S 9 U 223/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 223/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ob ein Versicherter Opfer einer Gewalttat geworden ist, muss bei der Prüfung des Unfallereignisses im Vollbeweis nachgewiesen sein. Jedenfalls muss der Gesundheitsschaden im Vollbeweis vorliegen. Bei einer Stammganglienblutung mit Ventrikeleinbruch ist zwischen innerer Ursache und äußerer Verletzung abzugrenzen.
2. Sucht der Versicherte während der Fahrt mit einem Lkw eine Baustelle auf, um dort allein seine Notdurft zu verrichten, liegt keine versicherte Tätigkeit vor, da die Verrichtung der Notdurft dann zum unversicherten persönlichen Lebensbereich gehört. Auch über den Unfallversicherungsschutz auf Wegen ergibt sich nichts anderes, denn der Versicherte unterbricht in diesem Fall seinen zunächst versicherten Weg aus privaten, eigenwirtschaftlichen Gründen.


I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 07.02.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 18.04.2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Kosten für das Gutachten von Dr. S./ Dr. S1. vom 06.04.2021 sowie für die ergänzende Stellungnahme Dr. S./ Dr. S1. vom 06.11.2021 werden gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob ein Ereignis vom 23.11.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Am 23.11.2016 erlitt der am 1961 geborene Kläger einen Unfall (Schlaganfall) während seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer (vgl. Unfallanzeige Akten-Id: 2 Bekl.-Akte, Durchgangsarztbericht Akten-Id: 10 Bekl.-Akte, Fragebogen Akten-Id: 20 Bekl.-Akte, Angaben ehemalige Bevollmächtigte des Klägers Akten-Id: 35 Bekl.-Akte, polizeiliche Ermittlungen Akten-Id: 47 Bekl.-Akte, Akte der Staatsanwaltschaft M2-Stadt).

Am 23.11.2016 wurde der Kläger operiert (vgl. OP Bericht Bl. 454 f. Staatsanwaltschafts-Akte). Dort wurde u. a. diagnostiziert: massive Stammganglienblutung mit Ventrikeleinbruch.

Aus der Unfallanzeige (Akten-Id: 2 Bekl.-Akte) ergibt sich folgender Hergang: Der Kläger habe sich anscheinend aus dem Fenster vom Lkw übergeben und anschließend das Bewusstsein verloren.

Am 01.12.2016 wurde der Kläger operiert (vgl. Bl. 15 Staatsanwaltschafts-Akte).

Vom 23.11.2016 bis 09.12.2016 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im I. (vgl. Bl. 15 ff. Staatsanwaltschafts-Akte). Dort wurde u. a. diagnostiziert: Stammganglienblutung rechts mit Ventrikeleinbruch am 23.11.2016 mit rascher Vigilanzminderung (GCS 4), G: hypertensiv; Aspirationspneumonie, V. a. Ventrikulitis (Staph. epidermidis); arterielle Hypertonie.

Vom 09.12.2016 bis 10.04.2017 sowie vom 11.04.2017 bis 16.06.2017 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der B. (vgl. Akten-Id: 47, S. 7 ff. Bekl.-Akte). Dort wurde u. a. diagnostiziert: Stammganglienblutung rechts mit Ventrikeleinbruch.

Am 02.05.2017 wurde ein CT des Kopfes durchgeführt (vgl. Bl. 96 SG-Akte).

Es wurden weitere Bilder des Kopfes angefertigt (vgl. Akten-Id: 47, S. 18 ff. Bekl.-Akte).

Am 16.05.2017 wurden Bilder des Hüftgelenkes angefertigt (vgl. Akten-Id: 47, S. 18 Bekl.-Akte).

Aus dem ausgefüllten Fragebogen vom 27.07.2017 (Akten-Id: 20 Bekl.-Akte) ergibt sich folgender Unfallhergang: Während der Fahrt als LKW-Fahrer sei dem Kläger schlecht geworden. Er habe das Fahrzeug noch rechtzeitig vor der Ampel anhalten können mit Warnblinker und sei dann zusammengebrochen. Passanten seien von der Polizei aufgenommen worden. Auf die Frage, ob der Unfall von einem anderen verursacht worden sei, ist "nein" angekreuzt worden. Auf die Frage, ob Strafverfolgung eingeleitet worden sei, ist "nein" angekreuzt worden.

Es liegt Bescheinigung der Zeiten von Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse des Klägers vom 28.07.2017 (Akten-Id: 7 Bekl.-Akte) vor.

Es liegt Durchgangsarztbericht vom 28.11.2017 (Akten-Id: 10 Bekl.-Akte) vor. Dort wird folgender Hergang geschildert: Während der Autofahrt habe der Kläger aufgrund von Kreislaufproblemen den Lkw verlassen, wobei er sich die Schulter verletzt habe.

Am 06.12.2017 wurde eine CT der linken Schulter durchgeführt (Akten-Id: 11 Bekl.-Akte).

Am 06.12.2017 wurde eine MRT des linken Schultergelenks durchgeführt (vgl. Akten-Id: 47, S. 15 Bekl.-Akte).

Aus dem Sachverhalt der Polizeiinspektion a M3-Stadt vom 05.04.2018 (Akten-Id: 47, S. 4 ff. Bekl.-Akte) ergibt sich u. a. folgender Sachverhalt: Nach dem Unfall habe der Kläger längere Zeit im Koma gelegen und habe anschließend eine Reha in B-Stadt gemacht. Vor 2 Wochen habe sich der Kläger langsam wieder an einige Bruchstücke vom Unfalltag erinnert. Er erinnere sich daran, dass er im Stau gestanden habe. Da er dringend zur Toilette gemusst habe, sei er rechts rangefahren und auf die dortige Baustelle gegangen. Er habe eine Dixi-Toilette gesucht. Da er keine gefunden habe, habe er gegen einen Zaun uriniert. Er habe dann plötzlich einen Schmerz am Hinterkopf verspürt bzw. seiner linken Schulter. Er sei zusammengesackt. Als er sich umgedreht habe, habe er eine Silhouette mit einem Gegenstand in der Hand wahrgenommen, die gerade dabei gewesen sei, wegzugehen. Er habe sich dann in seien Lkw zurückgeschleppt. Die Frau des Klägers vermute, dass aufgrund der neurologischen Störung, die Verletzungen im Krankenhaus übersehen worden seien bzw. nicht zugeordnet werden konnten. Eine Gewalttat sei nicht auszuschließen.

Aus dem Aktenvermerk vom 12.04.2018 (Akten-Id: 47, S. 22 Bekl.-Akte) ergibt sich, dass der Bluterguss an der Hüfte im März 2017 in B-Stadt festgestellt worden sei.

Mit Schreiben vom 16.04.2018 (Akten-Id: 35 Bekl.-Akte) schilderte die ehemalige Bevollmächtigte des Klägers den Sachverhalt wie folgt: An dem Unfalltag, 23.11.2016, sei der Kläger von der Baustelle an der F-Straße zurück in Richtung Firma gefahren. Er habe dringend auf die Toilette gemusst. Leider sei auf der Straße großer Stau gewesen. Er sei umgebogen und in Richtung D- Straße gefahren. Dort sei leider auch großer Stau gewesen. Der Kläger habe auf der rechten Seite eine Baustelle gesehen und sei angehalten. Da sich auf dieser Baustelle jedoch kein Dixi-Klo befunden habe, sei er laut "Hallo"-rufend zur Baustelle reingekommen. Niemand sei dort gewesen. Er sei auf der Baustelle an einem Haus vorbeigegangen, wobei sich am Ende ein Erdhaufen befunden habe. Diesen habe der Kläger genutzt, um sich zu entleeren (in der Hocke), wobei er auf einmal 3 Schläge von hinten bekommen habe: einen auf den Nacken, einen auf die Schulter und einen auf den Rücken. Er habe einen Schatten gesehen, wie jemand mit einem Stock/ Gegenstand weggelaufen sei. In diesem Schockzustand habe sich der Kläger jedoch wieder in seinen Lkw gesetzt und sei fälschlicherweise statt zurück in die Firma zu fahren, nach Hause gefahren, wobei ihm bei der Weiterfahrt schlecht geworden sei. Er habe den Lkw angehalten und sich durch das offene Fenster erbrochen.

Es liegt Gutachten von Prof. Dr. G3. für das Polizeipräsidium M4-Stadt vom 20.06.2018 (Akten-Id: 47, S. 25 ff. Bekl.-Akte) vor. Danach könne zusammenfassend festgestellt werden, dass eine innere Ursache für die Hirnblutung bei typischer Blutungslokalisation und vorbekannter Bluthochdruckerkrankung nachvollziehbar sei und Anhaltspunkte für eine äußere Einwirkung durch dritte Hand nicht vorliegen würden.

Mit Bescheid vom 07.02.2019 (Akten-Id: 72 Bekl.-Akte) lehnte die Beklagte ab, das Ereignis vom 23.11.2016 als Versicherungsfall anzuerkennen. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.

Dagegen wurde Widerspruch eingelegt (Akten-Id: 79 Bekl.-Akte, Widerspruchsbegründung: Akten-Id: 81 Bekl.-Akte). Auch wenn kein Beweis eines äußeren Ursachenzusammenhangs bestehe, sei der Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger habe sich bei seiner Arbeit befunden, als das Ereignis eingetreten sei. Insbesondere müsse Versicherungsschutz angenommen werden, wenn nicht nachgewiesen sei, inwiefern der Weg unterbrochen worden sei.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2019 (Akten-Id: 88 Bekl.-Akte) zurückgewiesen.

Mit seiner 29.04.2019 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage begehrt der Kläger Anerkennung des Ereignisses vom 23.11.2016 als Arbeitsunfall sowie Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Bl. 1, 17 ff. SG-Akte).

Am 06.06.2019 wurde eine MRT des linken Hüftgelenkes durchgeführt (vgl. Bl. 29 SG-Akte).

Mit Schreiben vom 10.07.2019 (Bl. 37 ff. SG-Akte) sowie Schreiben vom 30.07.2019 (Bl. 41 ff. SG-Akte) übergab der Bevollmächtigte des Klägers weitere Befundberichte.

Mit Schreiben vom 26.07.2019 (Bl. 62 f. SG-Akte) wandte sich die Ehefrau des Klägers an das Polizeipräsidium M4-Stadt. Es sei von einer Fremdeinwirkung auszugehen. Die Ausführungen aus dem Gutachten für das Polizeipräsidium seien zu dementieren.

Es liegt Bericht des Algesiologikum M5-Stadt vom 01.08.2019 (Bl. 275 ff. Staatsanwaltschafts-Akte) vor.

Es liegt ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. G3. gegenüber dem Polizeipräsidium M4-Stadt vom 14.08.2019 (Bl. 101 SG-Akte) vor.

Mit Schreiben vom 22.08.2019 (Bl. 64 ff. SG-Akte) übergab der Bevollmächtigte des Klägers weitere Befundberichte. Dabei sei das Algesiologikum M5-Stadt von einer Prügelverletzung ausgegangen.

Mit Schreiben vom 26.11.2019 (Bl. 116 f. SG-Akte) übergab der Bevollmächtigte des Klägers weiteren Befundbericht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung von bildgebenden Befunden, Einholung des Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse des Klägers (Bl. 87 ff. SG-Akte), Einholung eines Befundberichts von Dr. S2. (Bl. 80 ff. SG-Akte) sowie durch Einholung eines Gutachtens auf neurologischem Fachgebiet von Prof. Dr. B1..

Prof. Dr. B1. kommt in seinem Gutachten vom 19.02.2020 (Bl. 132 ff. SG-Akte) nach Auswertung der Aktenlage und einer Untersuchung des Klägers am 05.02.2020 zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine Blutung vorgelegen habe, die im inneren Bereich des Gehirns ihren Ursprung genommen habe. Eine Blutung anderer Ursache (zum Beispiel durch einen Schlag auf den Kopf, einen Sturz auf den Kopf oder anderweitige Gewalteinwirkung) verursache immer eine Blutung an der Außenseite des Gehirns und äußere sich als sogenannte Kontusion- oder Subarachoidalblutung. In der Regel würden derartig verletzungsbedingte Blutungen auch mit einem Hämatom am Kopf einhergehen, welches im vorliegenden Fall nach Durchsicht der CT-Bilder nicht zu finden sei. Auch in der dargestellten Muskulatur und in der Haut des Halsgewebes würden sich keine Hinweise für eine Blutung finden. Somit sei die beim Kläger eingetretene Gehirnblutung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus innerer Ursache entstanden. Ein Zusammenhang der eingetretenen Hirnblutung mit der beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer sei nicht erkennbar. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 11.03.2020 (Bl. 143 ff. SG-Akte) legte der Bevollmächtigte des Klägers Stellungnahme der Ehefrau des Klägers vor. Die Ausführungen von Prof. Dr. B1. würden nicht überzeugen.

Mit Schreiben vom 28.08.2020 (Bl. 157 ff. SG-Akte) legte der Bevollmächtigte Schriftverkehr mit der Generalstaatsanwaltschaft vor.

Auf Antrag des Bevollmächtigten des Klägers wurde mit Beschluss vom 06.10.2020 (Bl. 171 f. SG-Akte) ein weiteres Gutachten von Dr. S1. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Mit Beschluss vom 25.02.2021 (Bl. 189 SG-Akte) wurde der Gutachtensauftrag vom 14.12.2020 dahingehend abgeändert, dass das Gutachten nach Aktenlage zu erstellen sei.

Mit Schreiben vom 01.12.2020 (Bl. 177 ff. SG-Akte) legte der Bevollmächtigte des Klägers weiteren Befundbericht vor. Am 24.11.2020 wurde eine Kernspintomografie des kraniozervikalen Übergangs mit Schädelbasis unter besonderer Berücksichtigung der Kopfgelenke durchgeführt (vgl. Bl. 179 ff. SG-Akte).

Dr. S1., Dr. S. kommen in ihrem Gutachten vom 06.04.2021 (Bl. 205 ff. SG-Akte) nach Auswertung der Aktenlage zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass mit Wahrscheinlichkeit erst ein unfallbedingter Körperschaden stattgefunden habe und die Stammganglienblutung als Folgeschaden zu bewerten sei. Die Verkehrsdaten seien zunächst nicht zu ermitteln gewesen. Dr. S1. sei es gelungen, die Daten zu ermitteln. Danach könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger vorher eine Pause eingelegt habe, wo dann eine Gewalteinwirkung stattgefunden haben könnte. Ein eingebauter Hirninfarkt sei als eher unwahrscheinlich anzunehmen. Auch eine instabile Blutdruckstörung könne ausgeschlossen werden. Eine unfallchirurgische Abklärung sei unterlassen worden. Mögliche äußerliche Verletzungszeichen seien daher nicht dokumentiert worden. Die Indizien (Teilerinnerung des Klägers, fahrtechnische Bestätigung, Baustelle) würden für ein Unfallgeschehen sprechen, z. B. die nahezu korrekte Beschreibung der Person durch den Kläger. Eine äußerliche Krafteinwirkung am Kopf, Nacken und Rücken könne auch später durch eine traumatische intracerebrale Blutung klinisch auffällig werden. Es habe eine Straftat im Rahmen des Arbeitsprozesses stattgefunden. Es müsse über Opferentschädigung und Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall nachgedacht werden. Es sei keine Blutung aus innerer Ursache gegeben. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Arbeitseinsatzes gesund gewesen, habe im Vorfeld keine ärztlichen Behandlungen, keine Medikation und auch keine klinischen Initialsymptome gehabt. Eine hypertensive Krise, die die Blutung ausgelöst habe, habe nicht vorgelegen. Die MdE betrage 100 %.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. O..

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.05.2021 (Bl. 239 ff. SG-Akte) kommt Prof. Dr. B1. zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass dem Gutachten von Dr. S1./ Dr. S. nicht zu folgen sei. Das Gutachten basiere auf Vermutungen und sei teilweise unschlüssig. Aus dem Fahrtenschreiber-Ausdruck ergebe sich, dass zwischen 13:40 und 14:25 Uhr das Kraftfahrzeug wohl nicht bewegt worden sei. Von einer 40-minütigen Pause auf ein Schädel-Hirn-Trauma zu schließen, erschließe sich nicht. Verletzungszeichen seien nicht bewiesen. Aus dem CT-Befund ergebe sich keine Verletzung im Sinne eines Hämatoms der Kopfschwarte. Gegen die Annahme eines Schädel-Hirn-Traumas spreche die beobachtete Blutung. Geeignete Beweise dafür, dass die aufgetretene Blutung traumatisch verursacht sei, würden nicht vorliegen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. S1./ Dr. S. gemäß § 109 SGG.

Dr. S1., Dr. S. kommen in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06.11.2021 (Bl. 259 ff. SG-Akte) zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Indizien (leere Krankheitsgeschichte, Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Auseinandersetzung nach Teilerinnerung des Klägers, fehlerhafte Erstversorgung, postoperative Phase) für einen Traumazusammenhang sprechen würden. Es würden die Tatsachen eher für eine Traumagenese sprechen. Es sei weitere juristische Abklärung geboten. Das Gutachten von Prof. Dr. B1. sei unschlüssig. Tatsache bleibe, dass dem Kläger nicht ein vorbestehender arterieller Bluthochdruck zur Last gelegt werden könne und dadurch der Beweis und die Interpretation einer Blutungsentstehung aus innerer Ursache gerechtfertigt wäre, wenn doch in keinster Weise Anhaltspunkte dafür, sondern eher dagegen sprechen würden.

Mit Beschluss vom 01.12.2021 (Bl. 274 f. SG-Akte) wurde das Verfahren gemäß § 114 Abs. 3 SGG ausgesetzt bis zur Erledigung des Strafverfahrens.

Mit Schreiben vom 16.02.2022 (Bl. 279 SG-Akte) fragte die Staatsanwaltschaft an, ob mittlerweile ein fahrtechnisches Gutachten eingeholt worden sei.

Mit Schreiben vom 25.02.2022 (Bl. 281 SG-Akte) teilte das Gericht mit, dass das Verfahren mit Beschluss vom 01.12.2021 ausgesetzt worden sei. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft könnten Einfluss auf die Entscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren haben, weswegen bis zur Erledigung des Strafverfahrens auszusetzen sei. Daher habe keine weitere Begutachtung oder Entscheidung stattgefunden.

Mit Schreiben vom 31.05.2022 (Bl. 284 f. SG-Akte) teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass das Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Klägers eingestellt worden sei. Ein Täter habe nicht ermittelt werden können. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht gegeben. Noch mit staatsanwaltlicher Verfügung unter dem Az.: 124 AR 3998/19 sei von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen worden, da Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat nicht gegeben waren. Mit Verfügung vom 11.10.2021 sei nunmehr ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, da auf der Grundlage des von Dr. S1. erstellten Sachverständigengutachtens vom 06.04.2021 zumindest von einer Möglichkeit i. S. d. § 152 StPO ausgegangen werden musste, dass eine verfolgbare Straftat vorliege. Die seitens der Kriminalpolizei daraufhin getätigten Ermittlungen seien erfolglos gewesen. Ein Tatverdächtiger habe nicht ermittelt werden können. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 15.06.2022 (Bl. 287 f. SG-Akte) teilte die Vorsitzende den Beteiligten mit, dass das Verfahren fortgeführt werde.

Mit Schreiben vom 30.06.2022 (Bl. 289 SG-Akte) teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass die Sache entscheidungsreif sei und bat um Termin zur mündlichen Verhandlung.

Das Gericht hat die Akte der Staatsanwaltschaft M6-Stadt () beigezogen.

Es liegt detaillierte Schilderung der Ehefrau des Klägers zu den Umständen vor (vgl. Bl. 6 ff. Staatsanwaltschafts-Akte).

Es liegt Stellungnahme des Polizeipräsidiums M4-Stadt vom 19.07.2019 (Bl. 41 ff. Staatsanwaltschafts-Akte) vor.

Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Abs. 2 StPO ist zunächst abgesehen worden (Verfügung vom 04.03.2020, Bl. 357 f. Staatsanwaltschafts-Akte). Zureichende Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht seien nicht gegeben. Es handele sich um Mutmaßungen der Ehefrau des Klägers, es habe eine Einwirkung durch eine dritte Person oder einen Sturz im Krankenhaus gegeben.

Es liegt Stellungnahme von Dr. Reinhard Thoma vom 14.05.2020 (Bl. 400 f. Staatsanwaltschafts-Akte) vor.

Mit Schreiben vom 09.12.2020 (Bl. 437 f. Staatsanwaltschafts-Akte) schilderte der Kläger den Unfallhergang wie folgt: Der Kläger sei am 23.11.2016 in den Lkw gestiegen und von der F-Straße in Richtung seiner Firma gefahren. Er hätte sich dringend erleichtern müssen und habe die Baustelle in der L-Straße aufgesucht und dort gehalten. Auf der Suche nach einem Dixi-Klo habe er sich mit lautem Rufen bemerkbar gemacht und als niemand gekommen sei, habe sich der Kläger in einer Hausecke erleichtern müssen. Der Kläger sei mit mehreren Schlägen von hinten in dem Bereich der Halswirbelsäule, Schulter sowie der Hüfte zu Boden gebracht worden. Auf dem Boden sei der Kläger noch mehrmals getreten worden. Nach seiner Erinnerung habe sich ein Security Mitarbeiter der Firma G4. schnell aus seiner Richtung in das Gebäude entfernt. Er habe sich im Schockzustand in seinen Lkw geflüchtet. Ab diesem Zeitpunkt wisse er nichts mehr. Der Ehefrau des Klägers und einer Freundin sei von einem Arzt im I. gesagt worden, dass sie sich nicht den Hinterkopf anschauen sollten, da dieser dick, geschwollen und blau sei. Es könne also nicht möglich sein, dass dort bereits seine Verletzungen nicht aufgefallen seien. Es gebe deshalb neue Erkenntnisse zu einem Gewaltverbrechen.

Mit Schreiben vom 05.09.2020 (Bl. 464 Staatsanwaltschafts-Akte) teilt die Ehefrau der Klägerin dem Oberlandesgericht M7-Stadt mit, dass während der Rehazeit in B-Stadt aufklärungsbedingte Verletzungen (Schulter, Hüfte) festgestellt worden seien.

Es liegt E-Mail der Ehefrau des Klägers vom 24.08.2020 an die Poststelle der Generalstaatsanwaltschaft M8-Stadt (Bl. 473 f. Staatsanwaltschafts-Akte) vor. Darin sind der Unfallhergang und der mögliche Täter näher beschrieben.

Am 22.07.2020 wurde eine MRT des Schädels durchgeführt (vgl. Bl. 517 Staatsanwaltschafts-Akte).

Es liegen Auswertungen der Fahrerkarte (Bl. 573 ff. Staatsanwaltschafts-Akte) vor.

Es liegt Aktenvermerk des Kriminalfachdezernats M9-Stadt vom 19.05.2022 (Bl. 614 f. Staatsanwaltschafts-Akte) vor. Danach habe der Kläger eigentlich mit der Baustelle an sich nichts zu tun gehabt. An dem Tag des Unfalls sei ein großes Wetterschutzdach auf der Baustelle angeliefert worden. Es habe aber keinen Zwischenfall auf der Baustelle nach der Erinnerung des Bauleiters gegeben. Die Firma G4. sei morgens und nachmittags und einmal nach Feierabend dafür zuständig gewesen, dass gewisse Punkte abgegangen und kontrolliert worden seien. Um die Uhrzeit des Unfalls hätten sie eigentlich auf dem Gelände nichts zu suchen gehabt.

In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 08.11.2022 (vgl. Sitzungsniederschrift) erklärten der Kläger und seine Ehefrau zum Unfallereignis: Der Kläger habe sich auf dem Weg von einer Baustelle zur Firma befunden. Er habe dann zur Toilette gemusst und den Weg unterbrochen, um sich zu erleichtern. Bei dem Toilettengang sei er durch eine andere Person verletzt worden. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte, dass der Toilettengang sehr dringlich gewesen sei, insbesondere dadurch, dass es mehrere Staus gegeben habe. Der Kläger hätte sich sonst in seinem Lkw entleeren müssen. Der Toilettengang habe der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit gedient. Auf die Nachfrage der Vorsitzenden, warum nicht eine Toilette an einer Tankstelle oder einem Rastplatz aufgesucht worden sei, schilderte der Kläger, dass es sehr viel praktischer und einfacher sei, an einer Baustelle zu halten. Normalerweise würden sich dort Dixi-Klos finden lassen. Der Kläger halte das für üblich und habe das auch vorher schon öfter gemacht.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2019 zu verurteilen, das Ereignis vom 23.11.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Bevollmächtige der Beklagten beantragt,
die Klageabweisung.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte zudem
die Übernahme der Kosten für das Gutachten von Dr. S1./ Dr. S. vom 06.04.2021 sowie für die ergänzende Stellungnahme von Dr. S1./ Dr. S. vom 06.11.2021 durch die Staatskasse gem. § 109 SGG.

Das Gericht hat die Akte der Staatsanwaltschaft B-Stadt I sowie die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist zulässig.

In der Sache erweist sich die Klage dann allerdings als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 23.11.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Es ist dabei grundsätzlich erforderlich (z. B. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 30.01.2007, B 2 U 8/06 R, juris), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG, Urt. v. 15.11.2016, B 2 U 12/15 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 37; Urt. v. 05.07.2016, B 2 U 16/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 58; Urt. v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 55). Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) keine Voraussetzung. Dies ist Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 11/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 14; Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15).

Das Gericht möchte voranstellen, dass es für die Tragik des Ereignisses und die besondere Belastung sowie Betroffenheit des Klägers und seiner Ehefrau Verständnis hat. Das Gericht muss vom Vorliegen all der dargestellten gesetzlichen Voraussetzungen dann allerdings überzeugt sein (zum großen Teil im Vollbeweis). Verbleibende Zweifel oder "Beweismängel" gehen zu Lasten des Klägers. Zusammengefasst liegen dann nach Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vor.

Fraglich sind im vorliegenden Fall das Vorliegen eines Unfallereignisses, die versicherte Tätigkeit, der innere/ sachliche Zusammenhang, der Gesundheits(erst)schaden bzw. die Unfallkausalität.

Das Unfallereignis muss im Vollbeweis vorliegen, was hier nicht der Fall ist. Im Vollbeweis ist allein bewiesen, dass der Kläger zusammengebrochen in/an seinem Fahrzeug gefunden worden ist. Ob der Kläger zuvor Opfer einer Gewalttat geworden ist, hat sich durch die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln lassen. Die bloße Möglichkeit genügt für die Anforderungen des Vollbeweises im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung dann aber nicht aus. Hinzu kommt, dass der Kläger sich erst im Frühjahr 2018 an die Ereignisse einer möglichen Straftat zu seinen Lasten erinnern konnte.

Ähnliches gilt für den Gesundheits(erst)schaden. Auch hier gelten die strengen Reglungen zum Vollbeweis. Das Ereignis hat sich am 23.11.2016 zugetragen. Aus den ärztlichen Erstberichten zum Ereignis ergibt sich: Stammganglienblutung rechts mit Ventrikeleinbruch am 23.11.2016 mit rascher Vigilanzminderung (GCS 4), G: hypertensiv; Aspirationspneumonie, V. a. Ventrikulitis (Staph. epidermidis). Verletzungen hinsichtlich Schulter und Hüfte oder anderer Körperregionen sind nicht dokumentiert. Hinweise auf eine Verletzung der Hüfte finden sich dann erst im Mai 2017. Die Möglichkeit einer Schulterverletzung taucht im November 2017 in der Akte auf. Auch hier sind die Anforderungen an den Vollbeweis nicht erfüllt und gehen zulasten des Klägers

Es ist dann weiter zu klären, ob die Stammganglienblutung rechts mit Ventrikeleinbruch am 23.11.2016 mit rascher Vigilanzminderung eine innere Ursache hat oder auf eine äußere Verletzung zurückgeführt werden kann. Diesbezüglich liegen zwei unterschiedliche Gutachten (jeweils mit ergänzender Stellungnahme) im sozialgerichtlichen Verfahren vor.

Das Gericht folgt hier den schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben von Prof. Dr. B1.. Nach den Darstellungen von Prof. Dr. B1. hat beim Kläger eine Blutung vorgelegen, die im inneren Bereich des Gehirns ihren Ursprung genommen hat. Eine Blutung anderer Ursache (zum Beispiel durch einen Schlag auf den Kopf, einen Sturz auf den Kopf oder anderweitige Gewalteinwirkung) verursacht immer eine Blutung an der Außenseite des Gehirns und äußere sich als sogenannte Kontusion- oder Subarachoidalblutung. In der Regel gehen derartig verletzungsbedingte Blutungen auch mit einem Hämatom am Kopf einher, welches im vorliegenden Fall nach Durchsicht der CT-Bilder nicht zu finden war. Auch in der dargestellten Muskulatur und in der Haut des Halsgewebes hatten sich keine Hinweise für eine Blutung gefunden. Somit ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. B1., denen sich das Gericht anschließt, die beim Kläger eingetretene Gehirnblutung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus innerer Ursache entstanden. Gegen die Annahme eines Schädel-Hirn-Traumas spricht dabei die beobachtete Blutung. Geeignete Beweise dafür, dass die aufgetretene Blutung traumatisch verursacht ist, liegen nach Prof. Dr. B1. nicht vor. Ein Zusammenhang der eingetretenen Hirnblutung mit der beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer ist im Ergebnis zusammenfassend nicht erkennbar. Die Darstellungen von Prof. Dr. B1. decken sich mit den Ausführungen aus dem Gutachten für das Polizeipräsidium M4-Stadt von Prof. Dr. G3..

Den Ausführungen von Dr. S1./ Dr. S., wonach mit Wahrscheinlichkeit erst ein unfallbedingter Körperschaden stattgefunden habe und die Stammganglienblutung als Folgeschaden zu bewerten sei, folgt das Gericht nicht. Die Vermutung, dass auch eine Gewalteinwirkung stattgefunden haben könnte, genügt dabei nach den Auffassungen des Gerichts nicht den Anforderungen an die gesetzliche Unfallversicherung. Auch die übrigen von Dr. S1./ Dr. S. herangezogenen Indizien (leere Krankheitsgeschichte, Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Auseinandersetzung nach Teilerinnerung des Klägers, fehlerhafte Erstversorgung, postoperative Phase) überzeugen das Gericht nicht von einem Traumazusammenhang, insbesondere was den geforderten Beweismaßstab angeht.

Aber selbst wenn das Gericht den Ausführungen von Dr. S1./ Dr. S. folgen würde, ist die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall nicht möglich.

Unterstellt man die Schilderung des Klägers zum Ereignis vom 23.11.2016 als wahr, liegt keine versicherte Tätigkeit vor. In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 08.11.2022 erklärten der Kläger und seine Ehefrau zum Unfallereignis: Der Kläger habe sich auf dem Weg von einer Baustelle zur Firma befunden. Er habe dann zur Toilette gemusst und den Weg unterbrochen, um sich zu erleichtern. Bei dem Toilettengang sei er durch eine andere Person verletzt worden. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte, dass der Toilettengang sehr dringlich gewesen sei, insbesondere dadurch, dass es mehrere Staus gegeben habe. Der Kläger hätte sich sonst in seinem Lkw entleeren müssen. Der Toilettengang habe der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit gedient.

Eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses (Arbeitsverhältnisses), eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (m. w. N. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.04.2020, L 10 U 2537/18, juris). Zum Zeitpunkt der möglichen Gewalttat übte der Kläger nicht seine berufliche Tätigkeit aus. Der Kläger hielt sich dort nach eigenem Vortrag nicht auf, um damit eine (vermeintliche) Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis zu erfüllen oder ein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrzunehmen, sondern um seine höchstpersönliche Notdurft zu verrichten. Die Verrichtung der Notdurft gehört zum unversicherten persönlichen Lebensbereich. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ist auch unter Berücksichtigung des Vortrags zur "Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit" für das Gericht nicht erkennbar.

Auch über den Unfallversicherungsschutz auf Wegen ergibt sich nichts anderes, denn der Kläger hat jedenfalls seinen Weg aus privaten, eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen (Verrichtung der Notdurft). Die Handlungstendenz war auf diese privatnützige Tätigkeit gerichtet. Mit dem Toilettengang liegt eine wesentliche Unterbrechung vor, denn durch das Verlassen des Fahrzeugs (um eine Toilette zu finden) liegt eine deutliche Zäsur vor. Eine Unterbrechung wäre nur dann geringfügig und unbeachtlich, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (vgl. m. w. N. BSG, Urteil v. 23.01.2018, B 2 U 3/16 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 64; LSG Bayern Urt. v. 27.03.2013, L 2 U 284/12, BeckRS 2014, 68381). Das ist hier aber nicht gegeben. Der Kläger musste sein Fahrzeug anhalten, aussteigen, zur Baustelle hingehen, dort eine Toilette suchen bzw. mangels Toilette sich dort irgendwo erleichtern. Das alles ist dem privaten Bereich des Klägers zuzurechnen und gehört nicht zeitlich und räumlich zu seiner versicherten Tätigkeit. Die Grenze der unwesentlichen Unterbrechung ist hier nach Auffassung des Gerichts überschritten. Erst mit der Fortführung des ursprünglichen Weges (Besteigen des Fahrzeugs, um zur Arbeit zu kommen) hätte wieder eine versicherte Tätigkeit vorgelegen.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG kann die Übernahme der im Rahmen einer Gutachtenserstattung anfallenden Kosten auf die Staatskasse nach Ermessen des Gerichts dann erfolgen, wenn das eingeholte Gutachten wesentlich zur Aufklärung des objektiv streitigen Sachverhalts beigetragen und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/S., SGG, 13. Aufl. 2020, § 109, Rn. 16, 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweis-erhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist.

Vorliegend haben das von Dr. S1./ Dr. S. eingeholte Gutachten und die ergänzende Stellungnahme zur Aufklärung des streitigen Sachverhalts beigetragen und Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens gewonnen, weil sie in der für den Rechtsstreit entscheidenden Frage, ob das Ereignis vom 23.11.2016 einen Versicherungsfall darstellt, zu einem klareren Gesamtbild des medizinischen Sachverhalts verholfen haben. Dr. S1./ Dr. S. haben sich intensiv mit den Erkrankungen des Klägers beschäftigt. Ihre medizinischen Ausführungen haben Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens gewonnen. Das Gutachten führte zu weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Diese blieben im Ergebnis zwar leider erfolglos. Dennoch ist die Übernahme der entstandenen Kosten auf die Staatskasse in Anbetracht aller Umstände angemessen.

 

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