Es wird festgestellt, dass die Pflegeversicherung mit der Service-Nummer XXX1 zwischen den Beteiligten fortbesteht und weder durch außerordentliche noch durch ordentliche Kündigung vom 03.05.2017 beendet wurde.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Fortbestand einer privaten Pflegepflichtversicherung streitig.
Die 1939 geborene Klägerin war bei dem Beklagten seit 01.09.1989 als mitversicherte Person bei der Beklagten krankheitskosten-, jedoch nicht pflegepflichtversichert. Seit dem 18.11.1998 war die Klägerin sodann bei der Beklagten mit einem eigenen Vertrag auch pflegepflichtversichert unter der Servicenummer XXX1. Dem Versicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung (Bedingungsteil MB/PPV) in Verbindung mit Tarif PVN zugrunde.
Im Januar 2017 stellte der Beklagte im Rahmen einer stichprobenartigen Kontrolle fest, dass auf drei von der Klägerin eingereichten Rezepten kein Abgabedatum der Apotheke notiert war. Der Beklagte nahm daraufhin eine Überprüfung der seit 2016 seitens der Beklagten eingereichten Leistungsanträge vor und stellte hierbei einen ungewöhnlich hohen Medikamentenverbrauch fest. Nach Aufforderung des Beklagten legte die Klägerin einen Medikamentenplan vor. Nach Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht, legte die C. Apotheke in A-Stadt, die die Rezepte quittiert hatte, dem Beklagten die Sammelbelege für das Kalenderjahr 2016 vor. Der Beklagte nahm einen Abgleich mit den erfolgten Erstattungsleistungen vor und ermittelte eine enorme Diskrepanz.
Mit Schreiben vom 03.05.2017 erklärte der Beklagte die fristlose Kündigung des Krankenversicherungsvertrages aus wichtigem Grund, weil die Klägerin aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu Unrecht Versicherungsleistungen erhalten habe. Aus gleichem Grund beendete die Beklagte auch die Pflegepflichtversicherung. Die Tatsache, Versicherungsleistungen erschlichen zu haben, stelle einen nicht zumutbaren und nicht hinnehmbaren Vertrauensbruch dar, der es dem Beklagten nicht möglich erscheinen lasse, das Versicherungsverhältnis mit der Klägerin weiter aufrecht zu erhalten. Gerade in der Krankenversicherung sei der Versicherer – auch im Rahmen der Kostenerstattung – auf die Redlichkeit des Versicherten bei der Vorlage von Leistungsaufträgen angewiesen, um so auf der Grundlage eines ungestörten Vertrauensverhältnisses und eines gegenseitigen Einvernehmens die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.11.2017 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die ausgesprochene Kündigung der Pflegeversicherung umgehend zurückzunehmen.
Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 10.11.2017 mitteilte, es ergeben sich für ihn keine neuen Gesichtspunkte, die Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages sei weiterhin gerechtfertigt, hat die Klägerin am 02.01.2018 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben.
Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf die Entscheidung des BGH vom 07.12.2011, Az. IV ZR 105/11.
Die Beklagte habe weder das Recht zur außerordentlichen noch zur ordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages.
Zudem führte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin schriftsätzlich am 08.07.2020 unter Ziff. 2 mögliche Pflichtverletzungen und Schäden der Klägerin auf. Wegen der Einzelheiten wird auf Ziff. 2 des Schriftsatzes vom 08.07.2020 (Bl. 164-165) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Pflegeversicherung zu Servicenummer XXX1 zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 03.Mai 2017 beendet wurde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, gemäß § 313 BGB könnten Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden. Eine Kündigung aus wichtigem Grund komme im Bereich der privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherung vor allem dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen erschleiche oder zu erschleichen versuche. Es stehe fest, dass die Klägerin Versicherungsleistungen fortgesetzt und in hohem Umfang, vom Beklagten erschlichen habe. Hierin liege ein besonders gravierender und von Eigennutz geleiteter krasser Verstoß der Klägerin gegen ihre Pflichten aus dem Versicherungsvertrag, der Wahrheit entsprechende Angaben zu machen, der die Klägerin als Versicherungsnehmerin generell „untragbar“ mache.
Die Kündigungserklärung umfasse mit Recht auch die Pflegepflichtversicherung. Im Hinblick auf den Massencharakter der anfallenden Erstattungsvorgänge müsse der Versicherer sich gleichsam „blind“ darauf verlassen können, dass die Erstattungsansprüche korrekt geltend gemacht werden. Der Versicherer müsse sich mit Stichproben begnügen können. Es müsse ein Vertrauensverhältnis bezüglich der Richtigkeit der Angaben bestehen. Werde das Vertrauensverhältnis in einem Ausmaß enttäuscht, welches die außerordentliche Kündigung rechtfertige, sei der Versicherer berechtigt, sich insgesamt vom Vertragsverhältnis mit diesem Versicherungsnehmer zu lösen, auch wenn sich die eigentliche Pflichtverletzung nur auf die Krankheitskosten bezog. Andernfalls wäre der Versicherer selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen gezwungen, das Vertragsverhältnis jedenfalls in Teilen mit einem Versicherungsnehmer fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht habe, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen.
Zudem würde eine andere Sichtweise auch zu einem Auseinanderfallen der Versicherer hinsichtlich der Pflege- und Krankenversicherung führen. Damit würde die gesetzgeberische Wertentscheidung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XI unterlaufen, nach der beide Versicherungen zumindest grundsätzlich bei demselben Unternehmen bestehen sollen, um Zuständigkeitsstreitigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 110 Abs. 4 SGB XI. Dieser schließe zwar für die Dauer des Bestehens des Kontrahierungszwangs nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI grundsätzlich jegliche Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsunternehmens aus. Da eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund aber praktisch nie auf die Krankenversicherung beschränkt sei, sondern auch die Pflegeversicherung erfasse, sei der Versicherungsnehmer gezwungen, bei einem anderen Versicherer eine Krankenversicherung abzuschließen, womit der Versicherer auch zum Vertragsabschluss der Pflegeversicherung gezwungen sei.
Der Beklagte könne den privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag zumindest ordentlich kündigen. Die Rücktritts- und Kündigungsrechte des Beklagten seien nach § 110 Abs. 4 SGB XI nur solange ausgeschlossen, wie der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI bestehe. Aufgrund der wirksamen Kündigung des privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages durch den Beklagten entfalle für diesen der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Infolgedessen greife auch der Ausschluss des Abs. 4 nicht mehr, denn durch eine solche Kündigung werde der Kontrahierungszwang nicht umgangen, weil mit dem Abschluss eines neuen Krankheitskostenversicherungsvertrages oder einer Versicherung im Basistarif bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen die Versicherungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 SGB XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 1 SGB XI entstehe.
Zwar habe der Beklagten mit seinem Schreiben vom 03.05.2017 explizit nicht die ordentliche Kündigung ausgesprochen, sondern den Vertrag außerordentlich gekündigt. Die außerordentliche Kündigung sei aber gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung bzw. einen Rücktritt umzudeuten.
Die Klägerin habe auch keinen Anspruch gegen den Beklagten, wieder von ihm in der privaten Pflegeversicherung aufgenommen zu werden. Denn das Wahlrecht des § 23 Abs. 2 SGB XI bestehe dann nicht einschränkungslos, wenn der Pflegepflichtversicherer das Versicherungsverhältnis zuvor aufgrund eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Versicherungsnehmers (außer-) ordentlich gekündigt habe. In einem solchen Fall habe der Versicherungsnehmer keinen Anspruch darauf, dass derselbe Versicherer mit ihm erneut einen Vertrag abschließe. Vielmehr bestehe das Wahlrecht nur gegenüber einem anderen Versicherer. Denn der kündigende Versicherer habe ein berechtigtes Interesse daran, nicht wieder genau mit demjenigen Versicherungsnehmer ein Vertragsverhältnis eingehen zu müssen, der ihn zuvor betrogen oder anderweitig eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung begangen habe. Dies könne aber dahinstehen, das Wahlrecht gemäß § 23 As. 2 S. 2 SGB XI sei auf sechs Monate befristet.
Das Landgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 24.03.2019, Az. 7 O 262/18 den widerklagend gestellten Antrag der Klägerin auf Feststellung, dass die private Krankheitskostenversicherung fortbesteht, abgewiesen.
Die Klägerin hat ihre Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 24.05.2019 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main in dem Verfahren, Az. 7 U 92/19, zurückgenommen.
Das Gericht hat mit Verfügung vom 01.10.2020 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Das Gericht gab die Gelegenheit der Stellungnahme innerhalb von vier Wochen nach Zugang des Schreibens.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte.
Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage ist zulässig.
Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin auf Feststellung, dass der zwischen den Beteiligten bestehende private Pflegepflichtversicherungsvertrag durch die Kündigung vom 03.05.2017 nicht beendet wurde, das Versicherungsverhältnis also unverändert fortbesteht. Insoweit wendet sich die Klägerin nach entsprechender Auslegung gemäß § 123 SGG gegen die außerordentliche und ordentliche Kündigung durch die Beklagte.
Die von der Klägerin erhobene Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an einer Klärung der bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Vertrag über die Pflegepflichtversicherung. Dieses berechtigte Interesse entfällt nicht deshalb, weil die Klägerin sich zwischenzeitlich um den Abschluss eines anderweitigen Pflegepflichtversicherungsvertrages bemüht hat. Zum einen hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie an dem Vertragsverhältnis zum Beklagten festhalten möchte; zum anderen besteht ein Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht zwischen der Klägerin und dem Folgeversicherer über das Zustandekommen und das Bestehen eine Pflegepflichtversicherungsvertrages, Az. 22 P 23/18.
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung des Fortbestandes des mit dem Beklagten geschlossenen Pflegepflichtversicherungsvertrages. Der Vertrag ist weder durch außerordentliche Kündigung, noch durch ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 03.05.2017 beendet worden.
Der Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrages durch außerordentliche Kündigung steht das Kündigungsverbot gemäß § 110 Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) entgegen.
Gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI sind Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Mit dieser in erster Linie der Allgemeinheit dienenden Regelung soll der Versicherungsschutz auch bei Vertragsverletzungen aufrechterhalten bleiben, damit die private Pflegepflichtversicherung insoweit einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleistet. Dem Versicherungspflichtigen soll nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 2019, Az. L 4 P 2146/18). Hierzu ist in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.12/5952 S.49) folgendes ausgeführt: „Der neu eingeführte Absatz 4 schränkt die Kündigungs- und Rücktrittsrechte der Versicherungsunternehmen ein. So ist z.B. kein Kündigungsrecht gegeben in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer mit seiner Versicherungsprämie in Verzug ist. Der Versicherungsschutz soll auch bei Vertragsverletzungen aufrecht erhalten bleiben, damit soll die private Pflegepflichtversicherung auch in dieser Hinsicht einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleisten. Es solle dem Versicherungspflichtigen nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen. Leistungsverweigerungsrechte der Versicherungsunternehmen für den Zeitraum, in dem der Versicherungsnehmer keine Prämien entrichtet, bleiben selbstverständlich erhalten. ...“. Hieraus wird im sozialversicherungsrechtlichen Schrifttum geschlossen, dass auch außerordentliche Kündigungsrechte des Versicherers ausgeschlossen sind (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 09/19, § 110 SGB XI, Rn. 12; Kuhn-Zuber in Krahmer/Plantholz, Sozialgesetzbuch XI, 5. Auflage, § 110 Rn. 43).
Zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung bestand ein Kontrahierungszwang der Beklagten gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 SGB XI. Es kann dahinstehen, ob auf den Bestand des Versicherungsverhältnisses seit 01.09.1989 abgestellt wird, für welchen hinsichtlich der Voraussetzungen eines Kontrahierungszwanges § 110 Abs. 1 SGB XI maßgeblich ist, oder auf ein Vertragsverhältnis seit dem 18.11.1998 (nach Inkrafttreten des SGB XI zum 01.01.1995), für welches dann die Voraussetzungen des § 110 Abs. 3 SGB XI zu prüfen sind, da die Voraussetzungen nach beiden Vorschriften erfüllt sind ist.
Nach § 110 Abs. 1 werden, um sicher zu gehen, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden und dass die Verträge auf Dauer erfüllbar bleiben, ohne die Interessen der Versicherten anderer Tarife zu vernachlässigen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Betrieb der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet, mit allen in § 22 und § 23 Abs. 1, 3 und 4 SGB XI genannten versicherungspflichtigen Personen auf Antrag einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der einen Versicherungsschutz in dem in § 23 Abs. 1 und 3 SGB XI festgelegten Umfang vorsieht (Kontrahierungszwang). Soweit man auf das Versicherungsverhältnis des Beklagten mit der Klägerin als mitversicherte Person ab dem 01.09.1989 abstellt, besteht der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 SGB XI. Die Klägerin gehört zu dem Personenkreis des § 23 Abs. 1 SGB XI. Danach sind Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen oder im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 des VVG genügen, versichert sind, vorbehaltlich des - vorliegend nicht einschlägigen - Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten.
Soweit auf den eigenständigen Versicherungsvertrag ab 18.11.1998 abgestellt wird, besteht der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Als Neuversicherer, d.h. als eine solche, die noch nicht bei Inkrafttreten des SGB XI zum 01.01.1995 privat krankenversichert war, unterliegt die Klägerin dann den Regelungen des § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI, die den Kontrahierungszwang der Versicherer auslöst, auch dann, wenn die Klägerin nicht privat krankenversichert gewesen wäre. Denn nach § 110 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI gilt der Kontrahierungszwang auch für Versicherungsverträge, die mit Personen abgeschlossen werden, die erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes Mitglied eines privaten Krankenversicherungsunternehmens mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen werden oder die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügen, sofern sie in Erfüllung der Vorsorgepflicht nach § 22 Abs. 1 und § 23 Abs. 1, 3 und 4 geschlossen werden und Vertragsleistungen in dem in § 23 Abs. 1 und 3 festgelegten Umfang vorsehen.
Die Anwendbarkeit von § 110 Abs. 4 SGB XI ist nicht aufgrund schwerwiegender Vertragsverletzungen der Klägerin ausgeschlossen. Bei § 110 Abs. 4 SGB XI kommt anders als bei § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG für die Krankheitskostenversicherung keine teleologische Reduktion dahingehend in Betracht, dass eine außerordentliche Kündigung bei nicht auf Prämienverzug beruhenden schwerwiegenden Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers möglich ist. So schränkt zunächst das Gesetz selbst die Möglichkeit des Versicherers, sich vom Vertrag zu lösen, in weitergehendem Umfang ein als bei der Krankheitskostenversicherung. § 110 Abs. 4 SGB XI untersagt auch Rücktrittsrechte des Versicherers wegen unzutreffender Angaben des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss. Dem entspricht es, dass nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs.3 Nr. 2 SGB XI Unternehmen nicht berechtigt sind, Personen wegen Vorerkrankungen vom Pflegepflichtversicherungsvertrag auszuschließen. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung besteht also ein noch weitergehender Kontrahierungszwang als bei der Krankheitskostenversicherung, bei der jedenfalls ein Rücktritt vom Vertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht möglich ist, wie sich dies etwa aus § 193 Abs. 5 Satz 4 und § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG ergibt (BGH, Urteil vom 07. 12.2011, Az. IV ZR 105/11).
Hinzu kommt, dass im Falle der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung der Pflegepflichtversicherung ein Versicherungsschutz vollständig entfiele und der Versicherungsnehmer auf Sozialhilfeleistungen angewiesen wäre. Anders als im Bereich der Krankheitskostenversicherung fehlt das "Auffangnetz" eines Basistarifs. Vielmehr ist die Pflegepflichtversicherung selbst bereits von ihrer Struktur her mit dem Basistarif in der Krankheitskostenversicherung zu vergleichen. Es handelt sich bei der Pflegepflichtversicherung und der Krankheitskostenversicherung im Basistarif um Versicherungsverträge, bei denen Inhalt und Umfang der Leistungen nur noch eingeschränkt dem Grundsatz der Privatautonomie unterliegen, sondern vielfach durch gesetzgeberische Vorgaben überlagert sind. So muss etwa der Basistarif in der Krankheitskostenversicherung in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB V entsprechen (§ 12 Abs. 1a Satz 1, Abs. 1d VAG). Ferner darf der Beitrag für den Basistarif den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überschreiten, wozu sich detaillierte Regelungen in § 12 Abs. 1c VAG finden. Im Bereich der Pflegepflichtversicherung kommt dieser Gedanke der Gleichbehandlung und eines solidarischen Ausgleichs zusätzlich noch in der Regelung über den Risikoausgleich in § 111 SGB XI zum Ausdruck. Hiernach müssen Versicherungsunternehmen, die eine private Pflegeversicherung betreiben, ein Ausgleichssystem schaffen und erhalten, wodurch ein dauerhafter Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen gewährleistet werden soll (BGH, a.a.O.). Nach Auffassung des Gesetzgebers ist es den Versicherungsunternehmen nicht möglich, für die Versicherungsnehmer einen risikogerechten Beitrag zu kalkulieren (BT-Drucks. 12/5952 S. 49). So könnten einzelne Unternehmen mit einer Häufung von so genannten "schlechten Risiken" benachteiligt werden. Daher sei ein Ausgleich zwischen allen Pflegeversicherungsunternehmen unerlässlich. So hat der Gesetzgeber sogar eine gemeinsame Kalkulation der Beiträge vorgeschrieben, auch wenn dies nicht mit einer Einheitsprämie verbunden werden soll (BT-Drucks. 12/5952 S. 49, aaO S. 50).
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass im Bereich der Pflegepflichtversicherung die Vertragsfreiheit noch stärkeren Einschränkungen unterliegt als im Bereich der Krankheitskostenversicherung und eine weitgehende Verteilung der Risiken auf die Gemeinschaft stattfindet. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn einem Versicherungsnehmer auch bei schweren Vertragsverletzungen aus wichtigem Grund gekündigt werden könnte und er entgegen der in § 23 Abs. 1 SGB XI vorgesehenen Versicherungspflicht keine Möglichkeit mehr hätte, bei einem anderen Versicherer einen entsprechenden Vertrag abzuschließen.
(BGH, a.a.O.)
Seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB XI zum 1. Januar 1995 bzw. seit dem Abschluss des eigenen Vertrages am 18.11.1998, besteht damit ein Kontrahierungszwang, der eine außerordentliche Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages durch die Beklagte ausschließt.
Dieser Kontrahierungszwang bestand auch noch zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung des Pflegeversicherungsvertrags am 03.05.2017. Es steht außer Zweifel, dass die Krankenversicherung der Klägerin, welche zeitgleich mit der Pflegeversicherung gekündigt wurde, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages am 03.05.2017 noch bestand und noch nicht vor der außerordentlichen Kündigung des Pflegepflichtversicherungsvertrages beendet war. Dies ergibt sich aus dem Schreiben an die Klägerin vom 03.05.2017, in welchem gleichzeitig eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund des Krankenversicherungsvertrages und des Pflegepflichtversicherungsvertrages ausgesprochen wurde. Vor diesem Hintergrund ist es auch unerheblich, dass die Berufung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zurückgenommen wurde.
Der Beklagte kann nicht mit dem Einwand gehört werden, dass die Aufrechterhaltung des Pflegepflichtversicherungsvertrages zu einem Auseinanderfallen der Versicherer hinsichtlich der Pflege- und Krankenversicherung führe, womit die gesetzgeberische Wertentscheidung des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XI unterlaufen werde, nach der beide Versicherungen zumindest grundsätzlich bei demselben Unternehmen bestehen sollen. Zwar ist dem Beklagten zuzustimmen, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI von der Grundannahme ausgeht, zwischen dem Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bestehe hinsichtlich des Versicherungsunternehmens Identität. Allerdings gilt diese Grundannahme nicht uneingeschränkt. Sie steht unter dem gesetzlichen Vorbehalt des in § 23 Abs. 2 SGB XI normierten Wahlrechts des Versicherten (vgl. Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI: „sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet“). Der private Pflegeversicherungsvertrag ist danach nicht zwingend bei dem privaten Versicherungsunternehmen abzuschließen, bei dem auch die private Krankenversicherung besteht. Insoweit besteht ein Wahlrecht der versicherungspflichtigen Person (Udsching/Schütze/Vieweg, 5. Aufl. 2018, SGB XI § 23 Rn. 21). Bereits diese gesetzliche Grundkonzeption zeigt, dass eine Spaltung der Versicherungsverhältnisse sehr wohl möglich ist. Unter Beachtung der Regelungen des § 110 Abs. 4 SGB XI folgt daraus weiter, dass eine wirksame Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen keine automatischen Auswirkungen auf den bereits bestehenden privaten Pflegeversicherungsvertrag hat (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O.)
Der Beklagte konnte den Pflegepflichtversicherungsvertrages auch nicht durch ordentliche Kündigung beenden.
Mit dem Beklagten ist das Gericht der Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung vom 03.05.2017 gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass für die Klägerin eindeutig erkennbar war, dass das Vertragsverhältnis auf jeden Fall beendet werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2004, Az. XI ZR 288/02). Dabei ist davon auszugehen, dass im Normalfall die ordentliche Kündigung als ein Minus in der außerordentlichen Kündigung enthalten ist. Dem Kündigungsschreiben des Beklagten vom 03.05.2017 ist auch für die Klägerin verständlich zu entnehmen, dass der Beklagte das Versicherungsverhältnis mit der Klägerin auf jeden Fall beenden wollte. Der Beklagte warf der Klägerin eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung durch Erschleichung von Versicherungsleistungen vor, welche für den Beklagten zu einem nicht zumutbaren und nicht hinnehmbaren Vertrauensbruch führte. Im weiteren führte der Beklagte ergänzend aus, dass er auch künftig nicht bereit sei, die Klägerin in einer Krankenversicherung oder der Pflegeversicherung zu versichern.
Die in eine ordentliche Kündigung ausgelegte Erklärung führt aber nicht dazu, dass der Pflegepflichtversicherungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten beendet werden konnte. Das Gericht folgt nicht der Ansicht des Beklagten, dass die Rücktritts- und Kündigungsrechte des Beklagten nach § 110 Abs. 4 SGB XI nur solange ausgeschlossen seien, wie der Kontrahierungszwang gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 1 SGB XI bestehe. Mit wirksamer Kündigung des privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages durch den Beklagten entfällt der Kontrahierungszwang für den Beklagten nicht. Würde man einen Kontrahierungszwang in dieser Fallgestaltung ablehnen, würde der bereits umfassend beschriebene Kündigungsausschluss umgangen. Die Annahme des Beklagten, eine solche Umgehung sei deshalb nicht zu befürchten, da mit Abschluss eines neuen Krankheitskostenversicherungs-Vertrages bei einem anderen privaten Versicherer die Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI und somit auch der Kontrahierungszwang nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 1 SGB X entstehe, ist insoweit nicht zu folgen, da zumindest bis zum Abschluss eines neuen Pflichtversicherungsvertrages für die Klägerin eine Versicherungslücke entstünde, welche dem Ziel des Gesetzgebers auf lückenlosen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Pflegeversicherung, widerspräche (vgl. Kuhn-Zuber, a.a.O. § 110, Rn. 41). Auch wenn dies dem Grundsatz Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung widerspricht, wird dadurch der bereits ausführlich dargestellte Schutz, der über die private Pflegepflichtversicherung gewährt werden und dem der Sozialen Pflegeversicherung entsprechen soll, gewahrt.
Da der Pflegepflichtversicherungsvertrag zwischen den Beteiligten nicht durch außerordentliche oder ordentliche Kündigung beendet wurde, musste das Gericht nicht darüber befinden, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch hat, wieder von ihm in der privaten Pflegeversicherung aufgenommen zu werden. Dies hätte eine Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausgesetzt.
Das Gericht musste nicht über mögliche Pflichtverletzungen und Schadensersatzansprüche entscheiden. Diese waren nicht anhängig. Wie sich aus Ziff. 4 des Schriftsatzes vom 08.07.2020 ergibt, muss die Klägerin alternativ (sofern keine vergleichsweise Streitbeilegung erfolgt) über einen Rücktritt und die Forderung von Schadensersatz noch in 2020 nachdenken, da 2021 Verjährung drohe. Hierbei handelt es sich lediglich um die Ankündigung eines möglichen Rechtsstreits, sofern eine vergleichsweise Streitbeilegung nicht erfolgen wird. Es bedurfte jedenfalls noch des Zwischenschrittes der abschließenden Entscheidung. Diese war noch nicht getroffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.