Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die 1965 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Friseurin begonnen, diese jedoch nicht abgeschlossen. Sie war bis 2014 als Reinigungskraft beschäftigt. Danach war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos. Letzter mit Pflichtbeitragszeiten belegter Monat ist der November 2019, wobei auch bereits von Oktober 2017 bis Mai 2019 keine Beitragszeiten vermerkt sind. Ausweislich der Auskunft der Beklagten vom 08.12.2021 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung damit letztmals am 30.06.2020 erfüllt. (vgl. Bl. 252 ff. der LSG-Akte).
Ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen G sind seit 2018 anerkannt. Darüber hinaus ist seit dem 01.04.2021 ein Pflegegrad 2 anerkannt.
Vom 25.11.2016 bis 28.12.2016 absolvierte die Klägerin eine Maßnahme zur stationären medizinischen Rehabilitation in der Rehaklinik H1 in B1.
Im Rehaentlassbericht vom 04.01.2017 wurden folgende Diagnosen gestellt:
1. Schulterteilsteife links, Zustand nach ASK mit SAD 02/2016, Tendinosis calcarea (FD)
2. v.a. Schmerzsyndrom mit körperlichen und psychischen Faktoren,
3. chronisches LWS-Syndrom bei intraforaminalem BSV L4/5 links und L5/S1 rechts,
4. Z.n. Brustverkleinerungs-OP beidseits, 06/2015 bei Hypertrophie beidseits, Übergewicht.
Die Ärzte der dortigen Klinik haben in ihrer sozialmedizinischen Beurteilung ein lediglich unter dreistündiges Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Reinigungskraft festgestellt. Leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien aber noch sechs Stunden und mehr möglich. Vermieden werden sollten Körperzwangshaltungen, Überkopfarbeiten links.
Die Klägerin beantragte am 31.01.2017 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2017 ab, da die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht gegeben seien. Die Klägerin könne noch sechs Stunden und mehr täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Nachdem die Klägerin hiergegen Widerspruch erhoben hatte und am 17.05.2017 an der Wirbelsäule operiert worden war, wurde sie im Auftrag der Beklagten am 14.09.2017 von B2 untersucht. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 19.09.2017 folgende Diagnosen:
1. Verminderte Belastbarkeit der LWS bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen und Zustand nach Operation 05/17 mit Hinweis auf Affektion der Nervenwurzel.
2. Verminderte Belastbarkeit der linken Schulter bei degenerativen Veränderungen im Schultergelenk und Schulterdachenge bei Zustand nach OP 06/2015 und mittelgradiger Funktionseinschränkung.
3. Adipositas.
4. Verminderte Belastbarkeit der HWS bei degenerativen Veränderungen ohne Funktionseinschränkung.
5. Hinweis auf Lungenfunktionsstörung bei Nikotinabusus.
Aufgrund der oben genannten Diagnosen und Befunde bestehe ein sechs- und mehrstündiges Leistungsvermögen für leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten im Wechsel mit zeitweisem Gehen und Stehen. Auszuschließen seien wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten und Arbeitshaltungen, überwiegendes Gehen und Stehen, häufiges Bücken und Hocken, das Ersteigen von Leitern und Gerüsten sowie das Gehen auf unebenem Untergrund. Auszuschließen sei ebenfalls jede Form von Überkopfarbeiten. Die Gehstrecke von viermal 500 m arbeitstäglich sei erhalten. Die Klägerin sei in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die zuletzt verrichtete Tätigkeit einer Reinigungskraft in Akkordarbeit entspreche dem Leistungsvermögen nicht mehr. Zu ihren Interessen befragt habe die Klägerin angegeben, gerne spazieren zu gehen, sie sei sehr naturverbunden. Ansonsten gehe sie gerne ins Kino oder passe auf ihre beiden Enkelkinder auf. Sie koche auch gerne, Haustiere habe man nicht. Unregelmäßige Urlaube seien angegeben worden, so sei die Klägerin z.B.am Vortag von einer elftägigen Urlaubsreise nach Kreta zurückgekehrt.
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2017 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 27.11.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, dass die Klägerin an einer Vielzahl von Erkrankungen leide, die in ihrer Gesamtschau dazu führten, dass sie nicht mehr in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Die Erkrankungen bestünden im Wesentlichen auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Außerdem teile man mit, dass sich der Gesundheitszustand grundliegend verändert habe. Bei der Klägerin sei im Februar 2018 ein Plattenepitelkarzinom diagnostiziert worden. Eine geplante Operation der Wirbelsäule habe deshalb verschoben werden müssen.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.
Der S1 hat am 15.03.2018 erklärt, dass bei der Klägerin ein konstant hoher Leidensdruck bestehe. Seit Februar 2018 sei neu die Erstdiagnose eines Bronchialkarzinoms hinzugekommen. Weder mit den chronischen Rückenschmerzen noch aktuell aufgrund des Bronchialkarzinoms sei eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich.
Der S2 hat am 13.04.2018 erklärt, dass aufgrund der chronischen Schmerzen der Wirbelsäule bereits stattgefundene Operationen schwere körperliche Tätigkeiten nichtmehr möglich seien. Eine leichte Tätigkeit im Wechselrhythmus sei aber seines Erachtens mindestens sechs Stunden und mehr täglich möglich.
Der H2 hat am 17.04.2018 erklärt, dass es zu einer Verschlechterung durch die Diagnose des Bronchialkarzinoms gekommen sei. Eine wenig belastende Tätigkeit sei allerdings möglich.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 17.05.2018 eine onkologische Rehabilitation bewilligt, die sodann in der Zeit vom 26.06.2018 bis 17.07.2018 in den Vorsorge- und Rehabilitationskliniken S3, H3, durchgeführt worden ist. Im Rehaentlassbericht vom 17.07.2018 haben die Ärzte der dortigen Klinik folgende Diagnosen gestellt:
1. Mäßig differenziertes Plattenepitelkarzinom, VATS-Keil und Segmentresektion lingula 20.02.2018.
2. Chronisch obstruktive Lungenkrankheit GOLD: III mit respiratorischer Patrialinsuffizienz.
3. Chronisches Schmerzsyndrom bei LWS-Syndrom.
4. Anpassungsstörung wegen chronischer Schmerzbelastung.
5. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode.
Die Ärzte der dortigen Klinik haben in ihrer sozialmedizinischen Beurteilung ein nur noch unter dreistündiges Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft festgestellt. Leichte Tätigkeiten seien wohl aufgrund der bestehenden Symptomatik ebenfalls nicht mehr vollschichtig zumutbar. Die Klägerin werde wahrscheinlich nur noch körperlich leichte Wechseltätigkeiten über drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben können. Ob durch die Versteifung der Wirbelsäule eine deutliche Verbesserung der Beschwerdesymptomatik erreicht werden könne, bleibe abzuwarten. Aus diesem Grund solle nach der Operation eine erneute Stellungnahme von orthopädischer Seite erfolgen. Die Klägerin werde derzeit als arbeitsunfähig entlassen.
Die Beklagte wies in einer sozialmedizinischen Stellungnahme durch L1 am 21.08.2018 darauf hin, dass der Entlassbericht vom 17.07.2018 etwas widersprüchlich sei. Der Formularteil und der Freitext seien diskrepant. Im Freitext sei das chronische Schmerzsyndrom und die Anpassungsstörung mit zeitweise mittelschweren depressiven Episoden hervorgehoben worden.
Das SG hat sodann ein Gutachten von Amts wegen bei dem C1 eingeholt. Dieser hat die Klägerin am 26.11.2018 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 28.11.2018 folgende Diagnosen gestellt:
1. Endgradige Funktionseinschränkung (Rotation) der HWS aufgrund degenerativer Veränderungen, ohne segmentale sensomotorische Ausfälle an den oberen Extremitäten; regionale Muskelverspannungen.
2. Endgradige Funktionseinschränkung der BWS und LWS aufgrund degenerativer Veränderungen, ohne segmentale sensomotorische Ausfälle an den unteren Extremitäten; leichte Gefügestörung, Instabilität und spinale Enge bei L3/4; Zustand nach osteoligamentärer Dekompression L4/5; Muskelschwäche an beiden Oberschenkeln unklarer Genese.
3. Endgradige Funktionseinschränkung des linken Schultergelenks bei Zustand nach Arthroskopie und subacromialer Dekompension.
Auf nichtorthopädischem Fachgebiet: Lymphödem der Oberarme und unteren Extremitäten, COPD Gold III, operiertes Bronchialkarzinom links, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
Zum Tagesablauf befragt, hat die Klägerin u.a. vorgetragen, dass sie, nachdem sie nachts häufiger aufwache, spätestens um 6 Uhr aufstehe. Morgens sei „alles steif“ und sie brauche länger bis sie alles bewegen könne. Im Laufe des Vormittags widme sie sich verschiedenen Haushaltstätigkeiten. Die Waschmaschine stehe z.B. in der Wohnung, für die Wäsche (Waschen, Bügeln, Falten) benötige sie keine Hilfe. Am späten Vormittag koche sie das Mittagessen, welches sie entweder alleine oder wenn ihr Lebensgefährte zu Hause sei, auch mit diesem einnehme. Nach dem Essen lege sie sich hin, nachmittags trinke sie einen Kaffee und gehe dann mit ihrem Lebensgefährten 30 bis 60 Minuten spazieren oder man fahre gemeinsam zum Einkaufen.
Der Gutachter hat in seinem Gutachten festgestellt, dass leichte körperliche Arbeiten mit gelegentlichem nicht ständigem Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilogramm Gewicht überwiegend im Sitzen kurzfristig auch im Stehen oder Gehen, mit gelegentlichem Bücken, gelegentlichem Treppensteigen mit und an laufenden Maschinen, soweit dies in überwiegend sitzender Haltung möglich sei, an Büromaschinen, in Früh-,Tag- und Spätschicht in temperierten Räumen und witterungsabhängig auch im Freien noch ausübbar seien. Für die Einschränkung maßgebend sei die verminderte Beweglichkeit und Belastbarkeit der Wirbelsäule und des linken Schultergelenkes. Die noch möglichen Tätigkeiten könnten im Rahmen einer Fünftagewoche täglich sechs Stunden und mehr verrichtet werden. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien unter orthopädischen Gesichtspunkten nicht erforderlich, betriebsübliche Pausen reichten aus. Die Klägerin könne aus orthopädischer Sicht auch viermal täglich einen Fußweg von 500 m in jeweils 20 Minuten als Arbeitsweg zurücklegen. Sie sei in der Lage, sowohl öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen als auch einen PKW zu führen. Die von ihm festgestellten Einschränkungen bestünden seit Antragstellung. Eine Besserung sei nicht auszuschließen.
Das SG hat weiter ein Gutachten von Amts wegen bei dem V1, H4, eingeholt.
Dieser hat die Klägerin am 17.01.2019 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 25.02.2019 folgende Diagnosen gestellt:
1. Zustand nach Lingularesektion (Segment) im Februar 2018 Plattenepitelkarzinom Stadium pT2N0M0
2. COPD im GOLD beginnend Stadium II.
Auf nichtlungenärztlichem Fachgebiet: Zustand nach Mammareduktionsplastik 2015, Zustand nach C2H5OH-Abusus, multiple orthopädische Einschränkung.
Aus lungenfachärztlicher Sicht seien mittelschwere und schwere Tätigkeiten zu vermeiden, bei denen Heben und Tragen von Lasten von mehr als zehn Kilogramm vorkämen. Zu vermeiden seien auch dauerhaftes Stehen, dauerndes Gehen, dauerndes Sitzen und vor allem eine gleichförmige Körperhaltung. Zu vermeiden seien ferner Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, Arbeiten in Kälte, Wärme, Nässe unter Einfluss von atemwegsirritierenden Substanzen. Auch sollten Arbeiten unter nervlicher Belastung vermieden werden. Leichte Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten von fünf Kilogramm in wechselnder Körperhaltung seien möglich. Eine solche Tätigkeit könne die Klägerin sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht notwendig und die Klägerin sei aus lungenfachärztlicher Sicht in der Lage, täglich viermal einen Fußweg von 500 m etwa 20 Minuten als Arbeitsweg zurückzulegen. Sie könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen und sei in der Lage, einen PKW zu führen. Die festgestellten Leistungseinschränkungen bestünden seit der Antragstellung. Mit einer Besserung aus lungenfachärztlicher Sicht sei nicht zu rechnen.
Die Klägerin hat auch in Kenntnis der Gutachten an ihrem Begehren festgehalten und vorgetragen, es bestehe weiterer Aufklärungsbedarf von Amts wegen durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Hinsichtlich des lungenfachärztlichen Gutachtens sei festzuhalten, dass der wesentliche Restriktionswert FEV1-Wert mit 75% des Solls angegeben werde. Tatsächlich habe die Klägerin einen solchen Wert seit Jahren nicht mehr erreicht. In der lungenfachärztlichen Untersuchung vom 19.02.2019 habe sich ein FEV-1-Wert von 48% des Solls ergeben. Ähnlich lägen die Werte der vorherigen Untersuchungen. Die Klägerin müsste zudem inzwischen Schmerzmittel in höherer Dosierung einnehmen und das Lipödem beider unteren Extremitäten sowie auch der Oberarme sei nicht berücksichtigt worden. Bei der Klägerin liege unzweifelhaft eine Multimorbidität vor.
Das SG hat aufgrund mündlicher Verhandlung die Klage mit Urteil vom 29.07.2019 abgewiesen. Die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, da sie nach wie vor Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten könne. Bei der Klägerin stünden zunächst ihre Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet im Vordergrund. Daneben liege eine erhebliche Funktionsstörung der Lunge vor und es sei ein Plattenepitelkarzinom diagnostiziert und im Februar 2018 operativ entfernt worden. Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit schließe sich die Kammer nach umfassender Gesamtwürdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen insoweit dem Ergebnis der durch das Gericht von Amts wegen eingeholten Gutachten bei C1 und V1 an. Beide Gutachter hätten sich bei der Untersuchung ausführlich mit den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin auseinandergesetzt und diese entsprechend ihrer Leistungsbeurteilung zugrunde gelegt. Danach seien der Klägerin schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm Gewicht ausschließlich im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen, in wirbelsäulenbelastender Zwangshaltung mit häufigem Bücken und Treppensteigen nicht mehr möglich. Nicht mehr möglich seien auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, über Kopf und in längerer Armvorhalte sowie Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Nachtarbeit. Zu vermeiden seien zudem Tätigkeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft. Demgegenüber sei die Klägerin noch in der Lage, Arbeiten mit gelegentlichem Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilogramm, überwiegend im Sitzen, kurzfristig auch im Stehen oder Gehen mit gelegentlichem Bücken und Treppensteigen, an laufenden Maschinen, an Büromaschinen, in Früh-, Tag- und Spätschicht, in temperierten Räumen, witterungsabhängig auch im Freien möglich. Solche Tätigkeiten seien sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Soweit die Klägerin die Messungen des FEV-1-Wertes bei V1 kritisiere, so sei es zwar richtig, dass der beim Gutachter gemessene Wert stark nach oben abweiche, dass aber andererseits die bei der Klägerin im Übrigen erhobenen Werte sich gleichmäßig im Bereich 45 bis 50% aufhalten (bei B2 45%, in der Rehabilitation in H3 49,7%, bei einer Lungenfunktionsprüfung am 31.07.2018 im Städtischen Klinikum K1 53% sowie bei einer Untersuchung durch den H2 am 19.02.2019 48%). Dies entspreche nach der Tabelle GOLD einer COPD im Stadium II und stehe einer Leistungsfähigkeit im oben beschriebenen Umfang gerade nicht entgegen. Dies sei gerade auch durch den behandelnden H2 in seiner Auskunft vom April 2018 bestätigt worden. Auch dieser habe eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für wenig belastende Tätigkeiten bestätigt. Die Tatsache, dass die Klägerin vermehrt Schmerzmittel einnehme, stehe einer Erwerbstätigkeit ebenfalls nicht entgegen, denn bereits im Rehabilitationsverfahren im Jahr 2016 sei der Klägerin eine Schmerztherapie empfohlen worden. Diese sei bislang nicht aufgenommen worden.
Gegen das ihrer Bevollmächtigten am 05.08.2019 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.08.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung ist sodann mit Schreiben vom 18. 11. 2019 ausgeführt worden, dass die Klägerin auf orthopädischem Gebiet unter erheblichen Wirbelsäulenproblemen leide. Hinzu kämen erhebliche Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes und des linken Armes. Neu hinzugetreten sei ein Lipödem beider unteren Extremitäten. Die Klägerin wende hier täglich zu Hause ein Lymphgerät an. Auf lungenärztlichem Gebiet liege eine schwere kombinierte Ventilationsstörung und eine Überblähung (GOLD Standard III) vor. Schon kleinere Belastungen führten zu einer Erschöpfung und zu längeren Pausen im Sitzen. Auch psychisch lägen bei der Klägerin erhebliche Beschwerden vor, insbesondere auch infolge der Tatsache, dass ein nächtliches Durchschlafen schmerzbedingt gar nicht mehr möglich sei. Die Folgen seien ein Erschöpfungssyndrom und Konzentrationsstörungen. Auch liege eine depressive Entwicklung vor. Die Gesamtschau aller Erkrankungen führten Zweifels ohne zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Die Klägerin hat ferner weitere Arztberichte vorgelegt. Zunächst wurde ein Bericht des Klinikums M1, Sektion Schmerztherapie, B1, vom 31.10.2019 vorgelegt. Die Klägerin befände sich dort nun in schmerztherapeutischer Behandlung und es wurde von dort ein hochkomplexes biopsychosoziales Schmerzgeschehen diagnostiziert. Weiter ist ein Bericht des S4 vom 07.11.2019 vorgelegt worden, der eine schwere chronische obstruktive Atemwegserkrankung COPD Gold Stadium III diagnostiziert hat. Aus dem vorgelegten Bericht der Praxis für Orthopädie und Unfallchirurgie W1 vom 15.07.2019 geht hervor, dass bei der Klägerin aufgrund der ausgeprägten COPD keine Operation der Wirbelsäule möglich sei. Die konservative Therapie sei nahezu ausgereizt, sodass nur noch die Möglichkeit einer ausreichenden Schmerztherapie bestehe. Weiter ist ein Bericht von S5, Sektionsleiter Wirbelsäulentherapie an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie K1 vom 26.09.2019 vorgelegt worden. Darin wird ausgeführt, dass aufgrund der bestehenden Osteoporose eine derzeitige Operation an der Wirbelsäule nicht angezeigt sei. Zunächst müsse die Osteoporose behandelt werden. Weiter wird darin u.a. ausgeführt, dass die Klägerin bis zu 30 Minuten ohne Beschwerden in den Beinen oder Kraftlosigkeit in den Beinen laufen könne. Mit Schreiben vom 02.03.2020 hat die Klägervertreterin mitgeteilt, dass nun eine Fibromyalgie sowie ein Dickdarmadenom diagnostiziert worden seien.
Die Beklagte hat in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 24.02.2020 zu den vorgelegten Unterlagen vorgetragen, dass die Klägerin zusammenfassend unter einer schweren Lungenerkrankung und unter einer schweren Wirbelsäulenerkrankung leide. Die Lungenkrebserkrankung sei im Februar 2018 operativ behandelt worden und die Akten enthielten keine Hinweise für ein Wiederauftreten der Tumorerkrankung. Auch wenn im Rehabilitationsbericht von einem noch nur noch unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgegangen worden sei, habe sich dieses durch das vom SG Karlsruhe eingeholte lungenfachärztliche Gutachten nicht bestätigen lassen. Selbst der behandelnde Lungenarzt habe in seiner Auskunft die Einschätzung vertreten, dass geeignete Tätigkeiten noch sechs Stunden und mehr täglich möglich seien. Aus den vorgelegten Unterlagen gingen ungenutzte Behandlungsmöglichkeiten hervor. Auch eine multimodale stationäre Schmerztherapie sei vorgeschlagen worden, jedoch zur Zeit noch nicht gewünscht.
Der Senat hat sodann den behandelnden S4 als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat in seiner Auskunft vom 14.03.2020 erklärt, dass er zum Verlauf der Erkrankung auf pneumologischem Fachgebiet keine Aussagen machen könne, da die Klägerin sich bislang erst einmalig vorgestellt habe. Er gehe davon aus, dass die Klägerin in der Lage sei, sechs Stunden pro Tag leichte Tätigkeiten auszuüben. Zur Wegefähigkeit der Klägerin könne er keine genaueren Angaben machen.
Mit Schreiben vom 19.03.2020 hat die Klägerin weitere medizinische Unterlagen vorlegen und vortragen lassen, dass eine operative Versorgung der Wirbelsäule derzeit nicht geplant sei. Dies liege zum einen an der eingeschränkten Lungenfunktion und zum anderen an der bestehenden Osteoporose. Das Cortison, dass sie einnehmen müsse, verursache Krämpfe. Aus einem ärztlichen Befundbericht vom 25.02.2020 der Schmerzsektion des Klinikums M1 geht u.a. hervor, dass die Klägerin bei der Krankheitsverarbeitung sehr auf das Negative konzentriert sei. Insgesamt sei es schwierig, der Klägerin den Ansatz einer psychosomatischen Behandlung nahe zulegen. Eine konkrete Schmerzlokalisation sei schwierig.
In einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme durch L1 vom 31.03.2020 hat dieser ausgeführt, dass auch die erneut vorgelegten Befunde nicht ausreichten, ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen zu belegen. Er hat weiter hervorgehoben, dass der behandelnde in seiner Stellungnahme ebenfalls von einem noch sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten ausgegangen sei. Es sei dort zwar eine hochgradige Atemwegsverengung ohne signifikante Besserung beschrieben worden. Allerdings seien die erhobenen Befunde stabil und der Allgemeinzustand sei sogar als „gut“ beschrieben worden.
Ein zwischenzeitlich von der Klägerin gestellter Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist von der Beklagten mit Bescheid vom 01.04.2020 abgelehnt worden.
Nachdem die Berichterstatterin mit den Beteiligten am 27.05.2020 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt hat, hat die Klägervertreterin mit Schreiben vom 29.06.2020 mitgeteilt, dass nach wie vor das Zusammenwirken aller Erkrankungen nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Inzwischen seien auch erhebliche psychische und psychosomatische Beschwerden hinzugekommen. Es ist zudem ein Arztbrief der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Diakonissenkrankenhauses K2 vom 05.06.2020 vorgelegt worden. In diesem wird ausgeführt, dass derzeit wohl nur eine operative Versorgung Besserung bringen könne. Aufgrund der Osteoporose bestehe hier aber die Gefahr der Schraubenlockerung. Die Klägerin habe zudem von einem Berentungsverfahren berichtet. Die dort geforderten Stunden könne sie nach eigenen Angaben nicht leisten. Man halte sich aus diesem Verfahren aber derzeit raus.
Der Senat hat sodann eine sachverständige Zeugenaussage bei der M2 eingeholt. Diese hat mit Schreiben vom 12.08.2020 erklärt, dass die Klägerin seit dem 25.06.2020 bei ihr in Behandlung sei und seither zu zwei weiteren Terminen erschienen sei. Es bestehe eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und physischen Faktoren sowie eine mittelgradige depressive Episode. Die Entwicklung der aktuellen depressiven Beschwerden seien vor dem Hintergrund der langjährig bestehenden Schmerzsymptomatik zu sehen. Aufgrund des aktuell sehr hohen Leidensdrucks der Klägerin und der komplexen Symptomatik sei eine stationäre Behandlung in einer psychosomatischen Klinik dringendst indiziert. Eine ambulante Psychotherapie greife im Moment zu kurz. Nach nur drei Behandlungsterminen könne sie aus psychologischer Sicht deshalb keine abschließende Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin vornehmen.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 19.08.2020 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt.
Am 01.09.2020 hat die Klägervertreterin einen weiteren Arztbrief vorgelegt. In diesem Arztbrief vom 27.08.2020 der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sektion Wirbelsäulentherapie, geht hervor, dass die Klägerin dort vom 19.08.2020 bis 27.08.2020 in stationärer Behandlung gewesen und am 20.08.2020 erneut an der Wirbelsäule operiert worden ist. Mit Schreiben vom 11.09.2020 hat die Klägervertreterin mitgeteilt, dass zügig eine Rehabilitationsmaßnahme in Form einer Anschlussheilbehandlung stattfinden solle. Ein genauer Termin stehe noch nicht fest.
Die Beklagte hat sodann auch mit Bescheid vom 31.08.2020 der Klägerin eine ambulante Anschlussrehabilitation als Leistung zur medizinischen Rehabilitation im ambulanten Zentrum für Rehabilitation und Prävention in K1 gewährt.
Die Klägerin hat diese Maßnahme zwar dann am 12.10.2020 angetreten, sie jedoch am 20.10.2020 vorzeitig abgebrochen. Im Rehaentlassbericht des Ambulanten Zentrum für Reha und Prävention E1 GmbH, K1, vom 28.10.2020 sind folgende Diagnosen gestellt worden:
1. Osteochondrose L5/S1 mit Kyphosierung.
2. Postlaminektomiesyndrom bei Zustand nach Dekompression 2017.
3. 20.08.2020 bisegment. TLIF-Aufrichtungsspondylodese L4/5, L5/S1.
4. Adipositas Grad I, BMI 33.
5. Osteoporose.
6. Zustand nach Mammareduktionsplastiken, Zustand nach Bronchialkarzinom, COPD nach massivem Nikotinabusus, Lymphödem und Sigmadiverticulose.
Im Rahmen der sozialmedizinischen Epikrise ist ausgeführt worden, dass die Klägerin zuletzt jahrelang nicht erwerbstätig gewesen sei. Bei multiplen gesundheitlichen Problemen sei die Reha nur kurz begonnen und nur mit Einschränkungen bezüglich der Belastbarkeit absolviert worden. Zunächst habe es Herzrhythmusstörungen, zuletzt eine geplante Coloskopie gegeben, was Ursache für die Rehaunterbrechung ab dem 21.10.2020 gewesen sei sowie dann zu dem endgültigen Abbruch am 28.10.2020 geführt habe. Bei nicht abgeschlossener Nachbehandlung nach einer OP an der Wirbelsäule und weiteren gesundheitlichen internistischen Problemen sei eine belastbarere, abschließende sozialmedizinische Beurteilung derzeit nicht möglich. Bei derzeitiger Verfassung sei mit einer alsbald eintretenden Erwerbstätigkeit über drei Stunden nicht zu rechnen.
Hierzu hat L1 im Auftrag der Beklagten in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 07.01.2021 ausgeführt, dass man nunmehr weiteren Sachaufklärungsbedarf auf orthopädischem Gebiet sehe und die Einholung eines Gutachtens anrege.
Mit Verfügung vom 18.01.2021 hat der Senat ein weiteres Gutachten von Amts wegen in Auftrag gegeben und mit der Erstellung dieses Gutachtens V2, R1, beauftragt. Eine Begutachtung war zunächst nicht möglich, da die Klägerin am 01.04.2021 erneut an der Wirbelsäule operiert worden ist und sich im Anschluss daran bis zum 08.04.2021 in stationärer Behandlung im O1 Klinikum befunden hat. Eine zunächst geplante Anschlussheilbehandlung hat nicht stattfinden können.
Die Klägervertreterin hat weiter mit Schreiben vom 16.06.2021 einen Bescheid der Krankenkasse, AOK Baden-Württemberg, vom 01.06.2021 vorgelegt. Darin ist der Klägerin ab 01.04.2021 Pflegegeld in Höhe von 316,00 Euro monatlich aufgrund eines Pflegegrades 2 bewilligt worden. Die Klägervertreterin hat weiter ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 31.05.2021 vorgelegt. Dieses Gutachten ist aufgrund der Corona-SARS-CoV-2-Pandemie im Rahmen eines strukturierten Telefoninterviews erstellt worden.
Mit Schreiben vom 21.07.2021 hat die Klägervertreterin mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin weiter verschlechtert habe. Aufgrund der Osteoporose sei es nunmehr auch zu einem Bruch des rechten Mittelfußknochens ohne Anlass gekommen. Die Klägerin leide weiterhin an starken Schmerzzuständen, nehme regelmäßig starke Schmerzmedikamente ein. Sie könne sich außerhalb ihrer Wohnung nur noch mit einem Rollator fortbewegen. Weitere Termine beim Neurologen stünden an. Derzeit sei ungewiss, ob und wann eine Rehabilitationsmaßnahme angetreten werden könne. Mit Schreiben vom 12.11.2021 hat die Klägervertreterin ein erneutes Gutachten des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg vom 20.10.2021 vorgelegt, der die Einstufung in den Pflegegrad II bestätigt hat. Mit Schreiben vom 03.12.2021 hat die Klägervertreterin mitgeteilt, dass eine anvisierte Schmerztherapie aufgrund eines erneuten Kreuzbeinbruchs abgesagt werden musste. Die Klägerin könne derzeit so gut wie nicht mehr gehen. Mit Verfügung vom 16.12.2021 hat der Senat sodann den Gutachtensauftrag an V2 vom 18.01.2021 dahingehend abgeändert, dass nun ein Gutachten nach Aktenlage erstellt werden solle. Hierbei solle insbesondere auch dazu Stellung genommen werden, falls eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens festgestellt werde, ab wann diese bestehe, insbesondere ob diese bereits am 30.06.2020 vorgelegen habe oder erst danach.
Dieses Gutachten nach Aktenlage vom 29.01.2022 hat V2 sodann am 14.02.2022 vorgelegt.
Er hat in seinem Gutachten folgende Diagnosen gestellt:
1. Spondylodese L3-S1 mit persistierenden Nervenwurzelkompressionserscheinungen L4 und L5 sowie Hinweise auf eine persistierende Spinalkanalstenose mit deutlicher Reduzierung der Gehstrecke und belastungsabhängigen sowie auch Ruheschmerzen.
2. Hochgradige Osteoporose mit Ermüdungs- und Spontanfrakturen zum vergangenen Zeitpunkt des letzten Jahres in den Füßen auftretend sowie nachgewiesener und zwischenzeitlich behobener Schraubenlockerung der Spondylodese in dem Wirbelkörper L4.
3. Zustand nach operativer Dekompression des linken Schultergelenkes mit zur Zeit nicht bekanntem Bewegungsausmaß.
4. Chronisches Schmerzsyndrom mit körperlichen und psychischen Faktoren.
5. Auf nicht orthopädischem Fachgebiet: Zustand nach Lungenteilsektion bei nachgewiesenem Plattenepitelkarzinom und bisher ohne Fernmetastasen oder lokalem Rezidiv mit laut pulmologischer Untersuchung unwesentlich eingeschränkter Lungenfunktion.
6. Rezidivierende depressive Störung zur Zeit nicht bekannten Ausmaßes.
Die oben genannten Gesundheitsstörungen wirkten sich auf den zuletzt ausgeübten Beruf als Reinigungskraft dahingehend aus, dass diese Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne und als nicht leidensgerecht angesehen werden müsse. Arbeiten, die mit Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm einhergingen, seien nicht zumutbar, ebenso solche in wechselnder Umgebungstemperatur, insbesondere nasskalter Umgebung sowie solche in Zwangshaltungen mit vornüber geneigtem Rumpf- oder reklinierter Lendenwirbelsäule. All diese Belastungen wirkten sich verkomplizierend auf die stattgehabte Spondylodese und die bereits eingetretene Anschlussdekompensation aus, das vom Segment L3/4 auf das nächste Segment übergreifen werde. Arbeiten, die unter Stress durchgeführt werden müssten sowie Nachtarbeiten seien ebenso wenig zumutbar. Er halte die Klägerin nicht mehr für in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Restgesundheit leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr fünf Tage in der Woche auszuüben. Das Leistungsvermögen sei auch in diesem Bereich auf unter drei Stunden herabgesunken, wie dies auch aus dem vorliegenden Pflegegrad hervorgehe. An besonderen Arbeitsbedingungen sollte die Tätigkeit in wechselnder stehender, gehender und sitzender Arbeitsposition verrichtet werden und auch die Möglichkeit bestehen, sich zwischenzeitig kurz abzulegen. Dies sei mit dem normalen Arbeitsalltag nicht vereinbar. Er halte auch für die oben genannten Arbeiten das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden abgesunken. Insbesondere bestünden erhebliche Einschränkungen für den Arbeitsweg. Er halte die Klägerin nicht mehr in der Lage, eine Wegstrecke von 500 m innerhalb von 18 bis 20 Minuten zurückzulegen und dies sogar viermal pro Tag. Die Gehstrecke sei in der Vergangenheit auf 100 m beziffert worden, ob dies zwischenzeitlich angestiegen sei, sei in Anbetracht der nachgewiesenen Spinalkanalstenose und der persistierenden Nervenwurzelreiz- und Kompressionserscheinung sehr zweifelbar. Die festgestellte Leistungseinschränkung bestehe im Prinzip seit Jahren und habe sich sukzessive immer weiter verschlimmert. Den Wegfall der Wegefähigkeit sehe er zum Zeitpunkt der Rehabilitation anlässlich der Lungentumorentfernung für gegeben an und würde die Entlassung aus der Rehabilitation am 17.07.2018 als dokumentierten Schnitt in der Leistungskurve ansehen. Mit dem orthopädischen Rentengutachten von B2 bestehe, was den damaligen Befund angehe, Übereinstimmung. Die empfohlenen LTA-Maßnahmen hätten jedoch nicht gegriffen und die weiteren therapeutischen Ansätze nicht das gehalten, was man sich davon versprochen habe. All diese Einschätzungen seien aus der damaligen Sicht richtig, hätten sich aber nicht bewahrheitet. Zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch C1 möge dies auch noch der Fall gewesen sein, wobei sich aus seiner Sicht zu diesem Zeitpunkt bereits eine deutliche Gehstreckenlimitierung ergeben habe, die jedoch noch nicht so quantifiziert habe werden können. Die nachfolgenden Stellungnahmen seien Momentaufnahmen behandelnder Kollegen in der Praxis oder im Krankenhaus. Die wiederholten Stellungnahmen des L1 aus dem sozialmedizinischen Kompetenzzentrum K1 legten den Fokus sämtlich auf Einzelsymptome ohne hier den inneren und äußeren Zusammenhang zu würdigen. Unter dem Strich und der Würdigung des zwischenzeitlich festgestellten Pflegegrades 2 müsse über die augenblickliche Leistungsunfähigkeit der Klägerin wohl nicht diskutiert werden.
Mit Schreiben vom 10.03.2022 hat die Beklagte ausgeführt, dass man zwar mit dem Sozialmedizinischen Dienst nunmehr von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen seit August 2020 ausgehe. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedoch lediglich bis zum 30.06.2020 erfüllt. L2 hat in der Stellungnahme vom 08.03.2022 u.a. ausgeführt, dass aus den medizinischen Berichten klar erkennbar sei, dass es zu einer deutlichen Befundverschlechterung nach Durchführung der Versteifungsoperation im August 2020 gekommen sei. Bereits im Januar 2021 sei eine Anschlussdegeneration im Segment oberhalb der Versteifung festgestellt sowie im Februar 2021 eine Claudicatio Spinalis (durch Verengung des Wirbelkanals ausgelöste Rückenmark- bzw. Nervenwurzelbeeinträchtigung beim Gehen). Im April 2021 sei dann die Reoperation wegen der Anschlussdekompensation und Schraubenlockerung mit Schraubenwechsel und Erweiterung der Versteifung bis in das Segment L3/4 durchgeführt worden. Von Seiten der Wirbelsäule seien zwar etwas gebesserte Schmerzen angegeben worden, jedoch seien im Juni bzw. Juli 2021 Ermüdungsbrüche im Bereich der Mittelfußknochen beidseits festgestellt und im November 2021 bei Angabe akut verschlechterter Rückenschmerzen noch ein linksseitiger Kreuzbandbruch sowie im Januar 2022 rechts jeweils unklarer Genese festgestellt worden. Die Feststellung eines jetzt unter dreistündigen Leistungsvermögens sei somit schlüssig und nachvollziehbar. Man folge jedoch nicht der Rückdatierung des Eintrittszeitpunktes auf 2018. Die retrospektive Durchsicht der Akte ergebe, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung 2017 die klinischen Befunde eine überdauernde quantitative Leistungsminderung nicht bescheinigt hätten. Dies gelte auch für die Befunde, die im Rehaentlassbericht vom Juli 2018 und im orthopädischen Gutachten im November 2018 erhoben worden seien. Bis zu diesem Zeitpunkt sei eine quantitative Leistungsminderung nicht festzustellen. Da auch in einem lungenfachärztlichen Gutachten vom Dezember 2018 eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte Tätigkeiten mit entsprechenden qualitativen Einschränkungen bestätigt worden sei, könne ein Eintrittszeitpunkt 2018, wie vom Gutachter angegeben, sozialmedizinisch nicht festgestellt werden. Aus dem Jahr 2019 lägen keine medizinischen Berichte vor, die eine wesentliche Änderung erkennen ließen. Von sozialmedizinischer Seite ergebe sich aus den medizinischen Berichten als Endzeitpunkt August 2020. Laut dem lungenfachärztlichen Gutachten von B3 vom Februar 2019 sei die Klägerin damals aus lungenfachärztlicher Sicht noch in der Lage gewesen, täglich viermal 500 m in etwa 20 Minuten zurückzulegen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und sofern im Besitz eines Führerscheins, auch PKW zu fahren. Auch C1 sei in seinem orthopädischen Gutachten vom November 2018 zu dieser Einschätzung gekommen. Laut dem aktenkundigen Bericht des Diakonissenkrankenhauses K3 vom 26.09.2019 habe die Klägerin damals ohne Beschwerden in den Beinen bis zu 30 Minuten laufen können. Offensichtlich sei sie hierzu auch im Hinblick auf die Lungenproblematik in der Lage. Laut aktenkundigem Bericht des Klinikums M1 vom 05.11.2021 habe die Klägerin dort angegeben, sie könne aktuell etwa einen Kilometer laufen. In seiner sachverständigen Zeugenerklärung vom 14.03.2020 hat S4 zur Frage der Gehfähigkeit keine Angaben machen können. Er habe dahingehend eine Begutachtung für erforderlich erachtet. Bezüglich der Frage nach dem Führen eines PKW, (bei unterstelltem Besitz des Führerscheins) habe er dies damals für möglich gehalten, wenn keine Atemnotsymptomatik, kein bronchiopulmonaler Infekt und keine Einschränkungen der respiratorischen Situation bestehen würden.
Die Klägervertreterin ist dem entgegengetreten und hat ausgeführt, dass man davon ausgehe, dass spätestens im Frühjahr 2020 ein aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden habe. Weiter hat sie ausgeführt, dass die Klägerin seit mindestens vier Jahren nicht mehr im Besitz eines PKWs sei und ihr auch kein PKW regelmäßig zur Verfügung stehe. Der Lebenspartner der Klägerin sei erwerbstätig und arbeite im Schichtdienst. Er benötige das Familienauto. Die Klägerin habe auch seit mindestens vier Jahren keinen PKW mehr geführt, auch nicht für kurze Strecken. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei schon seit mindestens Sommer 2019 nicht mehr gegeben. Es sei nicht zutreffend, dass die Klägerin im September 2019 eine Gehstrecke von 30 Minuten ohne Beschwerden habe zurücklegen können. Man verweise zudem darauf, dass die Klägerin bereits seit 2018 einen Grad der Behinderung von 100 zuerkannt bekommen habe. Zudem bestehe seitdem auch das Merkzeichen G.
Mit Schreiben vom 18.07.2022 hat die Klägerin weitere Unterlagen vorgelegt. Der behandelnde W1 hat in einer Stellungnahme vom 27.06.2022 ausgeführt, dass er dem Gutachten von S6 folge. Er kenne die Klägerin zwar erst seit 2019, er gehe aber ebenfalls anhand der vorliegenden Befunde davon aus, dass eine auch zeitliche Leistungsminderung bereits 2018 eingetreten sei. Die beigefügten Befundberichte des Diakonieklinikums K3 vom 05.06.2020 und von ihm selbst vom 09.04.2020 liegen dem Senat bereits vor.
Weiter ist eine eidesstattliche Versicherung ihres Lebensgefährten vom 29.06.2022 vorgelegt worden, in der dieser angibt, dass der Klägerin der Familien-Pkw ab 2018 nicht mehr zu Verfügung gestanden habe. Dies zum einen, weil er ihn benötigt habe, aber auch deshalb, weil die Klägerin sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht mehr getraut habe. Ferner ist eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt worden, aus der sich ergibt, dass die Klägerin seit 2017 Opoid-Abkömmlinge nehme, die dem Führen eines Pkw im Wege stünden. Außerdem ist ein aktueller Medikamentenplan, eine Bestätigung eines Pflegedienstes vom 20.05.2022, dass die Klägerin regelmäßig Fahrdienste in Anspruch nimmt und eine Bestätigung der AOK Baden-Württemberg vom 17.05.2022, aus der sich die Übernahme einer Pauschale für einen Rollator seit 21.08.2018 ergibt, eingereicht worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juli 2019 sowie den Bescheid vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist frist- und formgerecht erhoben worden und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das angefochtene Urteil des SG vom 29.07.2019 und der Bescheid vom 01.03.2017 in sowie der Widerspruchsbescheid vom 15.11.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Bis zum letztmöglichen Eintritt eines Leistungsfalles der Erwerbsminderung am 30.06.2020 hat die Klägerin nicht nachweisen können, dass eine auch quantitative Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit eingetreten ist.
Gemäß § 43 Abs.1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente im Sinne des § 43 SGB VI sind bei der Klägerin längstens bis 30.06.2020 gegeben, vgl. Auskunft der Beklagten vom 08.02.2021 unter Vorlage eines Versicherungsverlaufs. Weitere rentenrechtliche Zeiten wurden vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin weder vorgetragen, noch sind diese ersichtlich.
Ausgehend davon, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lediglich bis 30.06.2020 gegeben sind, muss die Klägerin nachweisen, dass spätestens bis zu diesem Zeitpunkt eine quantitative Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit eingetreten ist. Hierfür trägt die Klägerin die objektive Darlegungs- und Beweislast (vgl. (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.11.2016 - L 19 R 968/12 -, Rn. 54 - 62, juris). Ein solcher Nachweis ist zur Überzeugung des Senats nicht geglückt.
Nachdem mittlerweile auch die Beklagte von dem Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung bei der Klägerin ausgeht, ist vorliegend von entscheidender Bedeutung, wann der Leistungsfall eingetreten ist. Da die Klägerin die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - 36 Monate Pflichtbeiträge in den letzten 5 Jahren vor Eintritt des Leistungsfalls (§ 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI) - ausweislich des Versicherungsverlaufs letztmalig am 30.06.2020 erfüllt hat, müsste die Erwerbsminderung bis zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit eingetreten gewesen sein. Doch davon hat sich der Senat mit der erforderlichen Sicherheit auch nach der Einholung des Gutachtens von V2 sowie der weiter vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht überzeugen können.
V2 geht in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 29.01.2022 zwar davon aus, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden herabgesetzt ist und dies zwar letztlich schon ab 17.07.2018, d.h. nach Entlassung aus der onkologischen Rehabilitation. Die von ihm vorgenommene Rückdatierung auf 2018 lässt sich aber weder anhand seines Gutachtens noch aus den weiter vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar begründen. Ganz erheblich gegen eine solche Rückdatierung spricht zunächst das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte orthopädische Gutachten von C1, der im November 2018 ein noch mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen bescheinigt hat. Auch im lungenfachärztlichen Gutachten von V1 wird im Februar 2019 ein noch mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen bescheinigt. In diesem Zusammenhang ist zwar weiter auch richtig, dass der behandelnde S4 in seiner Aussage als sachverständiger Zeuge vom 14.03.2020 mitgeteilt hat, dass eine Atemwegserkrankung COPD, GOLD 3/C besteht. Eine auch zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens hat er aber gerade nicht beschrieben, so dass sich auch aus dieser möglicherweise seit der Begutachtung bei V1 eingetretenen Verschlechterung keine Erwerbsminderung ableiten lässt. Weitere lungenfachärztliche Unterlagen bis zum 30.06.2020 liegen nicht vor. Entgegen der Einschätzung von V2 lässt sich auch aus dem Reha-Entlassbericht vom 17.07.2018 kein unter sechsstündiges Leistungsvermögen ableiten. Die dort getroffene Einschätzung ist zum einen diskrepant, da die Einschätzung im Formularteil und Text voneinander abweichen. Zudem ist bereits damals eine neue Einschätzung nach erfolgter Wirbelsäulen-OP gefordert worden. Nicht zuletzt ist die Einschätzung der Rehaklinik in den Gutachten von C1 und V1 widerlegt worden. Auffällig ist ferner, dass selbst der behandelnde S2 noch im April 2018 ein Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten von sechs Stunden und mehr bescheinigt hat. Bis zum Antritt der Rehabilitation ist aber keine weitere Verschlechterung auf orthopädischem Fachgebiet ersichtlich.
Auch aus den weiteren vorliegenden Unterlagen auf orthopädischen Fachgebiet lässt sich letztlich nicht hinreichend feststellen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf weniger als sechs Stunden bereits bis zum 30.06.2020 abgesunken wäre. Auffällig war auch hier, dass immer wieder ungenutzte Behandlungsmöglichkeiten, wie z.B. eine umfassende Schmerztherapie, genannt werden. Angaben zum tatsächlichen Leistungsvermögen der Klägerin enthalten diese Berichte alle nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Arztbrief der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Diakonissenkrankenhauses K2 vom 05.06.2020. Dort wird allein die eigene Einschätzung der Klägerin, wonach diese erklärt habe, dass sie die Berentungsverfahren geforderten Stunden nicht leisten könne, wiedergegeben. Eine eigene Leistungseinschätzung wird gerade nicht getroffen, Der behandelnde Arzt hat vielmehr ausdrücklich erklärt, dass man sich aus diesem Verfahren derzeit „raushalte“.
Der Senat geht nach alledem - ähnlich wie die Beklagte - zwar davon aus, dass wohl inzwischen eine Erwerbsminderung vorliegt. Es erscheint unter Berücksichtigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen inklusive des nun eingeholten Gutachtens nach Aktenlage wahrscheinlich, dass es im Anschluss an die Wirbelsäulenoperation im August 2020 zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist und das Leistungsvermögen daher bereits im Anschluss, ggf. auch nach der erfolglosen Rehabilitationsmaßnahme auf unter sechs Stunden herabgesunken ist. Es ist sogar denkbar und auch möglich, dass bei der Klägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt als August 2020, den die Beklagte inzwischen anerkannt hat, eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß bestanden haben könnte. Darauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist nämlich, dass der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises für ein rentenrelevant quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen erbracht ist (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7. Mai 2021 - L 5 R 206/18 -, Rn. 95, juris). Dies ist jedoch wie soeben ausgeführt, anhand der vorhandenen Unterlagen nicht möglich.
Zu keinem anderen Ergebnis führen die zuletzt eingereichten medizinischen Unterlagen. Soweit es sich um Unterlagen handelt, die den Zeitraum ab 30.06.2020 betreffen, sind sie vorliegend unbeachtlich, da es für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente dahingestellt bleiben kann, ob und ab wann nach dem 30.06.2020 das Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden herabgesunken ist. Aus demselben Grund führen auch der zwischenzeitlich anerkannte Pflegegrad 2 und die gewährten Pflegeleistungen zu keinem anderen Ergebnis, da dieser erstmals zum 01.06.2021 festgestellt worden ist. Auch das nun vorgelegte Attest des behandelnden W1, der die Klägerin seit 2019 behandelt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Er legt keine neuen Unterlagen vor, die den Zeitraum vor dem 30.06.2020 betreffen. Er selbst berichtet von einer stetigen Verschlimmerung der Symptome seit 2017. Ein Nachweis, dass das Leistungsvermögen spätestens zum 30.06.2020 auf unter sechs Stunden herabgesunken ist, lässt sich hieraus aber gerade nicht ableiten.
Weiter ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin - entgegen den Ausführungen des Gutachters V2 - schon vor dem 30.06.2020 nicht mehr in der Lage war, einen Arbeitsplatz zu erreichen und damit lagen keine besonderen Umstände vor, die die Ausübung einer leichten Erwerbstätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwerten. Es ist weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung feststellbar (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83 = SozR 2200 § 1246 Nr. 117 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82 = SozR 2200 § 1246 Nr. 104), noch war der Arbeitsmarkt für die Klägerin nicht nachweislich rentenbegründend verschlossen. Insbesondere war die Wegefähigkeit der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum nicht rentenrelevant eingeschränkt (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 14. März 2002, B 13 RJ 25/01 R, juris Rdnr. 21 m.w.N.). Da ein Minimum an Mobilität zur Ausübung einer Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs, die in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, 13/5 RJ 73/90 = SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10; Urteil vom 9. August 2001, B 10 LW 18/00 R = SozR 3-5864, § 13 Nr. 2), gehört zur Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auch die Fähigkeit des Versicherten, viermal am Tag Wegstrecken von (mehr als) 500 m Länge mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, 13/5 RJ 73/90 = SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10). Dass dies für die Klägerin nicht (mehr) möglich ist, ergibt sich nicht aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen. Sowohl im Gutachten von C1 (Nov. 2018) als auch von B4 (Februar 2019) wird die Wegefähigkeit ausdrücklich bejaht. Aus den weiteren ärztlichen Unterlagen auf orthopädischem Fachgebiet lässt sich ebenfalls keine Einschränkung der Wegefähigkeit ableiten. Aus einem Bericht der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Diakonissenkrankenhauses K2 vom 26.09.2019 ergibt sich, dass die Klägerin nach eigenen Angaben noch 30 Minuten ohne Beschwerden gehen kann. In einem weiteren Bericht des Klinikums M1, Klinik für Schmerzmedizin, vom 05.11.2021 gibt die Klägerin ferner an, dass sie sogar zum damaligen Zeitpunkt noch ca. 1 km laufen könne.
Auch aus dem Nachweis der Klägerin, dass ihr seid dem 21.08.2018 eine Pauschale für die Nutzung eines Rollators von ihrer Krankenkasse bewilligt worden sei, ergibt sich nichts Anderes. Aus den weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen lässt sich nämlich weder entnehmen, ob die Klägerin bereits seit 2018 durchgehend auf die Benutzung eines Rollators angewiesen war noch enthalten sie Angaben zum tatsächlichen Umfang der Nutzung. Vielmehr wird die Nutzung eines Rollators in den ärztlichen Berichten in der Regel noch nicht einmal erwähnt. Selbst aus dem Rehaentlassbericht vom 28.10.2020 lässt sich noch entnehmen, dass die Klägerin dort erstmals am 20.10.2020 mit Rollator zur Visite erschienen sei und sich innerhalb des Untersuchungszimmers erfreulich stabil auch ohne diesen fortbewegt habe. Ferner hat die Klägerin selbst im Juli 2021 mitteilen lassen, dass sie aufgrund der weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes sich außerhalb ihrer Wohnung nur noch mit einem Rollator fortbewegen könne. Es spricht also vieles dafür, dass bis zum 30.06.2020 auch eine Fortbewegung ohne Rollator möglich gewesen ist.
Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; SozR 3-2600 § 44 Nr. 10), so dass die Wegefähigkeit auch bei (regelmäßiger) Nutzung des Rollators dennoch gegeben war. Auch aus der Aussage des behandelnden S4 vom 14.03.2020 ergibt sich lediglich, dass er hierzu keine Angaben machen könne. Anhaltspunkte, dass die Wegefähigkeit dauerhaft rentenbegründend bereits zum 30.06.2020 aufgehoben war, lassen sich hieraus gerade nicht ableiten. Nach alledem ist letztlich auch unerheblich, ob die Klägerin gesundheitlich noch in der Lage war einen Pkw zu führen und ob ihr ein solcher überhaupt zur (täglichen) Nutzung zur Verfügung stand.
Zu keinem anderen Ergebnis führt ferner, dass bei der Klägerin seit 2018 das Merkzeichen „G“ festgestellt ist. Denn es reicht für eine rentenbegründende Einschränkung der Wegefähigkeit im Sinne des SGB VI nicht aus, wenn das Merkzeichen „G“ anerkannt ist, da hier unterschiedliche Voraussetzungen gegeben sind (vgl. Freudenberg in: juris-PK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 43 Rz. 256).
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Klägerin den Eintritt der Erwerbsminderung bis zum 30.06.2020 nicht nachgewiesen hat. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 4051/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2895/19
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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