S 15 AL 313/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 313/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 61/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 30/22 BH
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X).

Der 1980 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Kamerun. Er hat keinen Aufenthaltstitel, eine ausgestellte Duldung lief im Jahr 2014 ab. Sodann stellte die Stadt Frankfurt am Main erst am 9. Oktober 2019 eine erneute Duldungsbescheinigung mit einer Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet A-Stadt sowie ohne Gestattung einer Erwerbstätigkeit befristet bis zum 8. Januar 2020 aus. Er war zuletzt vom 1. Februar 2009 bis 30. Juni 2018 bei C. als Zugbegleiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 31,20 Stunden (Vollzeit: 39 Stunden) beschäftigt (Bl. 7 ff. der Verwaltungsakte). 

Er meldete sich am 8. Mai 2018 telefonisch bei der Beklagten arbeitssuchend und beantragte durch Absenden des Online-Formulars am 18. Juli 2018 Arbeitslosengeld ab dem 1. Juli 2018.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Arbeitslosengeld wegen Fehlens der persönlichen Arbeitslosmeldung mit Bescheid vom 7. August 2018 ab. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 24. April 2019 die Überprüfung dieses Bescheids. Er habe persönlich vorgesprochen, jedoch keine Leistungen erhalten.

Die Beklagte lehnte eine Abänderung des Bescheids mit Bescheid vom 23. Mai 2019 ab. Die erste persönliche Vorsprache bei der Beklagten sei am 4. Oktober 2018 dokumentiert. Eine Arbeitslosmeldung sei an diesem Tag jedoch nicht aufgenommen worden, da die Duldung 2014 bereits abgelaufen sei. Eine erneute Vorsprache sei nicht erfolgt (Bl. 19 der Verwaltungsakte). Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger dahingehend, dass er sich arbeitssuchend gemeldet habe, der zuständige Sachbearbeiter habe ihm erklärt, dass er lediglich seine Unterlagen online hochladen müsse. Das er erneut persönlich hätte vorsprechen müssen, sei ihm unbekannt gewesen (Bl. 40-41 der Verwaltungsakte).

Der Kläger meldete sich am 13. Juni 2019 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld online. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juli 2019 mangels Vorlage eines gültigen Aufenthaltstitels ab (Bl. 29 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2019 als unbegründet zurück es fehle an einer Arbeitslosmeldung zum 1. Juli 2018.

Hiergegen hat der Kläger am 11. Oktober 2019 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2019 zu verpflichten, den Bescheid vom 7. August 2018 aufzuheben und im Arbeitslosengeld ab 1. Juli 2018 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat den Beteiligten mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 mitgeteilt, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme innerhalb eines Monats gesetzt. Das Schreiben ist der Beklagten am 14. Januar, dem Kläger am 15. Januar 2020 zugestellt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Rechtstreit konnte gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 23. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2019, den der Kläger mit einer kombinierten Anfechtung-, Verpflichtung- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG angreift. Nicht streitgegenständlich geworden ist die erneute Ablehnung der Gewährung von Arbeitslosengeld ab 13. Juni 2019, da der diesbezügliche ablehnende Bescheid vom 16. Juli 2019 nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens war und den Bescheid vom 23. Mai 2019 i.S.d. § 96 SGG weder ersetzt noch abgeändert hat. Eine unmittelbare Anfechtung des ursprünglichen Bescheids vom 7. August 2018 im Klageverfahren ist nicht möglich (vgl. BSG Urt. v. 25.1.1994 - 4 RA 20/92; Urt. v. 18.5.2010 - B 7 AL 49/08; Urt. v. 4.9.2001 - B 7 AL 84/00 R; Urt. v. 24.7.2003 - B 4 RA 62/02 R; Urt. v. 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R; Urt. v. 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R; Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R; Urt. v. 11.4.2013 - B 2 U 34/11 R; Urt. v. 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, den Bescheid vom 7. August 2018 aufzuheben und Arbeitslosengeld ab 1. Juli 2018 zu gewähren. Der Bescheid vom 23. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 7. August 2018, bestätigt im Widerspruchsbescheid vom 11. September 2018 ist zutreffend. Der Kläger hatte mangels persönlicher Arbeitslosmeldung nach § 141 Abs. 1 S. 1 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) ab 1. Juli 2018 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach §§ 137 ff. SGB III. Die Arbeitssuchendmeldung nach § 38 Abs.1 SGB III am 18. Mai 2018 kann nicht i.S.d. § 141 Abs. 1 S. 2 SGB III als frühzeitig abgegebene Arbeitslosmeldung gewertet werden, da diese telefonisch und damit ebenfalls nicht persönlich bei der Beklagten erfolgte. Eine weitere persönliche Arbeitslosmeldung hat der Kläger auch nicht vorgetragen und ist zudem aus den Akten nicht ersichtlich.

Die persönliche Arbeitslosmeldung kann auch nicht durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden. Nach diesem Anspruch ist der Betroffene so zu stellen, als stehe ihm infolge einer Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers das beeinträchtigte Recht noch in vollem Umfang zu (BSG Urt. v. 21.3.1990 – 7 Rar 36/88; Urt. v. 11.3.2004 – B 13 RJ 16/03 R; Urt. v. 29.10.2008 – B 11 AL 52/07 R). Das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist gerichtet auf die Vornahme einer notwendigen Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialversicherungsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 17.5.2001 – L 3 RJ 139/99). Voraussetzung hierfür ist, dass eine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers vorliegt, dem Betroffenen ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden und eine Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Nachteil besteht.

Die Fiktion der persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 141 SGB III ist jedoch ausgeschlossen. Denn es handelt sich bei der Arbeitslosmeldung nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine Tatsachenerklärung, die durch ein behördliches Handeln nicht ersetzt werden kann (BSG Urt. v. 19.3.1986 – 7 RAr 48/84; Urt. v. 3.3.1991 – 11 Rar 101/91). Der erlittene Nachteil kann mit zulässigen Mitteln der Verwaltung wegen dieser spezifischen Funktion der Arbeitslosmeldung nicht ausgeglichen werden. Sinn und Zweck der Arbeitslosmeldung ist es, die Agentur für Arbeit tatsächlich in die Lage zu versetzen, mit ihren Vermittlungsbemühungen zu beginnen. Vor Kenntnis vom Eintritt der Arbeitslosigkeit kann die Agentur ihrer Pflicht zur sofortigen Arbeitsvermittlung nicht nachkommen (BSG Urt. v. 8. 7. 1993 – 7 RAr 80/92).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus § 105 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 143 ff. SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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