeben, der Kläger verfüge über keinerlei Mittel mehr, nachdem im Rahmen der Durchsuchung Bargeld in Höhe von insgesamt rund 21.000 € aufgefunden und beschlagnahmt worden seien. Zudem habe dieser die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Ulm vom 25. Juli 2016 vorgelegt, wonach der Kläger gegenüber den Ermittlungsbehörden angegeben habe, der sichergestellte Geldbetrag sei ihm und der Klägerin anlässlich der Hochzeit geschenkt worden, was sich wohl derzeit nicht widerlegen lasse. Obwohl in der Einstellungsverfügung ausgeführt worden sei, dass die Agentur für Arbeit wegen möglicher Anrechnungen des Geldbetrags auf Sozialleistungen informiert werde, seien bei anwaltlicher Vertretung zunächst keine Ausführungen dazu erfolgt, dass es sich bei dem aufgefundenen Geld jedenfalls in Höhe von 19.000 € nicht um das Geld der Kläger handele, sondern entsprechendes sei erst mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 mitgeteilt worden, obwohl die Kläger seit der Rücknahmeentscheidung vom 12. Juli 2016 keine Leistungen vom Beklagten mehr bezogen hätten. Gegen den Vortrag der Kläger sprächen zudem die Aussagen der Zeugen K1, L und O sowie die Vermerke des Durchsuchungsberichts durch den Zeugen L vom 11. Mai 2016, der Vermerk des Ersten Kriminalhauptkommissars W1 vom 17. März 2017 und der Vermerk der Staatsanwältin N vom 13. März 2018 (über ein Telefonat mit dem Zeugen K1). Obwohl die Aussagen der Zeugen angesichts der zeitlichen Distanz nicht vollständig deckungsgleich seien, bestehe Übereinstimmung bezüglich der Aussagen der Zeugen K1, L und O dahingehend, dass hinsichtlich des aufgefundenen Geldes aus dem Tresor vom Kläger geäußert worden sei, dass dies ein Hochzeitsgeschenk gewesen sei. Es sei angesichts des zeitnah erstellten Durchsuchungsberichts nicht glaubhaft, dass der Kläger nach seinen Angaben, bereits bei der Durchsuchung gegenüber den Polizisten geäußert habe, dass die im Tresor aufgefundenen 19.000 € seinem Schwiegervater gehörten. Es lägen dementsprechend gewichtige Indizien dafür vor, dass das in der Wohnung der Kläger aufgefundene Geld deren Vermögen gewesen sei und diese das Geld als Hochzeitsgeschenk erhalten hätten. Daher habe sich das SG im Rahmen der freien Beweiswürdigung nicht von der Hilfebedürftigkeit der Kläger überzeugen können. Es bestünden vielmehr erhebliche Zweifel hieran. Der bei der Durchsuchung aufgefundene Geldbetrag übersteige bereits, selbst wenn man den gepfändeten Betrag aufgrund der nachfolgenden Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 27. Juli 2016 in Abzug bringen würde, mit den letztlich wieder ausgezahlten 12.016,53 € den Freibetrag in Höhe von 10.500 €, sodass es der Berücksichtigung weiterer Vermögenswerte nicht mehr bedürfe. Die Nichterweislichkeit der Hilfebedürftigkeit gehe zu Lasten der Kläger. Zwar trage grundsätzlich der Beklagte die objektive Beweislast für die Voraussetzungen belastender Rücknahmeentscheidungen, jedoch könne hiervon eine Ausnahme gerechtfertigt sein, wenn in der persönlichen Sphäre oder in der Verantwortungssphäre der Kläger wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar seien, d.h. wenn eine besondere Beweisnähe zu diesen vorläge. Ein solcher Fall sei gegeben, da das Eigentum am aufgefundenen Geld letztlich nur durch die Kläger aufklärbar sei und eine besondere Beweisnähe vorliege. Es handele sich um Vorgänge aus der familiären Sphäre der Kläger. Das Geld sei in der Wohnung der Kläger aufgefunden worden und sie hätten auch den Schlüssel zum Tresor gehabt. Damit hätten sie Zugriff auf das Geld gehabt und dieses habe sich letztlich in ihrem Besitz befunden. Dies rechtfertige eine Beweislastumkehr, da nach Ausschöpfung der verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten erhebliche und gewichtige Zweifel an der Hilfebedürftigkeit bestünden. Aufgrund der Beweislastumkehr sei von einer fehlenden Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft für den gesamten Bewilligungszeitraum auszugehen und letztlich davon, dass das Vermögen bereits vor Erlass der Bewilligungsbescheide und vor Beginn des Bewilligungszeitraums am 1. Dezember 2015 vorgelegen habe. Es seien auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X erfüllt, weil die Klägerin und der Kläger das Vermögen bei der Beantragung des Alg II zumindest grob fahrlässig nicht angegeben hätten und hierauf die Leistungsbewilligung beruhe und auch eine zumindest grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vorliege, weil sie hätten wissen müssen, dass ihnen kein Alg II zugestanden habe.

Gegen die dem Bevollmächtigten des Klägers am 7. September 2020 bzw. der Klägerin am 4. September 2020 zugestellten Urteile haben der Kläger am 29. September 2020 und die Klägerin am 29. September bzw. 5. Oktober 2020 (einem Montag) Berufung beim SG eingelegt.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Sozialgerichts Ulm vom 3. August 2020 aufzuheben sowie die Bescheide vom 12. Juli 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. März 2017 und 8. März 2017 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat an ihrem Rechtsstandpunkt festgehalten. 

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen M.Ö.. Dieser hat mitgeteilt, vor der Beschlagnahme des Geldes habe er sich ein Auto für 15.000 bis 20.000 € kaufen wollen. Nach Erhalt des im Dezember überwiesenen Geldes (12.016,53 €) habe er noch 6 Monate abgewartet, ob der Restbetrag noch komme, und sich dann für den Kauf eines Autos für 8.900 € entschieden. Er hat den Kaufvertrag vom 9. Juli 2017 beigefügt. Es gebe keine direkten Kontoauszüge für den Autokauf. Das Geld sei von ihm abgehoben worden und habe dann wieder im Tresor gelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftlichen Äußerungen des Zeugen (Bl. 47/49, 56, 60/61 der Senatsakten) verwiesen.

Der Beklagte hat hierzu Stellung genommen. Es sei nicht belegt, was mit dem dem Zeugen Ö im Dezember 2016 überwiesenen Geld geschehen sei. Nach Angaben des Zeugen sei damit mehr als ein halbes Jahr später ein Fahrzeug zum Preis von 8.900 € gekauft worden, obwohl der Zeuge ursprünglich ein Fahrzeug zwischen 15- und 20.000 € habe kaufen wollen. Es sei nicht belegt, dass dieses Fahrzeug mit dem Geld aus der Überweisung vom 6. Dezember 2016 gezahlt worden sei, da der Zeuge einen Kontoauszug, der die Abhebung im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf nachweise, dem Gericht nicht vorgelegt habe.

Das Landgericht Ulm hat mit Urteil vom 22. Januar 2021 die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Ulm vom 23. April 2019 zurückgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, dass die 19.000 € dem Kläger gehörten. Dessen Einlassung, der Tresor mit dem Bargeld von 19.000 € habe seinem Schwiegervater gehört und sei nur vorübergehend zur Aufbewahrung in seiner Wohnung gewesen, habe nicht mit Gewissheit widerlegt werden können.

Der Senat hat mit Beschluss vom 7. September 2021 die Verfahren L 13 AS 3217/20, L 13 AS 3219/20 und L 13 AS 3220/20 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 verwiesen.



Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Kläger sind statthaft und zulässig. Sie sind jedoch nur teilweise begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens sind - nachdem mit Beschluss des Senats vom 7. September 2021 die Berufungsverfahren L 13 AS 3217/20, L 13 AS 3219/20 und L 13 AS 3220/20 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind - die Bescheide des Beklagten vom 12. Juli 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. März 2017 und 8. März 2017. Mit diesen Bescheiden hat der Beklagte die Bescheide vom 16. März 2016 und 19. April 2016, mit denen den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 30. November 2016 bewilligt wurden, ab 1. Dezember 2015 zurückgenommen und gegenüber den Klägern die Erstattung der ihnen in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Juli 2016 gewährten Leistungen geltend gemacht.
Im System der Korrekturvorschriften der §§ 44 ff. SGB X ist § 45 SGB X die einschlägige Korrekturnorm, wenn ein Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. § 48 SGB X erfasst hingegen Verwaltungsakte, bei denen erst die Veränderung von Umständen nach Erlass eines Verwaltungsaktes (mit Dauerwirkung) zu einer Diskrepanz zur materiellen Rechtslage geführt hat. Der Beklagte hat die mit Bescheiden vom 16. März 2016 und vom 19. April 2016 für die Zeit vom 1. Dezember 2015 – 30. November 2016 erfolgte Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor dem Hintergrund dessen zurückgenommen, dass die Kläger bei der Beantragung von Leistungen über Vermögen verfügt und dieses bei der Antragstellung nicht angegeben hätten. Der Beklagte knüpft die Änderung mithin an Umstände, die vor Erlass der Bewilligungsbescheide vorgelegen hätten. Die Rücknahmeentscheidungen des Beklagten findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 SGB X.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Rechtswidrig ist der Verwaltungsakt i.S.d. § 45 SGB X, wenn er unter Verletzung des zum Zeitpunkt seines Erlasses geltenden Rechts zu Stande gekommen ist (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2016, Bd. IV, § 45 SGB X, Rn. 24).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des ab dem 1. August 2016 geltenden Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 29. Juli 2016 (BGBl. I S. 1824) erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2) sind, hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4; erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Die Kläger erfüllten diese Voraussetzungen im Hinblick auf ihr Alter, die Erwerbsfähigkeit und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; Ausschlussgründe i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II lagen nicht vor. Hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Das Vermögen umfasst hiernach die Gesamtheit von Sachen und Rechten in Geld oder Geldeswert in der Hand des jeweils Berechtigten. Unter diesen Vermögensbegriff rechnet dem Grund nach auch der bei den Klägern aufgefundene Bargeldbetrag i.H.v. insg. 21.050,- €, der, unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.H.v. insg. 10.500,- € (vgl. hierzu die zutreffenden Ausführungen des SG, auf die Bezug genommen wird) als Vermögen bei der Bedarfsberechnung einzustellen ist.

Das Vermögen ist den Klägern auch zuzurechnen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Kläger anführen, der anlässlich einer Hausdurchsuchung in ihrer Wohnung aufgefundene Betrag von insg. 21.050,- € gehöre nicht ihnen, sondern dem Vater der Klägerin. Diese Einlassung vermag den Senat jedoch nicht davon zu überzeugen, dass das Geld tatsächlich nicht den Klägern gehört hat. So ist bereits im Bericht über die Hausdurchsuchung vom 11. Mai 2016 vermerkt und von den beteiligten Polizeibeamten L, O und K1 auch im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 3. August 2020 im Wesentlichen übereinstimmend bestätigt worden, dass der Kläger während der Hausdurchsuchung angegeben habe, das im Tresor aufgefundene Geld stamme aus der Hochzeit aus dem vergangenen Jahr. Auch haben sie eindeutig bekundet, dass diese Äußerung auf das Bargeld und nicht auf die ebenfalls im Tresor gefundenen Goldmünzen bezogen gewesen sei. Im weiteren Fortgang ist erstmals mit Schreiben vom 15. Dezember 2016 behauptet worden, dass das aufgefundene Bargeld nicht den Klägern, sondern dem Vater der Klägerin gehöre. Davon, dass das aufgefundene Bargeld dem Vater der Klägerin zuzuordnen ist, ist der Senat jedoch nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit überzeugt. Zwar hat der Zeuge Ö mehrfach bekundet, dass es sich um sein Geld gehandelt hat, welches von seiner Tochter für ihn aufbewahrt worden sei, nachdem er kurzfristig in die Türkei habe reisen müssen. Letzteres wird zwar dadurch belegt, dass der Zeuge Flugtickets für eine Reise in die Türkei vorgelegt (vom 2. bis 9. Mai 2016) hat. Indes ist bereits nicht ersichtlich, weswegen seitens des Zeugen überhaupt die Notwendigkeit gesehen worden ist, während einer kurzzeitigen Ortsabwesenheit Bargeld bei der Tochter verwahren zu müssen. Auch der Umstand, dass der beschlagnahmte Geldbetrag – nach Abzug von Pfändungen – an den Zeugen Ö ausgekehrt worden ist sowie die (nachfolgende) Verwendung des Betrages durch den Zeugen, der Kauf eines Kraftfahrzeuges, begründen allenfalls Indizien dafür, dass das aufgefundene Bargeld tatsächlich dem Zeugen gehörte. Diese Indizien, die im Nachhinein und lediglich zweckorientiert erfolgt sein können, sind jedoch in Ansehung der zeitnah getätigten Angabe, das Geld sei ein Hochzeitsgeschenk gewesen, nicht derart plausibel, dass sich der Senat hiervon zu überzeugen vermag. Im Ergebnis und unter Würdigung sämtlicher Aussagen und Indizien kann sich der Senat daher nicht davon überzeugen, dass der aufgefundene Geldbetrag nicht den Klägern gehörte. In Anbetracht der ersten Angaben des Klägers Ziff. 2 ist nicht widerlegt, dass der genannte Geldbetrag den Klägern bereits vor Beginn des Bewilligungszeitraums (1. Dezember 2015) zur Verfügung gestanden hat.

Dies geht vorliegend zu Lasten der Kläger. Der Senat verkennt nicht, dass die objektive Beweislast für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide i.S.d. § 45 SGB X grundsätzlich der Beklagte trägt, das BSG hat jedoch in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2006 (- B 11a AL 7/05 R -) für den Fall der Rückforderung von Arbeitslosenhilfe begründet, dass eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sein kann, wenn in der Sphäre des Arbeitslosen wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind. Eine Beweisnähe i.d.S. kann bspw. angenommen werden, wenn der Arbeitslose durch (unterbliebenen) Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts verunmöglicht hat (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 - B 11a AL 49/05 R -, in juris). Gestützt auf diese Rechtsprechung haben Landessozialgerichte auch für die Frage der Rücknahme bzw. Aufhebung von Leistungsbewilligungen nach dem SGB II wegen vorhandenem Vermögen bei einer Unaufklärbarkeit der Eigentumsverhältnisse eine Beweislastumkehr zu Lasten der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen angenommen (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 27. Februar 2020 - L 4 AS 3/19 -; Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. März 2019 - L 8 AS 510/14 -, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. Dezember 2016 - L 6 AS 531/14 -, alle in juris). Auch der erkennende Senat überträgt die Grundsätze des BSG auf die Rücknahme von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II wegen vorhandenem Vermögen. Eine Beweisnähe sieht der Senat über den Umstand, dass der Kläger durch die unterlassene Anzeige des Bargeldes und durch seine widersprüchlichen Angaben die Aufklärung des Sachverhalts erschwert hat, auch darin, dass die angeführten Verhältnisse betr. dem aufgefundenen Geldbetrag im familiären Umfeld des Klägers gründen.
Mithin geht der Umstand, dass die Zuordnung des aufgefundenen Geldbetrages nicht zur vollen Überzeugung des Senats möglich ist, zu Lasten der Kläger, weswegen der Betrag bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Kläger zu berücksichtigen gewesen wäre.


Vermögen ist jedoch nur dann verwertbar, wenn seine Gegenstände innerhalb des bevorstehenden Bewilligungszeitraums verbraucht, übertragen oder belastet werden können (vgl. BSG, Urteil vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 46/06 - juris, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 14 AS 42/07 R - juris, Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 4/16 R - juris). In zeitlicher Hinsicht kommt es regelmäßig auf den Bewilligungszeitraum an (BSG, Urteil vom 27. Januar 2009, a.a.O – juris Rn. 23), der im Normalfall ein Jahr beträgt. Vorliegend ist das Bargeld am 11. Mai 2016 beschlagnahmt worden, weswegen es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verwertbar gewesen ist und ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr als Vermögen berücksichtigt werden konnte.

Dies führt dazu, dass den Klägern das aufgefundene Bargeld nur bis zum 10. Mai 2016 als Vermögen zuzurechnen gewesen ist. Im gegebenen Zusammenhang ist daher die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur bis einschließlich dem 10. Mai 2016 rechtswidrig i.S.d. § 45 SGB X gewesen.


Wie oben bereits angeführt, darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dies ist anzunehmen, wenn der Betroffene schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und vom 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -, jeweils in juris). Das Maß der Fahrlässigkeit ist hierbei nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falls zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: u. a. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, in juris). Maßgebend für die Kenntnis oder für das Kennen müssen seiner Rechtswidrigkeit ist hierbei der Zeitpunkt der Bekanntgabe des aufzuhebenden bzw. zurückzunehmenden Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 30/07 R -, in juris). Zur Überzeugung des Senats haben die Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide, so sie dieser nicht positiv Kenntnis hatte, jedenfalls grob fahrlässig nicht gekannt. Einfachste Überlegungen hätten ausgereicht, zu erkennen, dass der Umstand, dass sich der Besitz eines größeren Barbetrages auf die Gewährung einer - bedürftigkeitsabhängigen - Sozialleistungen (negativ) auswirkt, hätten ausgereicht, um zu realisieren, dass die Leistungsbewilligung rechtswidrig gewesen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger nach ihrer persönlichen Einsichts- und Kritikfähigkeit nicht in der Lage waren, dies zu erkennen, bestehen für den Senat, insb. in Ansehung des persönlichen Eindrucks, den die Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 vermittelt haben, nicht.

Die maßgebenden Fristen der § 45 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB X und des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sind eingehalten.

Die geltend gemachte Erstattungsforderung des Beklagten findet, im Umfang der zulässigen Aufhebung ihre Grundlage in § 50 Abs. 1 SGB X. Fehler in der Berechnung der Höhe der Forderung sind dem Senat nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht geltend gemacht.

Mithin sind die Urteile des SG vom 3. August 2020 sowie die Bescheide vom 12. Juli 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. März und 8. März 2017 insofern abzuändern, als die Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 16. März 2016 und 19. April 2016 sowie die geltend gemachte Erstattung der gewährten Leistungen auf die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 10. Mai 2016 beschränkt wird.

Im Übrigen sind die Berufungen zurückzuweisen.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt die jeweilige Obsiegensquote.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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