L 6 P 66/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 22 P 1/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 P 66/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die außerordentliche Kündigung eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages ist ausgeschlossen. 

2. Ist der private Krankenversicherungsvertrag bei einem Versicherungsunternehmen wirksam aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt worden, kann auch der private Pflegepflichtversicherungsvertrag bei demselben Unternehmen wegen des Wegfalls des Kontrahierungszwanges mit diesem Unternehmen ordentlich fristgerecht gekündigt werden.

3. Die außerordentliche Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages und die hieran anknüpfende ordentliche Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages können in demselben Schriftstück erklärt werden.
 


I.    Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 2020 teilweise aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Unwirksamkeit der Kündigung vom 3. Mai 2017 auch insoweit festgestellt hat, als diese als ordentliche Kündigung zu verstehen ist, und das Fortbestehen des Pflegeversicherungsvertrags mit der Servicenummer XXX1 zwischen den Beteiligten auch über den 31. Mai 2017 hinaus festgestellt hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

II.    Der Beklagte hat der Klägerin 1/10 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 

III.    Die Revision wird zugelassen. 


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Fortbestand einer privaten Pflegepflichtversicherung streitig.

Die 1939 geborene Klägerin war bei dem Beklagten über ihren Ehemann seit 1. September 1989 als mitversicherte Person privat krankheitskostenversichert und seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) zum 1. Januar 1995 auch in der privaten Pflegeversicherung mitversichert. Nach der Trennung und Scheidung der Eheleute war die Klägerin seit dem 18. November 1998 als Versicherungsnehmerin bei dem Beklagten mit einem eigenen Vertrag gegen Krankheitskosten und auch pflegepflichtversichert unter der Servicenummer XXX1. Dem Versicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung (Bedingungsteil MB/PPV) in der Fassung gültig ab 1. April 2017 (MB/PPV 2017) in Verbindung mit dem Tarif PVN zugrunde.

Im Januar 2017 stellte der Beklagte im Rahmen einer stichprobenartigen Kontrolle fest, dass auf drei von der Klägerin eingereichten Rezepten kein Abgabedatum der Apotheke notiert war. Der Beklagte nahm daraufhin eine Überprüfung der seit 2016 seitens der Klägerin eingereichten Leistungsanträge vor und stellte hierbei einen ungewöhnlich hohen Medikamentenverbrauch fest. Nach Aufforderung des Beklagten legte die Klägerin einen Medikamentenplan vor. Nach Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht legte die C. Apotheke in A-Stadt, die die Rezepte quittiert hatte, dem Beklagten die Sammelbelege für das Kalenderjahr 2016 vor. Der Beklagte nahm einen Abgleich mit den erfolgten Erstattungsleistungen vor und ermittelte eine enorme Diskrepanz. 

Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erklärte der Beklagte die fristlose Kündigung des Krankenversicherungsvertrages aus wichtigem Grund. Aus demselben Grund werde die Pflegepflichtversicherung beendet. Die Klägerin habe manipulierte Rezepte für nicht bezogene Arzneimittel eingereicht. Sie habe aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu Unrecht Versicherungsleistungen erhalten. Die Tatsache, Versicherungsleistungen erschlichen zu haben, stelle einen nicht zumutbaren und nicht hinnehmbaren Vertrauensbruch dar, der es dem Beklagten nicht möglich erscheinen lasse, das Versicherungsverhältnis mit der Klägerin weiter aufrecht zu erhalten. Gerade in der Krankenversicherung sei der Versicherer – auch im Rahmen der Kostenerstattung – auf die Redlichkeit des Versicherten bei der Vorlage von Leistungsaufträgen angewiesen, um so auf der Grundlage eines ungestörten Vertrauensverhältnisses und eines gegenseitigen Einvernehmens die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 3. Mai 2017 zu. Über die Rückzahlung von 60.000,- Euro schloss die Klägerin mit dem Beklagten noch am 3. Mai 2017 eine Ratenzahlungsvereinbarung ab.

Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 24. Mai 2019 (Az.: 7 O 262/18; Berufungsrücknahme der Klägerin vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main in dem Verfahren Az. 7 U 92/19) steht fest, dass der Krankheitskostenversicherungsvertrag der Klägerin bei dem Beklagten durch die außerordentliche Kündigung des Versicherers (des hiesigen Beklagten) vom 3. Mai 2017 beendet worden ist (GA Bl. 119, 128). Das Landgericht verurteilte die Klägerin (dortige Beklagte) außerdem zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 60.000,- Euro sowie Prozesszinsen. Den Widerklageantrag der Klägerin (dortigen Beklagten) auf Schadensersatz u.a. wegen Beratungsfehlern wies das Landgericht ab. 

Mit anwaltlichem Schreiben vom 7. November 2017 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die ausgesprochene Kündigung (der Kranken-) und Pflegeversicherung umgehend zurückzunehmen (GA Bl. 7). Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 10. November 2017 (GA Bl. 11) mitgeteilt hatte, es ergäben sich für ihn keine neuen Gesichtspunkte, die Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages sei weiterhin gerechtfertigt, hat die Klägerin am 2. Januar 2018 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

Zur Begründung hat sich die Klägerin auf die Entscheidung des BGH vom 7. Dezember 2011, Az. IV ZR 105/11 bezogen. Die Kündigung eines privaten Krankenversicherungsvertrages schlage nicht auf die Pflegeversicherung durch. Der Beklagte habe weder das Recht zur außerordentlichen noch zur ordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages. Zudem hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu angeblichen Pflichtverletzungen des Beklagten und bei der Klägerin eingetretenen Schäden vorgetragen. Wegen der Einzelheiten wird auf Ziff. 2 des Schriftsatzes vom 8. Juli 2020 (GA Bl. 164-165) verwiesen.

Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht beantragt, festzustellen, dass die Pflegepflichtversicherung zu Servicenummer XXX1 zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 3. Mai 2017 beendet wurde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat ausgeführt, gemäß § 314 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könnten Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden. Eine Kündigung aus wichtigem Grund komme im Bereich der privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherung vor allem dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen erschleiche oder zu erschleichen versuche. Es stehe fest, dass die Klägerin Versicherungsleistungen fortgesetzt und in hohem Umfang vom Beklagten erschlichen habe. Hierin liege ein besonders gravierender und von Eigennutz geleiteter krasser Verstoß der Klägerin gegen ihre Pflichten aus dem Versicherungsvertrag, der Wahrheit entsprechende Angaben zu machen, der die Klägerin als Versicherungsnehmerin generell „untragbar“ mache. 

Die Kündigungserklärung umfasse mit Recht auch die Pflegepflichtversicherung. Im Hinblick auf den Massencharakter der anfallenden Erstattungsvorgänge müsse der Versicherer sich gleichsam „blind“ darauf verlassen können, dass die Erstattungsansprüche korrekt geltend gemacht würden. Der Versicherer müsse sich mit Stichproben begnügen können. Es müsse ein Vertrauensverhältnis bezüglich der Richtigkeit der Angaben bestehen. Werde das Vertrauensverhältnis in einem Ausmaß enttäuscht, welches die außerordentliche Kündigung rechtfertige, sei der Versicherer berechtigt, sich insgesamt vom Vertragsverhältnis mit diesem Versicherungsnehmer zu lösen, auch wenn sich die eigentliche Pflichtverletzung nur auf die Krankheitskosten bezogen habe. Andernfalls wäre der Versicherer selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen gezwungen, das Vertragsverhältnis jedenfalls in Teilen mit einem Versicherungsnehmer fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht habe, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen. 

Zudem würde eine andere Sichtweise auch zu einem Auseinanderfallen der Versicherer hinsichtlich der Pflege- und Krankenversicherung führen. Damit würde die gesetzgeberische Wertentscheidung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XI unterlaufen, nach der beide Versicherungen zumindest grundsätzlich bei demselben Unternehmen bestehen sollten, um Zuständigkeitsstreitigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 110 Abs. 4 SGB XI. Dieser schließe zwar für die Dauer des Bestehens des Kontrahierungszwangs nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI grundsätzlich jegliche Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsunternehmens aus. Da eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund aber praktisch nie auf die Krankenversicherung beschränkt sei, sondern auch die Pflegeversicherung erfasse, sei der Versicherungsnehmer gezwungen, bei einem anderen Versicherer eine Krankenversicherung abzuschließen, womit der andere Versicherer auch zum Vertragsabschluss der Pflegeversicherung gezwungen sei.

Der Beklagte könne den privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag zumindest ordentlich kündigen. Die Rücktritts- und Kündigungsrechte des Beklagten seien nach § 110 Abs. 4 SGB XI nur solange ausgeschlossen, wie der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI bestehe. Aufgrund der wirksamen Kündigung des privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages durch den Beklagten entfalle für diesen der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Infolgedessen greife auch der Ausschluss des § 110 Abs. 4 SGB XI nicht mehr, denn durch eine solche Kündigung werde der Kontrahierungszwang nicht umgangen, weil mit dem Abschluss eines neuen Krankheitskostenversicherungsvertrages oder einer Versicherung im Basistarif bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen die Versicherungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 SGB XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 1 SGB XI entstehe. 

Zwar habe der Beklagte mit seinem Schreiben vom 3. Mai 2017 nicht explizit die ordentliche Kündigung ausgesprochen, sondern den Vertrag außerordentlich gekündigt. Die außerordentliche Kündigung sei aber gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung bzw. einen Rücktritt umzudeuten. 

Die Klägerin habe auch keinen Anspruch gegen den Beklagten, wieder von ihm in der privaten Pflegeversicherung aufgenommen zu werden. Denn das Wahlrecht des § 23 Abs. 2 SGB XI bestehe dann nicht einschränkungslos, wenn der Pflegepflichtversicherer das Versicherungsverhältnis zuvor aufgrund eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Versicherungsnehmers (außer-)ordentlich gekündigt habe. In einem solchen Fall habe der Versicherungsnehmer keinen Anspruch darauf, dass derselbe Versicherer mit ihm erneut einen Vertrag abschließe. Vielmehr bestehe das Wahlrecht nur gegenüber einem anderen Versicherer. Denn der kündigende Versicherer habe ein berechtigtes Interesse daran, nicht wieder genau mit demjenigen Versicherungsnehmer ein Vertragsverhältnis eingehen zu müssen, der ihn zuvor betrogen oder anderweitig eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung begangen habe. Dies könne aber dahinstehen, das Wahlrecht gemäß § 23 Abs. 2 S. 2 SGB XI sei auf sechs Monate befristet. 

Die Klägerin fragte erstmals am 16. Mai 2017 bei der Beigeladenen zur Aufnahme in den Basistarif an. Eine am 6. Oktober 2017 gegen die Beigeladene erhobene Klage der Klägerin auf Abschluss eines Kranken- und Pflegeversicherungsvertrages im Basistarif wurde mit Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 19. Juli 2021 abgewiesen (Az. S 22 P 23/18). Auf die Gründe der Entscheidung wird verwiesen. Am 3. Mai 2019 erhielt die Beigeladene einen von der Klägerin am 25. April 2019 unterschriebenen Antrag auf Versicherung im Basistarif. Mit Versicherungsschein vom 31. Juli 2019 bestätigte die Beigeladene die rückwirkende Aufnahme der Klägerin in den Basistarif der Krankenversicherung und in die Pflegepflichtversicherung zum 4. Mai 2017 (GA Bl. 265). Der Abschluss der Versicherungsverträge mit der Beigeladenen wurde erst im Berufungsverfahren durch die Berichterstatterin ermittelt, nachdem die Klägerin Angaben hierzu verweigert hatte. Dem Sozialgericht lag diese Information noch nicht vor.

Nach vorheriger Anhörung zu dieser Verfahrensweise hat das Sozialgericht Wiesbaden im hiesigen Verfahren der Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. November 2020 stattgegeben und festgestellt, dass die Pflegeversicherung mit der Service-Nummer XXX1. zwischen den Beteiligten fortbestehe und weder durch außerordentliche noch durch ordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 beendet worden sei. 

Hierzu hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei zulässig. Gegenstand des Rechtsstreits sei das Begehren der Klägerin auf Feststellung, dass der zwischen den Beteiligten bestehende private Pflegepflichtversicherungsvertrag durch die Kündigung vom 3. Mai 2017 nicht beendet worden sei, das Versicherungsverhältnis also unverändert fortbestehe. Insoweit wende sich die Klägerin nach entsprechender Auslegung gemäß § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen die außerordentliche und ordentliche Kündigung durch den Beklagten.

Die von der Klägerin erhobene Klage sei als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Die Klägerin habe ein berechtigtes Interesse an einer Klärung der bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Vertrag über die Pflegepflichtversicherung. Dieses berechtigte Interesse entfalle nicht deshalb, weil die Klägerin sich zwischenzeitlich um den Abschluss eines anderweitigen Pflegepflichtversicherungsvertrages bemüht habe. Zum einen habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie an dem Vertragsverhältnis zum Beklagten festhalten möchte; zum anderen gebe es einen Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht zwischen der Klägerin und dem Folgeversicherer über das Zustandekommen und das Bestehen eines Pflegepflichtversicherungsvertrages (Az. 22 P 23/18).

Die Klage sei begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Feststellung des Fortbestandes des mit dem Beklagten geschlossenen Pflegepflichtversicherungsvertrages. Der Vertrag sei weder durch außerordentliche Kündigung noch durch ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 3. Mai 2017 beendet worden. 

Der Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrages durch außerordentliche Kündigung stehe das Kündigungsverbot gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI entgegen.

Gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI seien Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang bestehe. Mit dieser in erster Linie der Allgemeinheit dienenden Regelung solle der Versicherungsschutz auch bei Vertragsverletzungen aufrechterhalten bleiben, damit die private Pflegepflichtversicherung insoweit einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleiste. Dem Versicherungspflichtigen solle nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 2019, Az. L 4 P 2146/18). Hierzu sei in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.12/5952 S. 49) folgendes ausgeführt: „Der neu eingeführte Absatz 4 schränkt die Kündigungs- und Rücktrittsrechte der Versicherungsunternehmen ein. So ist z.B. kein Kündigungsrecht gegeben in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer mit seiner Versicherungsprämie in Verzug ist. Der Versicherungsschutz soll auch bei Vertragsverletzungen aufrecht erhalten bleiben, damit soll die private Pflegepflichtversicherung auch in dieser Hinsicht einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleisten. Es solle dem Versicherungspflichtigen nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen. Leistungsverweigerungsrechte der Versicherungsunternehmen für den Zeitraum, in dem der Versicherungsnehmer keine Prämien entrichtet, bleiben selbstverständlich erhalten. ...“. Hieraus werde im sozialversicherungsrechtlichen Schrifttum geschlossen, dass auch außerordentliche Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen seien (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 09/19, § 110 SGB XI Rn. 12; Kuhn-Zuber in Krahmer/Plantholz, Sozialgesetzbuch XI, 5. Auflage, § 110 Rn. 43).

Zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung habe ein Kontrahierungszwang des Beklagten bestanden gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 SGB XI. Es könne dahinstehen, ob auf den Bestand des Versicherungsverhältnisses seit 1. September 1989 abzustellen sei, für welchen hinsichtlich der Voraussetzungen eines Kontrahierungszwanges § 110 Abs. 1 SGB XI maßgeblich sei, oder auf ein Vertragsverhältnis seit dem 18. November 1998 (nach Inkrafttreten des SGB XI zum 1. Janaur 1995), für welches dann die Voraussetzungen des § 110 Abs. 3 SGB XI zu prüfen seien, da die Voraussetzungen nach beiden Vorschriften erfüllt seien. 

Nach § 110 Abs. 1 SGB XI würden die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Betrieb der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet, mit allen in § 22 und § 23 Abs. 1, 3 und 4 SGB XI genannten versicherungspflichtigen Personen auf Antrag einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der einen Versicherungsschutz in dem in § 23 Abs. 1 und 3 SGB XI festgelegten Umfang vorsieht (Kontrahierungszwang). Damit werde sichergestellt, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet seien, ausreichend gewahrt würden und die Verträge auf Dauer erfüllbar blieben, ohne die Interessen der Versicherten anderer Tarife zu vernachlässigen.

Soweit man auf das Versicherungsverhältnis des Beklagten mit der Klägerin als mitversicherter Person ab dem 1. September 1989 abstelle, bestehe der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 SGB XI. Soweit auf den eigenständigen Versicherungsvertrag ab 18. November 1998 abgestellt werde, bestehe der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Als Neuversicherter, d.h. als eine Person, die noch nicht bei Inkrafttreten des SGB XI zum 1. Januar 1995 privat krankenversichert gewesen sei, unterliege die Klägerin den Regelungen des § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Diese Bestimmung löse den Kontrahierungszwang des Versicherers aus, auch dann, wenn die Klägerin nicht privat krankenversichert gewesen wäre. Denn nach § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI gelte der Kontrahierungszwang auch für Versicherungsverträge, die mit Personen abgeschlossen werden, die erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes Mitglied eines privaten Krankenversicherungsunternehmens mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen würden oder die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügten, sofern sie in Erfüllung der Vorsorgepflicht nach § 22 Abs. 1 und § 23 Abs. 1, 3 und 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geschlossen würden und Vertragsleistungen in dem in § 23 Abs. 1 und 3 VVG festgelegten Umfang vorsähen. 

Die Anwendbarkeit von § 110 Abs. 4 SGB XI sei nicht aufgrund schwerwiegender Vertragsverletzungen der Klägerin ausgeschlossen. Bei § 110 Abs. 4 SGB XI komme anders als bei § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG für die Krankheitskostenversicherung keine teleologische Reduktion dahingehend in Betracht, dass eine außerordentliche Kündigung bei nicht auf Prämienverzug beruhenden schwerwiegenden Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers möglich sei. So schränke zunächst das Gesetz selbst die Möglichkeit des Versicherers, sich vom Vertrag zu lösen, in weitergehendem Umfang ein als bei der Krankheitskostenversicherung. § 110 Abs. 4 SGB XI untersage auch Rücktrittsrechte des Versicherers wegen unzutreffender Angaben des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss. Dem entspreche es, dass nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 3 Nr. 2 SGB XI Unternehmen nicht berechtigt seien, Personen wegen Vorerkrankungen vom Pflegepflichtversicherungsvertrag auszuschließen. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung bestehe also ein noch weitergehender Kontrahierungszwang als bei der Krankheitskostenversicherung, bei der jedenfalls ein Rücktritt vom Vertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht möglich sei, wie sich dies etwa aus § 193 Abs. 5 Satz 4 und § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG ergebe (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2011 – IV ZR 105/11, juris).

Hinzu komme, dass im Falle der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung der Pflegepflichtversicherung ein Versicherungsschutz vollständig entfiele und der Versicherungsnehmer auf Sozialhilfeleistungen angewiesen wäre. Anders als im Bereich der Krankheitskostenversicherung fehle das „Auffangnetz“ eines Basistarifs. Vielmehr sei die Pflegepflichtversicherung selbst bereits von ihrer Struktur her mit dem Basistarif in der Krankheitskostenversicherung zu vergleichen. Es handele sich bei der Pflegepflichtversicherung und der Krankheitskostenversicherung im Basistarif um Versicherungsverträge, bei denen Inhalt und Umfang der Leistungen nur noch eingeschränkt dem Grundsatz der Privatautonomie unterlägen, sondern vielfach durch gesetzgeberische Vorgaben überlagert seien (wird ausgeführt). 

Im Bereich der Pflegepflichtversicherung komme dieser Gedanke der Gleichbehandlung und eines solidarischen Ausgleichs zusätzlich noch in der Regelung über den Risikoausgleich in § 111 SGB XI zum Ausdruck. Hiernach müssten Versicherungsunternehmen, die eine private Pflegeversicherung betreiben, ein Ausgleichssystem schaffen und erhalten, wodurch ein dauerhafter Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen gewährleistet werden solle (BGH, a.a.O.). Nach Auffassung des Gesetzgebers sei es den Versicherungsunternehmen nicht möglich, für die Versicherungsnehmer einen risikogerechten Beitrag zu kalkulieren (BT-Drucks. 12/5952 S. 49). So könnten einzelne Unternehmen mit einer Häufung von so genannten „schlechten Risiken“ benachteiligt werden. Daher sei ein Ausgleich zwischen allen Pflegeversicherungsunternehmen unerlässlich. So habe der Gesetzgeber sogar eine gemeinsame Kalkulation der Beiträge vorgeschrieben, auch wenn dies nicht mit einer Einheitsprämie verbunden werden solle (BT-Drucks. 12/5952 S. 49, a.a.O. S. 50).

Aus Vorstehendem ergebe sich, dass im Bereich der Pflegepflichtversicherung die Vertragsfreiheit noch stärkeren Einschränkungen unterliege als im Bereich der Krankheitskostenversicherung und eine weitgehende Verteilung der Risiken auf die Gemeinschaft stattfinde. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn einem Versicherungsnehmer bei schweren Vertragsverletzungen aus wichtigem Grund gekündigt werden könnte und er entgegen der in § 23 Abs. 1 SGB XI vorgesehenen Versicherungspflicht keine Möglichkeit mehr hätte, bei einem anderen Versicherer einen entsprechenden Vertrag abzuschließen.

Seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB XI zum 1. Januar 1995 bzw. seit dem Abschluss des eigenen Vertrages am 18. November 1998 bestehe damit ein Kontrahierungszwang, der eine außerordentliche Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages durch den Beklagten ausschließe. Dieser Kontrahierungszwang habe auch noch zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrags am 3. Mai 2017 bestanden. Es stehe außer Zweifel, dass die Krankenversicherung der Klägerin, welche zeitgleich mit der Pflegeversicherung gekündigt worden sei, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages am 3. Mai 2017 noch bestanden habe und noch nicht vor der außerordentlichen Kündigung des Pflegepflichtversicherungsvertrages beendet worden sei. Dies ergebe sich aus dem Schreiben an die Klägerin vom 3. Mai 2017, in welchem gleichzeitig eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund des Krankenversicherungsvertrages und des Pflegepflichtversicherungsvertrages ausgesprochen worden sei. Vor diesem Hintergrund sei es auch unerheblich, dass die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 24. Mai 2019 (Az.: 7 O 262/18: Feststellung, dass der Krankheitskostenversicherungsvertrag der Klägerin bei dem Beklagten durch die außerordentliche Kündigung des Versicherers (des hiesigen Beklagten) vom 3. Mai 2017 beendet worden ist) vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zurückgenommen worden sei.

Der Beklagte könne nicht mit dem Einwand gehört werden, dass die Aufrechterhaltung des Pflegepflichtversicherungsvertrages zu einem Auseinanderfallen der Versicherer hinsichtlich der Pflege- und Krankenversicherung führe, womit die gesetzgeberische Wertentscheidung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XI unterlaufen werde, nach der beide Versicherungen zumindest grundsätzlich bei demselben Unternehmen bestehen sollen. Zwar sei dem Beklagten zuzustimmen, dass § 23 Abs. 1 Satz1 SGB XI von der Grundannahme ausgehe, zwischen dem Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bestehe hinsichtlich des Versicherungsunternehmens Identität. Allerdings gelte diese Grundannahme nicht uneingeschränkt. Sie stehe unter dem gesetzlichen Vorbehalt des in § 23 Abs. 2 SGB XI normierten Wahlrechts des Versicherten (vgl. Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI: „sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet“). Der private Pflegeversicherungsvertrag sei danach nicht zwingend bei dem privaten Versicherungsunternehmen abzuschließen, bei dem auch die private Krankenversicherung besteht. Insoweit bestehe ein Wahlrecht der versicherungspflichtigen Person (Udsching/Schütze/Vieweg, 5. Aufl. 2018, SGB XI § 23 Rn. 21). Bereits diese gesetzliche Grundkonzeption zeige, dass eine Spaltung der Versicherungsverhältnisse sehr wohl möglich sei. Unter Beachtung der Regelungen des § 110 Abs. 4 SGB XI folge daraus weiter, dass eine wirksame Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen keine automatischen Auswirkungen auf den bereits bestehenden privaten Pflegeversicherungsvertrag habe (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O.). 

Der Beklagte habe den Pflegepflichtversicherungsvertrag auch nicht durch ordentliche Kündigung beenden können.

Mit dem Beklagten sei das Gericht der Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden könne. Voraussetzung hierfür sei, dass für die Klägerin eindeutig erkennbar gewesen sei, dass das Vertragsverhältnis auf jeden Fall beendet werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004, Az. XI ZR 288/02). Dabei sei davon auszugehen, dass im Normalfall die ordentliche Kündigung als ein Minus in der außerordentlichen Kündigung enthalten sei. Dem Kündigungsschreiben des Beklagten vom 3. Mai 2017 sei auch für die Klägerin verständlich zu entnehmen, dass der Beklagte das Versicherungsverhältnis mit der Klägerin auf jeden Fall beenden wollte. Der Beklagte habe der Klägerin eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung durch Erschleichung von Versicherungsleistungen vorgeworfen, welche für den Beklagten zu einem nicht zumutbaren und nicht hinnehmbaren Vertrauensbruch geführt habe. Im Weiteren habe der Beklagte ergänzend ausgeführt, dass er auch künftig nicht bereit sei, die Klägerin in einer Krankenversicherung oder der Pflegeversicherung zu versichern.  

Die in eine ordentliche Kündigung ausgelegte Erklärung führe aber nicht dazu, dass der Pflegepflichtversicherungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten habe beendet werden können. Das Gericht folge nicht der Ansicht des Beklagten, dass die Rücktritts- und Kündigungsrechte des Beklagten nach § 110 Abs. 4 SGB XI nur solange ausgeschlossen seien, wie der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI bestehe. Mit wirksamer Kündigung des privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages durch den Beklagten entfalle der Kontrahierungszwang für den Beklagten nicht. Würde man einen Kontrahierungszwang in dieser Fallgestaltung ablehnen, würde der bereits umfassend beschriebene Kündigungsausschluss umgangen. Die Annahme des Beklagten, eine solche Umgehung sei deshalb nicht zu befürchten, da mit Abschluss eines neuen Krankheitskostenversicherungsvertrages bei einem anderen privaten Versicherer die Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 1 SGB XI entstehe, sei nicht zu folgen, da zumindest bis zum Abschluss eines neuen Pflichtversicherungsvertrages für die Klägerin eine Versicherungslücke entstünde, welche dem Ziel des Gesetzgebers auf lückenlosen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Pflegeversicherung widerspräche (vgl. Kuhn-Zuber, a.a.O. § 110, Rn. 41). Auch wenn dies dem Grundsatz „Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung“ widerspreche, werde dadurch der bereits ausführlich dargestellte Schutz, der über die private Pflegepflichtversicherung gewährt werden und dem der Sozialen Pflegeversicherung entsprechen solle, gewahrt.

Da der Pflegepflichtversicherungsvertrag zwischen den Beteiligten nicht durch außerordentliche oder ordentliche Kündigung beendet worden sei, habe das Gericht nicht darüber zu befinden, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch habe, wieder von ihm in der privaten Pflegeversicherung aufgenommen zu werden. Dies hätte eine Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausgesetzt. 

Das Gericht müsse auch nicht über mögliche Pflichtverletzungen und Schadensersatzansprüche entscheiden. Diese seien nicht anhängig. Wie sich aus Ziff. 4 des Schriftsatzes vom 8. Juli 2020 ergibt, müsse die Klägerin alternativ (sofern keine vergleichsweise Streitbeilegung erfolge) über einen Rücktritt und die Forderung von Schadensersatz noch in 2020 nachdenken, da 2021 Verjährung drohe. Hierbei handele es sich lediglich um die Ankündigung eines möglichen Rechtsstreits, sofern eine vergleichsweise Streitbeilegung nicht erfolgen werde. Es habe jedenfalls noch des Zwischenschrittes der abschließenden Entscheidung bedurft. Diese sei noch nicht getroffen worden.

Der Beklagte hat gegen den ihm am 11. November 2020 zugestellten Gerichtsbescheid an 7. Dezember 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgerichts eingelegt. Er hat umfassend auf den der Kündigung vorausgehenden Sachverhalt, die Einreichung manipulierter Rezepte, Bezug genommen und macht geltend, hinsichtlich der vom Sozialgericht Wiesbaden für ausgeschlossen erklärten ordentlichen Kündigung sei der Gerichtsbescheid rechtsfehlerhaft. Er habe die private Pflegepflichtversicherung ordentlich kündigen können, nachdem der Kontrahierungszwang entfallen gewesen sei. Zutreffend vertrete das Sozialgericht Wiesbaden die Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden könne. Das Sozialgericht habe jedoch bei der Bewertung der Frage, ob der Kündigungsausschluss entfalle und der Kontrahierungszwang fortbestehe, eine fehlerhafte Anknüpfung gewählt. 

§ 110 Abs. 4 SGB XI schließe die Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsunternehmens nur für die Dauer des Bestehens des Kontrahierungszwangs aus. Werde ein privater Krankheitskostenversicherungsvertrag aus einem außerordentlichen Kündigungsgrund wirksam gekündigt und sei der Versicherte aufgrund dieses privaten Krankheitskostenversicherungsvertrag nach § 23 Abs. 1 SGB XI versicherungspflichtig in der privaten Pflegepflichtversicherung, entfalle dadurch für das Versicherungsunternehmen gegenüber diesem Versicherten der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 4 SGB XI. Infolgedessen greife der Ausschluss des § 110 Abs. 4 SGB XI nicht mehr und das private Versicherungsunternehmen könne den privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag ordentlich kündigen. Auch werde durch eine solche Kündigung der Kontrahierungszwang nicht umgangen, weil er eben entfallen sei. 

Hinzu komme, dass mit dem Abschluss eines neuen Krankheitskostenversicherungsvertrags oder einer Krankenversicherung im Basistarif bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen die Versicherungspflicht nach § 23 Abs. XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI bei diesem anderen Versicherungsunternehmen entstehe. Vorliegend sei der Kontrahierungszwang bei Aushändigung der Kündigung am 3. Mai 2017 weggefallen; folglich habe der Beklagte den privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag ordentlich kündigen können. 

Zu welchem Zeitpunkt die ordentliche Kündigung habe erfolgen können, ergebe sich aus § 14 Abs. 2 MB/PPV. Danach könne der Versicherer in den Fällen des § 9 Abs. 5, § 13 MB/PPV sowie bei Wegfall des Kontrahierungszwanges gemäß Abs. 5 S. 1 MB/PPV aus sonstigen Gründen die Pflegepflichtversicherung auf seiner Seite mit den für den Versicherungsnehmer geltenden Fristen kündigen. Später könne der Versicherer nur mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Versicherungsjahres (§ 13 Abs. 6 MB/PPV) kündigen. 

Vorliegend sei § 14 Abs. 2 S. 1 MB/PPV einschlägig. Damit habe der Beklagte die private Pflegeversicherung mit den für den Versicherungsnehmer geltenden Fristen zu dem für diesen maßgeblichen Zeitpunkt kündigen können. Die für den Versicherungsnehmer geltenden Fristen seien in § 13 Abs. 1 MB/PPV festgelegt. Vorliegend greife § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 MB/PPV, wonach der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis der betroffenen versicherten Person zum Ende des Monats kündigen könne, in dem er das Ende der Versicherungspflicht durch Fortführung der der Pflicht zur Versicherung (§ 193 Abs. 3 VVG) genügenden privaten Krankenversicherung bei einem anderen Versicherer nachweise. Die ordentliche Kündigung werde daher ab dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die Klägerin bei einem anderen Versicherungsunternehmen privat kranken- und pflegeversichert sei. Es sei unstreitig, dass die Klägerin bei einem anderen Versicherungsunternehmen privat kranken- und pflegeversichert sei. 

Der Beklagte weist weiter darauf hin, dass Ansprüche auf Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung nicht rechtshängig seien, weshalb er hierzu nur höchst vorsorglich vortrage.

Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 2020 teilweise aufzuheben, soweit das Sozialgericht die Unwirksamkeit der Kündigung vom 3. Mai 2017 auch insoweit festgestellt hat, als diese als ordentliche Kündigung zu verstehen ist, und das Fortbestehen des Pflegeversicherungsvertrags mit der Servicenummer XXX1 zwischen den Beteiligten auch über den 31. Mai 2017 hinaus festgestellt hat, und insoweit die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. 

Zum Rechtsschutzbedürfnis trägt die Klägerin vor, dass der Abschluss der privaten Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beigeladenen nur aufgrund der fristlosen Kündigung durch den Beklagten und nicht auf eigenen Wunsch der Klägerin erfolgt sei. Diese wolle die Wahl des Versicherers haben, zum anderen festgestellt wissen, dass der Beklagte zu Unrecht gekündigt habe. Zudem seien durch das rechtswidrige Vorgehen des Beklagten erhebliche Schäden, insbesondere Rechtsverfolgungskosten, entstanden.

Die Beigeladene hat sich nicht zur Sache eingelassen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen und insbesondere wegen des Vortrags der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. 


Entscheidungsgründe

I. Streitig ist (nur noch), ob der Pflegepflichtversicherungsvertrag der Klägerin mit dem Beklagten durch ordentliche Kündigung vom 3. Mai 2017 zum 31. Mai 2017 beendet worden ist. Die Beklagte hat schriftsätzlich nicht daran festgehalten, dass die ausgesprochene Kündigung als außerordentliche Kündigung wirksam war.
Nicht streitgegenständlich sind von der Klägerin behauptete Schadensersatzansprüche wegen angeblicher Beratungsfehler des Beklagten.  
Gegenstand des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids ist allein der Feststellungsantrag, dass das Versicherungsverhältnis der Klägerin mit dem Beklagten fortbesteht. Auch in zweiter Instanz wurde kein weiterer Klageantrag seitens der Klägerin und Berufungsbeklagten gestellt, so dass sich die Frage der Zulässigkeit einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 11. März 2020 – L 6 AS 471/19 –, juris Rn. 45) nicht stellt. 

II. Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet und der angefochtene Gerichtsbescheid ist überwiegend aufzuheben. Das Pflegeversicherungsverhältnis der Klägerin mit dem Beklagten ist durch dessen Kündigung vom 3. Mai 2017 zum 31. Mai 2017 beendet worden.
1. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Sie ist gerichtet auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Die von dem Beklagten ausgesprochene Kündigung, die die Klägerin für unwirksam hält, hat zu einem Rechtszustand geführt, in dem weder für die Beteiligten noch für Dritte, etwa Leistungserbringer, eindeutig zu erkennen ist, ob die Klägerin Versicherungsschutz des Beklagten genießt. Eine vorrangige Leistungsklage kommt nicht in Betracht, da die Klägerin anscheinend noch keine Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nimmt bzw. nehmen muss. Es besteht daher auch ein Feststellungsinteresse. Dieses lässt sich auch nicht deshalb verneinen, weil die Klägerin dem Beklagten Beratungsfehler vorwirft und somit ersichtlich mit dessen Leistung nicht zufrieden ist. Auch der Umstand, dass die Klägerin ab 4. Mai 2017 bei der Beigeladenen pflegepflichtversichert ist, steht dem nicht entgegen. Würde die Klägerin obsiegen, könnte zwar die Beigeladene ihrerseits wiederum das Versicherungsverhältnis kündigen (§ 9 Abs. 5, § 14 MB/PPV 2022). Was die Klägerin gewinnen könnte, wenn dieses Folgeversicherungsverhältnis wiederum rückabgewickelt würde und der Versicherer für die Krankenversicherung und für die Pflegeversicherung auseinanderfallen würden, ist zwar nicht unmittelbar ersichtlich. Da die Klägerin aber meint, Sekundäransprüche, insbesondere hinsichtlich aufgelaufener Rechtsberatungskosten daran knüpfen zu können, dass festgestellt wird, dass die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 3. Mai 2017 unwirksam war und ihr Versicherungsverhältnis mit dem Beklagten fortbesteht, geht der Senat auf dieser Grundlage von einem fortbestehenden Feststellungsinteresse und allgemeinen Rechtschutzbedürfnis der Klägerin aus. Hierfür spricht überdies, dass sie auch allgemein eine rechtswidrige Kündigung nicht hinnehmen müsste, wenn sie auf Grund einer privatautonomen Entscheidung das (privatrechtliche) Versicherungsverhältnis mit dem Beklagten fortführen möchte.

2. Die Klage ist allerdings unbegründet. Der Beklagte hat das Pflegeversicherungsverhältnis der Klägerin durch Kündigung vom 3. Mai 2017 zum 31. Mai 2017 wirksam beendet. Vertragliche Grundlage für die Beurteilung der Rechtslage ist der zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und dem Beklagten rückwirkend zum 18. November 1998 abgeschlossene Pflegeversicherungsvertrag mit der Servicenummer XXX1. 
a) Der Beklagte hat am 3. Mai 2017 eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Der BGH hat in einem Verfahren, in dem seine Zuständigkeit ausschließlich auf § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG (Rechtmittelentscheidung ohne Prüfung des beschrittenen Rechtswegs) beruhte, geäußert, dass im Bereich der Pflegepflichtversicherung jede außerordentliche Kündigung des Versicherers nach § 110 Abs. 4 SGB XI ausgeschlossen sei (BGH, Urteil vom  7. Dezember 2011 − IV ZR 105/11, juris, Rn. 28 ff.; dazu BGH, Beschluss vom 12. September 2018 – IV ZB 1/18, juris, Rn. 10). Ob auch das – für das private Pflegeversicherungsrecht zuständige – BSG das so sehen würde, ist noch offen. 
Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des BGH und der wohl einhelligen Literaturmeinung an, wonach die außerordentliche fristlose Kündigung eines privaten Pflegeversicherungsvertrages nach § 110 Abs. 4 SGB XI selbst bei schweren Verfehlungen des Versicherungsnehmers, wie z.B. Einreichung von Rechnungen von Leistungserbringern in Betrugsabsicht, ausgeschlossen ist. Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers (BT-Drucks. 12/5952, S. 49) und garantiert, dass im Bereich der Pflegeversicherung eine Schutzlücke für den Zeitraum zwischen der Beendigung des einen Vertrages und des Versicherungsbeginns in einem anderen Vertrag vermieden werden kann. Eine solche könnte entstehen, wenn ein Versicherer sich fristlos von dem Pflegeversicherungsvertrag lösen könnte, bevor ein anderer Versicherer seinerseits einem Kontrahierungszwang mit dem gekündigten Versicherungsnehmer unterliegt. Ein solcher Kontrahierungszwang setzt ein mit der Mitgliedschaft in einem anderen privaten Versicherungsunternehmen bzw. mit Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags, mit der bzw. mit dem der Versicherungsnehmer seiner Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG nachkommt. Der Senat liest § 110 Abs. 4 SGB XI, wonach Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen ausgeschlossen sind, solange der Kontrahierungszwang besteht, somit dahingehend, dass der fristlose Rücktritt und die außerordentliche fristlose Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages durch das Versicherungsunternehmen ausgeschlossen sind, solange noch nicht ein Kontrahierungszwang zum Abschluss eines Pflegepflichtversicherungsvertrages mit einem anderen privaten Krankenversicherungsunternehmen entstanden ist. Damit scheidet eine gleichzeitige fristlose Kündigung sowohl des Krankenversicherungs- als auch des Pflegeversicherungsvertrages aus.
Vorliegend hat die Beigeladene, auf den Antrag der Klägerin vom 3. Mai 2019, diese (rückwirkend) zum 4. Mai 2017 kranken- und pflegepflichtversichert. In der Krankenversicherung ist, da die außerordentliche fristlose Kündigung des Krankenversicherungsverhältnisses rechtskräftig bestätigt wurde, somit eine Schutzlücke eingetreten im Zeitraum vom (nicht ausermittelten) Uhrzeitpunkt des Zugangs der Kündigung des Krankenversicherungsvertrages am 3. Mai 2017 bis zum Beginn der neuen Krankenversicherung am 4. Mai 2017 um 0:00 Uhr. Der Senat versteht § 110 Abs. 4 SGB XI im Gesamtsystem der privaten Kranken- und Pflegeversicherung dahingehend, dass eine solche, wenn auch nur geringfügige, Schutzlücke im Bereich der privaten Pflegeversicherung jedenfalls zu vermeiden ist. Dies hat zur Folge, dass zwar im Bereich der privaten Krankenversicherung eine außerordentliche fristlose Kündigung des Vertrages möglich ist und damit auf den Antrag des gekündigten Versicherungsnehmers ein Kontrahierungszwang des als Folgeversicherer angesprochenen Versicherungsunternehmens im Basistarif besteht (§ 193 Abs. 3 VVG). Schließt aber dieser neue Krankenversicherungsvertrag – wie hier – nicht lückenlos an, so setzt der Kontrahierungszwang des neuen Versicherungsunternehmens in der Pflegeversicherung auch erst mit Beginn des neuen Krankenversicherungsvertrages ein, so dass für den Zeitraum der Versicherungslücke im Krankenversicherungsschutz zwingend der Pflegeversicherungsschutz aufrechterhalten werden muss. Das schließt eine außerordentliche fristlose Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages jedenfalls dann aus, wenn der Kontrahierungszwang des wegen eines Vertragsschlusses angegangenen privaten Krankenversicherungsunternehmens für den Bereich der privaten Krankenversicherung erst am Folgetag einsetzt.

b) Der Beklagte selbst hat vorliegend nicht mehr an der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgehalten. Das Sozialgericht hat zutreffend die Umdeutung der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung durch den Beklagten in eine ordentliche Kündigung gemäß § 140 BGB für möglich gehalten. Hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Vorliegend war eine ordentliche Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages zum 31. Mai 2017 möglich und ist zu diesem Datum wirksam geworden.

aa) § 110 Abs. 4 SGB XI bestimmt: Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen sind ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Daraus ist zu schließen, dass Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen nicht ausgeschlossen sind, wenn und sobald der Kontrahierungszwang (nicht mehr) besteht (und, wie soeben dargelegt, eine Schutzlücke nicht eintritt, weil die Betroffene anderweitig versichert ist.
Vorliegend hat – wie durch rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden feststeht – der Beklagte den privaten Krankenversicherungsvertrag wirksam mit Kündigung vom 3. Mai 2017 außerordentlich gekündigt. Damit war die Klägerin mit Zugang der Kündigung bei dem Beklagten dort nicht mehr gegen Krankheit versichert. Damit ist in diesem Moment der Kontrahierungszwang des Beklagten nach § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI entfallen und griff mit Entfallen des Kontrahierungszwanges das Kündigungsverbot des § 110 Abs. 4 SGB XI nicht mehr. 
Die Beigeladene hat die Klägerin rückwirkend gegen Krankheit und auch Pflegebedürftigkeit ab 4. Mai 2017 versichert. Dass sie die Klägerin nicht ab Zugang der fristlosen Kündigung am 3. Mai 2017 zu einer vom Gericht nicht ausermittelten Uhrzeit, sondern erst ab dem Folgetag 0:00 Uhr versichert hat, führt zwar zu einer wohl mehrstündigen Lücke im Krankenversicherungsschutz der Klägerin. Dies ist aber für die ordentliche Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages zum 31. Mai 2017 ohne Belang. 
Die Auswirkungen einer wirksamen außerordentlichen Kündigung eines privaten Krankenversicherungsvertrages auf die Kündbarkeit des Pflegeversicherungsvertrages bei demselben Unternehmen ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das LSG Baden-Württemberg (Urteil vom Urteil vom 13. Dezember 2019 – L 4 P 2146/18, juris Rn. 22, 27) hat zwar entschieden, dass eine (unterstellt) wirksame Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen keine automatischen Auswirkungen auf den bereits bestehenden privaten Pflegeversicherungsvertrag habe. Es ging aber insoweit darum, ob die außerordentliche Kündigung ausschließlich des privaten Krankenversicherungsvertrages auf die Pflegeversicherung „durchschlägt“. Eine eigene Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages war in dem dort entschiedenen Fall nicht ausgesprochen worden. 
Soweit sich die Literatur überhaupt mit der Frage auseinandersetzt, wie sich die wirksame außerordentliche Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages auf die Kündbarkeit des Pflegepflichtversicherungsvertrages bei demselben Versicherungsunternehmen auswirkt, wird einhellig die Meinung vertreten, dass, wenn ein privater Krankenversicherungsvertrag wirksam außerordentlich gekündigt wurde, und der Versicherte aufgrund dieses Vertrages nach § 23 Abs. 1 SGB XI in der privaten Pflegeversicherung versicherungspflichtig war, dadurch für das Versicherungsunternehmen der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI oder nach § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI entfällt. In diesem Fall greife der Ausschluss von Rücktritts- und Kündigungsrechten des Versicherungsunternehmens nach § 110 Abs. 4 SGB XI nicht und dieses könne den Pflegeversicherungsvertrag ordentlich kündigen. Hierdurch werde der Kontrahierungszwang nicht umgangen, weil mit dem Abschluss eines neuen privaten Krankenversicherungsvertrages oder einer Versicherung im Basistarif bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen die Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 oder § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI (neu) entstehe (vgl. BeckOGK/Koch, 1.9.2021, SGB XI § 110 Rn. 26; Vieweg in Udsching/Schütze SGB XI § 110 Rn 25; Krauskopf/Baier, 115. EL Juni 2022, SGB XI § 110 Rn. 37, 38). Dieser Rechtauffassung schließt sich der Senat an.
Somit entfiel mit Zugang der außerordentlichen Kündigung des Krankenversicherungsvertrages am 3. Mai 2017 der Kontrahierungszwang des Beklagten. Es bestand in dem Moment des Zugangs der außerordentlichen Kündigung des Krankenversicherungsvertrages (hier: Übergabe der schriftlichen Kündigungserklärung und damit Möglichkeit der Kenntnisnahme gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI nicht mehr. 

bb) Problematisch erscheint allerdings das zeitliche Zusammenfallen von außerordentlicher Kündigung des Krankenversicherungsvertrages und der ordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages. Der Beklagte hat – wie rechtskräftig feststeht – mit Schreiben vom 3. Mai 2017 den Krankenversicherungsvertrag mit der Klägerin wirksam außerordentlich fristlos gekündigt. Eine fristlose Kündigung, eine empfangsbedürftige, einseitige Willenserklärung, wird wirksam im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Das Kündigungsschreiben ist der Klägerin unstreitig am 3. Mai 2017 durch Übergabe zugegangen. Von diesem Tag datiert auch die Ratenzahlungsvereinbarung der Klägerin mit dem Beklagten über die Rückzahlung von 60.000,- Euro. Damit endete der Kontrahierungszwang des Beklagten mit der Klägerin in der privaten Pflegeversicherung mit dem Zugang dieser Kündigung am 3. Mai 2017. Die Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages wurde in demselben Schreiben erklärt und ging damit der Klägerin nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln in demselben Zeitpunkt zu wie die Kündigung des Krankenversicherungsvertrages.
Es würde indessen aus Sicht des Senats eine bloße Förmelei darstellen, von dem Versicherer zu verlangen, dass er zuerst die fristlose Kündigung des Krankenversicherungsvertrages aushändigt (aushändigen lässt) und unmittelbar danach die ordentliche Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages in einem separaten Schreiben. Zwar könnte so einem Erfordernis, dass schon bei Zugang der ordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages der Kontrahierungszwang entfallen sein muss, unproblematisch nachgewiesen werden. Der Senat hält ein solches zweiaktiges Vorgehen aber nicht für zwingend geboten. Da in dem Schreiben vom 3. Mai 2017 zuerst die fristlose Kündigung des Krankenversicherungsvertrages ausgesprochen worden ist und erst danach erklärt wird: „Aus dem gleichen Grund beenden wir ebenfalls die Pflegepflichtversicherung.“, ist aus Sicht des Senats deutlich, dass letztere Kündigung auf ersterer aufbaut. 
Sollte es für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages nicht darauf ankommen, dass schon bei Zugang der Erklärung kein Kontrahierungszwang mehr besteht, sondern darauf, dass bei Fristablauf der ordentlichen Kündigungsfrist und Wirksamwerden der Kündigung der Kontrahierungszwang entfallen sein muss, so wäre die Voraussetzung für eine ordentliche Kündigung mit Ablauf der von dem Beklagten geltend gemachten ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Mai 2017 ohnehin unproblematisch gegeben. Hierfür könnte § 14 Abs. 2 MB/PPV 2017 (hierzu unten unter dd) sprechen, der für die Kündigung des Versicherungsnehmers regelt, dass bei fortbestehender Versicherungspflicht eine Kündigung erst wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der Kündigungsfrist nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist. 

cc) Einer ordentlichen Kündigung steht auch nicht § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG entgegen. § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG bestimmt, dass eine ordentliche Kündigung einer Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und einer Pflegekrankenversicherung durch den Versicherer ausgeschlossen ist, wenn die Versicherung ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann. Diese Bestimmung ist nicht einschlägig. Denn vorliegend handelt es sich nicht um eine Pflegekrankenversicherung im Sinne dieser Bestimmung. Auf diese finden typischerweise die MB/PV (und die nicht MB/PPV) Anwendung. Denn Gegenstand der Pflegekrankenversicherung ist die Erstattung von Aufwendungen im Falle der Pflegebedürftigkeit des Versicherten (Pflegekostenversicherung) bzw. die Leistung eines Tagegeldes während der Pflegebedürftigkeit (Pflegetagegeldversicherung). Die Ausgestaltung der Leistungen und Tarife bei der Pflegekrankenversicherung ist grundsätzlich – anders als bei der streitgegenständlichen Pflegepflichtversicherung – dem Versicherer überlassen. Zur Aufstockung der oftmals nicht ausreichenden Leistungen aus der (sozialen oder privaten) Pflegepflichtversicherung dient die ergänzende Pflegekrankenversicherung, auf die die MB/EPV Anwendung finden. Auch hier besteht (anders als bei der hier streitgegenständlichen Pflegepflichtversicherung) weitgehende Gestaltungsfreiheit (vgl. Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, Rn. 99). Jedenfalls ist nach Auffassung des Senats die Problematik für die private Pflegepflichtversicherung durch § 110 SGB XI abschließend geregelt. 

dd) Der Zeitpunkt, zu dem die in eine ordentliche Kündigung umgedeutete außerordentliche Kündigung des Pflegepflichtversicherungsvertrages wirksam werden konnte, bestimmt sich nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Branche, den MB/PPV. Diese brancheneinheitlichen MB/PPV decken die private Pflege-Pflichtversicherung (PPV) ab, die der sozialen Pflegeversicherung entsprechen muss und für die ein Kontrahierungszwang seitens des Versicherers besteht (§ 110 SGB XI). Dieser Tarif ist die Kehrseite der Verpflichtung zum Abschluss einer privaten Pflegeversicherung, der alle privat gegen das Risiko Krankheit mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen oder zur Erfüllung der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG Versicherten nach § 23 Abs. 1 SGB XI unterliegen (vgl. Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, Rn. 97, 98).  
Maßgeblich für die am 3. Mai 2017 ausgesprochene Kündigung sind die MB/PVV in der Fassung gültig ab 1. April 2017 (MB/PPV 2017). 
In diesen ist das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers bei Wegfall des Kontrahierungszwanges in § 14 Abs. 2 Satz MB/PPV 2017 durch Verweis auf die für die Kündigung durch den Versicherungsnehmer geltenden Regelungen des § 13 MB/PPV 2017 geregelt. 

§ 14 Abs. 2 MB/PPV 2017 lautet: 
„In den Fällen des § 9 Abs. 5, § 13 Abs. 1 sowie beim Wegfall des Kontrahierungszwanges gemäß Absatz 1 Satz 1 aus sonstigen Gründen kann der Versicherer die private Pflegepflichtversicherung auch seinerseits mit den für den Versicherungsnehmer geltenden Fristen und zu dem für diesen maßgeblichen Zeitpunkt kündigen. Später kann der Versicherer nur mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Versicherungsjahres (§ 13 Abs. 6) kündigen.“

§ 13 Abs. 1 MB/PPV 2017 bestimmt:
„Endet die für eine versicherte Person bestehende Versicherungspflicht in der privaten Pflegepflichtversicherung, z.B. wegen Eintritts der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 oder § 21 SGB XI, wegen Beendigung der privaten Krankenversicherung mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen oder wegen Beendigung einer der Pflicht zur Versicherung (§ 193 Abs. 3 VVG) genügenden privaten Krankenversicherung, deren Fortführung bei einem anderen Versicherer oder wegen Wegfall sonstiger die Versicherungspflicht der versicherten Person begründender Voraussetzungen, so kann der Versicherungsnehmer die private Pflegepflichtversicherung dieser Person binnen drei Monaten seit Beendigung der Versicherungspflicht rückwirkend zu deren Ende kündigen. Die Kündigung ist unwirksam, wenn der Versicherungsnehmer den Eintritt der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nicht innerhalb von zwei Monaten nachweist, nachdem der Versicherer ihn hierzu in Textform aufgefordert hat, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Versäumung dieser Frist nicht zu vertreten. Macht der Versicherungsnehmer von seinem Kündigungsrecht Gebrauch, steht dem Versicherer der Beitrag nur bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung zu. Später kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis der betroffenen versicherten Person nur zum Ende des Monats kündigen, in dem er das Ende der Versicherungspflicht nachweist. Dem Versicherer steht der Beitrag in diesem Fall bis zum Ende des Versicherungsverhältnisses zu. Der Versicherungspflicht steht der gesetzliche Anspruch auf Familienversicherung gleich.“

Das Wort „später“ in § 13 Abs. 1 Satz 4 MB/PPV 2017 bezieht sich auf die Dreimonatsfrist des Satzes 1 der Bestimmung. Würde man diese Bestimmung wortwörtlich auf das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers übertragen, so könnte dieser erst nach Ablauf von drei Monaten seit Ende seines Kontrahierungszwangs durch Beendigung des Krankenversicherungsverhältnisses zum Ende des jeweiligen Monats des Ausspruchs der Kündigung kündigen. Für ein solches Hinausschieben des Kündigungstermins ist eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich. Die Dreimonatsfrist, nach deren Verstreichen der Versicherungsnehmer nur noch zum Ende des Kalendermonats kündigen kann, ist nur in Bezug auf die für den Versicherungsnehmer zuvor bestehende Möglichkeit der rückwirkenden Vertragsbeendigung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung erklärlich. Versagt man aber dem Versicherer diese Möglichkeit, so gibt es auch keine ratio legis, ihm nicht die Kündigung zum Monatsende sofort ab Ende seines Kontrahierungszwangs zuzugestehen.

Der Senat geht daher davon aus, dass die Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 4 i.V.m. § 14 Abs. 2 MB/PPV 2017 im Lichte des § 110 Abs. 4 SGB XI dahingehend erweiternd auszulegen sind, dass der Versicherer das Pflegeversicherungsverhältnis der betroffenen versicherten Person zum Ende des Monats kündigen kann, in dem er durch fristlose Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages das Ende seines Kontrahierungszwanges in der privaten Pflegeversicherung nachweist. Hier hat der Beklagte durch Ausspruch der fristlosen Kündigung des Krankenversicherungsvertrages seinen Kontrahierungszwang in der privaten Pflegeversicherung am 3. Mai 2017 beendet. Zu diesem Zeitpunkt musste die Klägerin sich einen neuen privaten Krankenversicherer suchen, den mit Abschluss des Krankenversicherungsvertrages (rückwirkend) zum 4. Mai 2017 ab 1. Juni 2017 auch ein Kontrahierungszwang in der privaten Pflegeversicherung traf.
Da die Beigeladene den Pflegeversicherungsvertrag mit der Klägerin rückwirkend schon zum 4. Mai 2017 abgeschlossen hat, obwohl die ordentliche Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages durch den Beklagten erst zum 31. Mai 2017 wirksam werden konnte, bestehen für den Zeitraum 4. Mai bis 31. Mai 2017 beide Pflegeversicherungsverhältnisse nebeneinander. Für diesen Zeitraum hätte der Beigeladenen wiederum ein ordentliches Kündigungsrecht nach § 9 Abs. 5 Abs. 1, § 14 Abs. 2 MB/PPV 2017 zugestanden, von dem sie aber keinen Gebrauch gemacht hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat sieht die Kostenerstattung durch den Beklagten an die Klägerin zu 1/10 für angemessen an, da diese im Wesentlichen unterliegt. Da der Beklagte ursprünglich die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung geltend gemacht hatte und mit diesem Vorbringen nicht durchdringen konnte, erscheint eine geringe Kostentragung durch den Beklagten für die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin angemessen. Für die außergerichtlichen Kosten des weitgehend obsiegenden Beklagten kommt eine Erstattung nicht in Betracht (§ 193 Abs. 4 SGG). Gleiches gilt für die Kosten der Beigeladenen.

4. Es liegt der Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor. Der Senat misst zum einen der höchstrichterlich durch das Bundessozialgericht noch nicht entschiedenen Rechtsfrage, ob die wirksame außerordentliche Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages bei demselben Unternehmen wegen Wegfalls des Kontrahierungszwanges für dieses Unternehmen eröffnet, grundsätzliche Bedeutung zu. Zum zweiten hat aus seiner Sicht auch die hieran anknüpfende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung, ob die außerordentliche Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages und die ordentliche Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages in einem Schreiben verbunden werden können.
 

Rechtskraft
Aus
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