I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme und Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 in Höhe von 20.765 Euro.
Der 1977 geborene, alleinstehende und mietfrei im elterlichen Haushalt lebende Kläger stand seit dem Jahr 2005 im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten und erhielt Regelleistungen. Hierzu stellte er bei dem Beklagten erstmals unter dem 27. August 2004 (Bl. 1 ff. der Verwaltungsakte) einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Die Frage, ob er über Vermögen, das den Wert von 4.850 € übersteigt, verfüge, verneinte der Kläger. Anfänglich wies der Beklagte die bewilligten Leistungen auf ein von der Kontoinhaberin C. A. geführtes Bankkonto an, da der Kläger über kein eigenes Bankkonto verfügte. Seit September 2005 erfolgten die Leistungen in Form von Barzahlungen bzw. Schecks.
Der Kläger gab in allen anschließend gestellten Weiterbewilligungsanträgen (Bl. 16, 25, 31, 35, 43, 56, 63, 74, 94, 116, 140, 160, 180, 195, 216, 233, 245, 279, 293, 308 der Verwaltungsakte) jeweils an, dass keine Vermögensänderung eingetreten sei. Insbesondere in seinem Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2010 (Bl. 116 der Verwaltungsakte) kreuzte er bei der dort unter Nummer 5 enthaltenen Frage „Haben sich Änderungen in Ihren Vermögensverhältnissen ergeben?“ die Auswahlmöglichkeit „Nein“ an und füllte auch die Anlage „VM“ nicht aus. Er bestätigte am Ende des Antrages die Richtigkeit seiner Angaben.
Dem Kläger wurden auf seinen Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2010 hin auf Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 1. März 2010, geändert durch die Bescheide vom 23. Juni 2010 und 9. August 2010, für den Zeitraum April bis September 2010 monatliche Leistungen i.H.v. 359 € bewilligt.
Nachdem dem Kläger auf den sodann folgenden Weiterbewilligungsantrag vom 16. August 2010 (Bl. 140 der Verwaltungsakte) für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 monatliche Leistungen i.H.v. 359 € bis Dezember 2010 sowie monatliche Leistungen i.H.v. 364 € ab Januar 2011 auf Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 18. August 2010, geändert durch den Bescheid vom 26. März 2011, bewilligt worden waren, eröffnete der Kläger am 6. September 2010 ein Girokonto bei der D-Bank A-Stadt. Am 10. September 2010 zahlte er hierauf einen zwischenzeitlich aus den Leistungen kontinuierlich ersparten Betrag in Höhe von 9.250 € ein. Über die Kontoeröffnung informierte der Kläger den Beklagten ebenfalls im September 2010 mit der Bitte, die Leistungen künftig auf sein Konto bei der Postbank anzuweisen. Weder in seinem Weiterbewilligungsantrag vom 16. August 2010 noch bei der Anzeige der Kontoverbindung machte der Kläger indes Angaben zu einer Änderung in seinen Vermögensverhältnissen.
Insgesamt bewilligte der Beklagte dem Kläger in den Zeiträumen vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 Leistungen in einer Gesamthöhe von 20.765,00 €, nachdem der Kläger in allen hierzu gestellten Weiterbewilligungsanträgen jeweils angegeben hatte, dass keine Änderung in seinen Vermögensverhältnisse eingetreten war. Hierbei handelte es sich im Einzelnen um folgende weitere Leistungen:
Anträge auf Weiterbewilligung | Bescheide | Zeitraum | Monatliche Leistungen |
27. Februar 2011 | Bewilligungsbescheid vom 30. März 2011, geändert durch den Bescheid vom 16. Dezember 2011 | April bis September 2011 | 364 € |
16. August 2011 | Bewilligungsbescheid vom 14. September 2011, geändert durch den Bescheid vom 26. November 2011 | Oktober 2011 bis März 2012 | 364 € bis Dezember 2011, 374 € ab Januar 2012 |
17. Februar 2012 | Bewilligungsbescheid vom 9. März 2012 | April 2012 bis September 2012 | 374 € |
22. August 2012 | Bewilligungsbescheid vom 29. August 2012, geändert durch den Bescheid vom 24. November 2012 | Oktober 2012 bis März 2013 | 374 € bis Dezember 2012, 382 € ab Januar 2013 |
17. Februar 2013 | Bewilligungsbescheid vom 4. April 2013 | April 2013 bis September 2013 | 382 € |
27. August 2013 | Bewilligungsbescheid vom 17. September 2013, geändert durch Bescheid vom 23. November 2013 | Oktober 2013 bis März 2014 | 382 € bis Dezember 2013, 391 € ab Januar 2014 |
2. März 2014 | Bewilligungsbescheid vom 13. März 2014 | April bis September 2014 | 391 € |
15. August 2014 | Bewilligungsbescheid vom 29. August 2014, geändert durch den Bescheid vom 30. November 2014 | Oktober 2014 bis März 2015 | 391 € bis Dezember 2014, 399 € ab Januar 2015 |
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 3. März 2015 (Bl. 308 der Verwaltungsakte) brachte der Beklagte in Erfahrung, dass das klägerische Konto bei der D-Bank, ausweislich des Kontostandes vom 27. Februar 2015, einen Kontostand von 19.548,36 € aufwies (Bl. 311 der Verwaltungsakte). In einer persönlichen Vorsprache am 19. März 2015 erklärte der Kläger dem Beklagten, dass es sich hierbei um Ansparungen aus der Regelleistung handelte (Bl. 312 der Verwaltungsakte). Dies bestätigte er zudem mit Schreiben vom 7. April 2015 (Bl. 316 der Verwaltungsakte). Der Kläger legte am 30. April 2015 seine Kontoauszüge für die Zeit vom 6. September 2010 bis zum Jahr 2015 vor (Bl. 381 ff. der Verwaltungsakte).
Mit Ablehnungsbescheid vom 25. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2015 stellte der Beklagte die Leistungen ab dem 1. April 2015 mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers ein.
Der Beklagte hörte den Kläger mit Anhörungsschreiben vom 17. November 2015 (Bl. 353 der Verwaltungsakte) im Hinblick auf eine mögliche Rücknahme der bewilligten Leistungen im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 unter Fristsetzung bis zum 4. Dezember 2015 an. Darin stellte der Beklagte fest, dass der Kläger über Vermögen in Höhe von 19.508,36 € verfüge und daher nicht hilfebedürftig sei. Die Bewilligung dürfte im Übrigen fehlerhaft erfolgt sein, weil der Kläger im Antrag vom 28. Februar 2010 zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe.
Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 27. November 2015 (Bl. 355 der Verwaltungsakte) Stellung und betonte, im streitgegenständlichen Zeitraum keine Einnahmen erzielt und keine falschen Angaben gemacht zu haben. Er hätte auf seinem Konto bis zu 13.050 € haben dürfen.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2016 (Bl. 361 der Verwaltungsakte), dem Kläger zugegangen am 8. Januar 2016, wurden die einzelnen Bewilligungsbescheide vom 1. September 2010 bis zum 31. März 2015 auf Grundlage von § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) wegen grob fahrlässiger Angaben vom Beklagten zurückgenommen und die vermeintlich überzahlten Leistungen auf Grundlage von § 50 Abs. 1 SGB X erstattet verlangt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 31. Januar 2016 (Bl. 366 der Verwaltungsakte) Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er die 9.000 €, die er im Jahr 2010 auf seinem Konto gehabt habe, aus den Leistungen des Beklagten angespart habe. Es habe ein Freibetrag von 10.050 € bestanden.
Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2017 (Bl. 327 der Verwaltungsakte) als unbegründet zurück. Hierzu führte er an, dass sich der Rückforderungs- und Erstattungsanspruch darauf gründe, dass die vorbenannten Weiterbewilligungsanträge wegen des jeweils vorhandenen und vom Kläger einzusetzenden Vermögens jeweils vom Beklagten hätten abgelehnt werden müssen. Zum jeweiligen Antragszeitpunkt habe der Kläger das vorhandene Guthaben verschwiegen, die unmissverständliche Frage nach dem Bestand des Vermögens unrichtig beantwortet und die falsche Information durch die Angabe nicht erfolgter Änderungen in den jeweiligen Weiterbewilligungsanträgen fortgeführt. Bereits bei der Eröffnung des Kontos am 10. September 2010 habe der Kläger 9.250 € auf das Konto eingezahlt. Bei den jeweiligen Weiterbewilligungsanträgen habe der Kontostand die für den Kläger gültigen Vermögensfreibeträge überschritten. Es seien so Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 20.765 € zu Unrecht erbracht worden. Diese habe der Kläger zu erstatten.
Der Kläger, der seinen Lebensunterhalt im Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 31. Oktober 2017 sodann aus eigenen Mitteln bestritt und seit dem 1. November 2017 wieder im laufendem Leistungsbezug bei dem Beklagten steht, hat am 5. Oktober 2017 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (Bl. 1 der Gerichtsakte).
Er behauptete, dass er das Sparen aus den Regelleistungen für zulässig und möglich gehalten und auf das Behalten dürfen des angesparten Betrages vertraut habe. Angaben zu dem Sparbetrag hätten daher nicht gemacht werden müssen, zumal Änderungen auch nur im Hinblick auf eine Erhöhung des Sparbetrages eingetreten seien. Die Rückforderung sei insbesondere unzulässig, weil der Sparbetrag mittlerweile aufgebraucht sei und er sich wieder im Leistungsbezug befände.
Der Kläger beantragte, den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017 aufzuheben. Der Beklagte trat dem entgegen und berief sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2017.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2020 erklärt der Kläger zu Protokoll, dass er gewusst habe, dass eine falsche Beantwortung - hier betreffend die behördliche Abfrage der vermögensrechtlichen Verhältnisse - Konsequenzen haben könne. Beim Ausfüllen der Anträge habe er sich aber nichts weiter gedacht.
Mit Urteil vom 14. Dezember 2020 wies das Sozialgericht die Klage ab.
Der angegriffene Rücknahme- und Erstattungsbescheid 5. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017 sei rechtmäßig und für den Kläger mit keiner Beschwer nach § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden.
Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Januar 2016 verfügte Aufhebung der Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum sei § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der vom 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X.
Der Bescheid vom 5. Januar 2016 sei formell rechtmäßig. Der Kläger sei insbesondere mit Anhörungsschreiben vom 17. November 2015 zu der beabsichtigten Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört worden.
Die Rücknahmeentscheidung stelle sich auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig dar. Denn nach § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X sei ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtwidrig sei, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, unter den Einschränkungen von § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Hierbei seien keine Ermessenerwägungen vom Beklagten anzustellen, da die Leistungsbescheide in Abgrenzung zum Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB X, wonach solche bei Vorlage der entsprechenden Voraussetzungen zurückgenommen werden „dürfen“, vom Beklagten zurückzunehmen „sind“. Dies folge aus § 330 Abs. 2 SGB III (Greiser, in: Eicher/Luik, SGB II - Grundsicherung für Arbeitssuchende -, 4. Aufl. 2017, § 40, Rn. 15).
Zudem sei hierbei auch auf § 45 SGB X abzustellen, da dieser in Abgrenzung zu § 48 SGB X, der nachträgliche wesentliche Änderungen betreffe, Anwendung finde, wenn der jeweilige Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sei und deswegen geändert werden solle. Beide Normen grenzten sich folglich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden solle, ab (Bundessozialgericht - BSG -, Urt. v. 24. Februar 2011 - B 14 45/09 R, juris, Rn. 15 m.w.N.). Erlassen sei ein Verwaltungsakt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekannt gegeben und damit wirksam geworden sei. Die Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolge mit dessen Zugang (BSG, Urt. v. 24. Februar 2011 - B 14 45/09 R, juris, Rn. 15).
Vorliegend habe der Beklagten dem Kläger im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 Leistungen gewährt, wobei für den betroffenen Zeitraum der erste Bewilligungsbescheid unter dem 30. März 2011 und der letzte Bewilligungsbescheid unter dem 29. August 2014 erlassen worden sei. Zu diesen Zeitpunkten habe der Kläger wegen des angesparten Betrages über relevantes Vermögen gemäß § 9 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB II verfügt, welches der Bewilligung entgegengestanden hätte. Denn einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 SGB II i.V.m. §§ 7 ff. SGB II hätten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht hätten (Nr. 1), erwerbsfähig seien (Nr. 2), hilfebedürftig seien (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten (Nr. 4). Der Bedarf für den Lebensunterhalt umfasse dabei grundsätzlich die monatlichen Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und ggf. Mehrbedarfe sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 SGB II, § 20 ff. SGB II).
Der Kläger habe jedoch in Ansehung des angesparten Betrages die vorgenannten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht erfüllt, da er nicht hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 SGB II gewesen sei. Nach § 9 Abs. 1 SGB II sei nämlich allein derjenige hilfebedürftig, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte.
Der Bedarf des Klägers im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 habe sich dabei allein auf den jeweiligen Regelbedarf in Höhe von anfänglich 359 € bis zuletzt 399 € gemäß § 20 SGB II in der jeweils geltenden Fassung belaufen. Tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II seien ihm, da er im elterlichen Haushalt gelebt habe, nicht entstanden. Der Kläger sei im Stande gewesen, diesen Bedarf bereits zum Erlasszeitpunkt des ersten von der Rücknahme betroffenen Bewilligungsbescheides im März 2011 aus eigenen Mitteln zu decken, berücksichtige man den kontinuierlich aufgebauten Sparbetrag, welcher im September 2010 bereits 9.250 € betragen habe. Dies gelte des Weiteren auch für die darauffolgenden Bewilligungsbescheide, zumal es dem Kläger gelang, ein Guthaben bis zu 19.548,36 € (Stand März 2015) aufzubauen. Vor diesem Hintergrund seien die Bewilligungsbescheide mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers rechtswidrig ergangen.
Der Rücknahme stehe auch nicht § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X entgegen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X dürfe ein rechtswidriger Verwaltungsakt nämlich nur dann nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Auf Vertrauen könne sich der Begünstigte allerdings unter anderem dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme im hier relevanten Zeitraum vom 1. September 2010 bis 21. März 2015 lägen vor. Denn alle insofern maßgeblichen Bewilligungsbescheide beruhten ganz oder teilweise - Letzteres betrifft den Bewilligungsbescheid vom 3. März 2010, geändert durch die Bescheide vom 23. Juni 2010 und 9. August 2010 - auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe.
So habe der Kläger im September 2010 über einen Barbetrag in Höhe von 9.250 € verfügt, welchen er am 10. September 2010 auf sein Bankkonto bei der D-Bank einzahlte und welchen er kontinuierlich bis zu einem Sparbetrag in Höhe von 19.548,36 € aufgebaut habe. Hierüber setzte er den Beklagten zu keinem Zeitpunkt in Kenntnis und gab insbesondere in den Weiterbewilligungsanträgen jeweils an, dass keine Änderung in seinen Vermögensverhältnisse eingetreten wäre.
Er habe insofern Angaben gemacht, die einer Leistungsbewilligung durch den Beklagten entgegengestanden hätten. Denn die Existenz von Bar- oder sonstigen Geldbeträgen, insbesondere Sparbeträgen, sei eine Tatsache, die im behördlichen Verfahren zur Prüfung und Feststellung der Leistungsberechtigung eines Antragstellers nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II festzustellen sei. Grund hierfür sei, dass es sich dabei um Vermögen gemäß § 12 Abs. 1 SGB II handele, welches der Leistungsberechtigte grundsätzlich zur Sicherung seines Lebensunterhaltes einzusetzen habe. Dabei könne in einer ersten Betrachtung dahinstehen, ob es sich um einen Geldbetrag gemäß § 12 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB II handele, der ganz oder teilweise besonders geschützt werde. Die Frage nämlich, ob der jeweilige Betrag vom Beklagten anspruchsmindernd berücksichtigt werden dürfe, sei von dem Beklagten nachgeordnet zu prüfen. Es sei dem Regelungskonzept von § 12 SGB II des Weiteren auch nicht zu entnehmen, dass das aus den SGB II-Leistungen angesparte Vermögen in unbegrenzter Höhe von der Anrechnung freigestellt sein solle, da nur ein solches Verständnis dem Interesse der Allgemeinheit gerecht werde, Vermögensaufbau, der die Freibetragsgrenzen übersteige, aus Mitteln der Existenzsicherung zu vermeiden (BSG, Urt. v. 12. Oktober 2017 - B 4 AS 19/16 R, juris, Rn. 33).
Durch das Verschweigen des hier streitgegenständlichen Sparbetrages habe der Kläger unter Berücksichtigung des Vorgenannten auch unrichtige Angaben gemacht. Denn unter unrichtigen Angaben seien solche zu verstehen, die nicht der Wahrheit entsprächen. Indem der Kläger also vorgegeben habe, dass kein entsprechender, hier sogar wachsender Sparbetrag existiere, der Kläger in Wirklichkeit jedoch über diesen verfügt habe, sei ein unzutreffendes Bild über seine finanzielle Situation entstanden.
Die unrichtigen Angaben hätten auch in wesentlicher Beziehung bestanden, denn es habe sich in Ansehung des zunächst hohen vierstellen und dann sogar fünfstelligen Sparbetrages um Vermögen erheblichen Ausmaßes gehandelt. Dies gelte auch dann, wenn man hier den abzusetzenden Vermögensfreibetrag gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II berücksichtigen würde. Dieser habe bei dem im September 2010 33 Jahre alten Kläger gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II nämlich lediglich 5.700 € betragen (4.950 € gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II zuzüglich eines Pauschalbetrages für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 €). Entgegen der Ansicht des Klägers ergebe sich auch kein höherer Freibetrag aus § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II, hier in Höhe von 10.050 €, da es sich dabei um einen Deckelungsbetrag handele, über den die Freibeträge bei Personen, die nach dem 31. Dezember 1963 geboren seien, nicht hinausgehen dürften.
Der Kläger habe das vorhandene Sparvermögen zudem in grob fahrlässiger Weise verschwiegen. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Dabei sei auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab, das heißt, auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen abzustellen. Grobe Fahrlässigkeit liege danach dann vor, wenn der Betroffene aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass und welche Tatsachen er hätte angeben müssen (BSG, Bes. v. 13. März 2019 - B 8 SO 85/18 B, BeckRS 2019, 5257, 1. Leitsatz). So habe der Kläger vorliegend, obwohl er nach seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit dazu in der Lage gewesen sei, in keinem der hier maßgeblichen Weiterbewilligungsanträgen seit dem 28. Februar 2010 noch zu einer anderen Gelegenheit gegenüber dem Beklagten erwähnt, Vermögen durch das Ansparen von Leistungen aufgebaut zu haben. Dies aber hätte von ihm, wie auch von jedem durchschnittlichen Leistungsberechtigten, erwartet werden können, zumal der Kläger wusste, dass Falschangaben Konsequenzen haben würden. Auch zeige sich in seiner Stellungnahme vom 27. November 2015, dass der Kläger zwischen Einkommen und Vermögen unterscheiden konnte und eigene Überlegungen zu einem etwaigen Vermögensfreibetrag zu seiner Entlastung angestellt habe. Vor diesem Hintergrund hätten einfachste und ganz naheliegende Überlegungen dem Kläger Anlass geben müssen, sein Sparvermögen offen zu legen. Der Rechtsirrtum über die grundsicherungsrechtliche Bewertung des Sparvermögens, hier insbesondere im Hinblick darauf, dass er rechtsirrig einen Freibetrag in Höhe von 10.050 € angenommen hat, lässt den Verschuldensvorwurf, leistungserhebliche Tatsachen grob fahrlässig nicht angegeben zu haben, nicht entfallen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26. August 2015 - L 4 AS 335/11, juris, Rn. 36).
Die vor obigem Hintergrund zu Unrecht bewilligten Leistungen seien gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Höhe von 20.765 € zu erstatten.
Gegen das dem Bevollmächtigen des Klägers am 6. Januar 2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main hat dieser für den Kläger am 29. Januar 2021 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Der Kläger ist der Auffassung, er habe in den Weiterbewilligungsanträgen jeweils zutreffend angegeben, dass sich keine Änderungen in den Vermögensverhältnissen ergeben hätten. Dies sei zutreffend, weil der Beklagte seit dem Erstantrag von dem ersparten Betrag von 4.000 € Kenntnis gehabt habe. Eine wesentliche Änderung seiner Verhältnisse bzw. seines Vermögens bedeute aus dem Empfängerhorizont des Ausfüllenden, der einen Weiterbewilligungsantrag stelle, dass kein Zuwachs seines Vermögens erfolgt sei. Die Ausfüllhinweise des Beklagten oder sonstige Hinweisblätter des Beklagten erläuterten nicht, ab wann eine wesentliche Änderung des Vermögens vorliege. Folglich habe der Kläger die Falschangaben bei den Weiterbewilligungsanträgen nicht grob fahrlässig gemacht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 29. Oktober 2021 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten, die bei der Entscheidung jeweils vorgelegen haben, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Die Beteiligten sind auch vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Eines Einverständnisses der Beteiligten mit dieser Entscheidungsform bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 17. September 1997 - 6 Rka 97/96 - NZS 1998, 304; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG-Kommentar, 13. Auflage, 2020, 153 Rn. 14).
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß §§ 143 und 144 SGG. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den maßgeblichen Betrag von 750 € deutlich überstieg.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind nicht zu beanstanden. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main im angegriffenen Urteil, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG), verwiesen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die ersten Bewilligungsbescheide, deren Leistungen mit dem angefochtenen Bescheid aufgehoben wurden, schon am 1. März 2010 und am 18. August 2010 erlassen wurden. Auch zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger jedoch über Vermögen in einer Höhe verfügt, das einem Leistungsanspruch entgegengestanden hat.
Auch der Vortrag im Berufungsverfahren gibt zu einer anderen Bewertung keine Veranlassung. Entgegen der Auffassung des Klägers hat er in den Weiterbewilligungsanträgen jeweils fehlerhaft angeben, dass keine Änderungen in seinen Vermögensverhältnissen eingetreten seien. Zwar wurde der Kläger in dem von ihm gestellten Erstantrag vom 27. August 2004 lediglich gefragt, ob er über Vermögen verfügt, das den Wert von 4.850 € übersteigt, was der Kläger verneint hat. In allen Weiterbewilligungsanträgen für die Bewilligungszeiträume vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 hat der Kläger dann jedoch eingetretene Änderungen in seinen Vermögensverhältnissen verneint, obwohl er kontinuierlich Vermögen angespart hatte und dieses Vermögen jeweils den im Erstantrag abgefragten Betrag von 4.850 € überschritten hatte. Auch die jeweils maßgeblichen Vermögensfreibeträge, die mit zunehmendem Lebensalter des Klägers jährlich um 150 € gestiegen sind, waren jeweils deutlich überstiegen. Selbst wenn der Kläger im Jahr 2004 noch über ein Vermögen unterhalb des abgefragten Betrages von 4.850 € verfügt haben sollte, hätte er in den Weiterbewilligungsanträgen für die Bewilligungszeiträume vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 jeweils angeben müssen, dass dieser Betrag (nunmehr) überschritten ist oder sich nach den aktuellen für ihn geltenden Vermögensfreibeträgen erkundigen müssen, um prüfen und angeben zu können, dass sein Vermögen diese Vermögensfreibeträge nicht übersteigt. Beides hat der Kläger unterlassen, obwohl er wusste, dass sein Vermögen den seinerzeit abgefragten Betrag von 4.850 € übersteigt. Seine Falschangabe war, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, grob fahrlässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass der Kläger nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, das Begehren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG -, 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Nach dem oben Gesagten hat die Berufung zu keinem Zeitpunkt eine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt.